AUSGABE 01 / 2020
Wir können auch anders Raum füR fRauen im unteRnehmensalltag
New work im Büro | ki auf dem PrüfstaNd | VerkehrsweNde uNd eNergieweNde
Liebe Leserin, lieber Leser, Die Zeiten sind ungewöhnlich, und daher müssen auch wir mit Corona und seinen Folgen einsteigen – kommen aber gleich zur zentralen These. Das Coronavirus ist oft nicht die Ursache, sondern der Anlass für die zu beobachtenden Fieberkurven der Aktienmärkte und Turbulenzen des Wirtschaftslebens. Die Ausbreitung des Covid-19 deckt die strukturellen Defizite von Volkswirtschaften oder einzelner Branchen auf. Die Politik des billigen Geldes, wie sie die Europäische Zentralbank seit Jahren betreibt, ist in einer Krisensituation notwendig, kann aber nicht Dauerzustand sein. Doch versuchen wir optimistisch zu bleiben. In jeder Krise steckt auch eine Chance.
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Unsere Kommentare, am Anfang dieses Magazins, stellen unterschiedliche Positionen zur Konzernverantwortungsinitiative vor. Es geht um die Frage, wie Schweizer Unternehmen und ihre Töchter im Ausland für Menschenrechte und Umweltstandards geradestehen müssen. Der juristische Begriff heisst hier Haftung. Es gibt nun eine Debatte, ob die Initiative eine neue Haftung schafft. Oder ob Konzerne schon heute in der Schweiz für Vergehen ihrer Tochterfirmen haftbar gemacht werden können. Nachdem die Initiative einige parlamentarische Runden gedreht hat, zeichnet sich nun eine harte Abstimmungssituation ab. Wir bleiben da publizistisch am Ball.
PERSONALPROZ ESSE/ digitalisieren
Umgekehrt gibt es schon heute soziale Unternehmen, die nicht nur Geld verdienen wollen, sondern gleichzeitig die Welt, wenn auch nur im persönlichen Umfeld, verbessern wollen. Wir besuchten die Spanische Weinhalle in Burgdorf. Dort gibt es nicht nur kulinarische Köstlichkeiten der orientalischen Küche, sondern auch Musik, Lesungen und eine Galerie. Im Service und in der Küche arbeiten Flüchtlinge. Unsere Titelgeschichte stellt das Thema Business und Frauen in den Vordergrund. Das ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit. Dabei weiss jeder Unternehmensverantwortliche, dass gemischte Teams, wo auch Frauen Leitungsfunktionen haben, die bessere Lösung sind.
Georg Lutz
Chefredaktor kmuRUNDSCHAU g.lutz@rundschaumedien.ch www.kmurundschau.ch
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it den ELO Business Solutions für das Personalwesen digitalisieren Sie Ihre HR-Prozesse schnell und effektiv. Erleben Sie ELO live auf dem HR Festival (31.03. – 01.04.) – dort zeigen wir unsere digitalen Lösungen für die Personalakte, das Recruiting und die Weiterbildung. www.elo.swiss Enterprise-Content-Management
Inhalt
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Frauen in Führungspositionen
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Gender Diversity klingt gut, ist aber alles andere als einfach zu realisieren. Die zunehmende Verknappung der Arbeitskräfte gebietet, das Potenzial der Frauen auch auf Führungsebenen besser zu nutzen. Je höher die Kaderposition angesiedelt ist, desto geringer ist derzeit noch der Frauenanteil. Das ist eine Verschwendung von Potenzial, das die Wirtschaft dringend braucht.
Soziale Unternehmen Soziales Unternehmertum will gesellschaftliche Herausforderungen angehen und Geld verdienen. Da braucht es gleichzeitig Herzblut und Professionalität. Wir machten uns auf den Weg nach Burgdorf bei Bern zu einem Besuch in der Spanischen Weinhalle. Dort gibt es nicht nur eine leckere orientalische Küche, sondern auch eine Galerie, Musikveranstaltungen und Lesungen. Teile der Belegschaft sind Flüchtlinge. Wie bekommt man solch unterschiedliche Herausforderungen unter einen Hut?
New Work
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Unter dem Stichwort «New Work» experimentieren aktuell viele Unternehmen mit neuen Formen der (Zusammen-)Arbeit. Diese erfordern oft auch einen veränderten Mindset der Mitarbeiter. Ein geplanter Umzug oder eine geplante Neugestaltung des Arbeitsumfelds ist der ideale Aufhänger für ein solches kulturelles Change-Projekt.
Digitalen Fortschritt gestalten Was verbirgt sich hinter der Kulisse des Schlagworts «Künstliche Intelligenz» (KI)? Inzwischen hilft KI Unternehmensverantwortlichen, veraltete Prozesse zu optimieren und besser dem Wettbewerbsdruck standzuhalten. Doch kann sie noch mehr? Ist KI ein Game Changer, der das Business und seine Regeln völlig neu vom Kopf auf die Füsse stellt? Wir waren in Fellbach bei Stuttgart auf dem ELOECM-Fachkongress, um Antworten auf diese Fragen zu bekommen.
Der Transporter 6.1 Ikone, neuster Stand
Hat jetzt noch mehr auf dem Kasten: Der Transporter 6.1 überzeugt mit vielen neuen Fahrerassistenz- und Sicherheitssystemen. Für Unterstützung am Arbeitsplatz sorgen zudem das optionale Digital Cockpit und das neue Infotainmentsystem. Durch seine hohe Individualisierbarkeit und dank durchdachten Transportinnovationen bietet die Ikone für alle Aufgaben die richtige Lösung. Oder gleich mehrere. Jetzt bei uns entdecken.
AMAG Autowelt Zürich, Giessenstrasse 4, 8600 Dübendorf, Tel. 044 325 45 45 AMAG Winterthur, Zürcherstrasse 312, 8406 Winterthur, Tel. 052 208 32 32 VW Nutzfahrzeuge Center AMAG Schlieren, Lättenstrasse 37, 8952 Schlieren, Tel. 044 738 62 00 VW Nutzfahrzeuge Center AMAG Uster, Pfäffikerstrasse 32, 8610 Uster, Tel. 044 943 16 88
Inhalt
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Volatilität als Chance Entwicklungen wie der zunehmende Wettbewerbsdruck, die globalen Handelsstreitigkeiten und seit Neustem die Auswirkungen des Coronavirus prägen das globale Wirtschaftsumfeld seit Jahren. Für KMU können volatile Zeiten allerdings auch eine Chance darstellen.
Keine Energiewende ohne Verkehrswende
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Der Verkehr heute ist Energie-intensiv, dreckig, laut und breit. Aus Sicht des Gesamtenergieverbrauchs und der Energiewende ist die Verkehrswende zentral. Diese besteht aus einer Antriebs- als auch einer Mobilitätswende. Damit wir mobil bleiben, braucht es weniger Verkehr bei tieferem Energieverbrauch.
Wir sind vor Ort Unter anderem sind wir in den nächsten Monaten an folgenden Messen und Veranstaltungen vor Ort. Gerne können Sie im Vorfeld mit uns Termine vereinbaren. Auf Wunsch schauen wir in Ihrem Unternehmen auch persönlich vorbei.
Rubriken
Editorial 1 Highlight 10 Businessportrait 18 Menschen im Unternehmen 60 Die Welt der Finanzen 76 Software & Hardware 84 Marcom 90 Global & Lokal 112 IT-Sicherheit 116 Unternehmen unterwegs 6, 8 Kommentare 108, 114, 115 Kolumnen 116, 122 Impressum 128
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TALENTpro, München: www.talentpro.de HR FESTIVAL, Zürich: www.hrfestival.ch FFHS Business Breakfast, Zürich: www.ffhs.ch SKO-Leader Circle, Zürich: www.sko.ch Aussenwirtschaftsforum, Zürich: www.s-ge.com Swiss CRM Forum, Zürich: www.swisscrmforum.ch
Im Web
Wir halten Sie zwischen den Ausgaben mit aktuellen News, Fotostrecken, Kolumnen und Analysebeiträgen auf dem Laufenden. Sie sind gerne eingeladen, sich crossmedial zu beteiligen. Zum Beispiel mit News: 1 000 Zeichen, Bild und URL. Besuchen Sie www.kmurundschau.ch
TRAVEL & LIFESTYLE
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kommentar
Konzernverantwortung – eine Selbstverständlichkeit von Dietrich Pestalozzi
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mmer wieder machen Grosskonzerne mit Sitz in der Schweiz negative Schlagzeilen mit Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Die Konzernverantwortungsinitiative will dies ändern. Sie fordert, dass Konzerne wie Glencore, Syngenta oder LafargeHolcim die Menschenrechte und internationale Umweltstandards auch im Ausland respektieren müssen. Tun sie das nicht, sollen sie künftig für Schäden geradestehen, die sie verursacht haben. Wenn Glencore zum Beispiel eine Bleimine betreibt, die Land, Luft und Wasser vergiftet, soll der Konzern dafür Verantwortung übernehmen.
Denn durch unsorgfältiges Wirtschaften kommen nicht nur Mensch und Umwelt im Ausland zu Schaden. Auch Wirtschaftsakteure im Inland werden durch einzelne «schwarze Schafe», die sich mit ihrem rücksichtslosen Vorgehen Wettbewerbsvorteile verschaffen, benachteiligt. Indem die Initiative rechtliche Grundlagen verankert, um fehlbare Konzerne zur Rechenschaft zu ziehen, werden gleich lange Spiesse für alle geschaffen. Sodass kein Unternehmen aus der Verletzung von Menschenrechten oder Umweltstandards Profit schlagen kann. Damit stärkt die Initiative den Wirtschaftsstandort Schweiz. Wenn Grosskonzerne nicht mehr dauernd Schlagzeilen mit Menschenrechtsverletzungen machen, kann der Werkplatz Schweiz wieder stärker vom Label «Schweizer Qualität» profitieren. Zu dieser Schweizer Qualität gehört meines Erachtens auch ein sozial- und umweltfreundliches Wirtschaften. Gesetzliche Leitplanken in diesem Bereich stärken dabei die Reputation unseres Wirtschaftsstandorts und machen unseren Arbeitsmarkt attraktiver für Fachkräfte, denen ein sozial und ökologisch nachhaltiger Arbeitgeber wichtig ist.
Für mich als Verwaltungsratspräsident eines traditionsreichen Familienunternehmens mit 300 Mitarbeitenden ist das, was die Initiative fordert, eine absolute Selbstverständlichkeit: Wer einen Schaden anrichtet, soll dafür geradestehen. Als KMU sind wir es uns gewohnt, Verantwortung für Verfehlungen zu übernehmen. Was für uns gilt, soll auch für global tätige Konzerne gelten. Denn im Gegensatz zu KMU entziehen sich einige dieser Konzerne heute ihrer Verantwortung. Weil Freiwilligkeit längst nicht ausreicht, nimmt die Initiative Grosskonzerne in die Pflicht. Sie ist dabei unternehmerfreundlich und kommt ohne staatliche Bürokratie aus. Der schlanke Durchsetzungsmechanismus orientiert sich an der Geschäftsherrenhaftung, deren Mechanik uns Unternehmerinnen und Unternehmern bestens bekannt ist. Die Haftung ist auf Gesellschaften beschränkt, über die ein Konzern die Kontrolle ausübt; sie gilt nicht für einfache Zulieferer. KMU sind von der Initiative ausgenommen, ausser sie sind in Hochrisiko-Sektoren tätig, also zum Beispiel Goldraffinerien, die Gold aus dem Amazonas verarbeiten, oder kleine Öl-Händler in Genf. Für normale Schweizer KMU wie Druckereien, Bäckereien oder Malerbetriebe ändert sich mit der Initiative nur eins: Auch die grossen Konzerne müssen sich endlich an gewisse Grundregeln halten.
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Für mich als Unternehmer ist es unverständlich, warum gewisse Wirtschaftsverbände die Initiative so vehement bekämpfen. Weil sie Angst davor haben, dass Konzerne künftig für Menschenrechtsverletzungen geradestehen müssen? Ich sage Ja zur Konzernverantwortungsinitiative, weil es eine Selbstverständlichkeit ist und ich mich nicht schützend vor verantwortungslos agierende Grosskonzerne stellen möchte. Verantwortung ist für KMU Pflicht – und sollte es für alle sein.
Dietrich Pestalozzi ist Verwaltungsratspräsident der Pestalozzi AG. www.pestalozzi.com
kommentar
Gefährliche Auswirkungen für KMU von Ruedi Noser
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er Bundesrat und auch ich als Unternehmer räumen der Einhaltung der Menschenrechte und dem Schutz der Umwelt einen hohen Stellenwert ein. Unternehmen haften bereits heute für ihre Töchter und auch für Verstösse gegen Mensch- und Umweltrecht im Ausland. Public Eye betont denn auch: «KMU sind nicht betroffen, wenn die KOVI umgesetzt wird.» Auf der Webseite der Organisation heisst es zudem: «Die überwiegende Mehrheit der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Schweiz ist nicht von der Initiative betroffen. Ausnahmen sind KMU, die Hochrisiko-Geschäfte tätigen, etwa mit Diamanten oder Gold handeln.» Alles gut? Muss sich ein KMU nicht fürchten vor dieser Initiative, die Selbstverständliches fordert, nämlich, dass anständig geschäftet wird. Und mehr Menschenrechte und weniger Umweltsauereien versprechen, da die Initiative präventiv wirke. Nein, im Gegenteil: Diese Initiative ist gefährlich, gerade für die KMU! Auch wenn die Initianten sehr clever betonen, dass es um internationale Konzerne gehe, die man zum korrekten Handeln zwingen möchte: Eine Ausnahme für KMU gibt es so nicht! Der Initiativtext sieht keine Ausnahmen vor, und über diesen Initiativtext entscheidet die Schweizer Stimmbevölkerung. Neu eingerichtet würde ein Gerichtsstand für Prozesse vor Schweizer Gerichten – auf Kosten des Steuerzahlers. Zudem fordert die Initiative eine Beweislast-Umkehr: Man ist schuldig, sofern man nicht das Gegenteil beweisen kann. Künftig müssten Schweizer Unternehmen selbst kontrollieren, dass alle ihre Zulieferer weltweit die Menschenrechte und Umweltstandards ebenfalls einhalten. Das dürfte ungefähr 4 000 bis 10'000 Schweizer Unternehmen direkt treffen. Dem Bundesrat und einer klaren Mehrheit im Parlament gehen die Initiative und die leicht abgeschwächten Regeln des indirekten Gegenvorschlags des Nationalrats aus diesem Grund zu weit. Wie soll eine Firma mit 110 Mitarbeitern nach einem Ja zur Initiative damit umgehen, dass sie mit einem Dutzend Produzenten in sieben
Ländern zusammenarbeitet? Sie muss nun jederzeit beweisen können, dass sie innerhalb der gesamten weltweiten Lieferantenkette alles getan hat, um Verstösse zu verhindern. Eine Lieferkette ist hochkomplex. Es geht um Waren und Rohstoffe aus unterschiedlichen Ländern auf verschiedenen Kontinenten. Damit fallen die Verantwortlichkeiten unterschiedlich aus. Der Initiative kommt eine unheimliche Bedeutung zu. Sie trifft die Schmuck-Einzelfirma genauso wie Maschinenbauer und Werkzeughersteller. Trotzdem erwecken die Initianten den Eindruck, es gehe nur um die drei Prozent der grossen Firmen oder die Unanständigen. Ich meine, mit dieser Initiative jagen wir nicht die schwarzen Schafe, sondern blockieren alle anständigen Unternehmen. Eine Aussage von Solidarsuisse zeigt die Unredlichkeit: «Der Initiativtext sieht vor, dass der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Ausführungsgesetzes spezielle Rücksicht auf die Bedürfnisse kleiner und mittlerer Unternehmen mit geringen Risiken nimmt. Eine Befreiung von der Pflicht zur menschenrechtlichen Sorgfaltsprüfung wäre allerdings nicht zielführend, da es auch einige wenige KMU mit sehr grossen menschenrechtlichen Risiken gibt (zum Beispiel Diamantenhändler und Bekleidungsunternehmen). Die Grösse eines Unternehmens allein erlaubt also noch keinen Rückschluss auf die menschenrechtlichen und umweltrelevanten Risiken.» Von den Risiken, die den KMU drohen, weil sie nie wissen, ob sie nicht unschuldig in ein Verfahren geraten können, darüber sprechen die Initianten lieber nicht und stehlen sich aus der Verantwortung.
Ruedi Noser ist Unternehmer und seit 2015 für die FDP im Ständerat. www.ruedinoser.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 7
kommentar
Den Fokus auf die schwarzen Schafe richten von Bernhard Bauhofer
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n der Schweiz jagt eine Initiative die andere. Diese kochen einen Sachverhalt auf ein für das Stimmvolk knackiges Motto runter. Doch die Realität ist oft weit komplexer. Und das trifft gerade für die Konzernverantwortungsinitiative zu.
Wer hat nicht die «Abzockerinitiative» in Erinnerung, hinter die sich jeder normale, einigermassen vernünftige Mensch stellen musste. Auswüchse in der Bezahlung von Top-Managern gelte es einzudämmen, so war man sich einig. Den Abzockern, die nur in der Schweiz sind, um schnell mal grosse Kasse zu machen, sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Doch hat sich seitdem wirklich was verbessert? Manager- und CEO-Löhne bei Konzernen bewegen sich nach wie vor in schwindelerregender Höhe. Für höchst fragwürdige Leistungen erhalten die Global Players noch ein fettes Paket zum Abschied. Was, so darf man sich also fragen, bringen solche Initiativen überhaupt? Sind solche Verordnungen nicht per se fragwürdig, weil sie die eh schon von Kontrollen und regulatorischen Vorgaben überfrachteten Unternehmen in ihrer Agilität lähmen und deshalb wettbewerbsbehindernd sind? Sollte man, statt gleich gesamte Unternehmen zu bestrafen, nicht eher fahrlässige oder gar kriminell handelnde Manager zur Rechenschaft ziehen, um sie wie im Fall des VW-Dieselskandals persönlich mit ihrem Vermögen haftbar zu machen? Schon, aber das würde zu kurz greifen. Für einige schwarze Schafe unter den Konzernen ist die «neutrale» Schweiz der ideale Stützpunkt, um weltweit über verschachtelte und intransparente Firmenkonstruktionen ihre schmutzigen Geschäfte abzuwickeln. Korruption ist ein inhärenter Bestandteil ihres Geschäftsmodells. Ich verdeutliche dies gerne an einem konkreten Beispiel. Angola ist ein potenziell sehr reiches und gleichzeitig sehr armes Land. Seit Mitte der Neunzigerjahre profitieren Eliten und Unternehmen von einem Ölboom. Gleichzeitig ist ein Grossteil der Bevölkerung sehr arm und die Korruption ein ständiger Begleiter im Geschäftsleben. Die Bonanza-Gelder gilt es, international zu managen. Dies geschieht in erster Linie mit einem Staatsfonds, der die Einnahmen über ein Konstrukt aus verschachtelten
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Firmen – in erster Linie in der Karibik – verwaltet. Eine zentrale Rolle in diesem Netzwerk und Geschäftsmodell spielt der Schweizer Jean Claude Bastos mit seiner Schweizer Firma Quantum Global. Die undurchsichtigen Strukturen wurden im Rahmen von «Paradise Papers» aufgedeckt. Auf diese Nestbeschmutzer müssen sich die Sanktionen richten, nicht aber auf die nach den Prinzipien der gesellschaftlichen Verantwortung agierenden Unternehmen. Gerade unter den Schweizer KMU befinden sich höchst angesehene Global Champions. Ihre Position darf durch eine Initiative nicht geschwächt werden. Doch effektiver als Verordnungen ist der individuelle Widerstand einzelner Stakeholder: Als Regulativ für Konzerne sind kritische und gut informierte Konsumenten und Aktivisten, welche das Handeln der Konzerne mit Argusaugen beobachten, viel besser geeignet. Ihr Boykott oder Widerstand spüren die Unternehmen unmittelbar in der Kasse. Unternehmen sitzen heute in einem Glaskasten – Fehlverhalten gehen wie Lauffeuer durch die sozialen Medien und die Informationsketten der globalen Gemeinschaft. So stirbt heute ein Unternehmen zuerst den Reputations-Tod, bevor es wirtschaftlich zugrunde geht. Die UNO hat mit den 17 Sustainable Development Goals einen kompletten Handlungsrahmen für Unternehmen aufgestellt, die von dem Schutz der Umwelt über Diversität bis hin zu Gleichstellung der Geschlechter reicht. Mehr und mehr wird der Erfolg eines Unternehmens an der operativen Umsetzung dieser Ziele gemessen. Wer diesen Trend verschläft, wird auch von Asset-Managern wie BlackRock abgestraft. Und deren Liebesentzug schmerzt einen Global Player weit mehr als ein nationales Sanktionspaket.
Bernhard Bauhofer ist Gründer und CEO von Sparring Partners. www.sparringpartners.ch
INNOVATION
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Noch immer in der Unterzahl: Frauen in der Chefetage.
«Frauenförderung ist auch Männerförderung» Weibliche Geschäftsführer sind weiterhin unterrepräsentiert von Clivia Koch
Noch immer werden die meisten Führungspositionen an Männer übergeben. Frauen holen zwar auf, sind aber immer noch deutlich in der Unterzahl. Die Gründe sind unterschiedlich, deuten aber darauf hin, dass noch viel «Luft nach oben» vorhanden ist.
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ender Diversity klingt gut, ist aber in der Realität alles andere als einfach zu realisieren. Die zunehmende Verknappung der Arbeitskräfte gebietet, das Potenzial der Frauen auch auf Führungsebenen besser zu nutzen. Je höher die Kaderposition angesiedelt ist, desto geringer ist derzeit noch der Frauenanteil.
Das ist eine Verschwendung von Potenzial, das die Wirtschaft dringend braucht. Von uns befragte Unternehmen geben auch an, dass das Thema bei ihnen eine hohe Relevanz hat. Als Barrieren von Frauen in Führungspositionen werden immer noch traditionelle Rollenvorstellungen
und Rollenverhalten sowie nicht passende oder gar fehlende Karrierekonzepte angeführt. Diversity bringt auch Nachteile und Aufwand. Gemischte Teams erfordern den grösseren Führungsaufwand, und das bedeutet nicht automatisch einen höheren Nutzen und gesteigerte Profitabilität.
den kommenden Jahren auch ohne spezifische Förderungsmassnahmen den Frauen bessere Chancen mit sich bringen kann, da in agilen Organisationsstrukturen neue Führungskompetenzen und -fähigkeiten notwendig sind, welche den Frauen andere Rahmenbedingungen verschaffen und dem weiblichen Führungsstil eher entsprechen. Frauen werden sich ausserdem an diejenigen Unternehmen wenden, die schon entsprechende Massnahmen getroffen haben und dafür bekannt sind. Denn der Führungskompetenz der Vorgesetzten – Männer und Frauen – kommt eine besonders wichtige Rolle zu, insbesondere in Bezug auf die neuen Arbeitswelten und agilen Organisationsstrukturen. Die hierarchisch wenig flexiblen Strukturen müssen und werden sich verändern. Es lohnt sich schon heute in die Führungsentwicklung zu investieren.
Unsere Thesen Die vor allem männlich geprägten Führungskulturen erweisen sich häufig als Stolpersteine für beide Geschlechter. Die Diskrepanz zwischen den konventionell weiblichen Fähigkeiten und den Kompetenzen, die man in den heutigen Unternehmenskulturen mehrheitlich für eine Führungsrolle als notwendig erachtet, bringt Kaderfrauen und Führungskräfte in ein Dilemma. Gefördert werden soll, wer sich am besten für eine Führungsposition eignet. Frauen setzen sich andere Karriereziele als Männer. So sind Arbeitsinhalt, gemeinnützige Engagements und Familie gleichwertig und unterscheiden sich in diesem Kontext wesentlich von männlichen Wertvorstellungen der heutigen Generation von Topmanagern, die zu einem Grossteil unter anderem auch geprägt durch den Ergebnisdruck in den Unternehmen auf Karriere und Einkommen fokussiert sind. Zudem stellen wir die These auf, dass die sogenannte neue Welt des Arbeitens in
Wir treffen immer noch auf Vorurteile aus der wahrgenommenen Differenz zwischen den Frauen zugeschriebenen Eigenschaften und den Anforderungen an eine Führungsrolle: So wird die Führungskraft als handlungsorientiert, ehrgeizig und durchsetzungsfähig charakterisiert – Eigenschaften, die kongruent mit der stereotypen Charakteristika eines Mannes sind. Frauen wiederum werden eher als gemeinschaftsorientiert, das heisst hilfsbereit, mitfühlend und freundlich beschrieben. Aus diesem Grund treffen wir auch auf gegenteilige Aussagen zum Verhalten von Frauen. Entweder werden sie von ihren Vorgesetzten als zu zögerlich oder zu puschend und aggressiv wahrgenommen. Ein negativer Nebeneffekt der ganzen Thematik, der selten offen angesprochen wird: Bis anhin konzentrierte sich «Frauenförderung» stark auf sogenannte Defizite von Frauen, welche man durch geeignete Massnahmen abbauen wollte.
Gleichstellung betrifft alle Gleichstellung betrifft aber Männer und Frauen. Es braucht die Bereitschaft zu entdecken, was Frauen wie auch Männer anders machen und was dies den Unternehmen und den Stakeholdern für jeweilige Vorteile bringt. Frauen können durch ihr breiter gefächertes Führungsverhalten die Leistungsfähigkeit einer Organisation oder eines Unternehmens wesentlich verbessern. Diese ungenutzten Potenziale gilt
es zu nutzen. Denn Kooperationskulturen, Work-Life-Balance sowie ein situativer Führungsstil sind die Tendenzen der vernetzten und modernen Arbeitswelt der Zukunft. Diese Entwicklung entspricht den Interessen und Neigungen von Frauen, und es ist daher eine Chance für weibliche Führungskräfte, diese spezifischen Talente in Zukunft zu entfalten. Zudem stellt sich die Frage, warum trotz vieler Initiativen sich nur sehr langsam Erfolge und Veränderungen in den Unternehmen zeigen.
Karrierekiller Teilzeit Wir sehen, dass meist nur punktuell Massnahmen, wie zum Beispiel die Möglichkeit der Teilzeitarbeit, lediglich auf der Strukturebene eingeführt und dabei nicht alle Prozesse einer Organisation berücksichtigt werden, sodass Teilzeitmitarbeitende bezüglich Karriere oft vom Radar ihrer Vorgesetzten fallen. Die Förderung von Frauen als konkreter Leitsatz ist zudem noch zu wenig in den Visionen und Leitbildern der Unternehmen und vor allem in den Köpfen der Führungskräfte verankert. Daher wird Gender Diversity auch in den Unternehmenskulturen noch zu wenig gelebt. Oft wird zwar – gerade in grösseren Unternehmen – im Zusammenhang mit Gender-DiversityProgrammen viel an den Strukturen verbessert wie beispielsweise Anpassung der Lohnsysteme zur Überwachung von Lohngleichheit oder der Einführung von Teilzeitmodellen. Aber ein bewusst eingeleiteter und gesteuerter Kulturwandel als Begleitmassnahme dieser sehr guten Initiativen wird dabei aber oft vernachlässigt. So geschieht es, dass beispielsweise Teilzeit- oder flexible Arbeitsmodelle im Spannungsfeld mit der Präsenzorientierung stehen. Dies kann eine Karriere bereits bremsen. Vorurteile und Klischees, dass Teilzeit-Arbeitnehmende keinen vollen Einsatz bringen und keine Ambitionen haben, verhindern das Vorwärtskommen und die Weiterentwicklung einer neuen Kultur, in der solche Denkweisen Platz haben. Leider ist diese Denkweise noch weit verbreitet. Das heisst wiederum, dass strukturelle Anpassungen mit kulturell und strategisch ausgerichteten Massnahmen und Prozessen verbunden werden müssen, damit sie nachhaltig greifen. Nur die bewusste Wahrnehmung, die Sensibilisierung und die proaktive
Home-Office benötigt Vertrauen.
Bewirtschaftung aller Aspekte sowie deren Verankerung in der Strategie und Unternehmenskultur führen letztendlich zu positiven Effekten.
Markanter Wandel in Sicht «Frauenförderung ist auch Männerförderung», denn heute sind Arbeitszeitreduktionen, Teilzeitstellen oder gar Arbeitsplatzverlust oder eine Neuorientierung bei Männern noch immer mit der Angst vor Stigmatisierungen, Sanktionen oder gar dem Ende der Karriere verbunden. Dabei wissen wir, dass sich die Arbeitswelt in den nächsten Jahren markant verändern wird. Nur die bewusste Wahrnehmung, die Sensibilisierung und die proaktive Bewirtschaftung aller Aspekte sowie deren Verankerung in der Strategie und Unternehmenskultur führen letztendlich zu positiven Effekten.
Flexible Arbeitsmodelle nötig «Heute machen Vorgesetzte ihre Entscheidung, wer Home-Office und flexibel arbeiten darf, mehrheitlich von ihrem persönlichen Vertrauen in die Person und der Person selbst abhängig. Fokussierten sich Vorgesetzte eher auf einen zielorientierten Führungsstil, würde dies von der Präsenzkultur zur Ergebniskultur und zu weniger Benachteiligung der Teilzeitarbeit führen. Denn örtlich und zeitlich flexible Arbeitsmodelle werden in naher Zukunft durch die Möglichkeiten der Digitalisierung ohnehin zur Wirklichkeit werden müssen. Am konsequenten «Management by Objectives» sowie der Anpassung der Rahmenbedingungen in den Unternehmen zur Unterstützung neuer Führungsmodelle wird kein Weg vorbeiführen. Das Parlament hat entschieden: Unternehmen ab einer bestimmten Grösse müssen
sich künftig rechtfertigen, wenn sie weniger als 20 Prozent Frauen in den Geschäftsleitungen und nicht mindestens 30 Prozent im Verwaltungsrat haben. Mit dem Programm FEMALE LEADER unterstützt der Verband der Wirtschaftsfrauen ambitionierte Frauen und engagierte Unternehmen dabei, dies zu ändern.
Clivia Koch ist Geschäftsführerin bei den Wirtschaftsfrauen Schweiz. www.wirtschaftsfrauen.ch
kolumne
Megatrend «Gender Shift» von Amalia Zurkirchen
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m 1860 empfahl ein Zürcher Sekundarlehrer, die Töchter des Mittelstandes für einfache Büroarbeiten einzusetzen, damit sie ihre Familie vor der Heirat finanziell entlasten können. Es sollte noch 30 Jahre dauern, bis die Hochkonjunktur und der damit einhergehende Personalmangel den jungen Frauen den Weg in die Bürowelt ebnete – wenn auch nur für einfache und monotone Hilfsarbeiten! Heute starten jährlich rund 14 000 Jugendliche ins KV – in die nach wie vor beliebteste Lehre der Schweiz – und etwa 55 Prozent davon sind weiblich. Doch wie ist es dazu gekommen? Um- und Neudenken wird selten durch einzelne Ereignisse ausgelöst, so Erkenntnisse aus der Zukunftsforschung. Viel häufiger sind es sogenannte Megatrends, die tief verankerte gesellschaftliche Strukturen aufbrechen. Dieser Aufbruch findet über mindestens drei Jahrzehnte hinweg statt. Langsam, aber stetig berührt er alle gesellschaftlichen Bereiche: Kultur, Politik, Wissenschaft, Technik und Wirtschaft. Megatrends wirken in unterschiedlicher Intensität global. Der Megatrend «Gender Shift», zunächst «Female Shift» genannt, bezeichnet die Veränderung hin zu einer Gesellschaft, in der es selbstverständlich ist, dass Mädchen, genauso wie ihre Klassenkameraden, eine Ausbildung ihrer Wahl absolvieren. Der «Gender Shift» betrifft keineswegs nur Frauen, sondern es geht um Gleichberechtigung und Wahlfreiheit für alle. Familien sollen beispielsweise wählen können, wie sie leben. Der Teilzeithausmann muss hier seinen Platz haben ebenso wie die Vollzeitberufsfrau oder umgekehrt – und alles dazwischen. Es hat sich viel verändert, seit ich meine ersten Berufserfahrungen machte: Die jungen Frauen von heute haben ein Bewusstsein dafür, was ihnen zusteht, und fordern es selbstbewusst ein. Zu Recht: Noch nie waren Frauen so gut ausgebildet wie jetzt. Umso nachdenklicher stimmt es mich deshalb, wie stark Frauen in der Familienphase im Vergleich zu Männern beruflich reduzieren oder
ganz aus dem Arbeitsprozess aussteigen. Solange eine Korrelation zwischen hohem Pensum und Karriere besteht, sind Frauen in verantwortungsvollen Positionen stark untervertreten. Frauen, die beruflich längerfristig gefragt, gefordert und glücklich sein wollen, rate ich deshalb, dass sie ihre Träume hartnäckig verfolgen und sich immer wieder fragen, ob sie auf dem für sie richtigen Kurs sind – beruflich und privat. Elementare Faktoren für meine Karriere waren, dass ich eine Partnerschaft führe, in der wir uns gegenseitig unterstützen, damit beide ihre Ziele verwirklichen können. Meine Vorgesetzten haben mich gefördert und an mich geglaubt. Und ich habe an Orten gearbeitet, wo eine familienfreundliche Unternehmenskultur herrschte. Wir brauchen mehr solche Arbeitgeber / innen. Der Kaufmännische Verband Zürich setzt sich deshalb seit vielen Jahren für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie für mehr Frauen in Führungspositionen ein. In der Schweiz sind 99 Prozent der Unternehmen KMU. Sie tragen entscheidend zum wirtschaftlichen Wohlstand und der gesellschaftlichen Stabilität unseres Landes bei. Veränderungen sind mit Unsicherheit verbunden, denn wohlbekannte Pfade muss man hinter sich lassen. Unternehmen können Megatrends aber als Kompass für ihre strategische Ausrichtung nutzen. So bleiben sie für ihre Mitarbeitenden attraktiv und wettbewerbsfähig. Meiner Meinung nach ist der «Gender Shift» ein Motor des gesellschaftlichen Fortschritts und eine grosse Chance für Unternehmen, um mutig neue Wege zu beschreiten.
Amalia Zurkirchen ist Geschäftsführerin des Kaufmännischen Verbandes Zürich. www.kfmv.ch/region/zuerich
Ausgabe 1/2020 // Seite 13
Neue Rollenbilder erschaffen Noch viel Potenzial für Frauen in Führungspositionen Interview mit Clivia Koch von Freya Mohr
Frauen gehören an den Herd und der Mann macht Karriere – das ist doch tempi passati – also längst überholt? Mit der Beraterin und Unternehmerin Clivia Koch führten wir dazu ein Interview und schauten, wie es mit Frauen in Führungspositionen wirklich aussieht. Das Fazit: hier liegt noch viel Potenzial.
Frauen in Führungspositionen: Hier liegt noch grosses Potenzial.
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mmer noch gibt es sehr viel mehr Männer als Frauen in Führungspositionen – und dass, obwohl heutzutage beide Geschlechter mit gleichwertigen Hochschulabschlüssen und Berufserfahrungen aufwarten können. Oft fallen junge Paare, kaum ist das erste Kind da, wieder in veraltete Rollenbilder zurück. Hier gilt es noch, gewisse Vorurteile abzubauen und mit gutem Beispiel voranzugehen. Für Clivia Koch von der Koch Pohl Consulting GmbH ist es ausserdem bedeutend, Frauen – aber auch junge Männer – richtig auf ihre Rolle als Führungspersonen vorzubereiten. Der Philosoph Hegel war der Meinung, wenn Frauen an der Spitze der Regierung stehen, so sei der Staat in Gefahr, denn
sie würden nicht nach den Anforderungen der Allgemeinheit handeln, sondern nach zufälliger Neigung und Meinung. Wie stehen Sie dazu in Bezug auf Frauen in Führungspositionen? Clivia Koch: Grundsätzlich sind Frauen bei der Arbeit sachbezogener als Männer und führen etwas beziehungsorentierter. Die Unterschiede sind aber minimal Bei den Männern geht es immer noch nach Hierarchie und Rangordnung, sie verbringen sehr viel Zeit mit politischen Machenschaften, um sich zu positionieren. Die Doppelbelastung Familie und Beruf ist für viele Frauen ein Hindernis. Männer nutzen auch ihre Netzwerke gezielter. Und schon sind wir bei den Klischees. Früher, stand doch vor allem der autoritäre Chef (manchmal auch
Chefin) auf dem Siegertreppchen. Während wir heute von kumpelhaften bis patriarchalischen Führungsstilen alles antreffen. Fakt ist doch, dass Frauen und Männer sich dieser unterschiedlichen Führungsstile bedienen können. Natürlich hängt das von ihren individuellen Einstellungen, Werten, Erfahrung und ihrer Persönlichkeit ab. So können Männer und Frauen gleich kooperativ und manche Frauen sogar autoritärer sein als manche Männer. Fakt ist: Kluge Unternehmen nutzen die Vielfalt, bei der Männer und Frauen in ausgewogenem Verhältnis vertreten sind, um sich durch das Nutzen von allen Potenzialen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.
Gibt es bestimmte Eigenschaften, die Frauen haben müssen, um im Job das zu erreichen, was ihnen zusteht? Ich denke, Frauen sind doch etwas teamorientierter und beherrschen den situativen Führungsstil. Das hilft ihnen auch, die Mitarbeitenden oder das Team besser zu beurteilen und richtig einzusetzen. Kooperationskulturen sowie ein situativer Führungsstil sind die Tendenzen der vernetzten und modernen Arbeitswelt der Zukunft. Die Kunst ist ja schliesslich, die Leute nach ihren Fähigkeiten, und Präferenzen einzusetzen, um das Team erfolgreich zu machen. Das kann man anschaulich mit Sport erklären: Ein erfolgreiches Team ist das, was eigentlich jeder Coach im Fussball oder im Mannschaftssport haben möchte – und ein Torwart wird nie gut sein als Mittelstürmer.
«Ich denke, Frauen sind grundsätzlich teamorientierter und beherrschen den situativen Führungsstil» Und ist die Frau schon bereit für die Führungsposition? Ich denke, die Frauen sind genauso bereit wie die Männer. Nur die alten Rollenbilder tauchen noch immer in den Köpfen auf. Wir lernen von unseren Eltern und das prägt uns. Je nachdem wie die Eltern mit Macht und Autorität umgegangen sind, überträgt sich das auf die junge Generation – und das ist nicht immer gut. Ein bekanntes Phänomen ist, dass gerade in Krisenzeiten Frauen gerufen werden und auch aufsteigen. Vielleicht weil Empathie und Einfühlungsvermögen, Fähigkeit zum Zuhören und zur Zusammenarbeit dann eben genau die Qualitäten sind, die in einer Krise gefragt sind.
Da kommt die nächste Frage auf, ob der Mann überhaupt schon bereit ist für den Wickeltisch. Genau, im Prinzip müssen beide das wollen. Sicherheit ist ein grosses Thema bei allen Menschen. Männer haben oft Angst, dass sie vom Karriereradar fallen, wenn sie zugunsten der Familie zurücktreten. In der Folge übernehmen die Frauen die ganze Verantwortung in der Familie. Und das geht eben nicht. Man muss sich die Verantwortung wirklich teilen – familiär, aber eben auch jobmässig.
indem ich mehr trainiere, mehr vom gleichen mache, werde ich noch nicht besser. Ich muss meine Technik verbessern. Da helfe und unterstütze ich. Manchmal braucht es auch einfach einen Sparringspartner*in, das leistet sich ja im Prinzip jeder Profi im Sport.
Letztendlich passiert ein Umdenken der Rollenbilder jedoch im Kopf. Lässt sich das durch eine Frauenquote erreichen? Ich bin da gemischter Meinung. Ich denke, ganz ohne Quote erreichen wir nichts. Andererseits ist es auch nicht gut, dass wir einfach Frauen in die Unternehmen hereinpressen und sie dann verheizen. Weibliches Geschlecht an die Spitze, um öffentlich gut dazustehen ist eine falsche Strategie. Oft bevorzugen Unternehmen Frauen, von denen sie denken, dass sie ihr Image stärken. Dazu sollen sie anpassungsfähig sein und hübsch aussehen. Das war schon zu meiner Zeit so. Diese Frauen bringen dann vielleicht noch nicht ganz die Qualifikationen mit. Wichtiger scheint mir, die richtige Person am richtigen Platz zu haben. Die Quote betrachtet den Menschen zu wenig als Individuum. Deswegen ist es für mich wichtig, dass diese Frauen gecoacht und begleitet werden. Andernfalls werden sie verheizt. Das ist weder für das Unternehmen noch für die Frauen gut. Ich habe auch von Assistenz bis CEO gearbeitet, aber wir wurden damals viel mehr gecoacht und mitbegleitet. Wir hatten unsere Mentoren. Heute lässt man die jungen Leute – sowohl Männer als auch Frauen – oft alleine. Aber Führung wird ihnen nicht in die Wiege gelegt. Sie müssen die Möglichkeit haben, aus Herausforderungen Chancen zu machen. Sie sollen Fehler machen dürfen, lernen und Erfahrungen sammeln.
Und wie blicken Sie in die Zukunft, was Frauen in Führungspositionen angeht? Was wir nicht vergessen dürfen, ist die Demografie: Die Pyramide geht nach oben auf. Dementsprechend haben wir sehr viele ältere Personen, weniger junge Menschen, die nachrücken. An ältere, erfahrene Frauen und ihre Potential wird überhaupt nicht gedacht. Wir sprechen immer nur von den ganz jungen Frauen. Aber den jungen Frauen würde es auch helfen, von älteren profitieren zu können. Ich setze mich für ein Generationen-Miteinander ein. Ältere Mitarbeitende müssen im Arbeitsmarkt integriert bleiben. Im Vordergrund steht der Erhalt und die Entwicklung von Veränderungskompetenz und Agilität sowie die Befähigung im Umgang mit Ambivalenzen. Mit Unsicherheiten haben auch jüngere Menschen Probleme, das zeigt die aktuelle Krise. Dazu muss die Wirtschaft umdenken und neue Denk- und Führungsansätze entwickeln. Es gilt alle Mitarbeitenden zu stärken und arbeitsmarktfähig zu halten. Wir haben ein Potenzial an jungen Frauen, aber auch an älteren, die man nicht sieht und nicht beachtet. Und beides geht nicht. Wir haben in ganz Europa eine Überalterung und unsere Sozialsysteme stehen nicht so gut da, wie uns suggeriert wurde in der Vergangenheit.
Sie bieten Führungs- und Teamentwicklung an – für Männer, aber auch speziell für Frauen in Führungspositionen. Wie kann ich mir das vorstellen? Bei Einzelpersonen geht es letztendlich um Verhaltensweisen: Wie kann ich mich stärken, wie trete ich gegenüber dem Team auf, was braucht es in der Führung oder bei Unsicherheiten? Es ist wie im Sport:
Bei Teams geht es kurz zusammengefasst darum, ein gemeinsames Verständnis von Zusammenarbeit und Vorgehensweisen zu entwickeln. Wenn die Teamprozesse stimmen, sind die Ergebnisse einfach besser.
Clivia Koch ist inhaberin der Beratungsgesellschaft Koch Pohl Consulting GmbH und Präsidentin der Wirtschaftsfrauen Schweiz. www.kochpohl.ch
Diversität bringt Unternehmen weiter - doch es besteht noch Nachholbedarf.
Der Weg zum Erfolg als Inspiration Frauen in der Führungsetage Interview mit Alexandra Hochuli und Flurina Stöckli von Maria Eva Moser
Die Führungsetage wird meist immer noch mit Männern besetzt. Was ist der Grund? Alexandra Hochuli und Flurina Stöckli teilen sich die Leitung der KIMI Krippen AG. Im Interview mit kmuRUNDSCHAU sprechen sie über ihre Karrieren, den Wandel des Frauenbildes in der Arbeitswelt und Diversität.
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lexandra Hochuli und Flurina Stöckli, Sie beide sind Frauen in führenden Positionen – warum sind Ihrer Meinung nach Frauen in Führungspositionen heutzugtage immer noch untervertreten? Alexandra Hochuli: Für viele Unternehmer ist leider immer noch die Verfügbarkeit der Mitarbeitenden und potenziellen Führungskräfte entscheidend. Je länger jemand im Büro anwesend ist, desto eher wird vorausgesetzt, dass diese Person für Führungspositionen geeignet ist. Dazu kommt, dass unsere Gesellschaft immer noch die Mutter in der Hauptrolle der Familienversor-
gung sieht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Mütter – auch in Führungspositionen und wenn sie Teilzeit arbeiten – sehr motiviert sind. Sie schätzen die Abwechslung zur Kindererziehung und darüber hinaus die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Flurina Stöckli: Das kann ich bestätigen. Zudem habe ich in meinen vorangehenden Funktionen leider auch die Erfahrung machen müssen, dass sich Frauen Führungsrollen immer noch viel weniger zutrauen als Männer. Für Männer ist es viel selbstverständlicher, einen Führungsjob anzunehmen, selbst wenn sie – wie das bei neu zu übernehmenden Funktionen fast immer der
Fall ist – nicht alle Kompetenzen mitbringen. Frauen tun sich viel schwerer damit, sich auf eine Führungsposition zu bewerben; sie wollen von Vornherein zu 100 Prozent genügen. Da helfen meist nur intensive Gespräche und den Frauen aufzuzeigen, dass sie in ihrer neuen Führungsrolle begleitet und gecoacht werden. An alle Frauen: bitte mehr Mut! Sie teilen sich gemeinsam die Leitung der KIMI Krippen AG. Warum haben Sie sich für dieses Modell entschieden und was ist an dieser Position besonders? Hochuli: Das Modell war ein Vorschlag unseres Verwaltungsratspräsidenten. Die
Geschäftsführung eines Unternehmens wie KIMI ist eine grosse Verantwortung; wir haben über 350 Mitarbeitende. Ich schätze es, die Leitung mit Flurina zu teilen. Wir ergänzen uns und können gegenseitig von unseren Erfahrungen profitieren. Wir werden uns operativ auf unsere jeweiligen Bereiche konzentrieren, strategisch aber gemeinsam führen. Stöckli: Zu Beginn steht immer die Frage: Wollen wir die Co-Leitung splitted oder shared ausüben? Und für uns war klar, dass wir unsere Kernkompetenzen am besten im Splitted-Modell einbringen können. Strategisch führen wir gemeinsam, das heisst, es bedarf genauer Absprachen und einer klaren Aufgabenteilung. Dazu planen wir unter anderem regelmässig Zeit ein, um uns auszutauschen und anstehende Aufgaben zu besprechen, aufzuteilen und Entscheidungen zu treffen. Wir sind glücklich, dass wir ausserdem auf eine erweiterte Geschäftsleitung zurückgreifen können, in der uns zwei weitere Frauen kompetent unterstützen. Wie sind Sie zu den Positionen gekommen, die Sie heute haben? Welche Hürden mussten Sie dafür überwinden? Hochuli: Nun, ich bin ein sehr ehrgeiziger Mensch, hatte aber nie das Bedürfnis, Karriere zu machen. Wichtig war mir, mit meiner Arbeit was zu erreichen; persönlich und auch für das Unternehmen. Mein Ziel war es immer, mich weiterzuentwickeln und interessante Menschen kennenzulernen, Probleme zu lösen und Innovation voranzutreiben. Hürden habe ich immer als Herausforderung gesehen. Zum Beispiel war mein Schulenglisch nicht berauschend, also habe ich mich laufend in internationalen Unternehmen beworben, damit ich die Sprache regelmässig sprechen musste. Ich bin der Meinung, dass man mit harter Arbeit, Leidenschaft und ein bisschen Glück fast alles erreichen kann. Und Rückschläge gehören auch dazu. Stöckli: Mir erging es damals sehr ähnlich. Zudem wurde ich von vielen vorgesetzten Personen gefordert und auch gefördert. So führte mich mein Weg Schritt für Schritt auf die Führungsebene; zuerst ein kleines Team, dann einen Bereich und schliesslich die oberste Hierarchiestufe. Für mich war die Sinnhaftigkeit der Arbeit immer wichtig und dass ich voll zu den Produkten und Dienstleistungen meiner Arbeitgeberinnen stehen kann. Das erlebte ich sowohl bei meinen vorangehenden Funktionen in den kantonalen Verwaltungen
als auch jetzt bei KIMI. Auf meinem Weg musste ich aber auch einiges einstecken. So habe ich beispielsweise feststellen müssen, dass ich ein paar Mal als optimale Kaffeekocherin angesehen wurde oder mir Bettgeschichten mit der Führungsetage unterstellt wurden. Das fand ich immer interessant, denn einem Mann würde so was nie nachgesagt.
«Für mich hat das Geschlecht im Berufsleben nie eine Rolle gespielt.» Wie sind Sie im Laufe Ihrer Karriere mit dem Thema «Geschlecht» umgegangen? Hat sich Ihre Sicht auf die Situation verändert? Hochuli: Es gibt viele Frauen, die ich sehr schätze und die ein grosses Potenzial haben. Aber auch genauso viele Männer. Für mich hat das Geschlecht im Berufsleben nie eine Rolle gespielt. Ich finde es wichtig, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ähnliche Werte vertreten und zusammen etwas erreichen wollen – egal, ob Mann oder Frau. Die Berufe in der Kinderbetreuung sind überwiegend weiblich geprägt. Es wäre wunderbar, wenn verschiedene Berufe geschlechterspezifisch einen Ausgleich schaffen könnten – und sich mehr Männer für den Beruf Fachmann Betreuung interessieren würden. Stöckli: Ich habe in meiner Karriere bisher sehr viel mit Männern gearbeitet, teilweise auch in reinen Männerbereichen. Das Geschlecht war vor allem noch zu Beginn meines Berufslebens manchmal ein Thema. Daher bin ich sehr froh, dass die Gleichberechtigung in der Zwischenzeit die Firmen viel mehr durchdrungen hat, auch wenn es für meinen Geschmack immer noch zu wenig ist. Bei KIMI haben wir eine Frauenquote von 98 Prozent. Ich bin sehr stolz, wie gut wir Frauen zusammenarbeiten, wie wir gemeinsam unsere Ziele erreichen und uns gegenseitig unterstützen. Welche konkreten Massnahmen trifft KIMI Krippen, um Diversität zu leben?
Welchen Nutzen von Diversität sehen Sie als Co-Geschäftsführerinnen? Hochuli: Uns ist es wichtig, dass bei KIMI alle Kinder die Möglichkeit auf einen Betreuungsplatz haben, egal, welche Herkunft, sozialer Stand der Familie, körperliche und geistige Voraussetzungen. Bei uns steht das Kind als Individuum im Mittelpunkt und so sehen wir in der Vielfalt eine Bereicherung. Auch freuen wir uns, dass sich immer mehr Männer für den Beruf Fachmann Betreuung interessieren und wir mittlerweile mehr männliche Auszubildende bei KIMI haben als noch vor ein paar Jahren, leider aber immer noch ein sehr geringer Anteil. Was würden Sie einer jungen Frau mit Führungsambitionen, die am Anfang ihrer Karriere steht, raten? Stöckli: Sei mutig und trau dir was zu, gehe deinen Weg mit deinen Werten und lass dich nicht verbiegen. Sei neugierig und höre auf ehrliche Rückmeldungen, das ist der beste Weg, um zu lernen. Hochuli: Mach das Beste aus dem, was dir gegeben wird, lerne Herausforderungen zu nutzen, kämpfe für deine Werte und Ziele. Versuche in allem, auch das, was du nicht gern machst, eine Leidenschaft zu entdecken und bleib dir dabei selber treu.
Kurzporträt Alexandra Hochuli und Flurina Stöckli sind Co-Geschäftsführerinnen der KIMI Krippen AG. Alexandra Hochuli war davor Marketingdirektorin bei Oettinger Davidoff und Lead Subpremium Brands bei Japan Tobacco International. Flurina Stöckli war Personalchefin und Mitglied der Geschäftsleitung beim Kanton Aargau und Abteilungsleiterin Finanzen und Informatik des Personalamts des Kantons Zürich. https://kimikrippen.ch
Marla Eva Moser ist im Bereich Consulting & Project Management bei aizu communication GmbH tätig. www.aizu.ch
kolumne
Ein klares JA – zu Yin und Yang von Sandra Schmidt
Grundsätzlich hat jeder Mensch eine männliche und eine weibliche Seite – Yin wird durch das Weibliche und Yang durch das Männliche symbolisiert. Dem Weiblichen werden Werte wie Harmonie, Frieden, Ausgeglichenheit, Intuition und die Verbindung zur Natur zugeschrieben. Dem Yang Attribute wie Wettbewerb, Geschwindigkeit, Rationalität, Stärke und Mut. Übersetzt heisst dies: Frauen lassen sich als Chefs vermutlich mehr vom Gefühl leiten und agieren oft intuitiv. Für Männer zählen eher Fakten und Zahlen als Entscheidungsgrundlagen. Während Frauen Dinge mit Feingefühl und Empathie angehen, handeln Männer eher pragmatisch und rational. Wichtig: Hier nehme ich keinerlei Wertung vor, was besser oder schlechter ist. Beide Modi haben ihre Berechtigung. Je nach Situation erfordert es in der Führung die eine oder andere Haltung und Handlung. Es geht nicht darum, die eine oder andere Seite auszugrenzen, sondern einen Ausgleich herzustellen. Jedes Individuum für sich, innerhalb sich, um sein Potenzial voll auszuschöpfen. Ich spreche aus Erfahrung: Will ich meiner Intuition folgen, brauche ich einen klaren Kopf. Im Stress verliert sich das «Bauch-Gefühl». Um vor wichtigen Entscheidungen wieder klar zu sehen, helfen mir Auszeiten bei einer Meditation, Yoga oder im Wald. In Klammern: Ich bin sehr gerne im Wald und habe mich zur «Waldachtsamkeitstrainerin» ausgebildet und biete Waldbaden für Firmen oder individuelle Hotelgäste an (japanisch: Shirin Yoku). Zurück zum Thema: Viele Frauen in der Führung meistern einen täglichen Spagat zwischen Arbeit und Familie. Der Arbeitstag
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wird so effizient wie möglich durchgetaktet, um abends wieder für die Familie da sein zu können. Ein krankes Kind oder der Ausfall eines Mitarbeitenden können das Konstrukt schnell ins Wanken bringen. Männer neigen hier nicht so schnell zu Schuldgefühlen und können auch solche Situationen rationaler angehen. Im heutigen Zeitgeist dominiert das Yang – nach dem Motto: «höher, weiter, schneller». Es zählen Geld, Geschwindigkeit und Wettbewerb. Viele Menschen lassen sich vom Ego leiten und definieren sich über ihre Führungsrolle. Die eigene Profilierung scheint wichtig und verhindert die nüchterne Sicht auf ein Projekt, eine Idee oder umstrittene Diskussionspunkte. © Nicola Pitaro
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er Schweizerhof Flims ist seit jeher frauendominiert. Da die Männer der drei vorhergehenden Generationen bereits früh verstarben, waren es vorwiegend Frauen, die den Betrieb prägten. Jede Generation kämpfte wieder mit ganz eigenen Herausforderungen. Während des Zweiten Weltkriegs stellte man sich keine Genderfragen – hier zählte das blanke Überleben. Wenn man bedenkt, dass in der Schweiz das Frauenwahlrecht erst 1971 eingeführt wurde, ziehe ich den Hut vor den ersten beiden Hoteldirektorinnen unserer Familie, die sich in diesen Zeiten als Frauen und alleinige Führungspersonen durchsetzen mussten!
Ich denke, die Zukunft in einer ganzheitlichen Führung liegt darin, das Potenzial jedes Menschen voll auszuschöpfen, auf sich selbst zu achten, seine eigene Rolle zu finden und sein Gegenüber in dessen Rolle wertzuschätzen – wissend, dass die Balance von Yin und Yang in einem selbst, aber auch in jedem guten Team, matchentscheidend ist. Wir führen unser Unternehmen deshalb nach humanistischen Leitlinien. Statt Zahlen stellen wir den Menschen an erste Stelle. Geht es dem Menschen im Unternehmen gut, zeigt sich das im Produkt – in unserem Fall: dem Ferienerlebnis, das der Gast bei uns geniesst. Der Profit folgt automatisch. Bei uns im Team ist jeder herzlich willkommen, der diese Philosophie teilt und lebt – unabhängig vom Geschlecht. Ellenbogenmentalität adé, Herz und Verstand willkommen. Ying und Yang im Einklang, das ist moderne Führung.
Sandra Schmidt ist Hotelière & Waldachtsamkeitstrainerin im Romantik Hotel Schweizerhof Flims. www.schweizerhof-flims.ch
kolumne
Die Zeit arbeitet für die Frauen von Jacqueline Fehr
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ie gute Nachricht ist: Zwischen 2010 und 2020 hat sich der Anteil weiblicher Geschäftsleitungsmitglieder in den hundert grössten Schweizer Unternehmen mehr als verdoppelt. Die weniger gute Nachricht: Der Anteil stieg gerade einmal von vier auf zehn Prozent.
denen sie zum Engagement bereit sind. Siehe Skandinavien: Dort entstanden die familienfreundlichen Arbeitsbedingungen, weil man nicht in der Lage war, die Lücken im Arbeitsmarkt mit der Zuwanderung zu stopfen. Man war angewiesen auf die Frauen.
Mit anderen Worten: Die Richtung stimmt, aber das Ziel ist noch fern. Die Chef-Welt ist nach wie vor sehr männlich. In den grösseren US-Unternehmen gibt es mehr CEOs mit Vorname David (4.5 Prozent) als weibliche CEOs (4.1 Prozent). Dabei ist David nicht einmal der verbreitetste amerikanische CEO-Vorname – noch häufiger sind die Johns (5.3 Prozent). Und was die Schweizer Verhältnisse betrifft: Drei Viertel aller Frauen mit Hochschulabschluss befürchten laut einer Studie des Bundesamts für Statistik, die Geburt eines Kindes wirke sich negativ auf ihre Karriere aus.
Zweitens sind Frauen Führungstalente. Es gibt mehrere grosse Untersuchungen zur Frage, ob Männer oder Frauen besser führen. Die Ergebnisse sind verblüffend – weil sie alle zum selben Schluss kommen: eins zu null für die Frauen. Besonders stark schneiden weibliche Führungskräfte ab, die einen modernen, im Fachjargon «transformationalen» Führungsstil pflegen – das heisst: die als Vorbilder auftreten und ihre Mitarbeitenden inspirieren, unterstützen und intellektuell anregen wollen. Wer in der Lage ist, so zu führen – und Frauen sind das gemäss Studien ganz besonders –, erzielt exzellente Arbeitsresultate.
Die Sorge ist begründet: Zu über 85 Prozent arbeiten Mütter Teilzeit oder gar nicht. Väter verbleiben hingegen zu über 80 Prozent full time im Job. Teilzeitarbeitende erhalten nachweislich weniger Verantwortung und Förderung, werden weniger gut bezahlt und haben schlechtere Karriereaussichten. Hinzu kommt die Doppellast, die arbeitstätige Mütter zu tragen haben. Zwar werden solche heute nicht mehr schief angeschaut. Auch Karrieren sind möglich. Gleichzeitig hat sich aber an der Vorstellung kaum etwas verändert, wie eine Mutter zu sein hat – nämlich perfekt. Kurz: An berufstätige Mütter wird ganz selbstverständlich die Erwartung gestellt, dass sie im Job performen und gleichzeitig SuperMütter bleiben. Das sind schwierige Voraussetzungen für Frauen, die führen möchten. Und doch – oder umso mehr – möchte ich Frauen zum Führen-Wollen motivieren. Es gibt gute Gründe, sich darauf einzulassen. Erstens arbeitet die Zeit für die Frauen. Die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Und je dringender der Arbeitsmarkt die Frauen braucht, umso mehr bestimmen diese die Bedingungen, unter
Drittens brauchen Kinder keine perfekte Mutter. Der britische Kinderarzt Donald Winnicott hat bereits Mitte des letzten Jahrhunderts dafür geworben, dass es vollauf reiche, wenn Mütter «good enough» seien – wenn sie «hinreichend gut» seien. Tatsächlich ist es kein Problem, wenn das Kind, nachdem es vom Velo gefallen ist, nicht nach der Mutter schreit, sondern nach dem Vater oder nach sonst einer Bezugsperson. Im Gegenteil: Das verschafft den Müttern Luft – und die nötige Energie, um sowohl in der Familie präsent zu sein als auch beruflich vorwärtszukommen.
Jacqueline Fehr war von 1998 bis 2015 Nationalrätin und von 2008 bis 2015 Vizepräsidentin der SP Schweiz. Am 12. April 2015 wurde sie in den Zürcher Regierungsrat gewählt, wo sie die Direktion der Justiz und des Innern leitet. www.jacqueline-fehr.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 19
Mehr Frau im Bau Digitalisierung zur Erhöhung des Frauenanteils im Bausektor von Andrea Trapp
Wohnungsnot, knapper werdende Ressourcen, fehlender Talentnachwuchs, Klimaneutralität und Digitalisierung: Der rasante Wandel unserer Gesellschaft fordert das traditionsbewusste Bauwesen mehr denn je heraus, mit neuen Ideen und innovativeren Konzepten zu reagieren. War das Gesicht der Baustelle lange Jahrzehnte männlich und vom Geruch körperlich harter Arbeit, Schweiss, Muskelkraft und Staub geprägt, sieht man seit einiger Zeit mehr und mehr Frau im Bau. Woran liegt das? Mit dem Zuwachs an weiblichen Arbeitskräften, im Management wie auch auf der handwerklichen Seite, erschliesst das Bauwesen sich eine völlig neue Zielgruppe – mit einer neuen Perspektive und frischen Ideen. Die Frauen.
Frauen auf der Baustelle: ein Bild, welches wohl bald öfters zu sehen sein wird.
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ie Ära der Baby-Boomer-Generation auf dem Bau neigt sich ihrem Ende zu. Eine Welle der Verrentung im Bau führt bereits jetzt zu schmerzlichen Personalengpässen und Fachkräftemangel. Hier können Bauingenieurinnen punkten und die entstandenen Lücken mit ihrem Know-how und technischen Verstand füllen. Schaut man sich aktuelle Zahlen des Bundesamtes für Statistik der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu Studienanfängern
an, liegt der Gesamtanteil an Frauen unter den Studierenden bei 39 Prozent. Bis 2018 stieg dieser auf stolze 54 Prozent. Der Frauenanteil im Bereich Ingenieurwesen, verarbeitendes Gewerbe und Baugewerbe stieg von elf Prozent bis zum Jahr 2018 auf 32 Prozent an.
vor gering ist. Deutlich sichtbar wird das an den Zahlen für FH-Abschlüsse im Jahr 2018: Elektro-, Automobil-, System-, Maschinen- und Gebäudetechnik sowie Informatik kommen jeweils nicht einmal auf zehn Prozent Frauenanteil.
Dennoch zeigt sich, dass der Frauen-Anteil an den sogenannten MINT-Fächern, beispielsweise in der Schweiz, nach wie
Langsam, aber stetig steigt der Frauenanteil in MINT-Berufen generell, so eine aktuelle Studie der deutschen Bundesagentur
Ein femininer Lichtblick
für Arbeit, die besagt: «Der Frauenanteil an den MINT-Beschäftigten ist mit 15.4 Prozent zwar nach wie vor unterdurchschnittlich, die Entwicklung der letzten Jahre zeigt aber zumindest eine leicht steigende Tendenz.» Weiter heisst es: «Gegenüber dem Höchststand der 1990er-Jahre – 1996 – standen 2017 rund 25’000 MINT-Absolvent(inn)en mehr dem Arbeitsmarkt zur Verfügung mit einem Plus von 30.8 Prozent.» Mehr weiblicher Einfluss auf allen Ebenen im Bausektor bedeutet auch ein moderneres Image und mehr Chance auf frischen Wind. Neue Arbeitsmethoden und technologischer Fortschritt verheissen weniger harte körperliche Arbeit. Dadurch öffnet sich die traditionell von Männern dominierte Baubranche einer viel grösseren und diverseren Zielgruppe. Meine Prognose lautet, dass sich auch aufgrund gross angelegter Förderprogramme dieser Trend fortsetzen wird.
Viele Bauarbeitende haben mittlerweile ein Tablet zur Unterstützung auf der Baustelle dabei.
Erst kürzlich habe ich ein Expertinnen-Interview mit der Diplom-Kauffrau Tanja Leis gelesen, die am RKW Rationalisierungs- und
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Innovationszentrum der Deutschen Wirtschaft e.V. in Eschborn das Pilotprojekt «Frauen in der Bauwirtschaft – Potentiale besser erschliessen» durchführte. Sie hat für einen höheren Frauenanteil im Bauwesen die folgenden Top-5-Argumente ermittelt: «Erstens schliesst ein grosses Potenzial an gut qualifizierten Frauen den Personalengpass an Fachkräften. Zweitens gehört Gender Diversity heute zu einer modernen Unternehmenskultur. An dritter Stelle sehe ich eine höhere Meinungsvielfalt innerhalb der Unternehmen. Viertens: Ein erhöhter Frauenanteil verbessert und erhöht das Arbeitgeber-Image. Und fünftens können mehr weibliche Kunden gewonnen werden.» Diesen fünf Punkten stimme ich voll und ganz zu.
Was bedeutet Digitalisierung im Bau? Im Trend liegende serielle und modulare neue Bauweisen, wie etwa das Bauen mit modularen PreFab-Teilen, ermöglichen besonders schnelles, kostengünstiges und trotzdem qualitativ hochwertiges Bauen durch IT-gestützte Workflows. Das erleichtert beziehungsweise ersetzt viele vorherige Arbeitsvorgänge. Daneben dienen auch neue Technologien wie Drohnen, Bau-Roboter oder auch 3-D-Druck der Entlastung der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, sodass diese künftig mehr Zeit für komplexere Aufgaben haben. Digitale Workflows erhöhen insgesamt die Transparenz in Bauprojekten. Wenn von der Ausschreibung über die ersten Skizzen bis zu sämtlichen Bauunterlagen einfach alles 360 Grad über eine digitale Plattform für alle Beteiligten einsehbar ist, hat die Kultur der sogenannten «BoysClubs» nur schwerlich Fortbestand. Durch digitale Plattformen sinkt auch der administrative Aufwand. Lästiger Papierkram, lange Korrektur- und Abstimmungsschleifen mit unerwünschten Zeitverzögerungen verschwinden zugunsten von agiler Kollaboration in Echtzeit. Kommunikative Fähigkeiten und Begabungen werden immer wichtiger, definitiv auch ein Grund für Frauen, stärker im Bau aktiv zu werden. Denn Digitalisierung ist immer auch ein grosses Ja zur Zusammenarbeit auf neuen Wegen. Da bietet ein smarter Arbeitsplatz ganz neue Aussichten für Frauen, aber auch Männer. Einer unserer Dropbox-Business-Kunden, der europäische Technologiekonzern für Baudienstleistungen STRABAG, bringt beispielsweise vorbildlich Menschen, Baumaterialien und Baugeräte zur richtigen Zeit am richtigen Ort zusammen. «Die
Die Digitalisierung unterstützt Frauen auch in Sachen Vereinbarkeit von Karriere und Familie.
Digitalisierung unserer Arbeitsprozesse ist eine enorme Unterstützung. Sie fördert die Transparenz in allen Schritten, erhöht die Effizienz und Ausführungsqualität enorm», so Ulrich Stuible, Fachgruppenleiter und Consultant bei STRABAG. Viele Studien haben gezeigt, dass unsere Arbeitsweisen völlig veraltet sind und wir immer ineffizient und unbefriedigend arbeiten, weil unser Fokus so oft von den eigentlichen Arbeitsinhalten abgelenkt wird. Unser Arbeitstag ist von Unterbrechungen geprägt, die uns davon abhalten, das zu tun, für was wir eigentlich eingestellt wurden. Dropbox hat das erkannt und löst diese Probleme mit dem im Herbst 2019 eingeführten ersten Smart Workspace, einem digitalen Arbeitsplatz, der alle Inhalte, Teams und Tools an einem Ort zusammenführt. Wir unterstützen in Europa und weltweit Firmen beim Ausbau ihres Geschäfts, weil wir ihnen den dafür nötigen Fokus ihrer Teams durch den Einsatz smarter Technologien zurückgeben.
Hört auf eure Mitarbeiterinnen Neben der gesteigerten Transparenz ermöglicht die Digitalisierung auch ganz neue Formen der Teilhabe. Mehr Stimmen können gehört werden, mehr Perspektiven
Durch die Zunahme von Fertigbauteilen auf Baustellen fällt ein Grossteil der körperlichen Arbeit weg.
werden sichtbar. Dass die Mitarbeitenden ein grosser Innovationsmotor sein können, solange man ihnen die Freiheit lässt – ein Kernbestandteil unserer Smart-WorkspacePhilosophie –, zeigt sich bei STRABAG par excellence: Ausgehend von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in vorangegangenen Baustellen teilweise «Pläne2Go» auf ihren privaten Tablets mit auf die Baustelle brachten, verbreitete sich diese Arbeitsweise schnell und die Verwendung wuchs dynamisch. «Nun statten wir Polierinnen und Poliere standardmässig mit Tablets aus», berichtet Oberbauleiter Frank Winzer: «So läuft es mit den meisten Innovationen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind die Treiber und bestimmen letztlich, was genutzt wird, nicht die ITLeitung oder das Management. Dies entsprach auch schon in der Vergangenheit unserer grundsätzlichen UnternehmensPhilosophie und tut es in der heutigen Zeit nur umso mehr.»
We can do it! Bauen wird sich in den kommenden Jahren enorm weiterentwickeln. Experten sehen auf der Baustelle der Zukunft immer mehr
fertige Komponenten, beispielsweise komplette vorgefertigte Einrichtungsbereiche – wie Bäder – zum schlüsselfertigen Einbauen in das Gebäude. Technologien wie der 3-D-Druck oder Roboter werden auch in der Baubranche verstärkt zum Einsatz kommen. Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung werden alle Beteiligten auf der Baustelle immer stärker vernetzt sein und die Visualisierungen der Pläne neue Formen annehmen. Die zunehmende Digitalisierung wird auch mehr Frauen auf den Bau locken, da Technik-gestützte planerische und koordinierende Tätigkeiten nichts mehr mit körperlicher Überanstrengung zu tun haben werden und flexible Arbeitsmodelle Einzug in das traditionelle Baugewerbe haben.
Schlüssel zur Vereinbarkeit Ich bin fest überzeugt, dass durch die Erleichterung der Arbeit bei immer grösser und komplexer werdenden Bauvorhaben in immer kürzerer Zeit digitale Cloud-Kollaborationslösungen den Eintrittsschein für mehr Frauen in diesem Berufsfeld darstellen können. Dasselbe gilt aber auch für
Männer, die beispielsweise eine Elternzeit in ihren Lebenslauf einbauen möchten. Letztendlich legen die digitalen Tools die Basis für bessere, freiere Zeiteinteilung, Arbeit über örtliche Grenzen hinweg und flexiblere Entscheidungen auf stets aktuellen – da digital synchronisierten – Grundlagen. All das ermöglicht es Männern, aber explizit auch den historisch stärker von der Familie in Anspruch genommenen Frauen, ihren Beruf und ein Familienleben unter einen Hut zu bringen.
Andrea Trapp ist Head of Business für das Gebiet Nord- und Zentraleuropa (DACH, UK und Irland sowie die Nordics und die Baltischen Staaten) bei Dropbox. www.dropbox.com
Zeitenwende in Sichtweite Gender Diversity als Chance für KMU von Guido Schilling
Seit 15 Jahren untersucht Guido Schilling als Herausgeber des «schillingreport», wie sich die Zusammensetzung der Führungsgremien der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber entwickelt. Welche Erkenntnisse lassen sich für Schweizer KMU gewinnen und wie können sie diese für sich nutzen?
A
ls der «schillingreport» vor 15 Jahren erstmals die Zusammensetzung der Geschäftsleitungen der grössten Schweizer Arbeitgeber erhob, war Gender Diversity für die meisten Unternehmen ein Randthema. Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen der 100 grössten Schweizer Arbeitgeber betrug 2006 lediglich vier Prozent. Heute ist der Frauenanteil zum ersten Mal zweistellig und liegt bei zehn Prozent. Doch wo stehen wir auf dem langen Weg zu einer ausgewogenen Gender Diversity und welche Chancen bieten sich den KMU?
Attraktive Arbeitgeber Erst rund die Hälfte der grössten Schweizer Arbeitgeber hat Frauen in der Geschäftsleitung. Doch die Entwicklung zeigt, dass das Bewusstsein der Wirtschaft für weibliche Fachkräftepotenziale und die unbestrittenen Vorteile gemischter Führungsteams wächst. Wir erleben eine Zeitenwende. Sie bietet KMU die Chance, sich für weibliche Talente als attraktive Arbeitgeber zu positionieren: Überschaubare Unternehmensgrössen, breite Aufgabengebiete und eine bessere Sichtbarkeit der eigenen Leistung sind Aspekte, die Frauen entsprechen. Viele Frauen leisten hervorragende Arbeit, schät-
zen ein multifunktionales Tätigkeitsgebiet mit viel Verantwortung und bringen sich gerne in kleineren Organisationen ein, die weniger von Taktik und Politik geprägt sind, was in grösseren Organisationen häufiger der Fall ist.
Familienfreundliche Arbeitsformen KMU sollten Vorteile wie höhere Flexibilität in der Schaffung von familienfreundlichen Arbeitsmodellen bewusster nutzen und in ihrem Employer Branding visibel machen. Sie können wichtige Werte implementieren, welche sich familienfreundlich auswirken und woraus sich konkrete Massnahmen
Voraussetzungen schaffen, damit Frauen gläserne Grenzen durchbrechen können.
ableiten lassen – wie beispielsweise Sitzungen zu üblichen Bürozeiten, Home-Office und Teilzeitarbeit auf allen Stufen. Diese Massnahmen erweisen sich nicht nur bei Frauen als immer wichtiger, sondern stehen bei der Arbeitgeberwahl von männlichen Talenten nach dem Studienabschluss ebenfalls hoch im Kurs. Zudem sind Führungskräfte, die Familie und Beruf erfolgreich vereinbaren, die besten und glaubhaftesten Botschafter für attraktive Arbeitgeber.
Entwicklungsdialog mit Talenten Der «schillingreport» 2020 zeigt, dass ein hoher Anteil der Rekrutierungen von vakanten Geschäftsleitungsfunktionen intern erfolgte. Daraus lässt sich ableiten, dass die Bindung von Talenten ans Unternehmen zentral ist. Insbesondere KMU haben den Vorteil, dass ihre Geschäftsleitungen nahe an den Mitarbeitenden sind. Und das sollten sich KMU zu Nutzen machen: Gezielte Talent-Evaluationen im Unternehmen und Entwicklungsdialoge wirken sich positiv auf die Gender Diversity und Mitarbeiterbindung aus. Denn Mitarbeitende möchten
wissen, welche Perspektiven ihnen das Unternehmen bieten kann. Und Frauen wollen nach wie vor entdeckt werden. Sie positionieren sich häufig über ihre Leistung und ebendiese wird im Entwicklungsdialog neben beruflichen Zielen, Plänen und Entwicklungsmassnahmen besprochen. Vorgesetzten empfiehlt sich, insbesondere auch die Flexibilität zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie aktiver zu thematisieren, damit Frauen und Männer erkennen, dass beides beim aktuellen Arbeitgeber möglich ist und sich nicht negativ auf die Karriere auswirkt.
Schritt zur Managerin dar. Die Unternehmen müssen die Gender-Diversity-Pipeline von ganz unten aufrollen und verbreitern, damit mehr Frauen die gläserne Decke durchdringen und sich die Pipeline von einer Pyramide zu einem Zylinder formt. Hier bedarf es von den Unternehmen besonderer Aufmerksamkeit, um das Vertrauen talentierter Frauen zu gewinnen, sich der Zusatzbelastung einer Führungsposition zu stellen und eine Management-Laufbahn einzuschlagen.
Talent-Pipeline Die Gender-Diversity-Pipeline zeigt, dass der Frauenanteil mit höherer Hierarchiestufe abnimmt. Machen die Frauen 38 Prozent der Gesamtbelegschaft der grössten Arbeitgeber aus, schaffen es nur zehn Prozent von ihnen durch die «gläserne Decke» in die Geschäftsleitung. Das grösste Leck in der Pipeline befindet sich zwischen der Gesamtbelegschaft und dem Middle-Management. Dazwischen schrumpft der Frauenanteil um 14 Prozentpunkte auf 24 Prozent. Das grösste Hindernis für Frauen stellt der erste
Guido Schilling ist Managing Partner beim ExecutiveSearch-Unternehmen schilling partners ag und Herausgeber des «schillingreport». www.schillingreport.ch www.schillingpartners.ch
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Ursachen benennen von Ronald Hanisch
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rauen verdienen im Durchschnitt noch immer deutlich weniger als Männer: Statistisch gesehen beträgt der Gehaltsunterschied 21 Prozent. Umgerechnet in Zeit bedeutet diese Gehaltslücke, dass Frauen 77 Tage eines Jahres «umsonst» arbeiten, wenn sie sich mit ihren männlichen Kollegen vergleichen. Der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern ist eine der grossen Ungerechtigkeiten der Wirtschaft. Der durchaus notwendige Aktionismus von Lobbygruppen gibt allerdings wenig Auskunft darüber, worin der Gehaltsunterschied begründet liegt. Schon an diesem Punkt stellt sich die Frage, an welchem Hebel Frauen ansetzen sollten, um diese Situation zu ändern. Nicht nur aus meiner Sicht müssen Frauen nicht weniger verdienen als Männer. Frauen sollten lernen, mehr zu fordern, mutiger aufzutreten und ihre weiblichen Kompetenzen stärker in den Fokus zu rücken. So weit zur Theorie. Wie sieht nun die Praxis aus? Zunächst gilt es, die zentralen Ursachen für den statistischen Gehaltsunterschied zu benennen. Wenn Männer eine Stellenanzeige lesen, bewerben sie sich auch dann, wenn sie nur 60 Prozent der genannten Voraussetzungen erfüllen, Frauen bewerben sich erst mit deutlich mehr als 90 Prozent Übereinstimmung. Diese Erfahrung mache sicher nicht nur ich, sondern auch andere HR-Expertinnen und -Experten. Frauen sollten forscher werden und dürfen ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen. Hinzu kommt, dass vorwiegend weibliche Eigenschaften wie Kommunikationsfähigkeit, Integrationsfähigkeit, Vielseitigkeit und Belastbarkeit in verschiedenen Rollen häufig gar nicht in den Stellenanzeigen genannt werden. Diese sind aber gerade in komplexen Projekt- und Teamstrukturen sehr wichtig. Das führt zu weniger weiblichen Bewerbern und dazu, dass weniger Frauen die Gelegenheit bekommen, ihre Vorzüge im Bewerbungsverfahren zu präsentieren. Hier gibt es noch viel Luft nach oben. An dieser Stelle wird auch klar, dass es nicht
nur an dem individuellen Verhalten von Frauen liegt, sondern es auch strukturelle Ursachen gibt, die ein Durchstossen der gläsernen Decken verhindern. Ohne Frage sind aus diesem Grund auch die Unternehmen gefragt, Stellenanzeigen und Anforderungsprofile offener zu formulieren. Mehr Weiblichkeit tut Unternehmen gut. Das ist im Interesse aller: der Bewerberinnen, der Unternehmen und der Gesellschaft. Da bin ich mir sicher. Es gilt aber, noch andere Ursachen anzusprechen. So fordern weibliche Bewerber, im Rahmen von Gehaltsverhandlungen, einfach zu wenig. Wenn eine Stelle mit 125’000 Euro Jahresgehalt dotiert und kalkuliert ist, fordert der Mann 140’000 Euro und die Frau 90’000 Euro. Im Rahmen der Verhandlung landet dann der Mann bei 130’000 Euro, die Frau bei den geforderten 90’000 Euro. Das ist ein Erfahrungswert aus meiner praktischen Arbeit. Welches Unternehmen zahlt schon freiwillig mehr, wenn es nicht gefordert wird. Auch hier kann ich nur zu mehr Mut und Selbstbewusstsein raten. Eines aber sollten Frauen nicht versuchen: so zu sein und aufzutreten wie Männer. Das wird weder gewünscht noch honoriert. Im Gegenteil. Viele Unternehmen suchten weibliche Bewerber und Führungskräfte gerade wegen ihrer besonderen weiblichen Kompetenzen.
Ronald Hanisch gehört im deutschsprachigen Raum zu den gefragtesten Vortragsrednern, Management-Beratern und Autoren rund um die Themen Projektmanagement und Arbeit mit Teams. www.ronaldhanisch.com
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Corinna Hirrle und Hoshank Hirrle sind die neuen Macher in der alten Spanischen Weinhalle.
Es geht auch anders Soziales Unternehmertum im Praxistest Interview mit Corinna Hirrle und Hoshank Hirrle von Georg Lutz
Soziales Unternehmertum will gesellschaftliche Herausforderungen angehen und Geld verdienen. Da braucht es gleichzeitig Herzblut und Professionalität. Das ist nicht einfach. Wir machten uns auf den Weg nach Burgdorf bei Bern zu einem Besuch in der Spanischen Weinhalle. Dort gibt es nicht nur eine leckere orientalische Küche, sondern auch eine Galerie, Musikveranstaltungen und Lesungen. Teile der Belegschaft sind Flüchtlinge. Wie bekommt man solch unterschiedliche Herausforderungen unter einen Hut?
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ir befinden uns hier in der Spanischen Weinhalle, einem altehrwürdigen Restaurant. Ich sehe hier aber auch Flyer von «Gourmet Kitchen» und «ReichAnKultur». Hier kann man sich offensichtlich nicht nur kulinarisch verwöhnen lassen? Corinna Hirrle: Ja, es handelt sich hier um einen Gastronomie- und Kulturbetrieb. Wir bieten hier einen Mittagstisch an und abends gibt es aÀ-la-carte-Speisen. Die
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orientalische Küche steht dabei im Vordergrund. Wir verknüpfen sie aber mit Bioprodukten aus der Region. Das klingt nach einer wilden Mischung. Kann diese mit einem Beispiel verdeutlicht werden? Ja, nehmen wir das Lammcurry. Das Fleisch beziehen wir direkt von einem Bauernhof aus dem Emmental und kochen mit orientalischen Gewürzen. Dabei achten wir auf die Stichworte Fair und Bio.
Zudem gibt es hier noch Kulturveranstaltungen in Form von Lesungen und Konzerten. Genau. Wir betreiben hier eine Galerie, in der im Wechsel verschiedene Künstlerinnen und Künstler ausstellen. Zuletzt stellte hier eine Burgdorfer Künstlerin, Florine Ott, aus, die geflüchtete Menschen vor einem goldenen Hintergrund porträtiert. Das wirkt beinahe ikonenhaft. Die Porträtreihe hat den Titel «Hero», um das Heldenhafte der Fluchtgeschichten zu betonen.
Menschen in Unternehmen
Das ist der umgekehrte Blick, mit dem wir sonst die Flüchtlinge betrachten. Da geht es ja weniger um Helden-, sondern um Bedrohungsbilder. Dann kann man bei uns Musikveranstaltungen besuchen. Wir versuchen jungen, aber professionellen Musikern / -innen eine Plattform zu bieten, zum Beispiel der Hochschule der Künste Bern. Last but not least veranstalten wir Lesungen.
«Es geht hier um Business und nicht um eine geschützte Werkstatt.»
Gibt es dazu ein Beispiel aus Burgdorf? Ja, Wilfried Meichtry. Könnt Ihr ihn kurz vorstellen? Wilfried Meichtry beschäftigt sich mit historischen Stoffen, die er interpretiert. Sein Stil bewegt sich entlang historischer Fakten und dichterischer Freiheit. Als Autor hat er sich mit seinen viel beachteten Werken wie «Verliebte Feinde – Iris und Peter von Roten», «Hexenplatz und Mörderstein» und der Biografie «Mani Matter» einen Namen gemacht. Wir hatten hier auch schon den irakischen Schriftsteller Usama Al Shahmani mit seinem autobiografischen Buch «In der Fremde sprechen die Bäume arabisch» zu Gast.
Dort geht es darum, wie sich Geflüchtete in die Schweizer Arbeitswelt integrieren. Das haben wir aufgegriffen und eine Lesung mit Podiumsdiskussion mit Polikern / -innen aus Burgdorf veranstaltet. Das passt ja genau in den Arbeitsalltag von «Gourmet Kitchen». Hier arbeiten ja auch einige Geflüchtete. Ja, die Idee ist hier, für einige geflüchtete Menschen eine Arbeitsperspektive zu bieten, was ja für die Integration in der Gesellschaft ein ganz wichtiger Punkt ist. Das Ziel ist, sie unabhängig von staatlichen
Transferleistungen zu machen und in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren. Dabei gibt es sicher einige Zwischenschritte und Stolpersteine? Ein Praktikum ist ein solcher Zwischenschritt. Die Menschen können auch Teilzeitjobs annehmen, müssen dann aber, wenn sie Überstunden machen, Teile der Gelder wieder zurück an den Staat geben. An dieser Stelle gibt es dann oft Schwierigkeiten. Wir unterhalten uns hier aber nicht in einer gemeinnützigen Stiftung, sondern in einem Unternehmen. Richtig. Unser Rahmen ist eine GmbH. Geld verdienen und gleichzeitig die Welt verbessern – ist das nicht eine Nummer zu gross? Es gibt ohne Frage grosse Herausforderungen. Aber es geht hier um Business und nicht um eine geschützte Werkstatt. Wir befinden uns in einem ganz normalen Betrieb … … und er muss auch funktionieren.
Regionale Anbieter und frisch gekochte Gerichte verbinden sich mit unserer orientalischen Kochkunst.
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Menschen in Unternehmen
Lasst uns zu den heissen Eisen kommen. Es gibt ja viele Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, was Arbeitsdisziplin oder Vorurteile im Geschlechterverhältnis betreffen. Da gibt es Herausforderungen. Viele Geflüchtete wollen das Geld von der Sozialhilfe beziehen und zusätzlich Schwarzarbeit annehmen. Da müssen wir klare Grenzen ziehen, da hier alles gesetzeskonform zugehen muss. Können Sie, Herr Hoshank Hirrle, eine Vorbildrolle übernehmen? Hoshank Hirrle: Ich kann einen Ausbildungsrahmen in der Küche und im Service bieten, bei dem man in den Arbeitsmarkt hineinwachsen kann. Meine eigene Geschichte als Flüchtling und die Integration hier ist dabei sicher von Vorteil. Dabei
stellen wir von Anfang an klar, dass es hier um eine Arbeit auf Augenhöhe geht. Wir leben dies auch vor. Die Arbeit mit Geflüchteten ist sicher auch mit einem gewissen bürokratischen Aufwand verbunden? Ja, unsere Angestellten fragen uns hier oft um Hilfe an. Allein die korrekte Sprache ist eine Herausforderung. Jetzt ist bekanntlich Integration eine Herausforderung, die nicht nur von den Geflüchteten, sondern auch von uns, der Mehrheitsgesellschaft, einiges abverlangt. Multikulti hört sich locker an, ist aber in der Praxis oft schwierig. Corinna Hirrle: Ich will hier den Finger in eine Wunde legen. Oft erleben wir eine Sozialbranche, deren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die Geflüchteten oft in dem Transferstatus belassen wollen. Eine Bürokratie und ihre Selbsterhaltungsmechanismen. Das ist auch ein weites Feld. Zudem bekommt man oft von der Sozialhilfe, wenn man im Rahmen des Ausweises B steht, pauschal gesehen mehr wie ein Arbeitgeber in der Gastrobranche und auch anderen Branchen zahlen kann: Zulagen für Verkehr, Deutschkurs, Integrationsleistung, Wohnung, Essenskosten oder Kinderzulagen. Unfair ist, dass Flüchtlinge mit Ausweis F deutlich weniger erhalten. Das führt dann zu den Vorteilen von Flüchtlingen, die in der «Sozialen Hängematte» liegen würden. Dass Geflüchtete selten im ersten Arbeitsmarkt Fuss fassen können, liegt aber nicht nur an den Menschen selbst, sondern auch am System der staatlichen Hilfsorganisationen und wie sie sich verstehen. Und die Flüchtlinge haben die mentalen Herausforderungen, sich von den Sicherheiten, die ja staatliche Transferleistungen garantieren, zu lösen. Es gilt hier der Satz: «It Takes Two to Tango». Beide Seiten müssen einige Mal ins kalte Wasser springen. Wir versuchen hier, den Betroffenen Mut zu machen und mündig mit ihrem Geld umzugehen.
Der irakische Schriftsteller Usama Al Shahmani war vor Ort.
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Ein klassisches Start-up ist exit-orientiert. Es verschafft sich Risikokapital und später wird an einen grossen Player verkauft. Sie setzen auf gesellschaftlichen Mehrwert. Wer investiert in solch ein Modell? Es gibt bei uns mindestens zwei Antworten. Die erste Antwort bezieht sich auf die Perspektive von Hoshank Hirrle, Kurde aus Syrien und 2014 in die Schweiz geflüchtet. Er kam als Spitzenkoch und Akademiker in die Schweiz und hat ohne jegliche Mittel sich wieder langsam hocharbeiten müssen. Er hat in Kirchengemeinden, internationalen Organisationen und schliesslich sogar im Bundeshaus gekocht. So hat er sich ein Netzwerk aufgebaut, ein professionelles Catering-Unternehmen aufgemacht und ist jetzt hier in der Spanischen Weinhalle. Die zweite Antwort bezieht sich auf den Besitzer. Hier hatten wir schlicht Glück. Er fand unser Konzept gut und hat uns die gesamte Infrastruktur eines gehobenen Restaurants zur Verfügung gestellt und unser Projekt damit gross unterstützt.
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Die Künstlerin Florine Ott zeigt mit ihren Porträts Flüchtlinge aus einer ganz anderen Perspektive.
Ihr musstet hier nicht gross finanziell investieren? So ist es. Was die Kultur betrifft, haben wir hier klein und niederschwellig, aber professionell mit Know-how begonnen. Das ist ein Prozess, dabei geht es um Community Building. Kultur und Kulinarik gehören für uns zusammen. Wir versuchen mit viel Mühe und Kreativität, die Altstadt von Burgdorf zu beleben. Dabei geht es uns darum, einen Begegnungsraum zu schaffen. Das stösst dann hier in der Stadt wieder auf offene Ohren. Wir sehen überall in den Innenstädten die gleichen transnationalen Ketten und die Menschen shoppen im Internet. Wir setzen dagegen auf regionale Anbieter, auf frisch gekochte Gerichte und verbinden sie mit unserer orientalischen Kochkunst. Wie sieht es mit den Einwohnern von Burgdorf aus? Gibt es da Ängste? Berührungsängste gegenüber Neuem schon. Aber das Bürgertum schätzt unser kulturelles Angebot und die hohe orientalische Küche. Wir betreiben hier eben nicht den üblichen Schnellimbiss mit Döner und
Falafel. Dass wir mit Produkten vom WochenMarkt kochen, schafft Vertrauen und stösst auf Wohlwollen der Bürger / innen. Wie kann man solch ein Haus und seine Konzepte bekannter machen? Sie haben ja kein fünfstelliges Marketingbudget zur Verfügung. Das wichtigste Stichwort heisst hier Vernetzung. Es gilt, das Beziehungsnetz immer engmaschiger zu machen. Ausserdem bieten wir Caterings und Kulturveranstaltungen an. Das bringt ein gegenseitiger Bewerbungseffekt mit. Sie haben hier aber keinen Job, bei dem man um neun an seinem Schreibtisch ist und um fünf Uhr nachmittags den Laden wieder zumacht. Sie müssen vermutlich schon ganz früh auf dem Markt sein, und abends bei einer Kulturveranstaltung dürfte es auch ziemlich spät werden? Ja, das geht in Teilen rund um die Uhr. Wir haben aber jetzt einen Sonntag im Monat freigenommen, um wieder etwas Erholungszeit zurückzuerobern.
Corinna Hirrle ist Geschäftsleiterin, Marketing- und Kulturverantwortliche von ReichAnKultur und Gourmet Kitchen und in der Spanischen Weinhalle.
Hoshank Hirrle ist Geschäftsleiter, Kochchef und Ausbildner von Gourmet Kitchen und in der Spanischen Weinhalle. www.gourmetkitchen.ch www.reichankultur.ch
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Menschen in Unternehmen
Das Büro ist tot – Lang lebe das Büro! Büro als Möglichkeitsraum von Sven Bietau
New Work und agile Arbeitsmethoden sind in aller Munde. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter den neuartigen Begrifflichkeiten. Die Thematik rund um Bürowelten betrifft beinahe jeden, doch welche Bedürfnisse stehen hinter diesen Veränderungen und wie kam es überhaupt dazu?
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rundsätzlich lässt sich beobachten, dass Arbeitsräume in der DACHRegion meist noch sehr traditionell gehalten sind. Der Grossteil der erwerbstätigen Bevölkerung in Büros arbeitet in Einzel- und kleinen Mehr-Personen-Räumen mit verzimmerten Strukturen, ausgelegt auf eine lineare und hierarchische Arbeitsweise. Jedoch wandelt sich mit der zunehmenden Komplexität der gesellschaftlichen Strukturen auch die Anforderung an das physische Büro. Es hat eine ganz neue Rolle zu erfüllen.
Unterschiedliche Raumkonzepte Arbeitsraum war bisher immer gleichzeitig Notwendigkeitsraum. So war das im deutschsprachigen Raum sehr verbreitete Zellenbüro für das konzentrierte Abarbeiten von Sachaufgaben konzipiert. Diese Typologie hat jahrzehntelang basierend auf den damaligen Anforderungen funktioniert. Bei dieser singulären Ausrichtung standen Kreativität und Kommunikation noch nicht im Fokus.
Nun folgt aber eine Wende. Arbeitsprozesse und -bereiche in den unterschiedlichen Branchen haben sich teils grundlegend verändert: Digitalisierung beschleunigt die weltweite Vernetzung und Globalisierung. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, geht es in der heutigen Wissensgesellschaft zunehmend darum, unter Zeitdruck Innovationen zu schaffen. Hier liegt die grosse Herausforderung: Die Arbeitsumgebungen müssen in ihrer Planung radikal neu gedacht werden. Wir benötigen neue Bürokonzepte, die auch die zeitgenössische Zielsetzung, Innovation und ihre begünstigenden Faktoren, ermöglichen und fördern.
© Eva Jünger
Betrachten wir die gesamtgesellschaftliche Veränderung in den letzten Jahrzehnten, wird schnell klar, dass sich die
grundlegende Zielsetzung unserer Arbeit massgeblich verändert hat und sich noch immer wandelt.
Jeder Raum hat seine Funktion, die von der Architektursprache unterstützt wird.
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Menschen in Unternehmen
Erfolgsfaktor Innovation Unsere Informationsgesellschaft verlangt, konstant innovative Konzepte zu entwickeln, um sich gegen die Konkurrenz durchsetzen zu können. Wer schneller ist, hat die Möglichkeit, sich einen Marktvorteil zu sichern. Was also beflügelt unseren Erfindergeist? Welche Faktoren begünstigen Innovation? Mit jahrzehntelanger Erfahrung in der Branche haben sich für uns drei prägnante Faktoren zur Innovationsförderung herauskristallisiert: Kreativität, Kommunikation und Serendipität. Kreativität zielt darauf ab, neue Herangehensweisen zu bekannten Fragestellungen zu schaffen. Indem Routinen gebrochen werden, können Probleme unkonventionell gelöst werden.
Raum unmittelbar mit uns und nimmt Einfluss auf das, was wir tun und wie wir es tun. Dieser Hebel der räumlichen Gestaltung birgt ein hohes Mass an Potenzial. Wir beobachten, dass dieser bislang bei einer Vielzahl an Planungen noch ungenutzt bleibt.
Daher plädieren wir für den Ansatz, künftige Arbeitswelten als Möglichkeitsräume zu konzipieren. Denn sie verfolgen primär das Ziel, Innovation zu begünstigen. Sie schaffen dem Menschen eine Umgebung, in der er als soziales und innovierendes Wesen existieren kann. Alles ist in diesem Raum möglich, frei nach dem Prinzip der Serendipität – einem für Büroimmobilien neuartigen Aspekt. Unser Interesse ist es, Impulse zu geben und Prozesse anzustossen, die die Arbeitswelt verbessern.
Unternehmen, die zukünftig wettbewerbsfähig bleiben wollen, benötigen heute aber mehr Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist. Daher sollte jenen Faktoren besonders viel Platz eingeräumt werden, die Innovation begünstigen.
Das Büro als Strategie Als Planer konzipieren wir daher das Büro als «Multi-Tool», ein Werkzeug, das den Nutzern dabei hilft, neue Visionen zu entwickeln und zu verwirklichen. Ob wir es bewusst wahrnehmen oder nicht, kommuniziert der uns umgebende
© Eva Jünger
Kommunikation dient nicht nur essenziell zur Weiterentwicklung bestehender Ideen. Sondern gerade hierarchie- und abteilungsunabhängige Kommunikation verschafft uns Zugang zur gesamten mentalen Kapazität eines Unternehmens. Durch den Austausch lernt, entwickelt und verarbeitet der Mensch.
Die Serendipität – eine Reihe glücklicher Zufälle – fördert die Erzeugung organischer Prozesse: Der gut geplante Möglichkeitsraum forciert zufällige Begegnungen und ermöglicht unterschiedlichste Facetten von Arbeitsszenarien – häufen sich glückliche Zufälle, wächst das Innovationspotenzial.
Doch wirken diese Arbeits- und Gemeinschaftsflächen der Konzentration diametral entgegengesetzt, obwohl deren Bedarf weiterhin bestehen bleibt: Nicht nur müssen die neu entstandenen Ideen erst noch ausgearbeitet und realisiert werden, sondern auch andere Aufgaben bedürfen Rückzugsorte, die konzentriertes Erledigen ermöglichen. Aus der firmentypischen, individuellen Balance zwischen Kreativität und Konzentration entsteht der Erfolg für das jeweilige Unternehmen. Kultur, Tätigkeitsinhalte und Raum stehen in einem ständigen Wechselspiel. Jedes Unternehmen lebt andere Grundsätze und benötigt somit ein massgeschneidertes Bürokonzept. Die Herangehensweise von CSMM unterscheidet sich dabei vom herkömmlichen Prozess «Raumprogramm – Belegungsplanung – Umsetzung». Die Fragestellung setzt tiefer in der Struktur der Arbeitswelt an – bei den Prozessen und ihren Optimierungspotenzialen, den zu vermittelnden Werten des Unternehmens, der Kommunikations- und Führungskultur. Langfristige und nachhaltige Lösungen finden wir durch Analysen der unternehmensspezifischen Anforderungen, indem wir sowohl Geschäftsleitung als auch die Mitarbeiter frühzeitig in die Planung mit einbeziehen. Dies ist zudem ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die spätere Akzeptanz des räumlichen Wandels und der kulturellen Identität.
Nicht das Abarbeitung, sondern die Innovation ist hier angesagt.
Da die Transformation der Arbeitswelt mit grossen Unsicherheiten verbunden ist, sehen wir es als die Aufgabe des Architekten, unsere Kunden bei dieser
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© BSHHausgeraeteGmbH
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Herausforderung mithilfe von ChangeManagement-Prozessen zu unterstützen. Dieser ganzheitliche Ansatz stösst bei allen Beteiligten auf grosse Resonanz und hilft, die Veränderungen erfolgreich mitzugestalten. Zahlreiche innovative Bürowelten für agile Arbeitsmethoden entstanden auf diese Weise in der Schweiz, Österreich und Deutschland. Eines unserer jüngsten Projekte ist das BSH CO in München. In einem von aussen scheinbar normalen Bürogebäude befindet sich eine der interessantesten Arbeitswelten Europas: die Denkfabrik der BSH Hausgeräte GmbH. Das Architekturkonzept sollte eine ästhetische Antwort liefern, einen Think-Tank, einen Maker-Space zur Entwicklung von Prototypen und ein Testlabor unter einem Dach unterzubringen.
© Ortwin_Klipp
Denklabore – hier bei der BSH CO – verbessern nicht nur die Kooperation, sondern unterstützen auch Multidisziplinarität, Agilität und Innovation.
Das neue Denklabor verbessert nicht nur die Kooperation – besonders zwischen unterschiedlichen Abteilungen, sondern beherbergt auch die im Unternehmen gelebte Kultur der Multidisziplinarität, Agilität und Innovation – frei nach dem Prinzip des Möglichkeitsraumes.
Workplace-Design ist auch ein Modul, um innovative Fachkräfte zu finden.
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So wirken sich vergleichsweise geringfügige Investitionen in die Arbeitsbedingungen überproportional auf die Produktivität der Mitarbeiter aus. Beispielsweise machen Raumkosten in Dienstleistungsunternehmen im Schnitt nur etwa acht Prozent der Ausgaben aus, zwölf Prozent die Sachkosten und 80 Prozent das Personal. Entsprechend gross ist der Hebel, das volle Potenzial der Mitarbeiter zu entfalten, indem man die Qualität des Arbeitsortes, der Büroflächen und der Atmosphäre verbessert; denn Arbeitsphilosophie und Bürokultur fördern einander. Die Rolle des Büros geht über die eines Innovation-Hubs hinaus: Denn auch, um Mitarbeiter zu finden und zu binden, spielen Bürokultur und Gestaltung des Arbeitsplatzes
eine wesentliche Rolle: Forschungen des Fraunhofer Instituts haben in der «Office 21»-Studie bereits beeindruckend nachgewiesen, dass die Arbeitsumgebung und -ausstattung bei der Jobauswahl mit 83 Prozent auf Platz eins der Anreizkriterien – sogar vor finanziellen Anreizen und Boni – stehen. Entsprechend wird das Workplace-Design inzwischen gezielt eingesetzt, um Talente zu gewinnen. Denen wiederum soll es als Ort auch eine Unternehmensheimat bieten, wo sie sich wohlfühlen und auf die sie stolz sind; denn bei aller Individualisierung der Arbeit rückt das Büro als emotionales Bindemittel im Unternehmen und Wissensvermittler in den Fokus.
Kommunikation, sondern auch, Ideen fokussiert zu Ende denken zu können. Eine zukunftsorientierte Arbeitsumgebung wird im neu angebrochenen Jahrzehnt mehr sein als die Kopie oder Abwandlung überholter Typologien. Das Büro ist künftig kein Ort des reinen Abarbeitens mehr, sondern die Keimzelle für Innovation. Das Büro ist tot. Lang lebe der Möglichkeitsraum!
© Eva Jünger
Durch gute Planung und Umsetzung lässt sich das Potenzial entfalten, das der Möglichkeitsraum bietet, nämlich die geistige Freiheit der Mitarbeiter zu unterstützen und damit die Wertschöpfung eines jeden Unternehmens zu erhöhen.
Büro 4.0 – New Work Der physische Arbeitsraum behält seine grosse Berechtigung – in seiner neuen Rolle als Kultur- und Kommunikations-Hub. Der Möglichkeitsraum erlaubt, Arbeitsszenarien frei zu wählen und für jeden Mitarbeiter, sich kreativ zu entfalten. Seine Planung begünstigt nicht nur die serendipe
Sven Bietau ist geschäftsführender Gesellschafter des Architektur- und Beratungsunternehmens CSMM – architecture matter. www.cs-mm.com
Seminare erfolgreich gestalten Der inspirierende Ort ist perfekt um eine Tagung auszurichten, ein Seminar durchzuführen oder mit seinem Team an einem Projekt zu arbeiten. Wir bieten von der Infrastruktur her alles, damit Ihre Lern- und Denkzeit Früchte trägt. Sie bringen den Inhalt und Ihre Teilnehmenden, wir sorgen für den Rest. Hotel und Seminarhaus Ländi, Im Ländli 16, 6315 Oberägeri, 041 754 91 11, info@hotel-laendli.ch, www.hotel-laendli.ch
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Tun Sie sich etwas Gutes und gönnen Sie sich die Zeit in unserer Wellness-Oase.
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Tradierte Formen der Zusammenarbeit überdenken und neue Lösungen finden.
Form und Gestalt geben New Work und seine Herausforderungen von Dr. Georg Kraus
Unter den Stichworten «New Work» experimentieren aktuell viele Unternehmen mit neuen Formen der (Zusammen-)Arbeit. Diese erfordern oft auch einen veränderten Mindset der Mitarbeiter. Ein geplanter Umzug oder eine geplante Neugestaltung des Arbeitsumfelds ist der ideale Aufhänger für ein solches kulturelles Change-Projekt.
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m Gefolge der digitalen Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft verändern sich auch die Anforderungen an die Mitarbeiter der Unternehmen – unter anderem da die moderne Informations- und Kommunikationstechnik neue Formen der Arbeitsorganisation und neue Problemlösungen ermöglichen. Aus diesem Grund drängen auch häufiger neue Mitbewerber auf den Markt, die die Geschäftsmodelle
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der etablierten Unternehmen infrage stellen, wenn nicht gar obsolet machen. Aus diesem Grund hinterfragen aktuell viele Unternehmen ihre tradierten Formen der Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit. Sie fragen sich: Wie können wir, neben den technischen Möglichkeiten der Digitalisierung, auch die «modernen» Formen der Zusammenarbeit, die zum Beispiel viele Start-
ups und innovationsstarke Nischenanbieter praktizieren, für unseren Erfolg nutzen? In der Regel handelt es sich hierbei um Arbeitsformen, die darauf abzielen, >>die Eigenverantwortung der Mitarbeiter und Teams auf der operativen Ebene zu erhöhen, >>die bereichsübergreifende und crossfunktionale Zusammenarbeit zu verbessern und
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gen entwerfen. Denn dies erwarten neben ihren Kunden zunehmend auch ihre Mitarbeiter. Diese sind heute weitgehend «digital natives», die wissen: Ohne eine effektive Nutzung der modernen Informations- und Kommunikationstechnik ist ein konkurrenzfähiges Arbeiten heute kaum noch möglich.
Flexible und kreative Workforce Doch die hierfür erforderlichen flexiblen, kreativen Workforces fallen nicht vom Himmel: Sie entwickeln sich allmählich. Zwar stehen technikaffine Mitarbeiter den neuen Möglichkeiten, Arbeitsprozesse zu gestalten, meist offener gegenüber als solche, die sich von ihnen tendenziell überfordert fühlen, doch wie bei jeder Veränderung gilt auch beim Etablieren neuer Formen der Arbeitsorganisation und Zusammenarbeit: Neben Befürwortern gibt es Gegner sowie eine unentschlossene Masse. Also stellt sich die Frage: Wie kann die für den Erfolg des Projekts erforderliche Zahl von Mitstreitern gewonnen werden? Ein wirkungsvoller Transmissionsriemen kann hierbei das Um- oder Neugestalten der physischen Arbeitsumgebung sein – das gilt in zweifacher Hinsicht.
>>die Kreativität und Reaktionsgeschwindigkeit beim Entwickeln und Umsetzen neuer Problemlösungen zu erhöhen. Zusammengefasst werden all diese Initiativen oft unter den Buzzwords «Agilität» und «New Work».
Treiber und Schlüssel Dabei sind die technischen Innovationen beim Erreichen dieser Ziele ein Schlüssel und Treiber zugleich. So steigern zum Beispiel digitale Kollaborations-Tools sowie Virtual- und Augmented-Reality-Anwendungen erheblich die Möglichkeiten der Zusammenarbeit in Teams, deren Mitglieder über mehrere Standorte oder gar die ganze Welt verstreut sind. Zudem eröffnen sie neue Möglichkeiten, externe Dienstleister, Geschäftspartner oder Kunden in Projekte und Vorhaben einzubinden. Dieses Potenzial soll insbesondere den Unternehmen nutzen, die für ihre Kunden komplexe Dienstleistungen erbringen beziehungsweise Problemlösun-
Neue Formen der (Zusammen-)Arbeit, die zum Beispiel >>einen hohen Grad an Technisierung und Automatisierung, >>eine bereichs- und hierarchieübergreifende sowie crossfunktionale Teamarbeit und >>kurze Entscheidungswege anstreben, erfordern meist auch andere Arbeitsumgebungen. Also gilt es, Arbeitsräume zu schaffen, die diese Ziele unterstützen. Ein Grossraumbüro mit einer Rekreationsoase und einem Kicker in der Ecke kann hier eine einfache Lösung sein; oft ist sie jedoch nicht die beste. Denn letztlich gilt es, eine Arbeitsumgebung zu kreieren, die den (künftigen) Arbeitsprozessen und -anforderungen entspricht und die Teams kreativ und produktiv macht. Aus diesem Grund empfiehlt es sich auch beim Umgestalten bestehender Arbeitsstätten, im Vorfeld genau solche Faktoren zu analysieren wie: >>Wie viel Arbeitszeit wenden die Teammitglieder künftig für gemeinsame Teamaufgaben auf? >>Wie oft ist eine konzentrierte Einzelarbeit nötig? >>Welche technischen Prozesse und Tools
müssen wie integriert werden? Und:
>>Wie oft wird – mit Kollegen und externen Dienstleistern oder Kunden – konferiert oder telefoniert? Aus den Ergebnissen können Unternehmen dann das passende Raumkonzept ableiten und eine wirklich unterstützende Arbeitsumgebung für ihre Mitarbeiter schaffen. Zudem bietet eine solche Analyse die Chance zum Identifizieren und Beseitigen von Arbeitsprozessen, die zu einer Verschwendung von Ressourcen, einer aus Kundensicht niedrigen Qualität und unnötigem Stress bei den Mitarbeitern führen.
Mental umziehen Ziehen Unternehmen, Bereiche oder Teams in neue Räume um, sollte sich generell mehr als die räumliche Umgebung ändern, denn: Jeder Umzug beinhaltet die Chance, ausser mit dem Körper auch mit dem Kopf umzuziehen – also die Weichen auch mental neu zu stellen. Jedem Umzug geht ein längerer Planungsprozess voraus. In ihm werden teils auch die Karten neu gemischt. Das wissen die Mitarbeiter. Entsprechend neugierig, gespannt und (teilweise) «verunsichert» blicken sie der Veränderung meist entgegen. Deshalb sollte aus der Change-Management-Perspektive ein Umzug als ein organisationaler «unfreeze»-Moment im Sinne Kurt Lewins genutzt werden: Die Mitarbeiter werden aus ihrer Komfortzone geholt und in Bewegung versetzt. Dementsprechend sollte die Phase des geplanten Umzugs beziehungsweise der geplanten Neugestaltung der Arbeitsumgebung für das Entwickeln, Testen und gegebenenfalls Etablieren zum Beispiel neuer agiler Arbeitsweisen, neuer Kommunikations- und Informationsformen sowie neuer Führungsstile genutzt werden. Dabei geht es weniger um das Einführen neuer Tools als das Entwickeln eines veränderten Mindsets, denn: Organisationen werden nur schneller und flexibler, lernbereiter und kundenorientierter, wenn die Mitarbeiter ihre Rolle anders verstehen – und ihre Führungskräfte top-down ein eigenständigeres und selbstbestimmteres Handeln real zulassen. Dieses neue Rollenverständnis gilt es zu reflektieren und in neuen Aufgaben- und Funktionsbeschreibungen sowie Vereinbarungen zu operationalisieren.
Erfolgsfaktor Beteiligung der Betroffenen Dabei ist eine Beteiligung der Betroffenen der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg. Nutzen Unternehmen das Planen der neuen Arbeitsumgebung zum Überdenken und
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Den Umzug und das Neue aus der Change-Management-Perspektive betrachten.
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Weiterentwickeln der Arbeitsweisen und -routinen mit den Mitarbeitern, dann können überkommene Strukturen sowie Denk- und Verhaltensmuster aufgebrochen und verändert sowie zielführendere Prozesse implementiert werden. Ermöglichen Unternehmen schon in der Planungsphase eine Beteiligung der Mitarbeiter, können sie bereits in ihr eine grössere Mitverantwortung und mehr (Mit-) Gestaltungsmöglichkeiten anstelle des gewohnten Top-down-Bestimmens in ihrer Organisation etablieren. Zudem können so viele Mitarbeiter, die dem Change noch abwartend beziehungsweise kritisch-distanziert gegenüberstehen, bereits in einer frühen Phase als Mitstreiter gewonnen werden. Das ist wichtig, denn: Bei Projekten, die auf das Schaffen einer neuen Kultur der (Zusammen-)Arbeit abzielen, lautet eine zentrale Herausforderung wie bei jedem Change-Projekt, >>die Treiber – also die Mitarbeiter, die sich mit den Projektzielen identifizieren – zu stärken, >>die Unentschlossenen, soweit möglich, zu mobilisieren und >>an den Widerständen zu arbeiten. Gelingt dies, wird die neue Arbeitsumgebung ein räumlich sichtbarer Beleg für den neuen Mindset – auch für die nicht unmittelbar betroffenen Kollegen und Partner.
Mental in Bewegung Aus der Change-Perspektive kann ein Umoder Neubau ein Glücksfall für das Entwickeln neuer Arbeitsformen und eines neuen Mindset sein, bei dem Tradiertes sichtbar aufgebrochen wird und die Mitarbeiter nicht nur physisch in Bewegung sind. Dabei sind Veränderungen der Arbeitsweisen, die sich aus der digitalen Transformation ergeben, besonders erfolgskritisch, denn ein Paradoxie beim Durchdringen der Arbeitswelt mit Daten und «intelligenten» Maschinen ist: Der Mensch wird an vielen Stellen unwichtiger; an anderen hingegen steigt seine Bedeutung – und zwar überall dort, wo er bei der Mensch-Maschine-Interaktion für die nötige Kopplung sorgt. Entsprechendes gilt bezüglich der Bewältigung der gestiegenen Komplexität. Lernende Maschinen oder Künstliche Intelligenz (KI) werden künftig in den Betrieben mehr Aufgaben übernehmen. Für den MenschMitarbeiter bleiben die besonders herausfordernden übrig, >>die schwer zu entscheiden sind,
Kreative Workforces fallen nicht vom Himmel.
>>bei denen es noch keine belastbaren Erfahrungen gibt und >>bei denen man sich auch auf seine aus der Expertise resultierende Intuition verlassen muss. Hierfür brauchen die Unternehmen Mitarbeiter, die dazu bereit und fähig sind, solche risikobehafteten Entscheidungen zu treffen, weil sie dies können, wollen und dürfen. Für das «Können» und «Dürfen» sollen, wenn ein Umzug ansteht, durch das Projekt meist die erforderlichen strukturellen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Um diese effektiv zu nutzen, müssen die Mitarbeiter in der Regel jedoch geschult werden. Dasselbe gilt für ihre Führungskräfte, die in dem neuen Arbeitsumfeld ein (teils) verändertes Führungsverhalten zeigen müssen. Deshalb empfiehlt es sich, die Zeit vor und nach einem geplanten Umzug beziehungsweise einer Neugestaltung der Arbeitsumgebung für eine Qualifizierungsoffensive zu nutzen – zumal die Mitarbeiter in dieser Zeit des Übergangs meist für neue Impulse sehr offen sind.
sen und einem starren, vorgegebenen Organisationsgefüge orientieren. Genau solche Mitarbeiter brauchen Unternehmen künftig: «Happy working people» sind kein Selbstzweck, sondern im digitalen Zeitalter oft eine zentrale Bedingung für unternehmerischen Erfolg. Für diese intrinsisch motivierten Personen, die Treiber der Veränderung, kann das Neuoder Umgestalten der Arbeitsumgebung ebenso ein Vehikel zur Veränderung sein wie für jene, die sich an die geänderten Bedingungen noch gewöhnen müssen. Denn Um- und Neubauten bieten die Chance zum Mobilisieren vieler Mitarbeiter – auch in etablierten Unternehmen. Die angestrebten neuen Arbeitsumgebungen können helfen, die verkrusteten und lähmenden (Denk- und Verhaltens-)Strukturen aufzubrechen und zu entfernen – sofern die Unternehmen den Anlass «Wir ziehen um» oder ... «gestalten die Arbeitsumgebung neu» aktiv für ein Cultural-Change-Projekt nutzen.
Sinnvolle Arbeit, höhere Wirksamkeit Das «Wollen» hingegen ist bei vielen Mitarbeitern, wenn es um das Etablieren neuer Formen der Zusammenarbeit geht, oft schon gegeben. Die grosse Resonanz, auf die solche Schlagworte wie «Agilität», «New Work» und «Mindfull Leadership» stossen, zeigt: Viele Menschen sehnen sich nach einer sinnerfüllten (Zusammen-) Arbeit, die sich auch an anderen Parametern als den top-down-definierten Prozes-
Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal. www.kraus-und-partner.de
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Flexibilität ist gefragt Neue Arbeitsräume steigern den Gesamterfolg von Dr. Annina Coradi
Zusammenarbeit war nie einfacher als in Zeiten der Digitalisierung. Zumindest scheint es so. Cloudsysteme schaffen eine neue räumliche und zeitliche Flexibilität. Sie stellen den klassischen Arbeitsplatz im Büro und geregelte Arbeitszeiten infrage und fordern von KMU eine Auseinandersetzung mit den neuen Möglichkeiten. Wo und wann findet eigentlich Arbeit statt? Wie wollen wir zukünftig zusammenarbeiten?
Homeoffice ist eine der vielen Möglichkeiten, die New Work bieten kann.
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ie gute Nachricht ist, dass digitale Kollaborationswerkzeuge wie Teams, Slack oder Zoom unsere Kommunikation sowie Koordination vereinfachen und uns produktiver machen. Beispielsweise lösen Chatfunktionen wie Skype das klassische Telefon am Arbeitsplatz ab und die Mitarbeitenden sind auch ausserhalb des Büros stets füreinander erreichbar. Die schlechte Nachricht ist, dass der Einsatz von digitalen Kommunikationswerkzeugen neue Medien- und Technikkompetenzen erfordert. Mitarbeitende benötigen Zeit und
Energie, um sich neue Verhaltensweisen und Routinen anzueignen. Dazu gehört ein professionelles Changemanagement. Die Auseinandersetzung mit einer Strategie für innovative Arbeitsräume und flexible Arbeitsformen setzt zugleich auch eine Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmenskultur voraus. Räume prägen unsere Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen und sind ein wichtiger Teil der Kultur. Hinzu kommt, dass wir grundsätzlich sehr viel Zeit in Arbeitsräumen verbringen. Deren Macht ist somit nicht zu unterschätzen. Räumliche und zeitliche Flexibilität befähigen Mitarbeitende, sich persönlich auszutauschen, neue Ideen zu entwickeln und in schnelleren Feedbackloops zusammenzuarbeiten.1 Die Herausforderungen am Markt zeigen, dass bereits über ein Viertel aller KMU Mühe hat, geeignete Kandidaten zu finden.2 Junge Talente suchen Flexibilität in der Arbeitsgestaltung. Im Fachkräftemangel zeigen sich also jene KMU wettbewerbsfähig, die ihren Mitarbeitenden räumliche und zeitliche Flexibilität gewähren. Kommt dazu, dass die sogenannten agilen Arbeitsweisen den wirtschaftlichen Gesamterfolg eines Unternehmens steigern (BCG, Boosting performance through organization design, 2017)3. Nachfolgende Übersicht zeigt strategische Vor- und Nachteile innovativer Arbeitsräume und -formen und unterstützt KMU dabei, eine eigene Strategie zusammenzustellen.
Mehr Open Innovation Zu Third Spaces gehören, in Anlehnung an die Begriffsdefinition des Soziologen Ray Oldenburg, alle Orte, die nicht im Büro des Unternehmens oder bei den Mitarbeitenden zu Hause sind, wie Cafés, Lounges in Flughäfen oder Bahnhöfen oder Coworking Spaces. Third Spaces stehen in erster Linie für Vernetzung über Branchen, Disziplinen und Funktionen hinweg. Third Spaces bringen Menschen zusammen und ermöglichen so Open Innovation. Jede Begegnung steigert das Potenzial einer Innovation, wahre Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen. In diesem Kontext sind vor allem Coworking Spaces sehr interessant. Basierend auf dem Konzept eines offenen Layouts ermöglichen sie ihren Mitgliedern, den Arbeitsplatz frei zu wählen. Professionelle Coworking Spaces bieten meist auch formelle Meetingräume und Rückzugszonen für ungestörtes Arbeiten oder
vertrauliche Gespräche. Ein zentrales Element ist die Gemeinschaftsküche oder das Kaffee in den Coworking Spaces. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit einer spontanen Begegnung. Arbeit findet eben nicht nur hinter dem Computer statt. Coworking Spaces kuratieren auch Angebote wie Kurse, Netzwerkveranstaltungen oder Festivals. Zusammengefasst, Third Spaces bringen drei strategische Vorteile: Gemeinschaft, Begegnungsräume und Veranstaltungsangebote. Heute ermöglicht erst eine Minderheit aller Schweizer KMU ihren Mitarbeitenden in Coworking Spaces tätig zu sein. Der Blick auf internationale Märkte zeigt aber, dass es in vielen Ländern sehr etablierte und erfolgreiche Coworking Spaces gibt, beispielsweise Regus oder Wework.
Homeoffice als Work-Life-Integration In vielen KMU hat sich das Arbeiten von zu Hause etabliert. In den meisten Fällen wird den Mitarbeitenden an einem Tag pro Woche das sogenannte Homeoffice ermöglicht. Das Homeoffice steht nach wie vor für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. So können Eltern beispielsweise einmal pro Woche die Wegzeiten sparen und über Mittag mit ihren Kindern essen. Doch das Homeoffice bietet einen weiteren Mehrwert, welcher mittlerweile von vielen Unternehmen strategisch eingesetzt wird: Das Homeoffice als persönlicher Rückzugsort für hochkonzentriertes Arbeiten. Diese Entwicklung wird auch im FlexWork Survey 2016 der FHNW gezeigt. Die Studienteilnehmenden bestätigen, dass sie sich zu Hause zurückziehen, um fokussiert arbeiten zu können. Kritisiert werden hingegen jene Unternehmen, die individuelle Arbeit gezielt abschieben und den Mitarbeitenden keine Wahl lassen. Das SECO hat einen Ratgeber «Arbeiten zu Hause – Homeoffice» (2019) herausgegeben. Diese Broschüre4 informiert aus arbeitsgesetzlicher Perspektive und klärt detailliert über Chancen und Risiken auf. Das Homeoffice ist eine besondere Herausforderung bezüglich mentaler und physischer Gesundheit. Nicht selten verfügen die Mitarbeitenden zu Hause nicht über einen ergonomischen Arbeitsplatz oder fühlen sich schnell einsam.
Ort der Identifikation Immer mehr KMU stellen von Einzelbüros mit persönlichen Arbeitsplätzen auf offene und gemeinsam genutzte Arbeitszonen
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Menschen in Unternehmen
Unterwegs, zum Beispiel in einem Flugzeug, ist heutzutage auch keine Seltenheit mehr.
um. Kostenseitig hat diese Umstellung meist einen positiven Effekt. Aber nicht nur, Mitarbeitende bewegen und begegnen sich deutlich mehr, was deren Dynamik und Kreativität positiv beeinflusst. Interessanterweise sind bereits heute zwei Drittel aller persönlichen Arbeitsplätze nicht täglich besetzt. Dieses Verhältnis wird mit zukünftig flexiblen Arbeitsmodellen wie Teilzeitarbeit, Jobsharing oder Jahresarbeitszeiten noch extremer. Einerseits lohnt es sich, Arbeitsplätze zu flexibilisieren, andererseits wird das Unternehmensbüro aufgrund der Digitalisierung und Flexibilisierung zum Ort der Begegnung und Identifikation. Mitarbeitende haben nach wie vor das Bedürfnis, ein eigenes Büro zu haben und sich im sogenannten Headquarter zu treffen und auszutauschen. Bereits heute arbeiten viele Teams mit agilen Arbeitsmethoden wie Scrum oder Design Thinking. Vermehrt sieht man innovative Workshop-Räume nebst klassischen Boardmeeting-Räumen.
Arbeiten von unterwegs Insbesondere die konzeptionelle Wissensarbeit kennt keine klassischen Arbeitszeiten. Mitarbeitende haben auch auf dem Nachhauseweg oder in den Ferien Einfälle zu komplexen Fragestellungen. Das Hirn hält sich nicht an Arbeitszeiten. Die Hirnforschung zeigt, dass vor allem in Ruhephasen neue neuronale Netzwerke gebildet werden.
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Deshalb kommen die guten Ideen nicht in Seminarräumen, sondern irgendwann unter der Dusche. Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden eine gewisse Flexibilität gewähren, profitieren wiederum von deren Einsatz ausserhalb der Arbeitszeiten. Der FlexWork Survey der FHNW zeigt, dass Mitarbeitende gerne von unterwegs arbeiten, weil es ihre Effizienz erhöht. Zu Stosszeiten verwandeln sich die SBB zum grössten Büro der Schweiz. Mobil-flexibles Arbeiten entlastet wiederum die Bahn- und Strasseninfrastruktur und verhindert zusätzliche Leerund Wartezeiten, da Meetings azyklisch geplant und durchgeführt werden können. Unternehmen mit mobil-flexiblen Arbeitsmodellen können Teil der WorksmartInitiative 6 werden und auf deren Unterstützung zählen.
Transformation zu New Work Damit die Transformation zu New Work gelingt, sind KMU gefordert, ihre eigene Strategie mit passenden Massnahmen zu entwickeln. Die Mischung an Arbeitsräumen und -formen wird je Unternehmen unterschiedlich ausfallen. Klar ist aber, dass eine gewisse Diversifikation stattfindet und dass es dazu Erfolgskriterien gibt. Entscheidend für den Gesamterfolg ist eine Kultur des Vertrauens und eine hohe Teamfitness bezüglich Medien und Technikkompetenz. Das letzte Jahrzehnt drehte sich um die Digitalisierung, im aktuellen
hingegen finden wir soziale Innovationen und die Themen der Gesellschaft im Fokus. Dazu gehören flexible Arbeitsmodelle und neue Arbeitsräume. Diese Entwicklung wird wunderbar vom Begriff New Work beschrieben, welches in diesem Sinne kein Buzzword ist. Es steht für menschliche Bedürfnisse in Zeiten des Wandels der Arbeit.
Anmerkungen 1) Coradi, 2015: Managing new workspaces for innovation and efficiency (in R & D): the case of integrated labs, shared zones and co-location, Annina Coradi, ETH Zürich, 2015 2) CS: https://www.credit-suisse.com/about-us-news/de/articles/ news-and-expertise/swiss-smes-strategies-201708.html 3) BCG: https://www.bcg.com/publications/2017/people-boostingperformance-through-organization-design.aspx 4) SECO: https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Publikationen_ Dienstleistungen/Publikationen_und_Formulare/Arbeit/ Arbeitsbedingungen/Broschuren/homeoffice.html 5) FNHW: https://www.fhnw.ch/de/forschung-und-dienstleistungen/psychologie/gestaltung-flexibler-arbeit/flex-worksurvey-2016 6) Worksmart: https://work-smart-initiative.ch/de/
Annina Coradi doziert an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) im Masterstudiengang Arbeit 4.0. www.ffhs.ch
kolumne
Es droht agiles Theater von Nadine Riederer
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ie Zeit der dauerboomenden Konjunktur in Europa scheint fürs Erste vorbei zu sein. Die Lokomotive «Made in Germany» schwächelt, und in der Schweiz droht der Franken noch härter zu werden. Der Druck auf Unternehmen, Kosten zu sparen, wird sich deshalb 2020 weiter erhöhen. Das wird auch dazu führen, dass viele von ihnen in der Softwareentwicklung auf Agilität umsteigen – ohne gross darüber nachzudenken. «Agil spart Geld»: So lautet ein weit verbreitetes Missverständnis; und es wird in vielen Abteilungen zu der Entscheidung führen, alles agil zu machen – zumal in so manchem Unternehmen ohnehin schon länger das Gefühl vorherrscht, bislang etwas verpasst zu haben. Da kommt ein Umstieg auf agile Methoden gerade recht, um sich fortan trendy und hip zu fühlen. Das ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Erstens ist Geld-Sparen natürlich mitnichten das primäre Ziel von agilen Entwicklungsmethoden. Vielmehr geht es darum, die Zufriedenheit in den Teams durch mehr Selbstverantwortung zu erhöhen und nicht genau spezifizierte Ziele flexibler erfüllen zu können. Zweitens eignen sich nicht alle Projekte für Agilität. Man muss schon genau hinschauen und prüfen, bei welchem Projekt welches Vorgehen sinnvoll ist. Die sogenannte Stacey-Matrix1 kann dabei helfen. Und drittens sind agile Methoden auch nicht das Nonplusultra für wirklich jeden Mitarbeiter. Einige von ihnen fühlen sich in klassischen Projekten mit hierarchischen Strukturen und weniger Selbstverantwortung einfach besser aufgehoben. Das ist keine Wertung, sondern eine Tatsache. Aber egal: Viele Unternehmen werden aus den genannten Gründen 2020 trotzdem auf Agilität umsteigen. Obwohl die Firmenkultur den nötigen Wandel noch nicht vollzogen hat, wird den Projektteams Agilität einfach aufoktroyiert. Und das führt dann zu agilem Theater. Man tut einfach nur so als ob – und zwingt der schönen neuen agilen Welt weiterhin die alten Prozesse auf. Das zeigt sich dann beispielsweise darin, dass es auch weiterhin den klassischen übergreifenden Projektverantwortlichen mit Zugriff auf die Einzelressourcen gibt. Bei Problemen kommt die-
ser Projektleiter dann auch gerne mal vorbei und nimmt ein Mitglied des Projektteams zu einem klärenden Gespräch mit. Obwohl es ja eigentlich zu den Grundpfeilern von Agilität gehört, dass die Teams Probleme eigenverantwortlich intern aufarbeiten. Zudem droht der sogenannte CargoKult: Man will agil sein und versucht, die Vorgaben von agilen Projekten umzusetzen, allerdings ohne dabei den Sinn zu hinterfragen. Das Stand-up-Meeting ist für neun Uhr angesetzt, wegen eines heftigen Sturms können aber nur drei von sieben Teammitgliedern teilnehmen? Es wird trotzdem abgehalten; und zwar einfach nur deshalb, weil es immer stattfinden soll. Der eigentliche Sinn hinter dieser Regelung ist aber natürlich, den Austausch der Teammitglieder zu fördern. Wenn die Hälfte des Teams nicht dabei ist, funktioniert das logischerweise nur suboptimal. Nur um Missverständnissen vorzubeugen: Agile Methoden haben ihre absolute Berechtigung, und geeignete Projekte sollten auch unbedingt agil umgesetzt werden. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen. Und wenn die Entscheidung für Agilität fällt, müssen ihre Methoden auch konsequent und mit Sinn und Verstand angewendet werden. Sonst bleibt alles nur Theater.
Anmerkung 1) Die Stacey-Matrix zeigt den Zusammenhang zwischen der Genauigkeit, mit der das Projektziel spezifiziert ist, und der Kenntnis des Projektlösungsansatzes, mit dem es erreicht werden kann, auf.
Nadine Riederer ist CEO bei Avision, einem auf Software Revival spezialisierten IT-Dienstleister in Oberhaching bei München. www.avision-it.de
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Menschen in Unternehmen
To do or not to do? Wirkungsvolles Zeitmanagement von Evi Giannakopoulos
Berufstätige stehen vielen Herausforderungen der VUCA-Welt gegenüber: schneller werdende Arbeitsrhythmus, zunehmende Komplexität und Intensität der Arbeit. Hinzu kommen Arbeitsverdichtung, zahlreiche Kommunikationsmittel, virtuelle Informationsüberflutung, Arbeitsunterbrechungen, Reorganisationen, Multifunktionalität.
Auch in der Führungsetage ist es wichtig, achtsam mit sich selbst umzugehen.
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irkungsvolles Zeitmanagement gelingt, wenn man vom rastlosen to do ins kraftvolle to be kommt. Achtsamkeit hilft uns dabei, den Überblick zu behalten und mehr davon zu erledigen, worauf es ankommt als umgekehrt. So gelingt es, die täglichen hohen Arbeitswellen effizient zu reiten und am Schluss noch Zeit für sich selbst zu haben.
Handle, sonst wirst du behandelt Im vielseitigen und umfangreichen Job wird man täglich gefordert und benötigt genügend Energie. So arbeitet man besser, findet gekonnt Lösungen bei Herausforderungen und es gelingt, alles unter einen Hut zu bringen. Erweitert man seine Fähigkeiten in Zeitund Organisationsmanagement, gewinnt man mehr Zeit im Tag. Dabei ist es wichtig, dass man Wesentliches von Unwesentlichem unterscheiden kann und fokussiert Energie in die wichtigsten Aufgaben lenkt.
zu reiten: herausfordernde Momente, hohes Arbeitsvolumen, viele Termine, Konflikte mit Arbeitskollegen oder Schicksalsschläge in der Familie. Manche sind so heftig, dass wir uns manchmal fürchten, wir würden es nicht schaffen. Täglich umspülen uns viele Wellen, die uns irgendwohin abtreiben können (und das auch manchmal tun). Deswegen ist es so wichtig, dass wir ganz nahe bei uns bleiben. Im Sein baden und in diesem Zustand verstehen, worauf es ankommt. Wir müssen nicht gestresst auf jeder Welle reiten, sondern die richtigen erkennen und diese mit vollem Bewusstsein angehen. So gelingt es uns, tatkräftig auf den Wellen des Lebens zu surfen – voller Lebensfreude, statt von ihnen weggespült zu werden.
Achtsamkeit: von rastlos zu kraftvoll
Wie können wir diese Wellen gekonnt reiten, anstatt unter ihnen unterzugehen? Wie können wir uns innerlich steuern, die richtigen Dinge zur richtigen Zeit zu erledigen und uns nicht von Unwesentlichem aufzuhalten?
Im Flow-Zustand gelingt uns ruhevolles, fokussiertes und effizientes Arbeiten. Kennen Sie diese produktiven Momente, wo Sie eins nach dem anderen erledigen, entscheiden, terminieren und den Fokus effizient beim Ziel behalten?
Tipps fürs Wellenreiten
Zeitfresser ausschalten
Was hat Wellenreiten mit Zeitmanagement zu tun? Wir haben im Leben viele Wellen
Ein gutes Zeitmanagement greift dann am besten, wenn die Gründe für Zeitdruck
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identifiziert und ausgeschaltet werden. Das erfordert Entscheidungsfähigkeit, Disziplin und manchmal eine gute Portion Mut für die Umsetzung. Aber man wird belohnt mit Eigenschaften wie innere Freiheit und Selbstbestimmung und dem guten Gefühl, viel erledigt zu haben. Zeitfresser lassen sich in drei Bereiche einteilen: zunächst äussere Faktoren wie ständige Unterbrechungen, unklare oder ständig wechselnde Aufgaben oder Richtlinien, mangelnde oder fehlerhafte Informationen, die zu Verzögerungen führen, zu lange Besprechungen. Ein weiterer Zeitfresser sind Einstellung und Verhaltensweisen wie Schwierigkeiten, Prioritäten zu setzen, Dinge zu perfekt machen wollen, Entscheidungen oder Unangenehmes vor sich herschieben, alles gleichzeitig oder selber erledigen wollen, immer für andere das sein wollen, sich immer wieder Unvorhergesehenes aufdrängen lassen, übersteigerte Suche nach Anerkennung. Und zu guter Letzt: Fehler bei der Zeitplanung wie sich mit Unwichtigem aufhalten, keine klaren Prioritäten, hastiges, fehlerhaftes Arbeiten, häufiger Wechsel von einer angefangenen Arbeit zur anderen, zu enger Zeitplan und kein Platz für Unvorhergesehenes, keine Pause machen, benötigte Zeit für einzelne Aufgaben unter- oder überschätzen, Ordnungswahn oder mangelhafte Ordnung.
Achtsamkeitstraining unterstützt ein effizientes Zeitmanagement und fördert die Gesundheit in hektischen Zeiten. Es ist ein
ELDEN: M N A B BETRIE
Pro Velo Schweiz
Vorteile von Achtsamkeitstraining Achtsamkeit verbessert die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit des Gehirns, was auch die rasche Lösungsfindung fördert. Man gewinnt einen scharfen Durchblick und eine effiziente Arbeitsweise im Führungsalltag. Ein weiterer Vorteil ist ein besseres Zeitmanagement. Achtsamkeitstraining hilft, die To-do-Liste in den gesetzten Zeitfenstern zu erledigen. Man ist präsent, wach und zielfokussiert. Weiter unterstützt Achtsamkeit die wohlwollende Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit – Konflikte können gelöst werden.
JE T Z T
ausgezeichnetes Mittel zur täglichen Wiederherstellung der Balance zwischen hektischem Tätigsein und innerer Ruhe. Als würde man einen «Reset»-Knopf drücken, entspannen sich Körper und Geist, und die inneren Batterien werden wieder aufgeladen. Nach nur wenigen Minuten fühlt man sich energetisiert, das Weiterarbeiten fällt einem einfacher.
k.ch biketowor
Menschen in Unternehmen
Tipps fürs Zeitmanagement >> «Zeitfresser» identifizieren und ausschalten >> Zeitsparende Techniken (zum Beispiel Pareto-Prinzip, Eisenhower-Modell, ALPEN-Methode) im Berufsalltag anwenden >> Effizienz durch gute Organisation und Arbeitstechnik steigern, Überblick behalten >> Optimale Nutzung von elektronischen Medien, Erreichbarkeit >> Abgrenzen, Nein-Sagen, Zielorientierung (Fokus auf das Wesentliche) >> Bedeutung und Wirkung von Zielen und Visionen (die Kraft der Gedanken) kennen >> Mentale Energieblockaden auflösen, eigene Ressourcen optimal nutzen >> Zeitgewinn erhalten, durch «Entschleunigen» ruhiger, stressfrei sein >> Guter Einklang von Berufs- und Privatleben (Work-Life-Balance) beachten Anmerkung Event-Tipp: Grenzen sprengen und über sich hinauswachsen. Wie man die Selbstwirksamkeit stärkt und Höchstleistungen erreicht Am 29. April 2020 | 18.30 bis 21.00 Uhr in Zürich
Evi Giannakopoulos
MAI & JUNI
Die Autorin über die Trainings: «Es ist mir eine tägliche Freude, bei meinen Klienten stetige Veränderungen zwischen unseren Sessions zu erkennen. Das erfüllt mich als Coach mit grosser Freude und Verbundenheit. Ich staune immer wieder über die gelungenen Entwicklungssprünge, die Menschen erreichen können. Dabei handelt es sich um Berufsleute und Familienmanagerinnen, die ihre Fähigkeiten der Arbeitsorganisation erweitern und ein achtsameres Zeitmanagement gewinnen – um alles unter einen Hut zu bekommen. Menschen, die mehr Zeit, Ruhe und Zufriedenheit in ihren Alltag bringen wollen und mit dem Gefühl in den Feierabend gehen möchten, viel von dem geschafft zu haben, was sie vorhatten.»
CHALLENGE 2020
Eine gute Stresskompetenz zu entwickeln, ist lernbar. Sie ist ein wirkungsvolles Tool für die Arbeitswelt 4.0. Man gewinnt ein hohes Mass an Persönlichkeitsstärke und kann in Schwierigkeiten erfolgreich wachsen. Wenn Herausforderungen als Lerngeschenke erkannt werden, können sie als Wachstumschancen genutzt werden. Das fördert die Freude an der Arbeit und steigert die Effizienz.
ist Stress-Expertin, Coach und Ausbilderin bei stress away®. www.stressaway.ch
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Menschen in Unternehmen
Blockchain kann den Überprüfungsprozess von Bewerberdaten automatisieren.
Vielfältig einsetzbar Blockchain: Möglichkeiten und Grenzen im HR von Beatrice Paoli, Martina Perani, Bora Altuncevahir, Priska Burkard
Die Blockchain-Technologie verändert derzeit die Welt so grundlegend, wie das Internet bereits die Weitergabe von Information revolutioniert hat. Wie wandelt diese Technologie das Personalwesen und wo stösst sie an ihre Grenzen? Ein Einblick in verschiedene Anwendungsszenarien der Blockchain im HR zeigt, dass durch die Technologie das Personalwesen effizienter, transparenter und effektiver gemacht werden kann. Seite 46 // kmuRUNDSCHAU
Menschen in Unternehmen
Technology Industry Association1 vom Oktober 2017 ergab, dass Early Adopters bereits Blockchain für digitale Identität (51 Prozent), Asset Management und Tracking (49 Prozent), Compliance / Auditing (49 Prozent), verteilte Speicherung (48 Prozent), Smart Contracts (45 Prozent) und Kryptowährung / Zahlungen (44 Prozent) eingesetzt haben. Neben den oben erwähnten Anwendungen prognostizieren sie auch Kostenvorteile und Qualitätssteigerungen bei Zertifizierungsprozessen, was besonders interessant im Bereich Personalwesen ist. In diesem Bereich gibt es derzeit nicht viel mehr als Pilotprojekte wie beispielsweise am Massachusetts Institute of Technology2. Hier werden Studierenden digitale Kurszertifikate über eine auf Blockchain-Technologie basierende App ausgestellt, um ihnen einen schnellen Zugang zur Originalversion ihres Zertifikates zu ermöglichen. In der Schweiz setzt sich die Universität Basel für die Bekämpfung gefälschter Diplome ein und kooperierte 2018 mit BlockFactory beim Blockchain-Projekt Proxeus3. Dazu stellte die Universität St. Gallen ein neues Pilotprojekt für ein Blockchain-basiertes System vor, das Diplome zertifiziert und deren Authentizität überprüft4. Auch an der Fernfachhochschule Schweiz haben Studierende im Rahmen des CAS Blockchain eine vielversprechende Lösung in diesem Bereich entwickelt.
Herausforderungen in der Personalarbeit Die Blockchain im HR kann während des gesamten Personalzyklus eingesetzt werden: bei der Einstellung, während und am Ende des Arbeitsverhältnisses. In diesen drei Bereichen werden noch viele Aufgaben unter einem hohen Mass an Handarbeit erledigt.
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ie Blockchain-Technologie gilt als die grösste technologische Innovation nach dem Internet. Sehr vereinfacht erklärt kann sie als eine offene und verteilte Datenbank betrachtet werden, die immer aktualisiert und durch Verschlüsselung geschützt ist. Dieses dezentrale Netzwerk prüft und automatisiert den Informationsfluss. Das Prinzip: Datenblöcke werden chronologisch auf die Blockchain gespeichert, und jeder Akteur im Netzwerk kann solche Datenblöcke einsehen und überprüfen. Blöcke können hinzugefügt, aber nicht
geändert werden, um sicherzustellen, dass die Information sicher bleibt. Wenn jemand versucht, einen Block zu ändern, erfahren es alle anderen im Netzwerk. Ausserdem können Datenbesitzer mithilfe eines Berechtigungssystems direkt verwalten, wer Zugriff auf ihre Daten hat. Obwohl der bekannteste Anwendungsbereich einer Blockchain die Kryptowährung ist, bietet diese Technologie Einsatzmöglichkeiten in verschiedenen Branchen. Ein Bericht der non-profit Computer
Zum Beispiel müssen alle Bewerbungsunterlagen wie Diplome oder Arbeitszeugnisse sowie die Informationen im Lebenslauf durch das HR überprüft werden. Diese Art von Background Checking benötigt viel Zeit und Ressourcen. Während des Arbeitsverhältnisses werden Leistungsbewertungen verfasst und die Laufbahnentwicklung wird dokumentiert. Der gesamte Prozess erfordert eine Interaktion zwischen vielen Teilen des Unternehmens und wird bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses regelmässig wiederholt.
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Menschen in Unternehmen
Das Hintergrundswissen der Blockchain-Lösungen hilft beim Bewerbungsgespräch.
Der Einsatz der Blockchain-Technologie kann die Arbeit der HR-Abteilung radikal vereinfachen und die Kosten und Bürokratie dank der Unveränderbarkeit der gespeicherten Daten und deren Kontrolle durch den Benutzer abbauen. Für Unternehmen entstehen damit Wettbewerbsvorteile – in der Wertschöpfungskette werden Ineffizienzen abgebaut und Prozesse optimiert.
Einfluss auf HR-Prozesse Wie würden aber die oben erwähnte HRProzesse nach Einführung der BlockchainTechnologie aussehen? Ein Mitarbeiter verlässt die Firma. Der HR-Verantwortliche gibt das Arbeitszeugnis auf der Blockchain frei. Der ehemalige Mitarbeiter kann das Zeugnis für weitere Bewerbungen benutzen. Die gleiche Firma will einen neuen Mitarbeiter einstellen. Die Bewerber geben der Firma Zugriff auf ihre Daten wie Diplome,
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Zertifikate und Arbeitszeugnisse. Diese Daten werden alle von den ausstellenden Institutionen auf der Blockchain gespeichert. Die HR-Abteilung muss diese Informationen nicht überprüfen und kann sich auf die Selektion fokussieren. Nach der Einstellung der besten Kandidaten bestätigt die Personalabteilung auf der Blockchain das Einstellungsdatum. Anschliessend werden auch alle Rollen- und Arbeitsortwechsel, Aus- und Weiterbildungen, Beförderungen, Entlohnungen sowie der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses so gesichert. Die Blockchain kann also den Überprüfungsprozess von Bewerberdaten automatisieren und beschleunigen, wodurch Personalverantwortliche nicht mehr mehrere Quellen kontaktieren müssen, um historische Informationen zu bestätigen. Darüber hinaus kann die Blockchain-Technologie die Gefahr des Betrugs bei der Lebenslauferstellung redu-
zieren und die Rekrutierungsphase verkürzen. Die Blockchain könnte in der Zukunft sogar den Prozess der Gehaltsabrechnung verändern, indem sie die Banken ausschliesst, die dem Prozess Zeit und Kosten hinzufügen. Ein weiteres Thema ist der positive Einfluss der Blockchain auf die Produktivität der Mitarbeiter, mit Vorteilen insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Es ist für kleinere Unternehmen besonders schwierig, die richtigen Kandidaten zu rekrutieren, um sie betätigen, wo sie produktiv sind. Die Blockchain kann ihnen helfen, dies effektiver und effizienter zu tun.
Keine Hürden? Trotz der vielen Anwendungsbereiche ist die Blockchain noch eine unausgereifte Technologie. Eine erste Hürde ist das Fehlen von Fachkenntnissen: Blockchain bringt technologische Herausforderungen
Menschen in Unternehmen
werden, könnte die Blockchain durchaus in der Lage sein, sowohl Lebensläufe als auch professionelle Netzwerkseiten wie LinkedIn überflüssig zu machen. Anmerkungen 1) mit Issues First Digital Diplomas Using Blockchain Technology 2) www.comptia.org 3) cif.unibas.ch/en/blog/details/news/certificates- based-on-blockchain-technology 4) fintechnews.ch/blockchain_bitcoin/swiss-university-rollsout-blockchain-pilot-project-to-fight-fake-diplomas/30788 5) hbr.org/2016/11/right-tech-wrong-time Dieser Artikel erschien ursprünglich im «Organisator 12/19».
Dr. Beatrice Paoli führt anwendungsorientierte Forschung am «Laboratory for Web Science» (LWS) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) durch.
Dr. Martina Perani
Blockchain kann auch die Rekrutierungsphase verkürzen.
mit sich, ermöglicht komplett neue Geschäftsmodelle und es gibt noch keine gemeinsamen Best Practices oder Standards. Eine weitere allgemeine Herausforderung ist die Skalierbarkeit. Hier besteht die Notwendigkeit, die Gültigkeit von Transaktionen zu validieren. Eine wachsende Anzahl an Transaktionen wird zu erheblichen Latenzen bei der Verarbeitung führen und somit zu hohen Transaktionskosten. In letzter Zeit gab es viele Diskussionen über die Spannung zwischen Blockchain und der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union (DSGVO). Die Verwendung der Blockchain zusammen mit personenbezogenen Daten (wie Name oder Adresse) wirft Bedenken im Hinblick auf das sogenannte Recht auf Vergessenwerden auf, da die Daten in der Blockchain weder gelöscht noch verändert werden können.
führt anwendungsorientierte Forschung am «Laboratory for Web Science» (LWS) der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) durch.
Fazit Die Umsetzung von technologischen Entwicklungen braucht Zeit und die Implementierung von Blockchain-Lösungen im HR-Bereich wird schrittweise passieren. Die Entstehung von sogenannten Ökosystemen ist der Garant für den Erfolg der Technologie im HR5. Solange die ausstellenden Institutionen die Zertifikate nicht auf einer Blockchain speichern, gibt es keine Garantie der Echtheit solcher Unterlagen, und das Background Checking im Einstellungsprozess bleibt Handarbeit. Die Entstehung von sogenannten Ökosystemen ist somit der Garant für den Erfolg der Durchsetzung der Technologie im HR. Die Blockchain kann einen Mehrwert während des ganzen Arbeitsverhältnisses generieren, indem sie die Bürokratie und die Kosten abbaut. Wenn die Hürden und die Widerstände für eine breite Anwendung solcher Technologie überwunden
Bora Altuncevahir doziert an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS).
Priska Burkard ist Gründerin der SKILLS FINDER AG und Mitgründerin von TechFace. www.ffhs.ch
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Menschen in Unternehmen
Wie begeistert sind Ihre Mitarbeiter? Die Begeisterung von Mitarbeitern per EEG-Methode ermitteln von Wiebke Köhler
Warum ist es wichtig, dass Mitarbeiter und Führungskräfte begeistert sind? Ganz einfach, da keiner den Job wechselt, wenn er begeistert bei der Arbeit ist. Umgekehrt droht die innere Immigration, wenn die Angestellten frustriert sind. Es herrscht folglich Handlungsbedarf.
Solide Führung ist gefragt.
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er begeistert ist, macht keinen Dienst nach Vorschrift. Stattdessen arbeitet er länger, liefert bessere Leistungen und Ergebnisse ab, empfiehlt das Unternehmen im Bekanntenkreis, hat weniger Fehltage und ist bereit, sich auch über die eigentliche Arbeit hinaus fürs Unternehmen zu engagieren. Das ist kein Wunschdenken, das ist Empirie. Die impactWunder Strategieberatung und
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die Hochschule Darmstadt, konnten das auf Basis einer repräsentativen Marktforschungsstudie in Deutschland nachweisen.
Inhalt der Studie In einer repräsentativen Studie wurde herausgefunden, wie hoch die Mitarbeiterbegeisterung, quer durch alle Branchen und Unternehmensgrössen tatsächlich ist. Die im Frühjahr 2019 durchgeführte Marktfor-
schungsstudie umfasste 1 200 Teilnehmer, die per Online-Fragebogen befragt wurden – darunter Mitarbeiter wie Führungskräfte. Dabei stellte sich heraus, dass es keine Glaubensfrage mehr ist, ob man Mitarbeiter begeistert oder nicht. Es konnte vielmehr der ökonomische Nutzen der Mitarbeiterbegeisterung nachgewiesen werden. Wer als Arbeitgeber nicht in der Lage ist, seine Belegschaft zu begeistern,
Menschen in Unternehmen
verzichtet auf Wertschöpfung. Zusätzlich wurde die Herangehensweise bei der Studie in eine praxisnahe Methode (EEG – Employee Excitement Grid) übersetzt, mit der jedes Unternehmen herausfinden kann, welche konkreten Hebel es bedienen sollte, um seine Mitarbeiter stärker zu begeistern, und welchen Return diese bringen.
derselben an Arbeitsplätzen im Jahr 2020 als selbstverständlich voraussetzt. Erst wenn diese Faktoren nicht erfüllt sind, werden sie relevant – als Frustfaktoren. Wenn all diese Modekonzepte des viel beschworenen «New Work» nicht begeistern, was begeistert dann?
Triste Realität
Dieses Ergebnis der Studie ist so überraschend, dass die wenigsten darauf tippen. Die so schlichte wie revolutionäre Antwort betrifft die eigentliche Kerntätigkeit – möglichst ungehindert das tun zu können, worin man gut ist. So arbeiten zu können, dass man die eigene Arbeit als erfüllend empfindet. Der zweite starke Hebel der Mitarbeiterbegeisterung ist die authentische Führung. Ein Chef, der zu den eigenen Werten steht und sie nicht bloss von seinen Leuten einfordert, sondern selber vorlebt, wird als authentisch führend und damit begeisternd wahrgenommen. Dritter starker Hebel der Mitarbeiterbegeisterung ist die Fürsorge. Sie zeigt sich unter anderem darin, dass im Unternehmen (Job-)Zusagen eingehalten werden und die Belegschaft Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt bekommt. Vierter Faktor ist die Sicherheit, hauptsächlich im Sinne von Arbeitsplatzsicherheit.
Wie sich bei der Studie herausstellte, sind die Belegschaften lediglich mittelmässig begeistert: Die Begeisterung liegt im Schnitt bei 64 Prozent. Ein schwacher Wert, vor allem angesichts der Tatsache, dass zwölf Prozent der befragten Führungskräfte und neun Prozent der befragten Mitarbeiter angaben, in nächster Zukunft über einen Jobwechsel nachzudenken. Warum bleiben, wenn einen der aktuelle Job nur mittelmässig begeistert? Viele Verantwortliche für HR spüren die harte Realität hinter den Zahlen und wollen Begeisterungsmangel, innere Emigration und Abwanderungsgedanken eindämmen – allerdings bleibt bei den typischen Engagement-Surveys unklar, wo man ansetzen sollte. Denn diese Befragungen errechnen keine Wichtigkeiten, sodass eine Priorisierung der Massnahmen unmöglich ist. Stattdessen greift der eine oder andere Personaler auf die in Fachzeitschriften heiss diskutierten Mythen zurück.
Die Top-4-Faktoren
Die Top-8-Faktoren Insgesamt ermittelte die Studie mittels einer Faktor- und einer Regressionsanalyse 22 Faktoren, die eine starke Wirkung auf die Mitarbeiterbegeisterung ausüben, allerdings wirken nachweislich acht Faktoren überproportional stark. Die Ränge fünf bis acht belegen: Selbstverwirklichung im Job, ermunternde Führung, eine klare Unternehmensstrategie und die eigene Potenzialentfaltung bei der Arbeit. Auffallend an den Top 8 ist, dass vier der Faktoren mit Führung zu tun haben: authentische und ermunternde Führung, Fürsorge und Strategie. Es besteht folglich eine starke Nachfrage nach etwas, was wir zusammengefasst «solide Führung» nennen. Zum automatischen Reflex mancher Führungskräfte («Aber wir führen doch solide!») kann gesagt werden: aber ganz offensichtlich nicht im Urteil der Geführten – was die lediglich 64 Prozent Mitarbeiterbegeisterung erklärt. Erfüllt ein Job jedoch die Erfordernisse der Top8-Faktoren, begeistert er auch. Durch die Regressionsanalyse konnte nachgewiesen werden, dass eine Veränderung dieser acht Hebel den höchsten Zuwachs an Begeisterung bringt. Wie bewegt man diese Hebel?
Mythen der Begeisterung Stark gehypt wird in Fachkreisen das sogenannte konzeptionelle Arbeiten: Mitarbeiter sollen sich in fast ungebremster Kreativität konzeptionell in ihre Arbeit einbringen dürfen und unbegrenzt an Produktideen feilen. Leider stellte sich dieser Hebel in der oben genannten Studie als der am wenigsten wichtige Faktor der Begeisterung heraus. Dasselbe gilt für die Marke des Unternehmens. In der Studie zeigte sich, dass für Bewerber die Unternehmensmarke wichtig ist. Jeder bewirbt sich lieber bei einem Unternehmen mit bekanntem Namen und gutem Image. Doch hat der Bewerber den Job erst einmal ergattert, verliert die Marke ihre Wirkung auf die Begeisterung. Auch der «Chef als Coach» begeistert nicht, obwohl der Begriff lange Zeit schwer in Mode war. Mitarbeiter erwarten ganz bestimmte Dinge von ihrem Vorgesetzten – Coaching ist nicht darunter. Dasselbe gilt für aktuell stark propagierte Schlagwörter wie «Fehlerkultur», «Offenheit» und «Toleranz». Keines davon begeistert, weil man das Vorhandensein
Hebel der Mitarbeiterbegeisterung einsetzen.
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Menschen in Unternehmen
Katalog der Massnahmen Für alle Top-8-Faktoren wurde ein Katalog an direkt umsetzbaren Massnahmen entwickelt, deren grosser Vorteil ist: Sie sind allen wohlbekannt. Sie werden nur nicht flächendeckend angewandt. So sorgt eine verbesserte Diagnostik von Stärken und Schwächen der Bewerber, wie auch Mitarbeiter dafür, dass die eigene Arbeit als erfüllender empfunden wird, weil damit das Stärken- und Schwächen-Profil des Mitarbeiters besser zum Anforderungsprofil seines Jobs passt.
Auch regelmässige (im Unterschied zu den zweimal pro Jahr geführten Mitarbeitergesprächen) Puls-Checks in Form eines direkten, kurzen Austauschs zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter begeistern: Was läuft gut? Was frustriert (und dämpft damit automatisch Erfüllung und Begeisterung)? Was verhindert eine erfüllende Beschäftigung und sollte daher beseitigt werden? Auch das Empowerment mit mehr Entscheidungsfreiraum für die eigene Tätigkeit, Job Enrichment und Job Rotation begeistern Mitarbeiter.
Was Personalarbeit wirklich bringt Mit den Top-8-Faktoren hat jeder Personalverantwortliche empirisch ermittelte (im Gegensatz zu modisch postulierten) Hebel in der Hand, um damit die Mitarbeiterbegeisterung zu steigern. Natürlich variieren die Top 8 von Unternehmen zu Unternehmen einmal mehr, einmal weniger. Gerade deshalb wird die in der Studie zugrunde liegende Methodik des Employee Excitement Grid (EEG) in der Beratung auch auf jedes einzelne Unternehmen gesondert angewandt. Mit dem EEG kann jedes Unternehmen nicht nur seine eigenen Top8-Faktoren der Begeisterung ermitteln, sondern auch unternehmensspezifische Massnahmen daraus entwickeln und sowohl den Zuwachs der Begeisterung als auch deren ökonomischen Nutzen ermitteln. Das ist eine Rarität für die HR-Arbeit, die normalerweise darunter leidet, dass ihr Nutzen kaum je oder auch nur annähernd quantifiziert werden kann. Was ist der Nutzen der Begeisterung?
Die Frage nach der Bewertung Stellt man diese Frage und steigert den durchschnittlichen Begeisterungsgrad von aktuell nur 64 Prozent um einen Prozentpunkt auf lediglich 65 Prozent, dann entspräche das (konservativ gerechnet) bereits einem gesamtwirtschaftlichen Nutzen von elf Milliarden Euro. Anders gesagt: Bislang lassen wir diese Milliarden unnötigerweise auf der Strasse liegen. Gelänge es sogar, den Durchschnittswert an den höchsten in der Studie gemessenen Begeisterungsgrad von 88 Prozent heranzuführen, dann entspräche das einem ökonomischen Gegenwert von 275 Milliarden Euro. So viel ist Begeisterung wert, so viel beträgt sozusagen der ROE (Return on Excitement). Wann ernten Sie Ihre Begeisterungsrendite?
Wiebke Köhler ist CEO bei impactWunder Strategieberatung und war zuvor CHRO bei AXA Konzern AG sowie bei McKinsey & Co. Zuviel Frustration führt zur inneren Immigration.
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www.impactwunder.com
Für uns Unternehmer ist die Einhaltung der Menschenrechte und Umweltstandards eine Selbstverständlichkeit. Konzerne, die Flüsse vergiften oder ganze Landstriche zerstören, sollen dafür geradestehen. Deshalb sagen wir Ja zur Konzernverantwortungsinitiative.
Samuel Schweizer
Ernst Schweizer AG
Paul Oer tli
Oer tli Werkzeuge AG
Eric Krapf
collaboration.ch
Daniel Sommer
Sommer Holzwerk stat t GmbH
Setzen auch Sie sich gemeinsam mit über 170 Unternehmer innen und Unternehmern für die Konzernverantwortungs initiative ein: info@verantwortungsvolle-unternehmen.ch
Mehr Informationen: www.verantwortungsvolle-unternehmen.ch
WIRTSCHAFTSKOMITEE FÜR VERANTWORTUNGSVOLLE Ausgabe 1/2020 // Seite 53 UNTERNEHMEN
Menschen in Unternehmen
Produktiv agieren Mit Emotionen der Mitarbeiter professionell umgehen von Joachim Simon
Gefühle spielen beim täglichen Miteinander in Unternehmen eine wichtige Rolle. Deshalb brauchen Führungskräfte feine Antennen für offen und versteckt formulierte Emotionen.
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ontagmorgen. Der Führungskreis eines KMU tagt. Debattiert wird, wie die Firma auf die aktuelle Wirtschaftsflaute reagieren soll. Ein Vorschlag lautet, den Verkäufern niedrigere Abschlussprämien zu zahlen. Da ergreift Vertriebsleiter Huber das Wort: «Das geht nicht. Sie können unseren Vertriebsleuten doch jetzt – in Zeiten des Coronavirus –, wo sie ohnehin nur wenige Abschlüsse tätigen, nicht auch noch die Prämien kürzen. Das …» Doch bevor der Vertriebsleiter sein Votum begründen kann, fällt ihm der Firmeninhaber ins Wort und sagt: «Herr Huber, nun kriegen Sie sich mal
wieder ein. Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen – auch Ihre Mitarbeiter.» Damit ist das Thema für ihn abgehakt.
Gefühle werden nicht ernst genommen Wenn Mitarbeiter in Unternehmen Gefühle zeigen und sich für eine Sache auch emotional engagieren, wird dies von ihren Gesprächspartnern häufig als Schwäche interpretiert. Schlimmer noch: Sie werden oft sogar mundtot gemacht mit Aussagen wie >>«Nun lassen Sie uns mal sachlich bleiben.» Oder: >>«Malen Sie nicht gleich den Teufel an die Wand.»
Die Tatsache, dass ein Mitarbeiter Gefühle zeigt, wird also als Legitimation genutzt, um sich mit seinem Anliegen nicht ernsthaft zu befassen. Und zeigt eine Person regelmässig Gefühle? Dann wird sie schnell in eine Schublade gesteckt: >>«Ach die Müller, die reagiert schnell hysterisch.» Oder: >>«Ach der Huber, der macht aus jeder Mücke einen Elefanten.» Das wissen die Mitarbeiter. Deshalb sind sie in der Regel bemüht, am Arbeitsplatz wenig emotionale Betroffenheit zu zeigen. Stattdessen verbergen sie ihre Empfindungen hinter scheinbar rationalen Argumenten.
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Emotionalitäten nicht alleine lassen.
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Menschen in Unternehmen
Als Folge davon wird in Unternehmen oft endlos über Nichtigkeiten diskutiert. Und erreichen die betreffenden Personen mit ihrer scheinbar rationalen Argumentation ihre Ziele nicht, dann versuchen sie dies häufig über Umwege – zum Beispiel, indem sie Beschlüsse und Aufgaben bewusst vergessen oder fehlinterpretieren. Deshalb erreichen Unternehmen oft ihre Ziele nicht und scheitern viele Projekte. Denn letztlich besteht jeder Betrieb aus einer Vielzahl von Menschen, die alle eigene Wünsche und Werte, Interessen und Erfahrungen haben – und folglich auch Emotionen.
Gespür für Situationen und Konstellationen Führungskräfte sollten deshalb über die erforderliche emotionale Intelligenz verfügen, >>um Emotionen zu erkennen, >>diese richtig zu bewerten und >>auf sie so zu reagieren, dass die betreffenden Personen sich ernst genommen fühlen. Das setzt neben Antennen für die Gefühle anderer Personen ein feines Gespür für Situationen und Konstellationen voraus – um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Ein Beispiel: Ein Dienstleistungsunternehmen startet ein Change-Projekt mit dem Ziel, kundenorientierter zu werden. Aus Sicht der Unternehmensführung läuft alles gut, bis der Vorstand entscheidet: Künftig müssen alle Mitarbeiter mit persönlichem Kundenkontakt Firmenkleidung tragen. Daraufhin bricht eine mehr oder minder offene Revolte im Unternehmen aus. Aus zwei Gründen: Zum einen macht die Kleidungsvorschrift vielen Mitarbeitern erst klar, «Unsere Vorgesetzten meinen es mit den Veränderungen ernst», zum anderen betrachten sie die Vorschrift als Eingriff in ihre Privatsphäre. Das gesamte Projekt droht an der Kleiderfrage zu scheitern – vor allem, weil der Vorstand nicht erkennt, welch emotionale Bedeutung diese für die Mitarbeiter hat und dass sich dahinter grundsätzliche Bedenken gegen das Change-Projekt verbergen.
Die «Quelle» der Emotionen Emotionen werden im Unternehmenskontext selten offen artikuliert. Deshalb kann zum Beispiel die Aussage eines Mitarbeiters «Das geht nicht» zweierlei bedeuten: >>«Das funktioniert aus fachlichen Gründen nicht.» Und >>«Ich möchte dies aus persönlichen Gründen nicht.»
Gefühle werden oft als Schwäche interpretiert – ein Fehler.
Was zutrifft, müssen Führungskräfte oft erst ermitteln. Das ist nicht immer einfach. Deshalb sollten Führungskräfte Mitarbeitern eigentlich dankbar sein, die offen ihre Emotionen zeigen. Das erleichtert es ihnen, tragfähige Lösungen zu finden. Emotionen können verschiedene Ursachen haben. Sie können daraus resultieren, dass sich eine Person sehr stark mit ihrer Aufgabe identifiziert und deshalb für bestimmte Lösungen kämpft. Zuweilen ist jedoch auch das Gegenteil der Fall: Ein Mitarbeiter identifiziert sich kaum mit seinem Job und denkt bei jeder Aufgabe: «Nun muss ich diesen Mist auch noch machen.» Dann ist eine andere Reaktion gefragt.
Emotionale Killerphrasen Generell sollten Führungskräfte auf emotionale Äusserungen nicht mit Killerphrasen wie «Regen Sie sich nicht so auf» oder «Lassen Sie die Kirche im Dorf» reagieren. Solche Aussagen verletzen das Gegenüber. Sie zerstören letztlich das, was sich Führungskräfte von ihren Mitarbeitern wünschen: >>Identifikation mit ihrer Aufgabe sowie dem Unternehmen und >>die Bereitschaft, sich hierfür zu engagieren. Sinnvoller ist es in einer solchen Situation, dem Mitarbeiter zunächst zu signalisieren,
dass man seine Emotionalität bemerkt hat – zum Beispiel mit einer Aussage wie «Ich sehe, dass Sie das Thema sehr interessiert.» Oder: «Es freut mich, dass Sie sich so stark dafür engagieren, dass …» Verschaffen Sie sich anschliessend als Führungskraft ein Bild davon, warum der Mitarbeiter so reagiert, um vorschnelle Schlüsse zu vermeiden. Zeigt sich dann, dass sich der Mitarbeiter zu wenig mit seinem Job identifiziert, sollten Sie ihm klarmachen, dass seine Grundeinstellung zur Arbeit nicht stimmt und dies mittelfristig für ihn unliebsame Konsequenzen haben könnte. Zeigt sich hingegen, dass der Mitarbeiter sich (zu Recht) überfordert fühlt, dann erarbeiten Sie mit ihm eine tragfähige Lösung.
Joachim Simon ist Führungskräftetrainer und -coach. www.joachimsimon.info
Ausgabe 1/2020 // Seite 55
Menschen in Unternehmen
Zertifizierte Weiterbildungsmöglichkeiten durch mehr als 50 Masterclasses.
Sourcing-Queens und CEOs Highlights des HR-Treffpunkts TALENTpro von Heiko Stock
Mehr als 50 Masterclasses und internationale Keynotes werten das Expofestival TALENTpro im Zenith in München weiter auf. Auftreten werden Recruiter, Personalleiter und Employer-Branding-Verantwortliche über Innovationen im Bereich des Personalwesens.
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m 25. und 26. März wird zum dritten Mal das beliebte Expofestival TALENTpro im Zenith in München gefeiert. Auf den Content Stages berichten hochklassige internationale Keynotes über Innovationen. Neben dem offenen Besucherbereich finden Interessenten in den Masterclasses praxisnahe Fortbildungsmöglichkeiten inklusive Weiterbildungszertifikat. Der benachbarte Kohlebunker ist mit seinen geschlossenen Bereichen die ideale Location für dieses kostenpflichtige Format.
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Zertifizierte Weiterbildung Die dritte Ausgabe des Münchner Expofestivals TALENTpro bietet Recruitern, Talentmanagern, Employer-Branding- und Personalverantwortlichen neben den frei zugänglichen Bereichen eine weitere Besonderheit. An beiden Tagen finden in einem separaten, geschlossenen Raum im Kohlebunker mehr als 50 Masterclasses statt, die den Teilnehmern anspruchsvolle Fortbildungen versprechen. Innerhalb von jeweils 60 Minuten tauchen die Teilnehmer
in Fokusthemen ein, dabei liefern Fachreferenten praxisorientierte Lösungen zur Alltagsbewältigung. Im Nachgang erhalten die Teilnehmer Weiterbildungszertifikate des HRM Research Institute. Exemplarisch stellt das Team der TALENTpro drei Masterclass-Themen vor.
Chancen und Gefahren Dr. Heinz Schäffer, Mitglied des Vorstands beim BMÖ (Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich),
Menschen in Unternehmen
Expofestival TALENTpro mit Erlebnisgarantie.
setzt sich bei seiner diesjährigen Masterclass «HR meets Procurement» mit dem Einkauf von Personaldienstleistungen auseinander. Er identifiziert Chancen und Gefahren bei der Beschaffung und vermittelt Tipps zum professionellen Umgang mit dem Thema. Jan Hawklicek von der Firma «die grüne 3 GmbH» verrät in seinem Crashkurs «Active Sourcing und weitere Tipps für intelligentes Recruiting», wie man in Lebenslaufdatenbanken wie Xing oder LinkedIn anhand der Booleschen Suche Daten strukturiert durchsucht. Wie Personaldienstleister und -berater ihr Recruiting effektiv und gleichzeitig effizient gestalten, erarbeitet Mark Brenner, Geschäftsführer von Brenner-Tekath Personalberatung, gemeinsam mit den Teilnehmern in seiner Masterclass. Was tun gegen negative Bewertungen im Netz? Dr. Jonas Kahl, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht, von Spirit Legal, zeigt in seiner Masterclass «Über Recht und Unrecht negativer Bewertungen» rechtliche Möglichkeiten, gegen Autoren unzulässiger Äusserungen sowie gegen Bewertungsportale vorzugehen.
Internationale HR-Keynotes Das TALENTpro Expofestival wartet mit internationalen Top-Referenten aus der Human-Resources-Szene auf. Der erste Tag des Expofestivals, der 25. März 2020, startet gleich mit zwei Highlights. William Tincup, der Präsident der HR-Nachrichtenplattform RecruitingDaily, zeigt in einer spannenden Analogie, was HR-Strategen von den weltbesten Fussballclubs lernen können.
Denn das Ziel der besten Unternehmen ist dasselbe wie von den besten Clubs: möglichst erfolgreich sein und möglichst viele Menschen davon wissen lassen. So steigen das Ansehen und damit auch der Wert des Unternehmens oder eben der Fussballclubs. Die Sourcing-Queen Irina Shamaeva von BrainGain, USA, erörtert Fragen rund um das Thema Active Sourcing. Sie wagt einen Ausblick auf den Bedarf von Personalern, die sich dieses Themas annehmen. Shamaeva zeigt unter anderem Lösungsansätze, wie man dabei stets up-to-date bleibt und welche Rolle intelligente Tools dabei spielen.
Influencer-Marketing Bjoern Wenzel, der Gründer und CEO der Lucky Shareman GmbH, verrät durch konkrete Fallbeispiele, wie erfolgreiches Influencer-Marketing umgesetzt wird. Wenzel spricht über typische Kommunikationskanäle und gezielte Strategien für den Einsatz von Influencern zur Personalgewinnung. Eine zweite Keynote zum Thema Influencer-Marketing betont die Aktualität dieses Themas aus einer ganz anderen Perspektive. Patrick Weismüller, Global Employer Branding Technology & Innovation Manager der Evonik Industries AG, stellt seine neue Kampagne «#EndlichMalEinRichtigerJob und FriendlyFire» vor. Weismüller berichtet über Vorteile des authentischen Storytellings im Influencer-Marketing. Die Kampagne gewann beim letztjährigen Trendence-Festival den Publikumspreis als HR-Innovation des Jahres.
Lernformate und Festival-Aktionen In über 40 MeetUps berichten Recruiter, Personalleiter und Employer-BrandingVerantwortliche von Praxisbeispielen und teilen ihre Erfahrungen und Learnings. Das Kongressprogramm für den Öffentlichen Dienst sowie für die Hotellerie wird mit zwei neuen Partnern erweitert und komplett neu in Szene gesetzt. Natürlich wird das Early Morning Yoga wieder für einen entspannten Start in die beiden Festivaltage sorgen. Ausserdem können sich Besucher auf die neu ins Leben gerufene «Monsters of Rec»-Band freuen, die auf der grossen After-Show-Party am Abend des ersten Festivaltages einen Gig auf der TALENTpro-Bühne spielen. Grund zum Jubeln haben auch alle Fans von Henner Knabenreichs Blog «personalmarketing2null», der im Rahmen der After-Show-Party seinen zehnten Geburtstag feiern wird.
Heiko Stock ist Head of Marketing Communications bei boerding messe GmbH und Co KG. www.talentpro.de
Ausgabe 1/2020 // Seite 57
Menschen in Unternehmen
Business Portrait
Mit KletterMax erhält die Kletterrose den idealen Abstand zur Fassade.
Seit 25 Jahren ein sicherer Wert Eine Lösung für drinnen und draussen von Manuela Olgiati
Die Neofas AG ist seit 1995 Spezialistin für Hochleistungswärmedämmung, Befestigungstechnik und Fassadenbegrünung. Angefangen hat der Firmengründer Jean-Philippe Ramseyer in einem Büro zu Hause. Heute beschäftigt das Unternehmen neun Fachangestellte.
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lles am richtigen Ort, trifft hier zu. Die Neofas AG aus Tagelswangen steht seit 25 Jahren für zuverlässige Produkte und innovative Lösungen in der Baubranche. Das Kerngeschäft umfasst die Bereiche Hochleistungswärmedämmung, Befestigungstechnik, Fassadenbegrünung und die Bereitstellung von Speziallösungen für die Baubranche. «Wir haben die Lösung!» heisst der Slogan, den sich der Firmeninhaber Jean-Philippe Ramseyer auf die Fahne geschrieben hat. «Diese Aussage zeigt unser Engagement für unseren Fachbereich», fügt Ramseyer an. Schon bei der Gründung vor 25 Jahren war der Firmenchef überzeugt, dass es
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gerade in der Baubranche starke Produkte und innovative Ideen braucht. Unterstützung erhält Ramseyer von seinen Kindern. Er erinnert sich noch gut an die Anfänge.
Im Kleinen begonnen «Bei meinem früheren Arbeitgeber habe ich mich bereits auf die Fassadentechnik spezialisiert», sagt Ramseyer. Der Start 1995 war neben seinem Beruf zu Hause im Büro in Tagelswangen. Dann hat Ramseyer seinen Job gekündigt und sich in einem Büro eingemietet. Damals war ein Teilzeitmitarbeiter im Büro beschäftigt und Jean-Philippe Ramseyer war im Aussendienst tätig. Später kam ein zweiter Aussendienstmitarbeiter dazu. Doch schon bald
wurden das Büro und der Lagerplatz in Tagelswangen zu klein. Die Neofas zog nach Effretikon in das Volvo-Gebäude an die Vogelsangstrasse um. Dort baute sie das Büro selbst ein. Der Platzbedarf wurde aber immer grösser und so wurde das Lager mit der Hilfe vom Sohn des Firmenchefs, Yves Ramseyer, laufend ausgebaut. Doch auch dieser Platz reichte nicht mehr aus und im Dezember 2015 stand erneut ein Umzug bevor. Die Firma zog in ein grösseres Büro mit mehr Lagerplatz ein. Auch das Lager bauten Ramseyers selbst aus und so wurde der Standort Tagelswangen fortlaufend vergrössert. Die Tochter, Janine Ramseyer,
Menschen in Unternehmen
arbeitet seit 2005 bis heute Teilzeit in der Neofas und übernimmt immer mehr Bereiche in den Finanzen. Das Unternehmen beschäftigt heute neun Angestellte.
Zimmermann ist schwindelfrei Sohn Yves Ramseyer half schon nach der Lehre bei der Neofas aus. Seit 2014 ist er 100 Prozent angestellt und unterstützt seinen Vater als Projektleiter und bei wichtigen Entscheidungen. Ein grosser Vorteil im Aussendienst sei, so Ramseyer, dass er und sein Sohn den Beruf des Zimmermanns von der Pike auf gelernt haben und so ihre Fachkenntnisse in der Werkstatt und auf dem Bau einsetzen können. Die Fachmänner sind natürlich schwindelfrei, denn um Schrauben und weitere Materialien zu befestigen, klettern sie oft einige Meter ab Boden die Hauswand empor. Ramseyer und das eingespielte Fachteam sind sichere Werte, wenn es um massgeschneiderte Lösungen geht. So verbindet sich solides Handwerk mit ausgeklügelten Fassadenelementen. «Wir stellen unsere Produkte teilweise selbst her und unterstützen als Fachleute in jeder Situation», sagt Jean-Philippe Ramseyer. Die Spezialisten arbeiten in allen Bereichen eng mit Architekten, Ingenieuren und Entwicklern zusammen. Mit verschiedenen Produkten hat sich die Neofas AG einen Namen geschaffen.
Mehr Platz im Altbau Seit der Firmengründung und auch heute ist die Neofas die Spezialistin, wenn es um Wärmedämmung für Altbausanierungen oder energetisch fortschrittliche Neubauten geht. Die Arbeitsprozesse hat der Firmeninhaber optimiert. Bei einem Altbau ist eine Gaube oder Lukarne eine Möglichkeit, mehr Wohnraum zu schaffen. Ein Umbau erfordere das richtige Material. So erfährt ein Bauherr, dass eine Lukarne mehr Platz bringt. Dank des dünnschichtigen Dämmmaterials kann von mehr Licht und Raumfläche profitiert werden. Aus diesem Grund hat die Neofas AG Vakuthermplatten entwickelt, die überall dort eingesetzt werden, wo Platz für eine herkömmliche Isolation fehlt. Ramseyer kennt die Hintergrundgeschichten.
Vergleich mit Thermoskanne Die Geschichte der Vakuumdämmung sei komplex und einer stetigen Weiterentwicklung ausgesetzt, sagt Ramseyer. Das Prinzip, niedrige Wärmeleitfähigkeiten durch Evakuieren zu erreichen, ist von der Thermoskanne her bekannt. Diese besteht aus
Die vorgefertigte Lukarne schwebt durch die Luft und wird Fachmännisch montiert.
einem doppelwandigen Glasgefäss mit einem auf zehn bis sechs Millibar evakuierten Zwischenraum. Die Glasoberflächen sind mit einem wärmereflektierenden Material beschichtet. Derartige Dewargefässe wurden um 1890 vom Physiker James Dewar erfunden. Die ersten Thermoskannen stellte 1904 die deutsche Firma Thermos GmbH her, die damit Namensgeberin wurde. Ist ein Hohlraum evakuiert, so lastet auf der Hülle der Atmosphärendruck von einem Bar. Die Glas- oder Edelstahlhüllen in Thermoskannen oder Kryogefässen sind wegen ihrer zylindrischen Form in der Lage, diese Druckkräfte aufzunehmen. In vielen anderen Anwendungen, so auch im Baubereich, werden jedoch ebene Dämmelemente gewünscht. Bei solchen flachen Elementen kann die Hülle die Druckkräfte nicht tragen, vielmehr werden diese auf das dann notwendige Füllmaterial übertragen. «Damals wurde anstelle der vorgenannten Thermoskannen oder Kryogefässen Edelstahl oder Glas als Hüllmaterial verwendet und es kamen speziell entwickelte sogenannte Hochbarrierefolien zum Einsatz», weiss Ramseyer. Das Vakutherm-Verbundelement biete Methoden, die sonst technisch nicht möglich wären, sagt der Fachmann. Wenn alte Bausubstanz auf moderne Technologien und die heutigen Ansprüche der Bewohner trifft, so entstehen immer wieder interessante und platzsparende Konstruktionen. Durch den Einsatz der Vakuthermdämmung wird der gesetzlich geforderte U-Wert bei Umbauten übertroffen. Ein grosser Teil der Elemente wird vorfabriziert, was sich positiv auf die Gesamtkosten auswirke, sagt Ramseyer.
Business Portrait
KletterMax in der Stadt Die Neofas ist aber auch Spezialistin für ausgeklügelte Befestigungssysteme für Pflanzen, und auch hier merkt man den Praxisbezug. Fassadenbegrünungen in den Städten sind beliebt. KletterMax, so heisst die professionelle Stütze der Pflanzen an der Fassade. Mit diesem Befestigungssystem lassen sich vertikale Flächen in der Stadt in lebendige grüne Oasen verwandeln. Neofas entwickelt, produziert und montiert den KletterMax beim Kunden zu Hause. Die Vorrichtung lässt Pflanzen ungehindert in die Höhe wachsen. Die Verankerungen werden im tragenden Kern des Mauerwerks montiert. Jean-Philippe Ramseyer hat für jeden Einsatz immer den Ersatzteilkoffer mit allerlei Werkzeugen und Zubehör dabei. Auch ein Wandgarten mit Pflanzen im Innern des Hauses kommt aus dem Hause Neofas AG in Tagelswangen – dieser wirkt als optischer Hingucker. Zudem stehen innovative Ideen nachhaltig zu Themen von Ökologie und Raumklima im Fokus.
Manuela Olgiati ist Redaktorin bei kmuRUNDSCHAU. www.kmurundschau.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 59
Unternehmen müssen mit sehr unterschiedlichen Situationen umgehen lernen.
Sichere Märkte Strategien für den Export in volatilen Zeiten Interview mit Marc Steinkat von Georg Lutz
«Wie sicher sind die Märkte? Herausforderungen im internationalen Geschäft»: Das ist der Titel der Studie Unternehmensperspektiven der Commerzbank. Die Studie stellt die Ergebnisse einer Befragung von über 100 Unternehmen aus der deutschsprachigen Schweiz vor. Wir führten dazu ein Interview mit dem CEO der Commerzbank Schweiz, Marc Steinkat.
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er Grad der Internationalisierung von Schweizer Unternehmen ist auch im Vergleich zu den direkten Nachbarn hoch – und er nimmt weiter zu. Was haben Sie in der Studie genau untersucht? Lassen Sie mich zunächst zwei Sätze zum Ausgangspunkt der Studie selbst sagen.
In unserer Studienreihe «Unternehmerperspektiven» – hier in der Schweiz ist es mittlerweile die siebte Studie – gehen wir von den aktuellen Bedürfnissen von Unternehmen aus. Was beschäftigt sie, was treibt sie um? Das ist die Basis. In diesem Jahr haben wir das Thema Internationalisierung gewählt.
Aus welchen Gründen? Weil Schweizer Unternehmen sehr stark exportabhängig sind – in manchen Branchen nahezu zu 100 Prozent. Das Auslandsgeschäft ist das Herzstück der Schweizer Wirtschaft. Zugleich steigt die Verunsicherung. Das Bild von der sich bruchlos linear entwickelnden globalen Wirtschaft der
Volatilität und Planungsunsicherheit sind ein Stück unseres Arbeitsalltags geworden. Feste Planungsparameter sind heute seltener geworden. In der Zukunft dürften sich diese Entwicklungen fortsetzen. Die neue Normalität ist keine stetige Entwicklungslinie mehr, sondern ein Bild mit vielen Ausschlägen und Kurven. Die weltwirtschaftlichen Beziehungen sind auf den ersten Blick stabil. Nehmen wir den ungewöhnlich langen positiven Konjunkturzyklus in den USA, welcher sich aber Ende des Jahres – ich vermute mal bis nach den Präsidentschaftswahlen – oben halten wird. Gleichzeitig wird Europa fast schon mal wieder abgeschrieben. Erleben wir nicht in optimistischen wie auch pessimistischen Szenarien extreme Ausschläge? Und was macht dies mit unseren strategischen Entscheidungen, wenn wir die Tendenz der Renationalisierung mit einbeziehen? Verantwortungsträger in Unternehmen kommen in Zwickmühlen. Wir können mit althergebrachten Handelspartnern nicht mehr einfach nur Handel treiben.
letzten drei Jahrzehnte hat Risse bekommen. Auch politische Rahmenbedingungen, Akteure wie Trump oder Bolsonaro verdeutlichen dies. Auch Handelskriege und Brexit schaffen neue Risiken. Da könnte ich auch noch einige Stichworte und Namen anfügen. Können Sie noch weitere Faktoren aufzählen, die dazukommen? Ein starker Treiber ist die Digitalisierung, die ja ganze Wertschöpfungsketten in Unternehmen verändert. Eine richtig gewählte Strategie kann hier zu höherer Wettbewerbsfähigkeit und Innovation führen. Das ist sehr wichtig für Schweizer Unternehmen, da sie immer wieder den Aufwertungsdruck der eigenen Währung spüren. Eine weitere Rolle spielen die weltweiten potenziellen Absatzmärkte. Dabei geht es aber nicht nur um den Absatz, sondern auch um die Internatio-
nalisierung des Handels, der jetzt wie gesagt politisch unter Druck kommt. Das sind dann aber die seit Jahren bekannten Herausforderungen. Vorsicht. Es kann immer ein Schwarzer Schwan, wie aktuell das Coronavirus, auftauchen. Auf jeden Fall werden verlässliche Planungen, die einige Jahre Bestand haben, immer schwieriger. Genau diese brauchen Unternehmensverantwortliche aber, um Strategien umsetzen zu können. Und genau darauf zielt unsere Studie ab. Die zentrale Frage lautet: Wie stellen sich die Schweizer Unternehmen diesen Rahmenbedingungen, um weiter ein erfolgreiches Exportgeschäft betreiben zu können? Das sollten wir noch vertiefen. Haben Sie eine Idee, wie man diese in Teilen gegensätzlichen Entwicklungen zusammenfassen kann?
Warum nicht? Nehmen wir ein Schweizer Unternehmen, welches mit Firmen in den USA Geschäfte betreibt und auch Exporte nach China realisiert. Es kann schnell in die Mahlsteine der Handelskonflikte kommen. Von der amerikanischen Seite her wird hier inzwischen ein Stück weit verlangt, sich zu positionieren. Entweder man ist ProAmerika oder Pro-China. Und wenn man dann auch Niederlassungen oder Produktionsstandorte in Ländern wie den USA, China und Europa hat, kommt man fast schon automatisch – auch als Schweizer Unternehmen – in eine Bredouille. Zudem gibt es Verschiebungen und Paradigmenwechseln bei der Beurteilung der Handelspartner. Schweizer Unternehmer bewerten Grossbritannien oder Italien, als Kernländer der Eurozone, schlechter als das ehemalige Schwellenland China. Auch dies ist ein Ergebnis der Studie Ihres Hauses. Die Tendenz ist seit einigen Jahren klar erkennbar. China hat die Transformation von einem billig produzierenden Standort – der verlängerten Werkbank der Weltwirtschaft – in Richtung einer Wirtschaftsmacht, die mit den Kernstaaten Europas und den USA im Wettbewerb ist, geschafft.
Es gilt, Schweizer Exportstrategien zu unterstützen.
China ist ein Handelspartner auf Augenhöhe. Das gilt inzwischen nicht nur für Luxusgüter – Stichwort Uhren –, sondern eben auch für Maschinen und verschiedenste Dienstleistungen. Auch der Zusammenhang von Risiken und Chancen verändert sich. Das kann man vielleicht am besten an unterschiedlichen Branchen festmachen. Auf der einen Seite haben wir die Schweizer Automobilzulieferer, die sich jetzt, ich sag mal so, auf den Punkt gebracht, neu erfinden müssen. Der Verbrennungsmotor wird in zehn Jahren sicher eine weniger wichtige Rolle spielen. Auf der anderen Seite ist die Energiewende im Zeichen des Klimawandels voll im Gange. Sie bietet doch auch unternehmerische Chancen? Absolut. Unsere aktuelle Studie zeigt auf, dass Schweizer Unternehmen wesentlich flexibler auf die Veränderungen reagieren.
Das heisst nun aber nicht «Alles ist möglich». Man muss eine gewisse Stabilität aufweisen, darf aber gleichzeitig die Flexibilität nicht vergessen. Ich verwende an dieser Stelle der Argumentationskette ein Bild aus der Schifffahrt. Früher war man als Unternehmensverantwortlicher der Kapitän auf einem Dickschiff. Es gab einen klaren Kurs, der oft auf den nationalen Rahmen beschränkt war, und von dem wich man nicht gerne ab. Heute sind Unternehmensverantwortliche eher auf Schnellbooten unterwegs. Sie haben einen klaren Kurs, können diesen bei Bedarf aber schneller verändern. Schweizer Unternehmen sind in ihrer Mehrzahl schon Schnellboote. Sie ergreifen die Chancen schneller als beispielsweise in Deutschland. Auch diese These belegt die Studie. Die makroökonomischen Daten, die wir in der Weltwirtschaft aktuell sehen, deuten nicht in Richtung Volatilität. Wir
haben niedrige Zinsen und eine niedrige Inflation. Auch der Welthandel und das Wachstum sind kümmerlich. Welches Szenario sehen Sie denn so mittelfristig für dieses Jahr? Kommen wir in eine japanische Situation einer langen Stagnationsphase hinein? Oder was für Szenarien sehen Sie am Horizont? Ich glaube, dass erst einmal diese klassische Bewertung von Wachstum einen veränderten Stellenwert bekommen wird. Was meine ich damit konkret? Nur nach der Profitabilität eines Unternehmens zu schauen, ist nicht mehr ausreichend. Stärker kommen dafür Themen wie Nachhaltigkeit auf die Agenda. Es geht um Produktionsstandards und Qualitätsfragen. Auch ethisch-moralische Punkte wie beispielsweise Kinderarbeit kommen dazu. Für mich hat daher ein japanisches Modell nicht nur negative Seiten. Wachstum braucht es, ist aber nicht das alleinige Kriterium.
Wagen wir ein Zwischenfazit. Was beinhaltet die Strategie von exportierenden Unternehmen in der Schweiz? Erstens passen Unternehmen ihre Internationalisierungsstrategien den sich veränderten Rahmenbedingen an. Zweitens gibt es heute keine Patentrezepte mehr. Die Anpassungen der weiteren Geschäftsstrategien sind eher heterogen. Und ganz wichtig: Agilität zählt! Kommen wir konkret zu Ihrem Hause, der Commerzbank in der Schweiz. Es gibt ja jetzt unterschiedliche Institutionen und auch Anbieter, die beim Thema Export-Dienstleistungen Hilfestellung anbieten. Wie sind Sie hier aufgestellt? Wir als Bank begleiten Schweizer Unternehmen auf ihren internationalen Wegen. Dies betrifft zunächst den klassischen Handel, im Rahmen von klassischen Exportstrategien. Es geht aber auch um Unterstützung, wenn man als Schweizer Unternehmen ein Unternehmen im Ausland erwerben oder eben seine Produktion ins Ausland verlagern möchte. Als vor 150 Jahren in Deutschland gegründete Handelsbank liegt das quasi in unserer DNA. Heute wickelt die
Commerzbank über 30 Prozent des gesamten deutschen Exports ab. Unser weltweites Netzwerk kommt uns dabei zugute. Für unsere Schweizer Kunden sind wir vor Ort präsent. In Zürich und an fünf weiteren Standorten.
«Volatilität und Planungsunsicherheit sind ein Stück unseres Arbeitsalltags geworden.» Sie sehen jetzt aber auch Defizite von Schweizer Unternehmen. Es geht um die Abfederung oder die Sicherung von Risiken – insbesondere von Finanz- und Währungsrisiken. Da gibt es offensichtlich aus Ihrer Sicht noch Luft nach
oben. Was müssen die Unternehmen da aus Ihrer Sicht tun? Es gibt keine absolute Sicherheit. Aber man kann Geschäftsprozesse absichern. Wir haben die volatilen Verhältnisse angesprochen. Währungsschwankungen sind ein grosses Thema, auch dies belegt die Studie. Diese abzusichern, machen aber die wenigsten Unternehmen. Das Gleiche gilt für den Rohstoffhandel, der auch sehr volatil ist. Im Auslandsgeschäft der Schweizer Unternehmen machen Währungsrisiken und Einfuhrzölle besonders oft Probleme, zudem bürokratische Anforderungen und schwankende Rohstoffpreise. Hier können wir mit unserem Know-how ansetzen.
Marc Steinkat ist CEO der Commerzbank Schweiz. www.commerzbank.ch
Unternehmen sind heute keine unbeweglichen Dickschiffe mehr, sondern sehr flexible Schnellboote, die ihren Kurs ändern können.
Aufs Wesentliche konzentrieren Der zu hohe Umwandlungssatz ist schädlich von Adrian Gröbli
Das Jahr 2019 war ein überraschend gutes Anlagejahr. Viele Pensionskassen haben unerwartet hohe Anlagerenditen erzielt. Die Erwerbstätigen spüren jedoch kaum etwas davon. Grund dafür sind die strukturellen Probleme der Pensionskassen. Eine Reform der beruflichen Vorsorge ist zwingend und dringend.
D
ie Funktionsweise einer Pensionskasse ist im Prinzip einfach: Während der Erwerbstätigkeit zahlen die Arbeitnehmer und ihre Arbeitgeber Beiträge ein. Die Sparbeiträge werden als sogenannte Altersgutschriften dem individuellen Altersguthaben gutgeschrieben, das zudem verzinst wird. Die Risikobeiträge werden zur solidarischen Finanzierung von Todesfall- und Invaliditätsleistungen verwendet. Bei der Pensionierung wird das vorhandene Altersguthaben in eine lebenslängliche Altersrente (inkl. Anspruch
auf Hinterlassenenrenten) umgewandelt oder in Kapitalform ausbezahlt. Massgebend für die Umwandlung des Altersguthabens in eine Altersrente ist der sogenannte Umwandlungssatz. Dieser beträgt im Rahmen der obligatorischen Vorsorge gemäss dem Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) 6.8 Prozent für einen 65-jährigen Mann beziehungsweise eine 64-jährige Frau. Dies bedeutet, dass ein Altersguthaben von 100’000 Franken auf
eine Altersrente von 6’800 Franken (also 6.8 Prozent von 100’000 Franken) pro Jahr führt. Der Satz von 6.8 Prozent ist anerkanntermassen deutlich zu hoch. Im Rahmen des BVG muss heutzutage das Altersguthaben für jeden Neurentner um mindestens einen Drittel aufgestockt werden. Pro 100’000 Franken Altersguthaben müssen somit mindestens 33’300 Franken zusätzlich bereitgestellt werden, um die Altersrente von 6’800 Franken zu finanzieren. Die Aufstockung des Altersguthabens wird aus den Kapitalerträgen finanziert. Dies reduziert die
Damit im Alter nicht die Armut droht, müssen die Umwandlungssätze gesenkt werden.
Verzinsung der Altersguthaben und damit die künftigen Altersrenten der Arbeitnehmenden. In der Fachsprache wird der zur Aufstockung des Altersguthabens erforderliche Betrag «Verrentungsverlust» genannt.
Senkung ist nötig Pensionskassen, die höhere Sparbeiträge beziehungsweise Altersgutschriften als das BVG-Obligatorium vorsehen – sogenannte umhüllende Kassen –, können den Umwandlungssatz unter 6.8 Prozent senken, müssen aber in jedem Fall mindestens die Leistungen gemäss BVG gewährleisten. In der Praxis sind bei diesen Kassen vielfach Umwandlungssätze zwischen fünf und 5.5 Prozent anzutreffen, womit weniger hohe Verrentungsverluste anfallen. Der BVG-Umwandlungssatz wurde im Jahr 1985 bei der Einführung des BVG auf 7.2 Prozent festgelegt. Im Rahmen der ersten BVGRevision wurde er zwischen 2006 und 2014 schrittweise auf 6.8 Prozent reduziert. Zwei Faktoren erfordern schon seit Langem eine wesentlich weiter gehende Senkung der Umwandlungssätze: zum einen die Zinsen, die
in den letzten Jahrzehnten stetig gesunken sind, und zum anderen die Lebenserwartung, die seit jeher kontinuierlich gestiegen ist. Da vor allem der BVG-Umwandlungssatz, aber auch die von den umhüllenden Pensionskassen in der Praxis tatsächlich angewandten Umwandlungssätze zu spät und ungenügend angepasst wurden, treten systematisch Verrentungsverluste auf. Die sinkenden Zinsen haben zudem zur Folge, dass das Vorsorgekapital für die in früheren Jahren entstandenen Renten – sogenanntes Deckungskapital – verstärkt werden muss. In der Fachsprache wird dies als «Deckungskapitalverstärkung» bezeichnet.
5.1 Milliarden Franken im Jahr 2018. Für die Erwerbstätigen bedeutet dies konkret, dass die Verzinsung ihrer Altersguthaben selbst nach vorsichtigen Berechnungen um mindestens 0.5 Prozent pro Jahr tiefer ausfällt. Die Reform der Altersvorsorge ist zwingend und dringend. Sie muss sich auf das Wesentliche konzentrieren: Senkung des BVG-Umwandlungssatzes, Aufrechterhaltung des Leistungsniveaus im BVG und Kompensationsmassnamen für die Übergangsgeneration.
Tiefere Berechnungen Verrentungsverluste und Deckungskapitalverstärkungen reduzieren zwangsläufig die Verzinsung der Altersguthaben der Erwerbstätigen und schmälern deren künftige Renten. Sie führen zu einer massiven, systemfremden und unerwünschten Umverteilung in der beruflichen Vorsorge. Gemäss Berechnungen der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge betrug diese beispielsweise rund 6.6 Milliarden Franken im Jahr 2017 und
Adrian Gröbli Leiter Bereich Lebensversicherung, Schweizerischer Versicherungsverband SVV. www.svv.ch
kolumne
Biodiversitätsverlust destabilisiert den Finanzmarkt von Andreas Staubli
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er Klimawandel und der Verlust der Biodiversität sind eng miteinander verbunden und verstärken sich gegenseitig. Biodiversität stellt durch Evolution die Ressourcenverfügbarkeit sicher und sorgt für die natürliche Neutralisierung von Treibhausgasen. Der Klimawandel beschleunigt, zusätzlich zu anderen Faktoren, das Artensterben in einem atemberaubenden Tempo: Gegenüber 1970 gingen zum Beispiel 60 Prozent der Wirbeltierarten verloren. Dieser rasante Verlust verändert die Ökosysteme fundamental: Sie verlieren ihre Fähigkeit, Kohlestoff natürlich zu binden, was wiederum den Klimawandel verschärft. Die doppelte Negativspirale droht die Finanzmärkte wesentlich zu destabilisieren. Denn beinahe alle Wirtschaftszweige, die der Finanzmarkt mit Geld versorgt oder versichert, sind von der biologischen Vielfalt abhängig. Wenn Finanzakteure über den Verlust der Biodiversität hinwegsehen, ignorieren sie ein Schlüsselrisiko für ihren eigenen Markt. Um hier Stabilität zu sichern, sollten die Zentralbanken und Aufsichtsbehörden die Finanzrisiken aus der Umweltzerstörung gründlicher analysieren und Massnahmen für einen angemessenen Risikoumgang ergreifen. Schweizer KMU-Verantwortliche können der schwindenden Biodiversität ebenfalls entgegenwirken. Zum Beispiel indem sie die Dächer und Wände von Gebäuden begrünen, Insektenhotels oder Bienenstöcke einrichten, aber auch Schadstoffe aus der Produktionskette entfernen. Sie können das Abwasser pflanzlich klären und die Bodenversiegelung reduzieren. Wer ein ehemaliges Industrieareal umgestaltet, sollte dies in den lokalen Kontext einbetten, etwa indem endemische Flora, örtliche Ökosysteme oder historische Gegebenheiten berücksichtigt werden. Gerade KMU können zudem über ihre Produkte und Dienstleistungen eine nachhaltige Wertschöpfungspolitik verfolgen, beispielsweise mit lokalen und biologischen Produkten.
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Und schliesslich steht die Aufgabe der Sensibilisierung an. Hier kann ein KMU im Kleinen Grosses bewirken. Wir Menschen brauchen dringend einen neuen Vertrag mit der Natur. Darum empfehlen wir Folgendes: >> An der Biodiversitätskonferenz der Vereinten Nationen im Oktober 2020 in Kunming (China) sollen die Teilnehmerstaaten ein ehrgeiziges Abkommen für Biodiversität schaffen, dass die Finanzflüsse mit dem Erhalt und der Rekonstruktion der biologischen Vielfalt harmonisiert. >>Für den Schutz der Biodiversität braucht es jährlich mindestens eine halbe Billion US-Dollar. Diese Res sourcen lassen sich nur bereitstel- len, wenn sich sämtliche Akteure zusammenschliessen. >> Die Zentralbanken und Aufsichtsbe hörden müssen von den Unternehmen einfordern, biodiversitätsrelevante Finanzrisiken offenzulegen und sich wiederholten Stresstests zu unterziehen. >> Die Weltwirtschaft muss noch dieses Jahr eine Experten-Arbeitsgruppe für naturbezogene Finanzberichterstat tung ins Leben rufen. Dieses soll eine standardisierte Offenlegung der natur bezogenen Risiken inklusive Verlust der biologischen Vielfalt vorantreiben. >> Jeder Finanzakteur muss sich den biodiversitätsrelevanten Finanzrisiken widmen und den Mehrwert von Öko system-Dienstleistungen (Hochwasserschutz, Bestäubung, sauberes Wasser, fruchtbare Böden, oder Anpassung an den Klimawandel) nutzen.
Andreas Staubli ist CEO von PwC Schweiz. www.pwc.ch/wwf-report
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B u n d e s ra t , N a t i o n a l ra t u n d S t ä n d e ra t Software & Hardware l e h n e n d i e U n t e r n e h m e n s - Ve ra n t wo r t u n g s - I n i t i a t i v e k l a r a b.
Verkehrte Welt für Schweizer Unternehmen
USA
HOLLAND
FRANKREICH
SCHWEIZ
DEUTSCHLAND
Die Unternehmens-Verantwortungs-Initiative will einen Alleingang der Schweiz. Sie stellt die rechtliche Welt für Schweizer Unternehmen auf den Kopf. Es soll neu eine Umkehr der Beweislast gelten. So werden Klagen gegen Schweizer Unternehmen attraktiv. Die Unternehmen müssen vor Gericht beweisen, dass sie alles richtig gemacht haben und werden erpressbar. Die Schweiz wird zum Eldorado für ausländische Klage-Anwälte.
NEIN
zur UnternehmensVerantwortungs-Initiative
Wirtschaftskomitee «Zusammenarbeit statt Gerichtsprozesse» www.erpresserische-klagen-nein.ch
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DIE ZWEITE SÄULE WANKT Die schleichende Umverteilung in der zweiten Säule von Michael Krähenbühl
Früher oder später braucht sie jede und jeder: die berufliche Vorsorge. Schliesslich möchte man ja etwas auf der hohen Kante haben, wenn man in Pension geht. Welche Massnahmen müssten ergriffen werden, um die Renten stabil zu halten?
Eine stabile Rente ist das Ziel.
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ie berufliche Vorsorge leidet unter niedrigen Zinsen (rund 30 Prozent der Anlagen sind in Obligationen zu durchschnittlichen null Prozent angelegt), der demografischen Entwicklung (wir werden immer noch älter) sowie der Überregulierung und dem Reformstau. Ihre ursprüngliche Idee, dass jeder Versicherte für sich sein Altersguthaben aufbaut, entspricht leider nicht mehr zu 100 Prozent der Realität. In dieser Konsequenz haben viele Pensionskassen gehandelt und nicht
auf die Politik gewartet, was dazu geführt hat, dass die Umwandlungsätze in den letzten fünf Jahren umhüllend auf unter sechs Prozent abgesenkt wurden, aber nur bei den Kassen, die mehr als die gesetzliche Versicherung (beim BVGObligatorium liegt der Umwandlungssatz bei 6.8 Prozent) anbieten. Die Schweiz wird im Ausland für vieles bewundert – dazu zählt traditionell auch ihr Altersvorsorgesystem. Mit den drei Säulen
AHV, BVG und private Vorsorge gilt das Schweizervolk als gut abgesichert gegen die Risiken Alter, Tod und Invalidität. Doch der Lack am Schweizer Drei-SäulenSystem hat einige Kratzer bekommen. In der internationalen Rangliste der Altersvorsorgesysteme, welche die Beratungsgesellschaft Mercer führt, ist die Schweiz – einst ganz vorne dabei – im vergangenen Jahr auf Platz 11 von 34 Ländern abgerutscht. Die Juroren rügten den Reformstau des hiesigen Systems.
Umverteilung gewünscht? Eine Umverteilung von Jung zu Alt ist bei der AHV bekannt und auch gewünscht, aber nicht in der beruflichen Vorsorge. Konkret ist eine Solidarität zwischen den aktiven Versicherten im Rahmen des Risikoausgleichs zugunsten von Invalidenund Hinterlassenenrenten im System verankert, aber ganz bestimmt nicht im An- und Entsparprozess der zweiten Säule. Sie stellt deren Grundidee, dass jeder für sich selbst spart, mehr und mehr auf die Probe. Man bedenke, dass sich das Verhältnis der Anzahl Erwerbstätigen (und somit Prämienzahler) pro Altersrentner von 3.5 noch 2014 bis 2035 auf 2.3 reduzieren wird. Im gleichen Zeitraum wird sich die Zahl der Rentner von 1.5 auf 2.7 Millionen fast verdoppelt. Von der möglichen für die Schweizer Wirtschaft wichtigen Migration haben wir noch nicht gesprochen, aber werden die Jungen künftig bereit sein, diesen Generationenvertrag einzuhalten? Haben 2018 die meisten Pensionskassen noch Verluste bei ihren Vermögensanlagen verbucht, so kam per Ende 2019 bereits die positive Wende dank der guten Börsenlage. Das Ziel der Verantwortlichen aber ist und bleibt die Stabilisierung des Deckungsgrads und der Adjustierung der künftigen Zinsverpflichtung im Einklang mit der möglichen zu erwarteten Rendite gemäss der gewählten Anlagestrategie. Die damit verbundene Senkung des technischen Zinssatzes bedeutet keine Schlechterstellung der Rentner – im Gegenteil: Das versicherungstechnische Deckungskapital wird aufgestockt und entlastet so die aktiven Versicherten in Zukunft. Damit können unnötige Anlagerisiken vermieden werden. Aber genau hier liegt das aktuelle Problem. Auf den risikolosen Anlagen gibt es keine attraktiven Renditen zu erwirtschaften – nicht einmal den BVG-Minimalzins von zurzeit einem Prozent. Es sei daran erinnert, dass die im gesetzlichen Umwandlungssatz von 6.8 Prozent eingerechnete Rendite bei gegen fünf Prozent liegt. Das ist fernab der heutigen Realitäten.
Überholte Ideen Neben den ultraniedrigen Zinsen und der demografischen Entwicklung erschweren systemfremde Elemente, die Einzug in die kapitalgedeckte berufliche Vorsorge gehalten haben, die Stabilität der zweiten Säule. Sie stellen deren Grundidee, dass jeder für sich selbst spart, mehr und mehr auf
die Probe. Die in der zweiten Säule unerwünschte Umverteilung von den aktiven Versicherten hin zu den Rentnern erreichte laut dem Bericht der Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge OAK BV vom 14. Mai 2019 im Jahr 2018 einen Umfang von 5.1 Milliarden Franken. Das sei – so die OAK BV – «somit substanziell». Verantwortlich dafür ist und bleibt das aktuelle Leistungsversprechen in Form des zu hohen BVG-Umwandlungssatz von 6.8 Prozent. Ist er zu hoch, bedeutet dies, dass die künftigen Rentenverpflichtungen nicht ausreichend finanziert sind und zulasten der noch jüngeren Beitragszahler ausfinanziert werden müssen. Eine Kürzung beziehungsweise Anpassung der laufenden Renten nach unten ist heute gesetzlich nicht möglich. Bei umhüllenden Pensionskassen – also Vorsorgeeinrichtungen, die mehr als die gesetzlichen BVG-Minimalleistungen versichern – ist zudem eine zweite Ebene der Umverteilung zu beobachten. Sie setzen die Umwandlungssätze für den überobligatorischen Bereich oft besonders niedrig an, um den zu hohen BVG-Mindestumwandlungssatz zu kompensieren. Das Überobligatorium macht für viele Versicherte den grossen Teil der beruflichen Vorsorge aus.
Das Beratungsunternehmen c-alm schätzt, dass 80 Prozent des gesamten Altersguthabens im Überobligatorium liegen. Keine dieser Umverteilungen ist vom Gesetz über die berufliche Vorsorge BVG vorgesehen – schliesslich wird bereits in der AHV umverteilt. Dass die berufliche Vorsorge zu stark von der Politik vereinnahmt wird, zeigt sich auch beim BVG-Mindestzins, der wie der BVG-Mindestumwandlungssatz politisch festgelegt wird. Sollte es uns beziehungsweise der Politik nicht gelingen, hier rasch Abhilfe zu schaffen und die Parameter der aktuellen Lage anzupassen, dürfte sich die Situation noch weiter massiv verschärfen. Die Idee der zweiten Säule würde untergraben und nachhaltig beschädigt. Wollen wir das?
Michael Krähenbühl ist Geschäftsführer von proparis Vorsorge-Stiftung Gewerbe Schweiz. www.proparis.ch
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Intelligente Algorithmen auf dem Vormarsch Digitalen Fortschritt richtig einschätzen und gestalten von Georg Lutz
Wir waren in Fellbach bei Stuttgart auf dem ELO ECM-Fachkongress. Es ging darum, hinter die Kulissen des Schlagworts Künstliche Intelligenz (KI) zu schauen. Inzwischen hilft KI Unternehmensverantwortlichen, veraltete Prozesse zu optimieren und besser dem Wettbewerbsdruck standzuhalten. Doch kann sie noch mehr? Ist KI ein Game Changer, der das Business und seine Regeln völlig neu vom Kopf auf die Füsse stellt? Wir besuchten in erster Linie die Keynotes von ELO-CEO Karl Heinz Mosbach und Unternehmer und Wissenschaftler Prof. Dr Peter Gentsch sowie die Pressekonferenz mit dem ELO-Geschäftsführer.
Die Paneldiskussion verdeutlichte die unterschiedlichen Einschätzungen von Professor Dr. Peter Gentsch (ganz links) und Karl Heinz Mosbach (zweiter von links)
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tuttgart ist nicht nur eine Wiege des Autobaus – Daimler und Porsche sind hier die zwei bekanntesten Namen –, der Raum Stuttgart war auch der Geburtsort der modernen Büro-Kommunikation: dem Leitz-Ordner. In der Schweiz ist der Leitz-Ordner mit dem Bundesordner von Biella vergleichbar. Diese waren das zentrale Aufbewahrungs- und Ordungssystem in früheren Büros. Die erste Software, die Daten in den Griff bekommen und das Papier ersetzen sollte, orientierte sich noch, selbst im Namen, an den alten Ordnerstrukturen: Der elektronische Leitz-Ordner (kurz ELO) war zunächst als Einstiegssoftware für Archivierung und Dokumentenmanagement konzipiert. Er
erfreute sich rasch grosser Beliebtheit, nicht zuletzt aufgrund der intuitiven Benutzerführung und des konventionellen Ablageprinzips nach Aktenschrank, Ordner oder Register. «Als ich gemeinsam mit meinem Geschäftsführerkollegen Matthias Thiele 1998 die ELO Digital Office GmbH aus dem Leitz-Konzern ausgliederte und als eigenständiges Unternehmen am Markt platzierte, war das papierlose Büro unsere Vision. Recht schnell rückte dann aber vor allem die Optimierung der Geschäftsprozesse in den Mittelpunkt unseres Handelns», erinnert sich Karl Heinz Mosbach.
Umfassende Produktfamilie «Mittlerweile haben wir zwar immer noch nicht das papierlose Büro, dafür ist das Produktportfolio von ELO nicht nur einige Generationen fortgeschritten, sondern es entwickelt sich mit immer neuen Modulen stetig weiter», ergänzt Mosbach. So sind Collaboration, Integration, Mobilität, intelligente Suche, eine HR-Lösung und Workflow nicht nur Schlagworte, sondern gelebte Realität. Insgesamt unterstützt die ELOProduktfamilie Unternehmen dabei, Informationen effizient zu erfassen, zu verwalten, zu nutzen oder zu teilen – allesamt Grundvoraussetzung für die digitale Transformation.
Schwache und starke KI Zunächst stellt sich bei einem Trendwort wie KI die Frage, was man darunter versteht. Die Bandbreite der Interpretationen ist in der öffentlichen Diskussion sehr weit gefasst. Für Mosbach ist KI zunächst eine grosse Chance, und ELO arbeitet auch nicht erst seit gestern mit ihr. «Wir setzen KI zur Klassifikation von Daten schon lange ein. Zum
Beispiel beim Rechnungseingang, um unstrukturierte Informationen analysieren und einordnen können. Das sind Systeme, die sich auch selbst optimieren. Der Mensch habe aber weiter die Kontrolle über die Prozesse», betont Mosbach. Der CEO von ELO kann hier einen persönlich geprägten Blick in die Geschichte der KI werfen. Es geht um KI in der Bilderkennung. Karl Heinz Mosbach hat vor 35 Jahren an der Hochschule in Saarbrücken dazu eine Forschungsarbeit geschrieben und programmiert, die sich mit mathematischanalytischen Werten befasste. Mithilfe mathematischer Modelle habe man das System gefüttert und zum Laufen gebracht. Es ging um Werkstücke mit ihren Flächen und Umfängen. Im Ergebnis konnte ein Roboter das Werkstück richtig greifen. Heute hat man sehr viel schnellere Rechner, die viel mehr Daten in kürzerer Zeit verarbeiten können, und arbeitet sogar schon mit künstlichen neuronalen Netzen. Dies befeuert weltweit die euphorischen Träume von IT-Freaks. Mosbach sieht das etwas nüchterner. Bekanntlich setze sich nicht jede Technologie, die funktioniert, auf einem Massenmarkt durch und auch nicht jede Zielvorstellung, wie das papierlose Büro, verwirkliche sich. Laut Mosbach gehe es auch um sehr umfangreiche, aber gleichzeitig stupide Lernprozesse. Die Systeme werden immer wieder neu antrainiert. «Das geht vereinfacht so: Man zeigt dem Rechner Bilder wie beispielsweise die einer Katze – aber auch von anderen Tieren. Irgendwann kann der Rechner dann die Katze erkennen.»
Das Thema KI füllt die Säle mit Businessmenschen.
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Punkt auf die vielen euphorischen Prognosen von IT-Managern zu sprechen: «ITManager unterschätzen komplexe Situationen, die ja schnell im Alltag des Verkehrs auf unseren Strassen zu erkennen sind.» Auch tragische Beispiele wie die Unfälle der Boeing 737 Max warnen uns.
KI frisst Software
Karl Heinz Mosbach erläutert den Einsatz von KI in seinem Hause, sieht aber auch einige Herausforderungen.
Wie viele Trainingsanläufe braucht es im Alltag bei der Bereitstellung einer Software? «Das geht im Rahmen von Bürolösungen schnell – nehmen wir hier die Bearbeitung von Rechnungen als Beispiel. Man fängt ja nicht bei null mit einem nackten System an, sondern hat über die Jahre Trainingsmengen gesammelt, und die hat das System bereits in seinem Handlungskoffer. Der Standardisierungsgrad ist hoch», erklärt Mosbach und führt fort: «In jeder Rechnungsbearbeitungslösung, die wir heute verkaufen, ist bereits eine automatische Klassifizierung dabei.» Das ist inzwischen auch preiswert, da der Standardisierungsgrad bei Rechnungen sehr hoch ist. Die Rechnungserfassung geschieht heute automatisiert, niemand muss Daten mehr manuell erfassen und eingeben.
startet umfangreiche Lernprozesse. Inzwischen schlägt die Software jeden Grossmeister. Die Geschwindigkeit ist dabei fast schon erschreckend. Mosbach spricht hier aber sofort einschränkend von einem Abklatscheffekt. Man nehme alte Informationen und kombiniere diese neu. Es gebe ja auch KI, die Bachkompositionen nachbauen könne. «Das wird aber nie etwas wirklich Neues sein. Wenn man die Musik mehrfach hören würde, kommt Langeweile auf. Es wirkt künstlich – eben ein Abklatsch.»
So können wir schwache KI definieren. Man bildet einfachere Prozesse nach und optimiert sie. Was ist aber demgegenüber starke KI? Nach der Definition von Alan Turing aus dem Jahre 1950 kann KI dann als stark bezeichnet werden, wenn sie in der Lage sei, ein Verhalten zu zeigen, das sich nicht vom Verhalten eines intelligenten Menschen unterscheiden liesse. So weit sind wir noch nicht. Wir sprechen zwar schon mit Alexa oder Chat-Bots unserer Bank, wissen aber oder merken es nach Zwischenfragen schnell, wer da spricht.
Euphorische Prognosen und die Realität
Auf den ersten Blick können Rechner heute beeindruckende Leistungen erbringen. Sie schreiben Fortsetzungsromane von Harry Potter und malen Bilder im Stil von Rembrandt. Beim Thema Schach ist KI schon seit Jahren im Vorteil. Vor fünf Jahren haben Forscher ein KI-System entwickelt, das sich selbst das Spiel «GO» – das noch wesentlich komplexer als Schach ist – beibringen kann. Man gibt nur Spielregeln vor und
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Es fehlt die emotionale Komponente. Das kennen wir aus SF-Fernsehserien wie «StarTrek», in der Commander Data als menschlicher Roboter einen Emotionschip hat, von dem er aber immer wieder enttäuscht ist.
Ein Computer kann den Menschen bei Spielen wie Schach und GO schlagen, der mit unendlich vielen Daten und Szenarien gefüttert und trainiert wurde. Bei Abarbeitung der Szenarien ist er schneller als der Mensch, da er darauf getrimmt oder programmiert wurde. KI kann hochkomplexe Prozesse nachbilden, KI kann aber von sich aus nicht ohne Grundlagen rechnen. Wir befinden uns hier immer noch in einem sehr engen Kanal. Schwache KI ist schon im Einsatz und sie wird an Bedeutung gewinnen. Aber schon beim Thema autonomes Fahren gibt es noch viele Hürden. Unser Auto kann inzwischen selbst einparken, sogar wirklich autonomes Fahren ist technologisch möglich, wird aber allein wegen ethischen und rechtlichen Fragen in der Praxis bisher nicht umgesetzt. Ein Google-Boss hat vor zehn Jahren prophezeit, man könne 2017 ein autonom fahrendes Auto kaufen – natürlich von Google. Mosbach kommt an diesem
Professor Dr. Peter Gentsch kam frisch vom WEF in Davos und sprühte vor Energie. Für ihn ist KI ein fundamentaler Game Changer. Wie die Dampfmaschine in der ersten industriellen Revolution werde sie unsere Welt fundamental verändern. Sie werde Spielregeln von Unternehmen neu definieren. Das heisst in der Konsequenz, dass es eine neue Balance zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz geben werde. Hier geht es nicht mehr nur darum, dass eine KI bei einem Bewerbungsprozess eine Vorauswahl treffen kann. Die Prognose von Gentsch lautet «Software is eating the world … KI is eating Software». Springen wir wieder in die Praxis. Wie viel Prozent der Prozesse aus dem Büro oder in der Fertigung kann man nun in den nächsten Jahren maschinell mithilfe der KI nachbilden? Professor Dr. Peter Gentsch war da sehr optimistisch und sprach von 97 Prozent, die schon in den nächsten Jahren erreichbar wären. Mosbach ist etwas pessimistischer. Seine Zahl liegt bei maximal 80 Prozent. Auf jeden Fall bestätigte sich auf dem Fachkongress das Unternehmensmotto von ELO: «Nichts ist beständiger als der Wandel.» Einige Prognosen erinnerten aber eher an die Futuristen der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. Beispielsweise, als Gentsch die These aufstellte: «Wir sind die letzte Generation, die sterblich ist.» Aus seiner Sicht leben wir bald in digitaler Form weiter, auch wenn wir uns biologisch gar nicht mehr auf dieser Welt befinden. Das will ich dann aber auch selbst bestimmen können.
Georg Lutz ist Chefredaktor von kmuRUNDSCHAU. www.elo.ch
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Die Frage nach der Ethik KI und Robotik in einen anderen Rahmen gesetzt von Georg Lutz
Zum Trendthema Künstliche Intelligenz (KI) gibt es aus technologischer Sicht schon viele Hintergrundbeiträge auf Plattformen und in Büchern. Allerdings benötigen gesellschaftliche Transformationsprozesse, die KI ohne Frage auslösen, einen viel weiteren inhaltlichen Rahmen. Jetzt ist ein Buch auf dem Markt, welches die ethischen Fragestellungen beleuchtet.
Die Chancen und den Nutzen von KI genau bewerten.
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uch das Geschäftsleben wird zunehmend von Künstlicher Intelligenz (KI) und Robotik beeinflusst. Sie bilden Prozesse nach und übernehmen viele Arbeitsschritte. Wertschöpfungsketten sind im Umbruch, und ganze Branchen definieren sich neu. Im Gesundheitswesen hilft KI bei Operationen – und Algorithmen entscheiden über Kreditanträge sowie sogar über den Einsatz automatischer Waffensysteme. Allerdings gibt es auch Versprechungen, die nicht eingehalten werden. So sehen wir seit Jahren Prototypen von autonom fahrenden Fahrzeugen auf unseren Strassen. Technologisch sind die Anbieter hier sehr weit, trotzdem haben sie es nicht geschafft, einen Massenmarkt zu entwickeln. Offensichtlich gibt es hier Hürden, die bislang nicht abgeräumt wurden. Zudem befürchten viele Menschen, dass KI langfristig die Kontrolle über unser Leben übernimmt.
Vertrauen, Verantwortung und Haftung Vor diesem Hintergrund wird es immer wichtiger, die ethischen Grundlagen und Auswirkungen des Einsatzes von KI und Robotik in unserer Gesellschaft zu diskutieren. Ethische Fragen haben oftmals keine eindeutige Antwort. Staaten und Gesellschaften,
Gemeinschaften und Einzelpersonen haben möglicherweise sehr unterschiedliche Perspektiven auf diese Themen, die gehört und berücksichtigt werden sollten. Dieses Buch bietet eine Einführung, die erfreulicherweise keine technischen, rechtlichen oder philosophischen Kenntnisse voraussetzt. Es behandelt Fragen des Vertrauens, der Verantwortung, der Haftung, des Datenschutzes und des Risikos in der Beziehung der Nutzer zu KI-Systemen und Robotik. Das Buch beginnt mit Einführungen sowohl in Künstliche Intelligenz als auch in Ethik. Zunächst gibt es unterschiedliche Forschungsrichtungen, die sich in in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben. Das Thema begleitet, und mit Unterbrechungen, schon das halbe 20. Jahrhundert. Wichtig ist auch die Unterscheidung zwischen schwacher und starker KI. Schwache KI ist auf eine eng definierte Aufgabe beschränkt, soll beispielsweise einen Produktionsschritt nachbilden. Diese Systeme lösen einzelne Probleme oder Aufgaben. Bei starker KI geht es um die Schaffung autonomer Systeme, die über ein gewisses Mass an Intelligenz verfügen und sich weiterbilden können.
Ethik in KI und Robotik von Christoph Bartneck, Christoph Lütge, Alan R. Wagner, Sean Welsh Carl Hanser Verlag München, 2019 ISBN 978-3-446- 46227-4 170 Seiten
keln und anhand von konkreten Beispielen einzelne Aspekte des Einsatzes von KI-Systemen. Am jeweiligen Kapitelende finden sich Fragen, die zur Diskussion von KI-Anwendungen einladen, von der Gesundheitsfürsorge bis zur Kriegsführung. Weiterführende Literatur dient ebenfalls als Anregung dafür weiterzudenken und zu diskutieren.
GEORG Lutz ist Chefredaktor bei kmuRUNDSCHAU.
Auf dieser Basis veranschaulichen die Autoren dann aus unterschiedlichen Blickwin-
www.hanser-fachbuch.de
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Aufträge und Bestellungen prozessorientiert verarbeiten, dank eines umfassenden EPR-Systems.
Produktionsplanung und -steuerung Entwicklung und Herstellung von Halbleitern von Lone K. Halvorsen
Nach markanter Auftragssteigerung hat der europaweit älteste Anbieter von kundenspezifischen integrierten Halbleitern, das Bieler Unternehmen HMT microelectronic AG, ein umfassendes ERP-System mit integrierter Produktionsplanung und Auftragsbearbeitung von Abacus neu in Betrieb genommen. Nun unterstützt es die Überwachung der Qualität und Menge der gelieferten Materialien sowie die Liefertreue der Lieferanten und hilft bei der Kapazitätsplanung.
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rodukte von HMT kommen zur Kontrolle und Steuerung von Lichtschranken bei Lifttüren, in Zutrittssystemen, bei Elektromotoren im Automobilbau, Ventilen in der Medizintechnik oder auch Produktionsprozessen zur Anwendung, wobei sie dort unter anderem analoge in digitale Signale umwandeln. «Da die Produktionsschritte für diese integrierten Halbleiter mehrmonatige Durchlaufzeiten aufweisen und die Materialien sehr teuer sind, wurden eine erhöhte Planungssicherheit, angesichts immenser Materialkosten, und eine detaillierte Übersicht der Liquidität immer dringlicher»,
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berichtet Sandor Portner, COO bei HMT. Das rief geradezu nach einem tauglichen ERP-System. Es sollte der Kunden- und Lieferantenbeauftragung dienen, sowohl Qualität und Menge der Materialien sowie die Liefertreue der Lieferanten überwachen als auch bei den internen Leistungen die Kapazitätsplanung unterstützen.
PPS-Experte gesucht und gefunden Um die komplexen Anforderungen im Bereich Auftragsabwicklung und PPS (Produktionsplanungs- und Steuerungssystem) umsetzen
Sandor Portner ist COO und Abacus-Verantwortlicher.
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zu können, wurde mit bsb.info.partner ein erfahrener Partner engagiert, der das geforderte Fachwissen und Erfahrung in der Umsetzung von anspruchsvollen Auftragsund PPS-Prozessen aufweisen kann. In mehreren Workshops wurden die Detailprozesse definiert. Da die Finanzmodule und auch die Auftragsbearbeitungssoftware von Abacus bereits seit vielen Jahren zur Zufriedenheit im Einsatz waren und auch ein eigenes PPS im Angebot hat, das alle Anforderungen zu erfüllen schien, beschloss die Firmenleitung von HMT, keine weiteren ERP-Lösungen zu evaluieren. Zudem wurde entschieden, das Abacus-System neu aufzubauen. In der Praxis geht es beispielsweise darum, Formulare für Verkauf und Einkauf neu zu erstellen, das PPS in die bestehenden Prozesse zu integrieren, um für die verlängerte Werkbank das Bestellen zu ermöglichen und Varianten im Produktstamm, Rahmenbestellungen sowie Aufträge abzubilden. Herz der Lösung ist die Auftragsbearbeitungssoftware zusammen mit dem PPS-Modul. Erstere verwaltet und überwacht sämtliche Produktionsschritte vom eigentlichen Auftrag bis zu den diversen Produktionsaufträgen. Über die Artikelnummern sind die Sachbearbeiter von HMT nun stets darüber im Bild, wo wie viel gelagert ist. Muss aufgrund neuer Kundenwünsche oder fertigungstechnisch ein Chip abgeändert werden, wird von der ersten Version eine neue Variante erzeugt und davon eine weitere und so fort. Wird ein ChipTyp oder ein Fertigungsablauf geändert, muss im Prinzip vom ursprünglichen Artikel nur eine neue Variante hinzugefügt werden, was alle Anpassungen markant erleichtert.
Transparenz herstelLen Bisher sei es schwierig gewesen, bei Terminverzögerungen der Lieferanten die Übersicht über die aktuellen Produktionsaufträge zu behalten, berichtet Portner, der auch als AVOR-Spezialist fungiert. Mit dem in Abacus standardmässig eingebauten Planmanager hat er ein wichtiges Arbeitsinstrument zur Hand, mit dessen Hilfe sich die Produktionsaufträge auf die verschiedenen Maschinen einlasten, überwachen und somit auch deren Arbeitsfortschritte überprüfen lassen. Bei Verschiebungen von Lieferterminen aufgrund von Lieferverzögerungen seitens Lieferanten kann Portner die Anpassungen der Produktionsaufträge und die Einlastung von Folgeoperationen im Planmanager einfacher anpassen. Dank dem Planmanager behält er die Übersicht über die zahlreichen parallel in Arbeit befindlichen Produktions-
Das HMT Testcenter in Biel.
aufträge. Diese werden weiterhin händisch von der Produktionsabteilung erfasst und an die Verkaufsabteilung gemeldet. Nach dem geplanten Einbau des neuen PPS-Portals der Version 2019 soll das System dann jedoch selbstständig in der Lage sein, die Stückmengen direkt während der Produktion zurückzumelden.
Durchgängige übersicht HMT-CEO Andreas Reber schätzt die lückenlose Rückverfolgbarkeit der Chargen. Denn nur das kann garantieren, so Reber, dass «die strengen Branchenanforderungen der Medizinaltechnik erfüllt werden». Die Chargennummer ist sowohl im Testsystem als auch in der Auftragsbearbeitung der gemeinsame Schlüssel. Auf die Verkaufsmitarbeiter ist die Funktion der Rahmenverträge zugeschnitten. Sie bieten eine Übersicht darüber, was welcher Kunde von einem Abrufauftrag bereits bezogen hat. Das garantiert die rechtzeitige Einplanung der Fertigungskapazitäten. Damit einhergehen wöchentliche Meldungen zur Liquiditätsplanung. «Zudem stehen nun Auswertungen, welche bsb.info.partner speziell für HMT erstellt hat, zur Verfügung, um Kreditorenverbindlichkeiten und Debitoren einschätzen zu können», erklärt der Verantwortliche HMT CFO Alain Hirter. Summa summarum gibt es nun eine präzise Planungsübersicht auf Knopfdruck, wobei sich eine Produktion unter Rückmeldung der Fertigteile präzis auswerten lässt. «Mit der Einführung des Abacus-ERP ist die Transparenz über die laufenden Produktionsaufträge, die Liefertermine und Lagermengen markant verbessert worden», resü-
Alain Hirter ist CFO der HMT microelectronic AG.
miert Portner. «Ausserdem schätzt man es, durch die nahtlose Integration der ERP-Programme in die Finanzsoftware Auswertungen zu erstellen, die eine präzise Finanzplanung erlauben», betont Hirter. Auch CEO Andreas Reber ist mit der Lösung zufrieden und stellt erfreut fest, dass das jetzt implementierte Abacus-ERP ideal zur Grösse seines Unternehmens passe, wobei es ebenso stabil wie zuverlässig funktioniere.
Lone K. Halvorsen ist Redaktorin bei kmuRUNDSCHAU. www.abacus.ch
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Nachhaltigkeit in der Praxis Kohlendioxid-neutrale Rechenzentren von Lone K. Halvorsen
IT-Lösungen sind Energiefresser. Das betrifft klassische Rechenzentren genauso wie das neue Schürfen von Kryptowährungen. Erneuerbare Energien können hier helfen. Der folgende Beitrag belegt dies am Wirtschaftsfaktor Windkraft: CO2-absorbierendes Rechenzentrum in Nordfriesland bietet neue Perspektiven für nachhaltige Digitalisierung. In der Schweiz könnten mit Wasserkraft ähnliche Beispiele entstehen.
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nde 2018 ging das weltweit erste CO2-freie Rechenzentrum mit neuer Leitung frisch an den Start. Mit Wirtschaftsingenieur Thomas Reimers und Energie- und Gebäudetechniker Wilfried Ritter an der Spitze wurden neue Strategien für eine nachhaltige Digitalisierung umgesetzt, Produkte wie die Managed Nextcloud weiterentwickelt und das Managementsystem Holokratie ins Unternehmen implementiert. Zudem konnten neue Kooperationspartner gewonnen werden
und auch das Kundenportfolio wurde erweitert. Neben kleineren Industrieunternehmen setzen zunehmend öffentliche Gesellschaften auf die klimaneutrale Datenspeicherung. Auf internationalen Messen und Branchentreffs wie der Hannover Messe Industrie und der Husum Wind hat Reimers das Konzept von Windcloud vorgestellt und zudem aufgezeigt, wie Windkraftanlagen auch nach dem Ende der Förderung ab 2021 profitabel genutzt werden können.
Windkraft wirtschaftlich nutzen Dem Weltklimarat zufolge muss jetzt schnell und weitreichend gehandelt werden, um die Erderwärmung auf 1.5 Grad zu begrenzen. Ungeachtet dessen basiert der Grossteil der Industrieprozesse immer noch auf klimaschädlichen Energieträgern. Das gilt auch für Rechenzentren, die durch die rasante Verbreitung digitaler Technologien zu einem bedeutenden Faktor in der globalen Energie- und Klimabilanz geworden ist.
Rechenzentren beinhalten eine klimapolitisch noch nicht gelöste Herausforderung.
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Thomas Reimers kennt den wachsenden Stromverbrauch in der IT-Branche.
«Vielen ist es gar nicht bewusst: Die Digitalisierung ist wirtschaftlicher Wachstumsmotor, verursacht aber bereits jetzt mehr Kohlendioxid (CO2) als der Flugverkehr – mit deutlich steigender Tendenz», weiss Thomas Reimers, Geschäftsführer von Windcloud. «Es gibt Studien, zum Beispiel von Greenpeace, wonach bereits in zehn Jahren 20 Prozent des globalen Stromverbrauchs auf die Informations- und Kommunikationstechnik (IKT) entfallen werden. Gerade CloudRechenzentren verbrauchen viel Energie. Häufig wird Greenwashing durch den Kauf von Zertifikaten betrieben – das ist aber keine nachhaltige Alternative. Wir setzen auf eine erneuerbare Energieversorgung und nutzen zudem die Abwärme des Rechenzentrums.» In der Schweiz bergen die grossen Seen ein enormes Energiepotenzial – und wären somit ein sicherer Hafen für Daten. Die Schweiz erlebt zudem einen Boom an Bau von Rechenzentren, und daher wäre solch ein Konzept hierzulande mit Wasserkraft als Energiequelle für die zukünftige grüne Direktversorgung durchaus realisierbar.
Nachhaltige Digitalisierung Das nordfriesische Unternehmen betreibt CO2-neutrale Rechenzentren in ehemaligen Nato-Bunkern und nutzt ausschliesslich grüne Energie aus lokalen regenerativen Quellen, vor allem aus den heimischen
Digitalisierung und regenerative Energien können positive Synergien erzielen.
Windparks, aber auch aus Photovoltaik, Wasserkraft und Biogas. Kleine und mittelgrosse Unternehmen sowie Rechenzentren können hier ihre Daten klimaneutral und sicher speichern. «Wir stellen fest, dass das Bewusstsein für nachhaltige Digitalisierung steigt», sagt Reimers. «Waren unsere Kunden zunächst überwiegend NGOs und Vereine sowie Unternehmen, die sich selbst auf umweltfreundliche Technologien spezialisiert haben, konnten wir in diesem Jahr unseren Kundenkreis deutlich öffnen.» So setzen immer mehr Institutionen der öffentlichen Hand, wie beispielsweise Versorgungsunternehmen, auf die Produkte von Windcloud. Sie können aus der gesamten Bandbreite der Datenspeicherung wählen: von ColocationLösungen in nahezu jeder Grössenordnung bis hin zu Multi-Bunker-Konzepten mit mehreren dedizierten Brandabschnitten. Besonders beliebt ist die Managed Nextcloud als nachhaltige und sichere Alternative zu Diensten wie Dropbox oder Onedrive. Sie wird im deutschen Rechenzentrum gehostet und adressiert damit auch Anwender, für die Rechtssicherheit und Datenschutz essenziell sind, beispielsweise Ärzte oder Anwälte. Künftig kann dieser Service noch unkomplizierter genutzt werden, denn Windcloud plant, die Managed Nextcloud im kommenden Jahr als automatisiertes Produkt anzubieten.
Die Zukunft ist CO2-absorbierend Im Frühjahr 2020 soll ein zweites Rechenzentrum auf dem Greentec Campus in Enge-Sande gebaut werden. Neben der Energieversorgung ist auch die Nutzung der Abwärme ein Merkmal, das Windcloud von anderen Rechenzentren unterscheidet. Hier sollen Kooperationen mit Industrieunternehmen weiter ausgebaut werden, beispielsweise das Algenfarming. Algen sind ein attraktives Wirtschaftsgut, ob in der Kosmetik oder als Lebensmittel. Ausserdem absorbieren Algen das CO2 aus ihrer Umgebung, sodass das Rechenzentrum durch diese Kooperation im laufenden Betrieb CO2 abbauen kann. Darüber hinaus sind auch Partnerschaften im Bereich Indoor-Farming und Fischzucht in Planung.
Lone K. Halvorsen ist Redaktorin bei kmuRUNDSCHAU. www.windcloud.org
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Kein Blick in die Kristallkugel nötig: Mit Data Mining sind bessere Unternehmensprognosen möglich.
Potenziale ausschöpfen Drei ERP-Trends für 2020 von David Lauchenauer
Das neue Jahr ist schon einige Wochen alt und bringt wieder neue Entwicklungen mit. Das gilt auch für die ERP-Branche. Welche Trends das sind, hat David Lauchenauer – Geschäftsführer und Gesellschafter der Myfactory Gruppe – für kleine und mittlere Unternehmen in der Schweiz zusammengefasst.
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in Blick auf das Handy zeigt: Wir haben heutzutage fast für jeden Anwendungsfall eine App. Ob Messaging, Online-Magazine oder Fitnesstracker – digitale Alltagshelfer gibt es genügend. Von diesem App-Ansatz kann auch das ERP-
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System profitieren. Zum Beispiel lassen sich bestimmte Geschäftsprozesse, die fixer Bestandteil einer Software sind, als eine extra dafür entwickelte Anwendung nutzen. Beispiele: Szenarien dafür gibt es viele. Zum Beispiel kann die Inventur als eine
separate App aufgesetzt werden. Diese ist dann über das Scangerät abrufbar. Alle Daten werden in der Anwendung erfasst und idealerweise in Echtzeit an das ERPSystem geschickt. Auch die Erfassung von Kundendaten oder Aufträgen sowie die
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HR der nächsten Generation
Abacus Forum – Human Resources 14.05.2020 in Olten Anmeldung abacus.ch/events
Mittlerweile gibt es für fast jede Anwendung eine App.
Planung von Aussendienstrouten lassen sich einfach in eine App auslagern.
Smart Services und ERP Die Potenziale der Digitalisierung sind bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Ein gutes Beispiel dafür sind die sogenannten Smart Services, die unendliche Möglichkeiten bieten. Als eine digitale Dienstleistung verstanden sammelt und analysiert sie auf Basis vernetzter, intelligenter, technischer Systeme und Plattformen Daten. Die gewonnenen Informationen können dann über digitale Marktplätze und Schnittstellen wie dem ERP-System vermarktet werden. Beispiele: Ein Werkzeughersteller erkennt die Chancen von Industrial Internet of Things und will seine Produktion im Dienstleistungsgeschäft erweitern. Dazu stattet er seine Werkzeuge mit Sensoren aus, die den Abnutzungsgrad in Echtzeit messen und die Werte an das ERP-System senden. Ist der Zustand kritisch, wird er in Form eines Tickets an das Service-Team geschickt. Dort angekommen prüft der Support erneut den Wert, sendet eine Warnung an den Kunden und vereinbart einen Termin – vollautomatisch.
Methoden analysiert, um belastbare und gewinnbringende Prognosen zu entwickeln. Das geschieht vollautomatisch und funktioniert umso besser, desto mehr Informationen ein Unternehmen über zum Beispiel das Kaufverhalten seiner Kunden gesammelt hat – natürlich immer im Rahmen der europäischen Datenschutzgrundverordnung. Beispiele: Ein Unternehmen möchte wissen, wie sich der Umsatz im Sommer 2020 entwickelt. Durch die eingespeisten Daten der letzten Jahrzehnte ermittelt das System eine Prognose. An diesem Wert lässt sich zum Beispiel ablesen, ob es noch eine Marketing-Aktion braucht, die bereits im Frühjahr entwickelt werden kann. Das spart Zeit und entlastet die Mitarbeiter. Gleiches gilt für die Entwicklung von Nachfragen: Zeigt sich, dass die Absatzzahlen für ein Produkt seit Jahren sinken, ist das ein wichtiges Signal für die Produktabteilung, die sich zusammen mit dem Marketing rechtzeitig eine neue Strategie überlegen kann.
• Automatisierter Bewerbungsprozess • Digitalisiertes Personaldossier • Mitarbeiterportal (ESS/MSS)
Mehr Prognosen für alle Wie gelingt es heute kleinen und mittelständischen Unternehmen, Trends zu erkennen, Ergebnisse vorherzusagen, Kundenverlust zu verhindern und Preise dynamisch anzupassen? Eine Antwort darauf ist Data-Mining. Hierbei werden die Daten im ERPSystem mit unterschiedlichen statistischen
Die Abacus HR-Applikationen unterstützen Sie bei der Neugewinnung und Verwaltung von Mitarbeitenden vor, während und nach dem Anstellungsverhältnis. Dank automatisierten Prozessen und individualisierbaren Vorlagen arbeiten Sie zeit- und kosteneffizient.
David Lauchenauer
www.abacus.ch/hr
ist Geschäftsführer und Gesellschafter der Myfactory Gruppe. www.myfactoryschweiz.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 79
Software & Hardware
Industrie 4.0 dieses Jahr Fünf Trends für die Fabrik der Zukunft von Philipp Wallner
Das neue Jahrzehnt ist schon ein paar Monate alt. Es ist aber wichtig, längerfristig zu planen und nach vorne zu schauen. Stichworte sind Nachhaltigkeit, Flexibilität oder Edge Computing.
Ein futuristisch anmutendes Bild? Oder tatsächlich die Zukunft?
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abriken sollen profitabler, nachhaltiger und zukunftsfähiger werden. Daher ist es wichtig, langfristig zu planen, wie eine innovative Produktion nicht nur 2020, sondern auch 2025 oder sogar 2030 aussehen wird. Einige der derzeitigen Trends, liefern gute Anhaltspunkte, in welche Richtung diese Entwicklung geht. Dabei spielen sowohl die Wünsche der Verbraucher nach
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mehr Anpassung und Individualisierung als auch das Bewusstsein für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen und für mögliche Auswirkungen auf die Umwelt eine wichtige Rolle. Auf den ersten Blick mag dieser Anspruch nach mehr Personalisierung bei gleichzeitiger Optimierung des Verbrauchs von
Energie, Wasser und anderen Ressourcen widersprüchlich und unvereinbar erscheinen. Philipp Wallner, Industry Manager – Industrial Automation & Machinery, MathWorks, zeigt fünf Möglichkeiten, wie dieser Spagat trotzdem gelingt: 1. Flexible Produktion Seit einigen Jahren diskutiert die Automatisierungsindustrie die Vision
Software & Hardware
von «sample size one»: Wie können Produktionsanlagen Einzelstücke fertigen, ohne lange umzurüsten oder ineffizient zu werden? Mit den Möglichkeiten der Industrie 4.0 wird es nicht mehr lange dauern, bis diese Vision Wirklichkeit wird und eine umfassende Individualisierung in der Produktion ermöglicht. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, dürfen Maschinen in der Fertigung nicht mehr nur starr und unflexibel eingesetzt werden. Bisher werden sie meist nur für ein bestimmtes Produkt in Betrieb genommen, parametrisiert und abgestimmt, das dann über Monate oder sogar Jahre hinweg immer wieder hergestellt wird. Die Produktionslinien von morgen müssen flexibel sein – aufgebaut aus mehreren mechatronischen Modulen, die leicht umgestaltet und rekombiniert werden können, mit immer mehr Robotern oder «Cobots» – sprich: kollaborative Roboter, die Hand in Hand mit Menschen arbeiten. Zusätzlich sollte eine KI eingebunden sein, die die Maschinen für das nächste – individualisierte – Produkt, das hergestellt werden soll, parametrisiert und einstellt. 2. Virtuelle Inbetriebnahme Da die Komplexität von Software immer weiter zunimmt und die Anzahl möglicher Kombinationen von modularisierten Softwarekomponenten steigt, werden umfassende Tests auf der physischen Maschine immer schwieriger und zeitaufwendiger und irgendwann unmöglich. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, die virtuelle Inbetriebnahme der Software durchzuführen, um die Fehlerfreiheit zu überprüfen. Ausserdem kann auf Grundlage von Simulationsmodellen validiert werden, ob die Anforderungen erfüllt werden, bevor die physische Produktionsanlage überhaupt in Betrieb ist. Innovationsführer wie Krones, der weltweit führende Hersteller von Flaschenabfüllanlagen, setzen bereits heute Simulationsmodelle für die virtuelle Inbetriebnahme ein. 3. Branchenweite Standards Da Maschinen und Module im Werk dynamisch umgestellt werden, ist es wichtig, die Vernetzung sicherzustellen. Standardisierte Protokolle wie OPC UA TSN werden eine Schlüsselrolle dabei spielen, dass Geräte verschiedener Hersteller reibungslos
Cobots sollen in Zukunft die Fabrikarbeiter noch mehr unterstützen.
zusammenarbeiten. Sperrige Kabel werden verschwinden und durch drahtlose Protokolle wie 5G und seine Nachfolger ersetzt. Aber Maschinen werden nicht nur miteinander verbunden, sondern auch mit Cloud-Systemen, in denen flexible Rechenleistung zur Verfügung steht, um leistungsfähige Algorithmen auf Business- und Engineering-Daten anzuwenden. 4. Edge Computing hilft bei Entwicklung Die rasant steigende Rechenleistung von Industriesteuerungen und Edge-Computern sowie der Einsatz von Cloud-Systemen ebnen den Weg für eine neue Dimension der Softwarefunktionalität auf Produktionssystemen. KI-basierte Algorithmen optimieren dynamisch den Durchsatz der gesamten Produktionslinie und minimieren den Verbrauch von Energie und anderen Ressourcen. Die vorausschauende Wartung – Predictive Maintenance – wird sich weiterentwickeln und Daten nicht nur von einer Maschine oder einem Standort, sondern auch von mehreren Fabriken und Geräten verschiedener Hersteller berücksich- tigen. Je nach Anforderung werden die Algorithmen sowohl auf Nicht-Echtzeitplattformen als auch auf Echtzeitsystemen wie SPSen eingesetzt, wie Beckhoff kürzlich auf der Hannover Messe in Deutschland gezeigt hat.
5. Mehr Möglichkeiten für Ingenieure Den grössten Einfluss werden jedoch die Menschen haben, die in der Fabrik der Zukunft arbeiten. Indem sie Technologien und Tools von Unternehmen wie MathWorks einsetzen, werden mehr Ingenieure und Wissenschaftler, nicht nur Data Scientists, an KI arbeiten. Die Fabrik der Zukunft braucht Ingenieure, die in der Lage sind, Modelle zu implementieren, mit grossen Datensätzen umzugehen und die entsprechenden Entwicklungswerkzeuge zu bedienen, um den oben genannten Trends gerecht zu werden. Deshalb müssen Unternehmen, die Industrieanlagen bauen und betreiben, ihre Stellenausschreibungen ändern und qualifizierte Ingenieure mit einem ganz anderen Profil als bisher einstellen, um für eine Zukunft gerüstet zu sein, in der Industrie 4.0 nur der Anfang ist.
Philipp Wallner ist Industry Manager – Industrial Automation & Machinery bei MathWorks. www.mathworks.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 81
Software & Hardware
Bezahlbares Wohnen erfordert weniger Technik.
Weniger ist mehr Warum Enttechnisierung das Gebot für günstiges Wohnen ist von Petra Sonntag
Der Häuserbau wird immer technischer. Immer mehr, mal mehr, mal weniger sinnvolle Spielereien werden in die eigenen vier Wänden eingebaut. Doch ist dies alles nötig? Und hebt das nicht auch die Kosten? Den Verbrauch?
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er heute Häuser baut, liefert den künftigen Bewohnern mehr als ein Dach über dem Kopf. Tatsächlich sind Wohnhäuser mittlerweile regelrechte Technikzentren, die für Komfort und Klimaschutz gleichermassen sorgen sollen. Im Neubau dominiert dabei die Wärmetechnik: In Einfamilienhäusern sorgen Wärmepumpe, Fussbodenheizung, Heizkreisverteilungen, Pumpen, Regler, die mit Wettervorhersage arbeiten, Warmwasserboiler und Warmwasserzirkulationen für teuren Komfort. Diese Technik schlägt beim Bau mit etwa 30’000 bis 35’000 Euro Kosten zu Buche, die Energiekosten für
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Heizung und Warmwasser liegen im Betrieb später in einem Einfamilienhaus bei ungefähr 800 Euro jährlich. Tendenz: stark sinkend. Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis mehr. Vom Keller bis zum Dachboden ist Technik der Taktgeber unseres Wohnalltags geworden – ob wir sie wirklich brauchen oder nicht. Die immer besser gedämmten Gebäudehüllen beim Neubau bei immer milderen Wintern führen nämlich dazu, dass kontinuierlich weniger Heizwärme benötigt wird. Mit anderen Worten: Das Heizen verliert beim Wohnen an Bedeutung, das Kühlen hingegen wird wichtiger. Doch eine Kilowattstunde zur
Forscht an der Zukunft: Timo Leukefeld.
Software & Hardware
Kälteerzeugung ist drei Mal teurer als zur Wärmeerzeugung. «Wir stopfen die Häuser heute voll mit Technik, um den Energieverbrauch und damit die Betriebskosten zu senken», sagt Timo Leukefeld, DiplomIngenieur, Unternehmer, Keynote Speaker und Honorarprofessor für das Thema Energieautarke Gebäude in Freiberg und Glauchau. «Die hoch gedämmten Gebäude benötigen kontrollierte Be- und Entlüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung. Hinzu kommt eine komplexe Gebäudeautomatisation, die durch smartes Wohnen weiter fortschreitet. Doch diese Technik ist nicht nur komfortabel, sondern auch kostenintensiv. Die dritte Miete für Kosten und Instandhaltung der Technik zeichnet sich deutlich am Horizont ab.»
Kosten für dritte Miete übersteigen Energiekosten Fakt ist: Bereits die erste Miete, bekannt als Kaltmiete, ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Bereits heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in Städten. Bis 2050 werden es voraussichtlich zwei Drittel sein. Das treibt nicht nur den Bedarf an Wohnraum in die Höhe, sondern auch die klimaschädliche Kohlendioxidproduktion. Denn obwohl Städte weltweit nur drei Prozent der Erdoberfläche einnehmen, werden von ihnen mehr als 70 Prozent der Energie verbraucht. Das macht umweltfreundliches Leben im urbanen Umfeld zwingend erforderlich. Schon jetzt können viele Städte den Bedarf an kostengünstigem umweltfreundlichem Wohnen und finanzierbaren Mieten nicht mehr decken. Auch die zweite Miete, hinter der sich unter anderem die Energiekosten verbergen, steigt. Sie hängt von der Entwicklung der Strom-, Gasund Ölpreise ab. Angesichts teils schwindender Ressourcen ist hier ein weiterer Anstieg der Kosten zu erwarten. Oberstes Ziel der Gesetzgebung ist daher, den Energiebedarf der Haushalte zu minimieren. Die Energieeinsparverordnung und das regenerative Wärmegesetz sollen dabei helfen. Doch mit den verschiedenen anwendbaren Verfahren hält weitere Technik Einzug ins Gebäude – und damit kommt die dritte Miete ins Spiel: die Kosten für Wartung und Instandhaltung dieser Technik. «Die Kosten für die dritte Miete werden künftig die eingesparten Energiekosten bei Weitem übertreffen. Es kommt zu einem starken Rebound-Effekt», sagt Leukefeld, der Politik, Wirtschaft, Kommunen und Bauherren in Fragen der Zukunftsgestaltung mit Blick auf Energie und Ressourcen berät.
Im urbanen Umfeld ist umweltbewusst leben sinnvoller.
Einfachere, solidere und weniger Technik Die Gebäudetechnik ist heute einer der grössten Kostentreiber beim Neubau. Der stark zunehmende Handwerkermangel und mangelnde Innovation bei den einzelnen Gewerken verschärfen die Situation für Hausbesitzer noch, wenn es um Wartung und Instandhaltung geht. Gleichzeitig ist die Haustechnik immer weniger langlebig. Die Sollbruchstellen in den technischen Systemen nehmen zu. Das steigert die Kosten für Reparatur und Erneuerung. Für Leukefeld ergibt sich daraus eine klare Handlungsanweisung: «Wir brauchen beim Bauen einfachere, solidere und weniger Technik. Bezahlbares Wohnen erfordert weniger Technik.» Für den Energiebotschafter der Bundesregierung, der sich auch als Mitglied des Sächsischen Innovationsbeirates sowie der Enquete Kommission «Strategien für eine zukunftsorientierte Technologieund Innovationspolitik im Freistaat Sachsen» engagiert, liegt in der Enttechnisierung der Schlüssel zu günstigem Wohnraum. Starke Worte aus dem Munde eines Vollbluttechnikers: Als Ingenieur und Handwerker hat Timo Leukefeld selbst viel Technik im Hausbau geplant und eingebaut. Mit der Entwicklung energieautarker Gebäude und neuer Geschäftsmodelle zur Nutzung dieser Gebäude leistete der Freiberger bereits Pionierarbeit auf dem Sektor der Wohnungswirtschaft. So lässt sein Energiekonzept es auch bei Mehrfamilienhäusern zu, Pauschalmieten inklusive einer Energie-Flatrate zu kalkulieren. Für Mieter bedeutet das eine Miete, die ihnen über einen Zeitraum
von zehn Jahren zum Fixpreis Wohnen, Wärme, Strom und E-Mobilität garantiert. Mit seiner anachronistisch anmutenden Forderung nach weniger und einfacherer Technik beschreitet er erneut unerschlossenes Terrain. Derzeit forscht er am «enttechnisierten» Haus. Bereits 2020 will Timo Leukefeld mit seinem Pilotprojekt eines weitgehend enttechnisierten Mehrfamilienhauses auf den Markt gehen. Mit mehr als 50 Prozent Energieautarkie wird es nicht nur kostengünstiges Wohnen mit Pauschalmiete und Energieflat bieten, sondern auch wartungsfrei sein. Der Pionier ist sich sicher: «Wir müssen den Mut haben, neu zu denken. Disruption heisst die Unterbrechung des Gewohnten und Neuausrichtung. Wir müssen uns trauen, viel beschworene Techniken infrage zu stellen. Manchmal ist weniger mehr – zum Beispiel beim Erschaffen von bezahlbarem und dennoch klimafreundlichem Wohnraum.» Zeit zur Zäsur.
Petra Sonntag ist freie Journalistin bei Das Wort von Sonntag. www.timoleukefeld.de www.autarkie.team www.das-wort-von-sonntag.de
Ausgabe 1/2020 // Seite 83
Software & Hardware
Mit dem neuen, von HPE lancierten Label sollen umweltfreundliche Rechenzentren ausgezeichnet werden.
Paradigmenwechsel in der IT Schweizer Allianz will Rechenzentren dekarbonisieren von Monica Gille
Hewlett Packard Enterprise lanciert mit Vertretern aus Industrie und Wissenschaft ein neuartiges Label für effiziente Rechenzentren. Ziel ist die Dekarbonisierung und die Senkung des Stromverbrauchs von Rechenzentren. Die vom Bundesamt für Energie im Rahmen des Programms SwissEnergy geförderte Allianz strebt die schweizweite und internationale Einführung an.
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ine Gruppe von Vertretern aus Wissenschaft und Industrie stellte am Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums das «Swiss Data Center Efficiency Label» vor mit dem Ziel, die Schweizer Rechenzentren zu dekarbonisieren und deren Gesamtstromverbrauch signifikant zu senken. Die vom Industrieverband digitalswitzerland und Hewlett Packard Enterprise (HPE) Schweiz initiierte Allianz hat den Verband Swiss Datacenter Efficiency Association (SDEA) gegründet, der für die Vergabe des Labels und die vorangehenden Prüfungen zuständig ist. Gründungsmitglieder des SDEA sind die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL), Green IT Switzerland, HPE, die Hochschule Luzern (HSLU), die Swiss Data Center Association (Vigiswiss) und der Schweizerische Verband
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der Telekommunikation (ASUT). Das Bundesamt für Energie fördert die Initiative im Rahmen des Programms SwissEnergy. Zehn Pilotanwender, darunter weltweit renommierte Marken, haben neue Technologien und Verfahren zur Steigerung ihrer Energieeffizienz eingeführt, um die Kriterien des neuen Labels erfüllen zu können. Dabei wurden bis zu 70 Prozent Strom eingespart, und fünf der Anwender beziehen bereits vollständig CO2-neutral erzeugten Strom. Der Kanton Genf plant, wesentliche Anforderungen des Labels in die nächste Fassung seines Energieeffizienz-Gesetzes aufzunehmen, um sie zu Voraussetzungen für den Neubau von Rechenzentren zu machen. Das Ziel ist nicht nur die schweizweite Einführung: Das Label soll auch der
Europäischen Kommission und den Vereinten Nationen vorgestellt werden, damit das Schweizer Modell schliesslich weltweit adaptiert wird.
Alle Aspekte berücksichtigen «CO2-neutrale Stromquellen und energieeffiziente digitale Technologien sind bereits verfügbar; für ihre umfassende Einführung braucht es aber geeignete Methoden, das Engagement der Industrie und die politische Umsetzung», sagt Benoit Revaz vom Bundesamt für Energie. «Wir begrüssen Projekte wie das Swiss Data Center Efficiency Label, die dazu beitragen können, die negativen Auswirkungen einer der digitalen Grundpfeiler unserer Gesellschaft zu verringern. Wir ermuntern und unterstützen
Software & Hardware
Unternehmen und andere Nationen weltweit dabei, ähnliche Initiativen umzusetzen.» Rechenzentren machen heute ein Prozent des weltweiten Gesamtstromverbrauchs aus.1 An beliebten Hosting-Standorten wie der Schweiz ist der Anteil jedoch wesentlich höher: Im Jahr 2015 entfielen geschätzte 2.8 Prozent des gesamtschweizerischen Stromverbrauchs auf Rechenzentren.2 Angesichts der exponentiellen Zunahme der Datenvolumen und des Datenverkehrs in den nächsten Jahren3 braucht es neue Verfahren für die Messung und das Management der Effizienz von Rechenzentren, damit die CO2-Emissionen und der Stromverbrauch signifikant sinken können. «Die heutigen Methoden betrachten isolierte Aspekte der Nachhaltigkeit und der Effizienz von Rechenzentren. Sie erfassen nicht den gesamten Fussabdruck bezüglich CO2-Emissionen und Stromverbrauch», sagt Christopher Wellise, Chief Sustainability Officer bei HPE. «Das Swiss Data Center Efficiency Label verfolgt dagegen einen ganzheitlichen Ansatz, indem es alle Aspekte des Stromverbrauchs und der Stromversorgung sowie die Weiterverwertung der Energie berücksichtigt. Es ermöglicht damit Betreibern von Rechenzentren, Industrieverbänden und Regierungen, die tatsächliche Auswirkung der digitalen Infrastrukturen auf das Klima zu messen und zu kontrollieren.»
Das Label mit dem «Plus» Mit dem Swiss Data Center Efficiency Label werden Schweizer Rechenzentren und deren IT-Infrastrukturen für herausragende Energieeffizienz und Umweltverträglichkeit ausgezeichnet. Dabei werden drei Hauptkriterien berücksichtigt. Die Vergabekriterien für die Infrastruktur der Rechenzentren beziehen sich auf die gesamten Energieströme, sowohl Aufnahme als auch Abgabe. Dabei wird auch berücksichtigt, ob und wie die Energieabgabe weiter genutzt wird – etwa die Abwärme zur Beheizung anderer Gebäude. Die Vergabekriterien für die IT-Infrastruktur beziehen sich auf die Energieeffizienz der eingesetzten IT-Technologien und ihre Auslastung. Je nachdem, welche Effizienzkriterien sie in welcher Weise erfüllen, können die Rechenzentren mit einem Label in Gold, Silber oder Bronze ausgezeichnet werden. Werden zudem noch die Umweltverträglichkeitskriterien im Zusammenhang mit dem CO2-Fussabdruck erfüllt, erhält das jeweilige Label ein «Plus»-Zeichen. Die Vergabekriterien sollen kontinuierlich an die sich schnell wandelnden Informations- und Kommunikationstechnologien und die hohe Innovationsrate der ICT-Branche angepasst werden. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der ausserhalb von Rechenzentren rasant wachsenden ICT-Infrastruktur. Diese wird benötigt, um
dezentral – in Produktionsstätten, Fahrzeugen oder öffentlichen Einrichtungen – anfallende, riesige Datenmengen in Echtzeit zu verarbeiten. Nach Gartner wurden 2018 rund zehn Prozent der von Unternehmen generierten Daten ausserhalb der herkömmlichen (zentralen) Rechenzentren oder der Cloud produziert und verarbeitet. Laut Gartner wird dieser Anteil bis 2025 auf 75 Prozent ansteigen.4 Daher soll das Swiss Data Center Efficiency Label in Zukunft auch solche dezentralen «Edge»-ICT-Infrastrukturen berücksichtigen, damit der Stromund der CO2-Fussabdruck der digitalen Infrastrukturen ganzheitlich eingeschätzt und kontrolliert werden kann. «Wir erleben gerade einen Paradigmenwechsel in der IT-Technologie. Die herkömmliche Siliziumtechnik, die sich in den vergangenen 50 Jahren durch eine Verdopplung der Chip-Packungsdichte alle zwei Jahre auszeichnete, stösst an ihre physikalischen Grenzen», sagt Babak Falsafi, Professor an der Fakultät für Computer und Kommunikationswissenschaften der EPFL und Gründungsdirektor von EcoCloud, einer Fachgruppe aus Industrievertretern und Wissenschaftlern der EPFL. «Folglich kann die IT-Leistung künftig nur durch den Ausbau der Infrastruktur nachhaltig wachsen, einschliesslich dezentraler Rechenzentren nahe an den Datenquellen am Edge. Das neue Label kommt daher genau zur rechten Zeit, um die Betreiber bei der Errichtung nachhaltiger IT-Strukturen zu unterstützen.» Anmerkungen Koronen, C., Åhman, M. & Nilsson, L.J. Energy Efficiency 2019) Schweizerischer Bundesrat, DETEC, Bundesamt für Energie, Rechenzentren: Energieeinsparungen sind möglich (2015) Auf 33 Zettabytes im Jahr 2018 geschätzt; laut IDC-Bericht soll das weltweite Datenvolumen bis 2025 auf 175 Zettabytes anwachsen; siehe IDC Whitepaper: «The Digitization of the World From Edge to Core;» gesponsert von Seagate (2018) 4) Gartner, What Edge Computing Means for Infrastructure and Operations Leaders (2018) 1) 2) 3)
Monica Gille ist Sales Director bei Hewlett Packard Enterprise Schweiz. Der Paradigmenwechsel – weg vom Kohlenstoff – kommt der Natur zugute.
www.sdea.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 85
Software & Hardware
Ein Zusammenschluss von Software-Herstellern bringt nicht nur Vorteile mit sich.
Alle unter einem Dach Disruption im Markt für Unternehmenssoftware von Matthias Weber
Immer mehr Software-Hersteller schliessen sich zu regelrechten Powerhouses zusammen. Erst kürzlich haben drei Hersteller fusioniert. Welches sind die Auswirkungen auf den Markt und was ändert sich für Anwender und Anbieter?
D
er Markt wird primär von SoftwareHersteller und Software-Anbieter dominiert. Hersteller sind primär Unternehmen, die eine Unternehmenssoftware programmiert haben und auf dem Markt anbieten. Der Vertriebsweg kann direkt oder indirekt sein. Beim direkten Vertriebsweg kauft der Interessent direkt beim Hersteller. Beim indirekten Weg kommen die Anbieter ins Spiel. Sie sind meist Vertriebspartner des Herstellers und übernehmen die Marktbearbeitung. Diese Trennung weicht zunehmend auf.
Weiteres ERP-Powerhouse Jüngst wurde mitgeteilt, dass die drei mittelständischen ERP-Anbieter Step Ahead Software GmbH (ehemals Step Ahead AG), Godesys und Informing zur Step Ahead Group fusioniert sind und die Beteiligungsgesellschaft Elvaston als Investor
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mit eingestiegen ist. Was hier passiert ist, wird sich in der nächsten Zeit noch öfters wiederholen. Der Zusammenschluss ist strategisch gesehen smart. Die Step Ahead wurde 1999 gegründet und fokussierte sich auf den Mittelstand. Als Vertriebskanal wurde ursprünglich auf ein Partnernetzwerk gesetzt. In den letzten Jahren wurde einige Partner übernommen, in die Step Ahead integriert und eine direkte Vertriebsstrategie verfolgt. Nach der aktuellen Fusion wird nun an einem PartnerModel gearbeitet. Ziel-Kunden der Step Ahead sind Dienstleister, IT-Unternehmen und der technische Grosshandel. godesys wurde 1992 von Godelef Kühl in Mainz gegründet. Seit seiner Gründung ist das Unternehmen kontinuierlich gewachsen und hat sich zwischen all den grossen,
mittleren und auch kleineren Playern einen soliden und festen Platz im Markt geschaffen. Das Unternehmen möchte vor allem Anwendern ein «ERP für kundenorientierte Unternehmen» liefern. Informing unterstützt und begleitet seit 1987 Unternehmen bei Prozessoptimierung und Digitalisierung. Das Unternehmen bietet im Direktgeschäft die BetriebswirtschaftSoftware IN:ERP und individuell IT-Dienstleistungen an. Der aktuelle Fokus liegt im Moment auf ERP für Produktionsbetriebe.
Synergien entstehen lassen Mit dem Zusammenschluss kommen nicht nur 1 800 Kunden mit 65 000 Usern unter ein GmbH-Dach, sondern die Möglichkeit einer breiteren Marktbearbeitung. Im ersten Schritt ist natürlich geplant, die Marken eigenständig am Markt agieren zu lassen.
Software & Hardware
Synergie-Effekte werden aber erst entstehen, wenn die Produkte zusammenwachsen oder auf einer gemeinsamen Basis weiterentwickelt werden. Ähnliche Experimente gibt es bereits auf dem Markt. Ein sichtbarer Effekt ist bereits, dass die neue Step Ahead Group aktiver in mehreren Branchen als bisher sein kann. Die Präsenz mit jetzt insgesamt 15 Standorten im DACH-Raum wird im Vertrieb helfen. Weitere Optimierungen werden die nächsten Jahre kommen.
Konsequenzen für den Markt Damit geht ein zunehmend rauerer Wind am Markt. In der Vergangenheit wurde oft auf einen Partner-Vertrieb gesetzt – so konnte ein kundennaher Service über den Anbieter gewährleistet werden. Die starke Präsenz mit mehr Standorten, aber auch die Cloud verändert die Spielregel. Durch die neue Technologie rücken die Hersteller selbst näher an die Kunden. Sie können dank der digitalen Nähe über das Internet ihre Produkte einfacher selbst vertreiben. Einige Hersteller kappen so ihr Partner-Modell und betreuen aufgrund der Cloud die Kunden mittlerweile selbst. Anbieter sehen sich zunehmend gegenüber den Herstellern in Konkurrenz und müssen um ihre Relevanz als Marktteilnehmer bangen. Gerade Systemhäuser müssen sich hier neu aufstellen. Marktteilnehmer fühlen sich im EAS-Markt sicher. Doch solche Hersteller-Zusammenschlüsse wie Step Ahead, Godesys und Informing oder auch IFS mit Acumatica werden den Mitbewerb weiter zum Handeln zwingen.
Und wo bleiben die Anbieter? Voraussichtlich werden sie die absoluten Verlierer der Disruption im EAS-Markt werden. Hersteller kaufen jetzt schon ihre Partner, um ihr Angebot vertikal zu erweitern und so als Full-IT-Service-Provider auftreten zu können. Grosse Systemhäuser halten dagegen, schliessen sich zusammen, kaufen sich gegenseitig auf, um ein wenig Macht gegenüber ihren Lieferanten zu behalten. Gerade kleine Anbieter werden verschwinden, wenn sie nicht in Wachstum investieren. Aber auch die grossen Anbieter werden gegenseitig mehr in Konkurrenz treten, und dann kommen noch die Hersteller, die auch mehr vom Kuchen haben wollen.
Neue Entscheider, neue Kunden Die gute Nachricht: Die Disruption im EASMarkt wird kommen! Die schlechte Nachricht: Die Disruption wird kommen und einiges auf den Kopf stellen. Und nicht alle werden die Veränderungen überleben. Dies macht aber Platz für neue Hersteller und Anbieter, die sich auf die neuen Entscheider in den Unternehmen einstellen, die Generation Y. Diese Generation wird Firmen übernehmen oder neue Unternehmen gründen und damit frischen Wind in die Geschäftswelt bringen und die Disruption vorantreiben. Auf was man aufgrund der aktuellen Marktbewegungen bei der Software-Auswahl achten sollte, gibt es in dieser Checkliste (siehe Box).
Worauf achten? Die Auswahl einer neuer Unternehmenssoftware ist ein oft gescheuter Prozess. Auf diese drei Punkte sollten Sie bei der Auswahl von Software und Anbieter achten: 1. Software mit moderner Architektur und Schnittstellen Um für die Zukunft gewappnet zu sein, muss die neue Software auf einer modernen Software-Architektur basieren, die eine flexible Anbindung von Fremdsystemen ermöglicht. Als Non-ITler ist das schwierig zu prüfen, daher fragen Sie aktiv nach den Möglichkeiten einer Anbindung und welche Systeme bereits erfolgreich angebunden wurden. 2. Anbieter mit Branchen-Expertise Der Erfolg einer Software-Einführung hängt nicht nur an der Software selbst. Fehlende Expertise des Einführungspartners hat schon viele Projekte scheitern lassen. Prüfen Sie, wie in einem Bewerbungsgespräch, Ihre Ansprechpartner auf deren Expertise. So stellen Sie sicher, dass während der Einführung das notwendige Know-how auf der Gegenseite besteht. 3. Zukunftsplan des Software- Herstellers Ein Software-Hersteller ohne Vision wird es in der Zukunft schwer haben mit Ihrer Unternehmensentwicklung mitzuhalten. Fragen Sie den Software-Lieferanten aktiv nach der Roadmap des Produktes und des Unternehmens. Prüfen Sie, ob Ihre Ziele in der gleichen Richtung liegen, nur dann haben Sie den richtigen Partner gefunden, der Sie lange begleiten kann.
Matthias Weber ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens mwbsc GmbH. Es sind Massnahmen nötig, um im Markt fit zu bleiben.
www.mwbsc.de
Ausgabe 1/2020 // Seite 87
marcom
Lieber früher als später Schwierige Übergabe gestalten von Oliver Aschwanden
Das Nachfolgethema ist in vielen Unternehmen eine zentrale Herausforderung. Bei der Unternehmensreglung begleitet und unterstützt ein verlässlicher Partner die Nachfolge-Projekte. und Führung des Unternehmens unterschieden werden. >>Wahl zwei: Das Unternehmen wird extern verkauft. Dazu sollten strategische Investoren oder seriöse Finanzinvestoren zur Wahl stehen. Ein wesentlicher Schritt bei der Unternehmensnachfolge ist es, damit «zu beginnen». So lapidar das tönt. Hier müssen Fragen beantwortet sein wie: Was ist meine Lebensplanung? Zu welchem Zeitpunkt möchte ich aussteigen? Möchte ich Schritt für Schritt aussteigen oder ziehe ich einen harten Schnitt vor? Was sind die Exit- und Nachfolgeoptionen, welche Optionen favorisiere ich?
Der «unsichtbare» Dritte Die Regelung einer Nachfolge kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.
B
ei der Unternehmensnachfolge verhält es sich wie mit guten Vorsätzen. Eigentlich müsste die Ernährung geändert werden, dann braucht es mehr Sport, oder eben auch mehr Zeit für die Nachfolge im Familienunternehmen einzuplanen. Gute Vorsätze genügen kaum, es braucht Engagement. Unternehmensnachfolge birgt Emotion. Wer sich mit der eigenen Nachfolge oder Veränderungen im Unternehmen auseinandersetzt, befasst sich mit der Endlichkeit. Dies soll idealerweise zu einem Zeitpunkt geschehen, in dessen Rahmen es einem gesundheitlich gut geht und sich das Bedürfnis der Nachfolge noch gar nicht stellt.
Familie nicht die beste Lösung Viele Nachfolge-Ideen und -Pläne verlaufen im Sand, weil emotionale Komponenten im Wege stehen. Hinzu kommen Enttäuschungen. Diese entstehen, wenn die eigenen Kinder entweder nicht ins elterliche Unternehmen eintreten wollen oder erkannt wird, dass sich diese für unternehmerische Aufgaben nicht eignen.
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Auch wenn Kinder mit «sanftem» Druck in die Nachfolge begleitet werden, entscheiden Lebensumstände, Interesse und deren Wille, ob eine interne Familienregelung erfolgreich wird. Gerade in der heutigen Verwirklichungszeit kann solch eine Strategie schiefgehen. Unternehmer sehen sich dann bestätigt: Hätte man doch früher die verschiedenen Varianten analysiert und ehrlich beurteilt. Die Zweitmeinung von Freunden ist nicht wirklich hilfreich. Aussenstehende Dritte einzubeziehen braucht Mut!
Wahl eins und zwei Die rechtzeitige Regelung der Nachfolge in Familienunternehmen ist Bestandteil der Unternehmens- und Lebensplanung und wesentliche Voraussetzung für das erfolgreiche Weiterbestehen und die Prosperität. Wenn man die Liquidation ausschliesst, ergeben sich zwei Szenarien mit Wahlmöglichkeiten: >>Wahl eins: Ein Familienmitglied, ein Führungsmitglied oder ein Dritter von aussen treten die Nachfolge an. Es muss zwischen Anteilsübertragung
Es empfiehlt sich einen externen Dritten des Vertrauens zu Rate zu ziehen. Jemand, der bereits Erfahrung in diesem Prozess hat und nicht nur Zahlen kennt. So kann zum Beispiel ein Werkzeug wie Fit4Sale (www.fit4sale.ch) gute und strukturierte Dienste leisten. Es müssen aber die richtigen Fragen gestellt, transparent analysiert und ehrlich beantwortet werden. Dabei geht es zunächst um die persönliche Bereitschaft und erst danach um die Eckpunkte der Unternehmung. Rechtliche und steuerliche Fragen können nach diesem Prozess mit Spezialisten in Betracht gezogen werden. Diese müssen nämlich hinter den persönlichen Fragen anstehen.
Oliver Aschwanden ist Geschäftsinhaber bei KMU Beratungen. www.kmu-beratungen.ch
marcom
Digitalisiert – ja oder nein? Back-End-Prozesse werden meist noch manuell abgearbeitet von Jochen Adler
Eine Studie von AIIM in Kooperation mit OpenText zeigt, wie es um die Prozessautomatisierung in Unternehmen steht. Und dabei wird deutlich: Es gibt noch Luft nach oben. dicht gefolgt von der Logistik mit 34 Prozent. Auf Platz drei mit 30 Prozent liegt das Dokumentenmanagement.
Warum umstellen?
Ordnung ins Chaos bringen: Das ist Priorität Nummer eins bei der Prozessautomatisierung.
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assend zum Jahresende lieferte die Studie «You’re Working TOO Hard – Using Intelligent Automation to Save Time, Money, and Effort» neben den jüngsten Zahlen auch neue Gründe für Unternehmen, die digitale Transformation weiter voranzutreiben. Der Report betont ausserdem die entscheidende Bedeutung der Automatisierung von Back-End-Prozessen zur Unterstützung der digitalen Transformation.
Unternehmen scheitern am Datenchaos Fast 80 Prozent der Unternehmen haben mittlerweile erkannt, dass sie ihr komplettes Business digitalisieren müssen, um am Markt bestehen zu können. Noch immer sind jedoch über 60 Prozent der Informationen in einem Unternehmen unstrukturiert, was zum Scheitern vieler Prozesse – in 50 Prozent der Fälle – führt. Es wird erwartet, dass sich die Datenflut allein in den nächsten zwei Jahren vervierfachen wird. Die unüberschaubare Menge an Informationen führt dazu, dass Unternehmen Probleme dabei haben, Content in einen relevanten Kontext zu bringen. Immerhin 75 Prozent der Befragten gaben dies als eines der drängendsten Probleme an. Wenn es bei Big-Data-Projekten um Aspekte wie Geschwindigkeit, Masse und Vielfalt geht, fühlen sie sich überfordert. Hier bietet die Prozessautomatisierung klare Vorteile.
Aktuelle Lage Viele Unternehmen realisieren, dass sie mit dem Automatisierungsgrad interner Prozesse noch weit hinterherhinken. Zwei Drittel der Unternehmen behaupten, dass weniger als 50 Prozent ihrer Back-EndProzesse automatisiert sind. In Low-Performing-Unternehmen sind es sogar mehr als 75 Prozent aller Back-Office-Prozesse, die noch komplett manuell und weit von einer Automatisierung entfernt sind. Die Hauptgründe liegen hier in der Verarbeitung jeglicher Informationen. Alleine die Umwandlung von unstrukturierten Inhalten in strukturierte Daten ist für 74 Prozent ein grosses Problem. 72 Prozent der Befragten sehen es zudem als schwierige Herausforderung an, ERP- und RCMProgramme in die Prozesse zu integrieren. Zwei von drei Unternehmen beklagen sogar, dass die Dokumente selbst die grössten Probleme für RPA bieten. Hier gibt es mittlerweile jedoch Lösungen auf dem Markt, die Ordnung und Struktur in alle Dokumente bringen. Natürlich kann nicht von heute auf morgen ein gesamtes Unternehmen automatisiert werden. Deswegen nehmen Unternehmen eine Priorisierung vor: Finance, Accounting und Rechnungsbearbeitung liegen mit 35 Prozent auf dem ersten Platz,
Traditionell sind Kostenreduzierung und Effizienzsteigerung die Gründe für eine Prozessautomatisierung. Mittlerweile gibt es jedoch eine Menge anderer Faktoren, die IT-Entscheider über eine Automatisierung nachdenken lassen: Knapp mehr als die Hälfte der Befragten, 53 Prozent, sehen die Verbesserung der Datenqualität auf Platz eins. 51Prozent empfinden die Reduzierung manueller Fehler als ausschlaggebenden Punkt. Und die Verbesserung des Customer-Services liegt mit 43 Prozent auf Platz drei. Mögen die Herausforderungen noch so unbestreitbar klingen, durch digitale Prozessautomatisierung wird die Verknüpfung und Integration von Informationen innerhalb des Unternehmens erleichtert und ein kundenorientierter Ansatz ermöglicht. Unternehmen müssen sich über ihren Digitalisierungsgrad bewusst werden und diesen proaktiv vorantreiben. Nur so kann das gesamte Potenzial der Prozessautomatisierung ausgeschöpft werden, um eine Umsatz- sowie Gewinnsteigerung zu erzielen.
Jochen Adler ist verantwortlich für das Partnergeschäft bei OpenText in Deutschland, Österreich und der Schweiz. www.opentext.de
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marcom
Einsame Inseln werden 2020 in Sachen Teamwork an Bedeutung verlieren.
Niemand ist eine Insel Trends in der Zusammenarbeit 2020 von Ulrike Stahl
«Niemand ist eine Insel, in sich ganz; jeder Mensch ist ein Stück des Kontinents, ein Teil des Festlandes.» Was der englische Schriftsteller und Dichter John Donne bereits Anfang des 17. Jahrhunderts so bildhaft beschrieben hat, trifft auf das 21. Jahrhundert umso mehr zu: Niemand ist eine Insel! Kein Mensch, kein Unternehmen, keine Nation ist in sich ganz, sondern immer ein Teil von etwas Grösserem.
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amilie oder Verein, Schulklasse oder Mannschaft im Sport, Team von Kollegen oder Gruppe von Kunden, Branchenverband oder Unternehmernetzwerk – überall wird durch Zusammenarbeit mehr erreicht als alleine. Das Erfolgsprinzip der Zukunft lautet: sinnvoll kooperieren statt sinnlos konkurrieren. Folgende Trends zeichnen sich dabei für 2020 ab.
Selbstverantwortung in Zusammenarbeit Die Zahl der Unternehmen, die hierarchische Zusammenarbeit durch neue projektbezogene Strukturen ersetzen, nimmt zu. Wäh-
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rend IT-Unternehmen zahlenmässig hier an der Spitze stehen, gibt es diese Beispiele auch in anderen Branchen, einschliesslich dem produzierenden Gewerbe. In einigen Unternehmen wird komplett umgestellt, in anderen Abteilungs-bezogen. Das erlaubt, schneller und flexibler auf Veränderungen am Markt reagieren zu können und das Kooperationspotenzial im Unternehmen zu heben. Ein Thema, das uns auf jeden Fall 2020 stärker begleiten wird. Mobiles Arbeiten heisst mehr Freiheit hinsichtlich des Ortes und der Zeit des individuellen Arbeitsbeitrags, was wiederum die
Zusammenarbeit beeinflusst. Hier kommt dem Einzelnen mehr Verantwortung zu, den reibungslosen Ablauf sicherzustellen. Wichtig ist, die mobilen Arbeiter mit den entsprechenden Tools auszustatten, die Zusammenarbeit auf Distanz ermöglichen. Wenn es um Meetings geht, setzen Unternehmen auf mehr Selbstverantwortung. Statt verpflichtender Teilnahme an Meetings wird die Entscheidung dem Mitarbeiter überlassen. Das heisst, wenn der eingeladene Teilnehmer für sich keinen erkennbaren Mehrwert in dem Meeting sieht oder er nicht glaubt, einen sinnvollen Beitrag leisten zu
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können, kann er sich gegen die Teilnahme entscheiden. Oder es wird gar nicht mehr zu Meetings eingeladen, sondern Termine und Inhalte anstehender Meetings veröffentlicht und die Kollegen, die etwas beitragen können, kommen einfach spontan dazu. Aus Pflicht wird Freiwilligkeit, aus Anordnung erwächst ein eigenverantwortlicher Umgang – sowohl mit Themen als auch Zeit – unserer eigenen wie der von anderen Menschen. In diesem Zusammenhang wird sich auch die Diskussion über den Umgang mit Vertrauen und Kontrolle intensivieren.
Mehr Flexibilität Auch die Art und Weise, wie wir uns treffen, ändert sich. Wir erleben mehr spontane Zusammenarbeit, das heisst, ohne vorherige Terminierung. Neue Open-OfficeKonzepte unterstützen das durch Begegnungszonen. Soll es dann doch fokussierter werden, stehen sogenannte Huddle-Rooms zur Verfügung. Als Huddle bezeichnet man, wenn die Spieler einer Football-Mannschaft vor dem nächsten Spielzug die Köpfe zusammenstecken und das weitere Vorgehen besprechen. Entsprechend handelt es sich um kleinere Besprechungsräume, die es Mitarbeitern ermöglichen, sich schnell
und einfach zu treffen. Sie sind mit einem zentralen Tisch ausgestattet – ein Stehtisch erspart die Stühle und meist auch Zeit, weil das Meeting so schneller zum Ende kommt. Ausserdem verfügen sie meist über Flipchart oder Whiteboard und Bildschirm mit Anschluss für das Notebook. Der Einsatz von Kollaborationstools, die es den verteilt sitzenden Teammitgliedern erlauben, sich nahtlos auszutauschen, wird zunehmen. Anstatt vorzugeben, welches Tool benutzt werden muss, geht der Trend zur selbstbestimmten Auswahl aus einem grösseren Angebot durch jedes Team selbst. Dem Einsatz von Video-Technik bei Meetings kommt mehr Bedeutung zu, da die Mitarbeiter von mehr Standorten aus arbeiten. Der zusätzliche Abbau von Geschäftsreisen führt dazu, dass persönliche Treffen noch seltener werden. Gleichwohl ist der visuelle Aspekt der Kommunikation für den Vertrauensaufbau und zur Reduzierung von Missverständnissen äusserst wichtig. Meetings werden interaktiver, das gilt für Präsenz- und Online-Zusammenkünfte. Moderne Tools bieten neue Gestaltungsmöglichkeiten. Eines davon ist das interak-
tive Umfrage-Tool Mentimeter. Es bietet die Möglichkeit einer Stichwortabfrage, die in einer sogenannten Wortwolke ausgewertet wird. Die Teilnehmer antworten dabei über ihre mobilen Endgeräte. Die von Keith McCandless und Henri Lipmanowicz entwickelten Liberating Structures sind ein Methodenset für die gemeinsame Arbeit an Produkten und Organisation. Jede einzelne Methode befähigt, tiefgreifend kollaborativ und effektiv zusammenzuarbeiten.
Grössere Dimension Während der erste Gedanke meist der Eins-zu-eins-Interaktion innerhalb eines Teams gilt, erstreckt sich Zusammenarbeit immer öfter über Teams, Abteilungen und Standorte hinweg. Doch es geht noch weiter: Unternehmen machen ihre Kunden und sogar andere Unternehmen zu Partnern. Das führt zur Suche nach Tools, die koordinierte sichere Interaktionen ausserhalb der Firewall erlauben. Die Popularität von Technologien wie Slack, WhatsApp oder WeChat unterstreicht das. Unternehmen unterstützen ihre Mitarbeiter aktiv dabei, Netzwerke über die Unternehmensgrenzen hinaus aufzubauen.
Arbeiten an verschiedenen Arbeitsplätzen: Die Vernetzung macht’s möglich.
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Auf in die neue Dekade voller Neuheiten in Sachen Teambildung.
Einige grosse deutsche Unternehmen, darunter auch Wettbewerber wie AUDI, BMW, Bosch und Continental, haben ihre Mitarbeiter motiviert, sich unternehmensübergreifend in sogenannten WOL-Circles zu organisieren und gemeinsam ein 12-Wochen-Programm zu durchlaufen. Dabei geht es darum, Beziehungen aufzubauen, die einem dabei helfen können, eine Fähigkeit zu entwickeln und ein neues Thema zu entdecken – und im besten Fall das gesteckte Ziel umzusetzen. Die jeweils vier bis fünf Mitglieder eines solchen Circles unterstützen sich dabei gegenseitig. Auch das wird zunehmen.
Unsere Kollegen die Bots Die Meinungen über Bots reichen von der Sichtweise auf sie als schlechte, lästige Software, die mit Texten und Telefonaten überhäuft, bis hin zu unrealistischen Erwartungen an die Leistungsfähigkeit. Die Realität liegt wohl wie so oft irgendwo dazwischen: Diese teilautonomen Teile der Software können in einem begrenzten Gebiet selbstständig verschiedene Aktionen durchführen. In einigen Bereichen werden sie als Geschenk des Himmels gesehen. Personalvermittler zum Beispiel sparen einen Grossteil der Zeit, weil Bots das erste Kandidatenscreening sowie ein
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Videointerview übernehmen und sogar das erste Gespräch mit dem Personalvermittler einrichten können. Aus diesen und anderen Gründen ist eines der Themen für 2020 die Zusammenarbeit mit Bots oder intelligenten Agenten, da nicht jede Zusammenarbeit nur zwischen Menschen stattfindet. Spätestens seit Johann Mario Simmels Buch kennen viele den eingangs zitierten Spruch «Niemand ist eine Insel» oder die Abwandlungen davon «Keiner ist eine Insel» und «Kein Mensch ist eine Insel». Im Zusammenhang mit unserem Thema der Zusammenarbeit, dem ICH und dem WIR im Business, ist ein Artikel auf ZEIT Online aus dem Jahr 1975 sehr spannend. Dort schreibt der Autor Dieter Hildebrandt: «Aber allen drei deutschen Versionen geht, notwendigerweise, das geniale Wortspiel ab, mit dem das Thema des Gedichts pointiert wird: Denn im Englisch des John Donne schreibt sich das Wort ‹Island› – das unserem ‹Eiland› entspricht – noch nicht mit ‹s›, sondern ‹iland›. Und damit bekommt das alte Wort und Bild, das es bezeichnet, einen aufregenden Doppelsinn: ‹No man is an Iland› heisst dann nämlich auch: ‹Kein Mensch ist ein IchLand.›» Er beendet seinen Beitrag mit der
Aussage «(…) auch Worte lieben und brauchen den Zusammenhang.»1 Menschen brauchen den Zusammenhalt. Machen wir also öfter einmal etwas gemeinsam. Teilen unser Wissen. Nutzen unterschiedliche Perspektiven. Entwickeln kokreativ neue Ideen. Dann sind wir in der Lage, unsere Insel, unser ICH-Land zu verlassen und gemeinsam zum grossen Ganzen beizutragen, zum WIR-Erfolg 2020 und darüber hinaus. Auf eine kooperative Zukunft! Anmerkungen 1) https://www.zeit.de/1975/36/warum-niemand-eine-insel-ist
Ulrike Stahl ist Vortragsrednerin, Autorin und Expertin für Kooperation und das neue WIR im Business. www.ulrike-stahl.com
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Das Auge kauft mit. Bei Visual Search sucht man nach Produkten via Bildersuche.
Online mit Bildern suchen und shoppen Visual Search: Kurzfristiger Hype oder nachhaltiger Trend? von Rainer Volland und Marco Schulz
Wird die digitale Bilderkennung das Such- und Kaufverhalten der Konsumenten im Internet nachhaltig verändern? Obwohl die Suche mithilfe von Bildern noch am Beginn ihrer Entwicklung steht, hat das Rennen um die Vorherrschaft in diesem Bereich längst begonnen. Das Potenzial für Visual Search ist riesig. Die Technologie bietet Unternehmen, die von starker Produkt-Visualität leben, eine äusserst wertvolle Ergänzung zu bestehenden Suchformen. Jene Unternehmen, die es schaffen, die Technologie frühzeitig zu integrieren, werden profitieren, während andere das Risiko eingehen, den Anschluss zu verpassen.
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infach ein Produkt mit dem Smartphone abfotografieren und mithilfe des Fotos passende Produkte zum gesuchten Artikel finden? Das klingt verheissungsvoll und könnte in der OnlineSuche im Retail ein disruptiver Trend werden. Und zwar vor allem in den Branchen, in denen optische Komponenten der Produkte entscheidend sind. Einige führende Unternehmen der FashionBranche setzen Visual Search bereits ein. Wir haben die Akzeptanz von Visual Search und die Erwartungen und Ansprüche der Konsumenten in einer Studie mit mehr als 600 Nutzern und 3 600 echten Use-Cases von sechs führenden Visual-Search-Anbietern aus der FashionBranche untersucht.
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Punktet durch Einfachheit Die Vorteile der Visual-Search-Technologie sehen die Nutzer vor allem in der Einfachheit gegenüber komplexen textlichen oder sprachlichen Beschreibungen von stark visuell geprägten Produkten. Die Hälfte der Befragten erwartet von der Visual Search genauere Suchergebnisse. Drei Viertel können sich bereits heute vorstellen, die Visual Search regelmässig zu nutzen. Dazu kommt, dass mehr als die Hälfte – 52 Prozent – den Gesamteindruck der Suchergebnisse überwiegend positiv bewertet.
Google knapp vor ASOS Wer wird das Rennen um die Vorherrschaft in Sachen Visual Search für sich entscheiden? Gibt es schon jetzt einen klaren
Sieger? Und haben kleinere Anbieter gegen die Big Player überhaupt eine Chance? Mit 62 Prozent positiven Ergebnissen im Gesamteindruck belegt Google in unserer Studie, die sich nur auf die Fashion-Industrie bezieht, den ersten Platz, dicht gefolgt von ASOS mit 61 Prozent, der mit viSenze arbeitet, und Zalando mit der cortexicaTechnologie mit 57 Prozent. Der E-Commerce-Riese Amazon landet mit lediglich 42 Prozent positiven Bewertungen abgeschlagen auf dem vorletzten Platz.
Positivere Bewertungen Wie bewerten die Nutzer die Suchergebnisse? Frauen sind deutlich kritischer als Männer. Männer schätzen die Suchergebnisse um 14 Prozent positiver ein als weibliche
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Nutzer. Nutzer, die Erfahrung mit Visual Search haben, bewerten die Suchergebnisse deutlich positiver (68 Prozent positive Bewertungen) als unerfahrene Nutzer, welche lediglich 52 Prozent positive Bewertungen abgaben. Auch Smartphone-Power-User, unter 20-Jährige und Technologie-Affine geben positivere Bewertungen ab. Insgesamt liegen die Nutzerbewertungen aber schon heute auf einem sehr guten Niveau.
Vier Tipps für die Einführung von Visual Search Die Einführung neuer Technologien kostet Geld und Zeit. Deshalb sollte sie sich idealerweise erfolgreich auf das Geschäft auswirken. Unsere vier Tipps, wie die Einführung gelingen kann: >> Kundenbrille aufsetzen Der Einsatz von Visual Search kann Unternehmen Wettbewerbsvorteile bieten – vorausgesetzt, sie bietet den Kunden einen Mehrwert. Dies lässt sich durch einfache und unaufwändige
nutzerzentrierte Methoden herausfinden und als Test & Learn überprüfen. >> Einstiegshürden beseitigen Unternehmen, die Visual Search einführen wollen, sollten darauf achten, die Einstiegshürden für die Nutzer so klein wie möglich zu halten. Idealerweise integrieren Sie die Visual Search direkt in vorhandene und bereits genutzte Apps. Da die positive Wahrnehmung der Nutzer von Visual Search mit der gemachten Erfahrung steigt, ist es besonders wichtig, den Einstieg so leicht wie möglich zu gestalten. >> Mit offenen Karten spielen Vor allem in Testphasen von Visual Search sollten Nutzer darauf hingewiesen werden, dass es sich um einen «Piloten» handelt. Damit wecken Sie beim Kunden keine zu hohen Erwartungshaltungen, die dann eventuell enttäuscht werden. >> Gut, besser, optimal Pilotphasen sind vor allem zum Ausprobieren da. Besonders wichtig ist es, die gewonnenen Erkenntnisse
dann auch in die kontinuierliche Weiterentwicklung fliessen zu lassen. Mehr darüber: www.elaboratum.ch/ whitepaper-visual-search-revolution
Rainer Volland ist Geschäftsführer bei elaboratum suisse.
Marco Schulz ist Director elaboratum suisse. www.elaboratum.ch
Upgrade. Die Zeiten ändern sich. Das zeigen vor allem unsere fortschrittlichen KMU. Sie delegieren das professionelle Handling der Altersvorsorge an Spezialisten. In diesem Fall an die PKG Pensionskasse. Das erlaubt den KMU die volle Konzentration auf das Kerngeschäft. www.pkg.ch
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Was bringen Echtzeitdaten am POS? von Florian Harr
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ändler müssen den veränderten Einkaufsgewohnheiten und Anforderungen der Kunden Rechnung tragen. Der Point of Sale (POS) ist dabei genauso wichtig, wie der Online-Shop. Denn die klassische Filiale wird zunehmend zu einem Touchpoint von vielen, über den die Kunden angesprochen und auf die Marke oder auf Produkte aufmerksam gemacht werden. Daten spielen dabei eine essenzielle Rolle. Echtzeit-Daten am POS müssen den Kunden Mehrwert bieten. Sie müssen aber auch den Händlern Vorteile bringen. Es stellt sich nun die Frage, welche Arten von Daten im Einzelhandel sinnvoll sind? Die Bereitstellung von Echtzeitdaten am POS ist technisch aufwändig. Damit sich der Aufwand lohnt, müssen klare Use-Cases für die unternehmensinternen Prozessanforderungen abgedeckt oder Kundenbedürfnisse befriedigt werden. Sinnvoll genutzt werden können zwei Arten von Daten: Die Produkt- und Warendaten bilden Verfügbarkeiten im Filialgeschäft ab. Sie ermöglichen aber auch digital verbesserte Beratungsleistungen in Hinblick auf Produktmerkmale, Demovideos, Anwendungen mit Augmented oder Virtual Reality. Zudem können Preisdaten über digitale Preisschilder einfacher beziehungsweise sogar zentral angepasst oder ausgesteuert werden. Mit Bildschirmen können etwa die Inhalte dynamisch und flexibel ausgespielt werden und damit auf das visuelle Erlebnis beim Shopbesuch einzahlen. So können Markenbotschaften transportiert, Kunden in Echtzeit über Verfügbarkeiten von Beständen in anderen Filialen oder online informiert oder spezielle Produktangebote und Eventankündigungen ausgespielt werden. Kundendaten sind am POS besonders bei der Nutzung eines Bonus- / Loyalty-Programms wertvoll. So stehen Kundeninformationen, wie zum Beispiel Status, Punkte und gebuchte Serviceleistungen in Echtzeit zur Verfügung. Händler können die Kunden im Laden identifizieren und ihnen zum Beispiel einen persönlichen Rabattcode anbieten. Sie können aber auch direkt
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im Laden Daten erheben und unmittelbar reagieren. Kaufen die Kunden aufgrund eines Wetterumschwungs kurzfristig deutlich mehr Regenschirme, könnte den Kunden ein Angebot für weitere Regenschutzprodukte unterbreitet werden. RFID-Chips an Kleidern geben die Möglichkeit, zum Beispiel über smarte Spiegel in der Umkleidekabine Empfehlungen im Sinne von «Kunden kauften auch» oder «dazu passt» zu geben und so weitere Produkte anzubieten. Auch zentral gespeicherte Daten zu Grössen oder vorhandenen Produkten und deren Kompatibilität, wie zum Beispiel zu digital vermessenen Füssen oder die Sohlenlänge von Skischuhen zur Bindungseinstellung können die Beratungsqualität im Store deutlich steigern. Echtzeitdaten werden am POS vom Kassensystem, mobilen Beratungslösungen wie iPads, Preiskennzeichnungen und im Wareneingang konsumiert. Dabei fliessen die Daten über verschiedene Kommunikationskanäle. Alle beteiligten Systeme – von der Warenwirtschaft über Logistik, CRM, Kassensystem bis hin zum Loyalty-Programm – müssen miteinander kommunizieren und zudem alle Standorte über eine Breitbandanbindung sowie über die nötige Ausstattung mit entsprechender Hardware (wie Kassensystem oder Tablets) verfügen. Das stellt einen technischen Aufwand und oft auch Hindernisse für die Verwendung von Echtzeitdaten am POS dar. Immer im Hinterkopf behalten werden muss zudem, dass digitalisierte Prozesse teilweise nicht ohne die Mitarbeiter funktionieren. Nur, wenn diese schon in der Planung der Digitalisierung in ihren Berührungsängsten ernst genommen und entsprechend geschult werden, kann die Umrüstung auf den digitalen Point of Sale gelingen.
Florian Harr ist Principal Consultant bei elaboratum Suisse. www.elaboratum.ch
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Glücksspiel oder zielgerichtete Investition? von Aaron Bolte
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ls Stratege und Leiter von Projektteams im Marketing sehe ich über die letzten Jahre einen problematischen Trend: Online-Marketing wird zunehmend zu einem Casino für Unternehmen. Mittlere und kleine Unternehmen sind auf einmal reihenweise bereit, Budgets in Online-Anzeigen, Suchmaschinenoptimierung oder Social Media zu stecken, um einmal zu schauen, was da so herauskommt. Oft wird dabei weder strategisch noch ganzheitlich geplant. Es wird arglos in AdWords, SEO, Social Media oder YouTube investiert, «weil das ja jetzt alle machen». Viele Unternehmen – auch solche mit eigener Marketingabteilung – gehen zu einer Agentur und denken sich: «Die machen das schon.» Ohne grosse Vorüberlegung und mit alten Gewohnheiten aus der Printwerbung geht man an die Sache heran: einfach das Budget auf den Tisch legen, die Vorschläge der Agentur Korrekturlesen und sie dann machen lassen … Das Problem dabei: Kaum eine Agentur kann oder will es sich leisten, die Anfragen und Ideen ihrer Kunden kritisch zu hinterfragen. Das ist keine Charakterschwäche, sondern schlicht betriebsbedingt. Ein Kunde, der nach etwas fragt, bekommt es auch. Kaum eine Agentur fragt: «Aha, Sie wollen also AdWords-Anzeigen schalten? Das können wir schon machen. Aber kann sich das in Ihrem Fall wirklich auszahlen und ist das auch der beste Weg, um profitabel zu werben?» So geschieht es, dass eine Investition getätigt wird, bei der niemand der Frage nachgegangen ist, ob sie sich überhaupt lohnen kann. Das ist kein Investment. Das ist reines Roulette. Die Realität sieht aus unserer Warte inzwischen so aus: Jeder zweite Neukunde, der bei uns Marketing anfragt hat zuvor schon einmal oder mehrmals auf diese Weise fehlinvestiert und sucht mittlerweile nach einem Agenturpartner, der endlich individuell und ganz im Sinne seines Geschäfts berät, plant und ausführt. Solche Kunden suchen gezielt nach einer Agentur, die nicht verkaufend berät, sondern bei grundsätzlichen Marketingentscheidungen helfen kann. Die Fragen lauten dann nicht mehr: «Können Sie auch SEO?», sondern: «Was genau sollten wir tun? Wie viele von welchen Massnahmen und in welcher Reihenfolge sind eigentlich sinnvoll?»
Auch wenn die Digitalisierung inzwischen ein alter Hut sein sollte – der Agenturalltag zeigt, dass Unternehmen Marketing stärker unterschätzen als noch vor ein paar Jahren. Das liegt sicher mit an der Ermutigung, die über die Medien transportiert wird: Überall winken frischgebackene Online-Millionäre aus ihren Instagram-Accounts, 20-jährige Marketingexperten gestikulieren in Videos über «Funnels» und «Growth-Hacks», mit denen sie angeblich jedes Business nach oben katapultieren können, und Werbespots erzählen von WebsiteBaukästen und automatischen Marketingtools mit Künstlicher Intelligenz für nur 29 Schweizer Franken pro Monat. Auch die grossen Anbieter von OnlineAnzeigen wie Google, LinkedIn und Facebook erwecken den Eindruck, dass Anzeigenschaltung ein Kinderspiel ist, das jedem mit ein wenig Münzgeld erfolgreich gelingen kann. So entsteht das Empfinden, dass profitables Online-Marketing inzwischen bequem und für jeden zu haben ist. Man gibt sich also einen Ruck und investiert ein Jahresbudget in Massnahmen, deren Sinn und potenzielle Rentabilität für das eigene Business kaum oder gar nicht geprüft wurden. Unternehmen mit dieser Erfahrung sind verständlicherweise frustriert, schaffen es aber mit strategischer Unterstützung und geschärften Zielen, diesen Trend in ihren eigenen Vorteil zu verwandeln. Denn – um im Bild des Casinos zu bleiben – die Gewinner im digitalen Marketing sind nicht die, die dem Herdentrieb folgen und an den trendigsten Spielautomaten ihre Münzen versenken. Die Gewinner sind diejenigen, die wohlüberlegt mit System und Disziplin die Spiele spielen, die sie auch gewinnen können.
Aaron Bolte ist der Inhaber von Plan A & Partner. www.planapartner.com
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Corporate Purpose Aufgaben von Kunde an Unternehmen und ihre Produkte von Anne M. Schüller
Unternehmen können deutliche finanzielle Vorteile erlangen, wenn sie sich mit den höheren Zielen und dem tieferen Sinn, also mit dem «Purpose» ihrer Produkte, Dienstleistungen und Marken intensiv auseinandersetzen – und dies in einer Kernmaxime zum Ausdruck bringen. Folgende Frage steht dabei ganz oben auf der Agenda: Mit welcher Aufgabe beauftragt der Kunde die Unternehmensverantwortlichen und ihre Produkte?
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er Purpose ist der Daseinssinn, das Warum, Weshalb, Wofür und Wieso eines Unternehmens, seine Bestimmung, die Philosophie hinter dem Geschäftsmodell, der sinnstiftende Wesenskern, die Leitmaxime für alles Handeln. Er bestimmt dessen Identität und drückt aus,
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weshalb das Unternehmen existiert und was es in die Welt bringen will. Dieses Denken lässt sich auch auf das Produkt- und Markenmanagement übertragen. «Was ist der originäre Sinn und Zweck unserer Leistungen für die Kunden?»,
so lautet die Frage in diesem Fall. Der entscheidende Punkt dabei ist der, von der Anbieter- auf die Nachfrageperspektive umzuschalten. Somit geht der Fokus weg vom reinen Produktverkauf und auch weg von der
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Konkurrenz, mit der man sich messen will. Er geht vielmehr hin zur individuellen Erledigung von Aufgaben für möglichst gute Kunden. Damit einhergehen auch die als Customer Experiences bezeichneten Erfahrungen und Erlebnisse, die die Anbieterleistungen bieten. Idealerweise hat der Purpose eine ökonomische, ökologische und soziale Dimension. Denn die Menschen wollen zunehmend wissen: Was ist der Beitrag des Unternehmens für die Gesellschaft und unsere Umwelt, sodass unsere gemeinsame Zukunft lebenswert bleibt? Diese Frage stellt sich nicht nur dann, wenn man bei jüngeren Zielgruppen punkten will, sondern zunehmend in breiten Teilen der Bevölkerung.
Die Nase vorn Interessant ist in diesem Kontext die «Jobs to be done»-Strategie, entwickelt von Harvard-Professor Clayton M. Christensen. Demzufolge stehen nicht die Leistungsmerkmale eines Produktes im Fokus, sondern dessen tieferer Sinn und damit die Frage: Mit welcher Aufgabe beauftragt der
Kunde ein Produkt? Dabei geht es nicht um banale Offensichtlichkeiten, sondern um die tatsächlichen Beweggründe, die oft verborgen dahinterliegen. Die zentrale These von meiner Seite ist: «Purpose Brands» haben die Nase vorn. Was ein Kunde sich etwa beim Möbelkauf implizit wünscht, ist eigentlich klar: «Hilf mir, meine Wohnung heute neu einzurichten.» Die beste Antwort darauf hat Ikea. Aus diesem Grund waren und sind sie auch so erfolgreich. Solche Marken nennt man «Purpose Brands». Sie sagen klipp und klar, welche Aufgaben sie erledigen können und wodurch sie sich differenzieren. Sie kommen einem sofort in den Sinn, wenn man eine entsprechende Aufgabe zu bewältigen hat. Zum Beispiel sieht sich Google nicht selbstfokussiert als grösster globaler Suchmaschinenbetreiber, sondern «organisiert die Informationen der Welt». Amazon will nicht das Kaufportal Nummer eins sein, sondern «die höchste Kundenzufriedenheit der Welt» erreichen. Tesla «treibt den Übergang zu nachhaltiger Energie voran».
Der Online-Händler Zappos propagiert: «Deliver happiness and not just shoes.» «Wertschöpfung durch Wertschätzung», sagt die Hotelkette Upstalsboom. An solchen Formulierungen erkennt man genau: Es geht nicht darum, wer ein Anbieter ist und was er macht, sondern um den Impact, den er in die Welt bringen will.
Job verstehen und Angebot verknüpfen Was demnach zu ergründen ist: das tiefere Anliegen, die höhere Bedeutung und die ganz besondere Rolle, die eine Lösung im Leben der Menschen spielen kann. Was bedeutet: Weg vom Produkt, hin zum Purpose. Wir müssen den wirklichen Job verstehen, den ein Angebot macht. Etwa so: Niemand interessiert sich für die Zusammensetzung eines Parfüms, aber wir wollen alle gut riechen. Oder so: Der Kunde will keinen Staubsauger kaufen, er will eine saubere Wohnung. Staubsauber sind kopierbar, und wenn alles gleich ist, entscheidet nur noch der Preis. Über die Reinigungswirkung hingegen
ff o e k a T r e g e i fl r e b Ü r ü f an studieren ig g n ä h b a or t sun eiz Zeit- und hule Schw c s h c o h h ac der Fernf
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Zürich | Basel | Bern | Brig Ausgabe 1/2020 // Seite 99
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das Etikett bunter? Das allein reicht nicht. Wer durch die Brille des Kunden schaut und Hürden erkennt, die den Fortschritt hemmen oder Frust erzeugen, hat einen ersten Hinweis auf ein tatsächliches Innovationsfeld. Doch längst nicht alles, was rein technisch möglich ist, ergibt für den Kunden Sinn. Keine neue Technologie ist per se interessant. Interessant ist vielmehr das, was wir durch sie erreichen. Viele neue Produkteigenschaften dokumentieren zwar Ingenieurs- und Designerkunst, sind aber für den Nutzer nicht von Belang, weil sie keinen Purpose in sich tragen. Hohe FlopRaten sind dann vorprogrammiert. Nicht die Leistungsmerkmale, sondern der Sinn eines Produktes stehen im Vordergrund.
eröffnet sich eine vielfältige Welt, die zu einem neuen Daseinssinn werden kann. So hat sich die Logistikmarke UPS vom United Parcel Service zum United Problem Solver, also von einem Logistikanbieter zu einem Rundum-Service-Partner gewandelt. Oder nehmen wir Vitra. Diese Marke hat sich vom reinen Büromöbelhersteller zu einem Gestaltungshelfer für moderne Arbeitslandschaften weiterentwickelt. Berater Christian Kalkbrenner erzählt: «Ein Skihersteller hat analysiert, dass die Drehfreudigkeit seiner Skier nicht nur mehr Fahrspass bringt, sondern auch der Ermüdung vorbeugt und damit die Verletzungsgefahr reduziert.» Daraus leitete er den Purpose ab, ab jetzt nur noch verletzungsminimierende Sportartikel zu machen.
Purpose entwickeln Ein Softwarehaus hatte sich als technologisch führender Lösungsanbieter gesehen, sich auch so im Markt verhalten und entsprechend die Produktentwicklung gesteuert. Die Vermarktung war durch Preiskämpfe und ein ständiges Ringen um neue Funktionen mit dem Wettbewerb geprägt. Doch jede neue Funktion hat die Konkurrenz nach kurzer Zeit kopiert, jede Zertifizierung übertrumpft. Die Kunden konnten den neuen Versionen und Funktionen kaum mehr folgen. Grossteils hatten sie auch gar keinen Bedarf dafür. Durch die Purpose-Profilierung und die damit verbundene intensive Beschäftigung mit den Kunden hat sich dann ein ganz anderes Bild ergeben. Der Anbieter hat erkannt, dass
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seine Kunden eine ganz andere Art Unterstützung benötigen: Die Implementierung einer Lösung zusammen mit den entsprechenden Prozessen rund um den Einsatz der Software war für sie viel entscheidender als alle sechs Monate eine neue Funktion. Dies hat das Markenselbstverständnis völlig verändert. Der Anbieter hat einen 180-GradSchwenk hingelegt. Früher hiess es: «Wie bieten die beste Technik und sind Vorreiter in unserem Marktsegment.» Nun heisst es: «Wir helfen unseren Kunden, ein erfolgreiches Geschäftsmodell zu betreiben, indem wir die passenden Lösungen aufbauen und in Einklang mit den Kunden optimieren.»
Dann wird es schwierig Wenn Menschen eine Aufgabe zu bewältigen haben, holen sie das dazu passende Konzept in ihr Leben: um voranzukommen, um erfolgreicher zu sein, um eine bessere Zukunft zu haben. Wann? Möglichst sofort. Wie? Möglichst anstrengungsfrei. Das Ganze am liebsten so individuell wie möglich – und zu einem guten Preis. Dabei spielen nicht nur funktionale, sondern auch soziale und emotionale Dimensionen eine massgebliche Rolle. Oft wollen wir nicht nur uns selbst Gutes tun, sondern auch auf andere wirken, um Fürsorge, Coolness, Lifestyle oder was auch immer zu zeigen. Menschen sind Selbstdarsteller und Inszenierungskünstler, wozu die sozialen Medien fantastische Werkzeuge bieten. Hier noch ein paar PS, da mehr Inhalt, dort neue Features, die Verpackung grösser,
Das Buch zum Thema Die Orbit-Organisation In 9 Schritten zum Unternehmensmodell für die digitale Zukunft von Anne M. Schüller, Alex T. Steffen Gabal Verlag, 2019, ISBN 978-3869368993, 312 Seiten
Anne M. Schüller ist Managementdenkerin, Keynote-Speaker, mehrfach preisgekrönte Bestsellerautorin und Businesscoach. www.anneschueller.de
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Remotebasiertes Dolmetschen – die Zukunft? von Yvan Zimmermann
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orschung und Technik spielen im Spitzensport eine immer wichtigere Rolle. Die technischen Möglichkeiten werden zwar je länger, desto raffinierter, aber für den sportlichen Erfolg ist nach wie vor der Athlet mit seinem Team verantwortlich. Mensch und Technik sind folglich zwei Grössen, die erst im Zusammenspiel zum Erfolg führen, sich ergänzen und nicht gegenseitig ausschliessen. Auf diesem Prinzip basieren auch die Sprachdienstleistungen der Syntax Übersetzungen AG aus Thalwil. Stellen Sie sich vor: ein Kongress, eine Podiumsdiskussion oder ein Workshop mit Teilnehmern aus den verschiedensten Sprachgebieten – die Dolmetscherkabinen leer oder gar nicht vorhanden, weit und breit kein einziger Dolmetscher; und trotzdem können alle den Referaten und Gesprächen folgen. Wie soll das gehen? Der Lösungsansatz lautet: remotebasierte Simultanübersetzung (RSI). Das Prinzip ist einfach, mehrfach erprobt und zukunftsweisend, was sich in den steigenden Nachfragen klar widerspiegelt. Die Voraussetzungen sind erfahrene Dolmetscher und einwandfreie Technik, die von Syntax getestet ist. Die Dolmetscher befinden sich an ihren jeweiligen Standorten – irgendwo auf der Welt – und sind über Internet mit der Veranstaltung verbunden. In Echtzeit – Livestreaming – sind sie über Mikrofon und Kamera barrierefrei bei den Referaten, Kongressen, Kick-offs, Seminaren, Interviews, Diskussionen, Versammlungen dabei. Die Teilnehmer erhalten die Übersetzung in ihrer Sprache via Smartphone, Tablet oder Notebook auf ihre Kopfhörer. Auch Teilnehmer, die nicht am Ort des Geschehens sein können, können den Livestream (Video) und die Übersetzung dank der Syntax App empfangen. Dafür haben sie zuvor die «Syntax Dolmetsch App» installiert, welche die Remote-Verbindung zu den Dolmetschern herstellt und unterhält. Zur reibungslosen Übertragung ist dann einzig ein stabiles WLAN oder 4G nötig. Diese Voraussetzungen sowie das weitere technische Equipment stellt Syntax zur Verfügung und hat eigene Techniker vor Ort.
das Video- und Audiomaterial als mpg4-Datei zur Verfügung stellen. Dieser Service wird rege nachgefragt. Die Vorteile für den Kunden liegen auf der Hand: Unsere qualifizierten Dolmetscher, mit denen wir seit Langem zusammenarbeiten, übersetzen in die gängigsten Wirtschaftssprachen. Der Kunde muss sich weder um die Organisation der Dolmetscher noch um die Technik kümmern. Weil die Dolmetscher nicht vor Ort sein müssen, werden keine Dolmetscherkabinen benötigt und es fallen keine Reise- und Hotelspesen an. Zudem lassen sich durch diese RemoteLösung bis zu 80 Prozent des CO2Ausstosses einsparen, der bei herkömmlichem Dolmetschen anfällt. Dank dieses technischen Fortschritts reduzieren sich die Kosten im Vergleich zum traditionellen Simultan-Dolmetschen um 20 bis 30 Prozent. Und die Sicherheit? Angesichts der zunehmenden Cyber-Kriminalität spielt bei sämtlichen webbasierten Aktivitäten die Sicherheit eine zentrale Rolle. Dies besonders bei vertraulichen Veranstaltungen wie zum Beispiel mehrsprachig geführten Workshops und Besprechungen von Entscheidungsträgern in Unternehmen, Forschung oder Politik. Syntax legt deshalb grössten Wert auf den Datenschutz: Die Übertragung der Übersetzungen ist passwortgesichert und auf Wunsch ist eine Zweiwegidentifizierung möglich. Sämtliche Daten sind zudem verschlüsselt und es werden gängige Sicherheitsprotokolle verwendet. Bereits heute werden 19 von 20 Events remotebasiert durchgeführt. Für uns hat die Zukunft schon heute begonnen: Innovative Technologien und die Sprache als wichtigstes Kommunikationsmittel öffnen uns eine eigene Welt der Ideen, des Fortschritts und des Miteinanders – auch mit Ihnen?
Yvan Zimmermann ist CEO und Mitinhaber der Syntax Übersetzungen AG.
Zu Sales- / Marketing- und Schulungszwecken sowie für die Protokollierung – als Nachschlagewerk – können wir dem Kunden
www.syntax.ch
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Durch den Kauf von Mobiltelefonen und Tablets wurde 2019 der Mobilfunk-Markt zusätzlich angekurbelt.
Erfreuliche Zahlen ICT-Branche weiterhin im Aufschwung von Anna Meister
Trotz Herausforderungen hat sich der Schweizer ICT-Markt weiter vergrössert. Doch der Fachkräftemangel stellt nach wie vor die grösste Herausforderung dar. Dem will die Swico mit dem neu eröffneten «Swico ICT Campus» entgegenwirken. Auch politisch will der Wirtschaftsverband aktiver werden.
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ie Schweizer IT-Branche floriert. Gemäss Zahlen hat sich der Schweizer Markt mit einem Gesamtumsatz von 33.8 Milliarden Franken um 4.0 Prozent verbessert. Damit hat er selbst den europäischen Markt überholt. Gemäss des European Technology Observatory (EITO) hat dieser nämlich nur 3.4 Prozent zugelegt. Das freut den Wirtschaftsverband für die digitale Schweiz Swico, bedeutet dies doch das vierthöchste Ergebnis seit Beginn der Erhebungen. Aber natürlich ist nicht alles nur Friede, Freude, Eierkuchen. Die ICTBranche muss sich auch im neuen Quartal einigen Herausforderungen stellen. Zum einen wäre da der Fachkräftemangel. Gesamtschweizerisch sind aktuell knapp
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9 000 Stellen ausgeschrieben und unbesetzt. Gründe dafür sind laut Swico zum einen der Margendruck aufgrund des starken Frankens sowie die Rekrutierung und Einarbeitung neuer Mitarbeitenden.
50 Prozent Mädchen Um ebendiesem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, hat die Swico im Januar 2020 in Zürich den dritten «Swico ICT Campus» nach Bern und Muttenz. «Mit diesem Engagement wollen wir einen echten Beitrag zum Aufbau einheimischer ICT-Fachkräfte leisten», betont Judith Bellaiche, Geschäftsführerin von Swico. Der Standort Zürich sei dabei von strategischer Bedeutung. Denn in der ICT-Branche ist eine frühe Sensibili-
sierung nötig. Besonders wichtig ist der Swico dabei der Mädchenanteil von 50 Prozent. «Wenn wir die Mädchen früh genug abholen, wenn sie noch offen gegenüber technischen Berufen sind und ihre Talente entsprechend fördern, ist die Chance gross, dass sie sich auch für diesen Berufszweig entscheiden», ist Bellaiche überzeugt. Aus diesem Grund sucht die Swico in regionalen Sekundarschulen immer wieder gezielt nach Talenten. Auf dem «Swico ICT Campus» arbeiten die Jugendlichen dann gezielt an unterschiedlichen Projekten. Während die einen einen Roboter, der Musik spielt, programmieren, erstellt eine andere Gruppe eine Webseite und wieder andere entwickeln eine 3-D-Animation. Dabei wird
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auf die Interessen, aber auch auf die Talente der Jugendlichen Rücksicht genommen.
ICT und Klimaschutz Auch weitere Zahlen erfreuen: Der Schweizerische Hardware-Markt hat entgegen aller Befürchtungen auch zugelegt. Und das nicht zu knapp: sagenhafte 11.8 Prozent ist er gestiegen. Ursprünglich war man von einem Rückgang über 3.5 Prozent ausgegangen. Axel Pols, Geschäftsführer Bitkom Research, erklärt sich den Trend folgendermassen: «Durch die Lancierung von Windows 10 im Jahre 2019 konnte dieser Zuwachs generiert werden.» Eine weitere Begründung sieht Pols darin, dass Privat- wie Geschäftskunden auf Notebooks statt Desktop-Rechner umswitchen. Auch die Zunahme sogenannter Phablets, einer Mischform von Handy («Phone») und Tablets, ist einer der Gründe. Der Wunsch, ständig das neuste Telefon oder Tablet zu besitzen, kurble den Markt zusätzlich an. Der wohl wichtigste Treiber war aber laut Pols im Jahr 2019 die Cloud. Es werde immer mehr in Rechencenter investiert und entsprechend eingerichtet. Auch im Bereich Storage gebe es noch Luft nach oben. Die Cloud trieb aber nicht nur das Hardwaregeschäft an. Laut dem Analysten kurble der Trend hin zur Cloud alle Segmente an: Hardware, Software und auch Services. Ein Punkt, den die ICT-Branche aber im neuen Jahr genauso angehen muss wie andere Wirtschaftsbereiche, ist laut Pols der Klimaschutz. «Die ICT-Branche kann und muss in mehrfacher Hinsicht zum Klimaschutz beitragen. Der Einsatz digitaler Lösungen führt in zahlreichen Wirtschaftsund Lebensbereichen zu einer Dematerialisierung und damit verbunden zu einer Reduzierung des Ressourcenverbrauchs. Ausserdem können intelligente, ICT-basierte Lösungen etwa im Energie- und Verkehrssektor zur Einsparung von Energie und klimaschädlichen Emissionen beitragen. Ein wichtiger indirekter Beitrag der ICT besteht darin, dass mit ihrer Hilfe effizientere Produktions- und Wirtschaftsweisen erforscht werden. Darüber hinaus ist die ICT-Branche aufgefordert, ihre eigenen Emissionen zu verringern, zum Beispiel durch die Nutzung erneuerbarer Energie für den Betrieb von Rechenzentren und Netzwerken», erklärt Pols. Eine Prognose, ob das Wachstum stetig weiterginge, möchte er nicht wagen. Pols verweist auf Unternehmen, welche heute
Nicht nur in London, auch in der Schweiz ist 5G nach wie vor umstritten.
die Marktentwicklung dominieren, die es vor 20 bis 30 Jahren noch nicht gab. «ICTbasierte, digitale Innovationen werden auch in den kommenden Jahrzehnten zu völlig neuen Produkten und vor allem Services führen, die unser Leben und Arbeiten massgeblich prägen werden.» Die Zukunft bleibt also ungewiss, aber spannend.
5G als Streitthema Doch leider gibt es nicht nur Positives zu vermelden. Die Schweiz säge an ihrem eigenen Ast, erklärt Judith Bellaiche, Geschäftsführerin der Swico. Das Streitthema 5G, welches von skeptisch bis hin zu polemisch behandelt wird, spielt dabei eine grosse Rolle. Dabei sei dieses Sträuben gegen die Digitalisierung eine Gefährdung des Wirtschaftsstandortes Schweiz, so Bellaiche. «Veränderungen sind immer schwierig anzunehmen», sagt die Geschäftsführerin. «Es hat aber auch viel mit Fehlinformationen zu tun. Gerade bei 5G wird gezielt mit den Ängsten der Menschen gespielt.» Bellaiche ist jedoch überzeugt, dass die Swico ihren Teil dazu beisteuern kann, diese Ängste in der Bevölkerung zu bekämpfen. «Der Dialog mit Politik und Bevölkerung ist Teil unserer Arbeit. Damit können wir unsere Industrie besser erklären.» Die Digitalisierung sei schliesslich schon in jedem einzelnen Schweizer Haushalt angekommen. «Jeder Mensch besitzt ein Mobiltelefon und trägt das nahe am Körper, und das scheint kein Problem zu sein in Bezug auf Strahlung, warum sollte 5G dann bedenklich sein?» Wichtig sei, dass sich die Schweiz nicht unnötig das Leben selbst
schwer mache, betont zudem Swico-Präsident Andreas Knöpfli.
Mehr Politik Überhaupt möchte die Swico in Zukunft auf der politischen Bühne aktiver werden. Mit Bellaiche als grünliberale Nationalrätin sei dies auch möglich, sagt Knöpfli. Themen wie die Begrenzungsinitiative seien heikel und könnten der Schweiz mittelfristig mehr schaden als nutzen. Auch die Revision des Datenschutzgesetzes beschäftigt die Swico. Die EU-Äquivalenz wäre hier die bessere, wirtschaftsfreundlichere Lösung. Wenn die Schweiz jetzt hier anfangen würde, eigene Brötchen zu backen, könnte sich das negativ auswirken. Es gibt aber nicht nur Negatives: Was die Prognosen für 2020 angeht, ist Bellaiche durchaus positiv gestimmt. «Die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen der jungen ICT-Industrie bleiben auch 2020 vielfältig – und nehmen aufgrund der Dynamik neuer Technologien sogar zu. Doch Swico ist ideal positioniert, um diese aktiv und konstruktiv anzugehen.»
Anna Meister ist Redaktorin bei kmuRUNDSCHAU. www.swico.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 103
Global & Lokal
Unterschiedliche Zielgruppen brauchen Sichtbarkeit und Flexibilität.
Das E-Shopper Barometer Schweizer E-Shoppern ist die Umwelt wichtig von Lone K. Halvorsen
Das Thema Klimawandel ist in aller Munde und auch im E-Commerce wird dieses Thema sowohl für Händler wie auch für den Käufer zunehmend wichtiger. Zweidrittel der Schweizer E-Shopper sind der Ansicht, dass Unternehmen mehr auf die Umwelt achten sollten, und die Hälfte davon wäre bereit, dafür mehr zu bezahlen.
F
ür eine Studie im Auftrag der DPDgroup wurden 2019 insgesamt 23'255 Interviews in 21 europäischen Ländern geführt. In der Schweiz nahmen 1 000 Personen ab 18 Jahren an der Umfrage teil. Die repräsentative Studie «E-Shopper-Barometer» zeigt auf, dass 13.5 Prozent der Schweizer Einkäufe inzwischen online erfolgen – was exakt der Zahl im europäischen Durchschnitts-Vergleich entspricht. Fast jeder Schweizer (83 Prozent) ist regelmässig online auf Shoppingtour unterwegs, und die Hälfte davon kauft auch monatlich online ein. Die Schweiz befindet sich damit im europäischen Mittelfeld. Vor ihr sind Länder wie Polen auf Platz eins, Österreich, Irland, UK, Holland, Deutschland, Rumänien,
Seite 104 // kmuRUNDSCHAU
Litauen und Belgien. Das Schlusslicht bilden Spanien und Portugal.
Verantwortung gegenüber der Umwelt Die Studie weist auf, dass 69 Prozent der E-Shopper finden, dass Marken und Unternehmen mehr Verantwortung für die Umwelt tragen sollen. Die Hälfte kauft bereits umweltfreundliche Produkte und wäre auch bereit, für den Umweltschutz mehr zu bezahlen. DPD nimmt die Verantwortung gegenüber der Umwelt wahr. Jedes Paket wird klimaneutral zugestellt – ohne zusätzliche Kosten für die Kunden. «Wir messen unsere
CO2-Emissionen und arbeiten aktiv daran, sie weiter zu reduzieren», sagt DPDSchweiz-CEO Tilmann Schultze. Zum Ausgleich der nicht vermeidbaren Transportemissionen werden Projekte für erneuerbare Energien und eine saubere Energieerzeugung finanziert. 2019 ist DPD zudem mit der Verlagerung von Gütertransporten vom Strassen- auf den Schienenverkehr gestartet. Dieses Jahr soll vermehrt über die Bahn befördert werden.
Zeit, Geld und Social Media Nicht nur der Umweltgedanke beeinflusst E-Shopper bei der Wahl ihrer Online-Shops. Fast alle Schweizer E-Shopper (60 Prozent) lassen sich bei der Wahl ihrer Online-Shops,
Global & Lokal
bei denen sie einkaufen, von Social Media und Influencern beeinflussen. Online geshoppt werden vor allem Kleider (63 Prozent), Schuhe (48 Prozent) und Bücher (42 Prozent) – Mode liegt dabei über dem europäischen Durchschnitt von 58 Prozent. Die eingekauften Produkte werden primär auf dem Smartphone erworben (62 Prozent). Spitzenklasse, und deutlich über den europäischen Durchschnitt, sind die Schweizer allerdings im Retournieren von Waren. Gar 14 Prozent der Befragten in der Schweiz haben ihre letzte Bestellung zurückgeschickt, wohingegen es europaweit lediglich neun Prozent sind. Die Mehrheit der Schweizer E-Shopper (74 Prozent) ist zudem davon überzeugt, dass Online-Shopping Zeit spart, und über die Hälfte will damit Geld sparen.
Worldwide nach Hause geliefert
Verschiedene Profile, verschiedene Erwartungen
Das Einkaufserlebnis endet nicht an der Ländergrenze, fast jeder Schweizer OnlineShopper (86 Prozent) hat bereits Waren auf ausländischen E-Shops eingekauft. Dieser Wert übersteigt um ganze 24 Prozent den europäischen Durchschnitt. Davon waren 88 Prozent Online-Shops in Europa, und mit 46 Prozent hat sich China als begehrte Online-Shopping-Destination etabliert. Ob sich dies mit dem Nachhaltigkeitsgedanken vereinbaren lässt, ist jedoch fragwürdig. Die bevorzugte Versandoption ist die Lieferung nach Hause (fast 90 Prozent). Die restlichen Prozente holen die Waren an einer Poststelle oder beim Paket-Dienstleister ab oder lassen diese direkt an die Arbeitsstelle liefern.
Ein Teil der E-Shopper kann in drei verschiedene Profile eingeteilt werden: Routinier, Geniesser und Ökologie-affine. Routinier (acht Prozent) sind erfahrene und sehr häufige E-Shopper. Sie mögen die Bequemlichkeit des E-Shoppings und sind der Meinung, dass sie fast alle Produkte, die sie benötigen, im Internet kaufen könnten. Sie kaufen vieles online, darunter auch frische Lebensmittel. Sie erwarten vor allem Sichtbarkeit (EchtzeitInformationen), Flexibilität und präzise Lieferungen. Die Geniesser (neun Prozent) sind eher junge Online-Käufer. Sie sind sehr aktiv und auf der Suche nach Möglichkeiten, ihr Leben zu erleichtern. Online-Shopping ist ein Mittel dazu, aber noch kaufen sie weniger häufig und selektiver als die Routiniers. Sie sind sehr anspruchsvoll hinsichtlich der Lieferung, die sie als weniger einfach als Routinier betrachten. Die Ökologie-affinen E-Shopper (20 Prozent) sind eher Gelegenheitskäufer, mit einer begrenzteren Anzahl von Produkten, die sie online kaufen. Sie sind bereit, für umweltfreundlichere Produkte und Dienstleistungen einen Aufschlag zu zahlen, bleiben aber für gute Geschäfte empfänglich. Sichtbarkeit, Flexibilität und eine präzise Lieferung sind von Bedeutung, und sie bevorzugen vor allem Lieferungen nach Hause.
Grosses Potenzial für neue Online-Käufer
Das Einkaufserlebnis endet nicht an Ländergrenzen.
DPD Schweiz ist einer der führenden privaten Express- und Paketdienstleister der Schweiz und fertigt mit 900 Mitarbeitenden und Fahrern jährlich über 19 Millionen Pakete an Unternehmen und Privatpersonen ab. «In der Schweiz gibt es noch ein grosses Potenzial für neue Online-Käufer», sagt Tilmann Schultze. «Wir investieren stetig in die Effizienz sowie in den Ausbau neuer Infrastrukturen und Optimierungen der Kommunikation mit unseren Empfängern. Wir haben bereits verschiedene Services lanciert, um Privatpersonen optimal beliefern zu können.»
Lone K. Halvorsen ist Redaktorin bei kmuRUNDSCHAU. Onlinekäufe sind inzwischen Mainstream.
www.dpd.ch
Ausgabe 1/2020 // Seite 105
Global & Lokal
Volatile Zeiten auch als Chance nutzen Herausforderungen bei Coronavirus und Co. von Simone Wyss
International tätige Schweizer KMU stehen heute vor grossen Herausforderungen. Die Auswirkungen der Coronakrise, Entwicklungen wie der zunehmende Wettbewerbsdruck und die globalen Handelsstreitigkeiten prägen das globale Wirtschaftsumfeld. Für KMU können volatile Zeiten allerdings auch eine Chance darstellen, wie Simone Wyss Fedele, CEO von Switzerland Global Enterprise (S-GE), aufzeigt.
Der Schwarze Schwan ist in der Börsensprache das Synonym für ein überraschendes und negatives Ereignis – das Coronavirus ist nur ein Beispiel.
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Global & Lokal
W
ir leben in bewegten, volatilen Zeiten. Oder wie es UNO-Generalsekretär Antonio Guterres Anfang Januar in einer Rede noch drastischer ausdrückte: «We are living in dangerous times.» Heute wirkt diese Aussage fast prophetisch; die Welt ahnte Anfang Januar noch wenig von der aktuellen Coronakrise, die uns noch lange beschäftigen wird. Selbstverständlich meinte Guterres damals die zahlreichen geopolitischen Spannungen in der Welt, die weltweiten Sorgen über den Klimawandel, den Brexit oder die Handelsstreitigkeiten zwischen den Grossmächten USA und China, die im letzten Jahr zeitweise zu eskalieren drohten. Angetrieben durch eine zunehmend globalisierungs- und offenheitskritische Stimmung in vielen Industrieländern – die Schweiz ist davon nicht ausgenommen – breiten sich auch protektionistische Tendenzen weiter aus. Und aktuell kommen Herausforderungen durch das Coronavirus hinzu. Gerade für die Schweiz stellen solche Entwicklungen eine Herausforderung dar, basieren der wirtschaftliche Erfolg und Wohlstand unseres kleinen, ressourcenarmen Landes doch ganz wesentlich auf offenen Märkten sowie der Integration unserer Wirtschaft in den internationalen Handel.
Dazu müssen sie allerdings in der Lage sein, mit volatilen und unsicheren Zeiten agil und kompetitiv umzugehen. Dies erfordert, dass man sich als KMU auf verschiedene Szenarien, wie das aktuelle Coronavirus oder eine globale Ausweitung des Handelskonflikts, vorbereitet und frühzeitig Massnahmen trifft.
Die Schweizer Wirtschaft behauptet sich
Risiken frühzeitig diversifizieren
Ein baldiges Aufatmen ist nicht in Sicht, das internationale Umfeld wird auch in den kommenden Jahren volatil bleiben. Geo- und Machtpolitik, Nationalismus und Protektionismus bleiben die wesentlichen politischen Treiber. Zudem steuern wir aktuell – angetrieben durch die Auswirkungen des Coronavirus – auf eine globale Rezession zu. Und dennoch: Die Schweizer Wirtschaft sollte diese Situation nicht in erster Linie als Risiko, sondern als Chance begreifen. Unser Land ist international vernetzt und verfügt über eine hohe Innovationskraft, Lebensqualität und Stabilität; unsere KMU behaupten sich in ihren Nischen dank konsequenter Ausrichtung auf Qualität und Innovation als Weltmarktführer. Die starke Exportperformance der Schweizer Firmen im Jahr 2019 unterstreicht dies. Kurzum: Die Schweiz zählt zu den wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsstandorten der Welt.
Eine zentrale Massnahme ist, die eigenen Risiken geografisch und währungstechnisch zu diversifizieren, indem man mitunter die Vorteile der Freihandelsabkommen nutzt, um neue Absatzmärkte und Währungsräume zu erschliessen. Auch die bedarfsgerechte Optimierung der eigenen Wertschöpfungskette und die Reduktion der Abhängigkeiten in den eigenen Lieferketten gehören zu den Vorkehrungen, die man zwecks Risikodiversifikation frühzeitig treffen kann. Sehr deutlich zeigt sich das in der aktuellen Situation: Die Auswirkungen der CoronaVirus-Pandemie führten in zuerst in China zu Quarantänen, Fabrikschliessungen und Transportschwierigkeiten – nun trifft die globale Wirtschaft mit voller Härte. Agilität ist jetzt wichtiger denn je. Absicherungsinstrumente gegen Währungsschwankungen und Zahlungsausfälle spielen zur Abfederung der Risiken ebenfalls eine wichtige Rolle. Zur Reduktion des Klumpenrisikos lohnt es sich auch, in neue Geschäftsfelder und Segmente zu investieren, die das eigene Geschäft breiter abzustützen.
Agilität als Schlüsselfaktor Für KMU sind dies beste Voraussetzungen, um volatile Zeiten als Chance zu nutzen und nachhaltig international erfolgreich zu sein.
Schweizer Unternehmensverantwortliche haben ein genaues Auge auf ihre Wettbewerbssituation.
Geschäftskontinuität sicherstellen Es wurden Risiken diversifiziert und Vorkehrungen getroffen – dennoch ist man als KMU von den Auswirkungen des Coronavirus betroffen. Was nun? Die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter weltweit hat in dieser Situation natürlich oberste Priorität. Danach gilt es, den Schaden einzugrenzen. Kann man sich bei Lieferengpässen zum Beispiel innerhalb der Branche aushelfen? Aktiv gepflegte Netzwerke zeigen in solchen Zeiten ihren Wert sehr deutlich. Diese gilt es auch gerade im Corona-Kontext richtig zu pflegen, notfalls statt persönlich über alternative Kanäle wie Telefon oder Video. Zudem hat sich die Lage nun drastisch verschärft: Um in einem solchen Fall die Kontinuität des eigenen Geschäfts sicherzustellen, müssen Schlüsselprozesse und -personen identifiziert sowie Verfügbarkeiten sichergestellt worden sein, der Pandemieplan muss greifen. Und dann sollte bereits die Zeit danach in den Fokus rücken: Verfallen Branchen in eine Rezession oder kommt es zu einem Nachfrageschub aus gewissen Ländern? Je besser man auf mögliche Szenarien vorbereitet ist, desto mehr kann man als Unternehmen Chancen nutzen.
Das Geschäftsmodell weiterdenken Grundsätzlich sollte auch das eigene Geschäftsmodell geprüft werden. Bedarf es für das Zielland oder -segment Anpassungen? Dabei lohnt es sich, digital zu denken: So kann zum Beispiel E-Commerce als Distributionskanal eine bis anhin unbekannte
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Global & Lokal
Agilität ist eine Voraussetzung, um die Herausforderungen im Rahmen von Krisen besser bewältigen zu können.
Welt eröffnen. In Asien etwa sind die digitalen Absatzkanäle entscheidend für den Marktzugang. Beim Vertrieb in Südostasien kann beispielsweise bald auch der chinesische Tech-Konzern Alibaba Schweizer KMU unterstützen – Switzerland Global Enterprise hat mit Alibaba eine Absichtserklärung unterschrieben, die eine Kooperation im Bereich E-Commerce vorsieht. Dies mit dem Ziel KMU aufzuzeigen, wie sie die E-Commerce-Plattform Alibabas als Vertriebskanal optimal nutzen können.
Gute Vorbereitung und Partner Um agil und international langfristig erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen in der Lage sein, die Auswirkungen zukünftiger Szenarien für das eigene Geschäft einzuschätzen und vor allem vorzubereiten, dazu gehören unter anderem Pandemien. Denn wer sich frühzeitig strategisch mit der
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Zukunft auseinandersetzt, ist vorbereitet und kann sich trotz Ausnahmesituation weiterhin gut aufs Geschäft konzentrieren, während viele Mitbewerber hauptsächlich mit Risikomanagement beschäftigt sind. Genauso kann man als agiles Unternehmen in volatilen Zeiten sowie Krisen Marktanteile gewinnen. Grosse Unternehmen haben in der Regel spezialisierte Abteilungen, die sich mit der Evaluation solcher Szenarien auseinandersetzen. Aber auch als KMU ist man von solcher Expertise nicht ausgeschlossen: Im Rahmen des Mandats Exportförderung zeigt Switzerland Global Enterprise (S-GE) KMU auf, was die Implikationen globaler Entwicklungen wie dem Coronavirus sind, wie sich die internationalen Märkte entwickeln, wo es neues Geschäftspotenzial gibt und wie der Markteintritt in globalen Märkten funktioniert – dies im Verbund
mit einem weltweiten Partnernetzwerk. In der aktuellen Situation rund um das Coronavirus unterstützt S-GE KMU beim Risikomanagement durch digitale Informationen und Ratschläge aus unserem Partner-Netzwerk sowie individuelle Beratung und Kontaktvermittlung, etwa zu alternativen Beschaffungsquellen – mehr auf unserer Website!
Simone Wyss Fedele ist CEO von Switzerland Global Enterprise. www.s-ge.com
Global & Lokal
Inzwischen sind die original Schweizer Kräuterbonbons weltbekannt.
Ein Bonbon geht um die Welt Herausforderungen für die Logistik von Ursula F. Schmeling
Kräuterbonbons von Ricola finden mit Dachser ihren Weg zu Kunden – weltweit. Qualität bringt Mehrwert für alle.
R
icola, die grosse Schweizer Marke, ist eine der modernsten und innovativsten Bonbonherstellerinnen der Welt. Über hundert Schweizer Bergbauern beliefern das Familienunternehmen mit Kräutern. Das Unternehmen exportiert Kräuterspezialitäten in mehr als 50 Länder, vor allem in die USA, nach Deutschland, Frankreich, Italien, Singapur und Hongkong. 1930 gegründet, mit Firmenhauptsitz in Laufen bei Basel sowie Tochterfirmen in Europa, Asien und den USA, produziert Ricola mittlerweile rund 60 Sorten Kräuterbonbons und Teespezialitäten. Dass die Belieferung der Überseekunden immer reibungslos klappt, dafür sorgt seit über zehn Jahren die international tätige Logistikdienstleisterin Dachser. Internationale Logistik für Kräuterbonbons klingt zuerst einmal nicht besonders spannend. Die Herausforderung besteht jedoch darin, das ganzheitliche Logistikkonzept für eine zuverlässige, schnelle und gleichzeitig werthaltige Lieferfähigkeit, das Dachser entwickelt hat, kontinuierlich weiterzuoptimieren – immer im Einklang mit den hohen Anforderungen von Ricola. Dabei geht es um neue Ideen und Innovationen, die die Logistikbilanz des Unternehmens verbessern und sich kostensenkend auswirken können. Im Mittelpunkt stehen immer die spezifischen Bedürfnisse und
strategischen Ziele. Diese müssen mit der Netzwerkintelligenz von Dachser verbunden werden. Die kompromisslose Einhaltung hoher Qualitäts- und Prozesssicherheitsstandards ist genauso wichtig wie eine hohe Supply-Chain-Transparenz und Reaktionsfähigkeit.
Klare Positionierung «Ricola ist ein Aushängeschild für Swissness und zählt zu den stärksten Marken der Schweiz. Da haben wir eine hohe Verantwortung. Unsere Fachspezialisten vor Ort kennen sich in den Märkten, die sie betreuen, sehr gut aus. Sie beobachten Nachfrageentwicklungen und regulatorische Veränderungen. Sie stellen sicher, dass Ricola-Sendungen auch bei Verkehrsstörungen nicht liegen bleiben. Der gebündelte Einkauf von Transportkapazitäten in unserem grossen Luft- und Seefrachtnetzwerk bringt zudem messbare Skaleneffekte und einen Mehrwert für den Kunden», erläutert Samuel Haller, Country Manager für das Geschäftsfeld Air & Sea Logistics bei der Dachser Schweiz AG.
Der «cultural fit» stimmt Nachhaltiges Denken und Handeln gehören zu Ricola wie zu Dachser. Sie entwickeln mit einem offenen Mindset und einer klaren Werteorientierung eine Partnerschaft, aus der innovative Konzepte
entstehen. Gleichzeitig sind beide Unternehmen stark zukunftsorientiert. Industrie 4.0 und Logistik 4.0 spornen Ricola und Dachser an, ihre partnerschaftliche Beziehung durch eine verstärkte Digitalisierung und Integration der Prozesse noch weiterzuvertiefen. «Dachser ist Trendsetter bei der Digitalisierung in der Logistik. Doch dies allein reicht nicht aus. Mit Dachser verbindet Ricola auch gemeinsame Wertvorstellungen. Damit einher geht Vertrauen. Ein solides Fundament dafür verschafft sich Dachser bei Ricola durch ein aktiv gelebtes Qualitätsmanagement, die IFS-Zertifizierung ihrer Transporte sowie eine persönliche, proaktive Beratung», erklärt Jochen Layer, Vice President Corporate Fulfillment der Ricola AG.
Ursula F. Schmeling ist freie Journalistin und bei UFS MarCom tätig. www.dachser.ch
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Global & Lokal
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Seite 110 // kmuRUNDSCHAU
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Global & Lokal
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Global & Lokal
Hier geht die Reise hin: ins Silicon Valley in Kalifornien.
Grosse Chance Zehn Schweizer Start-ups im Silicon Valley von Anna Meister
Die Schweizer Nationalmannschaft reist im Oktober in die USA. Nein, nicht die Fussball-Nati, sondern zehn Schweizer Start-ups wagen den Sprung über den grossen Teich und präsentieren dort namhaften Investoren ihre neusten Kreationen. Und zwar nicht irgendwo. Es geht nach San Francisco und ins Silicon Valley. Mit Erfolg. Die potenziellen Kunden sind begeistert von den Schweizer Firmen.
A
ero41, Kido Dynamics oder Sevensense: Dies sind drei von insgesamt zehn Start-ups, die im Oktober gemeinsam ins Silicon Valley reisen werden, um dort ihre Ideen den Investoren zu präsentieren. Venturelab organisiert seit 15 Jahren internationale
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Roadshows für Schweizer Start-ups. Dabei können sie sich an günstigen Wirtschaftsstandorten wie dem bereits erwähnten Silicon Valley präsentieren, aber es wurden auch schon Roadshows in Boston, New York, Peking, Shanghai oder Barcelona abgehalten.
Das Ziel ist, die jungen Unternehmen potenziellen Kunden vorzustellen und wertvolle Kontakte zu vermitteln. Unterstützt wird Venturelab dabei von DPD, Kellerhals Carrard, Rothschild & Co. Bank, Canton de Vaud, EPF Lausanne und der ETH Zürich. Die zehn ausgewählten Start-ups wurden
Global & Lokal
von einer professionellen Jury aus über 140 Bewerbern ausgesucht.
Vielfältige Innovationen Die Firmen decken dabei unterschiedlichste Branchen ab: von Agrotech über Big Data bis zu Quantentechnologien oder dem Internet Of Things ist alles dabei. Ein Beispiel ist die Firma Distran aus Zürich, welche einen Sensor entwickelt hat, der Gaslecks schneller und in sicherer Entfernung erkennt. Basierend auf den Ultraschallwellen, die Lecks erzeugen, lokalisiert das Handgerät die Lecks in allen industriellen Umgebungen aus bis zu 20 Metern Entfernung. Die einzige Frau, welche in die USA reisen darf, ist Sasha Schriber, die mit ihrer Firma Nanos mit der Suche nach Investoren betraut wird. Nanos ist eine Marketingautomatisierung für Nicht-Experten auf der Grundlage von maschinellem Lernen. Laut Beschreibung ist es eine «Komplettlösung zur gleichzeitigen Erstellung, Veröffentlichung und Optiminerung von Anzeigen auf verschiedenen Suchplattformen und sozialen Medienkanälen». Vielversprechend klingt auch Skypull aus Lugano. Das luftgestützte Windenergiesystem der Firma Reinout Oussoren produziert laut Angaben erneuerbare Energien zu niedrigsten Kosten. Durch den bodengebundenen Generator verbraucht es weniger Material als Windturbinen, verspricht aber doppelte Produktionskapazität.
Von Apple gekauft Und die Chancen stehen gut: Bereits konnten mehrere Alumni von Venture Leaders
Technology von namhaften Technologieunternehmen übernommen werden. Beispiele gefällig? Da gibt es zum einen die Lausanner Firma Lemoptix, die ihre Laserscanner an Intel verkaufen konnte. Die Software Faceshift hat sich kein Geringerer als Apple gegönnt. Mit dieser Software aus Zürich können Gesichtsausdrücke noch besser auf animierte Charaktere übertragen werden. Laut Venturelab hat sich die Roadshow bisher jedes Jahr für die Start-ups gelohnt. «Nachhaltig beeindruckt» seien die Investoren jeweils gewesen. Letztes Jahr hätten Präsentationen unter anderem bei Bessemer Venture Partners stattgefunden, einer Firma, die mehrere Milliarden
Dollar verwaltet und global in Start-ups investiert. Insgesamt konnten durch Venturelab bisher rund 3 500 neue Arbeitsstellen geschaffen werden.
Anna Meister ist Redaktorin bei kmuRUNDSCHAU. www.venture-leaders.ch
«Dank Switzerland Global Enterprise haben wir die Grundlagen für unsere Expansion in die USA erhalten und konnten uns im neuen Markt schnell zurechtfinden.» CÉDRIC MOREL CEO
SENSILE TECHNOLOGIES SA
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IT-Sicherheit
Daten löschen – aber richtig.
Hohes Risiko Trügerische Sicherheit beim Entsorgen alter Daten von Fredrik Forslund
Mit der Datensicherheit verhält es sich wie mit den Verkehrsregeln. Jeder glaubt über sie Bescheid zu wissen, aber trotzdem wurden die meisten Autofahrer schon einmal von der Verkehrspolizei zur Kasse gebeten. Ähnliches gilt auch für Verstösse gegen die DSGVO.
D
onald Trump zum Beispiel hat die Angewohnheit, Dokumente, die er nicht mehr benötigt, zu zerreissen und in den Papierkorb zu werfen. Damit macht er sich strafbar, denn für ihn gilt der «Presidential Records Act» aus dem Jahr 1978. In diesem ist festgelegt, dass alle Dokumente, mit denen das US-Staatsoberhaupt zu tun hatte, aufbewahrt werden müssen. Aus diesem Grund ist nun eine ganze Abteilung damit beschäftigt, Trumps zerrissene Papiere wieder zusammenzukleben. Nachzulesen ist das in der nordamerikanischen Zeitung «Politico» unter dem Titel «Meet the guys who tape Trump's papers back together» («Treffen Sie die Jungs, die Trumps Papiere wieder zusammenkleben»).
Seite 114 // kmuRUNDSCHAU
Unternehmen, die sich nicht an die Datenspielregeln halten, bekommen hingegen von der Regierung keine eigene Abteilung spendiert. Das betriff nicht nur die unsachgemässe Archivierung oder Speicherung relevanter Daten. Auch das Löschen digitaler Daten unterliegt strengen Vorgaben. Wer sie missachtet, gefährdet seine Datensicherheit und riskiert hohe Strafen, die bei Verstössen gegen die Datenschutzverordnung drohen. Die Schweizer GeBüV beispielsweise gilt als eines der strengsten Regelwerke für den Umgang mit Daten und Dokumenten. Trotzdem wenden viele Firmen beim Löschen ihrer Daten von Geräten immer noch unzureichende Methoden an.
Der Datenlöschexperte, die Blancco Technology Group, hat zu diesem Thema in Zusammenarbeit mit dem Marktforschungsunternehmen Coleman Parks eine Untersuchung durchgeführt, die zeigt, dass Unkenntnis und Selbstüberschätzung in vielen Unternehmen weltweit die Sicherheit von Daten gefährden, obwohl ein vernünftiges Daten-Lösch-Management eigentlich oberste Priorität haben sollte. Für die Blancco-Studie «A False Sense of Security» wurden 1 850 Entscheidungsträger der weltweit grössten Unternehmen in Nordamerika, den APAC-Staaten und Europa – nach ihrem Umgang mit ausgedienten elektronischen Geräten befragt. Die Umfrage
IT-Sicherheit
ergab, dass die Datenlöschverfahren am Lebensende von IT-Geräten in jedem dritten Unternehmen erhebliche Sicherheitsmängel aufweisen, obwohl sich die Mehrzahl über die Risiken durchaus bewusst war. Mehr als drei Viertel – 77 Prozent – der Befragten stimmten zu, dass die grosse Anzahl unterschiedlicher End-of-Life-Geräte ein Datensicherheitsrisiko für ihr Unternehmen darstellt. 74 Prozent gaben an, wegen der Gefahr von Datenschutzverstössen im Zusammenhang mit Altgeräten besorgt zu sein. Auf das Beispiel aus dem Strassenverkehr übertragen hiesse das: Wir sind zwar besorgt, dass wir einen Verkehrsverstoss begehen könnten, trotzdem parken wir im absoluten Halteverbot und drücken auf der Autobahn das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Doch wieso kommt es bei der Mehrzahl der Unternehmen überhaupt zu diesen eklatanten Verstössen gegen die Datensicherheit?
Unzureichende Verfahren Viele der befragten Unternehmen gaben an, für das Entfernen von Daten eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden zu verwenden. Insgesamt 17 Prozent setzen dabei auf physische Zerstörung wie zum Beispiel Entmagnetisieren oder Schreddern, jedoch ohne den Prozess in einem sogenannten Audit-Trail zu protokollieren. 13 Prozent nutzen eine kryptografische Löschmethode, die Daten durch Entfernen des Kryptografieschlüssels ungültig macht. Zwölf Prozent formatieren ihre Festplatte neu, während 15 Prozent sie mithilfe kostenloser oder kostenpflichtiger Softwaretools ohne entsprechende Zertifizierung neu überschreiben. Besonders schockierend ist, dass ganze vier Prozent überhaupt kein Verfahren zum Löschen von Daten anwenden. Den befragten Unternehmen war in vielen Fällen nicht bewusst, dass diese Verfahren den vorgegebenen Sicherheitsrichtlinien nicht entsprechen und ein potenzielles Restrisiko für Sicherheitslücken und Compliance-Verstösse bleibt.
Ausgemusterte Speichergeräte horten Die meisten der weltweit befragten Unternehmen gaben an, ausrangierte Geräte in grosser Zahl in ihrem Unternehmen zu horten. Anstatt die Daten unmittelbar nach Ausserbetriebnahme zu löschen, lassen sie die Geräte erst einmal eine Zeit lang ungenutzt liegen. Lediglich 13 Prozent der Firmen löschen die Datenträger sofort nach ihrer Stilllegung. Spitzenreiter im Horten von
20 Prozent der deutschen Unternehmen löschen ihre Daten auf ihren IT-Geräten nicht.
Altgeräten ist Deutschland, wo 78 Prozent der befragten Unternehmen einräumten, ihre ausrangierten Systeme samt Daten erst einmal einzulagern. 20 Prozent der deutschen Unternehmen gaben sogar an, die Daten auf ihren IT-Geräten überhaupt nicht zu löschen. Eine erhebliche Sicherheitslücke!
LÖSCHMETHODEN FÜR JEDEN GERÄTETYP In den meisten Unternehmen ist eine Vielzahl von Datenträgern im Einsatz, und für jeden Gerätetyp gibt es präzise Löschvorgaben, die einzuhalten sind, um keine Compliance-Verstösse zu riskieren. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob eine HDD- oder eine SSD-Festplatte gelöscht wird. Bei Letzterer ist die traditionelle Methode zum Löschen von Festplatten nicht anwendbar, da bei der SSD die Daten gleichmässig über die Blöcke des Flash-Speichers verteilt sind. Da weder Benutzer noch Programme einen Einfluss darauf haben, welche Teile der SSD beschrieben werden, bietet das bei der HDD angewendete mehrfache Überschreiben hier keine Garantie für eine sichere Datenlöschung. Trotzdem nutzt allein in Deutschland ein Fünftel der Unternehmen beim Löschen von Festplatten für SSD und HDD ein und dasselbe Verfahren.
Nachweispflicht bei der Entsorgung Zu einer fachgerechten Entsorgung von Daten gehört auch eine klare Chain-ofCustody und auditfähige Dokumentation als Beweis, die u. a. in der Schweizer GeBüV klar geregelt ist. Danach müssen alle Vorgänge und Änderungen innerhalb der Archivierungsabläufe sowie der Zeitpunkt
der Vorgänge nachvollziehbar bzw. nachweisbar sein. Neben dem Audit-Trail wird dabei auch eine beweissichere Dokumentation verlangt, die den Transport zu einer externen Einrichtung, in der die Geräte vernichtet wurden, protokolliert. Trotzdem gab allein in Deutschland ein Fünftel (20 Prozent) der Unternehmen an, nicht über einen AuditTrail für die physische Zerstörung zu verfügen und 32 Prozent erklärten, die Seriennummern der Festplatten nicht zu erfassen. Eins zeigt die Blancco-Studie damit sehr deutlich: Das Löschen von Altdaten ist ein hoch komplexes, von Führungskräften und Entscheidern deutlich unterschätztes Thema. Viele Entscheidungsträger wählen beim Schutz ihres Unternehmens einen unzureichenden Ansatz, was auf ein enormes und besorgniserregendes Wissensdefizit hinsichtlich der Sicherheits- und Compliance-Implikationen der physischen Zerstörung und der Aufbewahrung von Altgeräten zurückzuführen ist. Würden wir so Auto fahren, wie wir mit unseren alten Daten umgehen, wären wir auf den Strassen nicht mehr sicher.
Fredrick Forslund ist Vicepresident bei der Blancco Technology Group. www.blancco.com
Ausgabe 1/2020 // Seite 115
kolumne
Dunkle Wolken am Cyber-Security-Horizont von Sivan Nir
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on Porsche über Facebook bis Rheinmetall – 2019 beherrschten wieder einmal Meldungen über Datenlecks und Betriebsausfälle durch Cyber-Attacken die Schlagzeilen. Auch für dieses Jahr ist keine Veränderung in Sicht. Dabei reiht sich die Schweiz in die Angriffsziele ein. So wurde Anfang des Jahres auf die Informatik des Autoimporteurs und -verkäufers Amag ein Cyber-Angriff verübt. Hier stellt sich die Frage, bevor man zu Lösungen kommt, wo die zentralen Ursachen und Herausforderungen zu suchen sind.
Hardware-Ressourcen wie beispielsweise Prozessoren lassen sich je nach aktuellem Bedarf skalieren und müssen nicht dauerhaft angeschafft werden. Zudem sind Cloud-Lösungen schnell einsatzbereit – hier verbirgt sich aber auch eine grosse Gefahr. Oft bleibt bei der rapiden Implementierung von Infrastrukturen die Sicherheit auf der Strecke, woraus sich im schlimmsten Fall Fehlkonfigurationen und Richtlinienverletzungen ergeben können.
Die Häufigkeit der Angriffe ist mitunter auf die Tatsache zurückzuführen, dass Angriffe zunehmend an Komplexität gewinnen und sich Cyber-Kriminelle immer vielschichtiger vernetzen. Darüber hinaus besteht eine grosse Schwierigkeit für Sicherheitsteams darin, die heutigen Multi-Cloud- und Hybridumgebungen zu überblicken und zu managen.
So prognostizierte der Cloud Trends Report 2019 meines Hauses eine Zunahme von Schwachstellen bei Cloudbasierten IaaS-Lösungen um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert. In CloudContainern wurde bereits ein Anstieg von 82 Prozent im Vergleich zum Vorjahr festgestellt. Um einer Fortsetzung dieses Trends entgegenzuwirken, bedarf es regelmässiger Netzwerk-Audits und einer Optimierung von Firewalls.
Zudem werden laut Studien bis zum Jahr 2022 weltweit 1.8 Millionen Fachkräfte im Bereich Cyber-Sicherheit fehlen – mittlerweile hat die Realität diese Prognose bereits weit übertroffen. Das Fachkräftedefizit liegt bereits heute bei knapp unter drei Millionen. Denn um den Software-Dschungel bestehend aus zahlreichen On-premisesowie Multi-Cloud-Netzwerken, IoTGeräten und industriellen Systemen beherrschen zu können, bedarf es entsprechend ausgebildeter Talente. Zudem benötigen Unternehmen IT-Experten, die Erfahrung im Umgang mit den bereits angeschafften Lösungen besitzen – dies verringert den Pool an geeigneten Bewerbern zusätzlich. Neben der Bindung wertvoller Mitarbeiter sollten Organisationen auf KI-Lösungen setzen, um vorhandene Ressourcen effektiver nutzen zu können. So können manuelle und zeitaufwendige Prozesse wie die Priorisierung von Schwachstellen automatisiert werden. Ganz gleich, ob im E-Commerce- oder Banking-Sektor, Unternehmen und Organisationen setzen zunehmend auf SaaS-, IaaS- und PaaS-Lösungen, die Flexibilität und Kostenvorteile bieten. Denn nicht nur Speicherplatz, sondern auch virtualisierte
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Vor zwei Jahren war im Bereich IT-Sicherheit die Szenerie vor allem durch den Einsatz von Cryptomining-Software geprägt. Dieser Trend hat sich, bedingt durch die Abwertung vieler Kryptowährungen, wieder zurückentwickelt. Dafür lebten 2019 andere Malware-Arten wie Botnets oder Ransomware wieder auf. Um Unternehmen erfolgreich vor Angriffen dieser Art zu schützen, muss die betriebliche Systemstabilität optimiert werden. Eine umfassende, automatisierte Cyber-Security-Lösung kann trotz begrenzter personeller Ressource dabei helfen, den Überblick über die gesamte Angriffsfläche der Organisation zu bewahren. So können Schwachstellen effektiv aufgedeckt, priorisiert und behoben werden.
Sivan Nir ist Threat Intelligence Team Leader bei Skybox Security. www.skyboxsecurity.com
IT-Sicherheit
Ausgabe 1/2020 // Seite 117
IT-Sicherheit
Effiziente Projekte realisieren Modernen Kommunikationslösungen eine Business-Grundlage geben von Torsten Krämer
Schweizer Unternehmen spüren zunehmend, dass junge Mitarbeitende moderne Tools für die Kommunikation am Arbeitsplatz erwarten. Die Oetiker Gruppe hat darauf reagiert. Die folgende Reportage stellt ein Beispiel und die Vorgehensweisen der Verantwortlichen vor.
D
as Familienunternehmen Oetiker mit Hauptsitz in Horgen bei Zürich wurde bereits 1942 gegründet. Rund 120 Mitarbeitende sind in der Schweiz für das Unternehmen tätig und insgesamt etwa 1 800 weltweit. Dabei arbeitet jeder Standort wie ein kleines oder mittelständisches Unternehmen unter der Leitung der Zentrale. Die Oetiker Gruppe produziert Klemmen und Quick Connectoren,
die in nahezu allen Fahrzeugen der grossen OEMs zu finden sind. Die Teams aus Experten für Verbindungstechnologien müssen sich heute über moderne Kommunikationslösungen sowohl untereinander als auch mit Kunden und Partnern austauschen, um für jede Anforderung die individuell passende Lösung effizient zu liefern. Dies war mit den bislang
genutzten Einzellösungen wie Skype, Mail und Telefon nicht mehr in ausreichendem Masse möglich.
Einheitliche Plattform «Mit der Entscheidung, moderne Collaboration Tools auf einer einheitlichen Plattform bereitzustellen, wollen wir sowohl unsere Effizienz und Produktivität erhöhen als auch unseren Kollegen einen
Funktionalitäten wie Chat, Audio- und Video-Conferencing oder Screen-Sharing integrieren.
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IT-Sicherheit
modernen, digitalen Arbeitsplatz bieten», erklärt Markus Imboden, CFO der Oetiker Gruppe. «Damit möchten wir unsere Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen.» Obwohl Oetiker seit Jahren auf die Microsoft-Plattform vertraut, sah sich das Unternehmen Lösungen von verschiedenen Wettbewerbern intensiv an. «Einzelne Tools sind zwar teilweise besser als Microsoft-Anwendungen, Microsoft Teams bietet für uns allerdings die Best-Integrated-Lösung», so Imboden weiter. «Zudem ist es für uns sehr wichtig, dass eine Lösung technisch ausgereift ist und auch auf anderen Betriebssystemen wie iOS oder Android läuft.»
Alles an einem Ort Über die integrierten Funktionalitäten Chat, Audio- und Video-Conferencing, ScreenSharing und eine gemeinsame Datenablage kann Microsoft Teams eine Vielzahl von Nutzungsszenarien abdecken. Damit erhalten die Mitarbeitenden eine Lösung, die alle Funktionen für reibungslose Kommunikation in einer Anwendung bietet. So können sie abteilungs-, firmen- und länderübergreifend zusammenarbeiten. Um Microsoft Teams optimal einzuführen, entschied sich das Unternehmen für die Unterstützung durch Campana & Schott. «Uns überzeugte der Ansatz, erst mithilfe eines IT-Readiness Assessment zu analysieren, wo wir bei Oetiker in Bezug auf die digitale Reife stehen», erinnert sich Imboden. Mit einem zielgerichteten Ansatz analysiert das Beratungsunternehmen Kundensituationen und bietet massgeschneiderte Lösungen. «Schnelle, kleine Schritte haben bereits zu Vorteilen und wichtigen Erfahrungen geführt», sagt Imboden.
Aus Szenarien lernen Neben der Auswahl geeigneter CloudDienste als Basis-Technologie umfasste das Projekt die Gestaltung neuer Arbeitsweisen und anwendungsbezogener Nutzungsszenarien. Dazu ermittelten Teilnehmer in Assessments, welche Szenarien sich neu ergeben haben und welcher Bedarf an Services und Werkzeugen dadurch entsteht. Interviews zeigten, wie die IT-Service-Landschaft zum Bedarf der Mitarbeitenden passt. Aus den Erkenntnissen erstellte Campana & Schott eine Übersicht der einzuführenden Anwendungen und entwarf eine Roadmap. Gerade bei einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, aber auch bei zunehmender Mobilität wird es wichtiger, dass
Daten und Anwendungen ortsunabhängig zur Verfügung stehen. Dies kann heute durch Cloud Computing gewährleistet werden. Bei der Migration von Anwendungen und Daten in die Cloud sind einige Stolpersteine wie Compliance und ChangeManagement zu berücksichtigen.
SAP HANA in die Cloud.» Einen weiteren Vorteil stellt die Infrastruktur für Calls dar. Während es bei Skype schon schwierig war, zwischen einer Microsoft-on-Premisesund einer Mac-Cloud-Anwendung zu telefonieren, funktionieren sie mit Microsoft Teams reibungslos – sogar mit iPads.
Herausforderungen gemeistert
Geschwindigkeit und Transparenz
«Auch wenn unser Geschäftsfeld nicht so stark reguliert ist, müssen wir natürlich Compliance-Richtlinien einhalten», erläutert Imboden. «Da wir enge Geschäftsbeziehungen mit vielen Partnern in der EU besitzen, zählt dazu etwa die Datenschutz-Grundverordnung. Aber auch die IT-Security sowie der Schutz unseres geistigen Eigentums erfordern in der Cloud neue Massnahmen und veränderte Kontrollen. Hier war die Expertise von Campana & Schott und Microsoft sehr hilfreich dabei, effektive Kontrollen zu garantieren.» Ebenfalls wichtig ist es, alle Beteiligten frühzeitig mitzunehmen. «Die Einführung eines digitalen Arbeitsplatzes bringt auch Veränderungen in der Organisation mit sich», sagt Imboden. «Die Initiative wurde über die technischen Aspekte hinausbegleitet, beispielsweise mit Change-ManagementMassnahmen, um die neuen Tools in der Organisation zu verankern.
«Mit den modernen Collaboration-Möglichkeiten von Microsoft Teams kommen wir schneller vorwärts – durch agilere Kommunikation und Projektunterstützung», resümiert Imboden. «Denn die Mitarbeitenden nutzen alle relevanten Dienste über eine einheitliche Plattform. Mit Microsoft Teams können wir schnell Planungsprozesse einführen und in den Gesamtkontext integrieren. Insbesondere interdisziplinäre und standortübergreifende Teams profitieren von solchen Arbeitsmitteln.»
Um den Fachabteilungen möglichst viele Freiheiten zu geben, führte die IT-Abteilung von Oetiker flexible Self-Service-Prozesse ein. So können die Fachabteilungen ohne Freigaben die Anwendungen ausprobieren. Für eine hohe Akzeptanz ohne zu grossen Aufwand, hat Oetiker mit Campana & Schott Governance-Vorgaben definiert. Um diese zu optimieren sowie die Nutzerinnen und Nutzer bei der Einhaltung zu unterstützen, untersucht das Unternehmen ein Key-UserKonzept, das es bei Bedarf einführt.
Höhere Performance und Kompatibilität «Unser grösstes Problem war, dass unsere Shared Drives on-Premises in der Schweiz lagen. So konnten unsere internationalen Partner und Kollegen nur sehr langsam Dateien öffnen», kommentiert Imboden. «Dieses Performance-Problem vermeiden wir nun durch die Cloud. Sie bietet ortsunabhängig hohe Verfügbarkeit, Konnektivität und Mobilität. Zudem prüfen wir zusammen mit Campana & Schott, ob das neue Angebot Microsoft Cloud in der Schweiz für uns interessant ist – gerade mit Blick auf unseren geplanten Umstieg auf
So wird auch ein transparentes Dokumentenmanagement mit Versionierung, Co-Authoring, Sicherheit, File-Sharing und mobilem Zugriff möglich. Um diese Vorteile vollständig zu erschliessen, wird Oetiker nun nach und nach seine File Shares auf SharePoint migrieren. Ausserdem werden neue Workflows auf Basis von SharePoint und Office entwickelt, um etwa das Qualitätsmanagement zu unterstützen. «Letztlich wird ein schlechter Prozess durch Microsoft Teams nicht besser», sagt Markus Imboden. «Nur wenn auch die Arbeitsabläufe effizienter werden, ist dies ein Gewinn für alle Seiten. Und auch in den Köpfen muss sich die Umstellung manifestieren. Denn wer seit 20 Jahren E-Mails verschickt und ständig von seinem Chef angerufen wird, steigt nicht von heute auf morgen auf Teams um. Doch ob man will oder nicht: Die Anforderungen und Gewohnheiten werden sich ändern – und ein Cloud-basierter digitaler Arbeitsplatz ist die Zukunft!»
Torsten Krämer ist Project Executive bei Campana & Schott. www.campana-schott.de
Ausgabe 1/2020 // Seite 119
IT-Sicherheit
Eine gesellige Runde hat eindeutig mehr Sex-Appeal wie IT-Sicherheitsfragen.
Schutz gegen Cyber-Angriffe Die drei Säulen der digitalen Hygiene von Tim Berghoff
Das Internet ist ein unverzichtbarer Teil unserer Infrastruktur geworden. Das Arbeitsleben sowie auch das Privatleben finden zu einem immer grösseren Teil digital statt. Die Vorzüge der Digitalisierung sind dabei nicht von der Hand zu weisen. Daten reisen im Internet annähernd mit Lichtgeschwindigkeit und kosten kein Porto. Digitale Daten verbrauchen kaum Platz. Es ist ohne Weiteres möglich, die gesamte Literatur einer Bibliothek auf einem Stick in seiner Hosentasche mit sich zu tragen. Es geht aber auch knapper – selbst wenn man auch die neuen Gefahren miteinbezieht.
C
yber-Kriminelle können von überall auf der Welt einen Angriff auf das digitale Hab und Gut starten. In den meisten Fällen gelingt es den Angreifern, auch ihre Spuren so weit zu verwischen, dass eine Strafverfolgung aussichtslos ist. Umso wichtiger ist es, die Bedrohungslage zu kennen und die
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wichtigsten Sicherheitsmassnahmen zu ergreifen. Alle Unternehmen sind potenzielle Ziele von Ransomware – nicht nur die grossen. Die meisten Angriffe werden derzeit in Form von Verschlüsselungsattacken gefahren, da sich diese Methode als besonders effizient und lukrativ erwiesen hat und durch leicht skalierbare
und – dank gestohlener Daten – auch immer öfter personalisierten Spam-Kampagnen vorangetrieben werden kann.
Erhöhte Gefahrenlage Besonders KMU sind dabei ein attraktives Ziel für kriminelle Aktivitäten im Internet. Der Hauptgrund hierfür ist die grosse Kluft,
IT-Sicherheit
die immer noch zwischen der vermeintlich guten Vorsorge und den tatsächlich oft unzureichenden IT-Verteidigungsstrategien in vielen Unternehmen besteht. Betriebe verlassen sich noch viel zu oft auf das Glück, dass es einen selbst schon nicht treffen wird; doch das ist ein fataler Irrglaube. Die Statistik zeichnet ein deutlich anderes Bild der Gefahrenlage: Eins von vier Unternehmen wird früher oder später Opfer eines Cyber-Angriffs. Das entspricht der Wahrscheinlichkeit, beim Münzwurf zweimal hintereinander Zahl zu erhalten. Und dennoch wird das Thema IT-Sicherheit von Verantwortlichen kleiner Unternehmen oft systematisch unterschätzt – manchmal aufgrund von unvollständiger Kenntnis aller technischer Details, meist jedoch wegen der eben beschriebenen Unterschätzung der Bedrohungslage. Ausserdem fehlt dem Thema IT-Sicherheit der Sex-Appeal. «Wie viel Umsatzsteigerung kann ich von dieser Investition erwarten?», wird häufig gefragt. Die ehrliche Antwort sollte als Gegenfrage formuliert werden: «Wie hoch ist denn Ihr Umsatz?» Wenn die Maschinen stillstehen und der Betrieb zum Erliegen kommt, ist der verlorene Umsatz nämlich hundert Prozent. Ohne Back-up-Strategie ist es auch beschwerlich bis unmöglich, den Betrieb ohne Weiteres wieder in Gang zu setzen. Im schlimmsten Fall kann dies – bei geringem finanziellem Spielraum – das Aus für ein Unternehmen bedeuten. Für das Eintreten des schlimmsten anzunehmenden Unfalls reicht bereits ein falscher Klick eines Mitarbeiters auf ein mit Schadsoftware bestücktes Dokument. Deshalb ist es mehr als ratsam, das eigene Unternehmen mit dem Mindestmass an Schutz gegen Cyber-Angriffe auszustatten.
Die drei Säulen Die für eine ausreichende Vorsorge nötigen Massnahmen sind schnell aufgezählt. Im Groben kann man sagen, dass die digitale Hygiene von Unternehmen auf drei tragenden Säulen steht. Säule drei, die elementarste der drei Massnahmen, ist ein aktuelles Antivirenprogramm zum Schutz der firmeneigenen IT-Infrastruktur vor Ort zu verwenden. Dieser Schutz ist sozusagen der Notnagel, der auf den letzten Metern die Bedrohungen erkennt und abwehrt, die die vorhergehenden Schutzwälle überwinden konnten. Säule zwei ist eine Filtersoftware, die schädliche Eindringlinge gar nicht erst bis in die IT-Infrastruktur eindringen lässt. Schadbehaftete E-Mails werden ausgefiltert, bevor sie im Briefkasten des
Mitarbeiters landen. An diesem Schutzwall scheitern bereits die meisten Angriffsversuche. Und Säule eins ist die von vielen Firmen am wenigsten beachtete Schutzmassnahme: Mitarbeiterschulung. In 90 Prozent aller Fälle bedarf ein erfolgreicher Angriff der unfreiwilligen Mithilfe eines arglosen oder unvorsichtigen Mitarbeiters. Ein Link muss geklickt oder ein Dokument geöffnet werden, damit sich die Malware festsetzen und ihre zerstörerische Wirkung entfalten kann. Immer mal wieder gelingt es einer solchen E-Mail, die ersten beiden Säulen unentdeckt zu passieren. Der Mitarbeiter wird zum letzten Bollwerk gegen den digitalen Eindringling. Aus diesem Grund ist es immens wichtig, seine Mitarbeiter hinsichtlich der frühzeitigen Erkennung und des richtigen Umgangs mit solchen E-Mails zu schulen. Denn die Vorgehensweise der Kriminellen wird immer raffinierter. Die von ihnen versendeten Mails sehen einer legitimen Nachricht eines Kollegen oder Kunden oftmals täuschend ähnlich. In manchen Fällen sind die Computer des Absenders sogar selbst befallen, weshalb man die Quelle fatalerweise als vertrauenswürdig erachtet. Oft wird ein aus dem bisherigen E-Mail-Verlauf entnommenes, vertrautes Thema erwähnt, um das Opfer zum Öffnen eines mit Ransomware bestückten Dokuments zu bewegen. Ist ein Mitarbeiter nicht geschult, derartige Täuschungen zu erkennen, hat er keine Chance, den Angriff zu parieren.
Zunehmend mobil Es gibt nur noch wenige Erwachsene, die sich der Notwendigkeit der Nutzung eines Smartphones nach wie vor ganz entziehen können. Für viele ist der TaschenPC im Berufsalltag unumgänglich. Doch auch im Privatleben, in Zeiten der sozialen Netzwerke und Messengerdienste wie WhatsApp, spielt der flache Begleiter eine immer zentralere Rolle im gesellschaftlichen Tagesablauf. Die Verbreitung von Smartphones unter Jugendlichen bis zwölf Jahren ist mit 95 Prozent auf einem Allzeithoch – Tendenz weiter steigend. Diese extremen Verbreitungszahlen alleine machen Flächenangriffe für Cyber-Kriminelle äusserst attraktiv. Da die finanziellen Mittel von Privatpersonen im Schnitt nicht mit denen von Unternehmen vergleichbar sind und der private Datenschatz häufiger sentimentaler als monetärer Natur ist, sind Ransomware-Attacken auf Privatnutzer in den seltensten Fällen gezielte Angriffe,
sondern meist Zufallstreffer einer breit gestreuten Spam-Kampagne. Die Kriminellen sind bei Privatpersonen vornehmlich auf Zugangsdaten und digitale Identitäten aus. Smartphone-Nutzer werden deshalb häufig Opfer von Phishing-Attacken, da die meisten ihrer Zugriffe über ihr Mobilgerät abgewickelt werden. Ob Online Banking, Soziale Netzwerke oder der E-Mail-Account – wer diese Zugangsdaten abfischt, erlangt beträchtliche Eingriffsmöglichkeiten in das Leben seines Opfers. Es empfiehlt sich deshalb, immer ganz genau auf den Absender einer E-Mail zu schauen und wachsam auf Warnsignale zu achten, bevor man seine persönlichen Daten in eine Maske eingibt. Man sollte auch grundsätzlich alle Aufforderungen zur Preisgabe von persönlichen Informationen hinsichtlich ihrer Plausibilität infrage stellen. Ist die Aufforderung zur Kontoverifizierung wirklich angebracht, oder ist es nicht doch wahrscheinlicher, dass es sich hierbei um einen PhishingAngriff handelt?
Der Unsicherheitsfaktor Mensch Antimalware und gesunde Skepsis sind der beste Schutz für ein sicheres Internet. Man kann das eine nicht mit mehr mit dem anderen kompensieren. Beide Seiten müssen abgesichert sein, um sich sicher im Internet bewegen zu können. Grosse Firmen müssen dabei besonders aufpassen, da mit jedem zusätzlichen Mitarbeiter auch der Unsicherheitsfaktor Mensch grösser wird. Hier kann man jedoch effektiv mit guter Mitarbeiterbildung gegensteuern. Im Privatleben lauern die Risiken oft in anderen Bereichen. Doch auch hier gilt, dass nur die Kombination aus technischer Absicherung in Form von Sicherheits-Apps gepaart mit einer gesunden Portion Skepsis unschöne oder im schlimmsten Fall existenzbedrohende Folgen abwehren lässt.
Tim Berghoff ist Security Evangelist bei G DATA CyberDefense. www.gdata.de
Ausgabe 1/2020 // Seite 121
kolumne
Wachstum der Elektromobilität als Chance von Luc Tschumper
E
lektroautos sind auf unseren Strassen angekommen und erobern Alltag und Herzen von Herrn und Frau Schweizer. Das letzte Jahr hat dem Markt eine Vielzahl an neuen Modellen beschert, und es findet sich heute für jeden Geschmack das passende Elektroauto in den Showrooms der Autohändler. Mit Reichweiten von 300 bis 500 Kilometer müssen sich Elektroautos der neusten Generation auch in puncto Alltagstauglichkeit nicht mehr verstecken, und auf Langstrecken werden sie bei Bedarf innert kurzer Zeit am dichten Schnellladenetz nachgeladen. Das kommt bei den Konsumenten gut an: Letztes Jahr waren bereits 4.2 Prozent der verkauften Fahrzeuge Elektroautos, gegenüber dem Vorjahr haben die «Stromer» ihren Anteil damit mehr als verdoppelt (plus 158 Prozent!). Und die helvetische Elektromobilität wächst weiter: Gemäss den Zielen von autoschweiz soll 2020 jedes zehnte verkaufte Fahrzeug einen Stecker haben. Der erste Akt des elektromobilen Durchbruchs in den Massenmarkt ist geschafft, und damit hält die Elektromobiliät auch in den Geschäftsalltag Einzug. Nicht nur in Grossunternehmen, wo den Flotten-, Facility- und Corporate-Responsibility-Managern das Thema schon länger unter den Nägeln brennt. Auch in den Sitzungszimmern der Schweizer KMU wird heiss diskutiert, wie die Elektromobilität im eigenen betrieblichen Umfeld sinnvoll und wertstiftend eingesetzt werden kann. Denn die leisen, abgasfreien und kraftvollen Elektroautos und die dazugehörigen Ladesäulen zeigen, dass das eigene Unternehmen auf Zukunftstechnologien setzt. KMU, die diese Gelegenheit entschlossen beim Schopf packen, schwingen sich zu Vorreitern auf und profitieren von viel Sichtbarkeit bei einer schnell wachsenden Zielgruppe – der zunehmenden Anzahl von Elektroautomobilisten. Das E-Auto dient aber nicht nur der Imageförderung und der Senkung der CO2- und Lärmemissionen der eigenen Flotte, es lassen sich auch handfeste Kostenersparnisse erzielen. Dafür sorgen neben gering ausfallenden Servicekosten vor allem die
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deutlich tieferen Treibstoffkosten. Für 100 Kilometer benötigt ein E-Auto 15 bis 20 Kilowattstunden. Diese Strommenge, zum Preis von 15 bis 20 Rappen pro Kilowattstunde, schlägt nur mit rund drei bis vier Franken zu Buche – und unterbietet damit die Kosten von acht bis zwölf Franken beim Verbrennungsmotor um das Zwei- bis Dreifache. Das Elektroauto schneidet darum schon heute in so mancher Gesamtbetriebskostenrechnung – TCO, Total Cost of Ownership – trotz der höheren Anschaffungskosten besser ab. Die guten Gründe für den Umstieg vom Verbrenner auf einen «Stromer» sind Schweizer KMU Anlass genug, nach Chancen einer Elektromobilmachung im eigenen Betrieb zu suchen. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail, und in der Praxis stellen sich interessierten Unternehmen zahlreiche Fragen zu E-Fahrzeugen und Ladeinfrastruktur, Vorgehen und Kosten sowie Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Um Unternehmen einen unkomplizierten Einstieg ins Thema zu ermöglichen, bieten Swiss eMobility und EnergieSchweiz «charge4work» an, die kostenlose und neutrale Elektromobilitätsberatung für KMU. In nur einer Stunde erhalten interessierte Betriebe eine massgeschneiderte Beratung vor Ort und informieren sich so schnell, umfassend und Anbieterneutral zum Thema Elektromobilität. Das kompetente Expertenteam kennt viele Beispiele aus der Praxis, identifiziert gemeinsam mit dem Unternehmen die sich bietenden Potenziale und gibt umsetzbare Handlungsempfehlungen.
Luc Tschumper ist beim Branchenverband Swiss eMobility zuständig für den Themenbereich Elektromobilität in Unternehmen. www.swiss-emobility.ch
Unternehmen unterwegs
Kopf frei fürs Kerngeschäft. Kostenlose Analyse Ihres Einsparpotenzials innert 4 Wochen!
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Ausgabe 1/2020 // Seite 123
Unternehmen unterwegs
Energiewende nur mit Verkehrswende Ein Umdenken ist notwendig von Florian Brunner
Der Verkehr heute ist laut, dreckig und energieintensiv. Aus Sicht des Gesamtenergieverbrauchs und der Energiewende ist die Verkehrswende somit zentral. Damit wir mobil bleiben, braucht es weniger Verkehrsleistung bei tieferem Energieverbrauch.
B
ei der Behandlung der Energiestrategie 2050 lag der Fokus auf dem Strombereich. Die Dekarbonisierung des Verkehrs spielte lediglich eine untergeordnete Rolle. Fällt der Begriff Energiewende, wird das vielfach mit einer
Stromwende gleichgesetzt, also der Abkehr von der konventionellen Stromerzeugung. Doch aus Gesamtenergiesicht macht dieser Teil lediglich einen Viertel aus. Ein Löwenanteil des Energieverbrauchs fällt im Verkehrsbereich an.
Die Weichen für die Energiewende sind gestellt.
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Verkehr frisst Energie, Raum und Zeit Der Verkehr ist der grösste Energieverbraucher der Schweiz. 38 Prozent der Endenergie wurde 2018 im Verkehrssektor verbraucht. Nahezu 93 Prozent dieses
Unternehmen unterwegs
Weniger Autos bedeuten weniger Lärm und weniger Umweltverschmutzung.
Energiebedarfs werden mit Erdölprodukten gedeckt, namentlich Benzin, Diesel und Flugtreibstoffe.1 So macht der Verkehr heute satte 32 Prozent an den Schweizer Treibhausgasemissionen aus.2 Die Herausforderungen im Verkehrsbereich beschränken sich aber nicht «nur» auf die Klimaherausforderungen. Um unsere heutige Mobilität gewährleisten zu können, sind wir auf zu viel Verkehrsleistung angewiesen. Damit verbunden ist auch ein zu hoher Raumbedarf und Ressourcenverbrauch von Energie und Material. Der Autoverkehr beansprucht enorm viel Fläche und verursacht mit seinem Lärm und seinen Abgasen unnötige Belastungen, Krankhei-
ten und letztendlich höhere Gesundheitskosten für die Gesellschaft. Wir können es uns zwar leisten, immer grössere Distanzen in derselben Zeit zurückzulegen wie früher. Das ist vermeintlich bequem. Doch unter dem Strich nimmt der Mobilitätsaufwand zu, was unsere Lebensqualität schmälert. Dieser Aufwand zehrt an einer weiteren Ressource, die sehr knapp ist: unsere Zeit. Der Druck auf Energie, Ressourcen, Umwelt, Landschaft und Gesundheit wird zusätzlich verschärft, zieht man die Prognosen in Betracht. So soll die Personenverkehrsleistung bis 2040 nochmals um einen Viertel zunehmen, diejenige des Güterverkehrs gar um einen guten Drittel.3
Griffige Massnahmen nötig Die Energiewende stellt den Übergang von der Nutzung fossiler Energieträger sowie der Atomenergie zu einer nachhaltigen Energieversorgung mittels erneuerbarer Energien dar. Will man die Energiewende ernsthaft angehen, braucht es im Verkehrssektor griffige Massnahmen. Nur mit einer Verkehrswende lässt sich die Energiewende vollenden. Die Verkehrswende wiederum wird angetrieben sowohl von einer reinen Antriebswende als auch von einer Mobilitätswende. Die Antriebswende sorgt dafür, dass die reduzierte Verkehrsleistung mit erneuerbarer, fossil- und schadstofffreier Energie erfolgt.
Ausgabe 1/2020 // Seite 125
Unternehmen unterwegs
Das ist eine technische Herausforderung, die politischer Gestaltung bedarf. Innovationen wie Elektroautos bieten hierfür mögliche Technologien: Durch sie können die Treibhausgasemissionen und der Energieverbrauch des Verkehrs deutlich gesenkt werden. Voraussetzung ist, dass die Energie aus erneuerbaren Quellen stammt und sparsam eingesetzt wird.
Lebensqualität erhöhen Erneuerbare und klimaneutrale Energien sind kurz- bis mittelfristig allerdings nicht im Überfluss vorhanden. Die Verkehrswende ist insofern weit mehr als eine Antriebswende, die «lediglich» den Austausch der Fahrzeugantriebe zum Ziel hat. Im Kern geht es darum, den Energieverbrauch des Verkehrs zu senken, ohne dabei die Mobilität einzuschränken. Bei der Mobilitätswende erweitert sich – gestützt auf technologische Entwicklungen und Innovationen – das Verkehrsangebot, und multimodales Verkehrsverhalten wird erleichtert. Befördert durch gesellschaftliche Trends wird es möglich, bislang nicht gehobene Potenziale a) der Vermeidung, b) der Verlagerung und c) der Verbesserung des Verkehrs zu erschliessen. >>Vermeiden bedeutet weniger Verkehrsleistung, sprich, unnötige Fahrten und Transporte müssen vermieden werden. Strassenkapazitäten dürfen nicht erweitert werden, Pendlerdistanzen von einer Stunde und mehr sind nicht nachhaltig. >>Vom Auto muss auf umweltschonende Verkehrsmittel verlagert werden wie Fussverkehr und Velos sowie den ÖV und die Bahn. >>Besseren und effizienteren Verkehr erreichen wir mit sparsameren, ressourcenschonenden, geteilten und erneuerbar betriebenen Fahrzeugen. Durch vermehrtes Carsharing verändert sich das Mobilitätsverhalten, die Umweltbilanz wird besser. Weitere verkehrspolitische Massnahmen wie Tempolimits – der Energieverbrauch eines Autos verringert sich durch tiefere Geschwindigkeiten –, autofreie Zonen und Mobility Pricing können neben reduzierten Emissionen zudem viel Lebensqualität schaffen. Weniger Autos bedeuten letztlich weniger Lärm und weniger Schadstoffe.
Mobil bleiben Bewegungsfreiheit ist ein Grundbedürfnis, Mobilität muss für alle sichergestellt werden.
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Mit Elektroautos alleine ist es nicht getan.
Doch die heutige Mobilität braucht in der Schweiz zu viel fossile Energie. Von dieser müssen wir bis 2040 wegkommen – laut Klimavertrag von Paris. Der Wandel hin zu einer effizienten, sauberen und sanften Mobilität ist unumgänglich. Bisher wurde mobile Freiheit mit Automobilität gleichgesetzt. Doch immer weniger junge Menschen erwerben einen Führerschein und besitzen ein Auto. Im digitalen Zeitalter bedeutet Freiheit der Mobilität, dass man aus einer Vielzahl von Möglichkeiten flexibel und selbstständig ein Mobilitätsangebot wählen kann, indem man jeweils die umweltfreundlichsten, angenehmsten und passendsten Verkehrsmittel miteinander kombiniert. Die individuelle Mobilität entkoppelt sich letzten Endes vom Fahrzeugbesitz. Die Politik muss diesen Wandel der Gesellschaft aufnehmen und Antworten liefern, um all diese Verkehrsträger und ihre Vernetzung zu stärken. In Zukunft müssen Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeitaktivitäten wieder nahe beieinander liegen. Dadurch verringert sich der «Zeit-Aufwand» für Mobilität. In einer solchen Umgebung sind Fussgängerinnen und Velofahrer erwünscht und beanspruchen weniger Platz und Energie. Und nur
in einer solchen Umgebung bleiben wir frei und mobil, statt im Stau zu ersticken. Die Verkehrswende wird Umstellungen und Verhaltensänderungen erfordern. Um die Mobilität unserer Gesellschaft und unsere Umwelt zu schützen, ist sie allerdings unverzichtbar. Jetzt gilt es für die Verkehrs- und Energiepolitik, die Weichen richtig zu stellen. Und wir Nutzenden sollten unser Mobilitätsverhalten beständig infrage stellen und optimieren.
Anmerkungen 1) Bundesamt für Energie BFE, Schweizerische Gesamtenergiestatistik 2018 2) Bundesamt für Umwelt BAFU, Treibhausgasinventar 2019 3) Bundesamt für Raumentwicklung ARE, Verkehrsperspektiven 2040
Florian Brunner ist SES-Leiter Fachbereich Klima bei der Schweizerischen Energie-Stiftung SES. www.energiestiftung.ch
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by Ausgabe 1/2020 // Seite 127
vorschau & IMPRESSUM
vorschau Die nächste Ausgabe erscheint im Juni 2020 Folgende Schwerpunkte stehen auf unserer Agenda:
Bessere Rahmenbedingungen Infrastruktur und Dienstleistungen für die Mobilitätswende
Corona Ein Virus verändert Geschäftsmodelle
Innovationen ermöglichen Familienunternehmen im Fokus
Die gläserne Decke Nachwuchsförderung verstärken
Einfluss verstärken Frauennetzwerke stellen sich vor
Den Wandel gestalten Von Big Data zu Smart Data
Mehr als Greenwashing Green IT in der Praxis
Der Druck ist da Fachkräftemangel eindämmen
Schneller und effizienter Agieren Logistik im Zeichen der digitalen Transformation
Herausgeber rundschauMedien AG St. Jakob-Strasse 84 CH-4132 Muttenz / Basel Telefon +41 61 335 60 80 Telefax +41 61 335 60 88 info@rundschaumedien.ch www.rundschaumedien.ch Mitglied der Geschäftsleitung Tibor Müller t.mueller@rundschaumedien.ch Boris Jaeggi b.jaeggi@rundschaumedien.ch Projektleitung Hasan Dursun h.dursun@rundschaumedien.ch Verkauf & Marketing Virginie Vincent v.vincent@rundschaumedien.ch Bora Bike b.bike@rundschaumedien.ch Chefredaktion Georg Lutz g.lutz@rundschaumedien.ch Redaktion Anna Meister a.meister@rundschaumedien.ch
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Michael Krähenbühl Torsten Krämer Dr. Georg Kraus David Lauchenauer Sivan Nir Ruedi Noser Manuela Olgiati Beatrice Paoli Martina Perani Dietrich Pestalozzi Nadine Riederer Guido Schilling Ursula F. Schmeling Sandra Schmidt Anne M. Schüller Marco Schulz Joachim Simon Petra Sonntag Ulrike Stahl Andreas Staubli Heiko Stock Andrea Trapp Luc Tschumper Rainer Volland Philipp Wallner Matthias Weber Simone Wyss Yvan Zimmermann Amalia Zurkirchen
Interviews Corinna Hirrle Hoshank Hirrle Alexandra Hochuli Clivia Koch Marc Steinkat Flurina Stöckli Titelbild Shutterstock Bilder Abacus BSH Hausgeräte GmbH DPD Schweiz ELO Digital Office GmbH Eva Juenger Ortwin Klipp Christian Krinninger SPANISCHE WEINHALLE Ricola Jahresabo Vier Ausgaben CHF 19.– Einzelpreis CHF 5.90 info@rundschaumedien.ch ISSN 2296-7575 Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion. Für unverlangte Zusendungen wird von der Redaktion und dem Verlag jede Haftung abgelehnt.
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