Leseprobe
Hannah Simon Felix oder Zehn Dinge, die ich an dir liebe
Mehr Infos: www.frankfurter-‐verlagsanstalt.de
HANNAH SIMON
FELIX ICH
DIE
ZEHN DINGE, AN DIR ODER
LIEBE
© Julia Werner
Roman
Hannah Simon, Jahrgang 1978, ist eine sehr fröhliche Person – und zum Glück nicht allergisch dagegen. Sie studierte Literatur- und Sprachwissenschaften. Anschließend arbeitete sie als Texterin in Köln, München und Berlin, und veröffentlichte Kurzgeschichten in Literaturzeitungen und Anthologien. Felix oder Zehn Dinge, die ich an dir liebe ist ihr erster Roman. Sie lebt inzwischen mit ihrer Familie im Süden Deutschlands.
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EIN MODERNES MÄRCHEN UND EIN WUNDERBAR UNTERHALTENDES SOMMERBUCH MIT VIEL WITZ, CHARME UND KLUGHEIT, GESCHRIEBEN VON EINER JUNGEN AUTORIN, DIE HIER IHREN ERSTEN ROMAN VORLEGT.
Hannah Simon Felix oder Zehn Dinge, die ich an dir liebe
Roman Etwa 360 Seiten Schön gebunden Farbiges Vorsatzpapier Ca. € 19,90/€ 20,50 (A)/ CHF 29,90 (UVP) ISBN 978-3-627-00213-8
Lesungen mit Hannah Simon können über den Verlag vereinbart werden. Felix Parland ist erfolgreicher Architekt, der seinem Chef auch manchmal den Hintern rettet und lügen kann wie gedruckt, wenn es der Karriere nützt. Ihm fehlt nur noch die Beförderung. Doch als die entscheidend näher rückt und Felix seiner Traumfrau begegnet, geschieht das Unwahrscheinliche: Mitten in seiner Glückssträhne bricht er zusammen. In der Notaufnahme versteht Felix nicht viel von all dem medizinischen Fachchinesisch. Sicher ist nur: Er reagiert allergisch auf hochemotionale Situationen.
Übersetzt für den Laien: Er hat eine überaus seltene Glücksallergie. Felix’ perfektes Leben ist nun bedroht: Wie soll er erfolgreich im Job sein und mit seiner Hollywood-Schönheit anbandeln, ohne sich übermäßig zu freuen? Da ihn die Anti-Allergika viel zu müde machen, um seine täglichen Überstunden zu bewältigen, beschließt er kurzerhand, sich selbst unglücklich zu machen, um seine Glücksanfälle in Schach zu halten. Und da kommt es gerade recht, dass ihm bei einem wichtigen Bauprojekt die
ebenso kratzbürstige wie unverschämte Ruby als Bauherrin vor die Nase gesetzt wird, mit überraschenden Folgen ... Felix oder Zehn Dinge, die ich an dir liebe ist ein frecher Unterhaltungsroman, in dem nicht nur der Protagonist um sein Lebensglück kämpft, sondern auch der Leser selbstvergessen in ein beglückendes Lektüreerlebnis abtaucht. Ein wunderbar unterhaltendes Sommerbuch.
Erscheint Anfang März 2015!
frankfurter verlagsanstalt
10 DINGE AUS DER ARCHITEKTUR- UND DESIGNWELT HOME// ABOUT// ARCHIV// KONTAKT// _______________________ 20. SEPTEMBER _______________________
Liebe Blog-Leser, die Zeit wird knapp. Ich kämpfe immer noch mit allen Mitteln darum, SIE wiederzufinden. Ich habe es noch nicht geschafft. Und jetzt bleiben nur noch wenige Tage. Wenn ich nicht in den nächsten 72 Stunden mit ihr reden kann, dann ist alles zu spät. Es geht immer noch um mein Leben. Oder besser gesagt um etwas, das diese Bezeichnung nicht mehr verdient. Trotzdem: Danke für die vielen Kommentare zu meinem letzten Eintrag. Ich weiß, es war seltsam, statt meiner üblichen »10 Dinge« plötzlich einen Suchaufruf auf der Webseite vorzufinden. Viele von Euch haben sich gefragt, wie es dazu kam. Und auch wenn ich mein Privatleben nicht im Internet ausbreiten wollte – jetzt sind diese Mitteilungen die einzige Chance, die ich noch habe. Vielleicht liest sie es und versteht. Oder vielleicht liest es jemand, der sie kennt und weiß, wo sie ist. Oder vielleicht sagt ihr jemand, dass sie sich bei mir melden soll, denn sie ist – nun ja, sie ist mein Glück. Und wenn sich einer mit Glück auskennt, dann ich. Ich bin nämlich inzwischen ein verdammter Experte auf diesem Gebiet. Und das noch nicht mal freiwillig. Wie es dazu kam, werde ich Euch hier aufschreiben. Und zwar ganz ehrlich und schonungslos. Ich habe be-
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schlossen, die Ereignisse so zu schildern, wie sie für mich wirklich waren – auch wenn mich das in einem ziemlich schlechten Licht erscheinen lässt. Heute verstehe ich, was ich falsch gemacht habe, aber damit ihr – und vor allem SIE – es versteht, ist die absolute Wahrheit nötig. (Das wird jetzt wahrscheinlich der längste Blog-Eintrag der Welt.) Die Geschichte fing am 26. August vor einem Jahr an. Und zwar mit der vollen Bauchtanztruppe. Volle Bauchtanztruppe nennen wir es, wenn wir bei einer Präsentation für einen wichtigen Bauherrn alles auffahren: Die Entwürfe werden groß auf Pappen aufgezogen, ein armer Praktikant muss die ganze Nacht hindurch ein Modell von dem geplanten Bau fertigbasteln, das Frühstücksbuffet sieht aus, als hätte Feinkost Käfer eine Filiale in unserem Konferenzzimmer aufgemacht, und wir treten in einer so großen Gruppe an – obwohl natürlich nur einer präsentiert –, dass man meinen könnte, es käme ein wichtiger Staatsbesuch ins Architekturbüro Schneider & Partner. Dass wir an diesem Montagmorgen mit so vielen Mitarbeitern und zwei Praktikanten auftraten, war eine strategische Maßnahme, denn der Bau des Kaufhauses wurde von acht verschiedenen Menschen (inklusive Frau Huber) finanziert und entschieden. Wir mussten einfach dagegenhalten und mit mindestens genauso vielen Leuten auftreten, damit es nach etwas aussah. Und so kam es, dass Arno hinter unseren Chefs Adrian und Georg das Zimmer betrat, die letzte Pappe feierlich vor sich hertragend (bei seiner geringen Körpergröße verschwand er fast dahinter), um sie gleich mit dem Rücken zu uns gegen
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die Wand zu lehnen. Denn so eine Pappe enthüllt man erst mit großem Tamtam, wenn man in der Präsentation die Spannung ein bisschen aufgebaut hat. Aber der Hornochse Arno lief so an uns vorbei, als wir uns alle um den Kaffee und die Croissants drängelten, dass Herr und Frau Huber in der Schlange vor mir einen guten, langen Blick auf den Entwurf werfen konnten. Und erblassten. Falls jemand Herrn Huber nicht kennt (was ich bezweifle): Das ist der, der in den Zeitungen immer als dieses hohe Tier im Bankenvorstand auftaucht. Und über den gemunkelt wird, er wolle demnächst in einen Fußballclub als Investor einsteigen. Seine Ehefrau steht nie in der Presse, aber sie ist dennoch immer mit von der Partie. Auch bei dieser Präsentation würde sie wieder einiges zu sagen haben, das wusste ich schon. Hinter den Kulissen nannten wir das: Die wichtigen Entscheidungen werden »in der Küche« getroffen, sprich, von der Ehefrau. Denn als es um das neue Privathaus ging, das die Hubers gerade bei uns in Auftrag gegeben hatten, war es ganz genauso. Eigentlich hatte ich ja gedacht, dass wir allein deswegen einen Stein im Brett bei den beiden hätten. Aber ich hatte mich getäuscht. Ich stand direkt hinter Herrn und Frau Huber, so dass ich ihr aufgeregtes Geflüster, das der Entwurf ausgelöst hatte, ganz gut mitbekam. Frau Huber fing leise an, ihren Mann anzukeifen. Mit zusammengekniffenen Augen verharrte ich und tat so, als müsste ich eine Grundsatzentscheidung zwischen »schwarz« und »mit Milch und Zucker« treffen, um ein wenig zu lauschen. Das Projekt sollte »Elisabethquartier« heißen, nach Elisabeth von Österreich-Ungarn (ja, genau, die Sissi). Und zwar
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nicht, weil sich das Kaufhaus an der Elisabethstraße befände (tut es nämlich nicht) oder weil es etwas mit Sissi zu tun gehabt hätte, sondern weil das am wahrscheinlichsten durchzukriegen war. Bei den Entscheidern sollte es etwas Grandezza versprühen, bei den Feministinnen unter den Journalistinnen Wohlwollen hervorrufen. Als ich zum Milchkännchen griff, zischte Frau Huber, dass sie gehofft hatte, den Namen ELISABETH (sie spuckte den Namen in verächtlichen Versalien aus) nie wieder hören zu müssen. Verstohlen hob ich den Kopf, rührte alibimäßig in meiner Tasse und sah, wie Herr Huber, rot und aufgeplustert, ihr nicht in die Augen schaute, aber zurückflüsterte: »Diese Diskussion haben wir doch wohl hoffentlich hinter uns! Ich hab schon lang keinen Kontakt mehr mit der Elisabeth, schon lang! Und das weißt du!« Dann setzte sich alles in Bewegung, denn mein Chef machte sich daran, die Präsentation zu starten. Während die beiden sich zu ihren Sitzplätzen begaben, hörte ich Frau Huber noch sagen: »Wenn das so ist, dann will ich mein Geld aus diesem Projekt rausziehen.« Mehr bekam ich nicht mit. Ich stellte meine noch randvolle Kaffeetasse schwappend weg und huschte zur Tür hinaus, rannte zu meinem Schreibtisch, schnappte mir einen Stift und kramte kurz im Papierkorb, wo ich fand, was ich am Abend zuvor weggeworfen hatte. Dann jagte ich zurück zum Konferenzraum, preschte hinein und drängte mich nach vorn. Leider konnte ich mit meinen Ledersohlen nicht mehr rechtzeitig abbremsen, so dass ich in einer Art Eishockey-Bodycheck meinen Chef Adrian mitten im Satz zum Schweigen brachte. Er rieb sich die Schulter, sah mich aber nur groß an und schluckte den Fluch, der ihm offenbar mit mehreren Ausrufezeichen auf
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der Zunge lag, schwer hinunter. Um den schönen Schein zu wahren, fragte er mich nicht, was zur Hölle das denn nun solle. Außerdem, wenn ich das in aller Bescheidenheit hinzufügen darf, konnte er sich darauf verlassen, dass ich immer wusste, was ich tat. Ich versuchte, ihm mit einem ebenfalls großen Blick zu bedeuten, dass er mich jetzt bitte machen lassen solle. Und dann drehte ich mich zu den Zuhörern um. Kennt Ihr dieses Gefühl, das man bekommt, wenn man träumt, man müsse seine mündliche Diplomprüfung noch einmal ablegen? Und man kommt unvorbereitet, zu spät und außerdem nackt zum Termin? Ich stand da, mit einem schwarzen Edding in der Hand. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich jetzt sagen sollte. Irgendwie gelang es mir, einen halbwegs charmanten Einstieg zu finden. Ich faselte etwas von Montagmorgen und dass man noch gedanklich dem Wochenende nachhänge und sich da auch mal Fehler einschlichen, dass der leckere Kaffee mich aber nun wach gemacht hätte und sich alle doch noch einmal nachschenken sollten, denn jetzt gehe es richtig los. Keiner rührte sich. Alle starrten mich an. Nun gut. Dann setzte mein Gehirn wieder ein. Ich zeigte die ersten Folien der Präsentation und fuhr mit der Einleitung fort, wie Adrian sie geplant hatte. Der stand inzwischen an der Seite, sah zwar noch zu, hatte aber offenbar nicht das Gefühl, er müsse eingreifen. Als ich zur Herleitung des Namens kam, präsentierte ich ohne Computer weiter. Ich entschuldigte mich noch einmal dafür, dass leider die falschen Entwürfe auf Pappe aufgezogen worden
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waren, und betonte dann, dass das aber nichts mache. Denn es ginge um die Idee. Und wie großartig die sei, könnten alle Anwesenden auch vor ihrem geistigen Auge sehen, sagte ich. Ja, genau, ich trug verdammt dick auf. Denn alles, was ich in der Hand hatte, war ein zerknittertes Blatt Papier mit zehn Namen drauf, die wir allesamt verworfen hatten, und ein paar Notizen von mir dazu, welche Argumente zu einigen von ihnen passen würden. Nicht gerade viel, um acht Leute eine Stunde lang bei Laune zu halten und ihnen ein paar Milliönchen zu entlocken. Und um von der ELISABETH abzulenken, die gefühlt als neunte Person im Publikum saß. Genau zwischen Herrn und Frau Huber. »Und wie das KaDeWe, wie die Galeries Lafayette und Bergdorf Goodman wird auch unser neues Kaufhaus in aller Munde sein«, schwadronierte ich weiter und zog ein klappriges Flipchart aus der Ecke des Raumes, weil ich ohne Computer und Pappen irgendwie so nackt war. Immer noch wusste ich nicht, welchen der blöden Vorschläge ich denn nun nehmen sollte, und so gewann ich etwas Zeit. Vielleicht doch »Cube – das Kaufhaus«, ein Name, der absolut keine Seele hatte? Oder lieber »MünchenMall«, was leider so gut wie unverständlich war, wenn man es irgendwo las oder aussprechen wollte. Im Zusammenhang mit »Quartier« waren wir alle möglichen Namen durchgegangen, und »Ludwigsquartier« war in die engere Wahl gekommen. Mit einem Seitenblick auf Frau Huber – wer weiß, was die wiederum für verflossene Liebhaber auf Lager hatte, inzwischen traute ich der Familie Huber alles zu – ließ ich das aber sein. Ich verharrte mit dem Stift kurz vor dem Flipchart, holte noch einmal tief Luft.
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»Wir taufen es – Das Gärtner«, ich schrieb den Namen schwungvoll mit meinem schwarzen Edding auf das große Stück Papier. Ich machte eine Kunstpause und drehte mich zur Meute um. Frau Huber schien verhalten, vielleicht auch auf der Hut, ob sie etwas falsch verstanden hatte. Herrn Huber stand der Mund offen, aber ich wusste nicht, ob er erstaunt oder nur kurz vor dem Einschlafen war. Der Rest der Truppe regte sich nicht. Dann sah ich Arno. Seine Halbglatze war vor Zorn rot angelaufen. Den Rest von ihm in der letzten Reihe konnte ich leider nicht sehen, weil er kleiner war als alle anderen, die vor ihm saßen. Schwungvoll drehte ich mich wieder um und rief wie ein Motivationstrainer über die Schulter. »Das Gärtner – das ist prägnant und einfach zu merken.« Ich schrieb einfach in die linke untere Ecke und kreiste es – ebenso schwungvoll – ein. »Es ist organisch aus seinem Standort am angesagten Gärtnerplatz abgeleitet«, noch ein Kreis, diesmal mit Ort, in die rechte untere Ecke, »und es ist einzigartig und wird eine hohe Akzeptanz erfahren.« Ich schrieb über Das Gärtner Einzigartigkeit und hoffte, dass niemand merkte, dass einfach, Ort und Einzigartigkeit ein ziemlich beschissener Dreiklang waren. Die Wörter passten leider überhaupt nicht zusammen. Aber ich war derart beschäftigt damit, aus dem Stegreif eine gelungene Präsentation ohne Vorbereitung und Materialien zu liefern, dass ich mich nicht auch noch um Kongruenz bemühen konnte. Außerdem redete ich mich hier um Kopf und Kragen: Entweder ich überzeugte die Leute hier und rettete meinen Chefs den Hintern, oder ich versagte kläglich, brachte meine Chefs um einen Millionenauftrag und konnte wahrscheinlich mit meiner Kündigung rechnen. Also weiter. Ich wagte also ein kleines Rollenspiel, damit die Geldsäcke
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ein Gefühl für den Gebrauch von Das Gärtner bekommen konnten. Vielleicht sah es eher aus wie der Monolog von Gollum, der mit seinem Alter Ego Sméagol Zwiegespräche führt, aber ich versuchte es zumindest: »Hey, komm, wir gehen heut ins Gärtner!« Ich drehte mich um 90 Grad und nahm eine leicht andere Tonart ein: »Schatz, gönn dir heut mal was. Ich führ dich ins Gärtner aus.« Und noch einmal anders: »He, wo hast du denn diese genialen Schuhe her? Aus New York? – Nee, die hab ich aus dem Gärtner!« Ich klang wie ein sehr, sehr schlechter Radiospot. Und weil das furchtbar peinlich war, fuhr ich ohne Umschweife damit fort, wie genial man für Das Gärtner Werbung machen könnte, wie sehr es mit seiner Bildhaftigkeit und seiner Verwurzelung im Standort Gärtnerplatz die Kreativität der, äh, Kreativen anregen würde, dass wir schon allein mit der Werbung Preise abräumen würden und mit dem architektonischen Entwurf der Innengestaltung an sich ohnehin Stadtgespräch wären. Und dass wir bei der Dekoration jede Woche einen anderen exklusiven Münchner Gärtner engagieren würden, so dass allein der saisonale Blumenschmuck einen Besuch in diesem Kaufhaus wert wäre. Da ritt mich nun wirklich der Teufel. Wahrscheinlich wussten die acht selbst, dass sie niemals ein Budget für so einen Kram bewilligen würden, aber ich war nun mal verzweifelt. Für einen Augenblick hielt ich die Luft an. Wenn mir jetzt nichts mehr einfiel, konnte ich einpacken. Dann sah ich einen der Typen leicht nicken und seinem Nachbarn etwas zuflüstern. Der nickte zurück und sah nicht abgeneigt aus. Frau Huber sah mit hochgezogenen Brauen zu Herrn Huber, aber der sah zum Buffet. Die an-
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deren fingen auch an, leise untereinander zu tuscheln. Ich nutzte die Zeit, um in Windeseile den Laptop wieder aufzuklappen und auf den restlichen Folien der Präsentation die ELISABETH herauszulöschen, so dass ich wenigstens die aktuellen Ansichten des Kaufhauses zeigen konnte. Einen groben Entwurf kannten die Herren (und Frau Huber) schon, aber hier war alles hübsch in Renderings aufbereitet, so dass es bereits aussah wie eine realistische Fotografie. Ich sah kurz zu Adrian hinüber, aber der hatte ein verschlossenes Gesicht und machte keine Anstalten, wieder zu mir zu treten. Also fuhr ich fort. Ich klickte mich um mein Leben und durch die restliche Präsentation. Ich beschwor den tollen Entwurf, versuchte, den hirnrissigen Namen nicht mehr allzu oft zu nennen, und irgendwann war ich fertig. Vor lauter Aufregung hatte ich nicht sehr lange gebraucht. Jetzt zeigte das letzte Chart nur noch Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! und Was meinen Sie dazu? Ich sah noch einmal zu Adrian, und jetzt stellte er sich zu mir, um die Diskussion zu leiten. Die Typen klatschten lahm. Vielleicht klang es so, weil es eben nur acht Leute waren und ich mich fühlte wie das Lamm auf der Schlachtbank. Es kamen noch ein paar Fragen zum Denkmalschutz, zu den Terminen, zu Lichtschutz und tatsächlich auch zur Werbung, die Adrian tapfer beantwortete. Irgendwie gab es dann auch Zustimmung, einen kleinen Witz aus dem Publikum, den ich nicht mitbekam, Gelächter und allgemein fröhlichen Aufbruch. Eine endgültige Entscheidung für oder gegen Einzelheiten (oder doch noch den ganzen Auftrag – wir hatten ja schon einiges erlebt) würden wir ohnehin erst im Laufe des Tages erhalten, wenn die Herren (und Dame) sich untereinander beraten hatten. Aber ich
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hörte im Abschiedsgemurmel, wie die einen den Entwurf ganz positiv fanden, andere waren gespannt auf die Reaktion der Öffentlichkeit. Nur was das Ehepaar Huber dachte, wusste ich nicht. Sie blieben stumm. Wir trollten uns alle zur Tür. Meine Beine waren wie aus Gummi, so als würde ich von einer Unfallstelle weglaufen. Ich bemerkte noch, dass Arno mich böse anstarrte. Dann aber gingen Herr Huber und Adrian an ihm vorbei, und ich konnte hören, wie Herr Huber zu Adrian meinte: »Soso, der Parland hat also alle Pappen versaut? Ich muss schon sagen, das war doch wirklich die Höhe! So ein ärgerlicher Fehler sollte nicht passieren. Der Parland sollte wohl bei der nächsten Präsentation besser nicht dabei sein.« Adrian nickte diplomatisch und erwiderte nichts. Dann drehte er sich zu mir um und sagte leise: »Felix, kommst du gleich mal in mein Büro?« Ich hatte ganz offenbar meine perfekte Karriere innerhalb einer Stunde grandios in den Sand gesetzt. Heute weiß ich, dass dieser Montag tatsächlich einer der wichtigsten Tage in meinem Leben war. Als Nächstes bin ich in Adrians Büro gewankt und musste mich erklären. Adrian und Georg hörten sich meine Geschichte an, und ich muss sagen, ich weiß bis heute nicht, ob sie mir so richtig geglaubt haben. Ihre Reaktion blieb zurückhaltend – mal ehrlich, sie hätten mir ja auch auf Knien danken können, oder? –, und ich komme nur auf zwei Möglichkeiten. Entweder glaubten sie, dass Frau Huber ihre Drohung doch nicht wahr gemacht hätte. Da kannten sie Frau Huber schlecht. Oder sie glaubten, ich lüge und wollte einfach mal meinen eigenen Vorschlag auf einem Millionenprojekt sehen. Da kannten sie mich ganz
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gut. Sie wussten ja, wie ehrgeizig ich damals war, und das Ganze hat ja seinen Reiz. Wer träumt nicht davon, grandiose Entwürfe in die Welt zu setzen und schon bald Stoff für die Lehrbücher – also quasi die Geschichte – zu werden? Ich schon, und Arno auch. Vielleicht sollte ich zu Arno noch ein wenig sagen. Arno ist ein kleiner Mann, der gerne große Gebäude baut. Er ist der Danny de Vito der Architekturbranche. Wenn er Roulette spielen würde, er würde alles auf eine Zahl setzen. So kommt es, dass Arno manchmal knapp eine Deadline verpasst oder ein ganz klein wenig über dem kalkulierten Budget liegt. Arno mag es nicht, wenn man selbst ein erfolgreiches Projekt führt. Er stichelt dann, dass man es sich ja leicht gemacht habe, 254 Wohneinheiten, was sei das schon, und überhaupt, so ein »läppisches« Projekt erledige sich ja quasi von selbst. Arno sagt gern »läppisch«. Allerdings nur, wenn es um andere geht. Arno mag mich nicht. Er ist schon dann schlecht gelaunt, wenn ich ein gutes Gespräch mit einem Bauleiter führe. Er sieht es nicht gern, wenn es mir gelingt, moderne Materialalternativen zu finden. Er verbreitet in Kollegenkreisen, dass ich mir es ja leicht machen und die Rosinen in der Projektliste herauspicken würde. Und er sei dann der Mann fürs Grobe. Einer müsse sich ja die Hände schmutzig machen, und er, er könne wenigstens zupacken. Eine äußerst interessante Interpretation der Sachlage. Zudem wird die Vergabe der Aufträge an die Mitarbeiter von unseren Chefs selbst vorgenommen. Diese Tatsache ignoriert Arno gern bei seinen Ausführungen. Ich will hier gar nicht über einen Kollegen herziehen. Wirklich nicht. Das wäre schlechtes Benehmen. Aber all das hier
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sind wichtige Informationen, um den weiteren Ablauf meiner Geschichte zu verstehen. Ich lade Dich, Arno, hiermit herzlich ein, in der Kommentarfunktion Deine eigene Sicht der Dinge darzulegen, falls Du das hier liest. Es geht mir wirklich nur noch darum, dass SIE, wegen der ich das hier alles aufschreibe, versteht, warum ich getan habe, was ich getan habe. Doch zurück! Als ich aus Adrians Büro kam, starrte Stefan mich an. Seit Stefan mich an meinem ersten Tag im Architekturbüro zur Seite genommen und mich diskret darauf hingewiesen hatte, dass ich entweder einen riesigen Zahnpastafleck auf der Anzughose habe oder bereits mit unserer Empfangsdame in der Besenkammer gewesen sein musste und ihm bitte meine Tricks verraten solle, war er mir stets ein guter Freund. Ich war ihm wirklich dankbar, denn nichts ist so schlimm wie einen schlechten ersten Eindruck zu hinterlassen. (Es war Zahnpasta!) Ich erwartete, dass mir Stefan sagen würde, wie idiotisch ich mich in der Präsentation verhalten hatte, oder dass er fragte, ob ich nun entlassen sei. Stattdessen beugte er sich zu mir und raunte: »Hast du jetzt den Posten, oder wie?« Ich machte wohl ein unintelligentes Gesicht, was, wenn ich das so sagen darf, bei mir eher ungewöhnlich ist. »Hast du das denn noch nicht mitgekriegt?«, fragte Stefan. »Michael Frey hat letzte Woche gekündigt. Hat ’ne Stelle an einer Uni in der Schweiz bekommen, heißt es. Viel Kohle, viel Ehre und so. Und eben zurück in die Heimat für ihn. Ich weiß nicht so genau, ob das stimmt. Aber auf jeden Fall geht der.« So langsam drang zu mir durch, was Stefan mir da mitteilen wollte: Wenn Michael ging, bedeutete das, dass der
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Posten des Projektleiters frei würde. Intern nannten wir ihn »Oberprojektleiter«, weil er auch die anderen Projekte überwachte, so dass wir alle an ihn berichten mussten. Oder uns von ihm eine einfingen, wenn Zeit oder Budget nicht mehr stimmten. Wenn Michael ging und ich diese Stelle bekommen würde, dann wäre ich mit meinen zarten dreißig Jahren ein ungewöhnlich junger »Oberprojektleiter«. Vielleicht sogar der jüngste überhaupt. Meine Stimmung hellte sich sofort auf. Es schien schon gar nicht mehr so schlimm, dass mitten in München ein Kaufhaus mit dem hirnrissigen Namen Das Gärtner eröffnen würde, was voll und ganz meine Schuld war. Ich würde quasi einen Architektur-Rekord aufstellen als jüngster »Oberprojektleiter«. Das würde sich in meinem Lebenslauf verdammt gut machen. Und: Ich würde Arnos Projekte kontrollieren. Ein wirklich netter Nebeneffekt. Ich ging mit Stefan in die Küche, um die Lage weiterzubesprechen und meinen immer noch zittrigen Beinen einen Cappuccino einzuflößen. Aber wir kamen nicht weit. Adrian und Georg tauchten im Großraumbüro auf und baten uns alle in den Konferenzraum. Das halb leer gegessene Buffet war noch da, aber wir setzten uns brav auf die Stühle. Die beiden sagten, sie würden es ohnehin ganz kurz machen: Michael Frey habe eine Chance auf eine neue Herausforderung angenommen, oder so ähnlich. Oder was man eben so an Worthülsen ablässt, wenn einer geht und man höflich sagen will, dass das eigentlich blöd ist, man aber verpflichtet ist, ihm das Beste zu wünschen. Und dann sagten sie, die neue Stelle würde in der nächsten Zeit erst mal »interimsmäßig« nicht besetzt und die Projekte von Georg zusätzlich supervisiert. Sie wollten die Stelle dann intern wieder besetzen, wenn sie sich ent-
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schieden hätten, wer dieser Aufgabe gewachsen sei. Oder was man eben so an Worthülsen ablässt, wenn man sagen will: Wir wollen Geld sparen, indem wir niemanden von außerhalb dazuholen. Und wir wollen doch jetzt mal sehen, dass ihr euch schön ins Zeug legt. Zeigt uns doch mal, was ihr wirklich draufhabt und was ihr zu tun bereit seid für einen Job, der viel, viel mehr Arbeit, aber kaum mehr Geld einbringt. (Also, ich war bereit, so ziemlich alles zu tun.) Ich sah mich um. Arno setzte sich aufrechter in seinem Stuhl zurecht. Der dachte wohl, er hätte den Job schon so gut wie in der Tasche. Zugegeben, Arno war ein paar Jahre älter als ich und hatte mehr Berufserfahrung. Und er war schon länger im Architekturbüro angestellt als ich. Und wenn er nicht gerade seine größenwahnsinnigen Anfälle hatte, dann machte er einen guten Job. Alles in allem war er sicherlich ein guter Kandidat. Ich blickte wieder zu Adrian und Georg. Ich aber machte meine Sache gut. Sehr gut sogar. Ich hatte dem Büro nun wirklich zu Erfolg verholfen. Ich erlaubte mir keine Fehler und ging jeden Abend als Letzter nach Hause. Ich wusste, wie ich mich Kunden gegenüber zu benehmen hatte, und ich war als wandelndes Lexikon bekannt (gut, die anderen nannten mich eher spöttisch »der Herr Professor«, wenn ich interessantes Hintergrundwissen zum Besten gab). Und heute Morgen hatte ich meinen Chefs den Hintern gerettet. Wenn ich das so sagen darf: Ich war nicht nur die bessere Wahl, sondern auch die mit mehr Sex-Appeal. Und den besseren Anzügen, wie ich mal wieder feststellen musste, wenn ich Arno in seinen verbeulten Hosen so dasitzen sah. Adrian sagte: »Wir machen uns die Entscheidung nicht leicht. Noch ist alles offen.«
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Georg nickte und fügte hinzu: »Es ist auch noch nicht klar, wann wir die Stelle besetzen wollen. Es wird in der nächsten Zeit etwas unruhig werden …« Adrian lachte schuldbewusst: »Ja, also, ihr wisst ja alle, dass ich jetzt jederzeit einen Anruf von Sabrina erhalten könnte, dass die Wehen eingesetzt haben.« Er zog in einer Grimasse die Augenbrauen hoch. »Und wenn DAS Projekt losgeht, werde ich wohl für ein, zwei Wochen etwas abgelenkt sein.« Georg lächelte auch: »Ihr versteht, in diesen, na ja, Umbruch wollten wir nicht noch mehr Veränderung hineinbringen. Wir werden dem neuen Projektleiter in der Anfangszeit zur Seite stehen, damit wir hier erstens keine Entscheidungen aus dem Chaos heraus treffen und zweitens ein bisschen mithelfen, dass der Neue uns später alles abnehmen kann und wir an der Isar lange Mittagsschläfchen halten können.« Verhaltenes, aber höfliches Gelächter unsererseits. Adrian fuhr fort: »Uns ist klar, dass das etwas sportlich wird in der nächsten Zeit. Also vor allem für Georg.« Lachend klopfte er ihm auf die Schulter. »Helft bitte mit, dass wir den Übergang gut herumkriegen. Und dann können wir vielleicht in acht bis zwölf Wochen schon eine Entscheidung treffen.« Stefan kickte mich unauffällig an den Knöchel. Ich grinste. Das waren beste Aussichten. Ich musste einfach in den nächsten Wochen so perfekt arbeiten wie sonst auch und es die beiden wissen lassen. Die Beförderung war mir so gut wie sicher. Vor meinem geistigen Auge legte ich eine neue Liste an. Und hakte schon den ersten Punkt ab: »Millionenauftrag sichern.« Erledigt. Dazu noch: »Zeigen, dass man unentbehrlich ist.« Auch erledigt. Als Adrian und Georg den Konferenzraum verlassen hatten,
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machten wir uns endlich über das Buffet her. Ich sah, wie Arno auch wieder zurück zu seinem Schreibtisch ging, aber das war mir jetzt egal. Sollte er ruhig fünf Minuten früher wieder anfangen zu arbeiten. Ich hatte heute schließlich schon mehrere wichtige Punkte auf meiner Liste vollbracht. Stefan nahm sich eine Tasse Kaffee und sagte mit hochgezogener Augenbraue: »Na, das wird ja mal was.« »Was? Das Chaos für den jungen Vater oder die Brautschau?« »Brautschau? Wohl eher King Kong gegen Godzilla. Ist doch klar, dass der Job entweder an dich oder an Arno geht.« »Ich bin aber hoffentlich Godzilla, oder?« Ich legte die Butterbrezel wieder zurück. Am Montagvormittag das Bild von Affen, Körperbehaarung und Arno vor Augen zu haben war wenig appetitanregend. »Wie auch immer: Heute Abend wird gefeiert.« »Ach ja? Was haben wir denn zu feiern?« »Wir haben das ganze Wochenende durchgearbeitet für diese blöde Präse heute Morgen. Wir sind quasi dem Samstagabend noch etwas schuldig.« Ich lächelte. Manchmal mochte ich Stefans Logik. »Und das, obwohl ein ganz normaler Wochentag ist und wir ab morgen zeigen sollen, dass wir die besten Architekten unter Münchens weiß-blauem Himmel sind?« Stefan nahm sich den letzten Schokomuffin, biss hinein und sagte mit vollem Mund: »Scheißegal.« Und mit diesem schönen Wort besiegelte er mein Schicksal für diesen Abend. Tom stand schon an einem der Tische, als wir ins P1 kamen. »Uschis!«, rief er Stefan und mir entgegen.
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