Händchen falten, Köpfchen senken, immer an den Führer denken

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„Händchen falten, Köpfchen senken, immer an den Führer denken“ Nationalsozialistische Erziehung im Kindergarten

Diplomarbeit zur Ablegung der schriftlichen Reifeprüfung im Fach Didaktik an der Bundeslehranstalt für Kindergartenpädagogik Graz

eingereicht von Maximilian Herbert Tonsern

Begutachterin: Mag.ª Gunthilde Traby

2011

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Ich erkläre hiermit ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegeben Quellen nicht benützt, und die den benützten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht bzw. Mich keiner unerlaubten Hilfe bedient habe.

Tonsern Maximilian

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INHALT

1.

Vorwort 1.1.

Anmerkung zur Ortographie

1.2.

Anmerkung zu verwendeten Abkürzungen

1.3.

Anmerkung zur Interviewsituation und Transkription 1.3.1. Verzeichnis der Interviewpartnerinnen

2.

Einleitung 2.1.

3.

Endgültige Machtübernahme der Nationalsozialisten

Aufbau des nationalsozialistisch- geprägten Erziehungssystems 3.1.

Hitlers Ideen zur Erziehung

3.2.

Die NSV und die Übernahme der Kindergärten 3.2.1. Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt 3.2.2. Die Struktur der NSV – Kindergärten in Österreich

4.

3.3.

Konflikt mit den Evangelischen Kindergärten

3.4.

Das Ende der Montessori - Kindergärten (speziell in Wien)

Didaktik im Dritten Reich - Haarer als Repräsentantin der nationalsozialistischen Erziehungslehre 4.1.

Johanna Haarer 4.1.1. Die Folgen der Erziehung nach Haarer

5.

Schwerpunkte der Erziehung vor und nach der Zeit des Zweiten Weltkrieges 5.1.

Die Erziehung vor der Zeit des Nationalsozialismus 5.1.1. Die Aufgaben des Kindergartens vor der Zeit des Ersten Weltkrieges 5.1.2. Die Pflichten der Kindergartenpädagogin vor der Zeit des Ersten Weltkrieges

5.2.

Die Erziehung in der Nachkriegszeit 5.2.1. Die Situation speziell in Österreich

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6.

Nationalsozialistische Feste, Kindergartenalltag und Brauchtum 6.1.

Handeln zum Wohl der nationalsozialistischen Allgemeinheit

6.2.

Feste – Fallbeispiel Weihnachten

6.3.

Nationalsozialistisch – geprägtes Medienangebot 6.3.1. Verfremdete Gesellschaftsspiele – Fallbeispiel „Wir fahren gegen Engeland“ 6.3.2. Kriegsspielsachen 6.3.3. Nationalsozialistische Prägung bei literarischen Werken für Kinder – Fallbeispiel „Das deutsche Lied“

7.

Ankerzitate aus den Interviews mit Zeitzeuginnen 7.1.

Maria Rumpel 7.1.1. Resümee

7.2.

Christa Gauster 7.2.1. Resümee

7.3.

Theresia Kühar 7.3.1. Resümee

8.

Abschließende Betrachtung

9.

Literatur- und Bildverzeichnis

10.

9.1.

Bücher

9.2.

Zeitschriften, Zeitungen und Fachmagazine

9.3.

Fachartikel

9.4.

Internetquellen

9.5.

Sonstige Quellen

9.6.

Abbildungsverzeichnis

Anhang 10.1. Verwendete Fachartikel 10.2. Interviewleitfaden für damalige Kinder im Kindergarten 10.3. Interviewleitfaden für damalige Kindergartenpädagoginnen 10.4. Transkribierte Interviews

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1. VORWORT Durch Zufall stieß ich im Sommer 2008 auf einige Originalausgaben der Tagespost des 22. Oktobers 1939. Beim Durchblättern und Lesen der Artikel fand ich einen Beitrag mit dem Titel „JM – Führerin als Kindergartentante – Zu Besuch im großen Reich der „kleinen Leute““, welcher einen Tagesablauf in einem NSV – Kindergarten in der Radetzystraße in Graz beschreibt (siehe Abbildung 1). Laut Artikel stürzen sich die Buben auf den Sandhaufen, die Mädchen möchten stattdessen lieber ein Spiel spielen. Später gehen die Kinder gemeinsam mit

Kindergartentante

und

einem

Mädchen,

Mitglied

der

JM,

jausnen.

Letztere hilft im Kindergarten aus, da, wie es im letzten Absatz des Beitrags lautet, in „(...) nahezu allen NSV – Kindergärten Jungmädelführerinnen fallweise und ständig als Helferinnen (...)“ eingesetzt werden. Sie erfüllen somit „(...) die Forderung, die jetzt über der ganzen Mädelarbeit steht: Zugreifen, wo es nottut!“ Ich stellte mir, ausgehend von diesem Beitrag, folgende Fragen – Wie war es, sich als Kind damals im Kindergarten zu befinden? Welche Bildungsangebote bekamen Kinder, mit welchem Spielzeug spielten sie, welche Spiele führten sie durch? Welche Feste feierten sie, gemeinsam mit der Pädagogin? Wie gestaltete sich die Arbeit der Pädagogin mit den Kindern überhaupt? Und – welche Rolle nahm das NS – Regime in der Erziehungsarbeit ein? Inwieweit beeinflusste der Nationalsozialismus den Kindergarten? Wurden Kinder schon dort zu ideologischen Trägern des Dritten Reiches ausgebildet? Was stand für damalige führende ErziehungswissenschaftlerInnen in der Erziehung von (Klein-)Kindern im Vordergrund? Was blieb von der Zeit des Nationalsozialismus im Kindergarten? Mit der Möglichkeit, in Didaktik eine Diplomarbeit darüber zu schreiben, erhoffte ich nicht nur, für mich persönlich zufriedenstellende Antworten auf all jene aufkommenden Fragen zu finden, sondern auch, anderen Menschen ein Bild dieser eher wenig (bis gar nicht) behandelten Thematik aus der Geschichte des NS – Regimes darzulegen. Für das Zustandekommen dieser Arbeit bin ich mehreren Personen zu Dank verpflichtet. Ich bedanke mich besonders bei Gunthilde Traby für ihr Entgegenkommen und ihre Offenheit bezüglich des Themas, für ihre Unterstützung und ihre geduldige und hilfsreiche Betreuung. Großer Dank gebührt auch meinen Interviewpartnerinnen Maria Rumpl, Christa Gauster und Theresia Kühar, die mit ihren Interviews einen der wichtigsten Beiträge zu 5|Seite


meiner Arbeit lieferten und die sich dazu bereit erklärten, über damalige Erlebnisse zu sprechen und mir kostbare Einblicke in eine Welt gewährten, wie sie prägender nicht sein kann. Meinem Klassenvorstand Manuela Platzer danke ich für das Korrektur lesen meiner Arbeit. Dank gilt weiters meiner Familie, insbesonders meinen Geschwistern Martha und Clemens für ihre Ratschläge, Unterstützung und manch fachlichen Rat.

Ich widme diese Arbeit meinem Großvater Herbert Tonsern (1931 – 1982) und meinem Urgroßvater Herbert Tonsern (1906 - 1966).

Abbildung 1

Artikel aus der Tagespost (Privat, 2010)

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1.1. ANMERKUNGEN ZUR ORTOGRAPHIE Die in Zitaten vorkommende Ortographie wurde, ungeachtet der neuen Rechtschreibung, beibehalten. Davon abgesehen bemühte sich der Autor, sich an die neue Rechtschreibung zu halten.

1.2. ANMERKUNGEN ZU VERWENDETEN ABKÜRZUNGEN Für die in dieser Arbeit vorhandenen Begriffe aus dem nationalsozialistischen Spektrum wurden folgende Abkürzungen festgelegt: BDM

....................................... Bund Deutscher Mädel

Gestapo

....................................... Geheime Staatspolizei

HJ

....................................... Hitlerjugend

JM

....................................... Jungmädel

NS

....................................... Nationalsozialistisch(es)

NSDAP

....................................... Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NSKOV

....................................... Nationalsozialistische Kriegsopferversorgung

NSV

....................................... Nationalsozialistische Volkswohlfahrt

PaK

....................................... Panzerabwehr-Kanone

SA

....................................... Sturmabteilung

SS

....................................... Schutzstaffel

WHW

....................................... Winterhilfswerk des Deutschen Volkes

1.3. ANMERKUNGEN ZUR INTERVIEWSITUATION UND TRANSKRIPTION Für sämtliche Zeitzeuginneninterviews erstellte ich Interviewleitfäden, welche ich in zwei Bereiche gliederte – einerseits einem Leitfaden für damalige Kindergarten - Erzieherinnen und

andererseits

einen

Leitfaden

für

damalige

Kindergarten

-

Kinder.

Bei den Fragestellungen achtete ich darauf, dass ich mit einem groben Gesamtüberblick auf das Leben meiner jeweiligen Interviewpartnerin begann, und danach immer detaillierter auf 7|Seite


den damaligen „Alltag“ einging. Dennoch war ich bemüht, meine Interviewpartnerinnen in ihren Darlegungen nicht zu unterbrechen, auch wenn diejenige abschweifte. Bei der Transkription achtete ich darauf, die Sprechweise und den Dialekt der jeweiligen Interviewpartnerin zu bewahren, um größtmögliche Authentizität zu gewährleisten.

1.3.1. VERZEICHNIS DER INTERVIEWPARTNERINNEN Maria Rumpel geb. 1932 Wohnort: Ybbsitz, Niederösterreich Fr. Rumpel war im Jahre 1938 - 1939 in einem Kindergarten in Ybbsitz / NÖ.

Christa Gauster geb. 1940 Wohnort: Deutschfeistritz, Steiermark Fr. Gauster war von 1944 – 1946 in einem Kindergarten in Neumarkt / Stmk.

Theresia Kühar geb. 1928 Wohnort: Graz, Steiermark Fr. Kühar war ca. von 1942 – 1945 Erzieherin in einem Kindergarten in Leibnitz /Stmk.

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2. EINLEITUNG „Er sprach ständig von Arbeitsbeschaffung, und dass er die Arbeitslosen von der Straße bringen wollte. Dieses Versprechen war einer der Gründe, warum bei den Reichtagswahlen (...) Hitler und seine Partei praktisch als Sieger hervorgingen.“ (Max von der Grün 1979; Wie war das eigentlich – Kindheit und Jugend im Dritten Reich, S. 25)

1932 wurde die NSDAP zur stimmenstärksten Partei in Deutschland gewählt, und Adolf Hitler (1889 – 1945) wurde nach mehrmaligem

Regierungswechsel, Aushängung des

Ausnahmezustands, intensiver Propaganda und Ausschaltung sowie Verbots anderer Parteien 1934 zum "Führer und Reichskanlzer" ernannt. Das Heer wurde auf seine Person vereidigt, Polizei, Gestapo und SS vereinigten sich unter der Führung von Heinrich Himmler 1, ein seit der "ersten Stunde" treuer Kamerad von Hitler, zu einer alles überwachenden Organisation - das großdeutsche Reich entstand. 1938

schließlich

erfüllte

sich

ein

Wunsch

vieler

Nationalsozialisten

und

Nationalsozialistinnen - durch lang geplante Aktionen und Maßnahmen marschierten deutsche Wehrmachtssoldaten unter großem Jubel der Bevölkerung in Österreich, welche ein wenig später als Ostmark in die Gauverbände des deutschen Reiches eingegliedert wurde, ein.

2.1. ENDGÜLTIGE MACHTÜBERNAHME DER NATIONALSOZIALISTEN Die NSDAP begann, über ihre Verbände und Vereine hinauszuwachsen und sämtliche Bereiche des Staates, der Gesellschaft und das Privatleben der Menschen zu infiltrieren. Kunst und Kultur wurden vom Staat neu definiert und propagandagerecht gelehrt, Universitäten und Schulen unterlagen der Kontrolle des Staates. HJ und BDM ersetzten aufgelöste Jugendorganisationen, Kinder und Jugendliche wurden so schon von jüngstem Alter an nationalsozialistisch geprägt und erzogen. Selbstverständlich machte das umfassende Propagandaprogramm auch vor Kindergärten nicht halt, war es doch Hitlers Wunsch, dass "(...) der deutsche Junge der Zukunft schlank und rank sein muss, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl" (Hitler 1935). Um dies zu gewährleisten, 1 1900 – 1945; Reichsführer der SS und Chef der deutschen Polizei

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begann die Einweisung in das nationalsozialistische Leben für ein Kind nicht erst in der HJ, BDM oder bei den Pimpfen - die erste Beeinflussung begann bereits im Kindergarten, sei es durch eindeutig geprägtes Spielmaterial, Propaganda - Bilderbücher, Geschichten, oder durch neue, bis dato nicht da gewesene Rituale und Feste, durch die das Kind - unter anderem - in der Gemeinschaft bestärkt sowie durch immensen Hitlerkult schon von klein auf an den Führer als liebevollen Onkel sehen sollte.

3. AUFBAU DES NATIONALSOZIALISTISCH – GEPRÄGTEN ERZIEHUNGSSYSTEMS 3.1. HITLERS IDEEN ZUR ERZIEHUNG „Die gesamte Bildungs – und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt – und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt.“ (Hitler 1938, Mein Kampf)

In der Anfangszeit der NSDAP besaß die von Hitler gegründete Partei noch keine offiziellen pädagogischen Richtlinien. Die ideologischen Bausteine und Richtwerte bestanden hauptsächlich aus Parolen gegen andere Parteien, Juden und Völker, ein umfassenderes und detailierter Stellung nehmendes Parteiprogramm wurde bewusst nicht entwickelt, um so den Parteigegnern weniger Angriffsfläche zu bieten. Nach der Machtübernahme und der Festigung des nationalsozialistischen Reiches war eine Hauptaufgabe, nun eine neue, dem nationalsozialistischen Gedanken entsprechende Erziehung zu definieren und auszuleben (vgl. Kempny, Erziehung im Nationalsozialismus; 2006, S.44 ff). Ansätze hierfür fanden sich in Hitlers "Mein Kampf", wobei sich seine ideologischen Grundsätze hauptsächlich auf die Deutung des Begriffs der Rasse beziehen. Nach Hitler bilde die arische Rasse die Herrenrasse, und es sei ihre Lebensaufgabe als überlegene und vollkommene Rasse, andere zu unterdrücken, zu beherrschen und, als Folge einer Erweiterung des "Lebensraumes", auch auszulöschen (Hitler 1938, Mein Kampf; S.637 ff).

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Hitler wollte Frauen, die die Rolle einer geburtsfreudigen Frau inne haben, "(...) Weiber, die wieder Männer zur Welt bringen vermögen." (Hitler 1938, Mein Kampf; S.403). Er wollte Männer, die Eigenschaften besitzen, welche einen guten Soldaten ausmachen (Robustheit, Treue, Kampfeswille), während er geistige Eigenschaften eher verachtete.

Abbildung 2

Hitler mit Kindern in Oberpfalzberg, 1936 (links) und 1937 (rechts)

(Der Führer in den Bergen, Wilhelm Brüdner, Hrsg.: WHW; S. 22 & 23, Erscheinungsdatum unbekannt)

Hitlers "(...) erziehungstheoretische Ansätze basierten auf einer pseudobiologischen, rassistischen Grundlage (...)", aus dem sich ein Kampf ergebe, welcher "eine nationalsozialistische Prägung der Kinder und Jugendlichen" benötigte (Kempny 2006, S.7 ff). Diese Prägung bereitete die Kinder und Jugendlichen natürlich auch auf den Ernstfall vor Krieg. Um nun jene durch Hitler inspirierte Didaktik und Pädagogik schnellstmöglich und bestmöglich umsetzen zu können, wurden Reformen gestartet. Mittels der sogenannten „Gleichschaltung“, dem Zusammenfassen der Aktivitäten des Volkes in größere Organisationen, wurden (schon vor der Zeit des Nationalsozialismus bestehende) Vereine und Organisationen in den Machtapparat einverleibt. Somit veränderte sich das gesamte Bildungssystem – der Nationalsozialismus war nun gang und gebe.

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3.2. DIE NSV UND DIE ÜBERNAHME DER KINDERGÄRTEN 3.2.1. DIE NATIONALSOZIALISTISCHE VOLKSWOHLFAHRT Die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt wurde 1933 als eingetragender Verein der NSDAP gegründet. Hauptaufgaben der Organisation bestanden darin, Familien finanziell zu unterstützen (beispielsweise über den Verkauf von Spielzeug für das WHW), schwangeren (arischen) Frauen zu helfen, ab 1940, als sich der Kriegsverlauf für Deutschland immer verschlechterte, die Kinderlandverschickung zu organisieren (hierbei wurden Kinder aus wirtschaftlichen, lebensrettenden und anderen Gründen aus Städten zu Familien auf das Land geschickt), und den nationalsozialistischen Richtlinien entsprechende Kindergärten zu errichten, welche in direkter Konkurrenz zu christlichen und evangelischen Kindergärten stehen sollten. In NSV - Kindergärten waren vorwiegend Kinder von

Parteimitgliedern anzutreffen,

dementsprechend wurde auf den Hitlerkult und die Hitler - Verehrung besonderes Hauptaugenmerk gelegt. Das Zitat "Händchen falten, Köpfchen senken, immer an den Führer denken" im Titel dieser Arbeit entstammt aus dem Grundsatz der NSV - Kindergärten, welcher im Ganzen "Händchen falten, Köpfchen senken, immer an den Führer denken. Er gibt euch euer täglich Brot und rettet euch aus aller Not" lautet.

3.2.2. DIE STRUKTUR DER NSV – KINDERGÄRTEN IN ÖSTERREICH Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1938 wurde praktisch das ganze Kindergartenwesen über Nacht aufgelöst; Eine neue, nationalsozialistische Zeit brach auch für Kindergärten heran. Das NSV – Kindergartenwesen wurde „(...) ebenso plötzlich, neu und gut organisiert.“, es gab zahlreiche Neugründungen, vor allem im Grenzland. In jeder Gau – Amtsleitung wurde ein Kindergartenreferent bestellt, dem wiederum die Kreisreferenten in den Bezirken untergeordnet waren. Jeder Kreisreferent hatte seine Fachreferenten für Musik, Werken, Turnen usw. (aus Orginalnotizen von Maria Rumpel, 1986).

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3.3. KONFLIKT MIT DEN EVANGELISCHEN KINDERGÄRTEN 1939 besaß die NSV ca. 13400 Kinderpflegeeinrichtungen mit Plätzen für ca. 700.000 Kinder, auf evangelischer Seite gab es ca. 2585 mit 159.206 Plätzen für Kinder, bezogen auf das gesamte Deutsche Reich (vgl. Heinemann 1980, S.49 ff). Die NSV war somit führend im vorschulischen Erziehungsangebot, trotzdem war Hitler auf vorsichtiges Taktieren mit Kirche und Religion bedacht, und so scheiterten in Berlin bis 1940 mehrmals die Versuche der NSV, die evangelische Kinderpflege zu übernehmen (vgl. Heinemann 1980, S. 60 ff). Trotzdem verschlechterten sich die Erfahrungen mit dem Regime zunehmend, und am Ende einer fünfjährigen Phase, im Jahr 1938, wurde sichtbar, dass jedes Verhandeln über das Weiterbestehen der evangelischen Kindergärten letzten Endes zu Aufgabe der bis dahin bestehenden Positionen führen würde. Die ersten Verluste setzten mit dem Beginn des Krieges ein, so verlor die evangelische Seite 120 Tagestätten mit 15.000 Plätzen (vgl. Heinemann S. 74 ff) an die NSV. Dazu kommend nahm die (bis dato schon geringe) Anzahl der evangelischen Ausbildungsstätten für Kindergartenpädagoginnen ab, während die der NSV - Ausbildungseinrichtungen anstieg. Überraschenderweise gelang es der NSV jedoch in den Jahren ihrer Tätigkeit nie, die evangelischen Kindergärten und Institutionen vollständig zu kontrollieren respektive zu übernehmen. Obwohl der Betrieb in evangelischen Kindergärten durch zahlreiche Gesetze und Schikanen beeinträchtigt wurde, sich viele Einrichtungen drastisch anpassen mussten und die Beziehung zu der NSV nie besonders gut war, wurde der religiös geprägte Kindergartenalltag weitgehend fortgeführt, selbst 1944, als ständige Bombenangriffe der alliierten Mächte den Alltag bestimmten, befanden sich noch etwa 210 Kindergärten und Horte in Betrieb (vgl. Heinemann S. 87).

3.4. DAS ENDE DER MONTESSORI – KINDERGÄRTEN (SPEZIELL IN WIEN) Bereits 1933 wurden in Deutschland sämtliche Montessori Institutionen geschlossen, da die Methoden von Montessori nicht parteikonform und nicht dem nationalsozialistischen Sinne entsprachen. War Montessoris Zentrum der Entwicklung eines Menschen der Geist und die Intelligenz, der Mittelpunkt der Erziehung der Mensch selbst, so stand dies im krassen 13 | S e i t e


Gegensatz zur nationalsozialistischen Erziehungslehre, welche das Volk und die Gemeinschaft als Hauptziel der Erziehung ansah und freidenkende, individuelle Menschen tunlichst vermeiden wollte. Im Zuge der reichsweit angelegten Bücherverbrennungen wurden auch Montessoris Werke und Bücher vernichtet. In Wien konnten die Montessori – Schulen bis 1938 trotz zunehmenden Komplikationen gehalten werden (vgl. Hammerer, Maria Montessoris pädagogisches Konzept, S. 201). Bis 1935 verließen viele Pädagoginnen und Helferinnen, viele jüdischen Glaubens, Wien und somit das Montessori Haus. Nach einer anonymen Anzeige 1938 kamen Beamte der NSDAP, bereits am nächsten Tag wurde die Schule und das Kinderhaus geschlossen.

4. DIDAKTIK UND PÄDAGOGIK IM DRITTEN REICH – HAARER ALS REPRÄSENTANTIN DER NATIONALSOZIALISTISCHEN ERZIEHUNGSLEHRE 4.1. JOHANNA HAARER „Die Gegenwart richtet an die deutschen Frauen von heute eine ernsthafte und dringliche Mahnung: Wenn Deutschland und das deutsche Volk leben und bestehen soll, dann muß die Kinderarmut der Nachkriegszeit überwunden werden und unser Vaterland wieder kinderreich werden.“ (Haarer 1936)

Johanna Haarer (1900 – 1985) studierte Medizin, promovierte 1925 in München und arbeitete für kurze Zeit als Fachärztin für Kinderkrankheiten. Sie heiratete 1932 und gab ihren Beruf auf, um sich ganz auf die Erziehung ihrer fünf Kinder konzentrieren zu können. Haarer gilt als „die Erziehungsratgeberin“ der nationalsozialistischen Ideologie schlechthin und verfasste mehrere Bücher. Ihre Karriere als Autorin und Ratgeberin begann 1934, als sie ihr erstes Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ veröffentlichte. 1937 trat sie in die NSDAP ein und veröffentlichte bis 1939 weitere Bücher („Unsere kleinen Kinder“ 1937, „Säuglingspflege für junge Mädchen“ 1937, „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“ 1938). Nach dem Ende des dritten Reiches wurde sie von alliierten Soldaten verhaftet und in ein amerikanisches Lager interniert. Nach ihrer Freilassung war sie noch als Lungenfachärztin tätig und veröffentlichte 14 | S e i t e


noch weitere Schriften, unter anderem viele Neuauflagen jener Bücher, die sie zur NS – Zeit veröffentlichte, allerdings ganz ohne nationalsozialistischen Hintergrund. Auch die Neuauflagen entwickelten sich zu einem erheblichen Verkaufserfolg (vgl. Unsere Kinder: Johanna Haarer: Ein Beispiel der Erziehungsvergessenheit, S. 13, 2009). Haarers Erziehungsratgeber waren durch und durch nationalsozialistisch geprägt. In ihren Büchern vermittelt sie Paradebeispiele an schwarzer Pädagogik, so fordert sie „Härte“ schon für Säuglinge und warnt vor „übertriebener Zärtlichkeit“ (Haarer 1942). Nach der Geburt des Kindes sollte man es weggeben und erst nach 24 Stunden an die Brust nehmen, die „Trennung von Mutter und Kinde hat außerordentliche erzieherische Vorteile (...), es werden ihm (Anm.: dem Kind) schon Grenzen geboten“ (Haarer 1938). Die von Haarer entworfene Rolle der Mutter motivierte Mütter dazu, ihre Kinder eher zu bekämpfen anstatt zu lieben (vgl. Kempny 2006, S. 26). Haarer war zudem davon überzeugt, dass Kinder bereits von klein auf von ihrem Volk, ihrem Führer, SA, SS und der Wehrmacht Wissenswertes erfahren sollten. „Wohl dürfen wir bei unseren Kleinen auf Verständnis für politische Angelegenheiten (...) nicht rechnen. Einer (...) Ahnung des Göttlichen sind sie aber durchaus zugänglich“ (Haarer 1942).

4.1.1. DIE FOLGEN DER ERZIEHUNG NACH HAARER Die von Haarer definierte Beziehung zwischen Mutter und Kind führte meist zu einer Bindungsunfähigkeit des Kindes, schon bei der Geburt entstanden schwere Schäden durch die frühe Trennung (vgl. Kempny 2006, S.27), das Baby empfindet Todesangst wegen des Hungers und es erleidet die sogenannte Körperkontakt – Verlustangst (vgl. Unsere Kinder: Johanna Haarer: Ein Beispiel der Erziehungsvergessenheit, S. 14, 2009). Durch den von Haarer vorgeschriebenen, so wenig wie möglich stattfindenen Augenkontakt mit dem Baby entfaltet sich ein sehr niedriges Selbstwertgefühl und erschwert dem Kind noch zusätzlich, eine Bindung zu seiner Mutter aufzubauen. Auch die Auseinandersetzung mit der „Kindersprache“ (Haarer 1942) sollte die Mutter vermeiden, somit fehlt es dem Kind an abgestimmter Kommunikation.

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Haarers Erziehungsmethoden hatten die Intention, aus Kindern Menschen zu erschaffen, die den Sinn ihrer Existenz nur darin fanden, sich für das nationalsozialistische Regime hinzugeben und, wenn es die Situation so verlangt, auch zu opfern.

5. SCHWERPUNKTE DER ERZIEHUNG VOR UND NACH DER ZEIT DES ZWEITEN WELTKRIEGES 5.1. DIE ERZIEHUNG VOR DER ZEIT DES NATIONALSOZIALISMUS „Er (Anm.: der Erzieher) hat von den Eltern einen Teil jener großen, schwierigen Aufgabe übernommen, den Verstand, aber auch ebensowohl den Willen und das Herz des Kindes so zu bilden und zu veredeln, daß aus diesem kleinen Erdenbürger ein in allem Guten gefertigter, reifer Mensch werde (...).“ (Dr. Friedrich Mack, Katholische Lehrer- und Erzieherideale, 1927, S. 7)

Der katholische Erzieher – als auch die katholische Erzieherin – der Vorkriegszeit sollte damals Wegweiser für die junge Seele des Kindes sein. Weiters war die fachliche Bildung, das berufliche Wissen und Können des Erziehers und der Erzieherin „möglichst reich und tief und achtunggebietend“ (vgl. Katholische Lehrer – und Erzieherideale, S.13). Der Erzieher und die Erzieherin „gleicht einem Bildhauer“, dem / der immer wieder „ein neuer Marmorblock zur Verfügung gestellt wird, um ein künstlerisches Standbild (...) in Schönheit herauszuarbeiten“ (vgl. Katholische Lehrer – und Erzieherideale, S. 24 ff).

5.1.1. DIE AUFGABEN DES KINDERGARTENS VOR DER ZEIT DES ERSTEN W ELTKRIEGES Blickt man auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, so heißt es in einem Handbuch: „Auch der Mensch kann nur das werden, wozu die entwicklungsfähigen Keime in ihm liegen, wozu ihn die Natur befähigt und bestimmt hat. Die menschlichen Anlagen und Kräfte bedürfen aber ebenfalls zu ihrer Entwicklung (...) der Hilfe von außen.“ (vgl. A. Fischer, Der Kindergarten, 1907, S. 1). Die Didaktik damals spricht von in der Anlage vorhandenen, aber gebundenen Kräfte in einem Kind, die durch Erziehung befreit werden müssen (vgl. A. Fischer, Der Kindergarten, 1907, S. 2) und ist sich dessen bewusst, dass die ersten Kinderjahre die 16 | S e i t e


bedeutungsvollsten und wichtigsten für die Gesamtentwicklung des Menschen sind. Als wichtigste Grundlage der Erziehung wird die Liebe der Mutter zum Kinde gesehen, allerdings wird diese Mutterliebe, je nach Gesellschaftsschicht - „die Reichen“, „die Mittelschicht“, „die arme Bevölkerung“ - (vgl. A. Fischer, Der Kindergarten, 1907, S. 4) verschiedenartig ausgelegt, so kann die eine Mutter mehr, die andere Mutter weniger Liebe „bieten“. Dennoch, sämtliche Mütter haben eines gemeinsam, nämlich die „Unwissenheit in allem, was die Erziehung betrifft“ (vgl. Der Kindergarten, ebenda), und diese Unwissenheit lässt sich nur durch eine Einrichtung und dessen Angestellten ausmerzen – dem Kindergarten und dem ausgebildeten Fachpersonal, der Erzieherin. Außer der Lücke in der häuslichen Erziehung hat der Kindergarten aber auch „die Kluft zwischen Haus und Schule“ auszufüllen, er gewährt die Vorbereitung für die Schule, indem er, den Entwicklungsvorgängen des kindlichen Körpers und Geistes entsprechend, „durch passende, vernünftig angewandte Erziehungsmittel das Kind (...) zur (...) Benutzung aller seiner Kräfte bringt.“ (Der Kindergarten, S. 15). Als Beispiele der vielen zu fördernden Sinne und zu befriedigenden Bedürfnisse des Kindes seien der Bewegungsdrang, die Übung des Auges, des Hörsinnes, des Geschmacksinnes sowie des Geruchsinnes genannt. Besondere Aufmerksamkeit gilt auch der Pflege des „Allgemeingefühls“, bei dem „plötzliche Temperaturveränderungen, (..) übermäßiges Jauchzen, alles Erschrecken und jedes heftige Angstgefühl“ (Der Kindergarten, S. 18) tunlichst vermeiden werden sollte. Die elementare Bildungsarbeit wurde durch einen Wochenplan, dem sogenannten „Beschäftigungsplan“ (siehe Abb. 3), genauestens geplant. Die jeweilige erste Stunde eines Tages war für jene Beschäftigungen vorgesehen, die „(...) die Frische des kindlichen Geistes, Aufmerksamkeit und Sammlung erfordern (...)“ (Der Kindergarten, S. 112).

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Abbildung 3

Muster eines Beschäftigungsplans

(Der Kindergarten, Theoretisch-praktisches Handbuch; A.S. Fischer, 1907, S. 113)

5.1.2. DIE PFLICHTEN DER KINDERGARTENPÄDAGOGIN VOR DER ZEIT DES ERSTEN WELTKRIEGS Die Pflichten der Kindergartenpädagogin teilten sich in einen beruflichen und in einen familiären

Bereich. Im beruflichen Bereich, im Kindergarten also, musste sie folgende

Kriterien erfüllen: Die Kindergärtnerin bringe ihren Zöglingen aufrichtige und hingebende Liebe entgegen. Sie hüte sich vor Parteilichkeit in der Behandlung ihrer Zöglinge. Sie habe Vertrauen zu der Natur des kindlichen Gemütes. Sie achte im Umgange mit ihren Zöglingen strenge auf ihr eigenes Betragen. Sie behandle ihre Zöglinge mit gemessenem Ernst und mit Konsequenz und vermeide alle zweckwidrigen Strafen. Sie suche die Eigenart (Individualität) der einzelnen Zöglinge zu erkennen und dieser gemäß ihr erziehliches Verfahren einzurichten.

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Ihre höchste Aufgabe sei die Entwicklung und Pflege der sittlichen und religiösen Anlagen ihrer Zöglinge. Sie sei ernstlich und unausgesetzt bestrebt, ihre Fach- und allgemeine Bildung zu erweitern und zu vertiefen. Sie befleißige sich eines taktvollen Benehmens gegen alle, die durch ihren Beruf in Beziehung zu ihr treten. (vgl. Der Kindergarten, S. 114 – 125)

Laut diesen Kriterien manifestiert sich das Bild einer Kindergartenpädagogin, welche, obwohl sie noch so vortreffliche Eigenschaften besitzen könnte, ohne Liebe jene Fähigkeiten niemals forciert und gut einsetzen würde. Nur eine „(...) von warmer Liebe zu ihren Schützlingen erfüllte Kindergärtnerin ist zu einem erfolgreichen Einwirken auf diese befähigt (...)“ (vgl. Der Kindergarten, S. 114). Weiters muss sich die Kindergartenpädagogin davor hüten, parteiisch zu wirken, denn nichts wirkt „(...) schneller zerstörend auf das gedeihliche Leben einer Erziehungsanstalt ein (...)“ (Der Kindergarten, S. 115), auch die Kleidung durfte keinesfalls eitel oder zu „lässig“ sein, des weiteren sollte die Pädagogin auf ihr Aussehen achten. Vorsicht sollte die Kindergärtnerin walten lassen, wenn es um die Erfüllung von Wünschen der Kinder geht, denn eine Kindergärtnerin, die „(...) ohne Überlegung und allzu bereitwillig (...)“ den Forderungen der Kinder nachgibt, tut „(...) diesen mehr wehe als wohl, indem sie nicht bedenkt, „(...) daß das Kind arg geschädigt wird, Genußsucht, Eigenwille und Charakterschwäche großgezogen wird (...)“. Die Rolle der Kinder ist die als Sprösslinge, und als zu schützende Wesen, die vollstens auf die Pädagogin vertrauen. Bei unerwünschtem Verhalten der Kinder müssen schon „(...) Erinnerung, Ermahnung und Drohung (...)“ als Strafen erscheinen, körperliche Züchtigung muss im Kindergarten völlig ausgeschlossen bleiben (vgl. Der Kindergarten, S. 117 ff.). Kinder haben in diesem frühen Alter eine gering ausgeprägte Urteilskraft und besitzen „(...) mangelndes Vermögen, das Wahre vom Unwahren (...)“ (Der Kindergarten, S. 116) zu unterscheiden. Trotzdem, oder vielleicht auch deshalb, erscheint ein Kind in diesem frühen Alter „(...) geeigneter zur Einführung in das religiöse Leben.“. Hierbei reicht ein frommer Spruch, ein kindlicher Vers oder ein kurzes Gebet, um in der „Kindesseele“ einen bleibenden Eindruck von Gott zu hinterlassen. Pflicht der Kindergärtnerin sei es „(...) die erglühende Flamme des Gottesbewußtseins im Kinde zu nähren und zu erhalten (...)“ (Der Kindergarten, S. 120ff), was jedoch nur dann fruchtet, wenn auch die Kindergärtnerin vom Geist Gottes erfüllt sei.

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5.2. DIE ERZIEHUNG IN DER NACHKRIEGSZEIT Unmittelbar nach Kriegsende begannen kirchliche Institutionen und neu gegründete freie Träger die Rolle der nicht mehr existenten NSV vollstens zu übernehmen. Vielerorts wurde der Kindergarten als Behelfsstelle für Kinder angesehen, die dort freie Kost sowie Betreuung erhielten. Da aber nur wenige bis gar keine finanzielle Unterstützung für das Wiederaufbauen der Kindergartenstruktur vorhanden war, gestaltete sich die Arbeit vielerorts problematisch. Die meisten Männer waren tot, verschollen oder in verschiedenen Kriegsgefangenenlager, von der NSV ausgebildete Kindergartenpädagoginnen wurde das Recht, ihren Beruf auch weiterhin auszuüben, entzogen, die berühmten „Trümmerfrauen“ begannen mit dem Wiederaufbau in deutschen und österreicherischen Städten. Als logische Schlussfolgerung herrschte in Kindergärten großer Personalmangel, auf eine Pädagogin

kamen

mancherorts

60

(oder

mehr)

Kinder

(vgl.

http://www.verwaltung.bayern.de/Anlage1928045/GeschichtedesKindergartensinBayern.pd f, Seite 24), ausreichende elementare Bildungsarbeit war kaum möglich.

5.2.1. DIE SITUATION SPEZIELL IN ÖSTERREICH In Österreich fand erstmals 1948 eine landesweite Tagung für Kindergartenpädagogik statt, die das Bundesministerium für Unterricht veranstaltete. Auf jener Tagung definierte man den Begriff „Kindergartenalter“ (Zeit vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt), man legte fest, dass die Kindergartenpädagogik „(...) mehr als bisher auf die Unterschiede zwischen Stadt und Land (...)“ (Kindergartenerziehung, Dr. Niegl, Anhang - S. 328) achten müsse, und ebenfalls beschlossen wurde, dass die Religion als „(...) Kernstück der Erziehung (...)“ (wieder) in die Kindergartenarbeit einzubauen sei. Die Anzahl an Kindergärten und Kinderbetreuungsstätten war trotz finanzieller Notlage stetig im Steigen (siehe Abb. 4). 1949 folgten Fortbildungswochen für Kindergartenpädagoginnen, welche den Versuch darstellten, „(...) in lebendiger Auseinandersetzung eine neue Begegnung von Theorie und Praxis herbeizuführen.“.

20 | S e i t e


Bei der Fachtagung sowie auf den Fortbildungswochen wurden drei Themenkreise besonders aus „(...) der Fülle der Probleme (...)“ (Kindergartenerziehung, S. 6 ff) hervorgehoben: Klarheit über Stellung und Funktion des Kindergartens im System der Erziehung,

Darstellung

der

Erziehungspraxis

in

wichtigen

Teilgebieten

sowie

heilpädagogische Aspekte der Kleinkinderziehung.

Abbildung 4

Statistischer Nachweis über die Anzahl der Kindergärten in Österreich 1949

(Gegenwartsfragen der Kindergartenerziehung, Öster. Bundesverlag Wien, Dr. Agnes Niegl; 1950, S. 330)

Letztere mussten erst wieder neu definiert werden, denn in der nationalsozialistischen Erziehung gab es keinen Platz für Kinder mit Behinderungen. Die sogenannte Kinder – Euthanasie, das Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten (auch unter dem Namen „Aktion T4“ bekannt) erforderte mehr als 5000 Todesopfer. Geistig und kognitiv beeinträchtigte Kinder und Säuglinge wurden auf grausamste Weise vergiftet, vergast, gezielt dem Tod durch Verhungern ausgesetzt oder per Medikamentendosis, wie es

21 | S e i t e


das

das

nationalsozialistische

Regmie

zynisch

formulierte,

„erlöst“

(vgl.

http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikeldruck.asp?id=24708).

6. NATIONALSOZIALISTISCHE FESTE, KINDERGARTENALLTAG UND BRAUCHTUM 6.1. HANDELN ZUM WOHL DER NATIONALSOZIALISTISCHEN ALLGEMEINHEIT Generell veränderte das nationalsozialistische Regime gesellschaftliche und religiöse Feiertage grundlegend. Es ersetzte christliche Motive durch neutrale, dem Nationalsozialismus gerechte, erfand und führte neue Feste ein und setzte auf einen immensen Hitlerkult, der seinen Höhepunkt alljährlich im wohl größten Feiertag der Diktatur fand, am Geburtstag Hitlers, der selbstverständlich auch im Kindergarten Anlass zum Feiern gab (respektive geben musste). Die NSV setzte alles daran, um die Kinder schon von jüngsten Alter an zu braven Nationalsozialistinnen und Nationalsozialisten zu erziehen und zu formen. Dies wurde sowohl in Organisationen für die Kinder („Pimpfe“, Vorgängerorganisation der HJ für die Buben sowie „Jungmädel“, Vorgängerorganisation des BDM für die Mädchen) als auch im Kindergarten vollzogen. Neben „Soldaten spielen“, welches Buben von jüngsten Alter an auf den Ernstfall Krieg vorbereitete, Kriegsspielzeug und propaganda gerechten Geschichten war man auch darauf bedacht, die Kinder unter Anleitung der Pädagoginnen im Sinne und zum Wohl der nationalsozialistischen Allgemeinheit handeln zu lassen. Das Sammeln von Kastanien für die Verwendung als Wildfutter im Winter, das Sammeln von Fallobst und das Suchen von Beeren war gewiss nicht Dauerzustand und außerdem den örtlichen Gegebenheiten und Verhältnissen angepasst, aber es kam in den verschiedenen Organisationen als auch im Kindergarten vor (vgl. Ridi Uray 2, NS – Frauenschaft, Gau Steiermark – Arbeitsanweisungen; September – Oktober 1941, S. 2 ff).

2 Damalige Gaukindergruppenleiterin der Steiermark

22 | S e i t e


6.2. FESTE – FALLBEISPIEL WEIHNACHTEN „Kriegsweihnachten – und doch, (...) heiss glauben wir daran, dass nach dem Kampf ein deutscher Sieg leuchtet. Front und Heimat umschliesst dieser Glaube und beide finden sich beim Führer zu einer starken, unser ganzes Volk erfüllenden Kraft. Mit starkem Hoffen und tiefem Glauben wollen wir einander still die Hände reichen und denken, dass heut deutsche Weihnacht ist!“ (Ridi Uray, NS – Frauenschaft, Gau Steiermark – Arbeitsanweisungen; Weihnachten 1943, Seite 1)

Diese sogenannte „deutsche Weihnacht“ hat mit jenem Weihnachten, welches man heute in christlich - religiöser Form (Geburt Jesu) feiert, nichts gemein. Der offizielle Name

für

das

Weihnachtsfest

lautete

„Lichtfest“

oder

auch

„Julfest“.

Das Julfest, welches ursprünglich ein nordeuropäisches Fest der Wintersonnenwende ohne jeglichen nationalsozialistischen Hintergrund darstellte, wurde, von Himmlers pseudo – wissenschaftlichen Gedanken rund um „altgermanische Wurzeln“, zu einem eindeutig ideologischen Fest verklärt. Der Christbaum wurde in „Jultanne“ umbenannt, statt christlicher Symbolik sollten nun Hakenkreuze und Runen (insbesondere in SS - Kreisen) die Häuser weihnachtlich schmücken. Man erwartete ein Fest der Liebe, ein Fest des Guten, indem man einander beschenkt, ein Fest, welches von einem feierlichen Schein umgeben wird, daher auch der Name „Lichtfest“. Das Christkind wird durch ein Weihnachtskind (auch Sonnenkind) ersetzt, welches mit seinem Begleiter Knecht Ruprecht (jener ist hierbei nicht nur Gehilfe von Nikolaus, sondern ersetzt jenen zur Gänze) die Geschenke sowie helles Licht bringt (Gau Stmk. – Arbeitsanweisungen, Seite 23 ff). Auch Frau Holle bekam eine andere Rolle zugeteilt, so war mancherorts explizit nur sie für das Verteilen von Geschenken verantwortlich. Der „tiefe Glaube“, von dem Uray in dem Vorwort eines Parteiprogramms für Kindergruppen, herausgegeben von der Gauleitung Steiermark, spricht, ist keineswegs ein tiefer religiöser Glaube, es ist der Glaube an das deutsche Reich, an den Nationalsozialismus sowie an seinen Führer, Adolf Hitler. 23 | S e i t e


Doch wer glaubt, das im Kindergarten immer friedlich „Lichtfest“ gefeiert wurde, der irrt. Der Krieg ist 1943 im vollen Gange, Nazideutschland erlebt die kriegsentscheidende Niederlage bei Stalingrad und befindet sich inmitten eines Zweifrontenkrieges, im Westen die Alliierten, im Osten die sowjetische Armee. Auch im Kindergarten ist der Krieg, wenn auch (noch etwas) entfernt, situationsbestimmend – die Kindergruppen müssen,

unter

der

Anleitung

der

jeweiligen

Pädagogin,

für

die

NSKOV

Weihnachtsspielzeug herstellen, welches dann zu kinderreichen Familien, aus denen „(...) der Vater im jetztigen Kampf gefallen ist (...)“ (Gau Stmk. – Arbeitsanweisungen, Seite 2 ff), gesendet wird. Jene entsendeten, von den Kindern hergestellten Spielzeuge wurden des weiteren von höheren Instanzen gewertet, da gleichzeitig ein Leistungswettbewerb stattfand, um den Kindern und Pädagoginnen in ihren Bemühungen und in ihrer Fleißigkeit extrinsische Motiviation zu geben. Das Erzählen von Märchen war auch damals schon sehr beliebt, speziell traditionelle Märchen fanden den Weg in das von der NSV erlaubte Spektrum an Geschichten. Neben jahreszeitbezogenen Märchen (u.a. Frau Holle, Schneeweißchen und Rosenrot, Frau Perchtl) findet sich beispielsweise auch eine Geschichte über einen Besuch des Führers an der Front („Wie der Führer Weihnachten feierte!“). Propagandagerechte, heroische Verehrung findet ihren Platz, es wird erzählt, wie der Führer, bescheiden, wie er ist, nicht als Führer, sondern als normaler Soldat, als Kamerad, unter und mit den anderen Soldaten an der Front Weihnachten feiert. Diejenigen Soldaten, denen er begegnet, sind „(...) vor Glück (...)“ ganz erstarrt. Den Kindern wird durch die Geschichte nahe gelegt, wie besorgt der Führer um seine Soldaten sei und wie schön dieses Soldatenleben ist (Gau Stmk. – Arbeitsanweisungen, Seite 16 ff).

6.3. NATIONALSOZIALISTISCH – GEPRÄGTES MEDIENANGEBOT Das Medienangebot damals im Kindergarten ähnelt dem Heute – es gab Gesellschaftsspiele, Bauklötze, Puppen, Kreisel. Hinzu kommt jedoch, dass dieses Spielzeugangebot unter der Berücksichtigung des nationalsozialistischen Systems gestaltet und ausgegeben wurde, das bedeutet, dass eine Entartung und Verfremdung 24 | S e i t e


in vielen Bereichen stattfand. Bei Puppen fanden sich Spielsoldaten, bei Modellautos Panzer und sonstiges Militärgerät, wie Lastwagen und Flugzeuge, im Miniaturformat. Die Kinder spielten mit Zinnsoldaten, die mit reichlich Zubehör ausgestattet waren (beispielsweise

Modelle

von

PaKs,

Zelten,

sonstigem

Kriegsgerät).

Geschichtenbücher wurden verfremdet, religiöse Symbole durch dem Regime gerechte ersetzt, selbst Gesellschaftsspiele wurden einer eindeutigen nationalsozialistischen Ästhetik und Gesinnung unterworfen (siehe Abb. 5). Dieses Medienangebot hatte nur ein Ziel, nämlich die Kinder, in diesem Sinne die Buben, von Anfang an in ihrer Rolle als Soldaten für das Regime vorzubereiten und zu stärken.

Abbildung 5

Nationalsozialistisch – geprägte Gesellschaftsspiele

(v.l.n.r.: „Wir fahren gegen Engeland“, „Adler – Luftverteidigungsspiel“, „Reichsautobahnen im Bau“) (vgl. http://www.hans-dieter-arntz.de/advent_und_weihnachten_im_nationalsozialismus02.html)

6.3.1. VERFREMDETE GESELLSCHAFTSSPIELE – FALLBEISPIEL „WIR FAHREN GEGEN ENGELAND “ „Wir fahren gegen Engeland“ (siehe Abb. 6) fand sich nicht nur in einem Soldatenlied der Wehrmacht wieder, sondern auch in einem Würfelspiel in Kindergärten, 25 | S e i t e


Kinderbetreuungseinrichtungen und Horten. Im Spiel geht es darum, auch dem Kind die Möglichkeit zu geben, gegen England zu kämpfen. Wer die meisten englischen Schiffe versenkt, geht als Sieger hervor, wie man in der Einleitung lesen kann: „Mit Eifer verfolgt ihr alle die kühnen Taten unserer tapferen U-Boot-Männer und Flieger, die den Briten Schlag um Schlag versetzen. Was euch in Wirklichkeit noch nicht vergönnt ist, auf dem Kommandoturm eines U-Bootes zu stehen oder in schnellem Flug der englischen Küste entgegenzustreben, das könnt ihr hier im Spiel erleben. Mit diesen kleinen U-Booten und Flugzeugen sollt ihr "gegen England" fahren und könnt dabei, wenn ihr euch alle geschickt anstellt, die ganze englische Flotte vernichten. Das ist doch so recht ein Spiel, wie ihr es haben wollt! Seht zu, dass ihr recht viel Tonnage der Engländer auf den Meeresgrund absacken lassen könnt. Wer die höchste Tonnenzahl erreicht, hat gewonnen; der weniger Erfolgreiche wird sich beim nächsten Mal schlauer anstellen, denn echte Kerle wie ihr lassen sich ja bekanntermaßen nicht erschüttern ...“

Mit der Spielbeschreibung läßt das Regime die Kinder am Luft – und Seekrieg gegen England teilhaben - Flugzeuge werden zum Absturz gebracht, englische U-Boote und Kriegsschiffe versenkt. Dadurch wird das Kriegsgeschehen nicht nur in den Kindergarten verlagert, das Kind selbst ist Akteur; Dem Kind wird der Feind, England, vermittelt, den es zu besiegen gilt. Gleichzeitig wird den Spielern durch die schmeichelnd und kriegsverherrlichend anmutende Erklärung des Spieles der Krieg als eine Situation dargestellt, die es zu erleben gilt, denn schließlich ist es den Kindern ja noch nicht „(...) vergönnt (...) auf dem Kommandoturm eines U-Bootes zu stehen oder in schnellem Flug der englischen Küste entgegenzustreben.“ (vgl. http://www.lsg.musin.de/geschichte/Material/Quellen/regeln_aus_dem_w %C3%BCrfelspiel.htm). (Original-) Legende: Schwarzer Punkt 1: Deutsches Flugzeug

Schwarzer Punkt 2: Deutsches Flugzeug

stellt beim Anflug der englischen Küste

versenkt durch Bombenabwurf ein

ein englisches Flugzeug zum Kampf und

englisches U-Boot. Der Spieler darf

bringt es zum Absturz. Der Spieler darf

sogleich noch einmal würfeln.

sogleich noch einmal würfeln.

Schwarzer Punkt 3: Deutsches U-Boot

Weißer Punkt 1: Deutsches U-Boot passiert

wird durch Minensperre zu vorsichtigem

Minensperren und kommt gut durch.

Fahren genötigt. Der Spieler setzt einmal

Der Spieler rückt mit seiner Figur sogleich

mit Würfeln aus, darf aber beim nächsten

auf Punkt 1 (mit roter Zahl) und versenkt

26 | S e i t e


Wurf um die doppelte Augenzahl weiter voran.

Abbildung 6

dort einen schweren Kreuzer.

„Wir fahren gegen Engeland“

(vgl. http://www.hans-dieter-arntz.de/advent_und_weihnachten_im_nationalsozialismus02.html)

6.3.2. KRIEGSSPIELZEUG Kriegsspielzeug beinhaltet nicht nur Zinnsoldaten, Modelle von Panzern und sonstigem Waffengerät, sondern auch Soldatenpuppen. Die Kinder spielten Krieg, und durch erfolgreiche Propaganda lauteten die Fantasiefeinde England, Russland und Amerika. Der Weg eines Buben war, in welcher Form auch immer, vorausbestimmt (z.B. zunächst bei den Pimpfen, dann bei der HJ, schlussendlich Wehrmacht, SA oder SS) und hatte nur eine, von Hitler geäußerte Zielsetzung, nämlich dass die Burschen, von jüngstem Alter an, zu braven, regimetreuen und bis in den Tod ergebene Soldaten erzogen werden. „Ernst“ wurde es erst bei der HJ, wo die Burschen (14 – 18 Jahre) beispielsweise mit scharfer Munition das Schießen lernten und erste Truppenübungen im Gelände durchführten. 27 | S e i t e


Im Kindergarten war man darauf bedacht, den Krieg den Kindern spielerisch näher zu bringen. Dies gelang dem Regime ganz gut. Zinnsoldaten, Modellpanzer und CO regten die Kinder dazu an, das Leben der Väter, Brüder und Onkel nach zu spielen, sich in vorbereitete Rollen hineinzufinden. Puppenküchen, Babypuppen und Kinderwägen halfen andererseits den Mädchen, sich mit ihrer Mutterrolle zu identifizieren. Die Rollenbilder waren klar vorgegeben – die Buben spielten Soldaten, die Mädchen „Mutter“ und „Hausfrau“.

6.3.3. NATIONALSOZIALISTISCHE PRÄGUNG BEI LITERARISCHEN WERKEN FÜR KINDER – FALLBEISPIEL „DAS DEUTSCHE LIED“ Die Reihe der „Das deutsche Lied“ – Ausgaben beruht auf sechs Heftchen, welche 1942 / 1943 vom WHW verkauft wurden. In der Ausgabe „Kinderlieder“ finden sich sechs traditionelle Lieder, von denen es einige – wenn auch in veränderter Form – in der heutigen Zeit noch zu finden gibt. Auf dem ersten Blick erscheint das Titelbild farbenfroh und unscheinbar (siehe Abb. 7a), während sich auf der Rückseite nationalsozialistische Symbole (siehe Abb. 7b) offenbaren. In vielen Kinderbüchern, die es vor der Zeit des Nationalsozialismus schon gab, wurden viele zeichnerische Elemente, die zur Umschlag- oder Seitengestaltung gehören, durch Nationalsozialistische ersetzt, vor allem in Büchern, deren Thematik religiöser Natur war.

Abbildung 7b respektive 7a

Kinderlieder

(Das Deutsche Lied – Heft 6; Kinderlieder; Hrsg.: WHW, 1942 / 1943)

28 | S e i t e


7. ANKERZITATE AUS DEN INTERVIEWS MIT ZEITZEUGINNEN 7.1. MARIA RUMPEL „Ich weiß noch genau (...), da hab ich gedacht, jetzt muss ich nachdenken, was aus mir mal werden soll, nicht. Und dann bin ich zu dem Ergebnis gekommen, ich muss auf jeden Fall Lehrerin werden, denn die Menschen muss man erziehen, aber nicht so wie bisher, und ich war dann offen dafür, wies eigentlich wesentlich und sinnvoll ist mit Menschen umzugehen und was die eigentlichen Ideale sind.“

Maria Rumpel, geboren 1932 in Ybbsitz, Niederösterreich, war vor der Zeit des Nationalsozialismus in Österreich als auch, obwohl schon im schulfähigen Alter und trotz Schulbesuchs, während der Zeit des Nationalsozialismus (1938 – 1939) im Kindergarten. Sie besuchte die Bundeslehranstalt für Kindergartenpädagogik 1950, absolvierte jene 1952 und war danach für fünf Jahre als Heimerzieherin tätig. 1957 bis 1960 arbeitete sie als Kindergartenpädagogin in einem Erntekindergarten und war später noch in anderen Kindergärten als Pädagogin, Leiterin sowie als Inspektorin in Niederösterreich tätig.

A:

Fr. Rumpel, Sie waren bereits vor der Zeit des Nationalsozialismus im Kindergarten. Wie sah jener denn zur damaligen Zeit aus?

B:

Also der Kindergarten, der war ganz nach Fröbel. (...) Wir hatten verkleinerte Schulbänke (...), und da sind wir zu zweit nebeneinander gesessen. Das Freispiel war nicht so frei wie es später geworden ist, sondern die Fröbelgaben wurden von der Schwester Melidina so gehandhabt (...) wie Fröbel es teilweise auch empfohlen hat. Was also in Österreich nicht gemacht wurde war, dass Fröbel in seinen Kindergärten schon Tische mit Sesseln hatte, und in Österreich hat man das dann abgeschafft. Warum? In Österreich war man sehr autoritär orientiert, Kirche, Kaiser und so weiter, und da hat man alles nach vorne ausgerichtet, zum Lehrer hin, weil man gesagt hat, das kanns doch nicht geben, dass die Kindergärtnerin da was sagt und die Kinder sitzen mit dem Rücken zu ihr, nicht. (...) Wir waren über 50, 60 Kinder in der Gruppe, und des waren zwei Räume, ein Gruppenraum und ein Bewegungsraum, des war ein riesengroßes Vorhaus (...). 29 | S e i t e


A:

Welches Personal war in Ihrem Kindergarten tätig?

B:

Wir hatten die Schwester Melidina, des war die Kindergärtnerin, und eine Helferin war da, nur wurde die Helferin nicht eingesetzt wenn die Kinder gespielt haben, so wie man das heute macht, man gibt ja irgendwelche Ratschläge und sie hilft bei den Kindern mit, sondern – i kann mi no gut erinnern, die ist dort gesessen und hat gestrickt, und wenn ein Kind aufs Klo gehen musste, ist sie brav mit ihm hinaus gegangen (lacht) (...).

A:

Wie war es eigentlich mit der Essenssituation, hat jeder und jede seine und ihre Jause selbst mitnehmen müssen?

B:

Ja, jeder hat seine Jause selbst mitnehmen müssen.

A:

Was hat sich verändert, als die Nationalsozialisten auch in Österreich die Kontrolle über das Kindergartenwesen übernahmen?

B:

Wir haben im Kindergarten geschlafen, jeden Tag, so (Anm.:Sie legt ihren Kopf auf die Hände und zeigt es vor) (...). Wie dann die Nazizeit war hat es so Matten gegeben, Betterl, mit einem Polsterl und ner Decke zum zudecken (...). Es sind eben Methoden nach Österreich gekommen, die in Deutschland üblich waren. Es war damals (Anm.: vor der NS – Zeit) so, dass wir ja nur 28 Stunden Kindergarten hatten. Samstag Nachmittag und Mittwoch Nachtmittag war frei. Wie sich das andere aufgeteilt hat, das weiß ich jetzt eigentlich nimmer. Aber es waren nur 28 Stunden, und daher hat es vielleicht genügt wenn wir uns ein wenig beruhigt haben. Wie die Deutschen dann gekommen sind, hat der Kindergarten ja länger gedauert, da sind die Betriebszeiten geändert worden, aber fragen Sie mich nicht genau wie.

A:

Haben Sie auch Situationen miterlebt, wo ihre Pädagogin die Kinder bestraft hat, wenn sie sich beispielsweise unartig benommen haben, oder „schlimm“ waren?

B:

Ja, den Mund zugebunden. Dann wurde man gleich auf den Tisch gesetzt (lacht), da fällt mir eine Geschichte ein, die werd ich gleich erzählen. Bei uns, da wars so: Da war der Tisch der Schwester, dann war da ein kleines Winkerl, und da ist das Harmonium 30 | S e i t e


gestanden. Die ganz bösen Kinder sind gleich einmal eins und eins da in dieses Winkerl gekommen und haben die Wand anschauen müssen. Und des schlimmste Kind in jener Zeit war die Hermine, und die hat sich mal umgedreht und hat ganz böse gschaut und hat gsagt „Schwester Gerdi ghert durchghaut!“ (lacht), das merkt man sich! A:

Ist im Gruppenraum ein Bild von Adolf Hitler gehangen oder waren sonstige nationalsozialistische Elemente zu bemerken?

B:

Hm. Das weiß ich nicht mehr. Ich weiß auch nicht, ob das Kreuz weg musste. Es war damals so. Es wurden ja die Schwestern sofort außer Dienst gestellt, und es sind natürlich viele Kindergärtnerinnen auf einmal gebraucht worden. Man hat dann so Schnellsiedekurse von sechs Wochen abgehalten, und die hat man dann eingesetzt. Und i kann mi eigentlich nicht mehr erinnern ob da vom Führer die Rede gewesen wäre, in der Schule dann natürlich schon, aber im Kindergarten... Da kann ich mich nicht erinnern.

A:

Diese Schnellkurse, wo diese Pädagoginnen ausgebildet wurden, waren die von der NSV?

B:

Dürfte so sein, ja. (...) Diese Kindergärtnerinnen waren ja dann, wie der Krieg aus war, zum Teil im Dienst, die mussten dann nachlernen, nebenberuflich nachlernen und eine Prüfung ablegen.

A:

Das bedeutet, dass man nach der Zeit des Nationalsozialismus die Ausbildung jener Kindergartenpädagoginnen, die durch die NSV in diesen Schnellkursen ausgebildet wurden, nicht als vollwertig anerkannt hat?

B:

Nein, nein, das war zu schnell, nicht umfangreich. Man hat ja damals auch sozusagen Erntekindergärten aus dem Boden gestampft (...).

A:

Sind diese, von dem nationalsozialistischen Regime aus dem Boden gestampften Erntekindergärten nach dem Ende von Hitlerdeutschland integriert oder zur Gänze geschlossen worden?

31 | S e i t e


B:

Naja, sagen wir so. Wenn die Räume ausbaufähig waren, wurde das zu einem Landeskindergarten. Ansonsten hat man sie neu gebaut (...).

A:

Haben Sie im Kindergarten bestimmte Rituale oder bestimmte Feste miterlebt, die durch den Nationalsozialismus eingeführt worden sind?

B:

Naja ich... die im Kindergarten, die Feste, habe ich nicht miterlebt, aber zuvor haben wir immer zu Weihnachten Theater gespielt im Kindergarten und vor Schulschluss (...).

A:

Haben Sie schon vor der Nazizeit ein Winterabschlussfest gefeiert? Also haben Sie gefeiert, dass der Winter nun zu Ende geht und der Frühling beginnt?

B:

Nein. Kann ich mich nicht erinnern.

A:

Haben Sie danach, in Ihrer Tätigkeit als Pädagogin, Feste gefeiert, die es vorher, in Ihrer Zeit als Kind im Kindergarten, nicht gegeben hat?

B:

Ja der Fasching, Faschingsfest, (...) Erntedankfeier, und wir haben unsere eigene Adventkranzweihe gemacht (...).

A:

Aber dieses Winterabschlussfest, oder auch Wintersonnenwendefest, haben Sie danach auch nicht gefeiert?

B:

Das Julfest, jaja. Bei den Jungmädchen schon, aber im Kindergarten weiß ich nicht... Das habe ich nicht mehr miterlebt. Im jahr 1938, 1939 lief das ja alles erst an. Ich hab da vorher vergessen ein Fest zu erwähnen – der Nikolaus. Der ist natürlich im Kindergarten gewesen.

A:

Vor der Zeit des Nationalsozialismus?

B:

Ja, vorher. Der hat ein großes goldenes Buch gehabt und hat uns gelobt, oder auch nicht.

A:

Ist der Nikolaus dann nach dem Krieg dann auch noch zu Besuch gekommen?

B:

Ja, nachher wieder. Nur hat sich dann entwickelt, dass der Nikolaus nicht mehr, sozusagen vom Himmel kommt, sondern man hat den Kindern erzählt, dass das nur eine Erinnerung an den Hl. Nikolaus sei. Die Legende also erzählt, dass sich da jemand nur anzieht, um uns eine Freude zu machen. Die Kinder konnten das aber nicht glauben, da die Kinder ja daheim das anders gemacht haben, in der Familie. 32 | S e i t e


A:

Zur Kriegssituation - haben Sie die im Kindergarten erlebt oder war der Kindergarten dann sowieso geschlossen zu der Zeit? Haben Sie mit der Pädagogin darüber gesprochen?

B:

Nein, wir sind ja in einer Gegend gewesen, wo, jo, hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, sagen wir so. Und bei uns war zwar, da war ich dann schon in der Schule, Fliegeralarm, aber dass der Kindergarten geschlossen war, an das kann ich mich nicht erinnern.

A:

Haben Sie auch miterlebt, dass von Kindern die Väter an der Front gefallen sind? Haben Sie eine diesbezügliche Situation miterlebt?

B:

Nein, weil ich ja nur im ersten Jahr, also bis 1939, im Kindergarten war, immer Nachmittags. Ich weiß dass ein Vater gefallen ist, aber da waren keine Kinder im Kindergarten, weil seine Zwillinge sind erst zur Welt gekommen als der Vater bereits gefallen war (...).

A:

Wie der Krieg dann schon zu Ende ging und die Allierten einmaschiert sind, haben Sie dann etwas prägendes miterlebt?

B:

Ja das weiß ich dann schon als Kindergärtnerin, weil das immer erzählt wurde. Es wurden die Möbel größtenteils von den Russen, die ja in den Räumen gewohnt haben, kaputt gemacht und von den Einheimischen nach Hause genommen. Und es hat dann immer wieder von den Kindergärtnerinnen Aufrufe gegeben, an die Eltern, sie mögen bitte die Möbel wieder zurück bringen. Und das ist zum Teil dann auch geschehen (...).

A:

Haben Sie im Kindergarten religiöse Erziehung erfahren?

B:

(...) Jeden Freitag kam der Pater Franz, hat sich vor uns hingesetzt mit seinem Talar und hat uns vom Herrn Jesu erzählt. Und ich hab immer den Eindruck gehabt, wenn ich in der Kirche war und das Evangelium gehört habe, dass weiß ich ja eh schon. Das war also meine erste religiöse Erziehung, die ich selber, also im Kindergarten, erlebt habe.

33 | S e i t e


A:

Waren Sie Mitglied im BDM? Oder haben Sie Kontakt zu jener Organisation gehabt?

B:

Da war ich zu jung. Ich war 1945 13 Jahre, da war ich nicht mehr BDM, weil des hat mit 14 angefangen, bis 19 war das.

A:

Soweit ich weiß, hat es ja für die jungen Buben die „Pimpfe“ gegeben. Gab es für Mädchen auch so eine Organisation?

B:

Nein nein, da gabs die Jungmädchen. Da war ich. Musste man sogar!

A:

Können Sie mir aus ihrer Tätigkeit als Jungmädchen etwas erzählen?

B:

Naja. Ich muss eins gestehn. Meine Nachbarin (...) hat (...) die Jungmädchen übernommen. Ich hab sie sehr gerne gehabt. Und wir haben auch verschiedene Gruppen gebildet, eine Singgruppe, eine Bastelgruppe, eine Turngruppe, wo wir also auch speziell gefördert wurden. Ich war in diesen drei Gruppen eigentlich immer mit drinnen, für mich hat das einen Stock an Volksliedern und überhaupt viele Lieder gebracht, die ich dann später nutzen konnte. Wobei die Nazilieder, also die speziellen nationalsozialistischen Lieder, nur ein kleiner Teil waren (...). Gebastelt haben wir hauptsächlich im Herbst, und des war für das Winterhilfswerk, so hat das geheißen, die wurden dann verkauft, und man hat für die NSV dieses Geld dann zur Verfügung gestellt (...). Und, ich mein, die NSV, die waren schon in ihrer Arbeit sehr intensiv, und haben aber auch Gutes getan, dass muss ich schon sagen. Die Kinder, die unterernährt waren, haben sie auf Erholung gesendet und so weiter. Das war vorher gar nicht so möglich, waren ja schlechte Zeiten.

A:

Haben Sie in dieser Jungmädchenschar ideologische Themen behandelt und vermittelt bekommen?

B:

Ja also der Füher war das Idol. Das schon. Es war so, dass in Ybbsitz am Sonntag - das hat Apell geheißen - wo also immer die Burschen und die Mädchen angetreten sind. I muss sagen i hab durch diese Jungmädchen eine schöne Kindheitszeit gehabt, weil das interessant war und lustig und überall hab ich gut mitgekonnt. Dadurch hab ich Selbstbewusstsein aufgebaut, und wie dann der Krieg zu Ende war, waren wir alle 34 | S e i t e


natürlich total am Boden zerstört. Ich weiß noch genau - in den Ferien zwischen dritter und vierter Klasse Hauptschule - da hab ich gedacht, jetzt muss ich nachdenken, was aus mir mal werden soll, nicht. Und dann bin ich zu dem Ergebnis gekommen, ich muss auf jeden Fall Lehrerin werden, denn die Menschen muss man erziehen, aber nicht so wie bisher, und ich war dann offen dafür, wies eigentlich wesentlich und sinnvoll ist mit Menschen umzugehen und was die eigentlichen Ideale sind. A:

Haben Sie innerhalb dieser Jungmädchenschar Rituale oder nationalsozialistisches Brauchtum vollführt, neben dem Apell jeden Sonntag?

B:

Nein. Kann ich mich nicht erinnern.

A:

Und als dann schon offensichtlich war, dass Deutschland den Krieg verlieren wird, haben Sie Propaganda innerhalb der Jungmädchen mitbekommen, dass dem – aller sicheren Anzeichen zum Trotz – nicht so sei, vielleicht von ihrer Anführerin?

B:

Ja, (...) die war schon gläubig dass das der richtige Weg ist. Aber ich muss sagen, wir haben eigentlich nie wirklich etwas - Ybbsitz is ein kleiner Ort - von Judenverfolgungen und so weiter mitbekommen. Es hat bei uns keine Juden gegeben, wir haben das nicht Hautnah miterlebt (...). Drum haben wir da vielleicht viel zu wenig kritisch, also, keine Basis für die Kritik gehabt.

A:

Ist

Ihnen

die

Person

Johanna

Haarer

bekannt,

welche

zur

Zeit

des

Nationalsozialismus eine der schillernsten pädagogischen Personen darstellte? B:

Also (...) meine Eltern waren Antinazi. Und ich – bitte, wir haben kein überflüssiges Geld gehabt, waren ziemlich unbegütet. Und ich hab nie genug zu lesen gehabt, wie ich dann in der Volkschule war. Und dann hat mir meine Mutter ein Buch von Haarer gekauft, und zwar „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“.

A:

Darf ich Sie abschließend fragen, was Sie aus jener Zeit eventuell vermissen?

B:

Ich bin damals begeistert in den Kindergarten gegangen (...). Wir haben einfach sehr viel gelernt im Kindergarten. 35 | S e i t e


7.1.1. RESÜMEE Frau Rumpel erlebte drei verschiedene „Zeitalter“ im Kindergarten. Als Kind vor der Zeit des Nationalsozialismus, als Teenager während des Nationalsozialismus in Österreich und als Erwachsene nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre Erlebnisse im Kindergarten und in der Schule brachten sie dazu, nach der Schule ebenfalls Kindergartenpädagogin zu werden, da sie die Kinder richtig erziehen wollte, nicht so, wie es das nationalsozialistische Erziehungswesen im Sinn hatte. Sie beschäftigte sich ausführlich mit jener Zeit vor dem Nationalsozialismus, besonders mit der damals gängigen Erziehungslehre nach Fröbel. Auch die Situation der Kindergärten in (Nieder-)Österreich in der Nachkriegszeit ist ihr, durch Recherchen und dem Besuch von Vorträgen (z.B. von Fr. Niegl), bewusst. Besonders in Erinnerung geblieben ist ihr die Zeit als Jungmädchen, in der ihr wohl am meisten Kontakt mit dem nationalsozialistischen Regime widerfuhr. Den Zweiten Weltkrieg bekam sie (zum Glück) nur am Rande mit, da ihr Heimatort, Ybbsitz, wie sie selbst sagt, abseits vom damaligen Geschehen lag. Sehr wohl aber erinnert sie sich an Rotarmisten, die, auf der Suche nach Kriegsbeute, den Kindergarten verwüsteten. Sie schildert auch, was in Unterlagen von Niegl vorkommt, nämlich, dass viele Kindergärten nach dem Zerfall des Deutschen Reiches von Einheimischen geplündert wurden, jedoch gaben in Ybbsitz die meisten Bewohner das Hab und Gut des Kindergartens wieder zurück.

7.2. CHRISTA GAUSTER „(...) Diese Erziehung zur Beziehungslosigkeit, das Kind nicht anschauen, das Kind in einen Nebenraum bringen wenn es schlimm war und sowas, das sind Elemente, und alle waren entsetzt (...). Jeder ist darauf gekommen dass dieses Buch überall herumspukt.“

Christa Gauster, geboren 1940 in Wien, war von 1944 – 1946 in einem Kindergarten in Neumarkt, Steiermark. Sie kehrte 1946 nach Wien zurück, studierte Musik, absolvierte das Lehramt und unterrichtete an der BAKIP in Wien. Schließlich führte sie in Graz Fortbildungskurse für Kindergartenpädagoginnen in musikalischer Früherziehung. A:

Frau Gauster, können Sie mir bitte einen kurzen Überblick über Ihre Zeit im Kindergarten zur Zeit des Nationalsozialismus geben? 36 | S e i t e


B:

Ich war in Neumarkt, zwischen 1944 und 1946 kurze Zeit, unregelmäßig, im Kindergarten. Meine Eltern haben mich also eher zu meiner Unterhaltung dorthin geschickt, damit mir nicht langweilig ist, und das hat mir großen Spaß gemacht, aber an Angebote oder dergleichen kann ich mich eher wenig erinnern.

A:

Haben Sie trotzdem ein prägendes Erlebnis, dass Ihnen von damals noch in Erinnerung blieb?

B:

Ja einige. So kleine Erlebnisse. Ein Erlebnis war, dass ich mit meinen Eltern spazieren war und ich war eben grade nicht im Kindergarten . Und auf einmal kommt der Kindergarten daher marschiert und mit Sessel in der Hand und ich habe gefragt, was denn los sei, und da sagten die Kinder „Ja der Kasperl , der kommt!“ , und die sind auf die Wiese gegangen (...). (...) Dann waren zwei große Tische mitten auf der Wiese senkrecht aufgestellt und ich hab mich ein wenig gefürchtet (...). Aber auf einmal erscheint so ein kleines Figürchen auf den Tischen oben, da habe ich mir gedacht – was, vor dem hätte ich mich gefürchtet? Und ich habe es dann doch noch sehr genossen, auch die Kindergärtnerinnen.

A:

Kindergärtnerinnen?

B:

Da habe ich zwei gehabt, die Tante Mickerl und die Tante Hertha, die Tante Mickerl habe ich geliebt, die Tante Hertha war ein wenig schärfer und ein wenig strenger, die habe ich nicht so gern gehabt. Jedenfalls, da war der Kasperl oben und noch eine Figur, und auf einmal sagte der Kasperl hinunter „Tante Hertha, hebe mich ein wenig höher hinauf“, und das tat sie, und dann war das Theater aus, und die Tante Hertha tauchte irgendwann wieder auf und die Kinder sagten ganz aufgeregt „Tante Hertha, Tante Hertha, der Kasperl war da!“ und die hat gesagt „So, habe ich gar nicht gemerkt, ich bin da hinten hinter dem Haus gestanden!“, und ich habe dann gesagt „So eine Lüge – der Kasperl hat gesagt Tante Hertha heb mich höher hinauf!“ (lacht).

A:

Ist Ihnen Johanna Haarer ein Begriff?

B:

Ja (...). Das Buch von der Haarer, das gabs in unserer Familie, aber das zweite, „Unsere kleinen Kinder“. Gab ja drei. Und ich (...) habe auch alles gelesen was ich erwischen konnte, und hab natürlich, weil bei uns dauernd von Kindern und 37 | S e i t e


Pädagogik die Rede war, dieses Buch auch geschnappt und gelesen, das muss so mit 8, 9 Jahren gewesen sein. Und ich habe das sehr modern und plausibel gefunden (...). (...) mir kam das was die Haarer geschrieben hat sehr im Sinne meiner Mutter vor, sehr modern. A:

Sie haben, wie Sie vorhin schon erzählten, auch Kontakt mit Fr. Chamberlain, einer Expertin im Bereich Haarer, gehabt?

B:

Die war da, und hat einen ganz interessanten Studientag gemacht mit uns, (...) und das war ein wahnsinnig interessanter Tag, da waren über 20 Teilnehmerinnen, und alle waren ganz fertig, weil sie drauf gekommen sind wie sehr in ihrer Erziehung diese Haarer noch nachgewirkt hat. Die letzte Auflage ihres Buches war ja glaub ich 1978, so lang noch.

A:

Genau,

es

sind

einfach

in

der

„moderneren“

Ausgabe

sämtliche

nationalsozialistische Elemente entfernt worden, vom Grundgedanken her war es noch ein und dasselbe. B:

Genau, diese Erziehung zur Beziehungslosigkeit, das Kind nicht anschauen, das Kind in einen Nebenraum bringen wenn es schlimm war und sowas, des sind Elemente, und alle waren entsetzt (...). Jeder ist darauf gekommen dass dieses Buch überall herumspukt. Ich selbst besitze es auch noch (...). Das war also eine derartige intensive Aufarbeitung, wie die Frauen erzählt haben, wie das in ihrer Erziehung eingewirkt hat, das war ganz aufregend. Es (...) haben alle gesagt, na, sie glauben schon das ihre Eltern sie geliebt haben, aber sie haben eben gelernt, es nicht zu zeigen, da man ja geglaubt hat, dass das gut wäre. Heute hat man das ja als wirklichen Fehler erkannt.

A:

Darf ich Sie abschließend fragen, was Sie aus jener Zeit eventuell vermissen?

B:

Die Sache mit den Kreisspielen und Singtänzen. Die waren zu dieser Zeit gang und gebe. Ich habe viel gespielt, und diese Kreisspiele waren ein wichtiger Punkt, die wurden zu jeder Zeit, jeden Tag gespielt. Die haben unheimlich viele Dinge drinnen, die die Kinder damit lernen. Eine Menge lernten die (...). Ich vermisse das, dass man sich mit dem gar nicht mehr beschäftigt. Ich würde mir da einfach die 38 | S e i t e


Neubeschäftigung, auch die kritische Beschäftigung damit wünschen. Solange ich aktiv war, habe ich es immer wieder heran gezogen und habe es gemacht. Methodisch war das aber schwer zu schaffen. Und es ist schon klar, dass Inhalte drinnen sind, die aus alten Zeiten stammen, und sicher ist in der NSV – Zeit da auch viel hineingerutscht, aber was ich aber schmerzlich finde ist ja doch, dass durch den Kindergarten eine Pädagogisierung dieser Dinge natürlich stattgefunden hat (...).

7.2.1. RESÜMEE Fr. Gauster war zwei Jahre während des Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit im Kindergarten. Prägend in Erinnerung blieben ihr hauptsächlich lustige Ereignisse, wie beispielsweise der Besuch des Kasperls in ihrem Kindergarten. Sie beschäftigte sich eingehend mit Johanna Haarer und hatte diesbezüglich auch Kontakt mit Chamberlain 3 und mit von Haarer geschriebenen Büchern. Sie selbst las Haarer als Kind und fand die Lektüre damals, 1948, sehr modern. Großes Bestürzen empfand sie, nachdem sie, gemeinsam mit Freunden und Freundinnen, während eines Vortrages von Chamberlain begriff, wie viele von ihnen Elemente von Haarers Pädagogik in der eigenen Erziehung, die sie von ihren Eltern empfingen, wieder fanden.

7.3. THERESIA KÜHAR „Morgenkreis war immer in der Früh. Alle begrüßt, liebe Lieder haben wir gesungen. Die Sonne haben wir bewundert, allen guten Morgen gewünscht. Natürlich dem Führer auch, net, der war so a bisserl wie Gott.“

Theresia Kühar, geboren 1928 in Graz, Steiermark, erlebte die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich als heranwachsende Jugendliche. Sie besuchte nach Volksschule und Hauptschule 1942 die Hitlerschule für soziale Berufe in Graz. 1944 bis 1945 arbeitete sie dann als Pädagogin in einem Kindergarten, teilweise auch in einem Hort, in Leibnitz. Nach dem Krieg musste sie zuerst ihre Ausbildung nochmals absolvieren, um weiter arbeiten zu dürfen. Sie 3 Sigrid Chamberlain, geb. 1941, arbeitete als Sozialarbeiterin respektive Sozialpädagogin. Sie gilt als renommierteste Historikerin um Haarer und veröffentlichte zahlreiche Bücher, in denen sie die schwarze Pädagogik von Haarer erläutert und wissenschaftlich behandelt.

39 | S e i t e


arbeitete weiter als Pädagogin in verschiedenen Kindergärten in Graz und war auch als Jungscharleiterin aktiv. Sie lebt in Graz noch immer dort, wo sie auch auch aufwuchs. A:

Frau Kühar, wie gestaltete sich denn Ihre Ausbildung?

B:

Also mit 14 Jahren (...) im Herbst, bin ich dann gleich in die Schule gegangen. Das war eben diese Hitlerschule für soziale Berufe, in Graz. (...) Wir haben auch Kochen gelernt, für die Kinder. Ich hätte zum Beispiel jetzt ohne weiteres als Kindergärtnerin können Krabbelkinder nehmen, weil ich das können hab, ich war Kinderpflegerin. Das war der Beruf den ich zuerst gehabt hab. Ich bin auch angestellt worden dann, in Leibnitz, wie ich dann fertig war (...) da habe ich das Schöne und das nicht Schöne gesehen. Weil da waren viele Dinge dabei die uns nicht so gefallen haben, damals. (...) Weil da waren die ganzen Verschiebungen, von den Kindern, die Hitlerzeit war ja. Da hat uns nicht alles gefallen.

A:

In welchen Kindergarten arbeiteten Sie dann, wem waren Sie unterstellt, hatten sie Kolleginnen?

B:

In einem Leibnitzer Kindergarten, da waren 40 Kinder. Eine Leiterin, meine Wenigkeit und eine Helferin. (...)Wärterin! (...) Wärterin, so haben früher die Helferinnen geheißen. Weil sie musste alles tun, alles machen. (...) Aber i hab nie Wärterin gsagt. „Servus Anni“ hab ich gsagt, fertig. Wir haben uns sehr gut vertragen, haben uns gegenseitig geholfen, weil sie hat eben alles machen müssen. Fenster putzen, alles. (...) Dann war ich dort, so lang, bis der Krieg kommen ist, dann sind wir nach Hause geschickt worden.

A:

Wie gestalteten sich denn Ihre Dienstzeiten?

B:

Damals haben wir viele Stunden gemacht, mehr wie jetzt. Wir haben müssen um sieben Uhr anfangen, dann eine Stunde Mittagspause, dann haben wir bis fünf, sechs Uhr am Abend (...) müssen arbeiten, bis wir fertig waren.

A:

Wie sah denn Ihr Kindergarten aus?

B:

Der Kindergarten war sehr schön, 40 Kinder haben wir eben gehabt, und die Leiterin, wenn die Kanzleidienst gehabt hat, dann hab ich die 40 Kinder gehabt. Oder sie hat 40 | S e i t e


müssen wohin gehen, dann war ich mit der Helferin allein. Unten vom Kindergarten war ein Kloster, ein Kapuzinerkloster glaub ich wars. Und dort (...), da war die Gauleitung. Im Kloster. Dort wars wunderschön. Wir waren in der Grazerstraße oder Grazergasse, das weiß ich jetzt nicht mehr (...). Da war eine schöne Strecke bis zum Kloster. Und diese Straße war geschützt, mit Luftballons, ganz groß aufgeblasen, als Schutz, gegen die Flugzeuge. Für die Kinder war das ja wunderschön. Aber für uns wars nicht so schön (...). A:

Wie vollzog sich denn die Jausensituation respektive das Mittagessen?

B:

Zu Mittag, um 12 Uhr, war Essen. Das Essen war in einer Küche, das ist gekommen, in so Kannen. Bei uns wars vom Kloster, im Hort zumindest. Der Kindergarten hats von wo anders, aber von wo, das weiß i net mehr. Pferde mit Wagen sind gekommen, dann isas im Kindergarten aufgewärmt worden (...). Beim Mittagessn, da gabs meistens Suppe. Diese Erbsensuppe (...) damals waren ja Würmer dabei. Da waren Würmer manchmal, die sind darin geschwommen. „Da ist ein Wurm drin, das kann ich nicht essen“, so haben die Kinder (Anm.: im Hort) gschrien. „Ach, do ist ein Wurm, na do schau her“, so hab i gredt (...). I hab außen herum beim Teller das gelegt, diese weißen Würmchen, und hab gsagt „So, schauts, jetzt hat die Tante Resi einen ganz schönen Teller gemacht, jetzt können wir essen.“ Die waren ja hungrig! Das waren die schlimmsten Zeiten eigentlich. Aber die haben auch alles gegessen! Und diese Würmer, die haben wir dann vernichtet (...). Dann war wieder Jause, da sinds was trinken gegangen, und dann als Jause habens meistens Äpfel bekommen. Nachmittag habens Obst griegt.

A:

Hat der Kindergarten die Jause zur Verfügung gestellt oder haben die Kinder selbst etwas mitbringen müssen?

B:

Wir haben keine Jause hergegeben. Da haben schon die Kinder mitgebracht. Nur hie und da, von UNICEF, da haben wir dann so Haferflocken griegt und Zucker, das haben wir eingrührt und das haben die Kinder dann dazu griegt. Die Bauern haben oft so Äpfel oder Brot gschenkt, dann haben die Kinder die Jause von da gegessen. Aber nur einfach, so Butter oder so, das haben wir nicht gehabt.

41 | S e i t e


A:

Wie sah ein Tagesablauf in Ihrem Kindergarten aus, gab es feststehende Rituale, Alltägliches?

B:

Um sieben Uhr sind die Kinder schon gekommen.

A:

Wurden die Kinder von den Eltern gebracht oder sind sie alleine zum Kindergarten gekommen?

B:

Gebracht und allein. Beides. Sie konnten alleine kommen.

A:

Haben Sie einen Morgenkreis mit den Kindern gestaltet?

B:

Ja. Morgenkreis war immer in der Früh. Alle begrüßt, liebe Lieder haben wir gesungen. Die Sonne haben wir bewundert, allen guten Morgen gewünscht. Natürlich dem Führer auch, net, der war so a bisserl wie Gott. (...) Ich habe über den Hitler nie sprechen brauchen, des war der Leiterin ihre Aufgabe. (...) Dann war eine Geschichte, da haben sich die Kinder gesetzt, entweder am Boden oder was wir halt gehabt haben, Sesserl oder so. Nach der Geschichte ist meistens ein kleines Spiel drauf gwesn oder ein Gedicht, das die Kinder gelernt haben. Und dann sind wir aufs Klo marschiert, um neune dann. (...) „Wer muss nicht, wer muss aufs Klo?“ , habe ich dann gefragt. Bei mir haben alle müssen, aber die sind nicht gegangen. Sie haben dann gesagt „Nein, ich muss doch nicht, ich geh doch lieber nicht aufs Klo.“ (...) Keiner wollt, aber i hab gesehen, die Kinder haben müssen. I hab die Eltern dann am nächsten Tag gefragt (...), dann haben die Leute gesagt, ja, es ist irgendwas nicht in Ordnung, im Klo. (...) Dann komm i zu einem Mädchen, sag i „Musst du nicht aufs Klo?“ „Nein, ich geh nicht.“ „Warum gehst du denn nicht? Kannst mir alles sagen, weißt du. Wir zwei tun das ausdiskutieren!“, hab i gsagt. Dann sagt das Kind: „Ein Viech schaut heraus.“ Ein Viech, was für ein Viech? (...) Eine Ratte. Bitte die Tante Resi hat dann selber Angst gehabt. Aber ich hab das natürlich nicht gezeigt, die Angst. Ich hab dann gesagt „Na so ein dummes Viech, das haben wir gleich!“ (...) Hab ich halt einen schönen Schmee da erzählt. Und hab sofort der Leiterin gemeldet, die haben dann die Kanäle ausgeputzt und dann wars ruhig. Und ich hab gesagt „Wisst ihr, was die Ratte nicht mag? Musik! Und i hab Musik gspielt und die Kinder sin alle aufs Klo gangan, noch da Reih (lacht). (...) 42 | S e i t e


Und dann habens gjausnet, bis viertel, halb 10. (...) Is ganz gut gangen. Danach haben wir Bewegungsspiele gemacht, entweder im Kreis, oder Bewegungsspiele so dass man die Kinder verschieden beschäftigte (...). A:

Und dann, nach den Bewegungsspielen?

B:

Dann ist entweder ein Spaziergang gewesen, dass man etwas besichtigen kann in der Natur, etwas schönes erleben, ein Erlebnis. Oder wenn wir im Raum sind, dass man etwas bringt was dazu passend ist (...). Werken, und natürlich Singen, konnte man auch. (...) Und zeichnen, zeichnen haben wir viel gemacht, weil das war wichtig, für die Schule. (...) Danach ist das ausgelaufen, so ruhig. Zum Schluss habens noch eine Zeichnung gemacht oder so, vor dem Mittagessen noch etwas ruhiges, damit sie runterkommen. I hab immer so gemacht: Ruhe – Bewegung – Höhepunkt – Ruhe. Am Nachmittag wars noch schöner, die Kinder sind ja nach dem Mittagessen schlafen gegangen, das war Pflicht.

A:

Wie lang haben die Kinder da geschlafen?

B:

Eine Stunde. War vorgeschrieben, im Gruppenraum. Wir haben auch eine Stunde Pause gehabt, das hat gepasst. Zum Essen brauchens auch a halbe Stund, dann Hände waschen, Klo gehen. Dann hab ich eine Gute Nacht Geschichte erzählt, aber „Gute Nacht“ habe ich nicht gesagt, ich hab gsagt „Eine Zaubergeschichte“ , (...) Schmee wieder von der Resi, dann hab ich sie gestreichelt, dann habens eh bald geschlafen. Das Streicheln war etwas wunderbares, nur a bissi am Kopf, manche haben die Augerl zu gemacht (...).

A:

Und nach dem Schlafen?

B:

Da war wieder Jause, ein bisschen Spiele, aufräumen(...). Dann sind wir auch viel Spazieren gegangen, in die Natur hinaus, wenns gegangen is. Wenn nicht, dann haben wir was gebastelt, am Nachmittag. Bilderbücher angeschaut (...). Dann, nach dem Spazieren gehen, da war dann wieder Ruhe. Beim Spazieren, da konnt man Betrachtungen machen, mit Steinen baun, im Wald, da haben wir viel gemacht.

43 | S e i t e


A:

Das heißt, man kann sagen, dass Sie in Ihrer Arbeit im Kindergarten sehr naturbezogen waren?

B:

Ja, sehr naturbezogen. Ich muss ehrlich sein, früher hat man mehr in der Natur gemacht als jetzt. Leibnitz is ja von Wald umgeben. Wir haben auf der Wiese Blumen gesucht und geklebt. (...) Die Kinder haben allein schon auf der Wieso soviel entdeckt. (...) Wenn ma an toten Vogel gfunden haben haben wir Begräbnis gmacht. Da Hausmeister hat den Vogel dann ausgrabn weil sonst hättens (Anm.: die Kinder) den jeden Tag nomal neu begrabn. Auf die Gräber habens dann Kreuze rauftan, die haben wir wieder runter tan, des haben wir uns net traut lassen. Wir haben dann gsagt zu den Kindern, sie solln Steine rauftun, de habens dann auch bemalt und so. (...) Nach dem Spaziergang sind wir nach Hause gekommen, dann hamma wieder was ruhiges gemacht. Haben ein Buch angeschaut, wenn ma auf der Wiese waren ein Buch über die Wiese, hamma nachgschaut, welche Blumen wir grad gsehn haben. Und dann haben wir gsungen, Lieder gesungen, Abendlieder, und sie dann so beruhigt, die wollten dann gar net heimgehn. Und dann sinds nach Haus gangen. (...) Dann haben wir zusammengeräumt, oder stehen lassen, damit man am nächsten Tag weiterspielen konnte.

A:

Haben Sie schriftlich vorbereiten müssen, was Sie an einem Tag durchführen wollten?

B:

Eine Vorbereitung haben wir (...) haben müssen, das hat man abgeben müssen, was man am Tag macht, der Leiterin hab ichs abgeben müssn. Zum Beispiel Weihnachten, Erzählen einer Geschichte oder Märchen, dann hat man aufschreiben müssen was man erzählt, von Weihnachten, die Bräuche oder so. Damals war alles anders, auch das mit den Beschreibungen. Wir mussten auch Berichte schreiben, Ansagen und so, es war eine andere Zeit und man musste mit der Zeit mitgehen. Dann passts. Es kommt halt immer darauf an wie mans macht. Wenn mans zu hart macht, zu streng, dann mögen sie (Anm.: die Kinder) das nicht. Und für die Vorschule haben wir auch schon gelernt, wenn man das spielerisch macht dann 44 | S e i t e


gehts. Man muss ein Mensch sein, dass man viel Freude für sich selbst hat. Man muss alles weglegen, die Freude den Kindern schenken, und selber ein bisserl auch die eigene Seele füttern (lacht). A:

Welche Bewegungsspiele haben Sie damals angeboten und mit den Kindern gespielt?

B:

(...) Lustige Sachn halt. Dass sie auch laufn haben können. Entweder im Garten draußen oder im Raum. Des waren Bewegungsspiele.

A:

Haben Sie da auch Spiele wie „Der Schwarze Mann“ gespielt?

B:

Ja natürlich, alles, alles. Fangspiele und so. Oder Zimmer Küchen Kabinett, hinterm Ofen steht ein Bett. Des spielens heut auch noch. Da gibts viele liebe Spiele, die haben wir scho gspielt. Viele auch in der Natur. Die ganze Wiese haben wir dürfen verwenden, da kann man schon viel machen. Wir haben muatz a Hetz gehabt. Ich darf nicht sagen, dass wir wenig Spiele gemacht haben. Sehr viele sportliche Spiele. Man hat überall hingehen können (...).

A:

Haben Sie mit den Kindern auch geturnt?

B:

Wir haben auch geturnt. Die Kinder haben ja früher kein Turngewand gehabt (...). Aber jeder hat eine Unterhose gehabt und ein Leiberl. (...) I hab gern geturnt, und die Kinder, für die wars notwendig, dass die Bewegung hatten. Und wir haben eingekleidet, lauter Tiere waren wir mal, wir haben nix schönes gehabt aber man findet immer was. Sessel turnen, mit Stäbe geturnt, dann gebaut, am Boden herum gelegt, man musste Einfälle haben. Was da is, muss man nehmen. Spulen haben wir geschenkt bekommen, dann haben wir mit Karten geturnt, man kann Karten oder Bücher auch aufn Schedl gebn oder aufn Fuß oder aufd Hand. (...) Da kommt bei einem Kind bei der Hose, (...) a so a langer Wurm raus. Und der wurlt. Und da schrein die Kinder „Resi, Resi, ein Regenwurm, ein Regenwurm!“ Gottseidank haben sie nicht gesehen, dass des bei dem Buam raus kumman is. (...) Bei den Fleischerein war immer mit den Würmern ein Problem. (...) Des war kein Regenwurm, der war schön weißlich. Weiß sind die. Natürlich bin ich ins Klo gegangen, hab ein Zeitungspapier gnommen, hab gsagt „Du arms Würmlein, kum 45 | S e i t e


nur“, mit einem Steckerl, da hab ichs ins Zeitungspapier gebn (lacht), angreifen hab is net kennan. Dann hab ich gsagt „So, jetzt griagt der ein schönes Betterl“, haben wir eine Schachtel geholt, den Wurm eini tan, dann dem Arzt gegebn. Der Kinderarzt, der is in der Woche eh noch gekommen, dann gabs eine Entwurmung für die Kinder. Das haben viele Kinder gehabt, das hab ich gar nicht gewusst. Aber ich habs direkt gesehen, wie der aus der Hose heraus gewurlt ist heast. Und meine Augen san eh scho fast übergangen. Dann hab ich halt gelächelt und hab wieder einen Schmee gewusst, so haben wir die Situation weitergebracht. (...) Aber es is ja schlecht fürs Kind auch gewesen (...). A:

Welche Bilderbücher gab es denn damals?

B:

Diese Schönen. Die es jetzt nicht mehr gibt. Die alten, von Weihnachtsengerl zum Beispiel. Wunderbar gezeichnet, aber viel oben. Zum Entdecken. Wirklich schön. Die Zeichnungen waren sehr schön (...). Untereinander haben wir auch Bilderbücher getauscht, wir haben mit den Eltern gesprochen, ob sie uns nicht Bücher borgen wollen und so. Und dann haben sies uns geborgt, auch Spiele.

A:

Welche Spiele denn?

B:

Wir haben so selbstgemachte Spiele gehabt, zum Beispiel Mauserl, zum rechnen. Mengenlehre, das hat man damals schon gemacht, Rechenspiele hat das geheißen. Oder Schreibspiele. Ein Wort haben wir aufgeschrieben, zum Beispiel Mama oder Papa. Zum Muttertag haben wir das oft gespielt (...).

A:

Welches Spielzeug hatten Sie denn damals im Kindergarten?

B:

Puppen. Die haben wir gemacht, alles selbst. Aus Stoff, so Stoffpupperl (...), die waren aber ganz einfach, a klans Kopferl und dann ein Gwanderl. So Wollresterl haben wir schon bekommen, und die Stecknadeln, die waren aus Holz (...). Man muss einfach erfinderisch sein. Aus der Natur, zwei Steckerl, wir haben gstrickt. Wir haben auch mit Besen gspielt, Kasperltheater mit Besn (...).

46 | S e i t e


A:

Haben die Buben mit diesen Puppen auch gespielt?

B:

Ois. Do wor noch kein Unterschied, dass man gesagt hätte, du, des derfst net. Die Kinder waren da auch viel natürlicher als jetzt. Teddybär haben wir auch gehabt, einen, so alte noch, so schöne. Des is ein Geschenk gewesen. Kasperl haben wir gehabt, Kasperl gespielt haben wir auch, die Kinder haben gespielt damit.

A:

Gab es unter dem Spielangebot auch Kriegsspielzeug?

B:

Das haben wir leider nicht gehabt, aber wir haben uns selber Soldaten gemacht, aus Stroh. Die sind marschiert, haben geturnt. Natürlich haben die Kinder (...) hie und da mal (...) was mitgebracht (...). Das haben wir betrachtet, und ich hab das so gemacht: Ich hab nicht gsagt das geht nicht, weil das war ja in Wirklichkeit auch da. Wir haben gespielt damit, der hot uns alles vorgeführt damit, und dann hab ich gsagt, so, jetzt muss er wieder in die Garage (...). Man reizt ja die Kinder viel mehr wenn sie nix angreifen dürfen oder wenn ichs verbiet (...). Man muss schaun, (...) wen man erschießen darf und so (...). „Wozu brauchst du des?“, den Panzer, dass das Kind auch den Unterschied kennen lernt, wie man mit so einem Gerät hantiert, mit so einem Fohrzeig, mit so einem Gwehr. Was kann man schießen, was darf man schießen, was soll man erschießen, das war ja a klasses Thema. Da kann man viel bei den Kindern machen. I mein, was darf man denn erschießen? Ich darf ein Tier erschießen, (...) wenn man was zum Essen braucht. Das darf ich erschießen weil eh soviele wieder auf die Welt kommen. Der Mensch braucht was zu Essen. Aber ich darf keinen Menschen erschießen eigentlich.

A:

Und das haben Sie den Kindern auch so gesagt?

B:

Ja. Man darf keine Menschen erschießen. Aber weißt wie die Kinder da schon geeicht waren? Die haben gesagt „Auf Menschen darf man nicht schießen aber wenn der mich erschießen will dann darf ich schießen“. (...) Damals, das war ein Thema. Warum? Warum tun sie das? Warum ist Krieg? Das ist schwer. Was sagt man da? „Nja, weißt du, weil sich Menschen nicht verstehen können“. Braucht man nur sagen zum Kind „Verstehen sich alle Kinder? Wer streitet nie?“ Na bitte, da waren die Kinder so ehrlich, da habens selber gsagt „Wir streiten auch!“ (...). 47 | S e i t e


A:

Hatten Sie auch Montessori Material im Kindergarten?

B:

Ja, wir hatten auch Montessori Material. Das waren sehr lustige Spiele, so Würfel. Die haben wir eingeräumt und ausgeräumt, das war auch lustig. Und Tafeln (...).

A:

Über dieses Montessori Material, hat sich da niemand beschwert?

B:

Na, die haben des ja gar net gwusst dass des Montessori Material war. I hobs gmocht, i hobs jo in der Schul gsehn. Aber des hot jo kana gwusst von denen. Des wor net so. Des haben wir dann auch selbst gemacht, aus Karton. Wie deppat (...).

A:

Sind Sie manchmal von höheren Instanzen in Ihrer Arbeit kontrolliert worden?

B:

Manchmal sinds‘ schon schauen gekommen. Die haben uns besucht, kontrolliert. Aber wenn die Leiterin bekannt war mit den Leuten, (...) war net so schlimm. Die waren ja auch lieb. Zu mir war keiner schirch. Ich muss ehrlich sein, es war keiner irgendwie. Ich hab sie so, als Menschen, behandelt. I hab sie ja auch nicht gekannt. Wir haben nichts schlechtes gesehen, muss ich ehrlich sagen (...).

A:

Wer hat denn da kontrolliert?

B:

Die von der Gauleitung. Die das überghabt haben. Von der Gau Steiermark.

A:

Welche besonderen Feste feierten Sie mit den Kindern, welche es vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten respektive in jener Form noch nicht gab?

B:

Feste haben wir gehabt, und die Feste sind natürlich von der Leiterin gemacht worden, da hab ich nichts tun brauchen. Nja, weißt, der Hitler, der is schon hoch heraus geholt worden. Aber du, i hab auch grüßt. Wir haben eine Hetz ghabt (...). Mir war des gegeben. Als er da war haben wir auch gschaut, sind auf der Leiter gestanden. Man muss das einfach annehmen, weil des is ein Bledsinn wenn man was dagegen macht. Und da haben wir auch zu Weihnachten oder Geburtstagsfest den Hitler hereingenommen, als toller Mann, und dass er eben uns Glück wünscht und Segen, Frohe Weihnachten, dann war halt kein Christkind. (... ) Der Advent hat dann nicht mit Ankunft was zu tun gehabt, sondern vom Licht, dass die Tage kürzer werden. 48 | S e i t e


Auch das Christkind, das hats ja nicht gegeben. Wir haben von dem Sonnenkind gredet. Da kann man viel draus machen.Wir hatten auch den Knecht Ruprecht. Für mich war der Knecht Ruprecht genau so lustig (...). Man muss einfach das, was nicht erlaubt ist, weglassen. Das darf man nicht machen. (...) Religiös hat man nichts gemacht, das war nicht. Wenn man sagt „Danke für die liebe Sonne“, da kann sich jeder denken was man will. Wir haben das Sonnenlied gesungen, „Danke liebe Sonne, dass du da bist“, von woher kommt sie, eh von oben. Also muss eine Kraft da sein. Wir sind schon in die Kirche gegangen, nur sehn hat uns keiner dürfen. Wir sind hinten rund herum marschiert, habens Kripperl angschaut. A:

Was taten Sie speziell zum Geburstag von Adolf Hitler?

B:

Da gabs eine Feier. Immer eine Feier. Da sind wir auch wohin schauen gegangen, das war was besonderes (...). Umzug, Aufmarsch, im Kindergarten war eine kleine Feier, wir sind zusammengekommen, getanzt, Glaube und Schönheit. Es war ja auch schön! (...) Wenn man nichts weiß, wenn man nicht weiß dass da auch was Schlimmes dabei ist, nicht, soll man doch. Glaube und Schönheit war auch schön.

A:

Hing im Gruppenraum ein Bild von Adolf Hitler?

B:

Die Bilder sind überall ghengt. Jeder hats müssen aufhängen, auch im Gruppenraum. Überall. (...) Er war da. Ist geschmückt worden mit Blumen und so. Kleine, große, je nachdem (...).

A:

Wie würden Sie sagen, haben Kinder Hitler vermittelt bekommen? Sie erwähnten vorhin, dass er einem Gott gleich behandelt wurde. Oder war er im Kindergarten eher in der Onkel – oder Opa - Rolle?

B:

Nein, Opa war er nicht. Er war so, wie ein Herrgott. Er war eine Gestalt, ein Wesen, dass jeder angenommen hat. Er hat schon Kräfte in sich gehabt, der Mensch. Er hat ja alle in der Hand gehabt. Man muss denken, soviele Leut haben keine Arbeit gehabt. Er hat ihnen welche gegeben. Brot, Geld, er hat es gehabt (...). Aber das andere (Holocaust), das hat niemand gewusst. Das haben nur diese Leute gewusst, die eng drum herum waren. Die das gesehen haben. Das da was net gepasst 49 | S e i t e


hat. Das ist ja erst alles später aufgekommen, heraugekommen. Ich hab das nicht verstanden dass da die anderen Länder nicht angegriffen haben. Das habe ich nie verstanden. Warum? Warum haben sie nie geholfen? (...) A:

Haben Ihnen die Kinder zur Person Hitler Fragen gestellt?

B:

Nein, die sind von Zuhause schon so erzogen worden. Die haben genau gwusst. Jeder hat zuhause schon gredet. Die waren begeistert. Man darf nicht so reden, Österreich war nicht begeistert. Die waren alle begeistert gewesen (...).

A:

Waren Sie Mitglied in der NSDAP oder im BDM?

B:

Nein, da war ich nicht dabei. Bei der BDM wär ich hineingefallen aber ich war nicht dabei. Hat nie wer was gsagt. I hab a nie so Probleme gehabt (...).

A:

Ist Ihnen Johanna Haarer ein Begriff?

B:

Nein. Ghert hab ich schon davon. Halt, wart. Ein Buch. Aber sonst weiß i nix. Sie war a Pädagogin oder so. Aber, ich hab nicht soviel zu tun ghabt mit der. Schulungen oder so, haben wir nicht gehabt. Nur die Leiterin is geschult worden, die hat uns dann des weiter erzählt.

A:

Haben Sie die Kinder, wenn sie sich unartig benommen haben, auch bestraft?

B:

I hob kane Kinder brauchn bestrofen, i hob jo so ein Glück gehabt. Disziplin hob ich leicht gehabt – mit Humor. Mei Humor hat des alles geschafft. Kinder dürfn bei mir frei sein, aber mit Regeln. I hob immer mit Spiele ois gschofft. Mit Schmee und Witz, mit Humor. I hab nie wen bestraft. Hab i net brauchen. Meine Strafe wor – „Du raufst jetzt mit mir!“ und i hab immer gwonnen. (...) Ja, so war ich. Regeln hab ich aufgstellt, aber nicht zu viele. Mit Humor hauptsach (lacht).

A:

Haben Sie die Situation miterlebt, dass von Kindern in Ihrer Zeit als Kindergartenpädagogin im Krieg der Vater starb?

B:

Ja. (...) des is furchtbar, da kann man nur dazuheulen. Wenn der Vater zum Beispiel in den Zug eingestiegen ist und nie mehr kommen ist. Was sagt man dann einem vierjährigen Mäderl? Und eine, die is dann später ind Schul kommen, und die hätt 50 | S e i t e


sollen einen Aufsatz schreiben über ihrn Vater, und die hat nix gschriem. Da hat die Frau Lehrin gfragt, „Ja warum schreibst denn du nix?“, und sie hat gsagt „Ich habe keinen Vater.“ Der Vater ist tot, die Mutter is immer Friedhof gegangen und so. Und die kleinste, die hat Märchen erzählt, die hat gsagt, dass der Papa ihr heut vom Himmel runter gewunken hat und so. Es is furchtbar. Der Tod ist für ein Kind schon schwer zu bewältigen (...). Bei manchen wars so, der Vater, der Bruder, alle tot. Nicht mehr gekommen. Die Kinder haben da fürchterlich gelitten. Da kann man die Kinder auch nicht scharf rannehmen, da is die Seele ganz weich. Und die Mütter weinen zu Hause. Man muss so sagen „Er wird kommen“ und so. Des war vielleicht ein wenig schwierig, weil man ja religiös nix machen durfte. Sie haben sich nirgends anhalten können. Wenn die Familie religiös war, dann ists noch gangen. Aber wenn net, wo soll sich das Kind dann hinwenden? Manche haben nur sagen können „Der Hitler macht das“, dann warens stü. A:

Wer hat das zu den Kindern gesagt?

B:

Naja, wenn einer gefallen ist, dann war das dann, wenn diese Familie für diese Sache war, war er wie ein Held. Der hat sich geopfert, für uns. Diese Kinder waren dann gleich. Die sind groß geworden (...). Das war der Held, fürs Vaterland. I mein, i war ja auch schockiert, wie ich erfahren hab, was die alles gemacht haben. Es hat niemand geholfen. Und wir haben das gar nicht gewusst was da alles passiert is. Mir haben die Leut was erzählt. Die Väter, die das mitgmacht haben (...). Das schlimmste für diese Väter war, dass sie gefangen waren und nix zum Essen bekommen haben. Und sie haben Kinder bekommen, die sie nie gesehen hatten. Wie der Krieg aus war sind sie heimgekommen und haben dann erst die Kinder gesehen. Die Kinder waren schon ein wenig anders.

A:

Welches Ereignis blieb Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung?

B:

(...) Wir haben eine Umsiedlerei einmal gesehen, wie wir gefahren sind nach Graz. Da war zwischen eine Station (...). Und da ist eine Schwester, eine Rotkreuzschwester, hereingekommen und hat gebeten, es sollen ein paar Leute ihr helfen kommen, es kommt ein Zug, der bleibt 10 Minuten stehen, und die Leute, da sind Kinder drin, die 51 | S e i t e


haben kein Wasser. (...) I hab gsagt „Da geh ma helfn, natürlich!“, die anderen Leute san nicht gegangen, die Erwachsenen. Wir sind aber rausgestartet, und da haben wir bekommen, so Kübel. (...) Aber wir waren so klein und der Zug so hoch, da war nur so eine kleine Luke. Und da sans gstandn, mitm Gwehr. Die Soldaten. (...)Und daun is gaungan, erster Zug, zweiter Zug, und des war alles schnell, wal de haben die Kannen wieder raus geben müssen, wal da sans hin, mitm Gwehr. (...) Dann hat er angesagt in zwei Minuten Abfahrt. Wir haben aber noch zwei (Anm.: Wagone) gehabt. I hab den (Anm.: Soldaten) angschaut und hab mir gedacht „Na, der hätt die Größe“. Da waren ja soviele Kinder drin. Jetzt hab i gsagt „He du, kaunst uns net helfen?“ Und der hot net reagiert. Dann hab i laut gschrien, hab i mir gedacht, jetzt gib i einen Befehl, hab i gschrien „Heil Hitler, gib den Kübel da hinauf!“ Den hats gfetzt, und dann hat der den Kübel hinauf gegeben. Dann kam sogar ein Zweiter, der hat dann geholfen. I war so stolz (lacht) (...).

7.3.1. RESÜMEE Fr. Kühar sprüht nur so vor Energie, Lebensfreude und unendlichen, nie enden wollenden kostbaren Wissens. Sie erlebte Aufstieg und Niedergang Hitlerdeutschlands und arbeitete in einem Leibnitzer Kindergarten respektive Hort. Sie berichtet so detailgetreu und mitreißend aus ihrem ehemaligen Kindergartenalltag, dass man meinen könnte, dass die dementsprechenden Ereignisse erst gestern gewesen wären. In ihrer pädagogischen Arbeit legte sie Wert auf viel Bewegung, Spaziergängen in der Natur und viel Humor. Vom Kindergarten und Hort berichtet sie viele prägende Erlebnisse, wie die Bandwürmer in der Suppe zum Mittagessen und ihr notgedrungener Einfallsreichtum bei Spielzeug, wie z.B. Puppen aus Besenstielen, von dramatischen Zeiten, wenn Väter von Kindern nicht mehr heim kehrten, oder sie selbst mit den Kindern gemeinsam angsterfüllt unter Planen des Roten Kreuzes lag, während alliierte Bomber über Leibnitz hinweg flogen. Sie erzählt lachend von ihrem „Schmee“, wie sie Streitsituationen unter den Kindern schlichtete, von den vielen Ausflügen in die Natur und der Betrachtung von Insekten. Obwohl ihr nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst das Ausüben ihres Berufes untersagt wurde, verlor sie die Freude an ihrem Beruf nicht und wiederholte ihre Ausbildung. Danach 52 | S e i t e


war sie nicht nur im Kindergarten, sondern auch in der Katholischen Jungschar tätig. In der Jungschar gab sie an ihre Sprösslinge ihre Erlebnisse und Geschichten weiter und machte, unter anderem, auch Ausflüge zu Originalschauplätzen ihres Lebens.

Mir persönlich ist es wichtig, anzumerken, dass Frau Kühar vielen Kindern durch ihre aufopfernde und unermüdliche Liebe zum kindlichen Wesen viel Gutes tat, und in einigen Situationen in einer Zeit, in der man auf geringsten Verdacht hin vom Staatsapparat von der Straße weg schon verhaftet hätte werden können, lebensgefährliche Zivilcourage, Unerschrockenheit und Mut bewies. Dafür gebührt ihr mein größter Respekt.

8. ABSCHLIESSENDE BETRACHTUNG „(...) Wie verhindert man, daß Menschen wieder in eine Situation kommen, in der sie ihre Urteilskraft völlig verlieren und ebenso total ihre moralischen Skrupel? (...) Immer wieder die ungeschminkte Wahrheit berichten, und vor allem, junge Menschen warnen.“ (Horsky, Monika: Man muß darüber reden, Ephelant Verlag, 1988, Ella Lingens, S. 97)

Diese Arbeit gibt nur einen kleinen Einblick in eine Thematik, die, zur Gänze behandelt, den Rahmen

einer

Diplomarbeit

in

Didaktik

bei

weitem

sprengen

würde.

Um zu verstehen, welche Intentionen das nationalsozialistische Regime bezüglich Erziehung (im Kindergarten) damals hatte, muss man sich einerseits die Theorie Hitlers zur Erziehung und andererseits die Praxis von Haarer zu Gemüte führen. Hitler verlangte eine Erziehung, die aus den Kindern regimetreue Bürger und Bürgerinnen formen sollte, zudem eine Erziehung, die Buben zu braven Soldaten, den Trägern und Beschützern des Reiches, bilden sollte. Haarer verlangte nationalsozialistische Erziehung von Anfang an und ging davon aus, dass man einen „typischen“ willensstarken und resistenten deutschen Mann sowie eine jenem und dem Regime brav ergebene deutsche Frau nur dann erreichen konnte, indem man den Kontakt zur Mutter eines Babys gleich nach der Geburt so selten wie möglich gestaltete. Das Kind sollte durch diese Einsamkeit lernen, selbst, auf 53 | S e i t e


eigenem Weg, „Groß“ zu werden, denn zuviel Mutterliebe sowie Nähe würde dem nationalsozialistischen Geist im Kind nur schaden. Um die nationalsozialistischen Aspekte der Erziehung umsetzen zu können, wurde die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt gegründet. In Kindergärten wurden religiöse durch nationalsozialistische Feste ersetzt. Auch nahm der Zweite Weltkrieg großen Einfluß auf den Kindergarten, vor allem auf das Medienangebot (Kriegsspielzeug) und den Alltag (Aufsuchen von Luftschutzbunkern bei Fliegeralarm). Die Bildungsarbeit einer Kindergartenpädagogin während der Zeit des Nationalsozialismus wird nur dann ersichtlich, wenn man weiß, wie die Schwerpunkte der Erziehung vor und nach Hitlerdeutschland lauteten. Um 1907, also sogar vor der Zeit des Ersten Weltkrieges, lagen die Schwerpunkte der Kindeserziehung vor allem bei Religiösität und Liebe, so konnten Kinder nur dann gut „heranwachsen“, wenn sie ein Umfeld tiefer Religiösität sowie aufopfernder Liebe von Seiten der Pädagogin hatten. Schon damals verweist man zudem auf die Wichtigkeit von sinnesfördernden Angeboten, wie zum Beispiel in den Bereichen Bewegung und der Auge – Hand Koordination. Wie schon genannt, gilt Liebe als Grundvoraussetzung für eine gut arbeitende Pädagogin. Zudem unterstand jene vielen verschiedenen Bedingungen, denen sie sich in ihrer elementaren Arbeit fügen musste, wie zum Beispiel die richtige Kleidungswahl oder das Behalten einer neutralen Position bei Streiterein zwischen den Kindern. Die Festkultur in Kindergärten veränderte sich nach der Machtübernahme vollständig. Nationalsozialismus verdrängte Religion, so wurde das Erntedankfest beispielsweise zu einem Staatsfeiertag, an dem man die Bedeutung der bäuerlichen Kultur besonders hervorhob. Weihnachten wurde zum Lichterfest, das Christkind durch das Sonnenkind ersetzt. Im Kindergarten wurden Kriegsspiele gespielt und mit den Kindern für das WHW gebastelt. Zum Kriegsende hin spitzte sich die Situation auch in Kindergärten zu, viele, wie jener von Fr. Kühar, wurden geschlossen. Am 8. Mai 1945 kapitulierten schließlich die letzten deutschen Truppen, der Zweite Weltkrieg fand, zumindest in Europa, ein Ende. Das Nationalsozialistische Regime hörte auf, zu existieren, sämtliche Organisationen wurden aufgelöst und verboten. Es gab nun keine NSV mehr, demnach brach das Kindergartenwesen weitgehend zusammen. 54 | S e i t e


Trotzdem existierten einige Kindergarten, in denen pädagogische Arbeit geleistet wurde. Sie fungierten als Aufenthaltsort für Kinder, dort erhielten sie (ein wenig) Nahrung und waren mit Spielen beschäftigt. Schon fünf Jahre nach Kriegsende wurde das österreicherische Kindergartenwesen forciert und gefestigt, die Errichtungen von Kindergarten boomten. Auf zahlreichen Konferenzen und Treffen wurde Altes überarbeitet und neue Regeln, Bestimmungen und Gesetze klar ausgelegt. Nationalsozialistische Elemente wurden aus den Kindergärten entfernt, Hitlerbilder abgehängt, Bücher und sonstiges „braunes“ Material verschwand aus Räumen, wo sie früher Teil einer propagandagerechten Umgebung waren. Von der NSV ausgebildete Pädagoginnen verloren ihren Beruf und mussten nachlernen, um wieder einsteigen zu können. Es gab keine Gauleitungen mehr, man musste nicht mehr für die Kriegsopferversorgung sammeln. Das Sonnenkind ging für immer, das Christkind nahm wieder seinen „rechtmäßigen“ Platz ein, man betete zu Gott vor dem Mittagessen, nicht mehr zum Führer. Am 20. April jedes Jahres wurde nicht mehr gefeiert, fanden kein Fest mehr statt, man schwenkte keine Hakenkreuzfähnchen mehr. Schwarze Pädagogik, wie sie in den vom Regime unterstützten Büchern von Haarer vorkam, wurde durch zeitgerechte, neu verfasste pädagogisch sowie didaktisch wertvolle Gedanken ersetzt. Trotzdem wäre es nicht richtig, zu meinen, dass der Nationalsozialismus endgültig aus dem Kindergarten- und Erziehungswesen verschwand, denn es gab und gibt Relikte der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Erziehung und in Kindergärten in Österreich. Die Existenz von neuaufgelegten Büchern von Johanna Haarer in vielen Familien (und sicherlich auch Kindergärten) zeigt, wie man mit eindeutig nationalsozialistischen Gesinnungsgut nach dem Zweiten Weltkrieg umging – man strich einfach die nationalsozialistischen Passagen in den Büchern, um sie weiterhin als Erziehungsratgeber verkaufen zu können. Doch nicht nur Bücher „blieben“, sondern auch Tätigkeiten, wie beispielsweise das Sammeln von Kastanien für Wildtiere, wurden, ehemals durch Befehl des WHW, bis in die 70er Jahre hinein in Graz praktiziert. Auch in jüngerer Zeit geschehen in manchen Kindergärten Dinge, die man einer kritischeren Betrachtung hinsichtlich eines „braunen“ geschichtlichen Hintergrundes unterziehen könnte: 55 | S e i t e


Das Julfest, welches auch schon in einem vorangegangenen Punkt Nennung findet, ist ein Fest, welches auf eine lange, vorchristliche Feiertradition ohne jeglichen ideologischen oder politischen Hintergrund zurück blickt. Man feierte die wiedergeborene Sonne und das Längerwerden der Tage, somit auch das Ende des Winters, verbrannte größere Holzhaufen und freute sich allgemein auf den Beginn des Frühlings. Doch erst durch den Nationalsozialismus fand dieses Fest den Weg in Kindergärten in Österreich und Deutschland, wo nun religiöse Feste und Brauchtümer verboten wurden. Das Julfest wurde anstatt des christlichen Weihnachtsfestes gefeiert, es wurde zu einem der wichtigsten Termine im nationalsozialistischen Jahresfestkalender . Auch heute noch finden wir Spuren vom sogenannten „Julfest“ in vielen österreicherischen Kindergärten. Es trägt u.a. den Titel „Frühlingsfest“, man feiert mit den Kindern gemeinsam das Ende des Winters, die Rückkehr der Sonne und verbrennt feierlich einen Schneemann aus Papier sowie Winterkronen, die die Kinder zuvor gebastelt haben (vgl. Abb. 7). Es werden Lieder über die Sonne gesungen sowie dem Dahinscheiden des Winters.

Abbildung 7

Verbrennen eines Schneemanns während eines Frühlingfestes (Privat, 2010)

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Es ist anzunehmen, dass die KindergartenpädagogInnen, die solche und ähnliche Feste, die ursprünglich nationalsozialistischer Gesinnung entsprechen, ohne Wissen auf jegliche Verbindung zu eben jener Gesinnung mit den Kindern feiern. Die Arbeit von KindergartenpädagogInnen, die, „besonders traditionsbewusst“ und brauchtumsgemäß, gemeinsam mit den Kindern alte Lieder aus dem Volksgut singen, sei auch mit Vorsicht zu genießen, denn nur umfassende und genaue Quellenrecherchen verhindern, dass sich in das traditionelle Spektrum an Liedern solche hinein schleichen, die in der Nazizeit erst entstanden und vorgeben, von jeglicher nationalsozialistischer Ästethik frei zu sein.

Mir persönlich ist es wichtig, nochmals das Alltagsleben der Kinder in den Kindergärten zu erwähnen. Den Kindern wurden Märchen vom Führer erzählt, sie sahen sich Bücher mit nationalsozialistischen Symbolen an und spielten Kriegsspiele, da sie für den realen, echten Krieg noch zu jung waren. Sie grüßten mit „Heil Hitler“, stellten Spielzeug für die NSKOV her, sie ließen ihre Freizeit durch Jungvolk und Jungmädel gestalten. Sie waren, trotz ihres jungen Alters, schon Teil des NS – Regimes, sie erlebten ständig nationalsozialistischen Alltag, lernten den richtigen Gebrauch von Gasmasken, gingen mit dem Kindergartenpersonal bei Fliegeralarm in den Luftschutzbunker. Kinder wurden nicht in ihrem Kind – Sein und Weltfindungsprozess begleitet, sondern zu Trägern des Deutschen Reiches erzogen. Sie lernten von einem menschenverachtenden, mordenden und unterdrückenden Regime, wie sie zu leben hätten und was ihre Aufgaben im Leben wären. Meiner Meinung nach zählen nicht nur die Millionen an Toten verschiedener Religion, politischer Überzeugung sowie Angehörigkeit einer Minderheit in Konzentrationslagern , die Millionen an Toten aller beteiligten Nationalitäten auf Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges und die Gefolterten, Verstümmelten und seelisch Gebrochenen zu den Opfern der nationalsozialistischen Weltanschauung , sondern auch alljene Kinder, die in der Zeit des Nationalsozialismus im Kindergarten waren. Sie wurden auf die ideologische Ausbildung 57 | S e i t e


vorbereitet und gedrillt. Man bemächtigte sich ihrer Kindheit, um den Fortbestand des „Tausendjährigen Reiches“ zu sichern, und stahl ihnen auf diese Art und Weise eine für die kindliche Entwicklung immens wichtige Zeit. Eine weitere Problematik besteht für mich darin, dass einer ganze Generation mittels der nationalsozialistischen Gleichschaltung ein menschenverachtendes, rassistisches und kriegsverherrlichendes Weltbild oktroyiert wurde, ein Weltbild, von dessen Einfluss und Gedankengut sich viele auch nach Ende des Nationalsozialismus nicht lösen konnten.

Es ist meines Erachtens wichtig, diese kindliche Alltagsrealität im Nationalsozialismus wissenschaftlich noch mehr zu untersuchen und aufzubereiten. Denn nur das Wissen und Bewusstsein darüber, wie sehr Kindern in jener Zeit Schaden – von Bindungsunfähigkeit bis hin zu Entwicklungsstörungen – zugefügt wurde, gewährleistet einen umsichtigen, ideologie– und politikfreien Umgang mit Kindern in elementaren Bildungseinrichtungen.

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9. LITERATUR – UND ABBILDUNGSVERZEICHNIS 9.1. BÜCHER Fischer, A.S.: Der Kindergarten, Theoretisch-praktisches Handbuch, 1907 Grün, Max von der: Wie war das eigentlich – Kindheit und Jugend im Dritten Reich, Luchterhand Verlag, 1979 Haarer, Johanna: Unsere kleinen Kinder, J.F. Lehmanns Verlag, 1942 Haarer, Johanna: Unsere kleinen Kinder, Gerber Verlag, 1976 Hammerer, Franz: Maria Montessoris pädagogisches Konzept – Anfänge der MontessoriPädagogik in Österreich, Jugend und Volk, 1997 Heinemann, Manfred: Erziehung und Schulung im Dritten Reich 1, Klett-Cotta, 1980 Hitler, Adolf: Mein Kampf, Eher – Verlag, 1938 Horsky, Monika: Man muß darüber reden, Ephelant Verlag, 1988 Kamitz, Bertold: Das Jahr des Kindes, Verlag für Jugend und Volk, 1952 Kempny, Magdalena: Erziehung im Nationalsozialismus, Grin Verlag für Akademische Texte, 2006 Mad, Friedrich: Katholische Lehrer – und Erzieherideale, 1927 Mann, Erika: Zehn Millionen Kinder – Die Erziehung der Jugend im Dritten Reich, Rowohlt Verlag, 2007 Niegl, Agnes: Gegenwartsfragen der Kindergartenerziehung, Öster. Bundesverlag Wien, 1950 Vorländer, Herwart: Die NSV - Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation, Harald Bold Verlag, 1988

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9.2. ZEITSCHRIFTEN, ZEITUNGEN UND FACHMAGAZINE Das Deutsche Lied – Heft 6; Kinderlieder; Hrsg.: WHW, 1942 / 1943 NS – Frauenschaft, Gau Steiermark: Arbeitsanweisungen; Weihnachten, 1943 NS – Frauenschaft, Gau Steiermark: Arbeitsanweisungen; September – Oktober, 1941 Parteiamtliches Organ des Gaues Steiermark der NSDAP: Tagespost des 22. 0ktober 1939 Unsere Kinder – Fachzeitschrift für Kindergärten, Horte und Heime, 1953

9.3. FACHARTIKEL Unsere Kinder: Johanna Haarer: Ein Beispiel der Erziehungsvergessenheit S. 12 – 15, 2009

9.4. INTERNETQUELLEN http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikeldruck.asp?id=24708 (Stand 19. Dezember 2010) http://www.verwaltung.bayern.de/Anlage1928045/GeschichtedesKindergartensinBayern.pd f

(Stand 12.Februar 2011)

http://www.lsg.musin.de/geschichte/Material/Quellen/regeln_aus_dem_w %C3%BCrfelspiel.htm

(Stand 26.

Februar 2011) http://www.hans-dieter-arntz.de/advent_und_weihnachten_im_nationalsozialismus02.html (Stand 26. Februar 2011)

9.5. SONSTIGE QUELLEN 60 | S e i t e


Orginalnotizen von Maria Rumpel, 1986, Zell an der Pram; Vortrag von Fr. Dr. Niegl „Entwicklung des Kindergartenwesens nach dem 2. Weltkrieg“

9.6. ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: JM – Führerin als Kindergartentante – Zu Besuch im großen Reich der „kleinen Leute“; aus der Tagespost des 22. Oktobers 1939; Parteiamtliches Organ des Gaues Steiermark der NSDAP, S. 7 Abbildung 2: Der Führer in den Bergen, Wilhelm Brüdner, Hrsg.: WHW; S. 22 & 23, Erscheinungsdatum unbekannt Abbildung 3: Der Kindergarten, Theoretisch-praktisches Handbuch; A.S. Fischer, 1907, S. 113 Abbildung 4: Gegenwartsfragen der Kindergartenerziehung, Ö. Bundesverlag Wien, Niegl; 1950, S. 330 Abbildung 5: Sonderdokumentation Nr. 2 des Verlags für geschichtliche Dokumentation, Hamburg o.J., S. 44 Abbildung 6: Sonderdokumentation Nr. 2 des Verlags für geschichtliche Dokumentation, Hamburg o.J., S.42 Abbildung 7: Das Deutsche Lied – Heft 6; Kinderlieder; Hrsg.: WHW, 1942 / 1943, Cover Abbildung 8: Privat, 2010

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10. ANHANG 10.1. FACHARTIKEL Unsere Kinder: Johanna Haarer: Ein Beispiel der Erziehungsvergessenheit S. 12 – 15, 2009 ___________________________________________________________________________

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10.2. INTERVIEWLEITFADEN FÜR DAMALIGE KINDER IM KINDERGARTEN Angaben zur Person Ort, Datum: Name der Interviewpartnerin / des Interviewpartners: Kurze Biographie:

Fragestellungen Kind im Kindergarten Könnten Sie mir einen kurzen Überblick über Ihr Leben, insbesondere über Ihren „Lebensabschnitt“ zur Zeit des Nationalsozialismus in Österreich, geben? Wie erlebten Sie damals den Ablauf in Ihrem Kindergarten? Gab es alltägliche Rituale, die Sie durchführen mussten? Gefiel Ihnen alles im Kindergarten? Nutzten Sie das Spielzeugangebot? Wie erlebten Sie Ihre Pädagogin? Machten Sie Ausflüge? Was erzählte Ihnen die Pädagogin? Welche Bilderbücher sahen Sie sich gemeinsam an? Erlebten Sie konkret Ideologie im Kindergarten? Wenn ja, inwiefern äußerte sich jene? Welche besonderen Feste feierten Sie im Kindergarten, welche es vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten respektive in dieser Form noch nicht gab? Wie wurde Ihnen Adolf Hitler vermittelt? Wie sahen Sie ihn damals? Wie erlebten Sie die damalige Kriegssituation? Erlebten Sie beispielsweise einen Luftangriff? Wie gingen Sie mit Ihren SpielkameradInnen um? Wie wurden Sie in Ihrem Tun, Denken und Handeln gefördert? Besuchten Sie nach Kriegsende und dem Fall von Hitlerdeutschland weiterhin den Kindergarten? Wenn ja, was veränderte sich? Welche Situation ist Ihnen als damaliges Kindergartenkind noch besonders in Erinnerung geblieben? 68 | S e i t e


10.3. INTERVIEWLEITFADEN FÜR DAMALIGE KINDERGARTENPÄDAGOGINNEN Angaben zur Person Ort, Datum: Name der Interviewpartnerin / des Interviewpartners: Kurze Biographie:

Fragestellungen Kindergartenpädagogin Könnten Sie mir einen kurzen Überblick über Ihr Leben, insbesondere über Ihren „Lebensabschnitt“ zur Zeit des Nationalsozialismus in Österreich, geben? In welchem Kindergarten arbeiteten Sie, wem waren Sie unterstellt, hatten Sie Kolleginnen? Wie sah ein Tagesablauf in Ihrem Kindergarten aus, gab es feststehende Rituale, Alltägliches? Wie gestaltete sich beispielsweise die Jausensituation, welche Spiele spielten Sie mit den Kindern? Welches Spielzeug verwendeten Sie in der Arbeit mit den Kindern? Wie lauteten Ihre persönlichen Gedanken zum damaligen Spielzeugangebot? Welche Bilderbücher sahen Sie sich mit Ihren Schützlingen an? Ist Ihnen eines noch besonders in Erinnerung? Wie „bestraften“ Sie Kinder, wenn sich jene unartig benahmen? Srachen Sie mit den Kindern über den Krieg oder eventuelle besondere Situationen (u.a. Luftangriffe, Verlust des Vaters)? Welche besonderen Feste feierten Sie mit den Kindern, welche es vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten respektive in dieser Form noch nicht gab? Was taten Sie speziell zum Geburtstag von Adolf Hitler? Welches Ereignis ist Ihnen in Ihrer Tätigkeit damals als Pädagogin noch besonders in Erinnerung? 69 | S e i t e


10.4. TRANSKRIBIERTE INTERVIEWS Interview 1, Maria Rumpel Datum: 27. 11. 2011 Start: 10:12 Uhr, Ende: 10:47 Uhr Interviewort: Deutschfeistritz, Marktcafé A:

Fr. Rumpel, sie waren als Kind, obwohl schon etwas älter, im Kindergarten. Wie sah jener denn aus?

B:

Also der Kindergarten, der war ganz nach Fröbel. Genauer nachlesen können Sie das im Buch „Der Kindergarten“ nach Alois Fischer. Die Gundi, also die Fr. Traby, sollte das Buch haben, da ich meine Bücher alle verschenkt habe. Also ganz klassisch nach diesem Buch ist vorgegangen worden, ich weiß nicht, ob Sie interessiert wie das genau ausgesehen hat? Ja? Also, wir hatten verkleinerte Schulbänke, die in diesem Buch auch genau beschrieben sind, und da sind wir zu zweit nebeneinander gesessen. Das Freisspiel war nicht so frei wie es später geworden ist, sondern die Fröbelgaben wurden von der Schwester Melidina so gehandhabt, wie es in dem Fröbelbuch steht und so wie Fröbel es teilweise auch empfohlen hat. Was also in Österreich nicht gemacht wurde war dass Fröbel in seinen Kindergärten schon Tische mit Sesseln hatte, und in Österreich hat man das dann abgeschafft. Warum? In Österreich war man sehr autoritär orientiert, Kirche, Kaiser und so weiter, und da hat man alles nach vorne ausgerichtet, zum Lehrer hin, weil man gesagt hat, das kanns doch nicht geben, dass die Kindergärtnerin da was sagt und die Kinder sitzen mit dem Rücken zu ihr, nicht. Und, i weiß net ob Sie bekannt geworden sind mit den Fröbel Baukästen?

A:

Ja, das haben wir im Unterricht bereits besprochen.

B:

Also da hat die Schwester einen Baukasten dieser Größe gehabt (Anm.: Sie legt die ungefähre Größe mit ihren Händen dar) und hat ihn am Tisch vorgebaut, und wir Kinder hatten auch jedes so einen kleineren Baukasten, und haben das nachgebaut, was die Schwester vorne vorgebaut hat, was aber eigentlich nicht dem, was Fröbel gewollt hat, entsprochen hat, denn der hat gesagt, dass die Kinder damit frei spielen 70 | S e i t e


sollen und wenn die Kindergärtnerin merkt, dass das Kind reif ist für eine nächste Form, ja, dann soll sie eine Hilfestellung geben. Aber unsere Schwester hat das ganz genau vorgebaut. Und das, was mich dann, wie ich schon als Schulkind wieder im Kindergarten war, so gewundert hat, war, dass sämtliche Fröbel Baukasterl, das alles in eine große Kiste geschüttet war und man frei damit bauen konnte. Also das hab ich mir gemerkt, weil das ist mir so

in Erinnerung geblieben, hat mich eben so

verwundert. A:

Haben sie miterlebt, wie die Kinder abgeholt worden sind oder sind die Kinder eigenständig nach Hause gegangen?

B:

Wir sind selber nach Hause gegangen, alle Kinder. Bittschen, die Dreijährigen - wir waren ja von drei bis zum Schuleintritt beisammen - ob die Dreijährigen, wenn die Mutter den Eindruck hatte, njo, des Kind kann man noch nicht alleine gehen lassen, obs dann geholt wurde weiß ich nicht. Ich weiß nur von mir etwas, eigentlich peinlich. Ich war drei Jahre alt, und meine Mutter, die ist arbeiten gegangen, auch, um ein bisschen dazu zu verdienen, die hat mich nicht abholen können. Aber der Nachbarbub, der war ein bisschen jünger als ich, der hat mich an der Hand - ich war ja sehr scheu als Kind, hab auch sehr schnell geweint und so - der hat mich an der Hand genommen und nach Hause geleitet. Da Woisl, da Pepi ihr Bruder, der gstorbn is. Und dann war noch etwas - zu der der Zeit, deswegen hab ich mich auch so gefürchtet, wurde in Ybbsitz die Wasserleitung gegraben, und man konnte auf der Straße nicht gut gehen, musste furchtbar aufpassen, dass man nicht hineinfiel, das hab ich mir gemerkt. Ich bin auch mit drei Jahren nicht abgeholt worden, sondern mit dem Nachbarbub, der Loisl, der war sehr mutig, ja, der hat mich an der Hand genommen und hat mich heimgeführt (lacht). Also, jedenfalls war das Abholen nicht verpflichtend, es war ja auch dann, nach dem Krieg, wie ich schon Kindergärtnerin war, noch nicht verpflichtend, dass die Eltern die Kinder abholten, da mussten sie unterschreiben, dass das Kind alleine heim gehen darf, und das wurde dann geändert, oder man ist draufgekommen, dass das ja eher nicht in Ordnung ist, weil immer derjenige zur Verantwortung gezogen wird, wenn dem Kind was passiert, der das Kind der Gefahr übergeben hat. Also vom Weg, von Zuhause zum Kindergarten die Eltern, und vom Kindergarten nach Hause die Kindergärtnerin. Und da mussten 71 | S e i t e


eben dann die Eltern selber kommen oder ein ein Kind über 14 Jahre, das durfte auch. A:

Haben sie auch Situationen miterlebt, wo ihre Pädagogin die Kinder bestraft hat, wenn sie sich beispielsweise unartig benommen haben, oder „schlimm“ waren?

B:

Ja, den Mund zugebunden.

A:

Den Mund zugebunden?

B:

Ja, dann wurde man gleich auf den Tisch gesetzt (lacht), da fällt mir eine Geschichte ein, die werd ich gleich erzählen.Bei uns, da wars so: Da war der Tisch der Schwester, dann war da ein kleines Winkerl, und da ist das Harmonium gestanden. Die ganz bösen Kinder sind gleich einmal eins und eins da in dieses Winkerl gekommen und haben die Wand anschauen müssen. Und des schlimmste Kind in jener Zeit war die Hermine, und die hat sich mal umgedreht und hat ganz böse gschaut und hat gsagt „Schwester Gerdi ghert durchghaut!“ (lacht), das merkt man sich!

A:

Haben sie auch Ausflüge unternommen, am Nachmittag dann?

B:

Nein... Wir haben einen Garten gehabt zum Spielen und wir sind viel Spazieren gegangen. Es war bei uns wunderschön , weil ganz in der Nähe gabs einen Wald. Straßen queren war bei uns kein Problem, da es ja keine Autos gegeben hat, und da sind wir in den Parkwald gegangen, ein Buchenwald, oder wir sind in den Wagnerwald gegangen, auch ein Buchenwald. Es war sehr schön, aber sozusagen Ausflüge, wie sie jetzt gemacht werden, Tagesausflüge oder so, haben wir nicht gemacht.

A:

Gibt es ein Erlebnis, welches ihnen aus ihrer Zeit im Kindergarten besonders in Erinnerung geblieben ist? Ein besonders schönes Erlebnis, oder ein eher trauriges Erlebnis?

B:

Naja... Ich war ein sehr weinerliches Kind, aber ich bin sehr gern in den Kindergarten gegangen. Was für mich traurig war - also bei der Fröbelmethode, da gabs so Flechtblätter. Eins rauf, eins ab, oder zwei rauf und eins ab und so, das hab ich können. Aber ein Fischgrätenmuster, das habe ich nicht zusammengebracht. Und 72 | S e i t e


wenn das Jahr aus war haben wir eine Mappe mit unseren Basteleien mit nach Hause bekommen, und ich hab mir schon gedacht – oje, bei mir wird nicht alles drinnen sein, aber ja, es war alles drinnen, weil die Helferin das, was gefehlt hat, selber nachgemacht hat (lacht). Aber ich kann mich noch an mein schlechtes Gewissen erinnern, dass nicht alles da sein wird. A:

Wie war es eigentlich mit der Essenssituation, hat jeder und jede seine und ihre Jause selbst mitnehmen müssen?

B:

Ja, jeder hat seine Jause selbst mitnehmen müssen. Naja. Ein freudiges Ereignis, ja? Wir hatten in Ybbsitz einen Arzt, der Doktor Meier, das war ein Kinderfreund und der hat um die Jahrhundertwende, oder so, den Kindergarten gegründet, hat ihn auch gesponsert. Der Kindergarten war zuerst ein Klosterkindergarten, also privat. In Niederösterreich sind die Klosterkindergarten aber übernommen worden, dann ists ein Landeskindergarten geworden. Und während der Zeit, wo ich Kindergarten Kind war, vor 1938, ist der Meier gestorben.Der Kindergarten ist dann eingeladen gewesen, auf eine Jause. Und ich kann mich noch erinnern an die Würstel, an den Kaffee und an den Kuchen (lacht). Des war das freudigste Erlebnis, sehr makaber, aber der Meier hat einen Bart gehabt, und vor Männer mit Bart habe ich mich ja gefürchtet. Aber es gibt in Ybbsitz einen Dr. Meier - Park, und er hat auch eine Chronik geschrieben, die noch immer ganz großartig ist. Jedenfalls ist er Ehrenbürger von Ybbsitz und hat den Kindergarten sozusagen gegründet und gesponsert, und mein tollstes Erlebnis war der Leichenschmaus (lacht). Etwas möchte ich noch sagen. Wir sind ja mit ganz Österreich mit den Inspektorinnen zusammen gekommen, beziehungsweise auch mit Didaktiklehrerinnen, und die Kärnter Didaktiklehrerin war die Fr. Wurst. Ich hab mit ihr darüber gesprochen, wie bei uns vor dem Krieg der Kindergarten war und wies dann weiter gegangen ist und so. Da habe ich festgestellt dass in Kärnten zum Beispiel diese Fröbelmethode zu der Zeit schon sehr, sehr viel mehr ausgerichtet war nach Montessori als bei uns. Bei uns oben is Montessori erst aktuell geworden, da war ich in der Bildungsanstalt, von 1950 bis 1952, also, wie gesagt, was ich gesagt habe bisher, gilt für Niederösterreich. Aber in anderen Bundesländern wars vielleicht ein bisserl anders. 73 | S e i t e


A:

Sie meinen, dass die Entwicklung der Kindergärten bezüglich der Lehrmethoden österreichweit sehr vaariert hat?

B:

Ja, ja, obwohl wir vom Bundesministerium für Unterricht nach 1945 oder ab 1946 dann gemeinsame Fortbildungen waren oder Expertenkonferenzen, wo man immer versucht hat, einander auszutauschen. Was wollt ich noch sagen... . Aja. Im Jahr 1962 ist das Kindergartenwesen dezentralisiert worden, dass heißt, früher war der Kindergarten ein Anhängsel des Volksschulgesetzes. Die Länder wollten aber haben dass, wenn sie schon alles zahlen müssen, sie selber bestimmen wollen. Und seither ist also Ausbildung und Anstellungserfordernis nach wie vor beim Bund, und die üblichen Gesetze, Kindergartengesetz und Bauordnung, des haben die Länder gemacht. Und seither ist es natürlich ein bisschen unterschiedlich gelaufen. Niederösterreich ist ja das einzige Bundesland, dass landesweit Kindergarten hat, das heißt dass das Land Dienstgeber der Kindergärtnerin ist. Wien ist da eher vergleichbar. In der Steiermark sind da überall Gemeindekindergärten und öffentliche Kindergärten. In Niederösterreich teilen sich die öffentlichen Kindergärten in Landeskindergärten, auch ein oder zwei Gemeindekindergärten hats zu meiner Zeit, wie ich noch Inspektorin war, gegeben, und eben Privatkindergärten. Und die Privaten sind wiederum Kirchliche oder von Fabriken oder Krankenhäuser oder so.

A:

Weil sie es jetzt gerade ansprechen – haben sie im Kindergarten religiöse Erziehung erfahren?

B:

Steht in Niederösterreich noch immer im Gesetz. Steiermark auch.

A:

Wie haben sie jenen miterlebt?

B:

Wie man das gemacht hat? Naja, da muss ich jetzt mal von mir sprechen. Ich habe in der BAKIP an und für sich selber erlebt wie die Schwestern religiöse Erziehung gemacht haben. Ja, vielleicht muss ich zurück greifen, wie ich als Kind religiöse Erziehung in Ybbsitz erlebt habe. Jeden Freitag kam der Pater Franz, hat sich vor uns hingesetzt mit seinem Talar und hat uns vom Herrn Jesu erzählt. Und ich hab immer den Eindruck gehabt, wenn ich in der Kirche war und das Evangelium gehört habe, 74 | S e i t e


dass weiß ich ja eh schon. Das war also meine erste religiöse Erziehung, die ich selber, also im Kindergarten, erlebt habe. Dann eben die Schwestern, da habe ich es ebenso erlebt, da ist auch der Herr Spiritual in den Kindergarten gekommen und hat den Kindern von Jesus erzählt. Nachdem ich Kindergärtnerin geworden bin, hat es dann schon

Literatur

gegeben,

von

Hilde

Laible

und

Elisabeth

Würt.

Diese Bücher habe ich durchgearbeitet und danach habe ich versucht im Kindergarten über Jesu zu sprechen, also weniger vom Alten Testament, eher vom Neuen Testament, sodass Jesus ein Freund war. Da kann ich einige Anekdoten erzählen, aber das würde zu weit führen (lacht)

.

Als Inspektorin dann habe ich festgestellt, dass sowohl die ländlichen Kindergärten als auch die Ordensfrauen religiöse Erziehung machen. Was mich gestört hat in den kirchlichen Kindergärten war ein ziemlich großes Kreuz mit einem erschreckenden Korpus, und eine Efeuranke, die schon verstaubt war, darüber. Ich hab das eigentlich anders

gemacht,

ich

hab

durch

das

Kirchenjahr

von

einem

religiösen

Kindergartenkalender geführt. Monatlich hats da ein Kalenderbild gegeben in A4 Größe,

und

das

habe

ich

in

einen

Wechselrahmen

gegeben.

Ich habe vermieden, ein Kreuz mit Korpus vorne zu haben. Das hat seinen Grund, weil ganz am Anfang, da hatte ich zu Allerheiligen in den Friedhof gegangen mit den Kindern, und da war im Mittelgang ein sehr großes Kreuz mit einem leidenden Christus. Die Kinder sind erschrocken, und ich selber bin auch sehr erschrocken, ja um Gottes willen, aber ich hab den Friedhof selber auch nicht so gut gekannt, weil bei uns in Ybbsitz wäre das nicht gewesen. Ich hab gesehen, wie die Kinder erschrecken, und habe von da an vermieden, einen Korpus zu haben. Das Kreuz an und für sich war vorgeschrieben, und meine religiöse Ecke war eben mit diesem Bild und Kinderbüchern, die dann schon gekommen sind, geschmückt. A:

Haben sie im Kindergarten bestimmte Rituale oder bestimmte Feste miterlebt, die durch den Nationalsozialismus eingeführt worden sind?

B:

Naja ich... die im Kindergarten, die Feste, habe ich nicht miterlebt, aber zuvor haben wir immer zu Weihnachten Theater gespielt im Kindergarten und vor Schulschluss. Wir hatten auch eine Bühne, die wurde dann aufgebaut, und wir waren über 50, 60 75 | S e i t e


Kinder in der Gruppe, und des waren zwei Räume, ein Gruppenraum und ein ein Bewegungsraum, des war ein riesengroßes Vorhaus und das hat sich gut geeignet. Wir hatten eben die Schwester Melidina, des war die Kindergärtnerin, und eine Helferin war da, nur wurde die Helferin nicht eingesetzt wenn die Kinder gespielt haben, so wie man das heute macht, man gibt ja irgendwelche Ratschläge und sie hilft bei den Kindern mit, sondern – i kann mi no gut erinnern, die ist dort gesessen und hat gestrickt, und wenn ein Kind aufs Klo gehen musste, ist sie brav mit ihm hinaus gegangen (lacht). Und wenn der Kindergarten aus war, hat sie aufgeräumt, und zweimal in der Woche ist die Fr. Zäuner oder Zeiler gekommen, und hat geputzt. Ja, was is also dann noch gewesen, ja die Feste zur NS - Zeit hab ich dann also im Kindergarten nicht miterlebt, i war eben nur am Nachmittag anwesend. A:

Da waren die Feste wohl nur am Vormittag?

B:

Ja, etwas ist dann, hat sich noch geändert, wir haben im Kindergarten geschlafen, jeden Tag, so (Anm.: Sie legt ihren Kopf auf die Hände und zeigt es vor).

A:

Aha, also am Tisch direkt, mit dem Kopf auf den Händen?

B:

Ja, am Tisch. Und wie dann die Nazizeit war hat es so Matten gegeben, Betterl, mit einem Polsterl und ner Decke zum zudecken.

A:

Da hat sich, sozusagen, das Schlafverhalten der Kinder zu Mittag verändert?

B:

Das hat sich verändert, ja.

A:

Und haben sie sich darüber Gedanken gemacht?

B:

Naja, i weiß eigentlich nicht... Es sind eben Methoden nach Österreich gekommen, die in Deutschland üblich waren. Es war es war damals (Anm.: vor der NS – Zeit) so, dass wir ja nur 28 Stunden Kindergarten hatten. Samstag Nachmittag und Mittwoch Nachtmittag war frei. Wie sich das andere aufgeteilt hat, das weiß ich jetzt eigentlich nimmer. Aber es waren nur 28 Stunden, und daher hat es vielleicht genügt wenn wir uns ein wenig beruhigt haben. Wie die Deutschen dann gekommen sind, hat der Kindergarten ja länger gedauert, da sind die Betriebszeiten geändert worden, aber fragen Sie mich nicht genau wie. 76 | S e i t e


A:

Zur Kriegssituation - haben sie die im Kindergarten erlebt oder war der Kindergarten dann sowieso geschlossen zu der Zeit? Haben sie mit der Pädagogin darüber gesprochen?

B:

Nein, wir sind ja in einer Gegend gewesen, wo, jo, hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen, sagen wir so. Und bei uns war zwar, da war ich dann schon in der Schule, Fliegeralarm, aber dass der Kindergarten geschlossen war, an das kann ich mich nicht erinnern.

A:

Wie der Krieg dann schon zu Ende ging und die Allierten einmaschiert sind, haben sie dann etwas prägendes miterlebt?

B:

Ja das weiß ich dann schon als Kindergärtnerin, weil das immer erzählt wurde. Es wurden die Möbel größtenteils von den Russen, die ja in den Räumen gewohnt haben, kaputt gemacht und von den Einheimischen nach Hause genommen. Und es hat dann immer wieder von den Kindergärtnerinnen Aufrufe gegeben, an die Eltern, sie mögen bitte die Möbel wieder zurück bringen. Und das ist zum Teil dann auch geschehen. Aber es war – siehst, da wär jetzt von der Fr. Dr. Niegl, die erzählt hat, wie der Wiederaufbau war, interessant zu erzählen. Es könnte sein, dass ich von der Sektionschefin Dr. Niegl, die vom Bundesministerium für Unterricht zuständig war für die Ausbildung und für die Fortbildung, ein Referat habe, dass sie einmal gehalten hat und diese Dinge alle erzählt hat, wies im Krieg war. Die hat im Jahr 1946 den Auftrag vom Ministerium gekriegt, das Kindergartenwesen wieder aufzubauen. Aber ich glaub, dass ich dieses Referat noch hab, irgendwo. Wenn Sie mir dann Ihre Adresse geben würden, ich schau und wenn ichs finde dann können Sies gerne haben. Weil da hab ich ziemlich genau mitgeschrieben, das war damals in Zell.

A:

Haben sie auch miterlebt, dass von Kindern die Väter an der Front gefallen sind? Haben sie eine diesbezügliche Situation miterlebt?

B:

Nein, weil ich ja nur im ersten Jahr, also bis 1939, im Kindergarten war, immer Nachmittags. Ich weiß dass ein Vater gefallen ist, aber da waren keine Kinder im Kindergarten, weil seine Zwillinge sind erst zur Welt gekommen als der Vater bereits gefallen war. Das war der erste Mann, der aus Ybbsitz gefallen war. Und der Zweite, 77 | S e i t e


des war ein Oberleutnant, ein Junger, der war noch nicht verheiratet. Nein, das habe ich nicht mitbekommen. A:

Ist im Gruppenraum ein Bild von Adolf Hitler gehangen oder waren sonstige nationalsozialistische Elemente zu bemerken?

B:

Hm. Das weiß ich nicht mehr. Ich weiß auch nicht, ob das Kreuz weg musste. Es war damals so. Es wurden ja die Schwestern sofort außer Dienst gestellt, und es sind natürlich viele Kindergärtnerinnen auf einmal gebraucht worden. Man hat dann so Schnellsiedekurse von Sechs Wochen abgehalten, und die hat man dann eingesetzt. Und i kann mi eigentlich nicht mehr erinnern ob da vom Führer die Rede gewesen wäre, in der Schule dann natürlich schon, aber im Kindergarten... Da kann ich mich nicht erinnern.

A:

Diese Schnellkurse, wo diese Pädagoginnen ausgebildet wurden, waren die von der NSV?

B:

Dürfte so sein, ja. Die Dorli war so eine, die hat dann nachlernen müssen, die waren ja dann, wie der Krieg aus war, waren diese Kindergärtnerinnen zum Teil im Dienst, die mussten dann nachlernen, nebenberuflich nachlernen und eine Prüfung ablegen.

A:

Das bedeutet, dass man nach der Zeit des Nationalsozialismus die Ausbildung jener Kindergartenpädagoginnen, die durch die NSV in diesen Schnellkursen ausgebildet wurden, nicht als vollwertig anerkannt hat?

B:

Nein, nein, das war zu schnell, nicht umfangreich. Man hat ja damals auch sozusagen Erntekindergärten aus dem Boden gestampft, und zu der Zeit, wo ich dann eben Kindergärtnerin geworden bin, das war 1952, dann hab ich noch 5 Jahre Heimdienst gemacht weil es keine Stellen gab, da die Schwestern alle wieder gekommen sind. Ich musste 5 Jahre warten, und dann war ich 3 Sommer lang im Erntekindergarten Reisenberg, südlich von Wien. Die sind dann der Reihe nach immer weniger geworden, nach mir ist dieser Kindergarten dann normaler Landeskindergarten geworden.

78 | S e i t e


A:

Sind diese, von dem nationalsozialistischen Regime aus dem Boden gestampften Erntekindergärten nach dem Ende von Hitlerdeutschland integriert oder zur Gänze geschlossen worden?

B:

Naja, sagen wir so. Wenn die Räume ausbaufähig waren, wurde das zu einem Landeskindergarten. Ansonsten hat man sie neu gebaut. Also da Reisenberger Kindergarten is dann neu gebaut worden.

A:

Waren sie Mitglied im BDM? Oder haben sie Kontakt zu jener Organisation gehabt?

B:

Da war ich zu jung. Ich war 1945 13 Jahre, da war ich nicht mehr BDM, weil des hat mit 14 angefangen, bis 19 war das.

A:

Soweit ich weiß hat es ja für die jungen Buben die „Pimpfe“ gegeben. Gab es für Mädchen auch so eine Organisation?

B:

Nein nein, da gabs die Jungmädchen. Da war ich. Musste man sogar!

A:

Können sie mir aus ihrer Tätigkeit als Jungmädchen etwas erzählen?

B:

Naja. Ich muss eins gestehn. Meine Nachbarin war acht Jahre älter wie ich, war eine geborene Pädagogin und wollte Lehrerin werden, konnte sie aber nicht weil das nicht leistbar war für ihre Eltern. Und die hat dann aus diesem pädagogischen Drang heraus die Jungmädchen übernommen. Ich hab sie sehr gerne gehabt. Und wir haben auch verschiedene Gruppen gebildet, eine Singgruppe, eine Bastelgruppe, eine Turngruppe, wo wir also auch speziell gefördert wurden. Ich war in diesen drei Gruppen eigentlich immer mit drinnen, für mich hat das einen Stock an Volksliedern und überhaupt viele Lieder gebracht, die ich dann später nutzen konnte. Wobei die Nazilieder, also die speziellen nationalsozialistischen Lieder nur ein kleiner Teil waren. In dieser Singgruppe haben wir also viele Lieder gesungen. Ich hab dann entdeckt dass ich von Natur aus eine Altstimme singen kann, und das war natürlich begeisternd für mich. In Turnen war ich sowieso die beste (lacht). Da hats immer ein Abzeichen gegeben, eine Siegernadel gegeben, und da musste man 150 Punkte haben um diese Siegernadel zu gewinnen und ich habe 251 Punkte erreicht (lacht). Naja, weil das nämlich gestaffelt war. Die Jungen haben für die gleiche Leistung eines größeren ein bisserl mehr Punkte bekommen, ja. Und gebastelt haben wir 79 | S e i t e


hauptsächlich im Herbst, und des war für das Winterhilfswerk, so hat das geheißen, die wurden dann verkauft, und man hat für die NSV dieses Geld dann zur Verfügung gestellt, die dann Gutes damit getan haben, angeblich. A:

Haben sie in dieser Jungmädchenschar ideologische Themen behandelt und vermittelt bekommen?

B:

Ja also der Füher war das Idol. Das schon. Es war so, dass in Ybbsitz am Sonntag - das hat Apell geheißen - wo also immer die Burschen und die Mädchen angetreten sind.

A:

Die Burschen von den Pimpfen?

B:

Ja, des is immer so gewesen, dass jeder in die Messe gehen konnte, dass also da diese unterschiedlichen Richtungen nicht so aufeinander geprallt sind. Wir waren immer vorher

in

der

Kirche,

mit

meinen

Eltern,

die

Nazigegner

waren.

I muss sagen i hab durch diese Jungmädchen eine schöne Kindheitszeit gehabt, weil das interessant war und lustig und überall hab ich gut mitgekonnt. Dadurch hab ich Selbstbewusstsein aufgebaut, und wie dann der Krieg zu Ende war, waren wir alle natürlich total am Boden zerstört. Ich weiß noch genau - in den Ferien zwischen dritter und vierter Klasse Hauptschule - da hab ich gedacht, jetzt muss ich nachdenken, was aus mir mal werden soll, nicht. Und dann bin ich zu dem Ergebnis gekommen, ich muss auf jeden Fall Lehrerin werden, denn die Menschen muss man erziehen, aber nicht so wie bisher, und ich war dann offen dafür, wies eigentlich wesentlich und sinnvoll ist mit Menschen umzugehen und was die eigentlichen Ideale sind. A:

Haben sie in ihrer Tätigkeit als Jungmädchen eine Uniform getragen?

B:

Die Jungmädchen hatten einen schwarzen oder dunkelblauen Rock, eine weiße Bluse, ein schwarzes Tuch mit einen Lederknoten.

A:

Haben sie innerhalb dieser Jungmädchenschar Rituale oder nationalsozialistisches Brauchtum vollführt, neben dem Apell jeden Sonntag?

B:

Nein. Kann ich mich nicht erinnern.

80 | S e i t e


A:

Und als dann schon offensichtlich war, dass Deutschland den Krieg verlieren wird, haben sie Propaganda innerhalb der Jungmädchen mitbekommen, dass dem – aller sicheren Anzeichen zum Trotz – nicht so sei, vielleicht von ihrer Anführerin?

B:

Ja, des war so, dass sie verlobt war mit dem Oberstleutnant, der gefallen ist, die haben noch keine Kinder gehabt und ja, die war dann sehr traurig. Jedenfalls war die schon gläubig dass das der richtige Weg ist. Aber ich muss sagen, wir haben eigentlich nie wirklich etwas - Ybbsitz is ein kleiner Ort - nie was von Judenverfolgungen und so weiter mitbekommen. Es hat bei uns keine Juden gegeben, wir haben das nicht hautnah miterlebt, ja. Drum haben wir da vielleicht viel zu wenig kritisch, also, keine Basis für die Kritik gehabt.

A:

Sie sind ja schon, bevor der Nationalsozialismus nach Österreich kam, in den Kindergarten gegangen. Darf ich fragen, welche Feste sie da schon gefeiert haben?

B:

Weihnachtsfest, da ist immer Theater gespielt worden. Und das Schlussfest.

A:

Gen Ende des Kindergartens also?

B:

Ja. Ansonsten kann ich mich eigentlich nicht erinnern.

A:

Das bedeutet, das die heute eigentlich typischen Feste wie St. Martin nicht gefeiert worden sind?

B:

Naja St. Martin ist, wie ich begonnen hab als Kindergärtnerin, in Niederösterreich nicht so groß gefeiert geworden. Man hat Laternen gebastelt, weil er is ja nicht unser Landesheiliger. Außerdem habe ich durch meine Lektüre der religiösen Erziehung eher nicht die Heiligen so stark in den Vordergrund gestellt.

A:

Sondern Jesus.

B:

Ja, genau. Sonst kennen sich die Kinder ja nicht aus. Wer is wer (lacht).

A:

Haben sie schon damals ein Winterabschlussfest gefeiert? Also haben sie gefeiert, dass der Winter nun zu Ende geht und der Frühling beginnt?

B:

Nein. Kann ich mich nicht erinnern.

81 | S e i t e


A:

Haben sie danach, in ihrer Tätigkeit als Pädagogin, Feste gefeiert die es vorher, in ihrer Zeit als Kind im Kindergarten, nicht gegeben hat?

B:

Ja der Fasching, Faschingsfest. Dann, wie ich in Obergrafendorf schon Leiterin war, ist im

Kindergartengesetz

verankert

gewesen,

dass

der

Vertreter

der

Religionsgemeinschaft, der mindestens die Hälfte der Kinder angehören, wöchentlich das Recht hat, eine Stunde in den Kindergarten zu kommen. Es hat natürlich kein Pfarrer soviel Zeit gehabt, aber ich wollte schon das die Kinder mit den Pfarrer auch vertraut werden. Jetzt haben wir ihn eingeladen zur Erntedankfeier, und wir haben unsere eigene Adventkranzweihe gemacht. Des konnte sich jede Kindergärtnerin so einteilen wie sie wollte. Ich bin dann mit den Kindern in die Kirche gegangen um das Kripperl anzuschauen, und wir sind auch, wie das Kindergartenjahr aus war, in die Kirche gegangen und da Herr Pfarrer hat uns eine liebe Rede gehalten. Aber so jede Woche eine Stunde in den Kindergarten zu gehen war dann eigentlich nicht mehr üblich. Aber dadurch, dass ich in der Pfarre überall mitgearbeitet habe, also in der Jungschar und in der Frauenbewegung, dadurch war der Kontakt mit dem Pfarrer da. A:

Haben sie das Erntedankfest vor der Zeit des Nationalsozialismus nicht gefeiert?

B:

Kann ich mich nicht erinnern.

A:

Aber dieses Winterabschlussfest, oder auch Wintersonnenwendefest, haben sie danach auch nicht gefeiert?

B:

Das Julfest, jaja. Bei den Jungmädchen schon, aber im Kindergarten weiß ich nicht... Das habe ich nicht mehr miterlebt. Im jahr 1938, 1939 lief das ja alles erst an.

A:

Das Wintesonnenwendefest wurde von den Nationalsozialisten mit eindeutigen nationalsozialistischen Hintergrund , den es vorher beim Julfest nicht gab, eingeführt, und für mich ist interessant, dass es heute noch in vielen Kindergärten praktiziert wird, obwohl man sicherlich den wahren Grund für dieses Fest vergessen hat respektive nicht mehr weiß.

B:

Ja das könnte vielleicht damit zusammen hängen, dass speziell in den alpenländischen Regionen der Perchtenlauf zum Jahresende immer is oder der 82 | S e i t e


Thomastag ein besonders wichtiger Tag war, wo man geräuchert hat. Im Haus und am Feld, aber bei uns oben, war das nicht, nein. A:

Ist ihnen die Person Johanna Haarer bekannt, welche zur Zeit des Nationalsozialismus eine der schillernsten pädagogischen Personen darstellte?

B:

Also wie gesagt, meine Eltern waren Antinazi. Und ich – bitte, wir haben kein überflüssiges Geld gehabt, waren ziemlich unbegütet. Und ich hab nie genug zu lesen gehabt, wie ich dann in der Volkschule war. Und dann hat mir meine Mutter ein Buch von Haarer gekauft, und zwar „Mutter, erzähl von Adolf Hitler!“.

A:

Eines, wenn nicht sogar das berühmteste literarische Werk von Haarer.

B:

Ja, genau. Ja, das habe ich damals gelesen. Und leider besitze ich es nicht mehr, sonst könnte ich jetzt was dazu sagen. Ich weiß ja nicht, ob das interessant ist, aber in der NS - Zeit haben ja die Mütter Auszeichnungen bekommen. Je mehr Kinder, desto mehr Auszeichnungen. Ich habe eine verwandte, alte Frau, die hat elf Kinder geboren, die bekam sogar das goldene Mutterkreuz. Und da muss ich sagen – die hat vorher auch nie jemand gelobt dass sie sowas geleistet hat. Und, ich mein, die NSV, die waren schon in ihrer Arbeit sehr intensiv, und haben aber auch Gutes getan, dass muss ich schon sagen. Die Kinder, die unterernährt waren, haben sie auf Erholung gesendet und so weiter. Das war vorher gar nicht so möglich, waren ja schlechte Zeiten. Ich hab da vorher vergessen ein Fest zu erwähnen – der Nikolaus. Der ist natürlich im Kindergarten gewesen.

A:

Vor der Zeit des Nationalsozialismus?

B:

Ja, vorher. Der hat ein großes goldenes Buch gehabt und hat uns gelobt, oder auch nicht.

A:

Ist der Nikolaus dann nach dem Krieg dann auch noch zu Besuch gekommen?

B:

Ja, nachher wieder. Nur hat sich dann entwickelt dass der Nikolaus nicht mehr sozusagen vom Himmel kommt sondern man hat den Kindern erzählt dass das nur eine Erinnerung an den Hl. Nikolaus sei, die Legende also erzählt, dass sich da jemand 83 | S e i t e


nur anzieht, um uns eine Freude zu machen. Die Kinder konnten das aber nicht glauben, da die Kinder ja daheim das anders gemacht haben, in der Familie. A:

Darf ich sie abschließend fragen, was sie aus jener Zeit eventuell vermissen?

B:

Ich bin damals begeistert in den Kindergarten gegangen, bei der Schwester, obwohl sie sehr, ich will nicht sagen autoritär, sondern, wie nennt man das, frontal, ja, frontal den Kindergarten geführt hat. Wir haben einfach sehr viel gelernt im Kindergarten.

Interview 2 , Christa Gauster Datum: 27. 11. 2011 Start: 10:47 Uhr, Ende: 11:18 Uhr Interviewort: Deutschfeistritz, Marktcafé A:

Bitte geben sie mir einen kleinen Überblick über ihr Leben.

B:

Ich heiße Christa Gauster, bin 1940 geboren, hab also die Nazizeit noch sehr unbewusst erlebt, und bin in Wien aufgewachsen, aber in der Zeit von 1944 – 1946 war unsere Familie umquartiert, in Neumarkt in der Steiermark. Und da bin ich sporadisch in den Kindergarten gegangen und habe auch nur sehr punktuelle Erinnerungen. 1946 bin ich dann nach Wien zurück, bin in die Schule gekommen und meine Mutter hat aus Existenznot einen Privatkindergarten gegründet, musste die Ausbildung also extern nachmachen, hat das gemacht, und ich bin in dem Kindergarten großgeworden, war jede freie Minute drin. Und das war für mich sehr lustig. Und, ja, da habe ich also auch von Fröbel gehört, also meine Mutter wurde von einer Kusine eingeführt, die war Kindergartenpädagogin, und die hat sie begleitet und den Kindergarten am Anfang geleitet, und da war mir der Name Fröbel von Kindheit an vertraut gewesen. Aber meine Mutter hat sich von Anfang an selbst zusammen gebastelt, was sie geglaubt hat, was die Kinder brauchen und hat das glaub ich ganz gut gemacht. Und 84 | S e i t e


das also die Haarer, das Buch von der Haarer, das gabs in unserer Familie, aber das zweite, „Unsere kleinen Kinder“. Gab ja drei. Und ich war genau so eine Leseratte wie die Maria, und habe auch alles gelesen was ich erwischen konnte, und hab natürlich, weil bei uns dauernd von Kindern und Pädagogik die Rede war, dieses Buch auch geschnappt und gelesen, das muss so mit 8, 9 Jahren gewesen sein. Und ich habe das sehr modern und plausibel gefunden, und wir hatten eine Großmutter, also meine Großmutter, das war eine sehr autoritäre Person, die also von moderne Erziehung gar nix gehalten hat, da musste man parieren und so, und da hat sich meine Mutter doch dagegen gewehrt, und mir kam das was die Haarer geschrieben hat sehr im Sinne meiner Mutter vor, sehr modern. Gegen die autoritäre Großmutter. Und da bin ich nie auf die Idee gekommen dass da was nicht in Ordnung sei damit, und ich habe es also gelesen, und ja, ich habe mich dann auch neben anderen Dingen der Kindergärtnerei gewidmet, ich habe Musik studiert, Lehramt gemacht und mich auch auf musikalische Früherziehung gestürzt, und all diese Dinge gemacht. Und dann habe ich an der Bakip in Wien unterrichtet, dann hats mich nach Graz verschlagen und ich habe Fortbildungskurse betrieben. Hier in Deutschfeistritz gibt es die Lichtklause, das ist ein Haus für Medidation und Bibelarbeit. Und da war im „Publikforum“, eine Zeitschrift für kritische Christen, ein Interview mit einer Siegrid Chamberlain, und über diese Haarerbücher. Das hat bei mir großes Interesse ausgelöst, ich habe das gelesen und habe dem Leiter der Lichtklause dies erzählt, und da war ein Buch von Chamberlain erwähnt, über die Haarer, und der Leiter hat gesagt „Die Chamberlain muss ich haben“, und so geschah es auch, die war da, und hat einen ganz interessanten Studientag gemacht mit uns, die Frau Traby wollte den auch besuchen aber da ist ihr dann was dazwischen gekommen , sie war schon angemeldet, und das war ein wahnsinnig interessanter Tag, da waren über 20 Teilnehmer... Innen, hauptsächlich, und alle waren ganz fertig weil sie drauf gekommen sind wie sehr in ihrer Erziehung diese Haarer noch nachgewirkt hat. Die letzte Auflage ihres Buches war ja glaub ich 1978, so lang noch. A:

Genau, es sind einfach in der „moderneren“ Ausgabe sämtliche nationalsozialistische Elemente entfernt worden, vom Grundgedanken her war es noch ein und dasselbe.

85 | S e i t e


B:

Genau, diese Erziehung zur Beziehungslosigkeit, das Kind nicht anschauen, das Kind in einen Nebenraum bringen wenn es schlimm war und sowas, des sind Elemente, und alle waren entsetzt, selbst unser Leiter. Jeder ist darauf gekommen dass dieses Buch überall herumspukt. Ich selbst besitze es auch noch, ich habe es aber momentan jemanden hergeborgt, aber ich habs auch noch.

A:

Ja, mir haben sie es ausgeborgt!

B:

Aja deswegen, deswegen (lacht). Das war also eine derartige intensive Aufarbeitung, wie die Frauen erzählt haben, wie das in ihrer Erziehung eingewirkt hat, das war ganz aufregend. Und dann wollten wir die Fr. Chamberlain nochmals haben, zum Thema Widerstand, die hat dann gearbeitet über die Geschwister Scholl, und hat, also ihr Thema war dann, sie ist drauf gekommen dass alle die Widerstand geleistet haben aus Familien kommen, wo eben herzliche Beziehung war.

A:

Also keine Haarer.

B:

Genau, keine Haarer, also wirklich liebevolle Beziehung und eben auch Erziehung zur Selbstständigkeit und zum Selber denken und aber das Wesentliche war, dass den Kindern Liebe gezeigt worden ist, und es haben alle gesagt, na, sie glauben schon das ihre Eltern sie geliebt haben, aber sie haben eben gelernt, es nicht zu zeigen, da man ja geglaubt hat, dass das gut wäre. Heute hat man das ja als wirklichen Fehler erkannt. Und ja, wir wollten Chamberlain noch mal haben, aber sie musste krankheitshalber absagen. Hat leider nicht stattgefunden. Fr. Chamberlain hat ja, ich weiß nicht ob jetzt auch noch, eine Mutter, die über 90 ist, und die noch immer so hart ist wie sie damals war, und der erste Termin mit Chamberlain hat auch erst nach dem Absagen eines vorigen Termins stattgefunden, da Chamberlain schwer krank war, und als Chamberlains Mutter hörte, dass sie so krank war, sagte sie „Ich schäme mich dass ich so ein schwächliches Wesen geboren habe.“ Und, also, hat sie dafür gehaut, dass sie krank ist, ganz extrem. Ganz extrem.

A:

Fr. Gauster, sie meinten, dass sie für kurze Zeit im Kindergarten waren?

86 | S e i t e


B:

Ich war in Neumarkt, zwischen 1944 und 1946 kurze Zeit, unregelmäßig, im Kindergarten. Meine Eltern haben mich also eher zu meiner Unterhaltung dorthin geschickt, damit mir nicht langweilig ist, und das hat mir großen Spaß gemacht, aber an Angebote oder dergleichen kann ich mich eher wenig erinnern.

A:

Haben sie trotzdem ein prägendes Erlebnis, dass ihnen von damals noch in Erinnerung blieb?

B:

Ja einige. So kleine Erlebnisse. Ein Erlebnis war, dass ich mit meinen Eltern spazieren war und ich war eben grade nicht im Kindergarten . Und auf einmal kommt der Kindergarten daher marschiert und mit Sessel in der Hand und ich habe gefragt, was denn los sei, und da sagten die Kinder „Ja der Kasperl, der kommt!“ , und die sind auf die Wiese gegangen, hat ja keinen Spielplatz gegeben, und ich wollt auch mit, durfte auch. Und ein Mädchen hatte zwei Sessel gehabt und hab mir einen, und dann waren zwei große Tische mitten auf der Wiese senkrecht aufgestellt und ich hab mich ein wenig gefürchtet, der Kasperl, ich habe mir gedacht das ist ein großer, erwachsener Mann, und ich habe mir gedacht der hat eine große Nase und wird des Weges her kommen. Aber auf einmal erscheint so ein kleines Figürchen auf den Tischen oben, da habe ich mir gedacht – was, vor dem hätte ich mich gefürchtet? Und ich habe es dann doch noch sehr genossen, auch die Kindergärtnerinnen. Da habe ich zwei gehabt, die Tante Mickerl und die Tante Hertha, die Tante Mickerl habe ich geliebt, die Tante Hertha war ein wenig schärfer und ein wenig strenger, die habe ich nicht so gern gehabt. Jedenfalls, da war der Kasperl oben und noch eine Figur, und auf einmal sagte der Kasperl hinunter „Tante Hertha, hebe mich ein wenig höher hinauf“, und das tat sie, und dann war das Theater aus, und die Tante Hertha tauchte irgendwann wieder auf und die Kinder sagten ganz aufgeregt „Tante Hertha, Tante Hertha, der Kasperl war da!“ und die hat gesagt „So, habe ich gar nicht gemerkt, ich bin da hinten hinter dem Haus gestanden!“, und ich habe dann gesagt „So eine Lüge – der Kasperl hat gesagt Tante Hertha heb mich höher hinauf!“ (lacht).

A:

Darf ich sie abschließend fragen, was sie aus jener Zeit eventuell vermissen?

B:

Die Sache mit den Kreisspielen und Singtänzen. Die waren zu dieser Zeit gang und gebe. Ich habe viel gespielt, und diese Kreisspiele waren ein wichtiger Punkt, die 87 | S e i t e


wurden zu jeder Zeit, jeden Tag gespielt. Die haben unheimlich viele Dinge drinnen, die die Kinder damit lernen. Eine Menge lernen die. Das habe ich auch immer wieder publiziert, später, und habe dazu angeregt, dass man irgendwie es methodisch schafft, diese Spiele mit Kleingruppen zu spielen. Das hat sich aber nicht durchgesetzt, leider. Ich vermisse das, dass man sich mit dem gar nicht mehr beschäftigt. Ich würde da einfach die Neubeschäftigung, auch die kritische Beschäftigung damit wünschen. Solange ich aktiv war, habe ich es immer wieder heran gezogen und habe es gemacht. Methodisch war das aber schwer zu schaffen. Und es ist schon klar, dass Inhalte drinnen sind, die aus alten Zeiten stammen, und sicher ist in der NSV – Zeit da auch viel hineingerutscht, aber was ich aber schmerzlich finde ist ja doch, dass durch den Kindergarten eine Pädagogisierung dieser Dinge natürlich stattgefunden hat. Und mir wäre viel wichtiger gewesen, dass die Kindergärtnerinnen sozusagen als Traditionsträgerin fungieren. Weil früher ist das ja von Kindergruppe zu Kindergruppe weitergegeben worden und nicht durch die Institution. Und das gibts aber nicht mehr, diese Möglichkeit existiert nicht mehr dass sich Kindergruppen so treffen und das weitergegeben wird, also ich hätte eine Kindergärtnerin gerne als eine Person gesehen, die das übernimmt, weitergibt und sich dann aber wieder zurückzieht und das den Kindern alleine überlässt.

Interview 3 , Theresia Kühar Datum: 01. 12. 2010 Start: 18:09 Uhr, Ende: 20:13 Uhr Interviewort: Graz, Gartengasse A:

Frau Kühar, könnten sie mir einen kurzen Überblick über ihr Leben geben?

B:

Ja, weißt du, in meiner Familie war es sehr traurig, mein Vater war 29 Jahre alt und ist gestorben. Da war ich ein Jahr und zwei Monate. Meine Schwester ist dann ein Jahr später auf die Welt gekommen, und da war er schon tot. Und da wars ein bisserl eine 88 | S e i t e


Katastrophe in der Familie, das kannst du dir ja vorstellen. Meine Mutter war Geschäftsfrau, hat müssen ihr großes Geschäft dann aufgeben und hat ein Kleines dann angefangen. Und so sind wir dann groß geworden, meine Tante ist dann zu uns gekommen, und die war Zahnarzthelferin, und die hat das aufgegeben und hat dann uns betreut. Weil damals war noch keine Betreuung von Kindern, weder für die Mütter, die, sagen wir, so ein Erlebnis gehabt haben, noch für die Kinder. Wir waren alle so zusammen eigentlich auf der Straße und haben dort gespielt. Und in den Stadtpark durften wir ja nicht in die Wiese hinein, aber wir waren dafür bei der Kirche drüben, da haben wir hinein dürfen. Da haben wir immer gespielt. So war das damals. Ich bin da eigentlich groß geworden, dann war ich in der Nibelungenschule, der Volksschule, vier Jahre, und dann bin ich in die Kronesschule gegangen, in die Hauptschule. Weil Gymnasium war nicht für jedes Kind gestattet. Du hast noch so gut lernen können, sie haben nur eine gehabt und da sind sie ausgesucht worden. Jetzt muss ich aber leidergottes dazu sagen – weil ich von meinem Vater nichts gehabt habe, war es sehr schwierig. Vom Großvater haben wir nichts bekommen, das war in Ungarn, und da sind wir nicht hinüber gekommen, weißt eh, für einen Ausweis. Dieser Pass, der da war. Da hats nicht gestimmt und wir haben alle nicht gehen dürfen. Wir sind eben alle Hauptschule gegangen, und von der Hauptschule dann sind wir in die Schule gegangen, weiter, das war dann diese Schule am Entenplatz, eine Hitlerschule. Ich war 14 und bin in die Schule für soziale Berufe gegangen. Das war eineinhalb Jahre, weil ich wollte eigentlich Hebamme werden. Weil ich als Kind immer die Milch dorthin tragen durfte. In der Gartengasse war damals eine Hebamme, die hieß Trieb, und zu der Frau habe ich immer dürfen in der Früh Milch tragen. Da kam ja noch die Milch in der Milchkanne zum Geschäft, das war für mich was wunderbares. Dort habe ich eigentlich schon das Gefühl gehabt – ich pass zu Kindern, weil ich die Kinder so gern gehabt habe. Da durfte ich immer rein schauen, nicht, da sind mindestens 12 drinn gelegen. Die waren entzückend. Und die Mütter haben da die Milch dann bekommen. Also, diese Schule, die dauerte eben eineinhalb Jahre lang. Ein Jahr Schule und ein halbes Jahr war Praktikum. Und da sind wir rundherum überall hin gekommen. In den Hort, Kindergarten, Krabbelstube und Krankenhäuser. Das haben wir uns dürfen überall anschauen und haben dürfen praktizieren. Da haben wir dann natürlich überall alles gesehen, wie es wirklich zu 89 | S e i t e


geht. Mir hats dann am besten im Kindergarten gefallen. Als Hebamme, das war dann eigentlich tabu, weil man das nicht so empfunden hat damals, so als Jugendliche. Ich hab lieber Kindergarten gehabt, das war lebendiger. Dann bin ich, wie ich da fertig war, da habe ich das Schöne und das nicht Schöne gesehen. Weil da waren viele Dinge dabei die uns nicht so gefallen haben, damals. Des is ja klar. Weil da waren die ganzen Verschiebungen, von den Kindern, die Hitlerzeit war ja. Da hat uns nicht alles gefallen. Da waren schon Trennungen zwischen blond (-haarig) und schwarz (-haarig) zum Beispiel. Das ist vielleicht ganz interessant – weißt, in der Kinderklinik zum Beispiel, da haben die Kinder – stell dir vor – die schwarzen Kinder haben bekommen die alten Windeln, die blonden die neuen Windeln! Also bevorzugt war der Mensch mit blonden Haaren. Aber ich hab so braune gehabt. Ich hab immer gesungen „Schwarz – braun ist die Haselnuss!“, da hab ich eine Ruh gehabt. Weißt, in der Schule, war schon genau der Ahnenpass. Das war wichtig. Das war toll. Der ist eigentlich in der Schule immer so am Tisch gelegen, da hat sie (Anm.: die Lehrerin) immer genau gewusst, das ist ein Österreicher, der hat den Ahnenpass, und der, der keinen gehabt hat, sagen wir Halbjuden oder so, die haben dann den Pass nicht gehabt, der war verschwunden. A:

Darf ich sie fragen, welches Jahr es war, als sie in die Nibelungenschule gegangen sind?

B:

Nja. Da musst du jetzt ausrechnen. Ich bin `28 geboren, 1928, und da gehst du ja sechs Jahre in der Schule. Am 12. August 1928 bin ich geboren, also habe ich müssen in die Schule gehen. Vier Jahre sind wir gegangen, vier Jahre Hauptschule. Weil in die andere Schule sind wir ja gar nicht hineingekommen. Ich hab sie ja gar nicht gebraucht. Aber meine Schwester, die war schon sehr traurig. Weil die wollte ja gehn, aber wir sind nicht hineingekommen, weil der Ahnenpass nicht gepasst hat. Aber, meinen haben sie nicht einziehen können, weil die Resi, die war schlau. Die hat noch einen geschrieben. Ich hab Schwein gehabt.

A:

Nach meiner Rechnung sind sie 1942 in die Hitlerschule gegangen, mit 14 Jahren?

90 | S e i t e


B:

Ja, mit 14. Also mit 14 Jahren, gleich nachdem ich 14 geworden bin. Im Herbst bin ich dann gleich in die Schule gegangen. Das war eben diese Hitlerschule für soziale Berufe. In Graz. Wo jetzt diese Entenschule ist, da hinten, da drin war sie. Wir haben auch Kochen gelernt, für die Kinder. Ich hätte zum Beispiel jetzt ohne weiteres als Kindergärtnerin können Krabbelkinder nehmen, weil ich das können hab, ich war Kinderpflegerin. Das war der Beruf den ich zuerst gehabt hab. Ich bin auch angestellt worden dann, in Leibnitz, wie ich dann fertig war. In einem Leibnitzer Kindergarten, da waren 40 Kinder. Eine Leiterin, meine Wenigkeit und eine Helferin. Die... Wart wie hat die geheißen. Einen komischen Namen hats ghabt. Nix Helferin sondern... Wart, vielleicht fällts mir später wieder ein. Oweh, dass ist dann alles da drinnen. Musst löschen (lacht). Dann war ich dort, so lang, bis der Krieg kommen ist, dann sind wir nach Hause geschickt worden.

A:

Sind sie zum Ende des Krieges hin nach Hause geschickt worden, 1945, oder vorher schon?

B:

Nein, naja, der Krieg hat richtig angefangen, zum Bombardieren, dann war ja unten in Leibnitz, dass muss ich dann noch erzählen, was mit dem Kindergarten dann noch war. Das war nämlich sehr interessant, was wir alles gemacht haben, was wir alles durften. Wir sind ja immer gefahren, in der Früh, mit dem ersten Zug, nach Leibnitz. Weil zuerst sind drei, vier mit Soldaten gefahren, hinunter, mit jungen Burschen, die sind ja unten alle gewesen, die haben zuerst diesen Dienst machen müssen. Und die 16, 17 Jährigen sind alle in solchen Waggons gefahren, wie die anderen, dies auch hin und her geschoben haben. Also, wir haben a muatz Hetz ghobt da drinn, und haben auch vieles erlebt, sind jeden Tag hin und her gefahren. Damals haben wir viele Stunden gemacht, mehr wie jetzt. Wir haben müssen um sieben Uhr anfangen, dann eine Stunde Mittagspause, dann haben wir bis fünf, sechs Uhr am Abend haben wir müssen arbeiten, bis wir fertig waren.

A:

Das bedeutet, sie waren so gegen 07:00 Uhr wieder in Graz?

B:

Ja, genau. Wir sind aber dann, wir haben bekommen ein Angebot, dass wir unten wohnen hätten können, aber die waren so schirch, das haben wir nicht genommen. Ich hab aber das Glück gehabt bei einer Mutter, wo der Mann eingerückt war, da hab 91 | S e i t e


ich halt gefragt ob was frei wär. Die Leute haben mich sehr gern gehabt da unten, und da habe ich dürfen eben bei dieser Mutter, beim Kind, im Kinderzimmer schlafen. Das war für die Mutter was wunderbares, weil sie hat können Arbeiten gehen, in Ruhe, und ich hab das Kind mitgenommen, das war den ganzen Tag drinnen (Anm.: im Kindergarten) und am Abend sind wir dann wieder gemütlich nach Haus marschiert. Das war dann die schönste Zeit für mich. Weil ich einen Anschluss gehabt habe in der Familie und sie, wenn der Mann gekommen ist, da hat sie können mit ihm wohin fahren, da hab ich dann aufs Kind geschaut. Er ist leider eh gefallen dann. Das war eine Katastrophe für diese Familie, da habe ich auch ein wenig helfen können, dass das dann ein bisserl überbrückt worden ist. Und ich habe lange Verbindung mit diesen Leuten gehabt, weißt, die Mutter ist jetzt eh gestorben und die Tochter hat dann geheiratet. Das war sehr nett. Der Kindergarten war sehr schön, 40 Kinder haben wir eben gehabt, und die Leiterin, wenn die Kanzleidienst gehabt hat, dann hab ich die 40 Kinder gehabt. Oder sie hat müssen wohin gehen, dann war ich mit der Helferin allein. Wärterin! So habens gsagt. Jetzt weiß ichs wieder. Wärterin, so haben früher die Helferinnen geheißen. Weil sie musste alles tun, alles machen. Auch später. Aber i hab nie Wärterin gsagt. „Servus Anni“ hab ich gsagt, fertig. Wir haben uns sehr gut vertragen, haben uns gegenseitig geholfen, weil sie hat eben alles machen müssen. Fenster putzen, alles. Unten vom Kindergarten war ein Kloster, ein Kapuzinerkloster glaub ich wars. Und dort – Gau... Wart, ich zeig dir wie das geheißen hat (Anm.: Sie sucht in mitgebrachten Orginalheften). Wo hab ich das. Ja, da stehts. NSV, da war die Gauleitung. Im Kloster. Dort wars wunderschön. Wir waren in der Grazerstraße oder Grazergasse, das weiß ich jetzt nicht mehr, den Kindergarten gehabt, und da war eine schöne Strecke bis zum Kloster. Und diese Straße war geschützt, mit Luftballons, ganz groß aufgeblasen, als Schutz, gegen die Flugzeuge. Für die Kinder war das ja wunderschön. Aber für uns wars nicht so schön. Weil wenn die Sirene gegangen ist, sind wir immer in den eigenen Luftschutzkeller gegangen. Und dann haben sie aber festgestellt dass der lebensgefährlich ist, weil es waren lauter Steine. Wie soll ich sagen – für Ausgrabungen wär das sicher interessant gewesen. Weil der Keller war so interessant, wunderschön, aber lauter Steine. A:

Das heißt, bei einem Treffer hätte der Bunker nichts genützt. 92 | S e i t e


B:

Ja genau, wenn der voll oder daneben getroffen wär, wir wären weg gewesen. Alle verschüttet worden. Und das haben sie dann abgebaut, und haben gesagt – unsere Jungen, die Saloppen, die kommen uns helfen. Weil wie bekommen wir die Kinder hin? Autos hats net gegeben, so, jetzt haben sie gebracht so große Schiebkarren, da waren zehn Kinder oben, da haben wir zwei uns schwer getan, weil das war so schwer. Die Kinder waren so schwer, da haben wir Zehn drinnen gehabt. Also habens uns zehn Saloppe gebracht, aber die waren auch schwoch, weil die waren so jung – also 40 Kinder haben wir müssen bändigen. Zwei Schubkarren, zwanzig Kinder oben, und zwei Leiterwagen. Die waren auch so a bisserl größer, wir haben alle untergebracht. Dann haben wir griegt so Plachen, Soldaten, da ist ein rotes Kreuz oben gewesen, dass die uns nicht erschießen. Und wenn da die Flugzeuge gekommen sind und es war gefährlich, man hats so brummen gehört, haben wir das sofort über die Kinder drüber geben, die Soldaten haben sich müssen unterhalb verstecken, Kapperl ab, dass ja nicht sichtbar einer war, sonst daschießens alles. Wir haben ja Glück gehabt, uns ist nie was passiert, nur einmal. Da war einer draußen, und da haben sie geglaubt des sand Munitionen oder was, und da haben wir schnell, weil wir Angst ghabt haben, die Plane runtergrissn. Weil die haben gsagt, wenn sowas is, reißtsas schnell runter, damit die sehn, da sind Kinder drinn. Und dann hab ichs runter tan, net. Weil die Kinder waren ja auch nicht leise, es war schwierig. Na, da haben wir schnell runter getan. Und einmal, einmal habens eins runter geschossen. Da sind wir dann grennt, bis zum Kloster, und da waren wir drin gesichert. Aber einmal haben wirs eben des erlebt, mit den Kindern. Das ist uns später gesagt worden dass die so gute Apparate haben, das die sehen, dass da niemand war und keine Munition. Aber die hätten uns erschießen können. Das war für uns das Schlimmste. Stell dir vor, dieses Flugzeug, das da abgeschossen war, da war ein Amerikaner drin.

A:

Hat jener den Absturz überlebt?

B:

Ja, der hat überlebt. Stell dir vor, am nächsten Tag musste ich dort ins Kloster, dort war ein Hort, der Hortnerin ist schlecht geworden und i hab müssen hinunter, und ich komm hinunter, und die Köchin war auch krank. Sie haben also zwei Fehlende gehabt. Wast wos dann war. I hab müssen gehn Kinder schaun, und drin da hab ich 93 | S e i t e


müssen umrühren gehn, das Essen. Und ich rühr da um, auf einmal geht eine Tür auf, kommt da so ein armer Soldat her, mit so einer Schale, und hat so gemacht zu mir, Englisch, Amerikanisch, hob i jo net kennan, aber i hob glei gwusst, Essen. Zehn Tage hat er gezeigt, war er ohne Essen. Hat er gefragt, ob er was Warmes haben kann. Wir haben ja damals net wer weiß was zum Essen gehabt. I weiß noch, es war eine Suppe, Erbsensuppe. Und das andere war so eine Klachlsuppe, das haben die Kinder nicht gegessen, im Hort. Und Kartoffeln habens auch dazu bekommen. Das war das Essen. Du, ich hab den gesehen, und weißt was ich gemacht habe, was glaubst was ich gemacht habe? A:

Sie haben ihm etwas zu Essen gegeben?

B:

Hab ich ihm was gegeben? Ja. I hab ihm was gegeben. Jetzt hot der kan Leffl ghobt, hab i erm an Leffl gem. Der hats gessn. I hab net dran gedocht dass i hätt kennan wahnsinnige Schwierigkeiten hom.

A:

Das bedeutet, soweit ich das jetzt verstehe, dass die deutschen Soldaten diesen Piloten, dem sie zu essen gegeben haben, nicht erwischt haben?

B:

Nein, er war als Flüchtling dort drin, in dem Kloster. Weil da waren Russen, alles mögliche war da drinnen. War ja ein Riesenkloster. Du, ich hab ja nie gewusst dass da so eine Tür ist, das hat ja müssen ein Geheimgang sein. Zwischen Küche und dem.

A:

Das heißt, in diesem Kloster war eine Art Kriegsgefangenenlager?

B:

Ja. Das hat ja kein Mensch gewusst, dass sowas möglich ist. Ich habs niemanden gesagt. Ich hab mir gedacht, es war so ein Kinderlöfferl, des hab i ihm geschenkt, und dann hab ich ihm noch Brot geben, und dann is er wieder eini gaungan. Wos hätt i denn machen sollen? I habs net zusammengebracht. Diese Erbsensuppe, das kann ich dir sagen. Weißt du, was ich damit gemacht habe? Damals waren ja Würmer dabei. Da waren Würmer manchmal, die sind darin geschwommen. „Da ist ein Wurm drin, das kann ich nicht essen“, so haben die Kinder (Anm.: im Hort) gschrien. „Ach, do ist ein Wurm, na do schau her“, so hab i gredt, weißt was ich gmacht hab? I hab außen herum beim Teller das gelegt, diese weißen Würmchen, und hab gsagt „So, schauts, jetzt hat die Tante Resi einen ganz schönen Teller gemacht, jetzt können wir essen.“ 94 | S e i t e


Die waren ja hungrig! Das waren die schlimmsten Zeiten eigentlich. Aber die haben auch alles gegessen! Und diese Würmer, die haben wir dann vernichtet. Das war dann auch wieder eine gute Tat. Siehst, das war eigentlich das schlimmste, was ich dort ghabt hab. Und diese Kinder, die waren ja 14 Jahr, und ich war 16, net. Aber die haben mir richtig gefolgt. Zerst habens mir wollen allerhand anrichten, und dann hab ich gsagt „Dann spü i mit eich nix, ihr seids ja dumm!“ (lacht). Da habens dann aber alle alles gemacht. I bin marschiert mit denen, hab ich gspielt Soldaten, weil des war damals so. Soldaten, weißt du, herummarschiert, still gestanden, und eine schöne Figur (lacht) und solche Sachen, das hat ihnen halt Spaß gemacht. Ich weiß nicht ob du das kennst, wie mit den Bausteinen haben wir oft gespielt, da ist dann ein großes Werk entstanden, alle Steine so hintereinander stellen, und wenn man alle Kinder Schulter an Schulter stellt und dann sagt man so „So, ich zeig euch jetzt was vor, ich bin der Herr General!“, Hände hoch, Hände zur Hose, Hände geradeaus, in die Knie gehen, und dann gibt man ihnen einen kleinen Schubser, und dann folln alle um, das hat ihnen großen Spass gemacht! Und ich hab alle in der Hand gehabt dadurch. I hab fest mitgetan, mit allen. Wir haben muatz a Hetz gehabt. Ich darf nicht sagen, dass wir wenig Spiele gemacht haben. Sehr viele sportliche Spiele. Man hat überall hingehen können. So wie heut, heute würden sich die Kinder wahnsinnig aufregen, wenn man das macht. Wir haben damals ein Radl bekommen. Das hat manchmal gar keine Bremse gehabt. I hab a Radl kriegt, das hat keine Bremse gehabt! Und dann hats ein bisserl funktioniert, hingschmissn hats mi eh. Aber kann man nix machen! Am Nachmittag hab ich eben mit diesem Radl Erntekindergarten fahren. Bis 3 hab ich im Kindergarten gehabt, dann ist eine Vertretung gekommen, und ich musste nach Ehrenhausen fahren, jo, bin ich gefahren mit dem Radl. Da waren auch sehr nette Kinder. Weißt du, die Kinder am Land waren damals sehr dankbar. Es gab ja kein Fernsehen, da war ja nix. Wenn du ein Gschichterl erzählt hast oder gespielt hast mit ihnen, ja, da habens dich schon so gern ghabt, i sog das. Und das gibt dir dann wieder viel Freude, wenn man sieht, wenn die Kinder einen gern haben und sagen „Komm, spielen wir das oder das“. Damals war alles anders, auch das mit den Beschreibungen. Wir mussten auch Berichte schreiben, Ansagen und so, es war eine andere Zeit und man musste mit der 95 | S e i t e


Zeit mitgehen. Dann passts. Es kommt halt immer darauf an wie mans macht. Wenn mans zu hart macht, zu streng, dann mögen sie (Anm.: die Kinder) das nicht. Und für die Vorschule haben wir auch schon gelernt, wenn man das spielerisch macht dann gehts. Man muss ein Mensch sein, dass man viel Freude für sich selbst hat. Man muss alles weglegen, die Freude den Kindern schenken, und selber ein bisserl auch die eigene Seele füttern (lacht). Ich hab immer viel lachen können. Wenn i in der Schul an Blödsinn gsogt hob wars lustig. Einmal haben mir die Kerle hinter mir was falsches eingsagt, i habs dann gsagt und der hat dann glacht, was ich für an Blödsinn gsagt hab, hab i gsagt, laut: „Ihr da hinten seids ruhig, des tut man nicht!“ (lacht) Bitte streiche was nicht hineingehört! Weil weißt eh, i tu gern reden! (lacht) So, jetzt willst du noch was wissen, was denn? A:

Gab es im Kindergarten eine bestimmte Struktur, einen bestimmten Tagesablauf?

B:

Ja, das war so. Man musste sich um 09:00 Uhr zum Klo gehn anstellen. Ich bin da hineingekommen, i hab nur so gschaut. I hab mir gedacht – ja, wie kann man denn das verlangen? „Wer muss nicht, wer muss aufs Klo?“ , habe ich dann gefragt. Bei mir haben alle müssen, aber die sind nicht gegangen. Sie haben dann gesagt „Nein, ich muss doch nicht, ich geh doch lieber nicht aufs Klo.“ Dann hab ich gesehn, da zappeln aber welche. Dann hab ich gsagt „Ihr könnts gehn, jederzeit, müssts nur sagen!“ Keiner wollt, aber i hab gesehen, die Kinder haben müssen. I hab die Eltern dann am nächsten Tag gefragt, wie die Kinder des solang aushalten. Die gehn nicht aufs Klo! Dann haben die Leute gesagt, ja, es ist irgendwas nicht in Ordnung, im Klo. Die Kinder gehen alle zweimal zuhause, bevor sie weggehen. Dann hab ich einen jungen Herrn zappeln gesehen, dann hab ich gesagt „Komm, gehen wir ins Klo schaun, is wos nicht in Ordnung?“ Sagt der zu mir: „Das weiß ich nicht.“ „Gehen wir schaun!“, hab i gsagt. „Nein, ich muss nicht aufs Klo“, hat der gsagt. I hab gschaut, alles in Ordnung. Dann komm i zu einem Mädchen, sag i „Musst du nicht aufs Klo?“ „Nein, ich geh nicht.“ „Warum gehst du denn nicht?“ Da habens schon mehr Vertrauen zu mir gehabt, „Kannst mir alles sagen, weißt du. Wir zwei tun das ausdiskutieren!“, hab i gsagt. Dann sagt das Kind: „Ein Viech schaut heraus.“ Ein Viech, was für ein Viech. Ein Tier ist das. Dann hat die Kleine gsagt „Nja, ich kenn es nicht, aber ich hab solche Angst 96 | S e i t e


wenn ich das seh, ich geh überhaupt nicht mehr hinein.“ Dann hab ich gefragt „Wo hats denn heraus geschaut, hast es gesehen?“ „Ja, oben heraus!“ Dann hab ich studiert und hab gsagt „Na, da hast vielleicht die Sonne gesehen, die herein gescheint hat. Und du hast einen Schatten gesehen. Jetzt kannst du doch gehen, ich beschütze dich!“ Nicht gegangen. Dann ist ein Bub gewesen, der war couragierter, ich hab gefragt „Wer traut sich was, wer traut sich was?“ Und der ist mit gegangen, weil ich hab so gsagt „Wer ist ein Held, wer geht mit mir?“, und der ist mit, und ich hab gesagt „Wir schleichen jetzt hinein“. Weißt, wer herausgeschaut hat? Eine Ratte. Bitte die Tante Resi hat dann selber Angst gehabt. Aber ich hab das natürlich nicht gezeigt, die Angst. Ich hab dann gesagt „Na so ein dummes Viech, das haben wir gleich! Wisst ihr, die hat sich im Weg geirrt, weil da unten Kanäle sind, und die ist gekommen, weil ihr immer so fröhlich seid.“ Hab ich halt einen schönen Schmee da erzählt. Und hab sofort der Leiterin gemeldet, die haben dann die Kanäle ausgeputzt und dann wars ruhig. Und ich hab gesagt „Wisst ihr, was die Ratte nicht mag? Musik!“ Und da sind wir gegangen, mit Musik, i hab Musik gemacht und die Kinder sind alle Klo gegangen (lacht). Das war das Beste. Dann hats aufgehört. Es ist nie was passiert, es war erledigt. Wir haben auch geturnt. Die Kinder haben ja früher kein Turngewand gehabt, hats nicht gegeben. Aber jeder hat eine Unterhose gehabt und ein Leiberl. Und manchmal haben die Buben keine angehabt, dann hat er eben mit der Lederhose geturnt. Aber wir haben immer geturnt, i hab gern geturnt, und die Kinder, für die wars notwendig, dass die Bewegung hatten. Und wir haben eingekleidet, lauter Tiere waren wir mal, wir haben nix schönes gehabt aber man findet immer was. Sessel turnen, mit Stäbe geturnt, dann gebaut, am Boden herum gelegt, man musste Einfälle haben. Was da is, muss man nehmen. Spulen haben wir geschenkt bekommen, dann haben wir mit Karten geturnt, man kann Karten oder Bücher auch aufn Schedl gebn oder aufn Fuß oder aufd Hand. Und, stell dir vor, da kommt bei einem Kind bei der Hose, des wor ein Bub, a so a langer Wurm raus. Und der wurlt. Und da schrein die Kinder „Resi, Resi, ein Regenwurm, ein Regenwurm!“ Gottseidank haben sie nicht gesehen, dass des bei dem Buam raus kumman is. Aber ich hab damals gehört, bei den Fleischerein war immer mit den Würmern ein Problem. Und weißt eh, wies der Resi gegangen is, diesen Wurm anzuschaun. Des war kein Regenwurm, der war schön weißlich. Weiß 97 | S e i t e


sind die. Natürlich bin ich ins Klo gegangen, hab ein Zeitungspapier gnommen, hab gsagt „Du arms Würmlein, kum nur“, mit einem Steckerl, da hab ichs ins Zeitungspapier gebn (lacht), angreifen hab is net kennan. Dann hab ich gsagt „So, jetzt griagt der ein schönes Betterl“, haben wir eine Schachtel geholt, den Wurm eini tan, dann dem Arzt gegebn. Der Kinderarzt, der is in der Woche eh noch gekommen, dann gabs eine Entwurmung für die Kinder. Das haben viele Kinder gehabt, das hab ich gar nicht gewusst. Aber ich habs direkt gesehen, wie der aus der Hose heraus gewurlt ist heast. Und meine Augen san eh scho fast übergangen. Dann hab ich halt gelächelt und hab wieder einen Schmee gewusst, so haben wir die Situation weitergebracht. Dann ist eben entwurmt worden und dann wars wieder gut. Aber es is ja schlecht fürs Kind auch gewesen. Das sind lauter Dinge, die man eigentlich nie in der Schule lernt, sondern einfach dort dann erlebt, da muss man schaun, dass man selber gute Einfälle hat. Weil sonst kann man das Kind erschrecken. A:

Gute Einfälle haben sie ja gehabt!

B:

Ja was glaubst.

A:

Welche besonderen Feste feierten Sie mit den Kindern, welche es vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten noch nicht gab? Was taten sie speziell am Geburtstag von Adolf Hitler?

B:

Feste haben wir gehabt, und die Feste sind natürlich von der Leiterin gemacht worden, da hab ich nichts tun brauchen. Nja, weißt, der Hitler, der is schon hoch heraus geholt worden. Aber du, i hab auch grüßt. Wir haben eine Hetz ghabt drüben in der Pforr, haben wir, weißt, zu dritt haben wir nicht stehn dürfen, nur zu zweit, da haben wir die Kinder immer abgeholt, zur Kinderstunde, da haben wir immer brav gegrüßt, warum net. Mir war des gegeben. Als er da war haben wir auch gschaut, sind auf der Leiter gestanden. Man muss das einfach annehmen, weil des is ein Bledsinn wenn man was dagegen macht. Und da haben wir auch zu Weihnachten oder Geburtstagsfest den Hitler hereingenommen, als toller Mann, und dass er eben uns Glück wünscht und Segen, Frohe Weihnachten, dann war halt kein Christkind. Wir hatten den Knecht Ruprecht. Für mich war der Knecht Ruprecht genau so lustig. I hab auch den Knecht Ruprecht gspüt, hab einen Hut aufgehabt, so einen Rucksack, 98 | S e i t e


und man kann das den Kindern genau so lieb machen. Man kann auch liebe Lieder singen, da sind auch nette Sachn und Lieder dabei (Anm.: Sie schlägt mitgebrachte Orginalhefte auf). Man muss einfach das, was nicht erlaubt ist, weglassen. Das darf man nicht machen. Man kann genau so Mutter und Kind nett machen. Religiös hat man nichts gemacht, das war nicht. Wenn man sagt „Danke für die liebe Sonne“, da kann sich jeder denken was man will. Wir haben das Sonnenlied gesungen, „Danke liebe Sonne, dass du da bist“, von woher kommt sie, eh von oben. Also muss eine Kraft da sein. Wir sind schon in die Kirche gegangen, nur sehn hat uns keiner dürfen. Wir sind hinten rund herum marschiert, habens Kripperl angschaut. Manchmal sinds schon schauen gekommen. Die haben uns besucht, kontrolliert. Aber wenn die Leiterin bekannt war mit den Leuten, du, war net so schlimm. Die waren ja auch lieb. Zu mir war keiner schirch. Ich muss ehrlich sein, es war keiner irgendwie. Ich hab sie so, als Menschen, behandelt. I hab sie ja auch nicht gekannt. Wir haben nichts schlechtes gesehen, muss ich ehrlich sagen. Ich kann mich erinnern – sie haben so geschimpft. Aber wir haben nichts schlechtes gesehen. Wir haben eine Umsiedlerei einmal gesehen, wie wir gefahren sind nach Graz. Da war zwischen eine Station, da is eine Schwester herein gekommen. Wir haben nicht gwusst warum da Zug stehn bleibt, und da war eine Stelle, wo die Bauern die Milch abstelln. Da gibts so Stellen, wo sie die Kannen mit Milch hintun, wo der Zug die dann abnimmt, kein Bahnhof. Und da ist eine Schwester, eine Rotkreuzschwester, hereingekommen und hat gebeten, es sollen ein paar Leute ihr helfen kommen, es kommt ein Zug, der bleibt 10 Minuten stehen, und die Leute, da sind Kinder drin, die haben kein Wasser. No na, wir waren immer so sechs, sieben, und i hab gsagt „Da geh ma helfn, natürlich!“, die anderen Leute san nicht gegangen, die Erwachsenen. Wir sind aber rausgestartet, und da haben wir bekommen, so Kübel. Nicht aus... So stärkere, Metallkübel. Alles aus Blech. Dann war da ein Wasserhahn, des is vollgefüllt worden, da waren zehn so Kübel, und wir waren sechs. Aber wir waren so klein und der Zug so hoch, da war nur so eine kleine Luke. Und da sans gstandn, mitm Gwehr. Die Soldaten. Und i hab zu ihnen gsagt „Moch ma a Kettn, so gehts schnölla!“ Und daun is gaungan, erster Zug, zweiter Zug, und des war alles schnell, wal de haben die Kannen wieder raus geben müssen, wal da sans hin, mitm Gwehr. Da hats uns ghabt. Dann 99 | S e i t e


haben wir zuwenig gehabt. Dann hat er angesagt in zwei Minuten Abfahrt. Wir haben aber noch zwei (Anm.: Wagone) gehabt. I hab den (Anm.: Soldaten) angschaut und hab mir gedacht „Na, der hätt die Größe“. Da waren ja soviele Kinder drin. Jetzt hab i gsagt „He du, kaunst uns net helfen?“ Und der hot net reagiert. Dann hab i laut gschrien, hab i mir gedacht, jetzt gib i einen Befehl, hab i gschrien „Heil Hitler, gib den Kübel da hinauf!“ Den hats gfetzt, und dann hat der den Kübel hinauf gegeben. Dann kam sogar ein Zweiter, der hat dann geholfen. I war so stolz (lacht). Wer was, vielleicht hat sich der gedacht, jetzt hat er auch was Guts tan. Dann ist der Zug gefahren, und wir haben müssen gehen. A:

Zu welcher Zeit fand denn dieses Erlebnis statt?

B:

Das kann ich nicht sagen. Naja. Wart mal. Wie ich runter komm. 16 Jahr war ich. Weißt eh, da waren doch die. Von überall sind die Leute übersiedelt worden. So eine Übersiedelung war das. Die sind dann dort von dem Land weggekommen. Von wo, das haben wir nicht gewusst. Aber es waren keine Juden. Eine Übersiedelung von Leuten.

A:

Haben diese Leute deutsch gesprochen?

B:

Die haben nix sprechen dürfen. Die haben nur so „Wasser, Wasser“, das haben wir gehört. Es könnte gewesen sein, da war doch ein Land, da haben sie übersiedelt. Da war doch ein Land dass sie eingenommen haben, über uns. Mariatrost draußen ist sogar von diesen Leuten was erbaut worden. Wie haben die geheißen. Ich kanns nicht sagen, vielleicht fällts mir noch ein. Jedenfalls, das war ein Erlebnis, das ich noch gehabt habe.

A:

Könnte es sein, dass das 1944 herum war? Wenn sie 16 Jahre alt waren, kommt das so ungefähr hin?

B:

Naja, das dürfte so sein, als die Übersiedelung war. Über uns hat jemand gewohnt, die waren auch von da. Die haben gehen müssen, auf einmal, haben alles mitnehmen müssen, in den Zug hinein. „Ihr kommts woanders hin“, habens gsagt zu denen. Er war Deutscher, eh Österreicher. Sie war von dort. Alles nehmen, gemma. Ah, sie war eine Rumänin. Es könnten Rumänen gewesen sein, aber ich weiß es nicht mehr 100 | S e i t e


genau.

Das

kann

ich

nicht

sagen.

Schaust

nach

einfach.

Ein weiteres Erlebnis, das habe ich auch immer meinen Jungscharmädchen später erzählt, das ist so ähnlich wie das Sterntalermärchen. Auch den Kindern im Kindergarten hab ich das erzählt, weil mir das so einen großen Eindruck gemacht hat. Wir sind nach Hause geschickt worden, haben einen Urlaubsschein gehabt, ein Urlaubsschein. Wir dürfen acht Tage zu Hause bleiben, es war gefährlich für die Kinder, das haben sie nicht verantworten können, dass wir immer hin und her fahren mit den Schubkarren zu den Bunkern, zu dem Keller. Leider Gottes war schon viel, unten in Leibnitz habens schon viel bombardiert, viele Sachen. Wir haben müssen zu Fuß gehn weil kein Zug gefahren ist, da sie die Züge schon bombardiert haben, die Strecke, da konnt der Zug nicht mehr durchfahren. Da haben sie uns gesagt, wenn wir die SS treffen, die nehmen uns mit. Wir haben aber so eine Angst gehabt, weil wir haben gesehen dass die Flieger auf diese Leute ja immer bombardiert haben, und so haben wir gebeten, dass sie uns sagen sollen, wie man von Leibnitz nach Graz gehen kann, und da sind wir lieber gegangen. Wir waren eben sechs, sieben, von unten. Da haben wir uns zusammen getan, haben eine Jause bekommen, und ein Sackerl, und ein Wasser in der Flasche, und so sind wir marschiert. Wir sind nicht auf der Straße gegangen, weil da is die SS mit allerhand gefahren. Uns haben dann eh welche aufgehalten, natürlich haben wir eh alles gezeigt, die waren eh freundlich, wollten uns mitnehmen, aber wir haben gesagt „Na danke, wir sind eh gleich daheim.“. Is ja nicht drauf gestanden wo hin wir mussten. Und dann sind wir durch den Wald gegangen, und das werd ich nie vergessen, weißt du – das war wie ein Sterntalermärchen. Es war schon düster, aber wir haben nix gehabt, ka Beleuchtung oder irgendwas, a Kerzerl haben wir gehabt, die haben wir angezündet. A Latern haben wir gehabt, da war sie drin. Wir haben ja Angst gehabt, sag ich dir ehrlich. Aber wir haben gesungen, alle Lieder die wir kennen haben wir gesungen, und wir sind marschiert, auf einmal – haben wir gehört, ein Flugzeug, die SS ist gekommen, dann waren wir still. „Seids still“, haben wir gesagt, weil wenn die das hören, zum Schluss bombardieren sie uns. Waren wir ruhig. Aber des hättens eh net gmocht, im Wold. Und auf einmal haben wir Rascheln gehört. Und da sind wir gestanden, haben gedacht, des is a Fuchs oder ein Viech. Da steht, mitten drin im Wald, ein Mäderl, nix anghabt als a klans Hoserl, 101 | S e i t e


und hat zittert. Mir san natürlich alle zu ihr. Zerst hab i gsagt, bleibts weg, de firchtet sich, rennt uns davon, die hat vielleicht die Mutter verlorn. Und i bin ganz langsam zu dem Kind hin gegangen und hab mit ihr sprechen wollen, aber sie hat keine Antwort gegebn. Da hab ich mein Jackerl ausgezogen und ihr angezogen, die hat so zittert. Und dann hab ich aus meiner Umhängetasche meine Jause hingegeben. Des Kind hat die Jausn nur so wegputzt. Jetzt sind schon die anderen alle her kommen, und wir haben versucht mit ihr zum redn. Entweder hat sie net Deutsch können, aber wir haben dann was gesehen, weißt du. Auf ihrem Kleidungsstück war ein Zeichen oben. Jude. I hab nix gsogt, wir haben nur gschaut, wir haben gwusst, des is ein jüdisches Kind. I hätts mit ham gnommen, des wär ma wurscht gwesn. Auf einmal waren olle Leit do. A gaunza Schippl. Ana wor dabei, der hat Deutsch können. Die wollten nach Leibnitz hinunter, über die Grenze. Nach Marburg, dort habens Verwandte. Die sind irgendwie davon gekommen. Auf den Bäumen ganz oben warns, haben herunter geschaut. Wies gsehn haben dass wir dem Kind nix tun, sans kommen. Wir haben alle die Jause hergebn, denen, und Wasser haben wir auch alle hergebn. Wir waren no weit weg von Graz aber des war uns wurscht. Und dann hat er gsagt, des Kind habens müssen ausziehen, weil sie hat no überall des Zeichen oben ghabt. Die anderen haben schon alle anderes Gwand anghabt. Kriegt von Bauern und so. Und ihre Sochn homs schnö vom Leib runter grissn nur habens vergessn dass auf der Hosn a no a Zeichn is. Wir hom dann alle mit erna gredet, haben gsagt „Wir wünschen ihnen Glück“, und so. Es ist nicht mehr weit, gleich ist die Grenze. Dann haben wir ihnen noch gesagt, sie sollen ja nicht auf der Straße gehen, weil das ist anstrengend, beim Kind haben wir nix von da SS gsogt. Und dann sinds weitermarschiert. Wir haben eine Karte gehabt, da is eh genau oben gestanden, wies hinkumman. Das haben wir ihnen dann geschenkt. Sie sollen nach der Karte gehn, des war gut. Dann sinds gegangen. Und es weiß kein Mensch ob die durchkommen sind. Wie die durchkommen sind. Wir waren mal mit der Jungschar an der Grenze, da war ein Friedhof. Da waren auch 12 so Leute begraben. Also wir wissen nicht wies war. A:

Und dieses Erlebnis war dann ihr Geheimnis in der Gruppe, sie haben nie ein Wort darüber verloren?

102 | S e i t e


B:

Nein! Wirklich net. I hab nur erzählt dass wir ein Kind gesehn haben, dass dort war, weil mein Jackerl war ja nicht da, da hab ich was zuhaus dazöhn müssen. Aber i hab nie gesagt dass des Juden waren, weil damals hat man wirklich aufpassen müssen. Man kann den anderen hineinlegen, aber des wollt i net. Wenn i des harmlos so dahin sag und a andra hört des dann bin ich gleich dran, net. Das habe ich nie gemacht. Wir haben wirklich aufgepasst, wir wollten niemanden verletzten. Vor allem net des Kind. Des war ja so arm. Wie ein Sterntalerkind halt.

A:

Dieses Erlebnis war auch gegen 1944?

B:

Ja, das war alles, bevors so richtig los ging. In Graz ist ja fest bombardiert worden, Gartengasse, alles. Weil da waren, wo diese Seifenfabrik is, dort ist Gift erzeugt worden. Glaubst des hat jemand gewusst von uns? Das haben sie auch erst später erzählt. Obs wahr is weiß i net aber gsagt is halt wurdn. Das habn sie ( Anm.: die Alliierten) ja bombardiert. Sie haben weder die Herz – Jesu Kirche bombardiert, sie haben schon ausgsucht, da waren sie schon sehr genau. Gartengasse, wo wir wohnen, is neben uns runtergangen, hinten is gangen, weil da war auch so eine schöne Biedermeiervilla, bei der Technischen Hochschule - die haben sie auch nicht berührt – da haben sie geplant drinnen (Anm.: deutsche Komandozentrale) und die habens auch bombardiert. Des habens genau gewusst, da waren Spione dass sie alles gewusst haben die Leute. Und ich muss ehrlich sagen, sie haben dann nicht alles zerstört. Diese Menschen, die da die Bomben runter lassen haben für uns haben nicht alles zerstört. Die Herz – Jesu Kirche steht, die Uni steht, sie haben schon bewusst herunterghaut, des muss man schon zugeben. Dass einmal was falsch fällt, es liegt halt noch viel Klumpat drinnen in der Erd, die nie losgangen san, des is auch noch möglich, aber so brutal waren sie net bei uns. Nagelgasse habens auch a bissal dawischt aber da war halt auch überoll wos drinnen. Was man nicht gewusst hat. Aber die habens halt gewusst, da kann man nichts machen, so is des halt im Krieg. In die Herz – Jesu Kirche sind die Leute alle zum Schutz hinein gangan. Ein Schutzkeller. Die Unterkirche, da sind alle hineingelaufen. Die Mama ist mit uns nicht gelaufen weil sie hat net wollen weil sie hat ein Gscheft ghabt in der Gartengasse, dort unten, da hat sie gsagt, wir können auch überleben im Gscheft. Weil wenn alles kaputt gangen is hätt sie die anderen no verfolgen können. Die Hilfsbereitschaft, die war schon 103 | S e i t e


überall da. Das muss man sagen. Kindergärten haben wir hier noch keine gehabt, damals waren so Kinderbetreuungsstätten no net so, die sind ja erst später gekommen, wie der Krieg schon aus war. Was brauchst du noch, jetzt hab ich dir schon viel erzählt, aber ich denk, du kannst das alles auch gut brauchen. Man weiß nie im Leben was kommt. Es können solche Dinge wieder mal erscheinen. Unserer Jugend (Anm.: Jungschar) hab ich immer das erzählt. Hinterher hab i mir immer so gedacht „Was hättest gsagt wenn bei da Suppn wer drauf kommen wär“, i hätt dem doch nix geben dürfen. Dann hätt i halt gsagt des wär mei Suppn, i iss heut nix und hab keinen Hunger. Aber, die Leute, die waren auch hässlich. Die Soldaten, die, na, die von den Russen, die waren auch arm. Lauter junge Burschen warns, mir habens so leid getan. Die Gefangenen. Den Engländern is gut gegangen. Aber die Russen, die haben müssen Schnee schaufeln. I sag des jetzt net, weil i mi wichtig mach bei dir, aber stell dir vor, die sind gekommen, kein Mensch hats aufs Klo gehen lassen, und dann habens gschimpft wenn was schmutzig war. Und i kann mi erinnern, 13 sind zu uns ins Gschäft kommen, und da war auch eine Toilette. Und da war auch ein Raum, da hat man Tee machen können, und meine Tante hat dort immer so warmes Wasser gehabt. Und dann sind diese 13 gekommen. Es war so kalt. Keine Handschuhe, die Schuhe kaputt, alles aufgegangen. Mir habens so leid getan, kan Spogat homma ghobt, nix. De san olle bei uns aufs Klo gaungan, bei da Stiagn sans gsessn. Dann hat meine Tante Tee für sie gmacht, die hat auch viele Sprachen gekonnt, Slowenisch, a bissal Russisch, Ungarisch, Deutsch und Englisch auch. Und die hat mit denen da geredet und hat ihnen einen Tee gegeben. Mein Gott, weiß wie die sich gfreut haben. Und dann hab ich – die Mama hätt eh fost da Schlog troffn – i hob mein Rock zerschnitten, damit die Schnürl ghobt hom für die Schuah. Stell dir vor, die haben keine Schuhbandl ghobt, wie sollen denn die gehen. Mir hat der so Leid getan. Bin i gaungan, hob i a Scher gholt, und de hom olle glocht, hom also wos zum Lochn gehabt! Und i hob owagschnittn, und hobs draht und eingfedelt. De haben so a Freid ghobt! Kinderhandschuh hob i erm gebn, weil ma sunst nix ghobt hoben.So, jetzt gemma wieder zurück zum Kindergarten, des kaust jo so irgendwo dazua tuan. A:

Interessant wäre für mich noch der genaue Tagesablauf im Kindergarten. Wie gestaltete sich denn der typische Ablauf? 104 | S e i t e


B:

Um sieben Uhr sind die Kinder schon gekommen.

A:

Wurden die Kinder von den Eltern gebracht oder sind sie alleine zum Kindergarten gekommen?

B:

Gebracht und allein. Beides. Sie konnten alleine kommen. Zu Mittag, um 12 Uhr, war Essen. Das Essen war in einer Küche, das ist gekommen, in so Kannen. Bei uns wars im Kloster, vom Kloster. Im Hort zumindest. Der Kindergarten hats von wo anders, aber von wo, das weiß i net mehr. Pferde mit Wagen sind gekommen, dann isas im Kindergarten aufgewärmt worden.

A:

Haben Sie einen Morgenkreis mit den Kindern gestaltet?

B:

Ja. Morgenkreis war immer in der Früh. Alle begrüßt, liebe Lieder haben wir gesungen. Die Sonne haben wir bewundert, allen guten Morgen gewünscht. Natürlich dem Führer auch, net, der war so a bisserl wie Gott. Das was ma da gsagt haben hab ich aber nicht machen müssen das war immer die Leiterin. Ich habe über den Hitler nie sprechen brauchen, des war der Leiterin ihre Aufgabe. Wir waren ja nur Hilfsarbeiter. Aber i hätt mir net schwer tan. I hätt gsagt „Lieber Gott beschütze ihn“, oder „Wir wünschen dir Glück“ oder so, net. Des hätt ich erfunden. Oder i hätt was kriegt. Aber das hat sie eben gemacht, die Leiterin. Dann war eine Geschichte, da haben sich die Kinder gesetzt, entweder am Boden oder was wir halt gehabt haben, Sesserl oder so. Dann habe ich eine Geschichte erzählt. Eine Vorbereitung haben wir auch haben müssen, das hat man abgeben müssen, was man am Tag macht, der Leiterin hab ichs abgeben müssn. Zum Beispiel Weihnachten, erzählen einer Geschichte oder Märchen, dann hat man aufschreiben müssen was man erzählt, von Weihnachten, die Bräuche oder so. Advent. Der Advent hat dann nicht mit Ankunft was zu tun gehabt, sondern vom Licht, dass die Tage kürzer werden. Auch das Christkind, das hats ja nicht gegeben. Wir haben von dem Sonnenkind gredet. Da kann man viel draus machen.

A:

Also eindeutig ohne religiösen Hintergrund.

B:

Ja genau. Märchen auch zum Thema, wenns gschneit hat, zum Schnee. Und nach der Geschichte ist meistens ein kleines Spiel drauf gwesn oder ein Gedicht, das die Kinder 105 | S e i t e


gelernt haben. Und dann sind wir aufs Klo marschiert, um neune dann. Und danach habens gjausnet. Bis viertel, halb Zehn. A:

Hat der Kindergarten die Jause zur Verfügung gestellt oder haben die Kinder selbst etwas mitbringen müssen?

B:

Wir haben keine Jause hergegeben. Da haben schon die Kinder mitgebracht. Nur hie und da, von UNICEF, da haben wir dann so Haferflocken griegt und Zucker, das haben wir eingrührt und das haben die Kinder dann dazu griegt. Die Bauern haben oft so Äpfel oder Brot gschenkt, dann haben die Kinder die Jause von da gegessen. Aber nur einfach, so Butter oder so, das haben wir nicht gehabt. Is ganz gut gangen. Danach haben wir Bewegungsspiele gemacht, entweder im Kreis, oder Bewegungsspiele so dass man die Kinder verschieden beschäftigte. Der eine ist in der Mitte, des is da Wolf, so lustige Sachn halt. Dass sie auch laufn haben können. Entweder im Garten draußen oder im Raum. Des waren Bewegungsspiele.

A:

Haben Sie da auch so Spiele wie „Der Schwarze Mann“ gespielt?

B:

Ja natürlich, alles, alles. Fangspiele und so. Oder Zimmer Küchen Kabinett, hinterm Ofen steht ein Bett. Des spielens heut auch noch. Da gibts viele liebe Spiele, die haben wir scho gspielt. Viele auch in der Natur. Die ganze Wiese haben wir dürfen verwenden, da kann man schon viel machen.

A:

Wie ging es dann nach diesen Bewegungsspielen weiter?

B:

Dann ist entweder ein Spaziergang gewesen, dass man etwas besichtigen kann in der Natur, etwas schönes erleben, ein Erlebnis. Oder wenn wir im Raum sind, dass man etwas bringt was dazu passend ist, dass das Kind mal angreifen darf, so Greifspiele. Oder Werken, und natürlich Singen, konnte man auch. Singspiel haben wir gemacht, da konnten dann alle mittun. Und zeichnen, zeichnen haben wir viel gemacht, weil das war wichtig, für die Schule. Die Kinder die wenig zeichnen, da muss man schaun, ob sie gut sehen und hören, das ist auch wichtig. Hörspiele haben wir auch gemacht. Danach ist das ausgelaufen, so ruhig. Zum Schluss habens noch eine Zeichnung gemacht oder so, vor dem Mittagessen noch etwas ruhiges, damit sie runterkommen. I hab immer so gemacht: Ruhe – Bewegung – Höhepunkt – Ruhe. Am Nachmittag 106 | S e i t e


wars noch schöner, die Kinder sind ja nach dem Mittagessen schlafen gegangen, das war Pflicht. A:

Wie lang haben die Kinder da geschlafen?

B:

Eine Stunde. War vorgeschrieben. Im Gruppenraum. Wir haben auch eine Stunde Pause gehabt, das hat gepasst. Zum Essen brauchens auch a halbe Stund, dann Hände waschen, Klo gehen. Dann hab ich eine Gute Nacht Geschichte erzählt, aber „Gute Nacht“ habe ich nicht gesagt, ich hab gsagt „Eine Zaubergeschichte“ kommt noch, weißt eh, Schmee wieder von der Resi, dann hab ich sie gestreichelt, dann habens eh bald geschlafen. Das Streicheln war etwas wunderbares, nur a bissi am Kopf, manche haben die Augerl zu gemacht. Wir haben auch Spaß gehabt. Ich hab mich auch mal niederglegt, und hab mich dazu glegt zu den Kindern weil da is mal schwer gangan, und dann hab ich gsagt „So die Tante Resi legt sich auch dazu, haut sich aufs Ohr, keiner darf mich aufwecken!“ Und ich hab ausgmacht ghabt mit der Leiterin, sie soll schaun kommen. Dann haben wir eine Hetz gmacht, das kann man auch mal. Und dann waren sie ganz stü, kana hot an Mucks gmacht, und die Leiterin is gekommen, die Schritte hat man ganz genau gehört, und dann hat die Leiterin gsagt „Mein Gott, die sind ja ganz allein, wo is die Tante Resi, die is ja gar nicht da, alle schlafen, sowas habe ich noch nicht erlebt!“. Und dann haben alle schlafen können, auch die, die vorher nicht schlafen wollten. Es gibt halt Kinder, die wollten nicht schlafen. Oder die haben nicht schlafen können.

A:

Und nach dem Schlafen?

B:

Da war wieder Jause, ein bischen Spiele, aufräumen. Dann sinds was trinken gegangen, und dann als Jause habens meistens Äpfel bekommen. Nachmittag habens Obst griegt. Das haben wir gschenkt bekommen. Dann sind wir auch viel Spazieren gegangen, in die Natur hinaus, wenns gegangen is. Wenn nicht, dann haben wir was gebastelt, am Nachmittag. Bilderbücher angeschaut, kleine Überraschungen haben wir gehabt, was so in einer Schachtel alles drin war und so. Dann, nach dem Spazieren gehen, da war dann wieder Ruhe. Beim Spazieren, da konnt man Betrachtungen machen, mit Steinen baun, im Wald, da haben wir viel gemacht.

107 | S e i t e


A:

Das heißt, man kann sagen, dass Sie in Ihrer Arbeit im Kindergarten sehr naturbezogen waren?

B:

Ja, sehr naturbezogen. Ich muss ehrlich sein, früher hat man mehr in der Natur gemacht als jetzt. Leibnitz is ja von Wald umgeben. Wir haben auf der Wiese Blumen gesucht und geklebt. Mit eigenem Kleister, den haben wir aus Mehl gemacht. Wir haben ja erfinderisch sein müssen. Die Kinder haben allein schon auf der Wieso soviel entdeckt. Käfer, Schmetterlinge, alles. Da haben wir so Kartondoserl ghabt, da haben wir das Tier reingegeben, mit Erde und Moos. Da hamman dann angschaut. Marienkäferl und olles. Nachher haben wir ihn dann eh wieder rauslassen. Wenn ma an toten Vogel gfunden haben haben wir Begräbnis gmacht. Da Hausmeister hat den Vogel dann ausgrabn weil sonst hättens (Anm.: die Kinder) den jeden Tag nomal neu begrabn. Auf die Gräber habens dann Kreuze rauftan, die haben wir wieder runter tan, des haben wir uns net traut lassen. Wir haben dann gsagt zu den Kindern, sie solln Steine rauftun, de habens dann auch bemalt und so. Siehst du, man kann alles verändern, und des is dann das gleiche. Nach dem Spaziergang sind wir nach Hause gekommen, dann hamma wieder was ruhiges gemacht. Haben ein Buch angeschaut, wenn ma auf der Wiese waren ein Buch über die Wiese, hamma nachgschaut, welche Blumen wir grad gsehn haben. Und dann haben wir gsungen, Lieder gesungen, Abendlieder, und sie dann so beruhigt, die wollten dann gar net heimgehn. Und dann sinds nach Haus gangen. Einige allein. Dann haben wir zusammengeräumt, oder stehen lassen, damit man am nächsten Tag weiterspielen konnte.

A:

Weil Sie es vorher erwähnt haben, welche Bilderbücher gab es denn damals?

B:

Diese Schönen. Die es jetzt nicht mehr gibt. Die alten, von Weihnachtsengerl zum Beispiel. Wunderbar gezeichnet, aber viel oben. Zum Entdecken. Wirklich schön. Die Zeichnungen waren sehr schön. Die Bücher hab ich heuer geklebt und ganz schön teuer verkauft, weißt. Untereinander haben wir auch Bilderbücher getauscht, wir haben mit den Eltern gesprochen, ob sie uns nicht Bücher borgen wollen und so. Und dann haben sies uns geborgt, auch Spiele. Wir haben so selbstgemachte Spiele gehabt, zum Beispiel Mauserl, zum rechnen. Mengenlehre, das hat man damals schon gemacht, Rechenspiele hat das geheißen. Oder Schreibspiele. Ein Wort haben 108 | S e i t e


wir aufgeschrieben, zum Beispiel Mama oder Papa. Zum Muttertag haben wir das oft gespielt. Dann habens gezeichnet, so schön. Vater, Mutter, Kinderlein. A:

Welches Spielzeug hatten Sie denn damals im Kindergarten?

B:

Puppen. Die haben wir gemacht, alles selbst. Aus Stoff, so Stoffpupperl, viele haben wir gemacht. Die waren aber ganz einfach, a klans Kopferl und dann ein Gwanderl. So Wollresterl haben wir schon bekommen, und die Stecknadeln, die waren aus Holz. Hamma ja sonst nix gehabt. Gehäkelt haben wir auch, mit zwei Steckerl ausm Wald (lacht). Man muss einfach erfinderisch sein. Aus der Natur, zwei Steckerl, wir haben gstrickt. Wir haben auch mit Besen gspielt, Kasperltheater mit Besn. Kannst dir gar nicht vorstellen was wir gelacht haben!

A:

Haben die Buben mit diesen Puppen auch gespielt?

B:

Ois. Do wor noch kein Unterschied, dass man gesagt hätte, du, des derfst net. Die Kinder waren da auch viel natürlicher als jetzt. Teddybär haben wir auch gehabt, einen, so alte noch, so schöne. Des is ein Geschenk gewesen. Kasperl haben wir gehabt, Kasperl gespielt haben wir auch, die Kinder haben gespielt damit.

A:

Gab es unter dem Spielangebot auch Kriegsspielzeug?

B:

Das haben wir leider nicht gehabt, aber wir haben uns selber Soldaten gemacht, aus Stroh. Die sind marschiert, haben geturnt. Natürlich haben die Kinder , dass hie und da mal wer was mitgebracht hat, dass die Kinder von daheim Kriegsspielzeug mitbracht haben. Das haben wir betrachtet, und ich hab das so gemacht: Ich hab nicht gsagt das geht nicht, weil das war ja in Wirklichkeit auch da. Wir haben gespielt damit, der hot uns alles vorgeführt damit, und dann hab ich gsagt, so, jetzt muss er wieder in die Garage. Weil sonst kann er nicht weiterspielen. Man reizt ja die Kinder viel mehr wenn sie nix angreifen dürfen oder wenn ichs verbiet. Wieso? Er soll damit hantieren können. Man muss schaun, dass man schießt, wen man erschießen darf und so. Es waren schon wertvolle Dinge auch dabei. „ Wozu brauchst du des?“, den Panzer, dass das Kind auch den Unterschied kennen lernt, wie man mit so einem Gerät hantiert, mit so einem Fohrzeig, mit so einem Gwehr. Was kann man schießen, was darf man schießen, was soll man erschießen, das war ja a klasses Thema. Da 109 | S e i t e


kann man viel bei den Kindern machen. I mein, was darf man denn erschießen? Ich darf ein Tier erschießen, wenn es, sagen wir, wenn man was zum Essen braucht. Das darf ich erschießen weil eh soviele wieder auf die Welt kommen. Der Mensch braucht was zu Essen. Aber ich darf keinen Menschen erschießen eigentlich. A:

Und das haben Sie den Kindern auch so gesagt?

B:

Ja. Man darf keine Menschen erschießen. Aber weißt wie die Kinder da schon geeicht waren? Die haben gesagt „Auf Menschen darf man nicht schießen aber wenn der mich erschießen will dann darf ich schießen“. Das ist auch richtig, man weiß ja nie, ob der einen wirklich erschießen will. Das war etwas schwer, aber i hab immer lassen, was die Kinder sagen. Dann kann man einwirken. Weil man muss denken – jetzt haben sie das erlebt damals, das war ein Thema. Warum? Warum tun sie das? Warum ist Krieg? Das ist schwer. Was sagt man da? „Nja, weißt du, weil sich Menschen nicht verstehen können“. Braucht man nur sagen zum Kind „Verstehen sich alle Kinder? Wer streitet nie?“ Na bitte, da waren die Kinder so ehrlich, da habens selber gsagt „Wir streiten auch!“. Ist richtig.

A:

Hatten Sie auch Montessori Material im Kindergarten?

B:

Ja, wir hatten auch Montessori Material. Das waren sehr lustige Spiele, so Würfel. Die haben wir eingeräumt und ausgeräumt, das war auch lustig. Und Tafeln. Und dann haben wir selber gemacht, einen Schuh, da habens dann Schuhe gebunden geübt.

A:

Über dieses Montessori Material, hat sich da niemand beschwert?

B:

Na, die haben des ja gar net gwusst dass des Montessori Material war. I hobs gmocht, i hobs jo in der Schul gsehn. Aber des hot jo kana gwusst von denen. Des wor net so. Des haben wir dann auch selbst gemacht, aus Karton. Wie deppat. Aber Montessori allein, des würd i net aushalten. Da is kein Leben drinnen, in Italien, da war ich mal. Da war i unten. Nachn Krieg. Und hab mir des angschaut. Da war nur Stille drin im Kindergarten. Des halt i überhaupt net aus. So still.

A:

Sie erwähnten vorhin, dass Sie in Ihrer Tätigkeit im Kindergarten auch kontrolliert wurden. Wer hat denn da kontrolliert?

110 | S e i t e


B:

Die von der Gauleitung. Die das über ghabt haben. Von der Gau Steiermark.

A:

Haben Sie die Kinder, wenn sie sich unartig benommen haben, auch bestraft?

B:

I hob kane Kinder brauchn bestrofen, i hob jo so ein Glück gehabt. Disziplin hob ich leicht gehabt – mit Humor. Mei Humor hat des alles geschafft. Kinder dürfn bei mir frei sein, aber mit Regeln. I hob immer mit Spiele ois gschofft. Mit Schmee und Witz, mit Humor. I hab nie wen bestraft. Hab i net brauchen. Meine Strafe wor – „Du raufst jetzt mit mir!“ und i hab immer gwonnen. Wenn zwei sich gstrittn haben hab is beide zu mir gholt. Und dann hab ich gsagt „Hallo, ich bin der Richter, mein Name ist Josef“, oder so irgendeinen Bledsinn hab ich gredt, „so, sie dürfen jetzt sprechen!“, da hab ichs mit „Sie“ angsprochen. Und da haben alle anderen gschaut und waren still. Und dann hat der eine gsagt „Der hat mi tretn“, und ich hab dann gfragt mit welchem Fuß denn. Und der hat gsagt mitm Rechtn. Und i hab dann gsagt zum Klanan, er soll zu seim Fuß sagn „Lieber Herr Fuß, das tun Sie nicht mehr bitte.“ Du, die haben mich angschaut, und dann hat der eine gsagt zum seinem Fuß „Her auf, du gibst nie a Ruh“, und so wars gelöst. Ja, so war ich. Regeln hab ich aufgstellt, aber nicht zu viele. Mit Humor hauptsach (lacht).

A:

Haben Sie die Situation miterlebt, dass von Kindern in Ihrer Zeit als Kindergartenpädagogin im Krieg der Vater starb?

B:

Ja. Das ist das furchtbarste. Erstens, meine Nichte, die haben auch keinen Vater gehabt, da is auch der Vater gstorbn im Krieg, da warens fünf und vier. Da muss man sehr viel Liebe denen geben. Aber ich hab sie dann im Kindergarten mitgenommen, die zwei. Aber des is furchtbar, da kann man nur dazuheulen. Wenn der Vater zum Beispiel in den Zug eingestiegen ist und nie mehr kommen ist. Was sagt man dann einem vierjährigen Mäderl? Und eine, die is dann später ind Schul kommen, und die hätt sollen einen Aufsatz schreiben über ihrn Vater, und die hat nix gschriem. Da hat die Frau Lehrin gfragt, „Ja warum schreibst denn du nix?“, und sie hat gsagt „Ich habe keinen Vater.“ Der Vater ist tot, die Mutter is immer Friedhof gegangen und so. Und die kleinste, die hat Märchen erzählt, die hat gsagt, dass der Papa ihr heut vom Himmel runter gewunken hat und so. Es is furchtbar. Der Tod ist für ein Kind schon schwer zu bewältigen. Ich habs dann so gemacht, ich 111 | S e i t e


hab, wenn wir einen wirklich lieben Vater ghabt haben, dann hab ich den eingladn zum Faschingsfest oder so, oder zum Spazieren gehn. Bei manchen wars so, der Vater, der Bruder, alle tot. Nicht mehr gekommen. Die Kinder haben da fürchterlich gelitten. Da kann man die Kinder auch nicht scharf rannehmen, da is die Seele ganz weich. Und die Mütter weinen zu Hause. Man muss so sagen „Er wird kommen“ und so. Des war vielleicht ein wenig schwierig, weil man ja religiös nix machen durfte. Sie haben sich nirgends anhalten können. Wenn die Familie religiös war, dann ists noch gangen. Aber wenn net, wo soll sich das Kind dann hinwenden? Manche haben nur sagen können „Der Hitler macht das“, dann warens stü. A:

Wer hat das zu den Kindern gesagt?

B:

Naja, wenn einer gefallen ist, dann war das dann, wenn diese Familie für diese Sache war, war er wie ein Held. Der hat sich geopfert, für uns. Diese Kinder waren dann gleich. Die sind groß geworden, vielleicht kommt deswegen auch heut noch manchmal

sowas

raus.

Das

war

der

Held,

fürs

Vaterland.

I mein, i war ja auch schockiert, wie ich erfahren hab, was die alles gemacht haben. Es hat niemand geholfen. Und wir haben das gar nicht gewusst was da alles passiert is. Mir haben die Leut was erzählt. Die Väter, die das mitgmacht haben. Die haben mir des dann alles erzählt. Was da alles war. Die Leute haben das weg wollen. Nur weg. Bei uns im Haus ist einer, der ist blind. Der sieht jetzt nix. Der is damals blind worden, der hat mir immer erzählt, was ihm passiert ist. Das schlimmste für diese Väter war, dass sie gefangen waren und nix zum Essen bekommen haben. Und sie haben Kinder bekommen, die sie nie gesehen hatten. Wie der Krieg aus war sind sie heimgekommen und haben dann erst die Kinder gesehen. Die Kinder waren schon ein wenig anders. Diese Zeit, 1947, da war ich als Kindergärtnerin dann schon fertig. Seminar gehen und so, und ich hab dann das nachmachen müssen. Wers nicht nachgmacht hat der war weg vom Fenster. Hab ich halt gmacht, fertig aus, hab eh muats a Hetz ghabt. A:

Hing im Gruppenraum ein Bild von Adolf Hitler, und was haben Sie zu seinem Geburtstag gemacht?

112 | S e i t e


B:

Die Bilder sind überall ghengt. Jeder hats müssen aufhängen, auch im Gruppenraum. Überall. Er war auch, er war da. Ist geschmückt worden mit Blumen und so. Kleine, große, je nachdem. 1947, im Magistratskindergarten, sind ja auch die Politiker bei uns ghengt.

A:

Und zum Geburtstag von Hitler, was passierte da im Kindergarten?

B:

Da gabs eine Feier. Immer eine Feier. Da sind wir auch wohin schauen gegangen, das war was besonderes. I kann mi net mehr genau so erinnern wo, aber es war immer eine Feier. Umzug, Aufmarsch, im Kindergarten war eine kleine Feier, wir sind zusammengekommen, getanzt, Glaube und Schönheit. Es war ja auch schön! Die haben schön getanzt, die Mädchen. Da waren lauter liebe Jugendliche, des hätte dir auch gefallen. Wenn man nichts weiß, wenn man nicht weiß dass da auch was Schlimmes dabei ist, nicht, soll man doch. Glaube und Schönheit war auch schön.

A:

Wie würden Sie sagen, haben Kinder Hitler vermittelt bekommen? Sie erwähnten vorhin, dass er einem Gott gleich behandelt wurde. Oder war er im Kindergarten eher in der Onkel – oder Opa – Rolle?

B:

Nein, Opa war er nicht. Er war so, wie ein Herrgott. Er war eine Gestalt, ein Wesen, dass jeder angenommen hat. Er hat schon Kräfte in sich gehabt, der Mensch. Er hat ja alle in der Hand gehabt. Man muss denken, soviele Leut haben keine Arbeit gehabt. Er hat ihnen welche gegeben. Brot, Geld, er hat es gehabt. Er hat die armen Teifl, die Maurer, die schuften haben müssen, erhoben. Würde man das dann nicht machen? Man muss ehrlich sein. Der Mensch nimmt das doch an. Wenn er gibt, er hat doch gegeben. Aber das andere (Anm.: Holocaust), das hat niemand gewusst. Das haben nur diese Leute gewusst, die eng drum herum waren. Die das gesehen haben. Das da was net gepasst hat. Das ist ja erst alles später aufgekommen, heraugekommen. Ich hab das nicht verstanden dass da die anderen Länder nicht angegriffen haben. Das habe ich nie verstanden. Warum? Warum haben sie nie geholfen? Da is ein großer Fehler entstanden, bei allen. Wers gewusst hat, der war feig. Hat nix gsagt. Aber man konnte ja eh nicht helfen. Aber die Länder sollten helfen. Aber das ist nicht gegangen.

A:

Haben Ihnen die Kinder zur Person Hitler Fragen gestellt? 113 | S e i t e


B:

Nein, die sind von Zuhause schon so erzogen worden. Die haben genau gwusst. Jeder hat zuhause schon gredet. Die waren begeistert. Man darf nicht so reden, Österreich war nicht begeistert. Die waren alle begeistert gewesen. Aber – es waren auch Leute dabei, die waren begeistert, aber waren eigentlich innerlich bei der KP, bei der KPÖ (Anm.: Kommunistische Partei Österreichs). Die hab ich selbst getroffen, ich will den Namen nicht sagen. Die hat mit uns gesungen, getanzt, alles. Und dann geh ich ins Magistrat, dann sitzt die auch da drin. I mein, Leute drehen sich wie der Wind, das habe ich gelernt. Die Falschheit siegt, das is immer so, und war auch immer so. Wenns einem gut geht, is man bei dem, wenn net, bei wem andren. Für Politk hab ich heut nix mehr übrig, mir reichts von damals, muss ich ehrlich sagen. Für mich war des so ein Schock, dass die eine, die war so begeistert damals, dann war sie bei der KPÖ, dann bei den Sozialisten und so. Das hat mir nicht gefallen. Das war nicht in Ordnung.

A:

Waren Sie Mitglied in der NSDAP oder im BDM?

B:

Nein, da war ich nicht dabei. Bei der BDM wär ich hineingefallen aber ich war nicht dabei. Hat nie wer was gsagt. I hab a nie so Probleme gehabt, nur amol mitm Ahnenpass. Da hab i mir gleich ein neues gekauft weil mein altes weg war.

A:

Ist Ihnen Johanna Haarer ein Begriff?

B:

Nein. Ghert hab ich schon davon. Halt, wart. Ein Buch. Aber sonst weiß i nix. Sie war a Pädagogin oder so. Aber, ich hab nicht soviel zu tun ghabt mit der. Schulungen oder so, haben wir nicht gehabt. Nur die Leiterin is geschult worden, die hat uns dann des weiter erzählt.

114 | S e i t e


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