Blaue berge

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Reso Tscheischwili Blaue Berge

Auf einem Aschfarbigem Feld wird Motorball gespielt. Die Motorritter schleifen einen riesigen Ball über das Spielfeld. Aschfarbiger Staub und Abgase steigen in Schwaden in die heiße Luft und verflüchtigen sich dort. Der mit roten und weißen Fähnchen gewappnete Schiedsrichter rennt schonungslos zwischen den knatternden Maschinen. Auf der Landstraße bleiben hinter dem Netz Zaun die Autos stehen. Die vor Hitze geplagten Fahrer und Fahrgäste schauen dem Motorballspiel teilnahmslos zu. Nach einer kurzen Weile fahren sie dann weg und machen den Platz für andere Schaulustige frei. Hinter dem Spielfeld ist eine Schlucht und hinter der Schlucht eine Baustelle am Eisenbahngelände. Im blassen Staub und Abgasnebel spiegeln sich die Konturen der eintönigen Hochhäuser des neuen Viertels am Stadtrand. Rechts sind unansehnliche Häuser und ein im Pseudoklassischen Stil errichtetes Gebäude zu sehen. Ein düsteres Landschaftsbild von Grönland. Ein bläulicher Gletscher gleitet zum Ufer des kalten Ozeans. Hinter dem Gletscher ­ ein hellblau schimmerndes Eisfeld. Neben dem Eishaufen hockt wohl ein Eisbär. Waso Tschorgolaschwili steht unter dem riesigen Gemälde „Grönland“, das in einem vergoldeten aber schon abgedroschenen Rahmen an der Wand hängt. Verwundert starrt er auf den Tisch, dessen grüner Filzüberzug mit Kalkkrümeln bedeckt ist. Dann bläst er die Krümel vom Tisch, wischt ihn sauber und legt die Zeitungen vor sich aus. Er hängt den Strohhut an den Ständer, wischt sich mit dem Taschentuch über die Glatze und zerfurchte Stirn, schaut nach oben, betrachtet das „Grönland“ Gemälde und blickt dann zum Fenster hinaus, auf das aschfarbige Spielfeld und den Motorball, die in einer aufgewirbelten Staubwolke mit Abgasen gehüllt sind. Die Motorritter rasen wie Schattengestalten über das Feld, so als wollten sie den lebensmüden Schiedsrichter umgehen. Durch die solide abgedichteten Fenster des pseudoklassischen Gebäudes dringen weder der Autolärm, noch die entfernten Stadtgeräusche hinein. Die Klimaanlage summt gedämpft und man hört nur die Schritte der Kollegen im Korridor. Auf dem Aschfarbigen Feld ­ ein stummes Motorballspiel. Hinter dem Netz Zaun stehen glühend heiße Autos, deren vor Hitze geplagten Fahrgäste dem ungewöhnlichen Spiel aus den Fenstern zuschauen und dann die Stelle bald wieder verlassen. Zwischen den Autos und dem Zaun schreitet ein hagerer Bürger mit einem Aktenkoffer daher. Er nähert sich dem pseudoklassizistischem Gebäude und verschwindet am Eingang. Er durchquert die Säulenhalle und tritt zum Fahrstuhl, dessen Tür offen steht. Im Lift stehen schon ein junger Mann und eine junge Frau. Der blonde Jüngling hat ein glattrasiertes, etwas blasses Gesicht und hellbraune Augen. Die junge Frau mit ihrem blanken Gesicht presst sich mit dem Rücken gegen die Fahrstuhlwand, wobei ihr straffer Busen noch weiter nach oben gezogen ist. Der junge Mann mit dem kurzärmeligen Hemd hat unter seinem muskulösen Arm voller Sommersprossen ein paar Mappen geklemmt. Der magere Bürger begrüßt die Anwesenden und stellt sich bescheiden am Rand des Fahrstuhls.


„Soso, warst du die ganze Zeit hier in der Stadt?“, fragt die Frau. „Ja, ich habe gearbeitet“, antwortet Soso. „Du kannst dir ja nicht vorstellen, wie sehr mich dein Manuskript interessiert!“, sie schaut auf den Aktenordner und dann zu Soso empor. „Du hast ganz schön abgenommen!“ Soso zuckt mit den Achseln und antwortet nicht. Dem erstaunten Bürger, der auf die Fahrstuhlknöpfe starrt, erklärt es kurz, dass man den Lift gerade repariert und er in Kürze losfahren wird. Es sei klar, nickt der Bürger, dessen Schulter durch das Gewicht des Aktenkoffers nach unten hängt. Von oben hört man das Pochen eines Hammers. Eisen schlägt gegen Eisen und ein monotones Raunen hallt durch den Schacht bis zu Kabine. Indessen dringt ein korpulenter Mann wie ein Berg in die Kabine, dem gleich noch andere Mitarbeiter folgen. Er nimmt seinen Hut ab, wedelt sich damit ins Gesicht und stöhnt. „Grüß Sie, Herr Irodion!“, begrüßt ihn Soso. „Guten Tag Soso, wo warst du, dass man dich nicht gesehen hat?“ „Ich habe gearbeitet und bringe jetzt die endgültige Fassung, Herr Irodion!“ „Erzähl mir jetzt nichts davon… ich bin im Urlaub, ich bin und bin es nicht. Ich komme immer noch nicht weg. Ich werde es schon noch lesen, das schaffe ich noch, du hast aber abgenommen.“ „Dann gebe ich Ihnen ein Exemplar, Herr Irodion.“ „Und was bleibt dir dann?“ „Wozu brauch ich noch eins? Herr Soso bekommt ein Exemplar und das andere Herr Otar, sonst ist ja keiner mehr da.“ „Doch es sind noch welche“, antwortet die vollschlanke Frau mit dem blanken Gesicht. „Kote ist hier, Kaki, Tennis, Borja, Schukri und wen brauchst du noch?“ „Also eins gibst du mir“, Irodion setzt seinen Hut auf und wiegt die Mappe mit der Hand ab. „Ich werde das gleich heute, nein heute schaffe ich das vielleicht nicht aber in den nächsten Tagen durchlesen und an Schukri Gomelauri weitergeben.“ „Ich wäre Ihnen sehr dankbar, Herr Irodion. Wenn Schukri das nicht nimmt, geben Sie es an Zwerawa weiter.“ Im Lift gehen alle Etagenknöpfe gleichzeitig an. „Dir gebe ich später ein Exemplar“, sagte Soso leise zur Frau. „Ich weiß, es eilt ja nicht.“ Die Tür geht zu und sie verbleiben alle hinter dem verrußten Gitter. Vor Hitze geplagt wedeln sich alle ins Gesicht. Alle starren auf den mageren Bürger, der schon vor ihnen in der Kabine stand. Oben im Korridor gehen die Leute auf und ab. Der mit Farben bekleckerte Arbeiter schleppt eine Klapptreppe mit sich herum. Immer wieder werden die mit schwarzem Kunstleder überzogenen Türen geöffnet. Die Mitarbeiter gehen in die Zimmer ein und aus. Man hört die Schreibmaschinen tippen und die Telefone klingeln. Waso Tschorgolaschwili schaut durch die offene Tür, die Lesebrille


auf den Kopf. Vom Weiten sieht es aus, als wenn sein langer Hals und der kahle Kopf aus einem Gehäuse stecken. „Herr Grischa, könnten Sie mal einen Moment hereinkommen!?“, fragt er den grauhaarigen Greis, der fast im Marschschritt vorbeiläuft und einen Kittel oder so genannten „French“ Jackett trägt. „Was gibt’s verehrter Waso?“, der Greis bleibt stehen, ordnet die unterschiedlich langen Papiere und wartet, bis der Arbeiter mit der Leiter auf der Schulter rückwärts vorbeiläuft. „Kommen Sie bitte herein!“ Sie schauen auf das „Landschaftsbild von Grönland“. „Dieses Bild hängt schon so lange ich zurückdenken kann hier.“ „Ja, sie haben Recht, es hängt und hing schon immer hier aber ab jetzt wird man es woanders hinhängen müssen!“ „Ja, aber warum, können Sie mir das wenigstens erklären?“ „Ich weiß nicht, was hier los ist, Herr Grischa, aber in der letzten Woche hat sich am Freitag etwas gelockert und wackelt jetzt. Danach sind ein paar Krümel von Putz heruntergefallen. Schauen Sie, ich habe es noch nicht weggeräumt.“ „Dann stellen Sie doch ihren Tisch woanders hin!“ „Wohin? Etwa an die Tür oder ans Fenster? Dort sitzt Bella und Otar meint, dass wir im Falle neuer Stellen einen Mitarbeiter eventuell dorthin platzieren werden. Aber darum geht es nicht. Ich sitze seit siebenundzwanzig Jahren hier! Seit Siebenundzwanzig!“ „Und es fällt Dir erst jetzt ein, Herr Waso?“ „Was, dass ich siebenundzwanzig Jahre lang hier sitze?“ „Das auch, ich meine das Bild!“ „Es soll mir erst heute eingefallen sein und das sagen Sie mir? Wie viele Male habe ich Sie darum gebeten, wie viele Male mich an Sie gewandt?“ Der magere Bürger, der aus dem Fahrstuhl gedrängt wurde, kommt die enge und hochstufige Treppe empor. Mit seiner Aktentasche über der Schulter, die schief nach unten hängt, betrachtet er beim Passieren alle Türen. Der leere Fahrstuhl klappert von Etage zu Etage. Zwischendurch leuchtet das rote Licht auf. Soso und die vollbusige Frau nähern sich im Gespräch dem Zimmer von Waso Tschorgoleischwili. An der Tür steht der Malermeister Micho. Mit seinem Arm umschlingt er die oberste Stufe der Leiter, indem er seinen Fuß auf die unterste Stufe gestellt hat. „Guten Tag Micho, was ist denn hier los?“, fragt eine Frau. „Nichts“, antwortet der Malermeister kurz. „Von meinem Tisch hast du aber nichts weggenommen, oder?“ „Nein, nichts. Wo warst du Soso, warum hat man dich eine Zeitlang nicht gesehen?“ Er stammelt ein wenig, spricht aber dennoch ohne zu stocken. „Sie müssen einen Antrag an Otar schreiben, oder noch besser an den Direktor. Egal, richten Sie das Schreiben an wen Sie wollen, sei es ganz oben und ich werde machen,


was man mir befiehlt, es fortbringen oder ganz und gar wegschmeißen!“, sagt Grischa zu Waso. „Ich habe nichts von Wegschmeißen gesagt. Hallo Soso, wo warst Du denn, dass man dich gar nicht mehr gesehen hat?“ „Ich habe gearbeitet, Herr Waso,“ „Du hast ein wenig abgenommen.“ „Kann sein“, antwortet Soso, die Mappen unter dem Arm geklemmt. Die Frau setzt sich an ihrem Arbeitstisch und schaut misstrauisch auf das Durcheinander der Papierbögen. „Herr Waso, hat hier jemand was weggenommen?“ „Ich glaube nicht, hast du es mitgebracht Soso? Ich werde heute sofort einen Antrag an Otar stellen.“ „Sehr gut“, meint Grischa „Reichen Sie ihn ein. Soso, du hast aber zugenommen, wo warst du im Urlaub? Du hast es wirklich mitgebracht? Otar wird sich sehr freuen, er wartet schon auf dich, na also, macht’s gut!“ Grischa geht, Waso ist im Begriff den Antrag zu schreiben und spricht dabei zerstreut mit Soso. Er rückt seine Brille grade, bläst seinen Tisch ab und starrt sowohl auf das leere Blatt als auch auf die Mappe, die ihm Soso hingelegt hat. „Die Blauen Berge, Tian Shan…“, liest er leise, „Du hast abgenommen, hast wohl nichts gegessen? Gib mir ein wenig Zeit und ich werde mich darum kümmern, es lesen, keine Bange!“ „Geben Sie es dann bitte an Bela weiter, Herr Waso.“ „Werde ich, wo ist denn Bela? Bist du gekommen?“ „Herr Waso, hat mich jemand angerufen?“, fragt die vollbusige Bela. Soso schreitet mit seinen dicken Sohlen laut durch den Korridor und holt den mageren Bürger vor ihm ein. Der Bürger schaut sich um und fragt, ob er in die richtige Richtung geht. „Was heißt richtige?“, Soso versteht die Frage nicht. „Ich möchte den Direktor sprechen.“ „Gerade aus und Rechts!“ Die Sekretärin sitzt im Wartezimmer am Tisch mit den Telefonen und vor ihr steht Soso mit seinen Mappen. Man hört in der Stille die Klimaanlage summen. Zwei massive Türen starren sich gegenüber an. An der einen steht „Direktor“ und der anderen „Stellvertreter“. Vor der Tür des Direktors wartet der Bürger mit der schiefen Schulter. Vor der Tür des Stellvertreters wartet Grischa. Hin und wieder werfen sie sich einen feindlichen Blick zu. Der Malermeister Micho hat die Leiter an den Eingang gelehnt. Er hat seinen Fuß auf die unterste Stufe gestellt und überlegt. „Was ist denn das, Tina?“, fragt Soso leise. Er nimmt die glänzenden Papiere vom Tisch, dreht sie hin und her und riecht daran. „Einladungen, morgen ist die Gesellschaftsversammlung. Die Anwesenheit ist Pflicht.“


„Darf ich?“ „Natürlich, wie viele willst du haben?“ „Eine, zwei, wie viele du mir geben kannst… Es ist also morgen? Aber morgen habe ich keine Zeit.“, er legt die Einladungen zurück. „Nimm sie doch mit.“ „Ich lass sie lieber da, jemand wird sie schon gebrauchen!“ Tina stöhnt, krümmt sich hinter dem Tisch und starrt verärgert auf die Telefonliste. Die Mitglieder des Beirats treten ein: Shukri, Kako, Tengis, Borja, Kote, Bela und Waso Chorgoleischwili, der ohne zu fragen in das Zimmer des Stellvertreters marschiert. Alle anderen begrüßen Soso, außer Bela. Sie fragen, wie es ihm geht und wo er so lange gewesen ist. Er habe gearbeitet. Das solle er ihnen ja nicht erzählen. „Es geht dir wohl gut, hast sogar zugenommen!“, lächelt ihm ein junger, leicht gebauter Mann zu, der die Einladungen betrachtet. Die Sekretärin fragt, wie viele er will. So viele, wie sie ihm geben kann, meint der junge Mann. „Nimm, so viele du willst.“ „Ich würde ja welche nehmen aber meine Taschen sind zu klein. Wer will die Einladungen haben?“ Sie gehen der Reihe nach zum Tisch, schauen sich die glänzenden Einladungen an und legen diese wieder akkurat auf einen Stapel. Die Anwesenheit ist Pflicht, wiederholt die junge Frau bewusst kühl. Sie ist sichtlich durch die Hitze geplagt, welche durch die Fenster dringt. „Wer ist denn beim Direktor?“, fragt von weitem ein Mann im mittlerem Alter, der sehr jugendlich gekleidet ist. „Da ist niemand.“ „Warum hat er uns dann herbestellt?“, wundert sich Tengis, der sich mit seiner Prothese quietschend und dem massiven Gehstock pochend dem Tisch nähert. „Ist die erweiterte Gesellschaftsversammlung wirklich morgen?“ „Ja, sie ist morgen und es sollten alle teilnehmen. Ich habe aber nichts von einer erweiterten Versammlung gesagt. Wer hat Sie denn herbestellt? Er ist selbst nicht da und hätte sie nicht herbestellen können.“ „Hej“, sagt Tengis halb pfeifend, „er ist ja gar nicht da…“, dabei legt er die Einladung wieder auf den Tisch. „Wird man mich ohne Einladung nicht reinlassen?“ „Wohin, zum Direktor?!“ „Nein, in die erweiterte Dings da…“ „Ich habe nichts von einer erweiterten gesagt…“ „Ich bin wegen der Fabeln hier!“, erinnert der Bürger mit der schiefen Schulter, der bisher ohne ein Wort zu sagen, leise dastand. „Egal, worum sie hier sind“, sagt die Sekretärin und hebt den Hörer ab, „Ja, ja, er ist nicht da, ich weiß nicht. Sie sehen doch, er ist nicht da und wenn er da wäre, könnte er sie in


der ersten Tageshälfte sowieso nicht empfangen. Ich habe keine Ahnung, mein Herr“, sie legt den Hörer auf. „Und in der zweiten Tageshälfte?“ „Je nach dem, worum es geht.“ „Zum Beispiel um Fabeln aber das spielt keine Rolle. Wenn Sie so nett wären, ihm auszurichten, dass Herr Kuparadse angerufen hat. Ich komme morgen wieder.“ „Ich werde es ausrichten.“ „Vielen Dank, Entschuldigung von wann bis wann sind seine Empfangszeiten?“ „Von zwei bis Ende des Tages.“ „Ich darf doch morgen kommen und auf ihn warten?“ „Ja, Sie dürfen“ „Haben Sie hier nur Fabeln?“, fragt Borja mit hochgezogenen Augenbrauen, der ein in seine Schönheit nicht ohne Grund überzeugter Jüngling ist. Der magere Bürger starrt auf seine Aktentasche und zögert mit der Antwort. „Fügen Sie noch was dazu und kommen Sie erst dann wieder!“, rät ihm Schukri, der in dieser Hitze eine Filzmütze trägt. Kote hält sich die Einladungen vor dem Gesicht. Seine Ohren zucken leicht. Vielleicht lacht er und möchte damit seinen kaputten Vorderzahn verdecken. „Ich habe keine Fabeln dabei“, verkündet der Bürger. Er schaut mal Schukri und mal Kote an und wundert sich, was mit ihnen ist. Kote reist sich zusammen und legt die Einladungen vorsichtig auf den Tisch. „Auf wen warten wir denn hier, Borja?“, fragt Bella, die es leid ist so lange zu stehen. „Ich persönlich warte auf dich, sonst weiß ich nichts.“ „Was nützt es dir, mich anzuschauen“, stöhnt die Frau mit dem blanken Gesicht und den straffen Busen. Waso Chorgolaschwili kommt mit einem unterschriebenen Gesuch zufrieden aus Otars Kabinett. Mal wirft er Grischa einen herausfordernden Blick zu, mal schaut er verwundert auf das Gesuch. „Lass es doch gleich in der Verwaltung registrieren und hol dir eine Resolution von Murwanise ein.“, Grischa lugt mit einem Auge in das Gesuch. „Jawohl, was will der denn? Lasst ihn eintreten.“ Grischa tritt in Otars Zimmer, Waso starrt auf den Malermeister und lächelt dabei. „Wann wirst du es wegbringen“, fragt Micho den Maler. „Was denn, Herr Waso?“ „Das Bild“, er zeigt ihm das Gesuch. „Das Bild?“ „Jawohl, das Bild.“


„Wann immer sie möchten.“ „Das heißt wann?“ „Mir egal, wann Sie möchten!“ „Heute?“ „Heute?“, er stottert immer mehr, so als wenn ihm jemand die Worte eins nach dem anderen in den Mund legt. „Heute nicht, Herr Waso.“ „Wann denn sonst?“ „Mir egal, wann immer Sie wollen.“ „Morgen?“ „Morgen geht es nicht, Herr Waso…“, er schaut plötzlich ganz bescheiden zum Boden. „Wann denn?“ „Wann Sie wollen.“ „Übermorgen?“ „Nein, nicht übermorgen, da habe ich keine Zeit.“ „Sondern?“ „Egal, wann Sie möchten, mir ist es egal.“ „Der Tag nach übermorgen?“ „Am Tag nach übermorgen, nicht…“ „Wann denn?“ „Wenn Sie möchten Herr Waso!“ „Gab es diesen Riss schon hier?!“ schreit der magere Bürger ganz unverhofft während des Gespräches auf. Die Sekretärin, welche in Gedanken versunken ist, schreit bei dieser Stimme auf, sie könne nicht mehr und legt sich erbleicht die Hand aufs Herz. „Was ist, geht es Dir schlecht?“, fragt Waso Chorgoleischwili die Sekretärin. „Was wollten Sie wissen, mein Herr?“, fragt er den Bürger, nach dem er sich überzeugt hat, dass die Sekretärin wohlauf ist. „Ich fragte, ob dieser Riss schon hier war, ich bitte um Verzeihung, wenn ich Ihnen einen Schrecken eingejagt habe…“ „Was für ein Riss, welcher Riss…“, flüstert Waso für sich und starrt wieder auf das Gesuch. Die Sekretärin ruft an. Otar begleitet Grischa bis zur Tür seines Kabinetts. Waso bedankt sich, wobei er das Gesuch hochwedelt. Es sei doch selbstverständlich meint Otar und redet mit Grischa weiter. „Leeren Sie es, leeren Sie es, zögern Sie nicht mehr.“ „Das Neue werde ich leeren aber was soll ich mit dem Alten machen? Sie liegen unter freien Himmel, sind den ultravioletten Strahlen ausgesetzt und verblassen. Sie verlieren an der Bläue. „Woran verlieren sie?“


„An der Bläue.“ „Was heißt, sie sind den Strahlen ausgesetzt?“, er schaut zu Soso während er spricht. „Den Ultravioletten“. „Ja gut, sag Silovani, dass er dir den Filmstreifen mitbringt. Ivlita wird euch die Tür öffnen. Im Kühlschrank liegt eine gefrorene Ente. Soso, komm mal her“, er fasst Soso, der sich gerade nähert, unterm Arm und führt ihn in sein Kabinett. Unterwegs sagt er ihm, er hätte seine „Blauen Brücken“ gelesen. Dann lässt er ihn an den Besprechungstisch Platz nehmen und setzt sich auch selbst dazu. „Es sind jetzt schon die Berge, Herr Otar. Es heißt nicht mehr Brücken, sondern Berge. Ich habe es verändert und extra für Sie das zweite Exemplar mitgebracht. Das erste muss ich Wascha übergeben. Das Dritte hat Waso bekommen und das Vierte Ilarion. „Die Blauen Berge ­ Tian Shan“, buchstabiert Otar beim Lesen. „Wo sind denn jetzt die Brücken hin?“ „Es war zu kurz und Sie meinten, ich sollte es länger schreiben. Die anderen sagten das Gleiche. Nach dem allgemeinen Beschluss habe ich es verlängert. Außerdem meinten sie, ich hätte zu viele Dialoge drin. Es hat mir eingeleuchtet und habe das verändert. Das ist die dritte Version, entweder sie nehmen es an oder ich kündige Ihnen die Freundschaft. Ob so oder so, ich widme mich nicht mehr diesem Thema, es reicht mir an Arbeit, Herr Otar…“ Im Wartezimmer steht nur noch der magere Bürger. Er steht an einem Fleck und schaut hin und wieder nach oben. Otar und Soso kommen Arm in Arm aus dem Kabinett. Otar meint, er habe abgenommen und schaut von hinten und vorne auf die Mappe mit seinem Exemplar.


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