FRAGILE Suisse Magazin 2/2022

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MAGAZIN

FRAGILE Suisse

Ausgabe 2 / 2022

FRAGILE Suisse

Im Porträt

Die Betroffene Yannik Brazzola hat Bibliothé gegründet.

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Fachartikel

Erfahren Sie spannende Fakten über unser Gehirn.

Für Menschen mit Hirnverletzung und Angehörige Ausgabe 2 / 2022 | 1


FRAGILE Suisse

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser Jana Bauer Leiterin Kommunikation, Marketing und Fundraising

Vielleicht erinnern Sie sich noch, als Sie sich heute Morgen die Zähne geputzt haben. Oder als Sie sich das letzte Mal die Schuhe gebunden haben. Aber wissen Sie auch noch, woran Sie dabei gedacht haben? Bestimmt mussten Sie nicht überlegen, was zu tun ist. Sie haben es einfach getan. Was wir als Kinder gelernt haben und einiges an Übung von uns abverlangte, machen wir heute automatisch. Es ist tief in unserem Gehirn verankert, fast wie in einer Festplatte. Aber was, wenn diese plötzlich nicht mehr richtig funktioniert? Nach einer Hirnverletzung verändert sich das Leben oft auf einen Schlag. Alltagshandlungen wie Gehen und Sichanziehen werden plötzlich zur Herausforderung. Was früher selbstverständlich war, muss Schritt für Schritt wieder erlernt werden. Dies erfordert viel Geduld und Durchhaltewille. Aber es lohnt sich. Erfahrungen zeigen, dass unser Gehirn lebenslang lernfähig bleibt. Weshalb das so ist und weitere Fakten zum Thema «unser Gehirn» erfahren Sie im Interview mit Dr. med. Mark Mäder, dem Präsidenten von FRAGILE Suisse, und in der vorliegenden Ausgabe. Als neue Leiterin Kommunikation, Marketing und Fundraising ist es mir ein grosses Anliegen, die breite Öffentlichkeit zu informieren und zu sensibilisieren. Dabei möchte ich das Verständnis für die Bedürfnisse von Menschen mit einer Hirnverletzung sowie ihre Inklusion in die Gesellschaft fördern. Auf diese wichtige Aufgabe sowie den Austausch mit Ihnen freue ich mich sehr! Ich wünsche Ihnen eine gute Lektüre und viele spannende Erkenntnisse. Herzlich

Jana Bauer Impressum FRAGILE Suisse Magazin | Ausgabe 2/2022 Auflage 45’000 Ex. Herausgeber FRAGILE Suisse, Badenerstrasse 696, 8048 Zürich, 044 360 30 60, info@fragile.ch, www.fragile.ch Gestaltung Rebel Communication, 8004 Zürich, www.rebelcom.ch Druck Prowema GmbH, 8332 Russikon Redaktion Carole Bolliger, Sophie Roulin-Correvon, Tristan Imstepf Inserateverkauf fachmedien.ch, Zürichsee Werbe AG, 8712 Stäfa Übersetzung Dominique NaegeliGascon, Irene Bisang Spendenkonto PC / CCP 80-10132-0 Abonnement CHF 10.– pro Jahr, im Spenden- bzw. Mitgliederbeitrag inbegriffen.

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Aktuell

Neu in der Geschäftsleitung Jana Bauer hat per 1. April 2022 die Bereichsleitung Kommunikation, Marketing und Fundraising übernommen. Als Stellvertreterin von Antonella Stefanelli arbeitet sie seit November 2020 bei FRAGILE Suisse und war bis anhin für die Kommunikation und Medien verantwortlich. «Es ist schön, dass wir mit Jana Bauer eine interne Lösung gefunden haben», sagt Geschäftsleiter Martin D. Rosenfeld. Die neue Bereichsleiterin ist seither auch Mitglied der Geschäftsleitung. Zusätzlich wird die Geschäftsleitung seit April 2022 von Sophie-Anne Roulin-Correvon verstärkt. Als langjährige Mitarbeiterin und Verantwortliche für Kommunikation und Spenderbetreuung Westschweiz ist sie neu auch Leiterin von «antenne romande». «Wir danken den beiden, dass sie bereit sind, diese Aufgaben zu übernehmen, und wünschen ihnen viel Freude und Erfolg in ihren neuen Funktionen», so Martin D. Rosenfeld.

Sophie-Anne Roulin-Correvon

Wie sieht ein nachhaltiger Patientenpfad aus? Dieser Frage gehen wir gemeinsam auf den Grund und beschäftigen uns mit den langfristigen Folgen einer Hirnverletzung. Dabei werden die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die im Umgang mit Hirnverletzungen auftreten, insbesondere hinsichtlich der Langzeitfolgen und der Perspektive einer nachhaltigen bedarfsorientierten Wiedereingliederung, in den Fokus gerückt. In Zusammenarbeit mit Careum Weiterbildung veranstaltet FRAGILE Suisse am Montag, 21. November

2022, eine Fachtagung zu diesem Thema. Gemeinsam mit Medizinern, Juristen, Fachleuten aus Therapie und Sozialwissenschaften sowie Betroffenen suchen wir nach Lösungsansätzen. Die Fachtagung richtet sich an Fachpersonen, die ihre Kenntnisse in der Begleitung von Menschen mit Hirnverletzung vertiefen wollen. Weitere Informationen sowie das detaillierte Programm finden Sie unter: www.fragile.ch/fachtagung2022

Unser Gehirn F oku

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Das in unserem Schädel verborgene Gehirn ist ein komplexes und geheimnisvolles Organ. Unabhängig davon, ob wir zerebral geschädigt sind oder nicht, ist es sehr bereichernd, mehr über seine Funktionsweise zu erfahren. Mehr über unser Gehirn zu wissen, bedeutet auch, unser Verhalten besser zu verstehen und zu erfahren, wer wir sind. Inhalte zu diesem Thema finden Sie auch in unseren sozialen Netzwerken und auf unserer Website: www.fragile.ch/gehirn

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Porträt

«Was machen wir mit dem, was noch da ist?» Text: Tristan Imstepf / Foto: Francesca Palazzi

Yannik Brazzola hat 2004 ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und ist trotz der Folgen wieder aufgestanden. Das Vorstandsmitglied von FRAGILE Waadt ist auch Gründerin und Moderatorin von Bibliothé. Heute blickt sie mit Gelassenheit auf ihren Werdegang zurück. Samstag, 3. Januar 2004. Yannik Brazzola ist mit ihrem Mann und Freunden in Saint-Luc im Wallis am Skifahren. Der Schnee ist eisig und alles geht sehr schnell: Sie fährt gegen einen Stein und stürzt. Yannik, die keinen Helm trägt, schlägt mit dem Kopf auf der vereisten Piste auf. «Die Berge drehten sich wie ein Karussell», erinnert sie sich. Schwierige Momente Die Folgen des Schädel-Hirn-Traumas (SHT), das Yannik bei diesem Unfall erlitten hat, machen sich rasch bemerkbar. Sie hat mit einer extremen Müdigkeit zu kämpfen und eignet sich eine «Strategie des Lebens in Tranchen» an: ein ständiger Wechsel zwischen Aktivitäten und Pausen. Auch Hyperakusis (erhöhte Geräuschempfindlichkeit) und Hypersensibilität werden zu ihren täglichen Begleitern. Ihr Gehirn funktioniert wie ein Schwamm und nimmt alles auf. Yannik fühlt sich pausenlos von Informationen überflutet, was ihr zu schaffen macht. Dazu kommen Konzentrationsschwierigkeiten, Kopfweh und andere ständige Schmerzen. Zudem leidet sie an Anosognosie: einer Störung, die sie daran hindert, sich ihres neuen Zustands voll bewusst zu werden. Sie gibt aber nicht auf und will weiter als Englischlehrerin arbeiten. «Meine Schülerinnen und Schüler lagen mir am Herzen», erklärt sie. Die Folgen der Hirnverletzung und die Schmerzen holen sie aber schliesslich ein und das Verdikt der Ärzteschaft ist klar: Unterrichten geht nicht mehr. «Das war der härteste Moment», sagt sie über diese Zeit, die sie als «Unterleben» bezeichnet. Auch für ihren Mann ist es sehr schwierig. Er ist frustriert, weil er das neue Leben seiner Frau nicht begreifen kann. Ihre Freundinnen und Freunde wenden sich fast alle ab. Die meisten Menschen verstehen ihre neue

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Realität nicht, da ihre Verletzungen unsichtbar sind. Ständig kommen Bemerkungen wie «Du siehst gut aus, also ist alles in Ordnung» oder «Du musst dich nur anstrengen». Der Wille, das Leben neu aufzubauen Drei Jahre später stellen die Ärzte fest, dass Yanniks Trigeminusnerv (ein Hirnnerv, der für motorische und sensible Funktionen zuständig ist) seit ihrem Unfall durch ein Knochenfragment gestört wird. Sie wird operiert und ihr Kopfweh sowie die anderen Schmerzen lassen nach. Die Folgen ihres SHT sind zwar immer noch da, aber Yannik fühlt sich «fast wieder im Leben». Ihre Familie unterstützt sie, wo sie kann. Mittlerweile konnte auch ihr Mann Abstand gewinnen und akzeptieren, was seiner Frau passiert ist. Er steht voll und ganz hinter ihr. Und auch ihre beiden Söhne machen ihr Mut – ebenso wie ihr kleiner, aber treuer Freundeskreis. Yannik, die vor ihrem Unfall sehr aktiv war, will ihr Leben neu aufbauen. Nach und nach erobert sie sich ihre Selbstständigkeit zurück und tut das, was ihr schon immer wichtig war. Sie fängt wieder an zu wandern, zu singen und Klavier zu spielen, immer nach ihrer «Strategie des Lebens in Tranchen». Die Ärzte loben ihre Hartnäckigkeit. Yannik gewinnt eine gewisse Gelassenheit in Bezug auf ihre Situation und macht weiter, Schritt für Schritt. «Heute geniesse ich alles viel mehr», sagt sie mit einem Lächeln. «Es hilft zu sehen, dass Menschen in derselben Welt leben wie ich» Yannik hat zwei Jahre nach ihrem Unfall von FRAGILE Suisse erfahren. Zunächst nahm sie an Aktivitäten und Gesprächsgruppen von FRAGILE Waadt teil. «Mir wurde bewusst, dass es Menschen gibt, die das Gleiche erleben wie ich», sagt sie. Yannik fühlt sich endlich verstanden,


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aber ihre Hypersensibilität hindert sie vorerst daran, sich mehr zu engagieren. Sie leidet mit den anderen mit und ist dankbar für die Hilfe von FRAGILE Suisse: «Man kann sich nicht vorstellen, in dieser Situation zu sein. Man glaubt, dass alles wieder wie früher sein wird. Es hilft zu sehen, dass Menschen in der gleichen Welt leben wie ich, und jeder versucht, auf seine Weise weiterzumachen.» Resilienz mit anderen teilen Yannik wollte sich für FRAGILE Waadt engagieren und überlegte sich, was für sie möglich wäre. Als studierte Literaturwissenschaftlerin und leidenschaftliche Leserin gründete sie den Lese-Workshop Bibliothé, bei dem es darum geht, «Bücher, Tee, Freundschaft, Solidarität und Tipps zur besseren Bewältigung des Alltags miteinander zu teilen». Dieser Workshop stützt sich auf das Konzept der «Resilienz». Zentral ist die Frage: «Was machen wir mit dem, was noch da ist?» Die Bibliothé-Moderatorin

möchte sich darauf konzentrieren, was noch möglich ist: «Wir haben mehr Ressourcen, als wir glauben. Nie die Hoffnung aufgeben! Es ist nicht einfach, aber es gibt ein Leben nach einem Schädel-Hirn-Trauma.» Yannik sieht, dass ihr Workshop gut ankommt. Die Teilnehmenden gehen mit neuer Energie nach Hause und die Beziehungen untereinander werden enger. Sie betont auch die Vorzüge des Lesens: Man kann sich informieren und austauschen, während man gleichzeitig in andere Welten versetzt wird. Bibliothé gibt es nun seit zehn Jahren. Yannik fühlt sich mit diesem Engagement manchmal belastet und hat auch schon übers Aufhören nachgedacht. «Aber es tut so gut», meint sie und betont ihren Willen, dieses Projekt weiterzuverfolgen. «Mach noch zehn Jahre weiter!», sagte ein Teilnehmer einmal zu ihr. Und wenn man Yanniks Empathie und ihren Mut bedenkt, dann wird sie zweifellos ihr Möglichstes geben.

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Zurück auf dem Weg. Danke. «Nach dem Hirnschlag wusste ich nicht, ob ich je wieder selbstbestimmt leben kann. Dass ich es weitgehend geschafft habe, verdanke ich meiner Familie und der Rehaklinik Zihlschlacht. Was für ein Glück.» Doris Pfister (70)

D.Pfister

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Dienstleistungen

gruppen und Treffpunkte

Selbsthilfegruppen und Treffpunkte

Lernen für ein besseres Leben Text: Sophie Roulin-Correvon

Weiterbildungen

Wohnen

nd Helpline

Kurse und Weiterbildungen

Die Kurse von FRAGILE Suisse fördern die Selbstständigkeit von Betroffenen und Angehörigen sowie die Kontakte und den Austausch untereinander. Christine Jayet-Ryser, die für die Kurse in der Westschweiz verantwortlich ist, hat mit uns gesprochen.Begleitetes Wohnen Worin unterscheiden sich die Kurse von FRAGILE Weshalb unterscheidet sich das Kursangebot in Suisse für Menschen mit einer Hirnverletzung von der Westschweiz von demjenigen in der Deutschanderen Kursangeboten? schweiz? Diese Kurse sind auf die Bedürfnisse von Menschen Das Kursangebot in der Westschweiz wurde später Beratung und Helpline mit einer Hirnverletzung zugeschnitten. In den Kursen als jenes in der Deutschschweiz aufgebaut. 2016 selbst passen wir das Tempo an und nehmen Rücksicht starteten wir im Kanton Waadt mit einem Kurs zum auf die Ermüdung und die Konzentrationsfähigkeit Thema Gedächtnis. Im Laufe der Jahre erweiterten wir der einzelnen Personen. Die Teilnehmenden können die Palette und Ende 2019 hatten wir über 15 Kurse, jederzeit um eine Pause bitten und ganz frei nach die in den Kantonen Waadt, Genf und Jura angeboten ihren eigenen Fähigkeiten und Kapazitäten mitmawurden. Die Covid-19-Pandemie bremste diesen chen. Zudem achten wir darauf, dass sie am Kursort Schwung leider aus und die Kurse konnten erst ab aufstehen oder sich zurückziehen können, wenn sie 2021 nach und nach wieder aufgenommen werden. dies möchten. Schliesslich sind die Kurse stark auf das In der Westschweiz besteht eine grosse Nachfrage Teilen von Erfahrungen und den gegenseitigen nach Informationen zum Thema Hirnverletzungen. Austausch ausgerichtet. Die Teilnehmenden dürfen In der Deutschschweiz gab es das Kursangebot schon sich jederzeit melden, wenn sie einen Gedanken lange vor 2016, mit Kursen, die das Gedächtnis mitteilen möchten oder wenn der Kurs bei ihnen eine trainieren oder den Austausch und die körperliche Erinnerung auslöst. Erholung fördern (Singen, Malen, Klettern usw.). Warum werden Kurse für Angehörige angeboten? In der Schweiz gibt es rund 300’000 Angehörige von Menschen mit einer Hirnverletzung. Auch ihr Leben wird durch die Hirnverletzung beeinflusst. Obwohl es auf politischer Ebene Bemühungen gibt, den pflegerischen Beitrag der Angehörigen anzuerkennen, stellen wir fest, dass sie häufig vergessen gehen. Es wird sich nicht genug um sie gekümmert. Die Gesellschaft berücksichtigt ihr Leiden kaum. Die Angehörigen wünschen sich Hilfe und Unterstützung im Alltag. Zudem erfahren wir, dass die Angehörigen manchmal nur ungenügend informiert werden. Eine Teilnehmerin des Kurses «Eine Hirnverletzung besser verstehen» erzählte uns, dass sie einen Arzt regelrecht festhalten musste, um Erklärungen zur Hirnverletzung ihres Familienmitglieds zu erhalten.

Wie werden die Kurse finanziert? Die Kurse werden hauptsächlich durch die Kursbeiträge der Teilnehmenden, durch Beiträge des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) und zu einem weiteren Teil durch Spenden finanziert. Die Kurse sind nicht kostendeckend, da wir sie zu Preisen anbieten, die für jedes Portemonnaie erschwinglich sein sollen. Kann man Wünsche für Kurse anbringen? Ja, gerne. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Ideen und Themen für unsere Kurse. Eine der Aufgaben von FRAGILE Suisse ist es, so nah wie möglich an den Bedürfnissen von Menschen mit einer Hirnverletzung und ihren Angehörigen zu sein. Wir freuen uns deshalb über ihre Anregungen. Denn wer weiss besser, was sie benötigen, als sie?

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Aktuell

Kunstausstellung mit fulminantem Start Vom 29. April bis 21. Mai 2022 hat FRAGILE Suisse die Kunstausstellung «INVISIBILE» im Kunstraum Oktogon in Bern veranstaltet. Die Vernissage war sehr gut besucht und sorgte für einen grossartigen Start der Ausstellung. Auch konnten mehrere Künstlerinnen und Künstler ihre Werke gleich am ersten Abend verkaufen. «INVISIBILE» war eine Kunstausstellung von Menschen mit Hirnverletzung. Es gab kein bestimmtes Thema oder Motto, doch eines hatten die Gemälde, Zeichnungen, Fotografien und Skulpturen in ihrer grossen Vielfalt gemeinsam: alle Werke wurden von Kunstschaffenden mit einer Hirnverletzung geschaffen. Insgesamt 24 Künstlerinnen und Künstler konnten ihre Werke vor Ort präsentieren. Aufgrund der vielen Interessenten findet neben der Ausstellung in Bern auch eine digitale Ausstellung statt. Rund 50 Kunstschaffende, inkl. den Künstlerinnen und Künstlern, die im Oktogon ausstellten, präsentieren ihre Werke noch bis 31. August 2022

online auf www.invisibile.ch. «Mit dem fulminanten Vernissage-Abend sind wir in eine spannende Ausstellungszeit gestartet», sagt Christine Rüegg, Projektleiterin der Ausstellung. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses dieser Ausgabe war die Ausstellung noch in vollem Gange. Die Verantwortlichen zeigten sich sehr zufrieden.

Unterstützung für Flüchtende und ihre Gastgeber/innen Haben Sie Flüchtende bei sich aufgenommen, bei denen Hirnverletzungen ein Thema sind? Vielleicht sind Ihre Gäste selbst betroffen oder haben Angehörige, die z.B. einen Schlaganfall, eine Hirnblutung, ein Schädel-Hirn-Trauma oder eine andere Hirnverletzung erlitten haben. Wir von FRAGILE Suisse stehen Ihnen gerne beratend zur Seite und stellen Ihnen kostenloses Informationsmaterial zur Verfügung.

Eine Dienstleistung der SAHB

Selbständig und mobil

Mit der Exma VISION unterhält die SAHB eine ganzjährige Ausstellung mit Ideen und Lösungen zur Förderung der Selbständigkeit und Mobilität zu Hause und unterwegs.

KOMPETENZZENTRUM FÜR MENSCHEN MIT EINER HIRNVERLETZUNG Zürich ‐ Winterthur

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Das Kompetenzzentrum der Stiftung andante kennt Ihre besonderen Heraus‐ forderungen als Mensch mit einer Hirnverletzung und bietet Ihnen eine auf Ihre Bedürfnisse zugeschnittene Wohn‐ und/oder Beschäftigungslösung.

Der Besuch unserer Ausstellung Exma VISION lohnt sich – unsere Fachleute beraten Sie unabhängig und kompetent.

Kontakt:

Bettina Stübi Bonesetter ﴾Wohnen﴿, bettina.stuebi@stiftung‐andante.ch, 052 550 50 45 Silvan Egger ﴾Tageszentrum﴿, silvan.egger@stiftung‐andante.ch, 052 550 50 10

www.hirnverletzung‐zuerich.ch

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Rollatoren, Rollstühle, Elektromobile Sitz- und Plattformtreppenlifte Pflegebetten und Transferhilfen Hilfsmittel für Badezimmer und Küche

Exma VISION Industrie Süd, Dünnernstrasse 32, 4702 Oensingen T 062 388 20 20, exma@sahb.ch, www.exma.ch


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Fachartikel

… die Auffassungsgabe und das logische Denken schon im Alter von 27 Jahren nachlassen? Mit 37 fängt das Erinnerungsvermögen an, schlechter zu arbeiten. Am leistungsfähigsten ist das menschliche Gehirn mit 22. Die Auffassungsgabe und das logische Denken sowie das Verarbeitungstempo sind maximal im jüngeren Erwachsenenalter (fluide Intelligenz). Es gibt aber Fähigkeiten, die sogenannte kristalline Intelligenz (erworbenes Wissen, Sprache, soziale Kompetenz, Schlussfolgerungen aus komplexen Situationen, Erfahrungswissen), die im Verlaufe des Lebens zunehmen und durch gezielte Übung gesteigert werden können.

… das Gehirn lebenslang lernfähig bleibt? Aus der Hirnforschung weiss man heute, dass die Lernfähigkeit tatsächlich lebenslang erhalten bleibt. Das Gehirn behält seine Fähigkeit, Neues zu lernen und seine Funktionen durch Netzwerkneubildung anzupassen (neuronale Plastizität). Dies muss aber adäquat trainiert werden. In der Neurowissenschaft lässt sich mittlerweile nachweisen, dass Übung wirkt. Aber eben – das Gehirn muss «gefüttert» werden.

Vier spannende Fakten über unser Gehirn

Haben Sie gewusst, dass ... … wir vermutlich gerade einmal fünf Prozent von dem wissen, was im Gehirn vor sich geht? Nur schon beim Aufzählen, was die Schaltzentrale Gehirn leistet mit über 100 Milliarden Hirnzellen, die über 100 Billionen Synapsen zur Kommunikation nützen, wird klar, wie ungeheuer kompliziert und komplex das Gehirn ist. Und obschon in der Neurowissenschaft täglich neue Erkenntnisse gewonnen werden, die Medizintechnik neue Einblicke gewährt und auch therapeutische Grundlagen gegeben wurden, bleibt die Kluft zwischen der naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnis noch weiterhin weit offen (z.B. Bewusstsein).

… in der Schweiz rund 130’000 Menschen mit einer Hirnverletzung leben? Und jährlich mehr als 22’000 Hirnverletzungen hinzukommen? Diese hohen Zahlen zeigen, dass fast alle Menschen jemanden mit einer Hirnverletzung kennen. Das Gehirn steuert alles, was unseren Körper betrifft, es verarbeitet Sinneseindrücke und gibt diese Informationen mit «Lösungen» an die Zielorgane weiter. Denken, Fühlen, Intelligenz usw. – all dies hat seinen Ursprung im Gehirn. Das Wissen darum, wie komplex das Gehirn arbeitet mit seinen etwa 100 Milliarden Nervenzellen, die ein Netzwerk von Verbindungen haben, zeigt auch, wie umfassend eine Hirnverletzung ist und wie verschieden und vielschichtig sowie verflochten die Aufgaben sind, die sich nach einer Hirnverletzung ergeben.

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Kurse

Kurse und Weiterbildungen

Kurse und Weiterbildungen

«Jede Hirnverletzung muss individuell behandelt werden» Der dreitägige Grundkurs, der zusammen mit Careum Der Grundkurs «Begleitung von Menschen mit einer Begleitetes Wohnen Weiterbildung durchgeführt wird, richtet sich hauptHirnverletzung» ist eine dreitägige Weiterbildung für sächlich an Fachpersonen, die in der Betreuung, Pflege, Fachpersonen, die Menschen mit einer Hirnverletzung Beratung, Therapie oder Arbeitsintegration mit Menbegleiten. Dabei lernen sie die Funktionsweise des schen mit einer Hirnverletzung arbeiten. Ziele sind u.a., Gehirns besser kennen und erwerben vertiefte Kenntdass die Teilnehmenden über Grundlagenwissen über nisse über die Folgen einer Hirnverletzung. das Netzwerk Gehirn und die Folgen einer HirnverletBeratung und Helpline Beratung und Helpline zung verfügen, dass sie Strategien kennen, um die «Durch den Kurs wurde mir noch bewusster, wie Auswirkungen von Stress zu regulieren, und sie ihre komplex das Thema Hirnverletzung ist und dass man Handlungsfähigkeit und das Erworbene in ihrem Arbeitsjede Hirnverletzung individuell behandeln muss.» Das alltag anwenden können. Der Kurs wird geleitet von sagt Eveline Joller. Sie hat im vergangenen Herbst den Fachpersonen, die jeweils von Koreferierenden – selbst Grundkurs «Begleitung von Menschen mit einer HirnverBetroffene einer Hirnverletzung – unterstützt werden. letzung» von FRAGILE Suisse besucht. Eveline Joller Dadurch wird die Theorie optimal durch persönliche arbeitet als Berufsabklärerin und Jobcoachin im Zentrum Erfahrungen ergänzt. bol für berufliche Abklärung für Menschen mit Hirnverletzung (ZBA) in Luzern. «Ich konnte alle meine Fragen stellen und die Kursleiterin ging sehr gut darauf ein. Sie passte die Themen auch spontan den Bedürfnissen und Infos und Anmeldung: Interessen der Teilnehmenden an und ist nicht einfach www.fragile.ch/grundkurs einem Skript gefolgt. Das hat mir sehr gut gefallen.» Begleitetes Wohnen

Mitmachen und gewinnen

Die vielseitige Künstlerin und ehemalige Radiomoderatorin Anette Herbst veröffentlichte im vergangenen Mai ihr eigenes Buch mit dem Titel «Adieu, Synapse! Wenn’s hoppelt im Gehirn». Mit der nötigen Portion Humor erzählt sie ihre persönliche Geschichte und möchte damit für die wichtige Thematik «Hirnverletzung» sensibilisieren. Im Juli 2015, kurz nach ihrem 49. Geburtstag, erlitt die gebürtige Fränkin einen Schlaganfall. In ihrem neusten Werk hat sie ihre Geschichte verarbeitet, natürlich auch humoristisch. «Beim Schreiben kamen viele Emotionen hoch. Das wird der Leser auch merken», sagt die Autorin. Sie gehe sehr offen mit sich, ihrer Geschichte und der Welt um. Und weshalb sollte man dieses Buch lesen? Die Antwort folgt prompt mit einem Augenzwinkern: «Wer es gelesen hat, wird denken: ‚Also, wenn das die Herbst geschafft hat, dann schaffe ich das auch!’». Der Leser werde in jedem Fall gut unterhalten, auch Philosophisches sei enthalten und «man kann sehr viel lachen». «Adieu, Synapse» gibt es zurzeit als Buch. Anette Herbst will es

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©Foto: Mirco Rederlechner

Buchtipp und Gewinnspiel: Adieu, Synapse

aber in einem nächsten Schritt vertonen und als Hörbuch herausgeben. «Und irgendwann werde ich es noch verfilmen», sagt sie zielbewusst. bol

FRAGILE Suisse verlost drei Exemplare dieses Buches Zur Verfügung gestellt vom Verlag der Ideen. Schreiben Sie eine E-Mail mit dem Betreff «Verlosung Buch Herbst» und Ihren Kontaktdaten an: kommunikation@fragile.ch. Einsendeschluss ist der 31. Juli 2022.


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Engagement

«Je voudrais expliquer ce dont les personnes cérébrolésées et les proches ont besoin.» «Je m’engage pour FRAGILE Suisse et les personnes cérébrolésées depuis plus de 15 ans. Il y a bientôt vingt ans, j’ai fait une hémorragie cérébrale. Après, rien n’était plus comme avant. Je n’ai appris l’existence de FRAGILE Suisse qu’après mon hémorragie. Quelques mois seulement avaient passé, mais c’était bien trop tard pour moi, et surtout pour mon compagnon. Nous aurions eu besoin d’un soutien immédiat. Depuis, j’agis pour éviter cette expérience aux autres, pour qu’on sache que FRAGILE Suisse existe. Depuis quelques années, je donne des conférences pour des associations ou des entreprises. De plus, j’enseigne au «Xund» (Xund signifie en bonne santé, en dialecte alémanique), un centre de formation en santé de Suisse centrale. Je parle du cerveau, des lésions cérébrales et de la façon de se comporter avec les personnes cérébrolésées. J’associe toujours des proches qui témoignent et expliquent leur optique. Souvent, j’ai devant moi des soignant·e·s avec de l’expérience. Très peu ont entendu parler de FRAGILE Suisse. Il

Brigitte Marti personne cérébrolésée, donne des conférences, fait du conseil entre pairs et du lobbying.

faut que ça change et que la société prenne conscience de la présence des personnes cérébrolésées. Nous ne sommes pas des gens bizarres ou qui ont des problèmes psychiques. Je voudrais faire du lobbying pour montrer ce qui nous manque et ce dont nous avons besoin. Chaque année, plus de 20 000 personnes sont victimes d’une lésion cérébrale, mais la société en sait si peu à leur sujet. Je voudrais changer la situation, c’est une mission qui me tient particulièrement à cœur.»

«Seit über 15 Jahren engagiere ich mich für FRAGILE Suisse und Menschen mit Hirnverletzung. Ich hatte vor bald 20 Jahren selber eine Hirnblutung. Danach war kaum mehr etwas wie vorher. Leider habe ich erst ein paar Monate nach meiner Hirnverletzung von FRAGILE Suisse erfahren. Das war viel zu spät für mich und vor allem für meinen Partner. Wir hätten die Unterstützung gleich nach der Hirnblutung gebraucht. Damit es anderen Betroffenen nicht auch so geht und sie wissen, dass es FRAGILE Suisse gibt, engagiere ich mich: Ich halte Vorträge, spreche an Informationsabenden und Schulungen wie etwa in verschiedenen Vereinen, aber auch in Firmen. Zudem unterrichte ich am Xund – dem Bildungszentrum Gesundheit Zentralschweiz. Ich informiere über das Gehirn, über Hirnverletzungen, darüber, wie man mit Menschen mit Hirnverletzungen umgehen soll. Immer nehme ich auch Angehörige mit, damit auch sie ihre Sichtweise und ihre Erfahrungen einbringen können. Oft habe ich mit langjährigen Pflegefachleuten zu tun. Die wenigsten haben jemals von FRAGILE Suisse gehört.

Das darf nicht sein. Wir, Menschen mit Hirnverletzung, müssen in der Gesellschaft wahrgenommen werden. Wir sind nicht «einfach komisch» oder haben «psychische Probleme». Durch Lobby-Arbeit möchte ich aufzeigen, was wir brauchen und was uns fehlt. Es gibt jährlich über 20’000 Menschen, die eine Hirnverletzung erleiden, und doch weiss die Gesellschaft so wenig darüber. Das möchte ich ändern mit meinen verschiedenen Engagements. Es ist eine Herzensangelegenheit für mich.» bol Brigitte Marti Referentin, Peer-Beraterin, Lobbyistin und Betroffene

«Ich möchte aufzeigen, was Betroffene und Angehörige brauchen» Engagement FRAGILE Suisse


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