PORTFOLIO F L O R A
F R O M M E L T
INHALT
UNTERSUCHUNG EINER SUBKULTUR: DIE BODYBUILDER REPORTAGE ÜBER SPRÜNGLIS LUXEMBURGERLI AUSSTELLUNG VON HENRI CARTIER-BRESSON KUNST VOR ORT: AUF DER PFINGSTWEID PORTRÄTS AUF DEM FLOHMARKT AUSEINANDERSETZUNG MIT DER SCHNELLIGKEIT DES LEBENS
UNTERSUCHUNG EINER SUBKULTUR: DIE BODYBUILDER
ZHDK, 2012
DIE BODYBUILDING-BOX Schönheitsideale Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der die Geschwindigkeit eine grosse Rolle spielt. Power-Naps, Schnellzüge, Express-Kassen und Convenience-Food prägen unseren Alltag. Die Leute wollen immer mehr ausprobieren. Sie sind ungeduldig und wollen in kurzer Zeit möglichst viel erreichen – vorzugsweise ohne grossen Aufwand. Auch die Vorstellungen von Schönheit verändern sich in solch einer Gesellschaft sehr schnell. Im Hinblick auf frühere Schönheitsideale scheint es gar, als ob sie grenzenlos wandelbar wären. Weit verbreitet ist daher die Annahme, dass sie sich in völlig beliebiger Weise entwickeln. Demgegenüber verweist die Attraktivitätsforschung darauf, dass die jeweiligen Schönheitsideale bei aller kulturellen Variabilität durchaus auch Gemeinsamkeiten aufweisen. Ihren Erkenntnissen zufolge gründet sich menschliche Schönheit zumindest teilweise auf definierbare Faktoren, die einem relativen Konsens zwischen Individuen und Kulturen unterliegen und evolutionsbiologisch verankert sind - wie etwa die Makellosigkeit der Haut oder die Symmetrie des Körpers. Sie gelten als Indiz für Gesundheit.
Um der Schnelllebigkeit des Alltags gerecht zu werden, sucht sich das Individuum tendenziell den einfachsten und schnellsten Weg, sein Ideal zu erreichen. Bestes Beispiel in diesem Kontext sind Schönheitsoperationen. Sie dienen lediglich dazu, auf einfache – wenn auch teure – Art und Weise zu erhalten, was man sonst nur mit viel Energie und Zeitaufwand erreichen würde. Bodybuilding als Schönheitsideal Bodybuilder versuchen, durch gezielte Körpermodifikation ihren Schönheitsvorstellungen zu entsprechen. Es handelt sich dabei um einen in der bürgerlich-europäischen Tradition verhafteten Männlichkeitskult: das Bild des „starken“ Mannes. Bodybuilding ist ein Schönheitsideal. Im Gegensatz zu anderen Richtungen der Fitness-Szene, bei denen Körper-Ertüchtigung, Gesundheit, Spaß und Sich-fit-Fühlen oft die Hauptziele sind, stehen bei vielen Bodybuildern Aspekte eines zelebrierten Körperkultes im Vordergrund: Das Selbst-Schaffen eines perfekten Körpers, ein stark ausgeprägtes ästhetisches Bewusstsein, und das Posing (demonstratives Sich-zur-Schau-Stellen oder ImponierenWollen) mit einem extrem geformten Körper auch im Alltag. Als Kontrolle ist es deshalb unerlässlich, den exakten Bewegungsablauf seiner Übung zu überprüfen und einzelne Muskelpartien in angespanntem, wie auch entspannten Zustand zu betrachten. Der Blick in den Spiegel ist somit ein Versuch visueller Distanznahme zum eigenen Körper. Der Bodybuilder hofft ständig, von anderen so gesehen zu werden, wie er gesehen werden möchte. Bodybuilding ist Kunstschaffen am eigenen Körper - basierend auf einem überhöhten Schönheitsideal. Der Körper ist Ausdrucksmittel und Arbeitsmaterial, das geformt wird. So sagt etwa der frühere IFBB-Profi Ed Corney: „I look at myself as a piece of art. I have taken 20 years to develop my physical body into the shape it‘s in right now, and if that isn‘t art, I don‘t know what art is.“ Es gilt stets, den Körper in seiner
Form zu perfektionieren und zu definieren. Er ist das Symbol einer nichtalltäglichen, aussergewöhnlichen Einstellung. Durch ihn demonstriert der Bodybuilder sozialweltlich seine Fähigkeit zur Ekstase. Der konkrete Zustand des Körpers verweist auf die aktuelle Verfassung des Geistes. An den Schmerzen, die er für sein Ziel in Kauf nimmt, erkennt man seine Selbstdisziplin. Dieser Körperkult, der fetischhafte Züge annehmen kann, wird für viele Bodybuilding-Fans zu einem bestimmenden, zeitintensiven und identitätsstiftenden Element ihres Lebensstils. Dabei geht das Zelebrieren dieses Kultes oft weit über das eigentliche Bodybuilding hinaus und entwickelt sich zu einer ganzen Lebensphilosophie. Man spricht daher auch von Bodystyling. Bodybuilder zelebrieren ein Schönheitsideal, das in der heutigen Zeit eher weniger Anhänger findet. Ein muskulöser Körper wird bis zu einem gewissen Grad als schön empfunden, kippt aber irgendwann ins Unnatürliche. Er wirkt dann nur noch monströs, eklig, und aufgeblasen. Gerade deswegen handelt es sich bei den Bodybuildern um eine Subkultur.
Die Bodybuilding-Box In einer kritischen Auseinandersetzung mit Bodybuildern und ihrer ästhetischen Wirkung auf die Aussenwelt entstand die BodybuildingBox. Ausgehend vom Begriff „Body-Building“ beinhaltet sie verschiedene Objekte, die den Körper „formen“ und die eigene „Körperform“ in Szene setzen sollen. Die Box ist eine ironische Anspielung auf die Schönheitsideale der heutigen Zeit. Sie versteht sich als do-it-yourself-Kasten mit allen nötigen Bausteinen, welche die typischen Merkmale eines Bodybuilders im Alltag hervorheben. Um den aufwändigen, zeitintensiven Weg der Körperperfektionierung zu umgehen, erhält man hiermit die Möglichkeit, auf einfachem Weg zum Muskelprotz zu werden.
REPORTAGE ÜBER SPRÜNGLIS LUXEMBURGERLI
FIRTIG, 2011
DER SIEGESZUG DES BONZEN-SMARTIE Kalorienbomben für die Welt: Seit einem halben Jahrhundert lassen Sprünglis Zukkerterroristen mit ihrer Geheimwaffe die Herzen asiatischer Touristen und vermögender Naschkatzen höher schlagen. Das Luxemburgerli gilt bis heute als Erfindung helvetischer Confisseriekunst. Dabei war doch alles ganz anders... Auf den Spuren von Zürichs LifestyleMakaronen. Sie sind das Fashion-Biscuit schlechthin. Perfekte Rundungen, eine straffe, glatt-glänzende Oberfläche und darunter eine luftige CremeFüllung. Beim ersten Bissen knacken sie, verströmen süsses Mandelaroma und kleben wie Marshmellows leicht an den Zähnen. Die Rede ist von den kleinen Makrönchen mit dem ungewöhnlichen Namen: die Luxemburgerli. Ihr typisches Merkmal ist das Kränzchen am Rande des Biscuits – le pied iconique, wie es der Franzose nennt. Eine Herausforderung für jeden Profi, denn ohne Füsschen ist es kein waschechtes Macaron. Im Übrigen in ähnlichen
Tönen gehalten wie Ohropaxpfropfen, aber im Gegensatz zu jenen herrlich luftdurchlässig. Streng aufgereiht präsentieren sie sich auf den Silbertabletts der Sprüngli Filialen, Luxemburgerli an Luxemburgerli. Wie überdimensionale Smarties. Nur eben ein bisschen grösser und teurer. Obwohl die Miniatur-Hamburger bereits 50 Jahre alt sind, gehören sie noch immer zum beliebtesten Mitbringsel aus Zürich. Was einst als acht Gramm leichte Winzigkeit begann, ist heute zu einem gewichtigen Imperium des Zürcher Confisserie-Marktes geworden. Was ist das Erfolgsgeheimnis? „It’s a traditional swiss speciality!“ – erklärt ein mit Fotoapparat ausgerüsteten Japaner, der gerade aus dem berühmtberüchtigten Kaffeehaus am Paradeplatz stürmt. Wenn der wüsste... Das Luxemburgerli wird irrtümlicherweise bis heute dem helvetischen Erfindungsgeist zugeschrieben. Dabei kommt das Rezept weder aus der Schweiz, noch aus den geschäftstüchtigen Händen der Sprüngli-Dynastie. Ursprünglich erblickten die Makrönchen in Spanien während des Passachfestes das Licht der Welt. Die
Juden durften in der besagten Zeit kein Gebäck aus Mehl mit Triebmitteln essen und kreierten so aus weissen Mandeln, Eiweiss, und viel Zucker die kleine Köstlichkeit. Via Italien verirrte sich das Makrönchen dann in den Norden, wo es bis heute Bestandteil der französischen Edel-Confisserie ist. Als Richard Sprüngli vor mehr als einem halben Jahrhundert quer durch Europa zog, um bei den renommiertesten Confiseuren des Kontinents sein handwerkliches Geschick zu verfeinern, lernte er die Köstlichkeit kennen und wollte das vorzügliche Gebäck ab sofort auch selbst herstellen. Das Rezept dazu brachte ihm der junge Camille Studer von einer befreundeten Confiserie in Luxemburg. Dieser weilte Ende der Fünfzigerjahre zur Weiterbildung in Zürich und verfeinerte dort die Makrönchen seines heimatlichen Lehrmeisters. (1957) Er minimierte sie auf den Durchmesser eines Einfränklers, bestrich die untere Hälfte mit einer aromatisierten Buttercreme und setzte die andere Schalenhälfte wie bei einem Sandwich oben drauf. Der originale Name „Baiser de Mousse“, was übersetzt Schaumkuss bedeutet, war der Zürcher Kundschaft jedoch zu peinlich. Kurzerhand taufte man das zarte Gebäck nach seinem Herkunftsort. Anstelle der Küsse bestellten sie fortan das Gebäck des Luxemburgers. Oder eben die Luxemburgerli. Das kleine Gebäck war jedoch zunächst alles andere als ein „Renner“. Die Makrönli wurden zwar verkauft, aber ohne viel Enthusiasmus. Die Herstellung von Hand war recht aufwendig und verlangte viel Fingerspitzengefühl. Ganz nach dem Motto Zeit ist Geld verlangen Sprünglis Zuckerkünstler daher ein kleines Vermögen für die Köstlichkeit. Mit den Jahren kamen die Zürcher auf den Geschmack und heute ist das Gebäck zum sogenannten „Top-Lead-Produkt“ geworden. Die Luxemburgerli sind nicht bloss Sinnbild der Confiserie Sprüngli, sondern ein Wahrzeichen für ganz Zürich. Ihr Ruhm geht sogar über die Landesgrenze hinaus. Mit der Beliebtheit der Luxemburgerli stieg auch der Ehrgeiz der Confiseure, in zahlreichen
Versuchen die Makrönchen zu verfeinern und zu veredeln. Heute werden laut Geschäftsführer Thomas Prenosil bei Sprüngli durchschnittlich 650 kg Luxembugerli pro Tag hergestellt und ist der bekannteste Artikel aus dem SprüngliSortiment. Für die Herstellung werden ausschliesslich natürliche Zutaten ohne Konservierungsmittel und künstliche Farbstoffe verwendet. Neben der hochwertigen Frische machen vor allem die feinsten Zutaten das Erfolgsrezept der Luxemburgerli aus – wie zum Beispiel edelste Bourbon-Vanille-Stengel und natürliche Farbstoffe. Selbst das knallige Rot des Himbeer-Luxemburgerli wird aus dem Saft der Frucht gewonnen. Es gibt sie in über 30 Geschmacksrichtungen und jeden Monat kreieren Sprünglis Zuckerbäcker ein neues Geschmackserlebnis. Von Schokolade, Vanille und Haselnuss bis hin zu hippen Kreationen wie Chili-Whisky und fruchtigem Erdbeer-Rhabarber-Aroma ist alles dabei. Zum Anlass des 50. Geburtstages entstand das Gold-Luxemburgerli mit Perrier-Jouët-Champagner, welches auf der Beliebtheistsskala der älteren Damen sofort Gold-Status erreicht hat. Das Mini-Merinque-Sandwich wurde zum Bestseller auf dem schweizerischen Confiserieteller. Genau deshalb sollten wir die Japaner auch in dem Glauben lassen, das Luxemburgerli sei eine Schweizer Spezialität. Sonst erklären sie bald Luxemburg zu ihrem neuen favorisierten Urlaubsziel.
AUSSTELLUNG VON HENRI CARTIER-BRESSON
FIRTIG, 2011
DIE JAGD NACH DEM ENTSCHEIDENDEN AUGENBLICK Sich auf die Lauer legen, genau zielen, im richtigen Moment abdrücken und dann schnell abhauen - so das Arbeitsmotto des bedeutendsten Fotografen des letzten Jahrhunderts. Eine Retrospektive über das Katz-und-Maus-Spiel von Henri Cartier-Bresson. Eine Horde Kinder, die in einer zerbombten Ruine spielt. Maskenhaft geschminkte Prostituierte, die gute Laune mimen. Ein Mann, der in dieser Sekunde über eine Pfütze springt. Es war stets der entscheidende Moment, den Henri CartierBresson auf seinen Fotografien festzuhalten verstand. Seine Bilder sind ausdrucksstarke Momentaufnahmen. Geometrische Bildkompositionen, die Geschichten erzählen. Der französische Fotograf sah es als seine Mission, die Welt so realistisch wie möglich darzustellen. Menschen in ihrer sozialen Umgebung. Die ungeschönte Wahrheit eben. Henri Cartier-Bresson war ein Jäger. Er beobachtet seine Opfer mit der Intuition einer Raubkatze – stets auf der Jagd nach dem „moment
décisif“, jenem entscheidenden Augenblick, in welchem das Ereignis gipfelte und sich im Bild erfassen liess. Wie eine Katze vor dem Mauseloch wartete er, bis die entsprechende Person vor die Linse trat und „klick“ – knipste er seinen Schnappschuss. Der Franzose studierte erst Malerei, tauschte dann aber den Pinsel gegen die Leica und reiste von da an als Fotoreporter rund um den Globus. Es war sein unglaublicher Instinkt, der ihn immer wieder zur richtigen Zeit an den richtigen Ort führte. Mit seiner Kamera hielt er die entscheidenden, historischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts fest, wie etwa die Ermordung Gandhis, die ersten Tage der kommunistischen Herrschaft in China oder den Kalten Krieg in der UdSSR. Daneben war er Mitbegründer der legendären Fotoagentur Magnum – eine verschworene Kooperative zur Wahrung der Rechte am Bildmaterial. Das Museum für Gestaltung zeigt erstmals eine umfassende Retrospektive des Fotojournalisten. Chronologisch gegliedert nach seinem Lebenslauf umfasst sie rund 300 Momentaufnahmen, Bildstrecken, ein Kabinett mit Künstlerportraits,
Filme, von und über Cartier-Bresson, Länderreportagen und weitere Reliquien. Die Ausstellung lässt ein ganzes Jahrhundert Revue passieren und eröffnet neue Perspektiven über den Mann des entscheidenden Augenblicks.
Henri Cartier-Bresson, im Museum für Gestaltung Zürich, Ausstellungsstrasse 60, 8005 Zürich. Noch bis 24. Juli. Di-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr, www.museum-gestaltung.ch
KUNST VOR ORT: AUF DER PFINGSTWEID
FIRTIG, 2011
KUNST AUF DER PFINGSTWEID Inmitten von leerstehenden Industriehallen, jugendlicher Clubkultur und schicken Luxuslofts zieht für vier Tage die Kunst ein. Ein Partylokal wird zur Ausstellung der besonderen Art. Passend zu Pfingsten gibt’s Kultur auf der „Pfingstweid“. Wo früher zur besagten Zeit das Vieh weilte, ist heute ein interessantes Konglomerat aus alten Industriehallen, der sich ansiedelnden Clubkultur und den boomenden, vom „Industrial Chic“ angezogenen neuen Luxuslofts. Inmitten dieser Nachtclubszene im Kreis 5 befindet sich die „Pfingstweide“, eine ausgediente Lagerhalle, die zur Diskothek umfunktioniert wurde. Hier, in eine Welt voll elektronischer Musik und flimmerndem Neonlicht, dringt nun für vier Tage die Kunst ein – verwandelt das Partylokal in eine Plattform für Malerei, Fotografie, Installationen, Video und Performances. Die Werke werden geprägt von der unverwechselbaren Atmosphäre und der kantigen, ungeschliffenen Authentizität der Industriehalle. Eine Herausforderung für die Künstler, auf diesen Raum einzugehen und spezifisch situative Werke zu schaffen, die ihn in seiner Wirkung kontrastieren oder verstärken. Thematisiert wird der Ausstellungsort als ehemalige Lagerhalle, eine Gegenüberstellung von Industrie versus unberührter Landschaft. Hier treffen sich die Arbeiten von 29 Gegenwartskünstlern. Street Art neben Diskokugeln, bröckelnder Verputz und Luftschachtrohre als Kulisse für inszenierte Bilder, surreale Skulpturen und politische Installationen. Auf der Tanzfläche gedeihen Projektionen, erwachen schräge Töne und am Abend erfüllen die Soundkünstler die
Bude mit Leben. Zwischen diffusem Tageslicht und inszenierter Clubbeleuchtung entsteht ein Gesamtkunstwerk. Der Verein Kunst vor Ort schafft eine Begegnungszone zwischen Industriegebiet und Clubkultur. In einer situativen Auseinandersetzung mit dem Ausstellungsort und den dafür gestalteten Werken entsteht die Möglichkeit eines ungezwungenen Austauschs zwischen Kunstschaffenden und BesucherInnen. Hier bleibt Platz für den zwanglosen Museumsbesuch, für Reflexion, für Begegnungen, für Kommunikation. Ein Ort, der zum Verweilen einlädt...
Pfingstweide, Pfingstweidstrasse 12, 8005 Zürich, Verein Kunst vor Ort. Von 22. bis 25. Juni. www.kunstvorort.ch Ausstellung: Thomas Bestvina, Tashi Brauen, Sabrina Davatz, Benjamin Egger, Edith Hänggi, Viktor Korol, Valentin Magaro, Jan van Oordt, Jean-Noël Pazzi, Monya Pletsch, Navid Tschopp, Oliver Schwarz, Ernst Thoma Performance: Sabrina Davatz, Sarah Graf, Viktor Korol, Jari Antti, Martin Chramosta, Cornelia Heusser, Raimo Benedetti, Gabriel Stampfli, Pocketmaster, Quynh Dong, Giulin Stäubli, Svein Herseman, Tham Le, Duc Le, Niklaus Erismann, Thai Pham Sound: Effbeats & Reaves, Lenz, Juen & Bach, Die Abstrakten
PORTRÄTS AUF DEM FLOHMARKT
ZHDK, 2011
PORTRÄTS Die Stimmung und das Kaufverhalten auf Flohmärkten sind einzigartig: Man kauft nicht mechanisch wie im Laden, sondern mit Emotionen. Leute verabschieden sich von ihren Gegenständen und freuen sich, wenn sich jemand anderes in die Sachen verliebt. Besonders gefällt mir, dass man auf dem Trödelmarkt mit den Leuten ins Gespräch kommt. Erst so erfährt man die interessanten Geschichten und Erinnerungen hinter den Gegenständen. In fünf illustrierten Kurzgeschichten habe ich Personen und ihre Erzählungen festgehalten.
„Ich mag den Charme von analogen Tonträgern. Mit diesem Rekorder zum Beispiel habe ich früher Kassetten bespielt. Das hat Zeit und Geduld gekostet. Ich sass dann Stunden vor dem Radio und wartete auf das richtige Lied - immer auf der Jagd nach aktuellen Hits und Klassikern, die noch in meiner Sammlung fehlten. Als Liebesbeweis habe ich für meine damalige Freundin eine Kassette mit ihren Lieblingsliedern zusammengestellt. Wir sind nun schon seit vielen Jahren glücklich verheiratet und hören uns die Kassette manchmal gemeinsam der Schweiz, noch aus den geschäftstüchtigen Kalorienbomben für die Welt: Seitan.“ einem Händen der Sprüngli-Dynastie. Ursprünglich halben Jahrhundert lassen Sprünglis ZuBeat, 61 erblickten die Makrönchen in Spanien während ckerterroristen mit ihrer Geheimwaffe die des Passachfestes das Licht der Welt. Die Herzen asiatischer Touristen und vermögender Naschkatzen höher schlagen. Das Juden durften in der besagten Zeit kein Gebäck aus Mehl mit Triebmitteln essen und kreierten Luxemburgerli gilt bis heute als Erfindung so aus weissen Mandeln, Eiweiss, und viel helvetischer Confisseriekunst. Dabei war Zucker die kleine Köstlichkeit. Via Italien verirrte doch alles ganz anders... sich das Makrönchen dann in den Norden, Auf den Spuren von Zürichs Lifestylewo es bis heute Bestandteil der französischen Makaronen. Edel-Confisserie ist. Als Richard Sprüngli vor mehr als einem halben Jahrhundert quer durch Europa zog, um bei Sie sind das Fashion-Biscuit schlechthin. Perden renommiertesten Confiseuren des Kontifekte Rundungen, eine straffe, glatt-glänzende nents sein handwerkliches Geschick zu verOberfläche und darunter eine luftige Cremefeinern, lernte er die Köstlichkeit kennen und Füllung. Beim ersten Bissen knacken sie, wollte das vorzügliche Gebäck ab sofort auch verströmen süsses Mandelaroma und kleben selbst herstellen. wie Marshmellows leicht an den Zähnen. Die Das Rezept dazu brachte ihm der junge CamilRede ist von den kleinen Makrönchen mit dem le Studer von einer befreundeten Confiserie in ungewöhnlichen Namen: die Luxemburgerli. Luxemburg. Dieser weilte Ende der FünfzigerIhr typisches Merkmal ist das Kränzchen am jahre zur Weiterbildung in Zürich und verfeiRande des Biscuits – le pied iconique, wie es nerte dort die Makrönchen seines heimatlichen der Franzose nennt. Eine Herausforderung für Lehrmeisters. (1957) Er minimierte sie auf den jeden Profi, denn ohne Füsschen ist es kein Durchmesser eines Einfränklers, bestrich die waschechtes Macaron. Im Übrigen in ähnlichen untere Hälfte mit einer aromatisierten ButterTönen gehalten wie Ohropaxpfropfen, aber im creme und setzte die andere Schalenhälfte wie Gegensatz zu jenen herrlich luftdurchlässig. bei einem Sandwich oben drauf. Streng aufgereiht präsentieren sie sich auf den Der originale Name „Baiser de Mousse“, was Silbertabletts der Sprüngli Filialen, Luxemburübersetzt Schaumkuss bedeutet, war der gerli an Luxemburgerli. Wie überdimensionale Zürcher Kundschaft jedoch zu peinlich. KurzerSmarties. Nur eben ein bisschen grösser und hand taufte man das zarte Gebäck nach seiteurer. nem Herkunftsort. Anstelle der Küsse bestellten Obwohl die Miniatur-Hamburger bereits 50 sie fortan das Gebäck des Luxemburgers. Oder Jahre alt sind, gehören sie noch immer zum eben die Luxemburgerli. beliebtesten Mitbringsel aus Zürich. Was einst Das kleine Gebäck war jedoch zunächst alles als acht Gramm leichte Winzigkeit begann, andere als ein „Renner“. Die Makrönli wurden ist heute zu einem gewichtigen Imperium des zwar verkauft, aber ohne viel Enthusiasmus. Die Zürcher Confisserie-Marktes geworden. Was ist Herstellung von Hand war recht aufwendig und das Erfolgsgeheimnis? „It’s a traditional swiss verlangte viel Fingerspitzengefühl. Ganz nach speciality!“ – erklärt ein mit Fotoapparat ausgedem Motto Zeit ist Geld verlangen Sprünglis rüsteten Japaner, der gerade aus dem beZuckerkünstler daher ein kleines Vermögen rühmtberüchtigten Kaffeehaus am Paradeplatz für die Köstlichkeit. Mit den Jahren kamen die stürmt. Wenn der wüsste... Zürcher auf den Geschmack und heute ist das Das Luxemburgerli wird irrtümlicherweise bis Gebäck zum sogenannten „Top-Lead-Produkt“ heute dem helvetischen Erfindungsgeist zugegeworden. Die Luxemburgerli sind nicht bloss schrieben. Dabei kommt das Rezept weder aus Sinnbild der Confiserie Sprüngli, sondern ein
„Ich ziehe in wenigen Wochen mit meiner Freundin zusammen. Deshalb sind wir auf der Suche nach Möbeln, die uns beiden gefallen und nicht zu teuer sind. Der Flohmarkt ist perfekt dafür. Hier finden wir bestimmt etwas Geeignetes. Ich könnte mir diese Sessel gut vorstellen. Die Gebrauchsspuren und das antike Design geben ihnen Charakter. Weil sie heute nicht mehr hergestellt werden, sind sie etwas Besonderes.“ Marc, 26
„Mit meinen Barbies und Kens habe ich jeden Tag meiner Kindheit geteilt. Am liebsten spielte ich Prinz und Prinzessin und habe davon geträumt, später einmal genau so viele schöne Kleider zu besitzen wie sie. Vor kurzem bin ich ausgezogen und räumte den Keller meiner Mutter frei - da habe ich meine alten Spielsachen in einer Kiste gefunden. Nun habe ich endlich den Mut gefasst, sie auszusortieren. Die lachenden Augen der kleinen Mädchen entschädigen mich für den Verlust der Puppen.“ Sabrina, 19
„Seit Jahren gehe ich auf Flohmärkte, um Kleidung zu kaufen. Die Klamotten hier kann man viel individueller stylen als die von der Stange. Heute trage ich meine Lieblings-Felljacke. Die habe ich vor zwei Jahren bei einem netten Mädchen erstanden - nach einer Viertelstunde harter Verhandlung. Jedes Mal, wenn ich die Jacke aus dem Schrank ziehe, erinnere ich mich daran.“ Ciara, 25
„Ich bin ein grosser Fan der afrikanischen Kultur. Deshalb fliege ich einmal pro Jahr nach Sierra Leone, einer kleinen Republik in Westafrika. Für wenig Geld kriegt man dort von Hand gefertigte Glas- und Holzperlen. Daraus gestalte ich selber Schmuck und verkaufe ihn hier auf dem Flohmarkt. Ich hoffe, auf diese Weise ein kleines bisschen von der afrikanischen Tradi-tion in die Schweiz bringen zu können.“ Regula, 22
AUSEINANDERSETZUNG MIT DER SCHNELLIGKEIT DES LEBENS
ZHDK, THEMA „REC / PLAY“ 2011
EINFACH ABSCHALTEN
DER KLEINE RATG E B E R F Ü R R I C H T I G E S FA U L E N Z E N Unser Alltag wird immer hektischer. Viele Menschen fühlen sich wie ein Hamster im Laufrad, gehetzt und ausgepowert. Wir müssen heute im Zusammenhang vernetzter Systeme funktionieren und können deshalb oft nicht frei über uns, unsere Zeit und unsere Arbeit verfügen. Im Gegensatz zu dem griechischen Hochkulturen definieren wir uns nicht mehr über persönliche Freiheit, sondern über unsere Leistung. Selbst im Urlaub möchten wir immer noch neue Sprachen erlernen und uns kulturell weiterbilden. Aus dem schöpferischen „homo faber“ ist ein „animal laborans“, ein Arbeitstier, geworden. Bis heute gilt deshalb das Vorurteil: Durch Nichtstun kommt nichts zustande. Nichtstun „bringt nichts“. Diese Argumentation ist vollkommen falsch. Ohne lange Zeiten des Nichtstuns ist der menschliche Körper nicht mehr leistungsfähig. Unser Gehirn ist ein Organ, das ständig Kohärenzarbeit leistet. Es ist, im Gegensatz zum Computer, nicht dafür geschaffen, Daten zu speichern und wieder auszuspucken.
Vielmehr will es aktuelle Erlebnisse verstehen, die Umwelt gestalten und Handlungen steuern, die gegenwärtig sinnvoll sind. Informationen können am besten verarbeitet werden, wenn wir uns in einem entspannten Zustand befinden. Aus diesem Grund ist es heute umso wichtiger, das Faulenzen als Tätigkeit auszuleben. Wir benötigen einen Stop-Knopf, um von der leistungsorientierten Gesellschaft abschalten zu können. Wer den ganzen Tag über in einem Zwangskorsett steckt, braucht daneben auch Phasen der Erholung. Nicht umsonst steckt in dem Wort der Lenz drin, der an herrliche Sonnentage in der aufblühenden Natur erinnert. Dieser Ratgeber möchte als Anlass dienen, den ganz persönlichen Stop-Knopf zu betätigen und sich wieder einmal der dolce-far-niente (dem süssen Nichtstun) hinzugeben. In fünf einfachen Schritten werden die wichtigsten Merkpunkte des Faulenzens aufgezeigt. Zusätzlich finden Sie die Anleitung auf einer CD am Ende des Buches.
KONZEPT REC | PLAY – die Nonstop-Gesellschaft Wir leben heute in einer Gesellschaft, in der die Geschwindigkeit eine grosse Rolle spielt. Power-Naps, Schnellzüge, Express-Kassen und Convenience-Food prägen unseren Alltag. Und wo es nicht mehr schneller geht, fordert man Multitasking und Rund-um-die-Uhr-Betriebe. Das Leben nimmt eine ungeahnte Beschleunigung an: Arbeit wird zur Tätigkeit, analoge Handlungsweisen zur Flexibilität und mechanische Zeit zur Echtzeit. Wir sind immer schneller unterwegs. Nonstop. In diesem Zeitalter der Technik bleibt dem einzelnen Individuum nichts anderes üb- rig, als mit dem Tempo mitzuhalten. Es entsteht das Pflichtgefühl, immer funktio- nieren zu müssen. Durch Kommunikationsmittel wie Handy und Computer sind wir zudem jederzeit erreichbar geworden. Wir müssen ständig aufnehmen und abspielen – speichern und wiedergeben. STOP – Ausstieg aus der Geschwindigkeit Immer häufiger leiden Menschen unter dem Zeit- und Leistungsdruck der Gesell- schaft. Burn-Outs und die körperliche, geistige sowie emotionale Erschöpfung sind daher keine Seltenheit mehr. Im Gegensatz zu Maschinen sind wir Menschen aber auf den Stop-Knopf angewie- sen. Wir besitzen das Bedürfnis nach Pause und Erholung. Obwohl das Faulenzen durchaus essentiell für den menschlichen Körper ist, getraut sich niemand zuzu- geben, den ganzen Sonntag vor dem Fernseher verbracht zu haben. Ständig wird gefragt, was wir denn schon geleistet hätten. Das Nichtstun steht heute unter einem schlechten öffentlichen Image.
Faulenzen – das Abschalten im Alltag Ich habe in meiner Umsetzung das Tabuthema „Faulenzerei“ aufgegriffen. Um mich dem Thema von einer kritischen Seite zu nähern, schien mir die Form des Ratgebers sehr treffend. Anleitungen findet man heutzutage überall: Kochrezepte, Do-it-your- self-Strategien, Bauanleitungen, Fitnesspläne - der Mensch braucht für alles eine An- weisung. Wir können so vereinfacht etwas aufnehmen (rec) und nachmachen (play). „Der kleine Ratgeber für richtiges Faulenzen“ ist meine Antwort auf die Schnel- ligkeit des Lebens und die nonstop-Gesellschaft. Ich möchte die Attraktivität und gesellschaftliche Relevanz des Nichtstuns hervorheben und eine Anleitung für all jene bieten, die diese wertvolle Tätigkeit verlernt haben.
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