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Vestager: "Macht ist eine Institution – sie gehört nicht dir"

12.06.15

WIRTSCHAFT MARGRETHE VESTAGER

"Macht ist eine Institution – sie gehört nicht dir" Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager ist eine der mächtigsten Personen der EUKommission. Aber sie will sich nicht davon vereinnahmen lassen. Selbst einen größeren Schreibtisch lehnt sie ab.

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Von Andre Tauber Korrespondent

EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager strickt Elefanten. Auch in ihrem Büro Foto: Sander de Wilde

Das Büro Margrethe Vestager sieht aus wie ein Designgeschäft. Eine alte Holzleiter lehnt da, die sie einst aus dem Sperrmüll des dänischen Wirtschaftsministeriums zog. Schmetterlinge aus Papier hängen an der Wand. http://www.welt.de/wirtschaft/article142380344/Macht-ist-eine-Institution-sie-gehoert-nicht-dir.html

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Die Wettbewerbskommissarin ist eine der mächtigsten Personen der Europäischen Kommission. Vor wenigen Wochen startete die Dänin Verfahren gegen den Internetkonzern Google und den russischen Energieriesen Gazprom. Nervös scheint sie deswegen nicht zu sein. Wir sind zum Stricken verabredet – eine Leidenschaft, für die sie in ihrer Heimat bekannt ist.

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Die Welt: Frau Vestager, wen zeigen die vielen Fotos auf Ihrem Regal? Margrethe Vestager: Viele Menschen stellen gerne Bilder von den wichtigen Menschen auf, die sie einmal getroffen haben. Das hier sind die wichtigsten Menschen für mich: meine Familie.

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Die Welt: Ein Golden Retriever zählt auch dazu? Vestager: Ja (lacht). Hier sehen Sie Maria, meine Älteste. Rebecca, die 16 Jahre alt ist. Das hier ist mein Bruder. Hier ist meine Schwester, mein Ehemann bei seiner Lieblingstätigkeit – beim Lesen. Margrethe Vestager Die Eiskönigin

Die Welt: Ihre Familie wird im Sommer nach Brüssel ziehen. Freuen sich alle?

Vestager: Ja. Wir leben schon seit 20 Jahren in Kopenhagen. Alle sind sich sehr wohl bewusst, dass die Welt groß ist. Wenn man Teil davon sein möchte, dann muss man einfach mal losgehen.

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Die Welt: Ihr Büro wirkt wie eine Boutique für dänisches Design. Vestager: Finden Sie? Vielleicht haben Sie recht. Die Welt: Wofür steht das Design Dänemarks? Vestager: Es hat viel mit Funktionalität und einfachen Formen zu tun. Darin liegt meiner Meinung nach große Schönheit verborgen. Nehmen Sie den Stuhl hier. Er kann noch so schön ausschauen, aber wenn Sie nicht gut darin sitzen, dann ist er doch sinnlos. Die Welt: Dafür haben Sie einen ungewöhnlich kleinen Schreibtisch. Viele andere Politiker verstecken sich hinter großen Tischbarrieren. Vestager: Menschen werden nicht mächtiger, wenn sie größere Schreibtische bekommen. Und sie werden auch nicht jünger, wenn sie schicke Sportwagen fahren. Die Welt: Zwingen Sie sich dazu, die Bodenhaftung nicht zu verlieren? Vestager: Ich habe vor Jahren einmal über die Erfahrung von Vaclav Havel gelesen, als er Präsident der Tschechischen Republik wurde. Er stellte fest, dass er zu Beginn seiner Amtszeit noch wie alle normalen Menschen zum Zahnarzt ging und wartete, bis er an der Reihe war. Später dachte er sich: Warum komme ich jetzt nicht als Erster dran? Und noch später: Warum öffnet der Zahnarzt nicht etwas früher nur für mich?

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Die Welt: Macht infiziert die Politiker? Vestager: Man muss drastische Maßnahmen treffen, damit man am Ende nicht denkt, dass man selbst die Macht hat. Die Macht ist eine Institution, die in den Gesetzen vorgeschrieben ist. Sie gehört nicht dir. Man darf sie nicht behalten. Es

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hat einen Grund, warum ich so einen kleinen Tisch habe. Die Welt: Sie sind neben dem Kommissionspräsidenten eine der mächtigsten Personen in der Brüsseler Kommission. Vestager: Weil ich die Gesetze umsetze. Die Welt: Sie sind Chefermittlerin, Anklägerin, Richterin in einer Person. Würden Sie jemals einem Menschen so viel Einfluss geben? Vestager: Ich würde niemals einer Person so viel Macht allein geben, sondern darauf achten, dass es ein System von Kontrolle gibt. Wir haben das in der Europäischen Union. Immer wenn ich gefragt werde, ob in meiner Position auch politische Erwägungen eine Rolle spielen, sage ich: Es muss vor dem Europäischen Gerichtshof am Ende bestehen können. Die Richter entscheiden auf der Basis von Fakten, nicht auf Basis politischer Erwägungen. Vestager geht zu ihrem Tisch und nimmt Stricknadeln und ein grünes Wollknäuel. Vestager: Das ist für Sie. Zum Lernen. Einen Teil hat sie schon vorgestrickt: In den Zylinder passt ein Finger.

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EU-Wettbewerbkommissarin Margrethe Vestager zeigt "Welt"-Reporter Andre Tauber, wie Stricken geht

Vestager: Das ist der Rüssel eines Elefanten. Den habe ich heute Vormittag im Flugzeug gestrickt. Ich las dabei einen Zeitungsartikel, der mich sehr interessierte. Die Welt: In welchen Situationen stricken Sie? Vestager: Wenn ich auf etwas warte. Ich mag es nicht, Pullover zu stricken, weil man die so schlecht mit sich herumtragen kann. Es hat in Dänemark eine lange Tradition, nebenbei zu stricken. Die Schäfer strickten früher Socken, während Sie auf die Herde aufpassten. Die verkauften sie dann an fliegende Händler. Die Welt: Wie man hört, stricken Sie auch in Sitzungen hin und wieder.

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Vestager: Nicht wenn ich mich konzentrieren muss. Wir hatten neulich ein Kommissionsseminar. Das ist ein informelles Format. Man hört zu, macht sich hin und wieder Notizen. Dabei strickte ich einen Elefanten für Sven, den neugeborenen Sohn meines Bruders. Die Welt: Haben Sie gestrickt, als Sie Google-Chef Larry Page zu Gast hatten? Vestager: Aber nein (lacht). In wichtigen Gesprächen oder wenn ich Sitzungen leite, dann lasse ich die Stricknadeln. Dann muss ich mich konzentrieren. Die Welt: Ihre Strickelefanten sind in Dänemark schon legendär. Wie kamen Sie darauf?

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Vestager: Über viele Jahre hinweg strickte ich Socken, die ich an all diejenigen verschenkte, die gerade ein Baby erwarteten. Ich freue mich ja auch am meisten über selbst gemachte Geschenke. Aber nach bestimmt 50 Paaren wurde das langweilig – und da entdeckte ich einmal zufällig das Strickmuster für einen Elefanten. Die Welt: Haben Sie keine Sorge, dass das als altbacken aufgefasst wird? Vestager: Nein. Ich finde, Handwerk ist gerade auch bei jungen Leuten wieder sehr in Mode gekommen. Die Ehefrau meines Bruders etwa ist Teil einer Bewegung, die sich an öffentlichen Plätzen trifft und strickt. Die Welt: Was mögen Sie an Elefanten? Vestager: Das sind sehr freundliche Tiere. Sie leben in Gemeinschaften, die Frauen haben das Sagen, und sie haben ein gutes Gedächtnis. Wir sagen in Dänemark immer: Vergib immer, vergiss aber nie. Vestager strickt einige Reihen vor und erklärt, wie es geht. Vestager: Sie heben den Faden hier an und fädeln den anderen Faden durch die Schlaufe. Genau so. Sieht einfach aus, oder? Die Welt: Ich bin mir sicher, dass es da irgendwo ein Problem geben wird. Vestager: Sie brauchen einfach etwas Übung, das ist alles. Die Welt: Sie sind Tochter von zwei Pfarrern. Hat das Ihren Charakter geprägt? Vestager: Ich denke schon. Weniger in meinem religiösen Verständnis. Ich denke, mehr in der Art und Weise, wie sie arbeiten. Die Tür stand immer offen, jeder konnte kommen. Die Menschen, die sich auf eine Taufe oder eine Hochzeit vorbereiteten, aber auch Menschen, die in tiefer Trauer waren. Ich lernte: Man muss jeden Telefonanruf entgegennehmen. 99-mal mag es ein Anruf sein, der nicht wichtig ist. Aber es kann sein, dass der 100. Telefonanruf sehr wichtig ist. Die Welt: Sie können sich der Gesprächsanfragen bestimmt nicht erwehren. Viele Lobbyisten würden sehr gerne Zeit mit Ihnen verbringen. Vestager: Ja, aber die brauchen mich nicht in derselben Angelegenheit wie Menschen, die das Wort eines Priesters brauchen. Die Welt: Wie fühlt sich Brüssel an im Vergleich zu Kopenhagen? Vestager: Auch Brüssel ist ein Dorf. Jeder kennt jeden. Man kommt hier sehr schnell an. http://www.welt.de/wirtschaft/article142380344/Macht-ist-eine-Institution-sie-gehoert-nicht-dir.html

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Die Welt: Und politisch? Vestager: In der dänischen Politik gibt es sehr viele kleine Parteien. Wer Dinge voranbringen möchte, muss sich mit anderen zusammentun. Man lernt also schnell, gute und enge Kontakte mit allen Menschen zu pflegen. Man mag sich zwar im Moment nicht brauchen, in wenigen Monaten kann es aber schon anders sein. Die Welt: Wie hart ist das Geschäft einer Politikerin? Vestager: Das hängt sehr stark von der Position ab und davon, wie man veranlagt ist. Ich finde es auf jeden Fall immer gut, wenn Menschen klarstellen, wofür sie stehen. Die Welt: Haben Sie manchmal über das Bild nachgedacht, das Sie mit dem Stricken abgeben? Vestager: Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich versuche, mich sehr "soft" anzusehen. Ich trage Röcke oder Kleider und meide typische Businessanzüge. Ich bin nicht ein Mann in einem Frauenkörper. Ich bin eine Frau in jeder Hinsicht. Und ich möchte zeigen, dass ich zugänglich bin. Ich mag es im Übrigen auch, wenn Männer keine Krawatte tragen. Die männliche Uniform ist doch sehr geschlossen. Die Welt: Müssen sich Frauen denn heute noch wie Männer verhalten, um Karriere zu machen? Vestager: Nein. Aber einmal fragte mich ein Journalist zum Thema Google, ob ich nervös und zweifelnd gewesen sei. Das ist eine zulässige Frage. Aber ich fragte mich, ob er sie einem Mann gestellt hätte. Die Welt: Und? Fühlten Sie sich eingeschüchtert, als Sie die Verfahren gegen Google und Gazprom starteten? Vestager: Der Druck ist in jedem Wettbewerbsverfahren hoch. Selbst kleine und in der Öffentlichkeit wenig bekannte Unternehmen haben manchmal kein Verständnis dafür, dass sie sich an die Regeln halten müssen. Die Welt: Würden Sie sagen, dass Google das mächtigste Unternehmen der Welt ist? Vestager: Nein. Aber es ist ein sehr erfolgreiches Unternehmen mit einer dominanten Position am Markt. Die Welt: Bis ein Urteil gegen Google rechtskräftig ist, können Jahre vergehen. Bis dahin hat das Unternehmen längst neue Geschäftsfelder erschlossen. Ist das Wettbewerbsrecht nicht zu langsam, um Probleme im digitalen Zeitalter zu lösen? Vestager: Die Alternative wären neue Gesetze. Doch auch die brauchen Zeit. Bis Sie mit allen Anhörungen, Ausschussarbeiten und Lesungen in den Parlamenten durch sind, vergehen mitunter Jahre. Wir müssen deswegen von Fall zu Fall entscheiden. Die Welt: Haben Sie die Verfahren gegen Google und Gazprom nur vorangetrieben, damit Sie am Verhandlungstisch in eine bessere Position kommen?

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Vestager: Wir haben immer gesagt, dass wir bereit sind, den gesamten Werkzeugkasten zu nutzen, der uns zur Verfügung steht. Wir müssen am Ende nur sicherstellen, dass die Konsumenten eine Wahlmöglichkeit erhalten und Zugang zu den neuesten Technologien zu vertretbaren Preisen. Die Welt: Sind Sie ein Fußballfan? Vestager: Als ich meinen Mann kennenlernte, war er ein sehr aktiver und sehr guter Fußballer. Ich dachte damals: Das wird also unsere gemeinsame Sache werden. Ich lernte alles über Fußball. Auch die Abseitsregeln. Aber dann habe ich verstanden, dass er es am liebsten hat, wenn ich ruhig bin und sicherstelle, dass Bier im Kühlschrank ist (lacht). Die Welt: Derzeit untersuchen Sie auch Wettbewerbsfälle im spanischen und niederländischen Fußball. Vestager: Das sind klassische Fälle, in denen wir mögliche Staatshilfen untersuchen. Es gibt sicherlich viele Fußballfans, die einen Entscheid in diesen Fällen sehnlich erwarten. Die Welt: Wie weit sind Sie damit? Vestager: Wir sind sehr weit damit gekommen. Wir dürften die Fälle noch in diesem Jahr abschließen. Die Welt: Der Fall von Luxemburg und anderen Ländern, die Unternehmen mit Steuervorteilen angelockt haben, betrifft indirekt auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der lange Regierungschef des Landes war. Wie fühlt es sich an, gegen den eigenen Chef zu ermitteln? Vestager: Aus offensichtlichen Gründen sehe ich das gar nicht aus diesem Blickwinkel. Wenn Dinge persönlich werden, dann kommt man auf den falschen Pfad. Die Welt: Sie haben dazu Informationen von Unternehmen wie Amazon, Fiat, Starbucks und Apple eingefordert. Wann werden Sie den Fall beenden? Vestager: Es ist leider nicht so, dass man schon auf Anhieb alle notwendigen Informationen bekommt. Wir haben uns dafür entschlossen, dass Qualität vor Schnelligkeit gehen muss. Wir tun unser Bestes, die Fälle zügig abzuschließen. Die Welt: Ich glaube, ich habe hier in der Strickreihe einen Fehler gemacht. Vestager: (Repariert es wieder) Aber ich finde, Sie machen das sehr, sehr gut! Die Welt: Der Trick dabei ist, den richtigen Druck aufrechtzuerhalten? Vestager: Ja. Aber ist das nicht die Herausforderungen bei allen Dingen? Die Welt: Wie wollen Sie als Wettbewerbskommissarin in Erinnerung bleiben? Als diejenige, die Härte zeigte? Vestager: Wenn die Menschen sagen, Europa ist etwas fairer geworden, dann denke ich, dass ich einen guten Job gemacht habe. © WeltN24 GmbH 2015. Alle Rechte vorbehalten

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