MAGAZIN Ausgabe 1 / 2021
FRAGILE Suisse
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Helpline
Über 800 Anfragen gingen 2020 bei der Beratung ein
Interview
Das sind die häufigsten Ursachen für Hirnverletzungen
Für Menschen mit Hirnverletzung und Angehörige Ausgabe 1 / 2021 | 1
FRAGILE Suisse
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser Antonella Stefanelli Leiterin Marketing, Kommunikation und Fundraising
Als ich diese Zeilen schrieb, befanden wir uns bereits im zweiten Lockdown. Es ist schwierig vorauszusehen, wie unser Alltag in den kommenden Wochen oder im gesamten 2021 aussehen wird. Schwierig vorauszusehen sind auch Hirnverletzungen, denn die Ursachen können vielfältig sein und der Zeitpunkt ihres Auftretens unerwartet – durch einen Unfall oder eine Krankheit. Diese Magazin-Ausgabe widmet sich dem Thema «Ursachen von Hirnverletzungen». Durch was werden Hirnverletzungen ausgelöst und kann man sich präventiv davor schützen? Lesen Sie mehr im Fachbeitrag von Neurologe Prof. Dr. med. Patrik Michel. Oder erfahren Sie im Porträt, wie sich der Alltag von Uschi und Markus Stadelmann nach ihren Schicksalsschlägen verändert hat, und lassen Sie sich von ihrer Liebesgeschichte berühren. Schicksal oder nicht? Wir wissen es nicht. Jeder Einzelne von uns kann sein nächstes Umfeld und seinen Alltag mit seinem Tun verbessern. So wie FRAGILE Suisse den Alltag von Betroffenen und ihren Angehörigen unterstützend begleitet und dadurch erleichtert, wie zum Beispiel mit unserer Helpline. Mehr dazu in der Rubrik «Dienstleistungen». Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre des vorliegenden Magazins. Bleiben Sie gesund, tragen Sie Sorge zu sich und Ihren Liebsten. Herzlich
Ihre Antonella Stefanelli Leiterin Marketing, Kommunikation und Fundraising
Impressum FRAGILE Suisse Magazin | Ausgabe 1/2021 Auflage 45‘000 Ex. Herausgeber FRAGILE Suisse, Badenerstrasse 696, 8048 Zürich, 044 360 30 60, info@fragile.ch, www.fragile.ch Gestaltung Rebel Communication, 8004 Zürich, www.rebelcom.ch Druck Prowema GmbH, 8332 Russikon Redaktion Carole Bolliger, Aurélie Vocanson Inserateverkauf fachmedien.ch, Zürichsee Werbe AG, 8712 Stäfa Übersetzung Dominique Naegeli-Gascon, Irene Bisang Spendenkonto PC / CCP 80-10132-0 Abonnement CHF 10.– pro Jahr, im Spenden- bzw. Mitgliederbeitrag inbegriffen.
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Aktuell
Neue Leitung Dienstleistungen Per 1. April 2021 übernimmt Julia Eugster die Leitung der neuen Abteilung Dienstleistungen mit den drei Bereichen Beratung, Begleitetes Wohnen und Bildung. Silvia Spaar wird die Leitung Bereich Beratung abgeben, ihr Pensum reduzieren und sich auf die Projektleitung des Lotse-Projekts konzentrieren. Julia Eugster ist seit gut fünf Jahren für FRAGILE Suisse in der Beratung tätig. Seit Mai 2018 ist sie die Leiterin Begleitetes Wohnen. Diese Aufgabe wird nun Fanny Schlegel übernehmen. Als Leiterin der Abteilung Dienstleistungen ist Julia Eugster neu auch Mitglied der Geschäftsleitung. «Ich freue mich, mit einem guten Team zusammen diese neue Herausforderung anzunehmen», sagt Julia Eugster. Sie will die Angebote für Betroffene, Angehörige und Fachpersonen stetig weiterentwickeln und ausbauen.
Neue Infobroschüre «Ursachen und Prävention» FRAGILE Suisse will mit klaren und verständlichen Informationen Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen Themen rund um Hirnverletzungen und deren Folgen näherbringen. Dazu werden verschiedene Infobroschüren erarbeitet und veröffentlicht. In der aktuell auf Deutsch und Französisch erschienenen Infobroschüre «Ursachen und Prävention» werden die Ursachen einer Hirnverletzung beschrieben und auch auf Präventionsmassnahmen hingewiesen. Was sind die Ursachen einer Hirnverletzung infolge eines Unfalls oder einer Krankheit? Welche Auswirkungen haben diese aufs Gehirn? Diesen und anderen Fragen wird in der Infobroschüre auf den Grund gegangen. Diese Infobroschüre konnte dank zahlreichen Rückmeldungen von Betroffenen und Angehörigen sowie Fachpersonen entstehen. Ein besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. med. Wolfgang Fries für seine tatkräftige, unentgeltliche Arbeit und Unterstützung. Die Broschüre ist erhältlich unter: fragile.ch/broschueren-hirnverletzung/
50 000 Franken von Zurich Schweiz Nach einem Schlaganfall oder einer Hirnblutung brauchen Betroffene nach der medizinischen Hilfe Unterstützung im Alltag. Diese wird durch FRAGILE Suisse gewährleistet. Deshalb spendet Zurich Schweiz für jede verkaufte Lebensversicherung 5 Franken an FRAGILE Suisse. Martin D. Rosenfeld, Geschäftsleiter von FRAGILE Suisse, freut sich über die Spende von 50 000 Franken und sagt: Herzlichen Dank!
Lebensgeschichten als Buch Zum 75-Jahr-Jubiläum gibt Pro Infirmis Freiburg das Buch «Von der Strasse abgekommen» mit sieben Lebensgeschichten heraus. Jean Marzon, Mitglied von FRAGILE Waadt, hat sich an diesem Projekt beteiligt. Seine Lebensgeschichte «Sortie de route» handelt von Jeans Unfall und den Auswirkungen auf sein Leben: eine berührende Geschichte, die nicht nur die Schwierigkeiten, sondern auch die Freuden aufzeigt, die auf eine Hirnverletzung folgen können. Das Buch ist in Buchhandlungen und bei Pro Infirmis Freiburg zum Preis von 20 Franken erhältlich.
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Porträt
«Wir mussten beide weiterleben, um einander zu finden» Text: Carole Bolliger / Fotos: Ethan Oelman
Markus Stadelmann wurde vor 23 Jahren von einem Lastwagen erfasst und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Seine heutige Frau, Uschi Stadelmann, hatte im März 2018 eine Hirnhautentzündung. Vor fast sechs Jahren kreuzten sich ihre Wege, der Anfang einer wunderbaren Liebesgeschichte. Er hält ihre Hand liebevoll. Zusammen sitzen sie auf ihrem Sofa im gemütlichen Wohnzimmer. Sie strahlt ihn verliebt an. «Wir sind füreinander bestimmt», sind sich die beiden sicher. Doch bis sich ihre Wege kreuzten und sie die grosse Liebe zueinander fanden, musste jeder für sich einige Stolpersteine im Leben meistern. Markus Stadelmann war ein junger, kräftiger Mann. Er arbeitete als Betriebsmaurer auf einem Autobahnwerkhof. Im August 1998 kam er seinem Job nach und sicherte einen Unfall auf der Autobahn. Ein Lastwagenfahrer bemerkte ihn nicht oder zu spät und erfasste ihn. Markus Stadelmann wurde weggeschleudert und überlebte den Unfall wie durch ein Wunder. Der Notarzt rettete ihm durch einen Luftröhrenschnitt das Leben. Die inneren Organe wurden gequetscht, sodass ein Teil der Lunge und die Milz entfernt werden mussten. Und er trug ein schweres Schädel-Hirn-Trauma davon. Markus Stadelmann lag zwei Monate im Koma. «In dieser Zeit hatte ich ein Nahtoderlebnis», erzählt er und drückt die Hand seiner Frau noch etwas fester. Er habe ein helles Licht gesehen, aber eine Stimme sagte ihm, er solle bleiben, es gebe einen Grund zum Weiterleben. «Heute weiss ich, dass ich weiterlebte, damit ich später Uschi kennenlernen konnte», ist er überzeugt. Nicht nur die Erinnerung an den Unfall fehlt ihm, auch viele Erinnerungen aus seinem früheren Leben sind bis heute ausgelöscht. Vieles musste Markus Stadelmann nach seinem Unfall in einer neunmonatigen Reha wieder lernen: laufen, schreiben, reden. Er war damals verheiratet, doch seine zweite Frau kam mit dem Schicksalsschlag nicht zurecht, sie fing an zu trinken und machte ihm grosse Vorwürfe. «Ich hatte viele Schuldgefühle meiner Frau gegenüber, weil auch ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt wurde», erinnert sich Markus Stadelmann. Eine schlimme und schwie-
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rige Zeit. Er zog sich immer mehr zurück, verlor fast alle Freunde. Er suchte die Schuld bei sich, setzte sich aber nicht mit seiner Hirnverletzung und deren Folgen auseinander. «Ich konnte das alles nicht einordnen, bis ich zu FRAGILE Suisse kam», erinnert er sich. Er besuchte Gruppentreffen für Betroffene, was ihm half. «Zum ersten Mal habe ich Verständnis erfahren, ich merkte, dass es auch noch andere wie mich gibt.» Er begegnete seiner grossen Liebe, ohne es zu merken Nach ein paar Monaten konnte der heute 64-Jährige zu seinem alten Arbeitgeber zurück. Aber nicht mehr in seinen alten Job. Im Rahmen einer geschützten Arbeit konnte er noch kleine Arbeiten erledigen. Alles hatte sich verändert, seine Frau und er trennten sich. Markus Stadelmann kämpfte sich irgendwie zurück ins Leben, doch viele Folgen der Hirnverletzung machten es ihm nicht einfach: sein Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr richtig, er ist schnell müde und wenn er unter vielen Menschen ist, fühlt er sich unwohl. Mittlerweile arbeitete er an zwei Morgen in der Woche für eine Altersresidenz. 2012 hatte er sich dem regionalen Besuchsdienst angeschlossen und besuchte zusammen mit seinem Begleithund Maiko ältere Menschen. Und dort begegnete er vor sechs Jahren auch seiner künftigen dritten Ehefrau und grossen Liebe Uschi – ohne es vorerst zu merken. Die heute 61-Jährige war damals noch mit ihrem ersten Mann verheiratet. 40 Jahre lang. Er hatte über acht Jahre Leukämie, Uschi Stadelmann kümmerte sich um ihn, so gut es ging. Doch auch sie war angeschlagen: seit jungen Jahren litt sie an starkem Rheuma und nach einer missglückten Doppelkataraktoperation war ihr Sehvermögen seit 2012 sehr stark beeinträchtigt. «Ich
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merkte, dass ich mich nicht mehr alleine um meinen Mann kümmern konnte», erzählt sie. Da dieser aber nicht ins Spital oder in ein Pflegeheim wollte, platzierte sie ihn in einer Altersresidenz, bis sie einen geeigneteren Platz finden würde. Doch dazu kam es nicht mehr, ihr erster Mann erlag im April 2015 seiner Krankheit. Ein paar Monate danach war sie in besagter Altersresidenz und besuchte eine Pflegerin, die mittlerweile zu einer Kollegin geworden war. Und da passierte es: sie sah Markus Stadelmann und verliebte sich sofort. «Seine langen Haare und seine lieben Augen gefielen mir», schwärmt sie. Doch er nahm sie an diesem Tag nicht wahr und sie traute sich nicht, ihn anzusprechen. Aber es liess sie nicht los und so versuchte sie herauszufinden, wer der Unbekannte war. Sie fand heraus, dass er für einen Besuchsdienst arbeitete und liess dort eine Nachricht ausrichten. «Ich bekam die Nachricht und dachte, da möchte jemand meinen Besuchsdienst in Anspruch nehmen», erinnert sich Markus Stadelmann und lacht. Ein paar Tage später trafen sie sich das erste Mal. «Ich war hin und weg, mein erster Eindruck bestätigte sich», erzählt Uschi Stadelmann mit glänzenden Augen. Sie hatte sich restlos in ihn verliebt. Und auch er fühlte sich hingezogen zu ihr, konnte aber seine Gefühle nicht einordnen. «Sie hat mich umgehauen mit ihrer direkten Art. Seit meinem Unfall habe ich zum allerersten Mal wieder Anerkennung erfahren», sagt er. Er sagte ihr, er brauche etwas Zeit und würde sich melden. «Ich war mir sicher, dass ich ihn überfordert hatte und nie wieder etwas von ihm hören würde», sagt sie lachend. Doch schon am nächsten Tag stand Markus Stadelmann wieder vor ihrer Tür und so nahm diese spezielle Liebesgeschichte ihren Lauf. Hilfe und Freunde bei FRAGILE Suisse gefunden Bald zogen sie zusammen. Uschi Stadelmann hatte mittlerweile ihr Augenlicht wieder, ihr Glück war perfekt. Doch der nächste Schicksalsschlag wartete schon: im März 2018 brach Uschi Stadelmann plötzlich zusammen, hatte Schüttelfrost, konnte nicht mehr reden, nicht mehr denken, hatte absolut keine Kraft mehr. Die Diagnose am nächsten Tag im Spital: Hirnhautentzündung. Zehn Tage schwebte sie in Lebensgefahr. Wie sie sagt, sterben 40 Prozent, die in der gleichen Situation sind, wie sie war. «Doch ich wusste, dass ich nicht sterben konnte, es gab da jemand, für den es sich zu leben lohnte», sagt sie und lächelt ihren Mann an. Seit ihrer Hirn-
verletzung hört sie auf ihrem linken Ohr nichts mehr, sie ist sehr schnell müde, kann sich nur noch kurze Zeit am Stück konzentrieren und hat häufig Schwindel, weshalb sie auf eine Gehhilfe wie Krücken, einen Rollator oder ihren Mann angewiesen ist. Trotz ihrer Hirnverletzungen und den Folgen, mit denen beide tagtäglich zu kämpfen haben, sind Uschi und Markus Stadelmann dankbar und sehr glücklich, dass sie sich gefunden haben. Sie hadern nicht mit ihrem Schicksal. In den Selbsthilfegruppen von FRAGILE Aargau, die sie gemeinsam regelmässig besuchen, erfahren sie nicht nur Verständnis, sondern sie haben auch neue, tiefe Freundschaften mit anderen Betroffenen geschlossen. Auch sind sie Stammkunden im Wohlfühlwochenende für Paare von FRAGILE Suisse, sie nehmen an Mal- und Gedächtniskursen oder der Spielwoche teil und Markus Stadelmann bekommt alle drei Wochen Hilfe bei administrativen Arbeiten von einer Wohnbegleiterin. «FRAGILE Suisse ist einfach toll, es hilft uns extrem», sind sich beide einig. Sie sind glücklich und zufrieden mit ihrem Leben. «Gekrönt haben wir das im vergangenen Juni mit unserer Hochzeit», sagt Uschi Stadelmann und wieder tätschelt ihr Mann ihr liebevoll die Hand.
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FRAGILE Suisse
Zurück im Leben. Danke. «Ich habe nach meinem schweren Schädelhirntrauma nicht erwartet, dass ich meinen Alltag eines Tages wieder allein bewältigen kann. Danke, Rehaklinik Zihlschlacht.» Jana Fässler (35)
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FRAGILE Suisse
Dienstleistungen
gruppen und Treffpunkte
Weiterbildungen
Selbsthilfegruppen und Treffpunkte
«Die Helpline ist ein sehr wichtiges Angebot» Kurse und Weiterbildungen
Text: Carole Bolliger
Wohnen
nd Helpline
Eine Hirnverletzung bringt für Betroffene und Angehörige eine Menge Fragen mit sich. FRAGILE Suisse berät kostenlos und geht auf die inBegleitetes Wohnen dividuellen Anliegen ein. Rund 830 Betroffene, Angehörige und Fachleute profitierten im vergangenen Jahr von diesem Angebot. Unabhängig davon, ob die Hirnverletzung erst einige tert, dass ihnen jemand zugehört hat», weiss Spaar. Tage oder schon viele Jahre zurückliegt – die Helpline Silvia Spaar ist überzeugt, dass die Helpline nach wie Beratung und Helpline ist Anlaufstelle für alle Betroffenen, Angehörigen, aber vor ein sehr wichtiges Angebot für Betroffene und auch Fachleute. Laut Silvia Spaar, Leiterin Beratung, Angehörige ist. Es sei eine leichte Tendenz zu sehen, gingen in den letzten Jahren im Durchschnitt rund 800 dass die direkten Beratungen intensiver seien, über Anfragen bei der Helpline ein. Dies telefonisch, per längere Zeit dauerten und immer wieder der Kontakt Fragebogen auf der Website oder per E-Mail. Im gesucht werde. «Möglicher Hintergrund dafür könnte Corona-Jahr 2020 beantworteten die Beraterinnen von sein, dass andere Beratungsstellen erst Beratung FRAGILE Suisse 830 Anfragen. «Wegen Corona haben anbieten, wenn schon Leistungen der IV oder AHV wir ab März 2020 über drei Monate ein zusätzliches erfolgt sind, und die Ratsuchenden tendenziell nun Helpline-Angebot an vier Nachmittagen in der Woche doch schon früher Unterstützung suchen», vermutet eingeführt», sagt die Leiterin. Jedoch stellte sich bald die Leiterin Beratung. Zunehmend zeige sich, wie heraus, dass dieses Zusatzangebot auf wenig Resonanz wichtig die Beratung (direkt oder per Helpline) sei, stiess und gar nicht bis selten genutzt wurde. «Da damit Betroffene und Angehörige auf ihrem Weg und ausserhalb der Telefonzeiten immer die Möglichkeit im Kontakt mit den verschiedenen Ansprechpartnern besteht, E-Mails zu senden, nutzen dies auch viele.» in Gesundheits- und Versicherungswesen unterstützt Die grosse Mehrheit bildet aber nach wie vor die würden. «Und so wichtige Entlastung finden.» direkte Beratung. Weiterhin profitieren von der Beratung mehr Angehörige (50%) als Betroffene (33%). Die Fachpersonen und andere machten im vergangenen Jahr 17% aus. Beratungen werden intensiver Die Hauptthemen, mit denen Angehörige, Betroffene und Fachpersonen auf die Beraterinnen der Helpline zukommen, sind laut Silvia Spaar Wohnen (Unterstützung, Pflegeheime, Entlastung und Wohnbegleitung), Gesundheit (Folgen von Hirnverletzungen, Verarbeitung und Umgang mit dem Thema, Therapieangebote und medizinische Fragen), Sozialversicherungsrecht und Finanzen (IV-Verfahren, Rentenansprüche und Notlagen) und Alltagsbewältigung (Entlastungsangebote, Freizeit und Angebote von FRAGILE Suisse). «Natürlich ist auch immer der psychosoziale Aspekt zentral: die Anrufer finden bei uns Verständnis, ein offenes Ohr, können «abladen» und fühlen sich nach dem Gespräch erleich-
Über die Gratisnummer 0800 256 256 erreichen Sie unser Beratungsteam von Montag bis Freitag zwischen 10 und 13 Uhr. Sie können uns Ihre Fragen auch per E-Mail stellen an helpline@fragile.ch, gerne beraten wir Sie auch persönlich – so nahe wie möglich an Ihrem Wohnort und kostenlos. Kontaktieren Sie uns für weitere Informationen.
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FRAGILE Suisse
Fachartikel
«Der Schlaganfall ist die Hauptursache von Hirnverletzungen» Interview: Aurélie Vocanson
Hirnverletzungen können bleibende Schäden hinterlassen. Aber was sind die Ursachen? Weshalb erleiden gewisse Menschen Hirnverletzungen wie etwa einen Schlaganfall, andere hingegen nicht? Professor Patrik Michel, Neurologe am CHUV (Centre hospitalier universitaire vaudois), dem Universitätsspital in Lausanne und Schlaganfall-Spezialist, antwortet auf unsere Fragen. Professor Michel, was sind die wichtigsten Ursachen von Hirnverletzungen und welche Folgen haben sie? Der Schlaganfall ist weltweit die Hauptursache von Hirnverletzungen. Er betrifft in der Regel eine Seite des Gehirns und löst einseitige Lähmungen, Sprach-, Sehund Gleichgewichtsstörungen aus, während Gedächtnis und Emotionen weniger beeinträchtigt werden. Schädeltraumata sind ebenfalls eine häufige Ursache. Dabei wird oft der vordere Teil des Gehirns geschädigt, was meistens zu Verhaltensstörungen und unstabilen emotionalen Reaktionen führt. Zu den weiteren Ursachen zählt die Multiple Sklerose (MS), entweder mit isolierten Seh-, Kraft- oder Sensibilitätsstörungen oder mit zunehmenden Gleichgewichts- und Gehproblemen. Auch Hirntumore können ein Auslöser sein. Sie betreffen ebenso wie ein Schlaganfall oft nur eine Seite des Gehirns und sind manchmal von epileptischen Anfällen begleitet. Alle Ursachen von Hirnverletzungen betreffen also spezifische Regionen des Gehirns und haben somit unterschiedliche Folgen. Zudem hängen gewisse Hirnverletzungen mit einem einzelnen Ereignis zusammen, andere sind wiederkehrend (MS) und wieder andere progressiv (Tumor). Was sind die Risikofaktoren für einen Schlaganfall und kann man ihm vorbeugen? Man unterscheidet zwischen veränderbaren und nicht veränderbaren Risikofaktoren. Veränderbare Faktoren sind jene, die man behandeln und beeinflussen kann: Bluthochdruck, Cholesterin, Übergewicht, fehlende körperliche Bewegung, Rauchen, Diabetes oder auch Vorhofflimmern. Die nicht veränderbaren Risikofaktoren sind Geschlecht, Alter oder genetische Faktoren. Man weiss heute, dass Männer häufiger einen Schlaganfall erleiden als Frauen. Bekannt ist auch, dass sich Erkran-
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Prof. Dr. med. Patrik Michel Neurologe am CHUV
kungen von Arterien, Herz und Blut wie etwa Atherosklerose mit dem Alter akkumulieren. In den Gefässen können sich Gerinnsel bilden oder sie können reissen und einen Schlaganfall auslösen. Stress hat bekanntlich gravierende gesundheitliche Auswirkungen. Ist er auch eine Ursache von Schlaganfällen? Stress wirkt sich direkt und indirekt auf Schlaganfälle aus. Die indirekte Wirkung besteht darin, dass die anderen Risikofaktoren verstärkt werden. Wer gestresst ist, tendiert nämlich dazu, sich schlecht zu ernähren, zu wenig zu schlafen, vielleicht zur Zigarette zu greifen oder ein Glas Alkohol zu viel zu trinken. Damit erhöht man das eigene Risiko für einen Schlaganfall. Die direkte Wirkung liegt darin, dass Stress die vorzeitige Alterung der Arterien und des Herzens beschleunigt und damit die Schlaganfall-Risiken verschärft. Deshalb ist es wichtig, sich Zeit für sich selbst zu nehmen, in die Natur zu gehen, gute soziale Kontakte zu pflegen und sich, wenn nötig, von einer Psychologin oder einem Psychiater unterstützen zu lassen. Stress erhöht wahrscheinlich auch die Gefahr von Schädeltraumata – etwa wenn man auf einen Bus rennt und dabei stürzt. Bei anderen Hirnverletzungen, beispielsweise im Zusammenhang mit MS und Tumoren, ist die Rolle von Stress weniger klar.
Selbsthilfegruppen und Treffpunkte
Selbsthilfegruppen und Treffpunkte FRAGILE Suisse
Kurse
Kurse und Weiterbildungen
Über 100 Kurse für Betroffene und Angehörige
Kurse und Weiterbildungen
Begleitetes Wohnen Der Bereich Bildung bietet Betroffenen und Angehöri- Begleitetes Wohnen
gen etwa 100 verschiedene Kurse jährlich. Zurzeit sind Kletterkurse, Gedächtnistraining sowie Sprachtraining für Aphasikerinnen und Aphasiker sehr gefragt. Angefangen hat alles vor etwa 20 Jahren. Damals bot FRAGILE Suisse die ersten vier Kurse unter dem Namen Beratung und Helpline Beratung und Helpline Académie an. Der allererste Kurs hiess «Neues Leben lernen» und es gibt ihn heute noch. «Dieser Kurs hat bisher ohne Ausnahme jedes Jahr stattgefunden», sagt Barbara Diem, Leitung Kurswesen. 2019 hat FRAGILE Suisse 103 verschiedene Kurse für Betroffene und Angehörige angeboten. Davon konnten 80 durchgeführt werden. Waren in den ersten 15 Jahren die PC-Kurse hoch im Kurs, so hat die Nachfrage danach in den letzten fünf Jahren erheblich abgenommen. «Im Moment gibt es einen regelrechten Hype auf Kletterkurse. Diese Angebote können wir immer sehr gut füllen», freut sich die Leiterin. Auch immer sehr gefragt und bis heute beliebt sind das Gedächtnistraining Online-Kurse seien nur ein Notnagel für Shutdownsowie das Sprachtraining für Aphasikerinnen und Zeiten. «Wichtig ist Betroffenen und Angehörigen, Aphasiker. «Kurse zum Thema Müdigkeit und verminsich vor Ort treffen und austauschen zu können», derte Belastbarkeit sind auch immer sehr gut besucht.» weiss Diem. Für die nähere Zukunft sieht Barbara Diem, Das Corona-Jahr 2020 war für Barbara Diem und ihr die bald in Pension geht, keine grundlegenden VeränTeam schwierig, «weil man nie wusste, wie es weiterderungen im Kurswesen. geht». Viele Kurse konnten mit Einschränkungen trotzdem stattfinden. Online-Kurse waren nicht so gefragt. «Wir hatten lediglich je ein Angebot für Details, Infos, Anmeldung und unser ganzes Betroffene und Angehörige online», so Barbara Diem. Kursprogramm unter: fragile.ch/kurse
Aktuell
Themenmonat auch online F oku
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Was sind die möglichen Ursachen für Hirnverletzungen? Wie erkennt man, ob jemand eine Hirnverletzung hat? Im Themenmonat «Ursachen von Hirnverletzungen» publizieren wir Testimonials, Interviews und allgemeine Informationen auf unserer Website und in sozialen Netzwerken. Mehr Infos: fragile.ch/ursachen
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FRAGILE Suisse
Mitmachen und gewinnen
Erfolgreiche Crowdfunding-Kampagne «Juuz-CD» Mittels Crowdfunding-Kampagne konnte FRAGILE Suisse die Juuz-CD realisieren. Sie wurde von Juuzerinnen und Juuzern mit einer Hirnverletzung sowie Angehörigen von Betroffenen aufgenommen. Die Juuz-CD ist da! Mehr als 160 Menschen haben die Crowdfunding-Kampagne von FRAGILE Suisse zur Finanzierung der CD im November unterstützt. Dank ihrer Hilfe konnte das Finanzierungsziel von 22‘000 Franken sogar übertroffen und die Juuz-CD pünktlich zur Weihnachtszeit realisiert werden. Die Live-CD wurde gemeinsam mit Juuzerinnen und Juuzern mit Hirnverletzung oder Angehörigen von Betroffenen sowie den beiden Kursleitenden Natalie Huber und Bernhard Betschart aufgenommen. Alle Informationen zur Juuz-CD gibt es auf der Website von FRAGILE Suisse: www.fragile.ch/ projekte/juuz-cd/. Der Erlös aus dem CD-Verkauf kommt FRAGILE Suisse zugute und hilft, weitere tolle Projekte und Dienstleistungen für Menschen mit Hirnverletzung und ihre Angehörigen umzusetzen.
In dieser Ausgabe verlosen wir 3 Juuz-CDs. Nehmen Sie an der Verlosung teil unter: www.fragile.ch/cdverlosung Teilnahmeschluss ist der 30. April 2021.
Die CD «Alpine Sprache des Herzens» kann für 28 Franken hier bestellt werden: www.fragile.ch/shop
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FRAGILE Suisse
Engagement
Sie sagen Tschüss – wir sagen Danke Aufgezeichnet von Carole Bolliger
Mit Adrienne Theimer und Barbara Diem verlassen gleich zwei langjährige Mitarbeiterinnen dieses Jahr FRAGILE Suisse. Sie gehen in den wohlverdienten Ruhestand.
Adrienne Theimer «Die letzten zehn Jahre war ich bei FRAGILE Suisse fürs Fundraising zuständig. Auch zuvor war ich schon im Fundraising tätig. Dann erkrankte meine Schwester an ALS (amyotrophe Lateralsklerose) und starb auch daran. Plötzlich war ich dem Thema Krankheit und Behinderung ganz nahe. Und es war klar, dass ich auch weiterhin eine sinnstiftende Tätigkeit ausüben wollte. So kam ich zu FRAGILE Suisse. Obwohl ich nun sehr viel über Hirnverletzungen weiss, lerne ich jeden Tag etwas Neues darüber. Man darf nie denken, man wisse, was eine Hirnverletzung sei. Denn jede Hirnverletzung ist anders. Das finde ich sehr eindrücklich. An meiner Arbeit als Fundraiserin habe ich den Kontakt zu den verschiedenen Stiftungen sehr geschätzt, und besonders viel Spass haben mir Schulungen gemacht, die ich fürs Telefonmarketing oder für Standaktionen durchführte. Denn diese fanden immer zusammen mit Betroffenen statt. Auch das zeichnet FRAGILE Suisse aus: Menschen mit Hirnverletzung sozusagen als Experten der Praxis einzusetzen. Für die Zukunft wünsche ich FRAGILE Suisse, dass noch mehr Menschen mit Hirnverletzung möglichst schnell den Weg zu uns finden und die nötige Hilfe bekommen können.»
Barbara Diem «1998 habe ich bei FRAGILE Suisse angefangen. Zuerst war ich für Fachinformationen und Broschüren zuständig, dann kam bald die Öffentlichkeitsarbeit mit der Organisation der Brain Fair Zürich und verschiedenen Tagungen dazu. Den ersten Internetauftritt von FRAGILE Suisse habe ich zusammen mit einem betroffenen IT-Spezialisten auf die Beine gestellt. Bald fing ich auch an, Betroffene und Angehörige zu beraten. Im Dezember 2003 wechselte ich in die gerade mal ein Jahr alte Académie. Bald darauf habe ich die Leitung übernommen, die Académie weiterentwickelt und ausgebaut. Zu sehen, wie die Kursteilnehmenden vorwärtskommen und sich an ihren Fortschritten erfreuen, hat mich immer motiviert. Wir haben über all die Jahre eine sehr hohe Zufriedenheit unserer Kundinnen und Kunden erreicht, im Schnitt über 95 Prozent. Die vielen positiven Rückmeldungen zeigen mir immer wieder, dass wir auf dem richtigen Weg sind, Betroffene und Angehörige dort zu unterstützen und zu ermutigen, wo sie es sich wünschen. Vor drei Jahren kam dann als letzte neue Aufgabe die Leitung des Projekts «FRAGILE Family» dazu. Ich habe viel gelernt, vor allem von den vielen mutig voranschreitenden Betroffenen, und schaue – manchmal etwas erstaunt – auf 23 abwechslungsreiche Jahre bei FRAGILE Suisse zurück.»
Barbara Diem, unsere dienstälteste Mitarbeiterin, hat das Kurswesen über die Jahre aufgebaut und stark geprägt. Die Kurse für Betroffene und Angehörige finden grossen Zuspruch und sind ein wichtiges Angebot von FRAGILE Suisse. Adrienne Theimer hat mit viel Gespür und grosser Erfahrung wesentlich zum Erfolg unserer Mittelbeschaffung beigetragen. Die langjährige Treue der beiden verdienstvollen Mitarbeiterinnen und ihr ausserordentliches Engagement für FRAGILE Suisse verdienen unsere vollste Anerkennung und Dankbarkeit. In grosser Verbundenheit und mit herzlichem Dank verabschieden wir uns mit den allerbesten Wünschen für die Zukunft. Martin D. Rosenfeld, Geschäftsleiter
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