7 minute read
Wir brauchen mehr Kunden
2019 war ein Erfolgsjahr für Südtirols Energieriesen. Doch das außergewöhnliche erste Halbjahr 2020 hat bei Alperia deutliche Spuren hinterlassen. Warum es nun an der Zeit ist, stärker auf neue Geschäftsfelder zu setzen – Generaldirektor Johann Wohlfarter im Interview.
Johann Wohlfarter ist seit der Gründung im Jänner 2016 General direktor der Alperia.
Advertisement
Nicht nur die Unternehmensrisiken sind in Zeiten von Covid-19 rasant gestiegen. Auch gesundheitlich ist im Herbst 2020 Vorsicht geboten. Und so tre en wir Johann Wohlfarter, den Generaldirektor des Energieriesen Alperia, nicht wie gewohnt am Unternehmenssitz in der Bozner Zwölfmalgreiener Straße, sondern – auf Teams. Auch wenn wir uns einige Male noch näher an unsere Bildschirme bewegen müssen, um einander gut zu verstehen, fühlt sich diese Form des Interviews mittlerweile genauso gewohnt an wie die Tatsache, dass Kommunikationschef Stefan Stabler im Hintergrund fast hinter seiner Maske verschwindet. Vieles hat sich geändert seit März 2020, nicht nur unsere Art der Kommunikation. Was den digitalen Vorwärtssprung der Arbeits- und Produktionswelt betri , war Alperia dem Lockdown sogar schon voraus. Einer der Gründe, warum die Nummer 2 der „Top 300 Unternehmen des Landes“ in seinem fün en Lebensjahr nicht ganz von seinem Kurs abkam.
SÜDTIROL PANORAMA: Herr Wohlfarter, ein Minus von rund 16 Prozent beim Stromverkauf, ein Umsatzeinbruch von 11 Prozent. Wie schwer ist die Alperia- Gruppe von der Covid-19-Krise betroffen: blaues Auge oder schmerzhafter?
JOHANN WOHLFARTER: Wir sind sehr breitgefächert aufgestellt, deshalb gibt es darauf keine einzige Antwort. Unsere operativen Tätigkeiten wie die Produktion von Wärme und Energie sowie die Stromverteilung wurden während des Lockdowns fortgeführt, wenn auch mit Beeinträchtigungen. Am stärksten betro en waren wir von der stark sinkenden Nachfrage nach
Energie und dem damit verbundenen Verfall der Energiepreise. Auch einige Tochtergesellscha en, die direkt mit Kunden arbeiten, wie der Gruppo Green Power oder Bartucci, standen während des Lockdowns de facto still. Dort mussten wir auf die Lohnausgleichskasse zurückgreifen. Doch mittlerweile laufen alle Aktivitäten wieder auf 100 Prozent.
Also back to business as usual – oder führt die Krise zu längerfristigen Veränderungen?
Wir hatten den Vorteil, unser Unter nehmen bereits in den Jahren davor umstrukturiert zu haben. Durch die Zusammenführung von SEL und Etschwerken wurden gewisse Prozesse komplett neu aufgesetzt; im Vorjahr konnten wir einen umfassenden Digitalisierungsprozess abschließen. Dadurch war es möglich, unmittelbar nach Verhängung des Lockdowns 700 Mitarbeiter auf Smart Working umzustellen. In Krisenzeiten braucht es manchmal eine starke Hand und den Mut, beherzt schnelle Entscheidungen zu tre en. Wir haben zum Beispiel zwei Tage nach dem Lockdown eine geplante größere Akquisition von einem Tag auf den anderen abgeblasen und aufgeschoben. Da die dafür notwendige Liquidität bereits zur Verfügung stand, haben wir sie kurzfristig umgeschichtet – und entschieden, Unternehmen in Südtirol für drei Monate die Stromrechnungen zu stunden.
Wie später auch Privatkunden. Imagepflege bei der Südtiroler Bevölkerung?
Ich denke, seit der Gründung im Jahr 2016 ist Alperia mittler weile als Landes gesellscha in Südtirol angekommen. Wie auch eine Um frage bestätigt hat, hat die Mehrheit von Südtirols Bevölkerung unseren Beitrag während der Corona- Pandemie wertgeschätzt. Wir sind eine Gesellscha , die allen Südtirolern gehört, und deshalb ist es unser Anliegen, Mehrwert für die gesamte Gesellscha zu scha en. Doch dafür müssen wir zuerst als Unternehmen einen Mehrwert erwirtscha en.
Und die Führungsmannschaft mit 19 fetten, auch privat verfüg baren, Firmenautos motivieren? Was laut einem ff-Bericht auch die Bürger meister von Meran und Bozen etwas irritiert.
Die Autos, die wir fahren, sind keine fetten Schlitten, sondern Mittelklassewagen. Solche privat nutzbare Dienstfahrzeuge sind heute für Führungskrä e in vergleichbaren Unternehmen gang und gäbe und die einzige Möglichkeit, Fahrzeuge abzuschreiben. Unsere Aktionäre schätzen es, dass wir den größten grünen Fuhrpark Südtirols haben. Von insgesamt 370 Fahrzeugen verursachen weit über 100 keinerlei Emissionen. Und auch unsere Dienstfahrzeuge müssen nun emissions arm oder -frei sein.
Im Alperia-Vorstand gibt es seit 2019 einen Frauenanteil von 50 Prozent. Mit Flora Kröss und Renate König ist der Vorstandsvorsitz in komplett weiblicher Hand. Verändert dies tatsächlich etwas an der Unternehmenskultur?
Diese Besetzung haben unsere Aktionäre so gewollt, zum Teil auch aufgrund gesetzlicher Vorlagen. Für mich zählt die Quali kation immer noch mehr als das Geschlecht – und wir haben mit unserem Vorstand und Aufsichtsrat zwei sehr gut quali zierte Organe. Generell tut Vielfalt in jeder Hinsicht besser als Monokultur. Und ich sehe beispielsweise auch bei unserer Personaldirektorin, dass Frauen o ein anderes Einfühlungsvermögen als Männer haben. Weibliche Präsenz kann eine Männerrunde schon disziplinieren. Deshalb sollten Frauen o auch mutiger sein und sich stärker für gewisse Positionen in Stellung bringen.
In der öffentlichen Wahrnehmung wird Alperia immer noch stark an den Dividenden und der Frage gemessen, ob sie Südtirols Bevölkerung und Wirtschaft – wenn schon nicht mit Gratisstrom – mit möglichst günstiger Energie beliefert. Die Dividende ist 2019 mit 26 Millionen Euro erneut gestiegen. Bei Preisen wird immer wieder kritisiert, dass sie günstiger sein sollten. Zu Unrecht?
Auf einer Skala, die von den günstigsten zu den teuersten Tarifen aufsteigt, liegen unsere Preise immer im untersten Drittel. In den vergangenen Jahren sind sie – in Angleichung an den Marktpreis – auch deutlich gesunken. Eine durchschnittliche Familie gibt heute im Schnitt sicher 100 Euro weniger im Jahr aus. Auch können wir nur 33 Prozent des Gesamt preises selbst gestalten, der Rest ist vorgegeben.
Der Energiemarkt sollte eigentlich bereits komplett liberalisiert sein. Wie viel Kunden haben noch einen geschützten Tarif?
Rund 72.000, das sind etwas unter einem Drittel. Doch der geschützte Markt ist wie ein Joghurt, er hat ein Verfallsdatum, auch wenn es immer wieder hinausgeschoben wird. Heute steht es noch jedem Kunden frei zu wechseln, morgen wird er dazu gezwungen. Doch viele unserer Angebote auf dem freien Markt sind günstiger als der geschützte Preis.
Wie hoch ist der Konkurrenzdruck auf dem freien Markt?
Ziemlich hoch. In Italien gibt es über 600 Stromanbieter, und jeder davon sucht seine Daseinsberechtigung. Doch nicht jeder dieser 600 ist solide, wie so mancher Ausfall in den vergangenen Jahren gezeigt hat.
Sie dagegen können sich als stabiler Player positionieren?
Unser Hauptmarkt ist immer noch Südtirol, und da haben wir alleine aufgrund unserer doppelsprachigen Kommunikation gegenüber vielen Mitbewerbern einen Vorteil. Auch bei den Dienstleistungen spielen wir nicht nur in Südtirol, sondern in ganz Italien in der oberen Liga mit. Im restlichen Italien, wo wir höhere Preise als in Südtirol haben, punkten wir vor allem mit dem ema grüner Strom und der Solidität, die Südtirol generell zugesprochen wird.
2019 war in vielerlei Hinsicht ein gutes Jahr. Nicht nur weil es viel Wasser gab, auch bei Kernkennzahlen wie Erträgen, EBITDA, Reingewinn und Investitionen gab es überall üppige Zuwächse. Ist dies vor allem auf Neuzuwächse wie Alperia Sum oder auf außerordentliche Steuer befreiungen zurückzuführen?
Wenn wir nur den Strompreis anschauen, war 2019 ein schlechtes Jahr. Denn der lag fast um 15 Prozent unter dem Vergleichswert des Vorjahres. Bei einer Produktionsmenge von 4 Terawatt fällt das ordentlich ins Gewicht. Die positive Bilanz ist vor allem darauf zurückzuführen, dass unsere Neuorganisation 2019 richtig griff. Wir konnten uns operativ in allen Bereichen kontinuierlich ver bessern. Und allein die neue Tochter Alperia Sum brachte knapp 130 Millionen Euro mehr an Umsatz.
Andere Töchter bereiteten Ihnen 2019 vor allem Sorgen – darunter PVB Power Bulgaria, wo angeblich 40 Millionen Euro veruntreut wurden. Sind Sie die Beteiligung mittlerweile losgeworden?
Der Verkaufsprozess ist im Gang und schon sehr weit fortschritten. Wir haben aber auch andere Beteiligungen wie Bartucci, über die wir uns ein enormes Know-how eingekau haben – und den Kaufpreis über die Dividende fast schon wieder hereingeholt haben.
Es gibt noch weitere Altlasten, wie die Biopower Sardegna Srl, ein Biomassekraftwerk, das mit Palmöl betrieben wird. Oder die Neu anschaffung der Greenpower, die Ihnen sogar einen Auftritt in „Striscia la notizia“ brachte, weil dem Unternehmen unlautere Geschäftspraktiken vorgeworfen wurden.
Biopower Sardegna passt tatsächlich nicht zu unserer Mission, ist aber auch schwer zu verkaufen. Seit wir das Unternehmen zu 100 Prozent besitzen, betreiben wir es aber wenigstens pro tabel, und 2024 ist es dann ohnehin Geschichte, weil die Verträge auslaufen. Die Vorwürfe gegenüber Greenpower haben dagegen, auch laut externen Überprüfungen, nicht der Wahrheit entsprochen. Gerade vor dem Hintergrund des Ecobonus ergeben sich für diesen Spezialisten im Bereich der Energiee zienz nun große Chancen. Nicht nur im Veneto, auch in Südtirol, wo wir gerade erst eine Zusammenarbeit mit dem heimischen Handwerk besiegelt haben, um den Bonus gemeinsam nach Hause zu fahren.
In letzter Zeit scheinen ihre Prioritäten mehr in Bereichen wie Smart Region, Elektro mobilität oder Energie effizienz als beim Strom business selbst zu liegen. Wird dies auch den nächsten Industrie plan ab 2022 prägen?
Wir sind heute mit knapp 1,6 Milliarden Umsatz kein kleiner Player mehr in Italien und unter den Multi Utilities ganz gut aufgestellt. Doch wir haben mit rund 340.000 Abnehmern einen zu kleinen Kundenstock, um e zient zu arbeiten. Vor allem wollen wir auch nicht in einen aggressiven Wettbewerb mit anderen lokalen Anbietern wie den Stadtwerken oder dem Südtiroler Energieverband treten. Dazu kommt noch die Abhängigkeit von Strompreis und Regenmengen. Deshalb gilt es, uns in unserem Geschä smodell immer breiter aufzustellen – eine Strategie, die wir bereits in den vergangenen Jahren eingeleitet haben und sicher im neuen Industrieplan weiterführen werden. ◀