Die Geschichte - Rivius Gymnasium

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Das Geb채ude des St채dtischen Gymnasiums nach der Fertigstellung (vor dem Ersten Weltkrieg)

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Die Geschichte des Attendorner Gymnasiums von 1515 bis 1975 Joachim Backhaus Die Geschichte des Rivius-Gymnasiums in Attendorn, des ältesten im südlichen Sauerland, reicht weit zurück in die Vergangenheit, in die Zeit des Übergangs vom Mittelalter zur Neuzeit.

1. Die Humanistenschule (ca. 1515 - 1618) Im Mittelalter war Bildung und Unterricht eine Sache der Kirche. Grundlage allen Wissens war der christliche Glaube. An ihm wurde auch alles gemessen, was die Griechen und Römer in der Antike an großen Leistungen in Kunst, Literatur und Wissenschaft hervorgebracht hatten. Von ihnen schöpfte man zwar viel Wissen, vergaß aber nie, dass sie Heiden waren. Das änderte sich während des 14. und 15. Jahrhunderts in Italien. An Fürstenhöfen und in Städten entstanden neue, private Schulen, und Gelehrte sammelten Schüler um sich. Nicht mehr das festgelegte Unterrichtsprogramm der mittelalterlichen Universitäten, sondern die freie Diskussion galt als oberstes Ideal. Die Erörterung mancher theologischen Frage, die bisher viel Raum eingenommen hatte, wurde durch das Studium der Philosophie und Literatur der griechisch-römischen Antike verdrängt. Von Italien breiteten sich Renaissance und Humanismus nach ganz Europa aus. Auch in Deutschland nahm die Begeisterung für das antike Rom rasch zu, gleichzeitig wuchs aber auch das Interesse an der eigenen Vergangenheit. In dieser Zeit des Umbruchs griff die geistige Reformbewegung des Humanismus von Münster aus nach Attendorn über. Attendorn war die erste Stadt im südlichen Westfalen, in der eine humanistische Schule gegründet wurde, von der wir freilich kaum mehr wissen, als dass Tilman Mülle, ein geborener Attendorner, ihr erster Leiter wurde und dass die bekannten Humanisten Rivius und Daberkus ihre Schüler waren. Johannes Rivius, der Namenspatron des Attendorner Gymnasiums, gehört als Schulmann und Reformator zu den bedeutenden Westfalen.

Als 1975 anlässlich des Jubiläums des Städtischen Gymnasiums der Stadt Attendorn die Namensgebung "RiviusGymnasium" vorgenommen wurde, sind Leben und Werk des Schulwissenschaftlers und Reform-Theologen in einer vom damaligen Schulleiter Werner Stannat herausgegebenen Festschrift gewürdigt worden (siehe auch vorangehendes Kapitel dieser Festschrift). Wie lange das von Tilman Mülle gegründete oder umgestaltete Gymnasium bestanden hat, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Übrigens lehrte Mülle nicht nur öffentlich in der Schule, sondern er nahm auch einzelne, besonders talentierte Schüler in sein Haus auf, um sie weiter zu fördern. Fest steht, dass Mülle wegen seiner fortschrittlichen Ideen und Unterrichtsmethoden - so führte er sogar Turnübungen im Pfarrgarten durch -, vor allem aber wegen seiner Vorliebe für griechische Klassiker, die als heidnische Schriftsteller als verderblich für die Erziehung der christlichen Jugend angesehen wurden, bald angefeindet und schließlich aus dem Lehramt verdrängt wurde. Der Verfall des Gymnasiums ließ sich fortan nicht aufhalten. Wahrscheinlich hat es sich aber zum Teil bis zum Anfang des Dreißigjährigen Krieges erhalten.

2. Franziskanisches Gymnasium Marianum Seraphicum (1638 - 1804) Noch während der Wirren des Dreißigjährigen Krieges ermöglichte die Niederlassung des Ordens der Franziskaner in Attendorn die Fortführung der Schule als franziskanisches Gymnasium "Marianum Seraphicum". In einem Schreiben machte der Rat der Stadt sein Einverständnis zur Konventsgründung von der Einrichtung eines Gymnasiums in Attendorn abhängig: "[...] doch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt und Reservation, dass wohlgemelte Herren Patres die Zeit ihrer Beiwohnung und Residenz überall hier die Jugend in freien Künsten und christlicher katholischer Lehr treu29


lich und fleißig instituieren und zu solchem End die Schulen einrichten, halten und vollziehen." Nach großen Anfangsschwierigkeiten begann der Lehrbetrieb des Gymnasiums in größerem Umfang erst 1678. Als Franziskanerkloster und Gymnasialgebäude durch den Stadtbrand des Jahres 1742 völlig vernichtet worden waren, wurde im Jahre 1748 von dem Freiherrn Christian von Fürstenberg nicht nur ein neues Klostergebäude, sondern auch gegenüber der Klosterkirche an der Kölner Straße ein neues Gebäude für das Gymnasium errichtet. Dieses enthielt einen sehr geräumigen "Aktionssaal", wo von nun an am Schluss jeden Schuljahrs von den Schülern dramatische Aufführungen, sogenannte Actiones, gegeben wurden. Am Ende der Actiones wurden an die besten Schüler "güldene Bücher" als Prämien verteilt. In der Einladungsschrift des Gymnasiums aus dem Jahr 1790 wird zu einer öffentlichen Prüfung eingeladen. Diese Prüfungen fanden seit 1783 anstatt der Actiones am Schluss des Schuljahres statt. Im Jahre 1783 wurde Attendorn wieder von einer furchtbaren Feuersbrunst heimgesucht, in der fast sämtliche Gebäude der Stadt, darunter das Rathaus, das Kloster und das Gymnasium, niederbrannten. Dem Stadtbrand fiel auch das Archiv des Gymnasiums zum Opfer. So fehlt es fast ganz an schriftlichen Zeugnissen über Art und Umfang des Lehrbetriebs. Aus später durchgeführten mündlichen Befragungen geht hervor, dass Griechisch, neuere Sprachen sowie Naturwissenschaften nicht gelehrt wurden, Mathematik und Geschichte nur Randfächer, Religion und Latein die zentralen Unterrichtsgegenstände waren und Deutsch notdürftig am Lateinischen eingeübt wurde. Die Klassen waren, wie in allen Klosterschulen, von unten nach oben: Infima, Secunda, Tertia (Syntaxis), Quarta (Poetica), Quinta (Rhetorica), Sexta (Philosophia) benannt. Außerdem bestand eine Vorbereitungsklasse Principia. Die Zahl der Schüler dürfte zwischen 50 und 60 gelegen haben, nicht wenig für die damalige Zeit. Der hohe Stand der grammatischen und rhetorischen Schulung am Attendorner Gymnasium Marianum Seraphicum lässt sich aus der Einladung zu einem Schauspiel 30

vom 22. September 1715 ersehen. Das Stück trug den Titel "Edler und ruhmvoller Sieg, errungen im schwachen Geschlecht, oder Maria, die Magd des Heiden Tertullius". Das Spiel, das alle Merkmale des damals blühenden Jesuitendramas aufweist, zwang zu einer genauen Kenntnis des Lateins, zur Schulung des Gedächtnisses, zum deutlichen Sprechen und zum gewandten Auftreten in der Öffentlichkeit. Für alle, die nur geringe Lateinkenntnisse hatten, ist im Argumentum eine Inhaltsübersicht gegeben. Dazu erklärt ein Sprecher knapp die einzelnen Auftritte. Das Stück selbst ist - wie üblich nicht gedruckt worden und deshalb verlorengegangen. Einer der besten Schüler dieses Franziskanergymnasiums war Heinrich Franz Heuel, der 1648 als Sohn armer Eltern geboren wurde, das Gymnasium besuchte, in Köln und Mainz studierte, in Wien Reichshofrat wurde und schließlich vom Kaiser Leopold I. in den Freiherrnstand erhoben wurde. Nach einer Phase des Niedergangs nach dem Brand von 1783 wurde das Gymnasium Marianum Seraphicum von der hessischen Regierung - Attendorn war 1802 (bis 1816) hessisch geworden - trotz einer Bittschrift der Stadt um Erhaltung aufgehoben.

3. Städtisches Progymnasium (1825 - 1875) 1815 wurde Attendorn preußisch. In Anknüpfung an die neuhumanistische Schulreform W. v. Humboldts wurde 10 Jahre später ein städtisches Progymnasium gegründet, zunächst mit 22 Schülern in den drei unteren Klassen. In der Folgezeit gab es trotz großer finanzieller Schwierigkeiten immer wieder Ausbaubestrebungen. So konnte 1835 die 4. Klasse, die Tertia, angegliedert werden. 1840 kam es zu einer Eingabe an den preußischen Minister für geistlichen Unterricht und Medizinal-Angelegenheiten wegen des Ausbaus der Schule. Darin heißt es: "Attendorn ist ein stilles, freundliches Städtchen, wo die Schüler für ein mäßiges Kostgeld bei ordentlichen Leuten untergebracht werden können und wo sie fern von aller Verführung und Vergnügungssucht, wie sie in großen und volkreichen Städten sich wohl darbietet, und unangesteckt von allen verkehrten und schwindelnden Ideen, wie


Zeugnis von 1839 31


sie heutzutage vielfach im Schwunge sind, nur ihren Studien obliegen."

Landkarten, mehrere Zeitschriften und eine ziemlich große Anzahl in Kapseln aufbewahrter Programme.

Zwar hatte man mit dieser Eingabe zunächst wenig Glück, aber der Gedanke des Ausbaus der Schule zur Vollanstalt wurde nicht aufgegeben. Mit Beginn des Schuljahres 1862 konnte die Sekunda (mit Einschluss der Obersekunda) eingerichtet werden. In seiner Verfügung vom 15.1.1862 lobte der Minister von Bethmann-Hollweg vor allem die Bereitschaft, mit der Bürger und Magistrat von Attendorn die zur Erweiterung des Progymnasiums nötigen Mittel zur Verfügung gestellt hätten. Einmal bis zur Obersekunda geführt, war der endgültige Ausbau zum Vollgymnasium nur eine Frage der Zeit. Die Stadt Attendorn, die mit dem Ratsbeschluss vom 31. Dezember 1865 einen ersten Schritt in diese Richtung getan hatte, wandte sich in verschiedenen, aber ähnlichen Schreiben an die Regierung in Arnsberg, an das Provinzialschulkollegium in Münster und an das Ministerium in Berlin mit der Bitte, der Erweiterung der Schule zuzustimmen. Dennoch konnte die feierliche Eröffnung des Vollgymnasiums erst im Herbst 1874 gefeiert werden. Am 11. August 1875 fand die erste Abiturprüfung an dem neuen Gymnasium statt.

2. Der physikalische und chemische Apparat. Derselbe ist zur Veranschaulichung des Unterrichts in der Physik und den Anfangsgründen der Chemie in der ersten Realklasse bestimmt [. . .] Der Apparat [. . .] besteht gegenwärtig aus 63 Nummern.

Im Folgenden soll mit Hilfe der Quellen versucht werden, Schulalltag und Zeitgeist jener Jahre wieder lebendig werden zu lassen.

I. Schulausstattung Eine Übersicht aus dem Jahre 1857 nennt die Menge der vorhandenen Lehrmittel: 1.”Die Lehrerbibliothek. Bei der Gründung der Anstalt im Jahre 1825 fanden sich nur wenige Bücher, meist theologischen Inhalts, aus der ehemaligen Klosterbibliothek vor, auch stand in den ersten 22 Jahren nur eine geringe Summe zur Anschaffung von Lehrmitteln zu Gebote. Erst in dem neuen Etat p. 1847 wurden für die Vervollständigung aller Sammlungen der Anstalt jährlich 75 Thlr. ausgeworfen, [...] Die Lehrerbibliothek zählt gegenwärtig 495 Bände. Außerdem besitzt sie zwei Atlasse von der alten Welt, zwei Globen, 38 einzelne 32

3. Die naturhistorische Sammlung besteht außer einem kleinen Herbarium aus einer Menge Mineralstufen, zusammen 468, meistens Geschenke von Privaten und Schülern der Anstalt. Dazu kommen noch mehrere Muscheln, Seesterne u.s.w. nebst einigen Hilfsmitteln, ein botanisches Besteck, zwei Lupen, ein Mikroskop.”

II. Schüler Im Jahresbericht 1861-62 findet sich eine Schülerstatistik des Progymnasiums von seiner Gründung bis 1861. Der folgende Auszug gibt Aufschluss über Zahl, Konfession und Universitätsstudien der Schüler "Bei der Zusammenrechnung aller Schüler in den einzelnen Jahren ergibt sich eine Gesamtsumme von 1635, also für jedes Jahr durchschnittlich eine Frequenz von 44 bis 45 Schüler [...]. Unter der Gesamtzahl der aufgenommenen Schüler waren: 1.) Der Heimat nach: a. Einheimische 161, b. Auswärtige 363 2.) Der Konfession nach: a) Katholische 484, b) Evangel. 36, c) Jüdische 4 [...]. Universitätsstudien haben nach erlangtem Zeugnisse der Reife 120 (von 161) gemacht, und zwar widmeten sich a) der Theologie 66 b) der Medizin 23 c) dem höheren Lehrfache 16 d) der Jurisprudenz 11 e) dem Bergfache 2 f) dem Forstfache 1 g) dem Baufache 1." Die Liste der Schüler aus dem Jahre 1864-65 ist in zweifacher Weise typisch und interessant. Sie zeigt den weiten Umkreis, aus dem das Progymnasium seine Schüler anzog. Zugleich finden wir so manchen den Attendornern auch heute noch vertrauten Namen wieder.


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III. Lehrer: Folgende Lehrer unterrichten im Schuljahr 1858-59 an der Schule: 1. Lehrerkollegium: Wiedmann, Rect., Ord. der III. a. u. b. Bigge, Oberlehrer, Ord. der IV. Rauchfuß, ordentl. Lehrer, Ord. der V. Gocke, ordentl. Lehrer, Ord. der Vl. Stein, ordentl. Lehrer der Mathem. und Naturwissensch. 2. Wissenschaftliche Hilfslehrer: Pfarrer Trainer, Religionslehrer für die evang. Schüler. 3. Technische Hilfslehrer: Hüppe, Gesanglehrer. Zeppenfeld, Zeichenlehrer.

IV. Unterrichtsgegenstände Um ein anschauliches Bild der damaligen “Lehrverfassung“ zu geben, sind folgende Bereiche ausgewählt: (Fundstelle: Jahresberichte über das Progymnasium und die Realschule zu Attendorn, Stadtarchiv Attendorn). 1. der Stoff der Ober- und Untertertia 1858-1859: 2. die Themata zu den Aufsätzen in Sekunda, 1869-70: 3. der Allgemeine Lehrplan (nach Klassen und wöchentlicher Stundenzahl) 1863-64:

Der Stoff der Ober- und Untertertia 1858 - 1859

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Die Themata zu den Aufs채tzen in Secunda, 1869 - 1870

Lehrplan von 1863 - 1864

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V. Zeitgeist V.1. "Disziplin, Sitte und Anstand - jederzeit und allerorten". Aus der Fülle der möglichen Zitate sind folgende ausgewählt: V.1.1. Auszug aus der Schul- und Kirchenordnung (1857): "Die Schüler sind gehalten, im Winter von 5 bis 7 Uhr abends, im Sommer von 5 bis 7 Uhr abends, wenn nicht geturnt wird, und des Morgens von 5 Uhr an sich auf die Lektionen des folgenden Tages vorzubereiten, ihre schriftlichen Arbeiten anzufertigen und die nötigen Repetitionen vorzunehmen. Außerdem ist zum Zwecke der häuslichen Ordnung und der Sittlichkeit festgesetzt, dass sie des Abends von einer bestimmten Stunde an, die nach der verschiedenen Tageslänge eine Abänderung erleidet, aber auch im Sommer nicht über 9 Uhr, ausgedehnt wird, sich aus ihren Wohnungen nicht entfernen dürfen. Die Lehrer überzeugen sich abwechselnd durch ihre Besuche, ob diesen Anordnungen entsprochen wird." V.1.2. Gymnastische Übungen (1858-59): "Die Turnübungen wurden im Sommer-Semester in drei wöchentlichen Stunden von zwei Lehrern der Anstalt geleitet und beaufsichtigt. In der zweiten Hälfte des Sommers wurden vorzugsweise militärische Übungen unter der Leitung eines Unteroffiziers von der Stammmannschaft des hiesigen Landwehr-Bataillons angestellt." V.1.3. Aus einer Rede des Rektors (1858): "[...] Ist z. B. ein Schüler geneigt, seine Aufgaben nachlässig zu schreiben, oder seine Hefte nicht sauber zu halten, die Interpunktionszeichen, ja nur das Pünktchen über dem "I" auszulassen, so ruhe der Lehrer nicht, bis er ihm diese Nachlässigkeit abgewöhnt hat. Durch solches strenge Festhalten an den Verboten und Geboten wird nicht nur die Gewöhnung an Gehorsam, sondern auch Charakterfestigkeit entwickelt und die moralische Willenskraft angeregt." " [...] Sie [die Schule] kann und darf weiterhin auch nicht unbeachtet lassen die üble Gewohnheit von einem 36

großen Teile der Jugend, des Morgens spät aufzustehen. Das lange Liegen im Bette, sei es schlafend oder wachend, macht träge, matt, unbehaglich, vollblütig, und ist, wie bekannt, vielfach die Ursache von folgenschweren heimlichen Jugendsünden. Noch aus andern Rücksichten muß auf das frühe Aufstehen gedrungen werden. Es fördert nämlich jede, am allermeisten aber die wissenschaftliche Tätigkeit. Alle Arbeit geht in den Morgenstunden besser von Statten, vorzugsweise aber das Lernen: Aurora musis amica." V.2. Erforderliche Eigenschaften des Lehrers (gleiche Rede): "[...] Er [der Lehrer] muss ein von Gottesfurcht, die aus dem Herzen stammt, durchdrungener, in der Erziehung bewährter, theoretisch und praktisch gründlich durchgebildeter und ein von freudiger Hingabe an die Kinder und ihre Fassungskraft beseelter Schulmann sein[...]" V.3. Rolle und Bedeutung der Religion (gleiche Rede): "[...] Da all unser Sein und Tun ohne Religion kein Gedeihen hat, so muß das Hauptstreben des Lehrers dahin gerichtet sein, Gottesfurcht, Menschenliebe und Achtung vor allem Erschaffenen als die Grundpfeiler derselben, in den jungen Herzen anzuregen und lebendig zu machen, und sie dahin zu gewöhnen, dass sie diese religiöse Gesinnung und frommen Gefühle mit heiterm Gemüte, durch angemessenes, edles Benehmen, anständige Haltung äußerlich zu erkennen geben. [...] eines jeden Lehrers Pflicht fordert es, [...] durch sein Wort, wo sich ihm Gelegenheit dazu bietet, ganz besonders aber durch ein musterhaftes Beispiel nach dieser Richtung hin zu wirken." V.4. Monarchisch-obrigkeitsstaatliches Selbstverständnis V.4.1. Aus der Chronik der Schule 1862-63: "[Punkt 6] Am 17. März wurde der fünfzigjährige Gedenktag des von Sr. Majestät dem hochseligen Könige Friedrich Wilhelm. III. erlassenen Aufrufs "An mein Volk", und des Beginnens der Freiheitskriege auf dem


passend ausgeschmückten Saale des Schulgebäudes durch patriotische Gesänge und Vorträge der Schüler feierlich begangen. Das Fest wurde verherrlicht durch die Anwesenheit mehrerer Veteranen des hiesigen Kreises, welche an ihrem Ehrentage zur gastlichen Bewirtung hierhin eingeladen waren [... ] [Punkt 7] Den hohen Geburtstag Sr. Majestät des Königs beging die Anstalt am 22. März vor dem Hauptgottesdienste durch einen feierlichen Schulakt [ ... ] " V.4.2. Aus der Rede des Schulleiters Wiedmann vom 22 .3.1867: "[...] es ist ganz vorzüglich die Tüchtigkeit und Schlagfertigkeit unserer ganzen Armee, wodurch so staunenswerte Erfolge [Sieg Preußens über Osterreich 1866] erzielt sind. Und was macht diese Armee so tüchtig und unwiderstehlich? Die vortreffliche Schulung, die Bildung und Intelligenz, kurz die in ihr lebende geistige und sittliche Kraft. Wo gibt es ein zweites, so rein aus dem Volk selbst hervorgegangenes, von vorn herein schon durch

die Elementarschule an Zucht und Ordnung gewöhntes, in den Grundkenntnissen und Fertigkeiten unterrichtetes, zur Religiosität, zum Gehorsam, zur Liebe für König und Vaterland erzogenes Heer? [...] Diesem durch die Schule gebildeten und später an stramme militärische Disziplin gewöhnten Volksheere haben wir die unglaublichen Erfolge des letzten Krieges wesentlich mit zu verdanken."

VI. Technischer Fortschritt (aus Overmann, Festschrift des Gymn. in Attendorn, S.46): "1861 Aug. 5. Sämtliche Schüler werden von ihren Lehrern zu dem 1 1/2 Meilen entfernten Bahnhof an der neuen Brücke (Finnentrop) geführt, um bei Eröffnung der Eisenbahnstrecke zwischen Altena und Siegen den ersten Zug vorbeifahren zu sehen." "1862 Juli 19. werden viele Schüler zum erstenmal mit der Eisenbahn gefahren sein, denn die Turnfahrt (Ausflug) endete an jenem Tage bei der Station Eiringhausen, von wo die Bahn bis Finnentrop zur Heimfahrt benutzt wurde."

Attendorn gegen Ende des 19. Jahrhunderts: im Vordergrund die alte Turnhalle; links davon der Platz, auf dem zwischen 1906 und 1908 der "Neubau" des Gymnasiums enstand. 37


4. Städtisches Gymnasium (1875-1975) Eng verbunden mit der Geschichte des Gymnasiums ist das Gymnasialkonvikt, das 1887 gegründet wurde. Den Anstoß zur Gründung hatte Dechant Bernhard Pielsticker gegeben. Ihm zu Ehren erhielt es den Namen "Collegium Bernardinum". Da die Zahl der Internatsschüler stetig stieg, wurde der Plan für einen Neubau gefasst. Das neue Collegium Bernardinum wurde am 17. April 1907 am Nordwall eröffnet und ist seitdem für viele auswärtige Schüler des Gymnasiums unentbehrlich geworden. Ein Jahr später, am 11. Januar 1908, konnte auch der Neubau des Gymnasiums, der heute noch den zentralen Teil des

Schulgebäudes bildet, bezogen werden. Der im sog. Deutschen Renaissance-Stil errichtete Bau erhielt den Wahlspruch "Deo-Musis-Patriae". Wie sehr die Schule mit der Erweiterung zur Vollanstalt an Anziehungskraft gewonnen hatte, macht die folgende Übersicht über die Entwicklung der Schülerzahl deutlich: In Zahlen ausgedrückt, bedeutet das, dass 1874, dem letzten Jahr des Progymnasiums, 75 Schüler, 1884 156 Schüler und 1894 225 Schüler das Gymnasium besuchten. Eine Rolle hierbei spielte auch der rasche Anstieg der Bevölkerungszahl.

Aus: Dr. Anton Overmann, Festschrift zur Jubelfeier des Gymnasiums in Attendorn, Attendorn 1925, S.62 38


Wie lebte und arbeitete man damals am Gymnasium? Wie suchte die Schule ihren Bildungsauftrag zu erfüllen? Der ”Jahresbericht über das Gymnasium zu Attendorn für das Schuljahr 1900”, das als Jahrhundertjahr einen besoneren Stellenwert hat, gibt uns Auskunft (Auszüge):

1. Allgemeiner Lehrplan (Schuljahr 1900)

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2. Lehraufgaben (Schuljahr 1900)

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3. Technische F채cher (Schuljahr 1900)

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Im Jubiläumsjahr 1925, also in dem Jahr, in dem das Gymnasium Attendorn auf 50 Jahre Vollgymnasium, 100 Jahre Progymnasium und mehr als 400 Jahre Lateinschule zurückblicken konnte, erschien eine von Gymnasialdirektor Dr. A. Overmann verfasste "Festschrift zur Jubelfeier des Gymnasiums in Attendorn". Dort findet sich auch ein Kapitel "Aus der Chronik des Gymnasiums". Mit ihrer Hilfe lässt sich zeigen, wie sich die Schule in den Jahren von 1875 bis 1925, entwickelte. Es folgen hieraus unkommentierte Auszüge, die an die wichtigsten Daten, Ereignisse und Höhepunkte des Schullebens erinnern sollen (Aus der Festschrift Overmann, S. 47 - 52):

Aus der Chronik des Gymnasiums.

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Gebäude des Gymnasiums von 1879 mit Franziskanerkirche (Ansicht vor der ZerstÜrung der Kirche am 15. 6. 1945) 43


Abiturientia von 1885 mit ihrem Lehrer Clemens August Werra. (folgende Namen der Schüler sind überliefert: Otto Goebel, Anton Keimer, Petzschke, Knipping, Stuhlmann, August Preising, Jacob Boheimer

Gymnasial Turnverein 1885 hintere Reihe v. l. n. r.: Halbfas, Bausenbach, Fischenich, Schürholz, Dick, Görg, Schmidt, Eberstein, Heim I mittlere Reihe v. l. n. r.: Weber, Küster, Liesenhoff, Weingarten, Fischbach, Angenheister, Kleffmann, Anderten, Rosenberg, Peus, Bönner, Funke, Köhling vordere Reihe v. l. n. r.: Bockemühl, Willmes, König, Turnlehrer Forck, Plankemann, Kutsch, Heim II

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Gymnasial-Lehrerkollegium Attendorn 1907 hintere Reihe stehend von links: Forck, Steinbr端ck, Parensen, Vornefeld, Dr. Schniederjost, Kalbfleisch, Hiltenkamp, Dr. Pickert, Hovestadt vordere Reihe sitzend von links: Risselmann, Ernst, Dr. Kaumann, Frerich, Bruns, Hake

Abiturkarten von 1900 und 1911 46


Gymnasial Musikkorps gegr端ndet 1878, in den Jahren 1894 und 1902, jeweils in der Mitte Gymnasiallehrer Forck

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Abiturientia 1901 Am oberen Rand des Originalfotos stehen folgende Namen: Wurm, Schmitz, Laymann, Junge, Rauterkus, Wahn, Behmer, Klein

Gymnasial Turnverein im Jahre 1901 (Folgende Namen finden sich auf der Rückseite des Originalfotos): hintere Reihe v. l.: Wichtmann, Gehrke, Hellner, ?, Stahlhoff, ?, Hömberg, Wirten, Grundhoff, ? 2. Reihe v. l.: Pieß, Tölle, ?, Böhmer, Otto Schulte, Lay, Hermes, ?, Märzhäuser, Brummer, Imhäuser, Frettlöh 3. Reihe v. l.: ?, ?, Wahn, ?, ?, Prof. Ernst, Hömberg, ?, Aug. Stöcker, Ursell, Maré 48


Abiturientia 1909 Obere Reihe von links: Heinz Mölle, Anton Korsch, Anton Zinselmeyer, Franz Hellermann, Franz Bast, Willi Schnepper, Josef Bieker, Josef Wrede Mittlere Reihe von links: Heinrich Dobbener, Friedrich Buchbinder, Theodor Weinrich, Karl Paffrath, Josef Faßhauer, Josef Harpe, Hubert Oberstadt, Paul Franzen Untere Reihe von links: Werner Loehr, Franz Heuel, Jupp Zanders, Ernst Löher, Prof. Heinrich Bruns, Josef Brill, Anton Becker, Bernhard Peusquenz, Josef Birkenbach, Josef Menke

Untersekunda 1912

(keine Schülernamen überliefert)

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Bericht von Dr. Anton Overmann 端ber die Situation des Gymnasiums Attendorn im 1. Weltkrieg.

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Abiturienten 1925 (ohne Namensnennung)

Abiturkarten von 1924 und 1929 51


ÂťAbiturienten von 1928 auf einer unteren KlasseÂŤ

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Die bis 1933 im ganzen stetige innere Entwicklung der Schulen wurde dann von Jahr zu Jahr immer stärker gestört. Staat und nationalsozialistische Partei versuchten nun, die höheren Schulen innerlich auszuhöhlen, ihnen die geistige und administrative Selbstständigkeit zu nehmen und sie zu Befehlsempfängern zu machen. Die Schule sollte von nun an mithelfen, das zu verwirklichen, was der NS-Staat sich als Ziel gesetzt hatte. In seinem Sinne hatte sie ein leicht lenkbares Werkzeug der Massenerziehung zu sein, die die geistige Uniformierung anstrebte. Die Geschichte des Attendorner Gymnasiums in der Zeit des Nationalsozialismus ist anlässlich seines hundertjährigen Bestehens als Vollgymnasium im Jahre 1975 von dem damaligen Schulleiter Dr. Werner Stannat aufgezeichnet und in der von ihm herausgegebenen, bereits erwähnten Festschrift "Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn 1875-1975" veröffentlicht worden. Da diese Festschrift inzwischen kaum noch zugänglich ist, erscheint es sinnvoll, diesen Beitrag in Auszügen abzudrucken bzw. zusammenzufassen. Den staatlichen Maßnahmen der NSKulturpolitik wurde in Attendorn, wo das Zentrum dreimal stärker war als die NSDAP (z. B. bei den Reichstagswahlen am 31.Juli 1932), in vielfältiger Weise Widerstand entgegengesetzt. Das galt auch für das Gymnasium. So gelang es, nach Stannat - dem damaligen Schulleiter, "der Schule einen gewissen Freiraum gegenüber radikalen nationalistischen Ansprüchen zu sichern [...]. Das Attendorner Gymnasium war zu keiner Zeit eine Schule, über welche die Dienststellen der Partei Anlass zur Zufriedenheit hatten." Noch im November 1937 waren nicht alle Klassen mit Führerbildern ausgestattet. Dennoch konnte niemand verhindern, dass in der Zeit von 1933-45 das alte Gymnasium humanistischer Prägung "weitgehend demontiert" wurde. "Nach der Selbstauflösung der Parteien und dem Verbot von KPD und SPD hatten alle Lehrer wie auch sonst alle Beamten eine schriftliche Erklärung des Inhalts abzugeben, daß sie alle Beziehungen zur SPD und ihren Organisationen gelöst hätten, soweit solche Beziehungen unterhalten worden seien. Der Hitlergruß wurde für alle Beamten, Angestellten und Arbeiter des öffentlichen

Dienstes im Dienst und innerhalb der dienstlichen Gebäude verbindlich gemacht. Relativ spät, erst im Dezember 1933, verfügte die Unterrichtsverwaltung die Einführung des Hitlergrußes auch in der Schule: »Der tägliche Unterricht beginnt und schließt mit dem Gruß >Heil Hitler!<. Die Klasse erhebt sich und hat in straffer Haltung die Augen auf den Lehrer gerichtet. Der Lehrer grüßt mit ausgestrecktem erhobenem Arm und mit den Worten. >Heil Hitler!<.. Die Klasse erwidert: >Heil Hitler!<.« 26 Ein gutes halbes Jahr später wurde die Verweigerung des »Deutschen Grußes« als Verstoß gegen die bestehende Schulordnung unter Strafe gestellt. Einen wesentlichen Eingriff in die Organisationsstruktur der höheren Schule stellte die Änderung der Konferenzordnung durch Erlaß des preußischen Kultusministers Rust vom 9. Dezember 1933 dar. Das »Führerprinzip« fand mit diesem Erlaß auch in der Schule Eingang. »Da der Direktor seiner vorgesetzten Behörde für den nationalsozialistischen Geist und die Leistungen seiner Schule verantwortlich ist, geht es nicht an, daß die von ihm für notwendig erachteten Maßnahmen - wie bisher - zum großen Teil von wechselnden Mehrheitsbeschlüssen der Lehrerschaft abhängig gemacht werden. Ich ordne daher unter Aufhebung aller entgegenstehenden oder darüber hinausgehenden Bestimmungen an, daß sämtliche Konferenzen in Zukunft nur noch beratende Befugnisse haben und daß die bisher den Konferenzen zugewiesenen Entscheidungen fortan der Direktor trifft, soweit rechtliche Bindungen dem nicht entgegenstehen.« 27 (Stannat, a. a. O., S. 21) Und "Behördliche Erlasse und Verfügungen erschienen nun in militärisch anmutendem Ton. Es wurde etwa nicht mehr gebeten, sondern erwartet: »Ich erwarte von allen Referendaren und Assessoren..., daß sie sich freiwillig zu kurzfristiger militärischer Ausbildung in Ersatzeinheiten melden.« 28 Zur Teilnahme an Kundgebungen der Partei und ihrer Verbände wurde jeder Lehrer verpflichtet. Auslandsreisen wurden zur Überwachung von Auslandskontakten genehmigungspflichtig. Dem Philologen-Verband, der Berufsorganisation der Gymnasiallehrer, wurde durch ein 53


Teilnahmeverbot an seinen Veranstaltungen die Existenzgrundlage entzogen. An seine Stelle trat für Lehrer aller Schulformen der Nationalsozialistische Lehrerbund (NSLB), der von der Partei direkt gesteuert war. Es war verständlich, daß die Nationalsozialisten gerade auf die Regimetreue der Lehrer wegen ihres schwer zu kontrollierenden Einflusses auf die Schuljugend besonderen Wert legten. Zu ihrer Überwachung dienten Vertrauenslehrer der Partei und der Hitlerjugend, die maßgeblichen Einfluß auf die Schulleitung zu nehmen wußten. Eine Bespitzelung des Direktors und der Mitglieder des Kollegiums war nicht selten und wurde von Partei- und Staatsdienststellen geradezu gefordert. In einem vertraulichen Schreiben vom 26. Mai 1936 zum Beispiel verlangte der Oberpräsident in Münster: »Lehrer, die sich ohne triftigen Grund nicht an der letzten Reichstagswahl beteiligt haben, sind dem OP bis zum 10. Juni 1936 zu melden. Der Grund des Fernbleibens ist festzustellen.« 29 Solche Ansinnen waren natürlich auch als Einschüchterung gedacht. Ein eigenes Kapitel sind die Beziehungen zwischen Gymnasium und Hitlerjugend. Sie gestalteten sich schließlich derart, daß die Schulleitungen den Dienststellen der HJ regelrecht Amtshilfe leisteten, wobei diese den Interessen der Schule häufig durchaus widersprach. Nach und nach gewann bei Entscheidungen über den schulischen Erfolg eines Schülers dessen Tätigkeit in der Hitlerjugend großes Gewicht, so daß die Bewertungsmaßstäbe für Schülerleistungen weitgehend relativiert wurden."

Der Ausbruch des Krieges brachte der Schule weitere Erschwerungen und immer stärkere Beeinträchtigungen des Lehrbetriebs: "Am 12. März 1945 wurde das Schulgebäude durch die Wehrmacht beschlagnahmt. Vier Tage später konnte der Unterricht noch einmal für kurze Zeit in verschiedenen Gebäuden wiederaufgenommen werden. Doch die immer häufiger werdenden Luftangriffe machten Schulweg und Aufenthalt im Schulgebäude so risikoreich, daß auf Anordnung des Landrats in Olpe, die am 28. März 1945 morgens um 7.10 Uhr telefonisch einging, die Schule bis auf weiteres geschlossen wurde. Dr. Overmann schickte sogleich Lehrkräfte zum Bahnhof, welche die ankommenden auswärtigen Schüler zu sofortiger Heimkehr mit den nächsten Zügen veranlaßten. Wahrscheinlich wurde durch diese schnelle Reaktion manchem auswärtigen Schüler das Leben gerettet, denn am selben Tag erfolgte in der Mittagszeit ein schwerer Luftangriff auf Attendorn, der 200 Todesopfer forderte. Zwar wurde das Schulgebäude nicht getroffen, aber im eigentlichen Stadtzentrum entstanden verheerende Schäden. Nun dauerte es nur noch zwei Wochen, bis am 11. April 1945 die Amerikaner in Attendorn einrückten." Stannat, a. a. O., S. 27

Stannat, a. a. O., S.21 u. 22 Das Jahr 1937 brachte eine Neuordnung des höheren Schulwesens überhaupt. Einheitlicher Schultypus für den ganzen Staat wurde die Oberschule, die nach achtjährigem Besuch das Zeugnis der Reife verlieh. Im Zuge dieser von der NS-Bildungspolitik durchgeführten Vereinheitlichung des höheren Schulwesens wurde auch das Attendorner Gymnasium trotz heftiger Proteste in eine "Deutsche Oberschule für Jungen" umgewandelt. Die Stundentafel macht den sich vollziehenden radikalen Wandel sichtbar: Erste Fremdsprache war Englisch, Griechisch wurde gestrichen, Sport auf fünf Wochenstunden ausgedehnt. 54

Dr. Anton Overmann


Eine neue Zeit begann. An Unterricht war nicht zu denken. Die Kollegen standen, als sie am Morgen des 13. April aufwachten, unter der strengen Herrschaft einer Militärregierung und wurden bald aus dem Schuldienst entlassen oder suspendiert: Entlassen wurden alle Parteigenossen, suspendiert alle anderen. Wochen und Monate gingen dahin. Man konnte nun daran denken, die Schulen wieder zu eröffnen. Aber woher die Lehrer nehmen? Am 23. August 45 wurde beim Oberpräsidenten in Münster über die Fortführung der Oberschule für Jungen in Attendorn verhandelt. Bezüglich der Einstellung der Lehrpersonen wurden die Schulleiter verpflichtet, nur solche Lehrer auszuwählen, die nicht Mitglied der NSDAP gewesen waren bzw. in den Jahren 33-45 beruflich benachteiligt worden waren. Inzwischen gingen vom Oberpräsidenten Verzeichnisse der genehmigten Lehrbücher ein und die Anordnung, die Schulbibliotheken von Nazi-Schrifttum zu reinigen. Die Bestimmungen über die Erhebung des Schulgeldes (240 M jährlich), über Geschwisterermäßigung und Schulgeldfreistellung blieben bis auf weiteres bestehen. Am 22.Jan. 1946 eröffnete ein englischer Kreiskommandant die Schule. Zu Ende gegangen war das Schuljahr 44 / 45 mit 13 Klassen und 581 Schülern. Beschäftigt waren damals ein Oberstudiendirektor, 13 Studienräte, 7 Studienassessoren und 3 Ruheständler. Im neuen Schuljahr wurden 496 Schüler (443 Jungen und 53 Mädchen) von 10 Lehrern unterrichtet. Die 10 zur Verfügung stehenden Lehrpersonen waren: Oberstudiendirektor Dr. Overmann, der Studienrat Franz Lenze, Studienassessor Adolf Bücker, Religionslehrer. Dazu kamen die 7 Damen: Studienrätin Dr. Therese Kurze, Studienrätin Elisabeth Pötter, die Assessorinnen Ottilie Höffken, Therese Ahlbäumer, Luise Gerads, Christel Henseler und Erika Flesch. Bis zum Herbst dieses ersten Schuljahres waren fast alle aus dem Dienst entlassenen oder suspendierten Lehrer wieder im Dienst. Das Schuljahr 46 / 47 begann am 30. April 1946 mit 14 Klassen und 586 Schülern und Schülerinnen. Aus dem Bericht vom 10.6.46 über die soziale Schichtung der Schülereltern kann man ersehen, dass die höhere Schule damals durchaus keine Standesschule war. Demnach hat die Gruppe I (Arbeiter, Angestellte und Unterbeamte)

30%, die Gruppe II (selbstständige Berufe wie Handwerker, Kaufleute, Landwirte und mittlere Beamte) 50%, die Gruppe III (Gutsbesitzer, leitende Beamte, freie Berufe, Akademiker) 20%. Es wurden Sonderlehrgänge zur Vorbereitung auf die Reifeprüfung eingerichtet. Die vier Sonderkurse hatten täglich Unterricht, die Klassen 0II und UII viermal wöchentlich, die übrigen nur zweimal wöchentlich. Unterrichtsbücher waren nicht vorhanden oder durften nicht benutzt werden. Zugelassen waren Katechismus, Biblische Geschichte und liturgische Gebetsbücher der katholischen und evangelischen Kirche. Im Oktober 46 fand die erste Reifeprüfung nach dem Krieg statt. Alle bestanden die Prüfung.

Abiturkarte von 1946

Sicherlich bemerkenswert bei einem so unruhigen und ungeordneten Lehrbetrieb und der Herkunft der Schüler, die Flaksoldaten, Kriegsteilnehmer und in Gefangenschaft gewesen waren. In der Schulchronik heißt es: "Kam da eines Tages ein neuer Schüler in diese Schülergemeinschaft, fragte ihn der Lehrer, woher kommen denn Sie noch? Antwort: soeben aus Amerika; und ein anderer war in Texas gewesen. Fast alle hatten das bittere Schicksal der Kriegsgefangenschaft erlitten, da durchschwimmt einer die Elbe, um den Russen zu entgehen und fällt den Amerikanern in die Hände, einer gerät auf Borkum in 55


englische Gefangenschaft, einer kommt aus dem Lazarett von Pleskau am Peipussee und dann als amerikanischer Gefangener aus der Normandie in die Heimat und auf die Schule zurück, andere schleppen sich über 1000 km durch Rußland in die Heimat zurück, verfolgt und gejagt nach Hause. [ ... ] Alles junge Menschen, die keine Kinder mehr sind, [...] ernst genommen werden wollten." Wegen Kohlemangels konnte der Unterricht im neuen Jahr erst am 23. Jan. 47 beginnen. Das Schuljahr 47 / 48 begann am 22. April 1947. Die kommissarische Leitung der Schule übernahm an diesem Tag Studienrat Bücker. OStD Dr. Overmann hatte die Leitung der Schule niedergelegt und trat auf eigenen Wunsch zum 1.Juli in den Ruhestand. Das neue Schuljahr begann mit 17 Klassen und 612 Schülern. Mit dem 24.April setzte die langersehnte Schulspeisung ein, die besonders für die vielen Fahrschüler notwendig war. Vom 23.-27. Juni 1947 fand die Reifeprüfung des zweiten Sonderkursus statt. 68 von 72 Teilnehmern bestanden die Prüfung. Zu Beginn des folgenden Schuljahres begrüßte der Schulleiter in seiner Eröffnungsrede die Sextaner u. a. mit folgenden Worten: " Ihr dürft jetzt nicht mehr so viel auf der Straße zu sehen sein, ihr müßt jetzt mehr hinter euren Büchern und über euren Heften sitzen. Ein gutes Zeugnis, mit dem ihr euch selbst und eure lieben Eltern [...] erfreuen könnt, solch ein gutes Zeugnis will in täglicher Pflichterfüllung erarbeitet sein. Wir, eure neuen Lehrer, sind voll Verständnis, voll Güte und Freundlichkeit zu euch, aber ihr müßt euch solche Liebe auch verdienen und solcher Freundlichkeit auch wert erweisen." Am 26. April 1949 erhielt das Gymnasium einen neuen Leiter. Über die feierliche Amtseinführung von OStD Franz Schulte erschien im Sauerländischen Volksblatt vom 23. Dez. 1949 ein ausführlicher Artikel, dessen Anfang hier abgedruckt ist: "In einer bewußt in bescheidenem Rahmen gehaltenen Feierstunde wurde am Dienstag im Sitzungssaale des Rathauses im Beisein der Stadtverordneten, des Lehrerkollegiums, der Mitglieder des Schulausschusses sowie von Dechant Köster und Pastor Lucas der neue Leiter des Gymnasiums, Oberstudiendirektor Franz Schulte, in sein 56

Amt eingeführt, nachdem die Ernennung inzwischen ministeriell erfolgt ist. Der Madrigalchor des Gymnasiums unter der Leitung des Oberprimaners Helmut Treude gab der Feier mit einem Liede stimmungsvollen Auftakt. Sodann würdigte der stellv. Bürgermeister August Bruse nach einem kurzen Überblick über die Geschichte des Gymnasiums das Lebenswerk des ausgeschiedenen Oberstudiendirektors Dr. Overmann, dem er für seine verdienstvolle Arbeit den Dank der Bürgerschaft aussprach. Der neue Schulleiter, Oberstudiendirektor Schulte, habe sich durch seine berufliche Qualifikation und sein soziales Verständnis als der berufene Nachfolger erwiesen." In der Novemberausgabe des "VEGA-Blattes" widmet der damalige erste Vorsitzende des Vereins ehemaliger Gymnasiasten Attendorns, Landgerichtsrat Dr. Köster, dem neuen Leiter des Gymnasiums einige Worte. Er schreibt u.a.: "Oberstudiendirektor Franz Schulte (geb. 10. Dez. 1905 in Wiesbaden) wird dank seiner kraftvollen Persönlichkeit und seinem hohen fachlichen Können die bewährte Erziehungs- und Bildungsüberlieferung der Schule zielbewußt fortsetzen. [...] Er ist bestrebt. seine Schüler aus überzeugt christlichem Geiste in der entscheidungsschweren Gegenwart zu starken Charakteren heranzubilden, [...] den Anforderungen der Schule gerecht zu werden und mit der Liebe zur Heimat - Franz Schulte verlebte seine Jugend- und Gymnasialjahre in Brilon im Sauerlande den Gedanken der Völkerversöhnung zu verbinden. Die ehemaligen Schüler des Gymnasiums dürfen sich mit Recht freuen, daß die alte Schule, der sie selbst so viel verdanken, in Franz Schulte einen tatkräftigen und fähigen Direktor gefunden hat." Wie sich die Situation der Schule im Jahre 49 darstellt, läßt der Bericht für die Schulchronik vom 24. Okt. 1949 klar und anschaulich erkennen. Im Schuljahr 49 / 50 wechselte die Schülerzahl durch Ab- und Zugänge zwischen 520 und 500. 112 waren Einheimische, 268 Fahrschüler, 100 wohnten im Collegium Bernardinum, 25 Schüler im Franziskanerkloster.


Die Schule trägt die Bezeichnung "Städtisches Humanistisches Gymnasium in der Entwicklung mit Neusprachlichem Zweig". Die Sprachen setzen wie folgt ein: Latein ab Sexta, Englisch ab Quarta, Griechisch oder Französisch ab Untertertia. Nach dem Zusammenbruch 1945 nahm die Schule sechs Volksschulklassen und eine Klasse der Berufsschule als Gäste auf. Wegen der dadurch entstehenden Raumnot musste der Unterricht für vier Klassen auf den Nachmittag verlegt werden. Der Unterricht litt in vielfältiger Weise noch unter dem Zwang der Nachkriegsverhältnisse. Es folgt abschließend ein wörtliches Zitat aus der Schulchronik (24. Okt. 1949):

"Diesem mehr formalen Bericht mag das Wichtigste nicht fehlen, die Kennzeichnung des Bildungszieles, dem die Anstalt auf humanistischem Boden zuzustreben sich bemüht. Das Ziel der Arbeit des Kollegiums ist der Abiturient, der innerlich frei und nicht unterwürfig, selbständig denkend und kein Herdenmensch, tolerant und nicht engstirnig, sozial und nicht egoistisch, völkerverbindend und nicht nationalistisch, über allem aber dynamischer, mitreißender und radikaler Christ und nicht flügellahmer Auch-Christ ist."

Abiturientia 1947 mit ihren Lehrern (jeweils von links nach rechts) oben: Wolfgang Mönikes, Helmut Gierse, Franz-Josef Hellweg, Heinrich Strothmann, Georg Ehring, Heribert Vogt, Gerhard Dingerkus, Paul Kersting, Paul Werthenbach, Konrad Pöggeler, Elmar Pieper, Ernst Kandora, Josef Broich, Karl Schmidt Mitte: Walter Wissmann, Franz Rinschen, Ernst Hebbeker, Josef Börger, Benno Heimes, Hannelore Knipp, Otto Schmidt, Wilhelm Hardenacke, Liesel Hatzfeld, Friedrich Pörings, Wilfried Vetter, Erwin Schirmer, Walter Schäfer, Josef Weber, Erwin Immekus sitzend: Ulrich Völlmecke, Franz Wurm, Franz-Theo Ostermann, Christel Henseler, Wilhelm Ribhegge, Franz Lenze, Adolf Bücker, Erika Flesch, Elisabeth Pötter, Therese Ahlbäumer, Leonard Intorp, Paul Kess 57


untere Reihe v.l.n. r.: Eberhard Cordes, Josef Vielhaber, Franz Wördehoff, Hermann Stratesteffen, Elisabeth Pötter, Franz Schulte, Christel Henseler, Werner Veltin, Wilhelm Hilgenheger, Karl Müller mittlere Reihe v. l.n. r.: Otto Badelt, Gerd Siepe, Walter Schulte-Mattler, Heinz Hoppe, Otto Hammer, Werner Osthues, Gertrud Zeppenfeld, Anni Brinker, Hildegunde Schulte, Ursula Wilmes, Rita Hesse, Josef Rotgeri, Hermann Wolbring, Bernd Greitemann obere Reihe v.l.n. r.: Franz Gerwin, Günter Eich, Manfred Keimer, Peter-Paul Nesseler, Norbert Schulte-Hobein, Wilderich v. Spee, Otto Brauer, Alfred Epe, Eberhard Siewert

Abiturientia 1950 a und b mit den jeweiligen Lehrern untere Reihe v.l.n. r.: Eberhard Cordes, Josef Vielhaber, Franz Lenze, Franz Wördehoff, Hermann Stratesteffen, Franz Schulte, Therese Strackbein, Christel Henseler, Wilhelm Hilgenheger, Karl Müller mittlere Reihe v.l. n. r.: Karl-Heinz Kess, Horst Brennecke, Werner Ermert, Christa Thal, Siegfried Sonneborn, Eugen Kohrs, Ulrich Mönninghoff, Willi Patt, Gerd Bitter obere Reihe v.l.n. r.: Otmar Treude, Adolf Brüser, Albert Färber, Walter Grotmann, Eberhard Rüsing, Walter Bitter, Werner Saure, Gottfried Springmann

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In den folgenden 22 Jahren, in denen die Schule von OStD Schulte geleitet wurde, vollzogen sich in einer Zeit der permanenten Schulreform wichtige Entwicklungen und Veränderungen, so z.B. wegen des in den 50 er und 60er Jahren ständig und immer schneller absinkenden Interesses am altsprachlichen Bildungsgang die Umwandlung in ein neusprachliches Gymnasium. Auch im Jahr 1950 war die Not der Nachkriegszeit noch nicht vorbei. So musste wegen Brennstoffmangels der Unterricht am 7. Dez. abgebrochen werden. Erst am 19. Jan. 1951 konnte er wieder für alle Schulen beginnen. Das gilt in gleicher Weise für die Zeit vom 18.2. - 5.3. 1956 (Ausfall des Unterrichts wegen Koksmangel). Ostern 1953 wurde eine zweite Sexta eingeführt (Beschluss der Attendorner Stadtvertretung in geheimer Abstimmung mit 9 gegen 8 Stimmen bei einer Enthaltung). Besonders beachtens- und erwähnenswert ist die Kunstausstellung, die der damalige Fachlehrer für Kunsterziehung Karl Müller vom 21.3.- 27.3. 1954 der Öffentlichkeit vorführte. Diese Präsentation von Schülerarbeiten, die von mehr als 1000 Besuchern besichtigt wurde, machte den gewandelten Stellenwert des Kunstunter-

richts, der früher am Rande der Fächer stand und eigentlich mehr geduldet als gefördert wurde, sichtbar. Im Schuljahr 1953/54 und den folgenden Jahren wurde die Aufnahme in die Sexta nicht wie in früheren Jahren durch eine Prüfung an einem Vormittag, sondern durch einen viertägigen Probeunterricht durchgeführt.

Abiturkarte von 1959 (Linolschnitt von Hans-Dieter Lachmann)

Abiturienten 1964 mit ihren Lehrern hintere Reihe v. l.n.r.: Spiekermann, Strautz, Otto, Kühn, Kauder, Tolle mittlere Reihe v. l. n.r.: Immekus, Schwarzkopp, Habbel, Meyer, Wördehoff, Jagusch, Kleffner, Küchler, Rüenauver, Stein vordere Reihe v. l.n.r.: Müller, Dr. Stannat, Ribhegge, Ahlbäumer, Schulte, Roeske, Wördehoff, Cordes

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Mit Beginn der 60er Jahre wurde der Unterricht auf der Oberstufe der Gymnasien neu gestaltet. Die Beschlüsse der Kultusminister der Länder sahen vor: 1. eine Beschränkung der Zahl der Unterrichtsgebiete, 2. eine Beschränkung der Lehrstoffe durch paradigmatische Auswahl und Bildung von Schwerpunkten. 3. eine Umwandlung von Pflichtfächern in sogenannte Wahlpflichtfächer, 4. eine Umwandlung von bisherigen Pflichtfächern zu freiwilligen Unterrichtsveranstaltungen. Die früher übliche Zahl von 13 Unterrichtsfächern wurde auf 9 gesenkt. Die Zahl der Wochenstunden verringerte sich zugleich von früher 35 auf 30. Die in den Primen erteilten Fächer wurden zu vier Kernpflichtfächern, vier verbindlichen Unterrichtsfächern und einem Wahlpflichtfach zusammengefasst. Besondere Ereignisse im Schulleben der 60er Jahre waren: u die mehrmals durchgeführten religiösen Schulwochen, u die Feierstunden zum 17. Juni. u die Einweihung und Taufe des Ruderbootes "Hansa" für die Schülerriege des Städtischen Gymnasiums: u die Griechenlandfahrten der altsprachlichen Unterprimen unter der Leitung von OStR Nake u die Erringung der Westfalenmeisterschaft 1966 der Höheren Schulen im Fußball am 20. Juli 66 In den bewegten 60er Jahren war die höhere Schule in einer Weise wie nie zuvor in der Wandlung begriffen. Für das Attendorner Gymnasium ergaben sich in dieser Zeit folgende einschneidende Veränderungen bzw. Wandlungen (neben dem bereits angesprochenen Übergang vom alt- zum neusprachlichen Gymnasium und der Neuordnung des Unterrichts in der Oberstufe) : - die Aufstockung des Gymnasiums auf 18 Stammklassen und die Errichtung eines Erweiterungsbaus (ab 1.8.1968 genutzt) Das VEGA-Blatt (Jan. 69) berichtet unter der Überschrift »Unser Gymnasium hat einen Anbau erhalten«: 60

Westfalenmeister 1966 von links nach rechts: Helmut Damm, Raimund Isphording, Uli Gunkel, Theo Köper, Gisbert Florath, Paul Scheermann, Günter Schmelzer, Romuald Warich, Winfried Stracke, Gerhard Geuecke, Martin Kramer


"Nach einer Rekordzeit von wenig mehr als einem Jahr hat unsere Schule einen modernen Anbau erhalten, der alle Raumprobleme großzügig und zweckmäßig löst. [...] Die immer schneller ansteigenden Schülerzahlen (1955: 376 Schüler - 1965: 413 - 1968: 529), die sich rapide ausweitenden Erfordernisse eines modernen naturwissenschaftlichen Unterrichts und neue Erkenntnisse im Schulbau haben eine Vergrößerung und Modernisierung des (alten) Gebäudes immer notwendiger erscheinen lassen. Auch diese Aufgabe hat die Stadt Attendorn in einer Zeit erheblicher anderer Belastungen angepackt und vorbildlich gelöst. Ihr gebührt der Dank aller Lehrer und Schüler, gegenwärtiger wie zukünftiger. [. ..] Das moderne Treppenhaus zwischen Alt- und Neubau, das selbst zurücktritt, verbindet beide Baukörper, ohne ihre Selbst-

ständigkeit zu gefährden, die wegen der Stilverschiedenheit unbedingt notwendig ist. Der Anbau schafft in vier Stockwerken, die von derselben Gesamthöhe sind wie die drei des Altbaus, helle und zweckmäßige Räume, welche nicht ohne Einfluß auf die Arbeitsfreude der darin Tätigen bleiben dürften. Es sind dies im Kellergeschoß : 2 Werkräume und Nebenräume für Modelle und Material, Erdgeschoß: Zeichensaal mit Nebenräumen, moderne Toilettenanlagen und überdachte Pausenhalle, 1. Obergeschoß: 2 Klassenräume, Lehr- und Übungsräume für Biologie und Räume für die biologische Sammlung, 2. Obergeschoß: 2 Klassenräume, Lehr- und Übungsräume für Chemie, die chemische Sammlung und für Arbeitsgemeinschaften, 3. Obergeschoß: 4 Klassenräume und 2 Räume für Arbeitsgemeinschaften."

Neubau von 1968 61


- Der Mangel an Lehrkräften: Immer wieder in jenen Jahren mußte der Schulleiter in seinen Jahresberichten dem Schulkollegium mitteilen, daß zahlreiche Schulstunden nicht erteilt werden konnten. Gegen diese Misere richtete sich auch der Protestmarsch durch die Stadt, den Schüler und Schülerinnen der beiden Attendorner Gymnasien am 29.Jan. 1970 durchführten, deren Oberklassen sich tags zuvor zu einer Aussprache getroffen hatten, bei der spezielle Attendorner Schulprobleme angesprochen wurden. So war in der Versammlung zu hören, dass am Städtischen Gymnasium von 613 wöchentlichen Pflichtstunden nur 572 erteilt werden. 64 Wochenstunden werden durch Hilfskräfte, 36 durch Pensionäre gegeben. Mit 65 Überstunden springen die Lehrer der Schule in die Bresche.

ständigen Vertretung des Schulleiters. Mit Dr. Stannat übernimmt ein Mann die Leitung des traditionsreichen Attendorner Gymnasiums, der der VEGA eng verbunden ist. Sechs Jahre lang hat er als Schriftleiter des VEGABlattes für unsere Vereinigung gearbeitet und den Vorstand mit Rat und Tat unterstützt. [ . . . ]"

- die Einrichtung eines mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweiges (Beschluß des Attendorner Rates im Jan. 1969). Wechsel der Schulleitung Am 31.7.1971 trat OStD Franz Schulte in den Ruhestand. In einer Feierstunde im Festsaal des Kreisheimatmuseums wurde er am 11. Sept. des gleichen Jahres offiziell verabschiedet und sein Nachfolger Dr. Stannat in sein Amt eingeführt. Der neue Leiter der Schule sprach sich für eine weitgehende Mitbestimmung des gesamten Lehrkörpers, der Eltern und der Schüler aus. Er versprach, auch unter seiner Leitung die bewährte Tradition fortzusetzen, ohne sich dem Modernen zu verschließen. Das VEGA-Heft vom Dez. 71 enthält ein kurzes Porträt von OStD Dr.Stannat. Darin heißt es u.a.: "Dr. Stannat ist 1919 in Ostpreußen geboren. 1938 legte er die Reifeprüfung am Realgymnasium in Ebenrode / Ostpr. ab. 1947 begann er mit dem Studium der Fächer Deutsch und Geschichte an der Universität Marburg und bestand dort 1952 die wissenschaftliche Staatsprüfung. Nach den Referendarjahren in Hagen und Bochum und der pädagogischen Prüfung war Dr. Stannat Assessor und Studienrat in Warendorf/Ems. 1962 kam er unter Ernennung zum Oberstudienrat an das Gymnasium Attendorn und übernahm nach dem plötzlichen Tod von OStR Ribbegge 1968 den Aufgabenbereich der Verwaltung und 62

Oberstudiendirektor Schulte

Oberstudiendirektor Dr. Stannat


Ausflug des Lehrerkollegiums im Herbst 1972 sitzend von vorne rechts im Uhrzeigersinn: Josef Rüenauver, Franz Wördehoff, Dieter Rath, Therese Ahlbäumer, Eberhard Cordes, Ursula Möncks-Lichte, Klaus Möncks, Gustav Brauckhoff, Werner Kleffner, Hermann Stratesteffen, Dr. Werner Stannat, Werner Veltin, Luise Veltin, Elisabeth Winzen, Bruno Hesse, Angela Schmitz, Heinrich Pieper, Konrad Pöggeler stehend links: Franz Erlinghagen, eine Bedienung, Werner Cordes, Friedhelm Aßheuer - stehend rechts: Franz Tillmann, Horst Kunze

Kooperation mit dem St.-Ursula-Gymnasium. Bereits im zweiten Jahr unter der Leitung von OStD Dr. Stannat kam es zu einer bemerkenswerten Neuerung, die weit über den Attendorner Raum hinaus Beachtung fand: die Zusammenarbeit beider Attendorner Gymnasien in der differenzierten Oberstufe - trotz unterschiedlicher Trägerschaft der Schulen. Der Informationsbrief des Städtischen Gymnasiums vom 25.4.1973 unterrichtet folgendermaßen über den Beginn dieser Kooperation: "Die Oberstufe des Gymnasiums muss in Zukunft so strukturiert werden, dass sowohl eine gemeinsame Grundausbildung für alle Schüler gewährleistet als auch der individuellen Spezialisierung nach Begabung und Leistung Raum

gegeben ist (= Entwurf einer Vereinbarung zur Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe, vorgelegt durch die Ständige Konferenz der Kultusminister). Die hier geforderte und gewiss notwendige Differenzierung der gymnasialen Oberstufe wird nur in Systemen von einer gewissen Mindestgröße an befriedigend praktiziert werden können. Der Umfang der möglichen Differenzierung steigt mit der Größe des Systems. Die Lehrerkollegien des Städtischen Gymnasiums Attendorn und des Gymnasiums der Ursulinen haben deshalb mit Zustimmung der Schulträger beschlossen, vom Schuljahr 1972 / 73 ab enger miteinander zusammenzuarbeiten. Die Kooperation soll sich auf die Klassen der Oberstufe mit Ausnahme der Oberprimen 63


und zunächst vor allem auf die Fächer ohne schriftliche Arbeiten erstrecken. Angestrebt werden, um ein breiteres Angebot an Wahlfächern zu ermöglichen, die Koedukation von Schülerinnen und Schülern und der Austausch von Lehrkräften zwischen den Schulen. Voraussetzung für die Zusammenarbeit, die in der Zukunft zu einer Zusammenlegung beider Oberstufen führen könnte, ist die Vereinheitlichung der an beiden Schulen benutzten Lehrbücher. In gemischten Fachkonferenzen der Fachlehrer beider Schulen sind inzwischen die vom kommenden Schuljahr ab zu benutzenden Lehrbücher festgelegt worden. [ . . . ] ". Diese erstmals in NRW praktizierte Kooperation zwischen freiem Träger und kommunaler Schule wurde im nächsten Schuljahr vertieft und ausgeweitet. Beide Gymnasien bekräftigten den Willen zur engen Zusammenarbeit in einer Vereinbarung, die vom Rat der Stadt Attendorn bei zwei Gegenstimmen gebilligt wurde. Darin wird die Kooperation im Bereich der Oberstufe festgelegt mit dem Ziel, den Schülerinnen und Schülern beider Schulen mehr Kurse anbieten zu können. Zwar gehören die Schüler weiterhin ihrer Schule an, doch haben sie das Recht, am Unterricht der anderen Schule teilzunehmen, wenn die eigene Schule das Fachangebot nicht oder nicht in ausreichender Stundenzahl machen kann. Ein paritätisch besetzter Kooperationsausschuss wird darüber befinden, an welcher Schule der Kurs durchgeführt wird, wenn in einem Fach die Jahrgangsstufenschüler - um die erforderliche Zahlenstärke zu erhalten - von beiden Schulen zusammengefasst werden. Wichtige Veränderungen bzw. Neuerungen in den beiden Schuljahren 1972 / 73 und 1973 / 74: u Wahlmöglichkeit zwischen neusprachlichem und mathematisch-naturwissenschaftlichem Bildungsweg mit Beginn der Obertertia u die Einrichtung eines Sprachlabors (am 22. Dez. 72 bei der Firma Phywe in Göttingen in Auftrag gegeben) u Die Gründung eines Vereins der Freunde und Förderer des Städtischen Gymnasiums Attendorn (Konstituierende Versammlung am 8. Dez. 1972) u die Reform der Mittelstufe: Eine voll reformierte Oberstufe setzt eine Einübung der Schüler in das Prin64

zip der Fächerwahl auf der Mittelstufe voraus. Dem dient die Teildifferenzierung des Unterrichts in den Obertertien und Untersekunden im Umfang von vier Wochenstunden. u die Errichtung eines Schulpavillons: Mitte Oktober 1973 wurde im Garten neben der Turnhalle des Gymnasiums ein Schulpavillon aufgestellt (für zwei Klassen mit jeweils bis zu 40 Schülern). Dabei gelang es, durch den Einsatz eines hydraulischen Spezialbaggers die dort stehenden hundertjährigen Kastanien zu erhalten. Die Montage des Pavillons war nötig geworden, um das Raumdefizit - das Gymnasium hatte damals mit 618 Schülern eine Rekordziffer erreicht - mildern zu helfen.

Jubiläum des Rivius-Gymnasiums 1975 Im Jahre 1975 gab es am Rivius-Gymnasium viel zu feiern. Das VEGA-Blatt des Jahres 1976 informiert in einem ausführlichen Rückblick über den Anlass und die Ereignisse des Festwoche im Oktober. Der Artikel ist im Folgenden ungekürzt abgedruckt: Ein Rückblick auf die Festwoche im Oktober 1975 Die Feiern zum einhundertfünfzigjährigen Bestehen als städtisches Progymnasium und zum einhundertjährigen Bestehen als Vollgymnasium waren für Stadt und Schule ein hervorragender Anlaß, das Rivius-Gymnasium erneut und verstärkt in das Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit zu rücken. Durch die vielseitigen und hervorragend organisierten Feiern und Veranstaltungen wurde dieses Ziel in vollem Maße erreicht, wie auch das Echo aus der Bevölkerung gezeigt hat. Die Feierlichkeiten begannen am 4. Oktober 1975 um 10.00 Uhr mit einem Festgottesdienst in der Pfarrkirche St.-Johannes-Baptist. Ehemalige Abiturienten des Gymnasiums im Priesteramt feierten die Heilige Messe in Konzelebration mit Vertretern der Geistlichkeit der Pfarrei und des Franziskanerklosters, wodurch die historische Beziehung des Gymnasiums zum kirchlichen und franziskanischen Geist unterstrichen wurde. An den Gottesdienst schloß sich der Festakt in der Aula des Rivius-Gymnasiums an. Oberstudiendirektor Dr. Stannat konnte eine große Zahl von Ehrengästen aus dem kirch-


lichen, politischen und schulischen Bereich begrüßen. Bürgermeister Karl Hammer überreichte dem Leiter des Gymnasiums die Urkunde, durch die das Schulkollegium Münster der Namensgebung "Rivius-Gymnasium der Stadt Attendorn" seine endgültige Zustimmung gab. Gratulation und gute Wünsche überbrachten neben Bürgermeister Hammer für die Stadt Attendorn MdL Theo Heimes, als Landrat-Stellvertreter für den Kreis Olpe, Oberschulrat Dr. Vogt vom Schulkollegium Münster, Prälat Nüschen als Vertreter des Generalvikariats, Oberstudiendirektorin Frau Dr. Werners für die St.-Ursula-Schule, Amtsgerichtsdirektor Franz Hesse im Namen der VEGA, Pastor Bertram für die evangelische und die katholische Kirchengemeinde sowie Dipl.-Ingenieur Bernd Greitemann namens der Elternschaft. Im Mittelpunkt des Festaktes stand die Festansprache von Prof. Dr. Franz Pöggeler, Aachen, mit dem Thema "Entwicklungstendenzen des Bildungswesens in der Bundesrepublik Deutschland". Umrahmt wurde die Feier durch gehaltvolle musikalische Darbietungen u. a. vom Madrigalchor Attendorn unter der Leitung von Oberstudienrat Friedhelm Aßheuer. Im Anschluß an den Festakt hatte die Stadt Attendorn zu einem Empfang für die Ehrengäste in die Stadthalle eingeladen, wo ein reichhaltiges Kaltes Büfett angeboten wurde. Den Abschluß des Festtages bildete das VEGA-Fest im Hotel Rauch, zu dem sich die ehemaligen Schüler in großer Anzahl versammelt hatten. Vom 4. bis 6. Oktober veranstaltete das Rivius-Gymnasium nachmittags Tage der Offenen Tür, an denen den ehemaligen Schülern, den Eltern und der Bevölkerung von Attendorn und Umgebung die Gelegenheit geboten wurde, Gebäude, Klassen- und Fachräume der Schule zu besichtigen. Eines besonderen Zuspruchs erfreuten sich dabei die naturwissenschaftlichen Fachräume und das Sprachlabor. Im Mittelpunkt des Sporttages (7. Oktober) stand ein Fußballspiel von ansprechendem Niveau. Die ehemalige Schülermannschaft, die im Jahre 1966 Westfalenmeister der Gymnasien geworden war, zeigte beachtliches Können gegen die Lehrerauswahl des Kreises Olpe. Anschließend

spielten die Schüler des Gymnasiums gegen ihre Lehrer in der Turnhalle der Schule Handball und Volleyball, zur Freude der vielen, vor allem jugendlichen Zuschauer. Am 8. Oktober wurde die Stadthalle mit zwei gelungenen Unterhaltungsveranstaltungen durch die Schüler des Gymnasiums und ihre Eltern belegt. Beim Elternnachmittag für die Klassen Sexta bis Obertertia gab es zunächst Kaffee und Kuchen. Dann wurde von den Schülern ein buntes Unterhaltungsprogramm auf der Bühne geboten. Theaterstücke, Sketche, Turn- und Tanzvorführungen, eine Moritat der Oberstufe sowie Musikeinlagen der "College-Band" des Konvikts wurden mit viel Beifall bedacht. Der Tanz- und Unterhaltungsabend für Eltern und Schüler der Klassen Untersekunda bis Oberprima schloß sich ab 20.00 Uhr an. Den Abschluß der Festwoche bildete am 10. Oktober ein Schülerkonzert in der Aula des Rivius-Gymnasiums. Schülergruppen verschiedener Jahrgangsstufen zeigten ihr Können in vokaler und instrumentaler Musik. Auch bemerkenswerte solistische Einlagen wurden in einem Programm geboten, das Musik von Händel bis zur Moderne umfaßte. Den humorvollen Abschluß des sehr gelungenen Konzerts bildete die komische Kantate von Telemann "Der Schulmeister", die auf musikalische Weise den Alltag in der Schule karikierte und wie auch das übrige Programm bei den zahlreichen Zuhörern viel Anklang fand. Neben der Festwoche veranstaltete das Rivius-Gymnasium vom 4. bis 31. Oktober 1975 im Kreisheimatmuseum in Attendorn eine Ausstellung mit dem Titel "Die Ausgrabungen in der Pfarrkirche - ein Beitrag zur Geschichte der Stadt Attendorn". Lehrkräfte des Gymnasiums haben bei den in der Festschrift zum Schuljubiläum 1975 beschriebenen Ausgrabungen mitgewirkt. Zum Jubiläum des Rivius-Gymnasiums gehören aber nicht nur Veranstaltungen, Ausstellungen und Feste. Bleibenden Wert hat das Jubiläum durch die von Oberstudiendirektor Dr. Stannat herausgegebene Festschrift erhalten, die den meisten VEGA-Mitgliedern zugestellt wurde und die von Theo Hundt, Olpe, in einer Rezension als "eine wertvolle Bereicherung unseres heimischen Schrifttums" bezeichnet wurde. 65


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