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Reporter ohne Grenzen“ - oder doch mit? von Kristina Petryshche

„Reporter ohne Grenzen“ – oder doch mit?

Ob autoritäre Regime, Populismus oder Kriege, Gründe für die weltweite Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit gibt es zur Genüge. Um diese Problematik zu beleuchten und mögliche Lösungen zu finden, sprach SUMO mit Martin Staudinger, Kriegsreporter und ehemaliger Auslandsressortleiter bei „Profil“, mittlerweile bei der Wochenzeitung „Falter“ angestellt, über seine persönlichen Erfahrungen, sowie mit Renan Akyavas, der Programmkoordinatorin des International Press Institutes (IPI), zuständig für die Türkei.

Wirft man einen Blick auf die Statistik von „Reporter ohne Grenzen“ vom Jahr 2020, wird deutlich, dass knapp der Hälfte der Weltbevölkerung der Zugang zu objektiver und unabhängiger Information fehlt. Die Türkei, auf Rang 154 und Syrien, auf 174, sind somit von den insgesamt 180 aufgelisteten Ländern Teil des unteren Viertels. Doch was sind die Gründe dafür? Syrien ist seit langem gezeichnet von Krieg und Unterdrückung, und zwar auch die Medienlandschaft. In den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten des Landes herrscht ein Medienmonopol, nämlich die Nachrichtenagentur „SANA“. Auch die neutralste Publikation von Fakten, beispielsweise die Erhöhung der Treibstoffpreise, kann zu einer Haftstrafe führen. Eine unabhängige, tagesaktuelle Berichterstattung ist kaum möglich und deshalb benötigt es AuslandsreporterInnen. Allerdings mussten sich diese während des Krieges beim Propagandaministerium melden, um einen „Minder“, also eine lokale Kontaktperson, zugewiesen zu bekommen, laut Staudinger. Diese sollten als Dolmetscher fungieren, seien aber eher Aufpasser der Regierung gewesen und hatten die Aufgabe, sicherzustellen, dass man nicht mit den „falschen Personen spricht“. Trotz dieser Maßnahme sei es aber dennoch möglich gewesen, sich mit anderen JournalistInnen vor Ort zusammenzufinden und auf eigene Faust zu recherchieren. Es war also „ein Mittelding, wir waren nicht unter permanenter Beobachtung, wie man es in autoritären Regimen immer wieder erlebt, aber auch nicht ganz frei“, rekapituliert Staudinger. Um einiges gefährlicher waren die Rebellengebiete, denn dort entwickelte sich eine Art „Entführungsindustrie“, deren Ziel (vor allem) westliche JournalistInnen waren, weshalb sich mit der Zeit kaum eine/r dorthin wagte. Nur in den Kurdengebieten sei es möglich gewesen, sich einigermaßen frei und sicher zu bewegen. Das wurde aber auch sehr stolz angepriesen. Eine der wenigen Möglichkeiten an Information zu gelangen, sind „Stringer“: Menschen, die vor Ort sind, beispielsweise in Aleppo leben und sowohl Bild- als auch Videomaterial aufnehmen und an inländische und ausländische JournalistInnen schicken – ihr Ziel? Die Missstände und das Fehlverhalten des Regimes publik zu machen. Auch in der Türkei haben JournalistInnen mit Einschränkungen und Schwierigkeiten zu kämpfen – und gegen einen Mann an der Spitze, der darauf abzielt, auch an der Spitze zu bleiben. Allerdings unterscheidet sich das Vorgehen in der Essenz um Einiges, denn in der Türkei werde laut Staudinger buchstäblich „die Demokratie mit demokratischen Mitteln ausgehöhlt“. Gesetzesnovellen, wie zum Anti-Terror-Gesetz oder Social Media-Gesetz, tragen dazu bei, dass die ohnehin schon von Selbst- und Außenzensur geprägte Berichterstattung nun noch eingeschränkter ist. Die Medienpolitik in der Türkei ist stark an den Staat gekoppelt, Radio- und Fernsehsender werden von einer staatlichen Regulierungsbehörde, dem Obersten Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), kontrolliert und auch sanktioniert. Der Rat besteht, wenig überraschend, größtenteils aus AKP-Mitglie-

dern (Erdogans Partei), aber auch ein paar wenige oppositionelle Mitglieder lassen sich finden. Dieser Rat setze systematisch Druckmittel gegen ganze Sender ein, konstatiert Akyavas. Die Justizbehörden begännen mit gerichtlicher Einschüchterung, andauernden Anklagen und Urteilen mit Freiheitsstrafen gegen einzelne JournalistInnen, der RTÜK setzt Geldstrafen, die sich viele Sender irgendwann nicht mehr leisten könnten. Somit würde man diese, als ersten Schritt, bereits ausschalten. Akyavas betont, dass es durch diese Schikanen gelang, die Selbstzensur in 90% aller Berichterstattungen zu etablieren, da die ReporterInnen und Medienhäuser Sanktionen und Haftstrafen fürchteten. Der RTÜK hat gerade die vier einflussreichsten noch unabhängig und kritisch berichtenden Fernsehsender in der Türkei im Visier, jedoch: „the main purpose of this high council is clearly to shut down these four TV channels.“

Hilfe in Sicht?

Laut Renan Akyavas habe das IPI 90% der stattgefundenen Verhandlungen gegen türkische JournalistInnen beobachtet und dokumentiert, 75% dieser Anklagen seien auf das Anti-Terror-Gesetz zurückzuführen. Die drei Haupttatbestände seien Verbreitung von terroristischem Propagandamaterial, Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Unterstützung einer Terrororganisation, ohne ein Mitglied zu sein. Als Beweismittel dienten häufig nur „Facebook“- oder „Twitter“Posts. Oft säßen JournalistInnen monatelang in Untersuchungshaft, ohne einen fairen Prozess oder eine Anklage bekommen zu haben. „If there would be a guilty verdict at the end of a yearslong process, it would then be adjusted in court to reflect the prison sentence already served”, meint Akyavas. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb viele internationale Organisationen bei solchen Gerichtsprozessen dabei sind, denn allein durch ihre Präsenz schafften sie es manchmal den Prozess zu beeinflussen, sodass die JournalistInnen freigesprochen werden würden oder zumindest ein faires Verfahren stattfände. Auch das bereits erwähnte Social-Media-Gesetz werde von NGOs stark kritisiert und man versuche, mit Hilfe der EU, Druck auf die Regierung in Ankara zur Gesetzesrücknahme auszuüben, da die Türkei immer noch als Beitrittskandidat in Frage komme. Allerdings sei die türkische Regierung

Martin Staudinger / Copyright: Privat

© Copyright: adobe stick / intueri starken Willens und strenger Bestimmtheit, das Gesetz zu implementieren, um an die Daten der NutzerInnen zu gelangen, sagt Akyavas. Dies sei gar nicht so unwahrscheinlich, denn laut ihr habe „Facebook“ anno 2019 70% der Tagesinformationsanfragen, also Nutzerdatenfreigaben, zugestimmt und die Daten an die Regierung weitergeleitet. Mit dem neuen Gesetz versuche die Regierung, die großen Plattformen unter Druck zu stellen und das habe einen guten Grund.

Social Media sei Dank

Denn „right now, social media is like news coverage as well. Other than writing these in their columns everyday they still write these opinions in their tweets.” Kein anderes Medium schaffte es bis jetzt, eine solche Vernetzung von Menschen in aller Welt zu gewährleisten und das kommt natürlich auch JournalistInnen weltweit zugute. Man kann zwar Inhalte löschen und Plattformen sperren, aber man wird immer einen Weg finden, um die Informationen an die Außenwelt zu tragen und das wissen autoritäre Machthaber nur zu gut. Social Media ist ein „sehr mächtiges Instrumentarium, an dem nicht so leicht vorbeizukommen ist“, formuliert Staudinger treffend. ReporterInnen zeigten vor allem in den letzten Jahren eine sehr hohe Courage und einen Drang nach Gerechtigkeit. Die Globalisierung ermöglicht die internationale Zusammenarbeit und Unterstützung zusätzlich und sie hilft uns, Informationen aus allen Teilen der Welt zu erlangen. Somit ist das Handeln von autoritären Regimen nun nicht mehr zu verschleiern. Durch die Verbreitung von faktenbasierter und unabhängiger Information ist es für die Bevölkerung vor Ort nun möglich, sich ein Bild außerhalb der propagandagesteuerten Medienlandschaft zu machen und vielleicht könnte

das zu einem Umbruch führen, wünschenswert wäre es allemal. In Anbetracht dessen sollte man eines immer im Hinterkopf behalten: „Freedom of information is the freedom that allows you to verify the existence of all the other freedoms” (Win Tin, burmesischer Journalist).

Renan Akyavas / Copyright: IPI Renan Akyavas/ Copyright: IPI

von Kristina Petryshche

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