Das Kompendium des Athletiktrainings
Praxisleitfaden der Trainerakademie Köln des DOSB
Praxisleitfaden der Trainerakademie Köln des DOSB
Impressum
Trainerakademie Köln des DOSB
Guts-Muths-Weg 1, 50933 Köln
Telefon 0221 948750 www.trainerakademie-koeln.de
Druck
Druck Styria GmbH & Co. KG
Styriastraße 20, 8042 Graz
ISBN
978-3-9482-7739-0
Gestaltung
Helge Rieder, Creative Direction
Julia Kuhlmann , Art Direction stay golden GmbH www.staygolden.de
Verwendete Schriften
LF TheSans, LF TheSerif, LF TheAntiqua B von Lucas de Groot
Verlag
Richard Pflaum Verlag GmbH & Co. KG Lazarettstraße 4, 80636 München www.pflaum.de
Bibliographische Information
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Kompendium des Athletiktrainings
Praxisleitfaden der Trainerakademie Köln des DOSB
Das Athletiktraining hat die Aufgabe, auf Grundlage des Anforderungsprofils einer Sportart, das sportartspezifische Training in Technik, Taktik oder Wettkampf zu unterstützen.
Kernelemente des Athletiktrainings sind die Ebenen Stressreservoir, Bewegungseffizienz, Energiesystem- und Kraftentfaltungstraining.
Im Sinne der Belastungssteuerung leistet das Athletiktraining einen Beitrag zur Regeneration und Prävention im Sinne der Leistungssteigerung oder- erhalts.
Das Athletiktraining im Leistungssport hat in den letzten Jahren eine besondere Entwicklung genommen. Speziell die Spielsportarten haben das Potential, welches in einer erhöhten Athletik liegt, erkannt. In den letzten Jahren war ein Anstieg von Intensität und Spielgeschwindigkeit, auch bedingt durch Regeländerungen, unverkennbar.
Neben den Hauptfeldern des Trainings der Bewegungseffizienz, der Energiesysteme und der Kraftentfaltung hat sich das Regenerationsmanagement (Stressreservoir) als ein immer wichtigeres Aufgabenfeld der Athletiktrainer/ innen herauskristallisiert. Die immer größere Gewichtung dieses Bereiches macht eine stärkere Professionalisierung und Ausbildung der handelnden Trainer/innen nötig.
Im Bereich der Ausbildung gibt es für die Athletiktrainer/ innen leider noch keinen einheitlichen Ausbildungsweg. Neben einer Vielzahl an privaten kommerziellen Anbietern gibt es seit dem Jahre 2011 die DOSB-Athletiktrainerausbildung.
Das Wissen einer großen Anzahl von Experten und Referenten, sowie der Austausch mit über 200 Absolventen
dieser Ausbildung, sind in diesem Buch zusammengefasst worden.
Entstanden ist ein praxisorientiertes Buch, das nicht nur aus dem großen Erfahrungsschatz im Lehrbetrieb und der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Sportarten im Athletiktraining geprägt ist, sondern auch durch die Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse im nationalen und internationalen Athletiktraining. Auch wenn die Inhalte dieses Buches auf die Spielsportarten ausgerichtet sind, zeigt sich durch die immer stärker werdende Individualisierung in den Spielsportarten, dass der Unterschied in der Trainingssteuerung zu den Individualsportarten immer kleiner wird.
Wir hoffen mit diesem Buch einen Impuls für die Schärfung des Aufgabenfeldes des Athletiktrainers geben zu können und würden uns wünschen für die Entwicklung einer eigenen Athletiktrainingsphilosophie beitragen zu können.
Prof. Dr. Lutz Nordmann Direktor der Trainerakademie Köln des DOSBReha-
Die
Der
Verletzungsmuster und Überlastungsschäden im Leistungssport
Phasen der Wundheilung Prinzipien der sportphysiotherapeutischen
von Verletzungen
Profiling / Diagnostik
Erstellung eines Anforderungsprofils einer Sportart Sonderstellung Risikoprofil
Profiling Stressreservoir
Profiling Bewegungseffizienz
Profiling Kraftentfaltung und Energiesysteme
Die Entwicklung eines Performance Modells Vorbereiten auf körperliche Leistungsfähigkeit
Die drei Komponenten der Erwärmung
Die vier grundlegenden Ziele der Vorbereitungsphase
Die Vorbereitung Übungskatalog der Aufwärmhygienen
7.3.1 Die Rolle des Rumpfes in sportlicher Bewegung
7.3.2
7.3.3
7.3.4
7.3.5
7.3.6
Was ist Ausdauer?
Charakterisierung des Energiesystems Was sorgt für Ermüdung?
Die Aufgaben der Untersysteme und daraus resultierende Trainingsstrategien Einordnung der Trainingsmethoden Diagnostik
Methoden zur Entwicklung des aeroben und des anaeroben Energiesystems
8.7.1
8.7.2
8.7.3
9.1.1
9.1.2
Methoden
10.1.1
Danksagung
Einen großen Händedruck für unseren Chef der Trainerakademie Köln des DOSB, Prof. Dr. Lutz Nordmann, und die lieben Kollegen Alina, Bettina, Chris, Dennis, Frank, Jannika, Markus und Ute für das Vertrauen und die Unterstützung.
Riesen Dank an Addi (Stefan Adler) für den wahnsinnigen Support bei der Athletiktrainerausbildung des DOSB und dem Buch.
Ein großer Dank geht an alle Mitautoren dieses Buches Hendrik Bloch, Pierre Houben, Christian Klein, Natalie Kühn, Matthias Keller, Patrick Luig, Dennis Morschel, Daniel Müller, Dr. Micha Pietzonka, Uwe von Renteln, Jonas Schaerk und alle Referenten, Teilnehmer und Freunde der Athletiktrainerausbildung des DOSB, und den weiteren Aus- und Fortbildungen an der Trainerakademie Köln für eure Begeisterung, Kritik, Inspiration und Hilfe.
Zu guter Letzt einen großen Dank an die Designagentur stay golden mit Julia Kuhlmann und Helge Rieder für den super Job!
Wissenschaflicher Referent an der Trainerakademie Köln des DOSB und Leiter der DOSB-Athletiktrainerausbildung
Genderkonform
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns entschlossen, durchgängig die männliche (neutrale) Anredeform zu nutzen, die selbstverständlich die weibliche und diverse mit einschließt.
Das vorliegende Buch wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder die Herausgeber noch die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch vorgestellten Informationen resultieren, Haftung übernehmen.
Welche Faktoren sind wichtig, um eine sportliche Leistung zu erbringen? Diese Frage gilt es zu beantworten, um eine klare Orientierung der Inhalte für das Handlungsfeld des Athletiktrainers zu finden.
„Am Ende einer Ausbildung sollte man Fragen haben, von denen man nicht wusste, dass man sie haben wird und Antworten haben, von denen man nicht wusste, dass man sie benötigt.“
Die körperliche Leistungsfähigkeit ist abhängig von der Entwicklung spezieller Fähigkeiten und Fertigkeiten. Vor dem Hintergrund des spezifischen Anforderungsprofils der Sportart und unter Berücksichtigung des einzelnen Sportlers als Individuum sind diese von unterschiedlich starker Bedeutung. Im Fokus der Strukturmodelle stehen Energiesysteme, Trainingsformen oder technische bzw. taktische Faktoren als wichtige Zulieferer für eine sportliche Leistung.
Unzählige Autoren haben schon versucht, dieses komplexe System zu durchdringen und in eine Systematik einzubetten. Eines der bekanntesten Modelle sind die dargestellten Modelle der sportlichen Leistungsfähigkeit, wie das holistische Modell von Bangsbo (2015) oder von Weineck (2010) (siehe Abb.: modifiziertes holistisches Modell nach Bangsbo und Abb.: Komponenten der sportlichen Leistung nach Weineck, S. 4).
Abb.: modifiziertes holistisches Modell nach Bangsbo
Externe Faktoren: Temperatur, Höhenlage, Luftfeuchtigkeit, Bodenbescha enheit, Material, Ernährung
Taktik Individual / Team
AusdauerLeistung
Psychologie / Soziales Umfeld
Leistung Technik
Physis
HITLeistung SprintLeistung
KraftEntwicklung
Koordination Flexibilität Sensomotorik
Interne Faktoren: Geschlecht, Alter, Reifegrad, Anthropometrie, Genetik
Aerobe Leistung: maximale aerobe Leistung, Aerobe Kapazität, Atemtechnik
Anaerobe Leistung: maximale anaerobe Leistung, Anaerobe Kapazität, Rate der anaeroben Energieproduktion
Muskelstruktur: Muskeltyp, Fiederungswinkel, Sehnen, Bindegewebe
Muskelkraft: Konzentrisch, Exzentrisch, Isometrisch, Beschleunigung
Kardiovaskuläres System Atmungssystem
Blutvolumen Hämoglobin
Artierien
Venen
Kapilaren Myoglobin
Oxidative Enzyme z. B. Citrat Synthese Pyruvatdehydrogenase
Muskelcharakteristik Nervales System
Transportproteine z. B. Na+/K+-Pumpe K+-Kanäle
Laktat-H+ Transporter Na+ - H+ Austausch
FaserVerteilung
Aerobe Enzyme z. B. Kreatinkinase, PFK
Wachstumsfaktoren z. B.
IGF-1 mTor
Rekrutierung Frequenzierung Synchronisation Aerobes
Psychische Faktoren
Veranlagungsbedingte konstitutionelle und gesundheitliche Fakoren
Koordinative Fähigkeiten
Technik Bewegungsfertigkeiten
Leistungsfähigkeit
Taktisch-kognitive Fähigkeiten
Soziale Fähigkeiten
Kondition
KraftSchnelligkeit Ausdauer Flexibilität Kraft
Koordinative Fähigkeiten
Bezogen auf z. B. die Regeneration tauchen jedoch nur Teilaspekte, wie z. B. Ernährung und Hydration, auf. Psychologische, technische und taktische sind ebenfalls zu beachten. Welche technischen Fertigkeiten sind in der Sportart wichtig? Gibt es taktische Vorgaben für das komplette Team oder sogar individuelle Anweisungen?
Und wie sieht es um die mentale Verfassung des Athleten aus?
Gerrit Keferstein entwickelte zusammen mit Stefan Adler und dem ALLOUT–Team für die Athletiktrainerausbildung des Deutschen Olympischen Sport Bundes (DOSB) die W.I.N.–Pyramide (siehe Abb: W.I.N.: Pyramide, S. 6). Diese verdeutlicht, dass die Komplexität der athletischen Leistungsentwicklung eine nachvollziehbare Struktur und ein Ordnungssystem für alle Gedanken und Ideen bietet [1].
Die einzelnen Komponenten der Leistungsfähigkeit werden in Form dieser Pyramide hierarchisiert. Sie zeigt ein Bedingungsgefüge auf, welches eine sinnvolle Strukturierung der verschiedenen Komponenten der Leistungsfähigkeit und darauf basierend der Trainingsinhalte ermöglicht. Zusätzlich bietet sich durch diesen Systematisierungsansatz, die Möglichkeit, Kausalzusammenhänge aufzuzeigen. Defizite auf einer Ebene können auf vorgeschaltete Ebenen zurückgeführt werden. Alle Komponenten der Leistungsfähigkeit folgen einer Hierarchie und sind eng miteinander verknüpft.
Wie ensteht Leistung – die W.I.N.-Formel?
W.I.N. steht für “What´s Important Now?” Welche der Ebenen ist in diesem Moment die wichtigste, um eine Leistung zu erbringen? Je nach Sportart sind die verschiedenen Bereiche stärker oder schwächer ausgeprägt. Ein Marathonläufer wird den Kraftbereich bei weitem nicht so ausbauen wie ein Kugelstoßer. Ein Handballspieler muss taktisch mit den Spielsystemen seiner Mannschaft vertraut sein. Dies spielt für den Bogenschützen jedoch eine untergeordnete Rolle.
Doch welchen Effekt hat das Sprung-, Kraft- oder Sprinttraining, wenn der Athlet ständig verletzt ist?
1.1
Reha- oder Performance-Kandidat
Daher müssen wir zu Beginn des Trainingsprozesses zwei ganz einfache Fragen stellen (siehe Abb.: Athletenprofil):
1. Ist der Athlet ein Reha-Kandidat oder ein PerformanceKandidat?
2. Wenn der Athlet seine Performance steigern muss, ist er dann von seinen technisch-taktischen Fertigkeiten limitiert oder ist er durch seine Physis limitiert?
Bewegungs e zienz
Stressreservoir Präventions Stufe 0 – 3
Athlet
Rehabilitation
Präventionsstufe 4 Präventionsstufe 3
Stufe 1 – 3 entspricht der Primordial-, Primär- und Sekundärprävention
Abb.: Ceiling-Konzept nach Verkhoshansky
Eishockeyspezigische Fertigkeiten (Skills)
Physisches Potential
Spielerpotential
Spielerpotential
Zeit/Karriere
Eishockeyspezigische Fertigkeiten (Skills)
Physisches Potential
Zeit/Karriere
Performance
Technik & Taktik
Physis
Energie
Kraft
Das CeilingKonzept nach Verkhoshansky (siehe Abb.: CeilingKonzept nach Verkhoshansky) besagt, dass wir mit der Steigerung der physischen Leistungsfähigkeit den sportartspezifischen Fertigkeiten mehr „Raum“ geben wollen, damit sie sich besser entfalten können. Wenn allerdings ausreichend Puffer vorhanden ist, können wir die Zeit, die uns mit dem Athleten zur Verfügung steht, sinnvoller einsetzen. Ganz einfach formuliert bedeutet Trainingsplanung (Program Design) nichts anderes als Zeit und Resourcenmanagement. Denn nur weil ein Athlet mehr „Ergänzungstraining“ zu seinem Sportarttraining benötigt, hat seine Woche trotzdem nicht mehr als 168 Stunden. Daher muss der Trainer wir in der limitierten Zeit die richtigen Reize setzen, die der Athlet in diesem Moment benötigt. Von diesen 168 Stunden sollten 63 für Schlaf genutzt werden, dazu kommt die Zeit, die für Transfer und Reisen benötigt wird, das Sportarttraining nimmt einiges an Zeit in Anspruch, Regenerationsfenster sollten eingehalten werden, so dass die Zeitspanne für das Athletiktraining doch relativ gering ausfällt.
Wichtig ist, dass diese Zeit für den Athleten geschaffen wird und das Training einem holistischen Ansatz folgt, bei dem das Individuum im Mittelpunkt steht.
Die Frage lautet also nicht: „WAS muss ich jetzt tun?“ sondern: „Was muss ICH JETZT tun?“
Wie entsteht Leistung - die W.I.N. - Formel
Mannschaftstaktik
Individualtaktik
Entscheidung
Fertigkeiten
Kraftentfaltung
Energiesysteme
Bewegungse zienz
Stressreservoir
Wahrnehmung
Emotion
Wir unterscheiden in der W.I.N.-Pyramide nach drei vertikalen Kategorien:
1. Mensch,
2. Sport und
3. Sportart
Die drei vertikalen Ebenen der W.I.N.-Pyramide
1. Mensch
Innerhalb der ersten Kategorie sind alle Faktoren abgebildet, die für alle Athleten als Mensch die gleiche Relevanz haben. Daher spielen die unteren 4 Ebenen immer eine Rolle und müssen im Trainingsprozess berücksichtigt werden.
2. Sport
In der zweiten Kategorie befinden sich allgemeine physische Qualitäten, die sportartübergreifend erfasst werden können. So ist z. B. die Maximalkraft oder die maximale Sauerstoffaufnahmefähigkeit für alle Sportarten relevant. Auch wenn diese physischen Qualitäten je nach Sportart und sogar Position innerhalb der Sportart verschieden stark ausgeprägt sein sollten, sind sie grundlegend von Bedeutung.
3. Sportart
Inhalte der dritten Kategorie können immer nur im Kontext der Sportart beurteilt werden und sind äußerst spezifisch. Dort finden sich z. B. Faktoren wie Schläger
kopfgeschwindigkeit beim Golf, Schussgenauigkeit im Eishockey oder Reboundquote im Basketball.
Da die 1. und 3. Kategorie relativ strikt vorgegeben ist, finden wir innerhalb der Kategorie 2 die meisten Unterschiede. Wenn es sich folglich bei unserem Athleten um einen PerformanceKandidaten handelt, dessen technischtaktische Fertigkeit NICHT den größten leistungslimitierenden Faktor darstellt, müssen wir auf anderen Ebenen (im Athletiktraining das Energiesysteme & Kraftentfaltung) die richtigen Entscheidungen treffen.
Um eine Entscheidung treffen zu können müssen wir ein Anforderungsprofil der Sportart erstellen und einen Abgleich mit den Profilingdaten des Athleten vornehmen (siehe Kap.: Anforderungsprofil, S.76).
Die horizontalen Ebenen der W.I.N.-Pyramide
In der Pyramide können wir eine ganz klare horizontale Hierarchie von unten nach oben erstellen. Wenn der Athlet nicht den unbedingten Willen und die Überzeugung (Emotion) zum Siegen hat, nützt ihm die höchste Sauerstoffaufnahmefähigkeit (Energiesysteme) wenig. Wenn 1.2
er nicht die nötige Beweglichkeit in der Hüfte besitzt (Bewegungseffizienz) kann er keine komplexe Tritttechnik (Fertigkeit) im Karate anwenden. Wenn er mit eingeschränkten BallHandlingSkills (Entscheidung) ausgestattet ist, nützt es dem Trainer nichts den Basketballer in seinem Antritt (Kraftentfaltung) zu verbessern.
Emotion und Wahrnehmung
Eines gilt für alle Sportarten: Fehlen dem Sportler Wille und damit intrinsische Motivation, ist er im Bereich der Emotion und der Wahrnehmung schlecht aufgestellt. Zu diesen Ebenen gehören auch Verantwortung, Überzeugung, mentale Stärke oder Leidensfähigkeit. Auch hier sind die Übergänge fließend und ineinander verzahnt. Angst, Wille, Glaube, Vertrauen, Fokus, Disziplin, Sozialkompetenz oder Reflexion und Antizipation werden von einer Grundmotivation untermauert. Die physische Leistungsfähigkeit kann diesen Bereich sowohl positiv als auch negativ beeinflussen. Das Umfeld oder die Kultur, in der sich der Sportler bewegt, variiert von Sportart zu Sportart. Wie an der Pyramide gut zu sehen ist, sind die Bereiche Emotion, Wahrnehmung und Stressreservoir fundamentale Voraussetzungen für die Entwicklung von Effizienz oder Qualität der Bewegung, der Energiesysteme, der Kraftentfaltung oder der sportartspezifischen Fertigkeiten im technischen und taktischen Bereich.
Stressreservoir
Geht der Sportler zu spät schlafen oder ernährt sich nicht sportgerecht, besitzt er Defizite im Bereich des Stressreservoirs. Das Stressreservoir speist sich durch Faktoren der Ernährung, Atmung und verschieden Regenerationsstrategien. Diese beeinflussen maßgeblich die Leistungsfähigkeit des Sportlers.
Rushall und Pyke ordneten bereits im Jahr 1990 die Regeneration und Wiederherstellung den fünf Prinzipien der sportlichen Entwicklung zu:
→ Überschwelliger Reiz (Overload)
→ Spezifizität (Specificity)
→ Individualität (Individuality)
→ Regeneration (Recovery)
→ Wiederherstellung (Reversibility) [7]
Steigen Umfang oder Intensität von Training oder Wettkampf, spielt das Thema Stressreservoir und darunter die Regeneration eine immer bedeutendere Rolle [5,11].
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn Niklas Dietrich, der Athletiktrainer von RB Leipzig und der Deutschen Nationalmannschaft, erklärt, dass er sich bei der Betreuung der Mannschaft mehr mit der Regeneration als mit dem Training beschäftigt [10].
In den letzten Jahren wurde der Fokus verstärkt auf die Pause zwischen den Trainingseinheiten gelegt. Verschiedene Regenerationsstrategien wurden dabei herangezogen, um die trainingsfreie Zeit maximal für die Erholung zu nutzen. Vorrangig werden dazu drei Ziele verfolgt:
1) Optimierte Anpassung an einen Trainingsreiz, um den maximalen Benefit eines Trainings zu generieren. Dies hat den Vorteil, in jeder Trainingseinheit eine maximale Qualität abrufen zu können
2) Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch Konstanz und Wiederholbarkeit eines qualitativ hochwertigen Trainings
3) Vermeidung von Übertraining, Verletzungen oder Burnout-Problemen durch ungünstige Reize im Training [4,11]
Nicht alle Regenerationsstrategien haben jedoch einen positiven Einfluss auf die Erholung. Wie mit allen Interventionen ist auch bei ihrem Einsatz auf die richtige Dosierung zur richtigen Zeit zu achten [6]. Resilienz (Widerstandskraft) und Lernfähigkeit spielen auf dieser Ebene ebenfalls eine große Rolle.
Ein Beispiel: Spielt der Athlet zum Beispiel bis drei Uhr nachts an der Playstation und kommt dann morgens um neun Uhr ohne Frühstück zum Training, ist es überflüssig, sich mit ihm über Trainingsprogramme zu unterhalten. In diesem Fall ist der Trainer verpflichtet, ihn auf einen sportgerechten Lebensstil hinzuweisen. Oft stehen diese Bereiche in Wechselbeziehung zueinander. Wäre der Sportler motiviert, würde er versuchen, die Ebene des Stressreservoirs und damit die Regeneration zu optimieren.
Diese Systematik ist nicht nur auf den Sport anwendbar, sondern kann auch auf das Berufsleben übertragen werden. Auch hier spielen Einstellung und gesunder Lebensstil eine vorrangige Rolle. Aus diesem Grund gelten die ersten vier Ebenen der W.I.N.–Pyramide auch für den Menschen im Allgemeinen. Zu den Bereichen Emotion, Wahrnehmung und Stressreservoir gesellt sich noch die Bewegungseffizienz.
Bewegungseffizienz
Diese spiegelt die grundsätzliche Qualität der Bewegung wider. Welche Voraussetzungen hinsichtlich der Grundbewegungsmuster bringt der Sportler mit? Eine grundsätzliche Kompetenz in diesem Bereich ist für jeden Menschen wichtig, um sein Leben sicher zu gestalten.
Mit der Bewegungseffizienz beginnt jedoch auch der Bereich der Physis bzw. des Sports, unabhängig von der jeweiligen Sportart oder Disziplin.
Energiesysteme
Zu dieser vertikalen physischen Ebene im Bereich Sport werden auch das Energiesysteme und die Kraftentfaltung gezählt. Unter Energiesysteme versammeln sich Begriffe wie Ausdauer oder Kraftausdauer. In diesem Bereich spielt das aerobe sowie laktazide Energiesystem eine wichtige Rolle. Die Energiesysteme sind bewusst der Kraftentfaltung vorgeschaltet, da deren Ausprägung eine regelmäßige Trainingsteilnahme erst möglich machen. So wird dem aeroben Energiesystem nicht nur eine Verbesserung der Leistung, sondern auch eine maßgebliche Rolle bei der Erholung zugeschrieben.
Kraftentfaltung
Das alaktazide Energiesystem wird der Kraftentfaltung zugeordnet. Daher finden wir hier Begrifflichkeiten wie Kraft, Schnellkraft, Agilität, Wurf, Zweikampf, Schlag oder Schnelligkeit. Die große Herausforderung besteht darin, sportartspezifisch eine Trennschärfe herzustellen. Die zentralen Fragen: Was ist noch eine Grundbe
Abb.: W.I.N. Pyramide erweitert
Mannschaftstaktik
wegung in Sprint, Sprung oder Wurf und welche Bewegungen gehören schon zu einer sportartspezifischen Technik?
Fertigkeiten und Entscheidung
Mit der Schnelligkeit tangiert man die Ebene der Fertigkeiten. Zu diesem Bereich zählt man ebenfalls Fertigkeiten wie die Agilität, Wurf, Schlag, Schuss oder Zweikampf. Diese werden der Sportartspezifik zugeordnet und können sehr spezielle Ausprägungen erfahren. Oft sind die Fertigkeiten in den Sportarten gekoppelt mit speziellen Techniken oder Entscheidungskompetenzen. Diese wiederum orientieren sich an den Aufgaben, die ihnen die Sportart stellt.
Individual- und Mannschaftstaktik
An der Spitze der Pyramide findet man die Individualund Mannschaftstaktik. Diese beiden Ebenen unterliegen ebenfalls der Sportartspezifik und beinhalten mentale Komponenten wie Kooperation, Kommunika
Wettkampf
Teamplay
Kommunikation
Taktik
Individualtaktik
Individualtaktik
Entscheidung
Fertigkeiten
Kraftentfaltung
Energiesysteme
Bewegungse zienz
Stressreservoir
Wahrnehmung
Emotion
Wissen Aufgabe der Sportart
Entscheidungskompetenz
Technik
Schnelligkeit Kraft Schnellkraft
Kraftausdauer
Ausdauer
Beweglichkeit Koordination
Anthropometrie
Leistung Leistungsfähigkeit Ernährung Regeneration Lernfähigkeit Resilienz
Extr. MotivationAngst Sozialkompetenz Antizipation Vertrauen
Re exion
Umfeld Egoistischer Altruismus Verantwortung
Wille Kultur Glaube Leidensfähigkeit
Intr. Motivation
Überzeugung Mentale Stärke Fokus Disziplin
tion, Taktik in Training sowie Wettkampf sowie das Zusammenspiel. Eine Taktik kann eine komplette Mannschaft oder Mannschaftsteile betreffen. Einzelne Spieler können jedoch mit speziellen Aufgaben in ein Spiel geschickt werden. In Individualsportarten ist eine individuelle Taktik natürlich unumgänglich.
Gesundheit, Glück, Material, Planung Natürlich unterliegen alle Ebenen dieser Pyramide dem Einfluss von Faktoren wie Gesundheit, Glück, Material oder einer gewissenhaften Planung. Auch hier gibt es im Sport oft Zusammenhänge. Ein Defekt am Rennrad kann die Chancen eines Athleten zunichtemachen. Ein Infekt kurz vor dem Spiel kann zum Ausfall eines Spielers führen. In vielen Fällen spricht man dann von Pech. Es gilt jedoch durch einen gute (Trainings) Planung Risikofaktoren so gut wie möglich zu minimieren, indem man die einzelnen Ebenen der W.I.N. – Pyramide optimiert (siehe Abb.: W.I.N. Pyramide erweitert, S.8).
Für welche dieser Ebenen ist der Athletiktrainer zuständig? Dazu lohnt es sich klar zu stellen, was ein Athletiktrainer NICHT ist: Er ist weder Psychologe, Ökotropho
loge, Arzt, Physiotherapeut, Busfahrer, Techniktrainer, Rehatrainer oder Cheftrainer.
In erster Linie liegen seine Kompetenzen im Bereich der Bewegungseffizienz, Energiesysteme und Kraftentfaltung. Situativ gibt es noch Verzahnungen auf den Ebenen des Stressreservoir oder der Fertigkeiten.
Der Übergang von einem Sprint oder Agilitätstraining hin zu einem sportartspezifischen Training ist fließend, so dass es durchaus zu Überschneidungen zu speziellen Techniken kommen kann.
Ein Athletiktrainer ist in vielen Fällen für die Regeneration zuständig. In diesem Fall kann er bestimmte Strategien vorschlagen und durchführen. Zudem ist er oft erster Ansprechpartner für den Bereich Ernährung oder Schlaf. Wenn der Athletiktrainer jedoch keine zusätzliche Ausbildung im Bereich der Ökotrophologie besitzt, sollte er einen Fachmann hinzuziehen (siehe Abb.: Das Aufgabenfeld des Athletiktrainers).
In den folgenden Kapiteln werden besonders die Aufgabenfelder des Athletiktrainers beschrieben. Von der Diagnostik und Trainingssteuerung in Bewegungseffizienz, Energiesysteme und Kraftentfaltung über das Coaching, Monitoring und Regenerationsmanagement werden klare Praxisempfehlungen für Athletiktrainer im Leistungssport gegeben.
Individualtaktik
Entscheidung
Fertigkeiten
Kraftentfaltung
Energiesysteme
Bewegungse zienz
Stressreservoir
Wahrnehmung Emotion
Das Athletiktraining hat die Aufgabe, auf Grundlage des Anforderungsprofils einer Sportart, das sportartspezifische Training in Technik, Taktik oder Wettkampf zu unterstützen. Dieses Kompendium gibt auf über 400 Seiten dem Athletiktrainer das nötige Handwerkszeug mit, um das Training perfekt auf die jeweilige Sportart und den Sportler auszurichten.