Verein für Heimatkunde - Nr. 34

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IMPRESSUM

Stellv. Vorsitzende: Gabriele Schmidt Schriftführer: Peter Prentler Schatzmeister: Marcus Kaufmann Geschäftsführerin: Gabriele Schmidt Erweiterter Vorstand: Brigitte Flusche, Ludwig Müller, Ulrich Selter, Dieter Thys. Mitglieder kraft Amtes: Birgit C. Haberhauer-Kuschel, Monika Löcken

ATTENDORN – GESTERN UND HEUTE Mitteilungsblatt des Vereins für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V. für Geschichte und Heimatpflege HERAUSGEBER Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Attendorn, Tel. 0 27 22-63 41 65, Mail: info@heimatverein-attendorn.de

ANSPRECHPARTNER FÜR ALLE BELANGE DER HEIMATPFLEGE IN ATTENDORN UND UMGEBUNG: Verein für Orts- und Heimatkunde Attendorn e.V., Hansastraße 4, 57439 Attendorn Sprechstunde: Montags 18.00 – 20.00 Uhr Ortsheimatpflegerin für Attendorn: Birgit C. Haberhauer-Kuschel Ortsheimatpfleger für Mecklinghausen: Albert Schnepper Ortsheimatpfleger für Neu Listernohl: Ludwig Müller

REDAKTION Birgit C. Haberhauer-Kuschel (BCHK), Wesetalstraße 90, 57439 Attendorn, Tel. 02722-7473, Mail: genealogie@RA-Kuschel.eu DRUCK Frey Print & Media, Bieketurmstraße 2, 57439 Attendorn Erscheint in zwangloser Reihenfolge. Alle Rechte vorbehalten, auch des auszugsweisen Nachdrucks. Bezugspreis im Jahresbeitrag [2012: 20,€ für Einzelmitglieder/ 5,- € für Ehegatten] inbegriffen. Für namentlich gekennzeichnete Beiträge sind die Verfasser persönlich verantwortlich. ISSN-Nr. 1864-1989

INHALT

Impressum

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Der wanderwichtigste Ort im Sauerlande. Zur Geschichte der Attendorner JugendHerbergen 1907 bis 1987

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Ein Attendorner Junge – Pater Johannes (Ulrich) Rocksloh OSB verstarb plötzlich am 12. Januar 2011 durch einen tragischen Unfall in Dar-es-Salaam/Tansania 13

Dieses Jahresheft erscheint im Mai 2012 und trägt die Nr. 34. TITELABBILDUNG: Wandergesellschaft vor dem Portal der Oberburg, um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen).

Attendorner Osterbräuche – Die Osterabendprozession 18

Ein herzlicher Dank gilt den AUTOREN DIESER AUSGABE:

100 Jahre Listertalsperre

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Aus d. Tagebuch d. Hubertushüttenvereins

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Silberhochzeit Josef Arens 30.1.1954

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Vor 75 Jahren: „Haushaltsplan der Stadt Attendorn für das Rechnungsjahr 1937“ 45

PETER HÖFFER, JOSEF HORMES (+), DR. MARKUS KÖSTER, MEINOLF LÜTTECKE, JÜRGEN MEISE, GEORG ORTMANN, FERDINAND RAUTERKUS, DIETER THYS, WALTER WURM

Wie es früher war

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Die katholische Kirche in der Nazizeit in Attendorn 51

VORSTAND DES VEREINS (Stand Mai 2012) Geschäftsführender Vorstand: Vorsitzender: Reinhard König

Zum Ende des zweiten Weltkrieges in Attendorn im Bereich Wassertor/ Am Gerbergraben 54

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„Der wanderwichtigste Ort im Sauerlande“ Zur Geschichte der Attendorner Jugendherbergen 1907 bis 1987 von Dr. Markus Köster

Viele werden sich noch an sie erinnern: die Attendorner Jugendherberge, die von 1930 bis in die 1980er Jahre an der Heldener Straße bestand.

Naturerlebnis und Kameradschaft in der Gruppe mischten sich mit lebensreformerischem Verzicht auf die Zivilisationsgifte Tabak und Alkohol und mit romantischer Verklärung dessen, was man für volkstümliche Vergangenheit hielt.“1 Ausgehend vom Städtchen Steglitz bei Berlin wurden die Wandervögel binnen weniger Jahre zu einem allseits bekannten Phänomen auf den Straßen und Wegen des Kaiserreiches. Schon 1910 hieß es in der Bielefelder Westfälischen Zeitung: „Wer kennt sie nicht, die fahrenden Schüler mit den Gamaschen, Rucksack, Fasanenfeder auf dem einseitig umgestülpten Lodenhut und dem Wanderstab? Durch Berg und Tal, Wald und Flur sieht man sie wieder ziehen die fahrenden Studenten; ... mit frohem Sinn und heiterem Gemüt, oft die Guitarre an der Seite oder das Waldhorn, durchqueren sie in Trupps von oft 6 und 8 Scholaren Stadt und Land. ... Fern ist ihnen alles Häßliche, und im gegenseitigen Verkehr schleifen sich die Unebenheiten kräftiger Jungen! Die edle Sache ist jeder Würdigung und Unterstützung wert.“2

Die Jugendherberge an der Heldener Straße mit der Burg Schnellenberg im Hintergrund, ca. 1955 (Postkarte, Lichtbild Rottmann/ Sammlung Stefan Lünswilken)

Viel weniger bekannt ist, dass dieser Standort mehrere Vorläufer hatte und Attendorn damit zu den ersten Jugendherbergsorten in Westfalen gehörte. „Aus grauer Städte Mauern“ – Aufbruch der Wandervögel Die Entwicklung des Jugendherbergswesens ist naturgemäß eng verknüpft mit der Geschichte jugendlicher Reiselust. Die ersten Jugendtouristen des 20. Jahrhunderts waren die Wandervögel, jene Gymnasiasten und Studenten also, die seit der Jahrhundertwende den Aufbruch „aus grauer Städte Mauern“ wagten. Ihr Überdruss an den als hohl und unecht empfundenen Lebensformen des eigenen bürgerlichen Milieus brach sich in der Suche nach zivilisationsferner Einfachheit in „unberührter“ Natur Bahn. „Fußmärsche und zünftige Kluft,

1

Detlev J.K. Peukert: „Mit uns zieht die neue Zeit...“. Jugend zwischen Disziplinierung und Revolte, in: Ders./ A. Nitschke/ G. A. Ritter/ R. vom Bruch (Hg.): Jahrhundertwende - Der Aufbruch in die Moderne 1880-1930, Bd.1, Reinbek 1990, S. 176-202, hier S. 179. 2 Westfälische Zeitung, 11.8.1910, zit. nach: Frigga Tiletschke, / Christel Liebold: Aus grauer Städte Mauern. Bürgerliche Jugendbewegung in Bielefeld 1900 bis 1933, Bielefeld 1995, S. 24.

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Eine „Schüler- und Studentenherberge“ im Gasthof zum Ritter

die weitere Entwicklung des Jugendherbergswesens in Deutschland und auch in Attendorn eng mit den Namen Richard Schirrmann und Wilhelm Münker verbunden. Dass Attendorn dabei in den Anfangsjahren eine relativ prominente Rolle spielte, ist kein Zufall, denn die Stadt lag - jeweils in der Entfernung einer Tageswanderung - genau zwischen den Wohn- und Wirkungsstätten dieser beiden Gründerväter der Jugendherbergsbewegung, Altena und Hilchenbach.

Die freundlichen Sätze deuten an, dass die Jugendbewegung zumindest in Teilen der bürgerlichen Erwachsenenöffentlichkeit von Beginn an auf wohlwollende Unterstützung stieß. Vor diesem Hintergrund entstand auch in Attendorn - wie in 14 weiteren sauerländischen und siegerländischen Orten - schon im Jahr 1907 eine Schüler- und Studentenherberge in Trägerschaft des Sauerländischen Gebirgsverein (SGV).3 Wie die meisten jener 15 Einrichtungen befand sich die Attendorner Herberge zunächst in einem Gasthaus, dem Gasthof zum Ritter. Dort konnten laut Karl Boos „Gymnasiasten und Studenten gegen ein geringes Entgelt auf einer Schülerherbergskarte übernachten.“4 1907 machten von diesem Angebot 79 jugendliche Wanderer Gebrauch.5

Ein Mann und seine Vision – Richard Schirrmann und die Anfänge der Jugendherbergen7 Richard Schirrmann (1874-1961) stammte aus Ostpreußen. 1901 trat der passionierte Wanderer eine Lehrerstelle in Gelsenkirchen an, ließ sich aber schon zwei Jahre später aus dem „verräucherten“ Ruhrgebiet ins vergleichsweise idyllische Sauerland nach Altena versetzen. „Herrgott, was war das ein Wechsel! Dort Qualm und Staub und stickige Luft, hier ein sauberes Städtchen im Kranz waldiger Berge“, berichtete er später.8 Von Altena aus begann Schirrmann bald mit seinen Schülern lange Wanderungen zu unternehmen und erwarb sich so schnell den etwas zweifelhaften Ruf eines „wanderdullen“ Lehrers“9.

Alle Schüler- und Studentenherbergen standen nur echten Fußwanderern offen, Radfahrer und Bahnbenutzer blieben ausgeschlossen, ebenso Mädchen und Volksschüler. Geöffnet waren sie lediglich in den Pfingst- und Sommerferien, im Schnitt standen nur vier bis fünf Betten bereit.6 Während diese Vorläufereinrichtungen noch dem Konzept des böhmischen Fabrikanten Guido Rotter folgten, ist 3

Vgl. Karl Hartung: Das Jugendherbergswerk in Westfalen-Lippe. 50 Jahre DJH-Werk, Hagen 1959, S. 269. 4 Vgl. Attendorn, Schnellenberg, Waldenburg und Ewig. Ein Beitrag zur Geschichte Westfalens von Josef Brunabend. Im Auftrage der Stadt Attendorn überarbeitet von Prof. Julius Pickert, zu Ende geführt von Karl Boos, Münster ²1958, S. 221. 5 Hartung (wie Anm.3) , S. 269. 6 Hartung (wie Anm.3), S. 15 und 269f.

7

Vgl. zum Folgenden Hartung (wie Anm.3), S. 9-52, und Jürgen Reulecke/Barbara Stambolis (Hg.): 100 Jahre Jugendherbergen 1909-2009. Anfänge – Wandlungen – Rück- und Ausblicke, Essen 2009. 8 Richard Schirrmann: Von der Ur- und Keimzelle meines Jugendwanderns und des Jugendherbergswerkes, in: Die Jugendherberge 8 (1927), S.40. 9 Hartung (wie Anm.3), S. 14.

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Jugendliche generell ausschlossen und zweitens, weil sie meist mit Gasthäusern gekoppelt waren, in denen geraucht und Alkohol getrunken wurde. Das widersprach Schirrmanns lebensreformerischer Grundidee, durch das Jugendwandern nicht zuletzt die oft aus ungesunden Großstadtverhältnissen stammenden Kinder und Jugendlichen mit einem gesunden Lebensstil vertraut zu machen und so einen Beitrag zur „Volksgesundheit“ zu leisten. Außerdem sollten die neuen Herbergen anders als die bestehenden Einrichtungen Platz genug bieten, um auch größere Schülergruppen unterzubringen.

Richard Schirrmann mit einer Jungengruppe „auf Fahrt“, um 1912. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Im SGV stießen Schirrmanns Ideen zunächst auf Skepsis – so wurde auf der Hauptversammlung 1911 ein Unterstützungsantrag mit dem lakonischen Hinweis abgelehnt, dass die „Blagen“ nicht auf eine Wanderung gehörten.10

Am 26. August 1909, Richard Schirrmann war wieder einmal mit seinen Schülern unterwegs, wurde seine Klasse von einem Unwetter überrascht. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, bei Bauern Unterkunft zu finden, durfte die Gruppe schließlich in der örtlichen Dorfschule übernachten. In dieser Nacht, so erzählte Schirrmann später, kam ihm eine Idee: Ein Netz von preiswerten Jugendherbergen musste her, um wanderfreudigen Jugendlichen (und Lehrern) in Tagesmarschabständen ein Dach über dem Kopf zu bieten. Die erste Jugendherberge schuf er kurzerhand selbst an seiner eigenen Schule in Altena.

Ein Durchbruch gelang, als Schirrmann den damaligen Landrat des Kreises Altena, Fritz Thomée, überzeugen konnte, in der - auf dessen Initiative hin gerade wiederaufgebauten - Burg Altena eine Jugendherberge einzurichten. 1912 konnte diese Herberge, die heute als Stammsitz der Jugendherbergsbewegung gilt, bezogen werden. Seitdem erfreute sich die dem Gedanken des Naturerlebens, der Körperertüchtigung und der Heimatpflege verpflichtete, zivilisations- und großstadtkritische, dabei strikt überparteiliche Jugendherbergsbewegung einer wachsenden Wertschätzung und Förderung durch die administrativen und wirtschaftlichen Funktionseliten Westfalens

Zugleich begann er im Sauerländischen Gebirgsverein, dessen Mitglied er seit 1905 war, für die Einrichtung solcher Jugendherbergen zu werben. Die bereits in Trägerschaft des SGV bestehenden Schüler- und Studentenherbergen schienen ihm dafür aus mehreren Gründen nicht geeignet, erstens weil sie Volksschüler und weibliche

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Ebd., S. 22.


und ganz Deutschlands. Dazu trug nicht zuletzt die überaus rührige Werbetätigkeit Schirrmanns sowie seines engen Mitstreiters Wilhelm Münker bei. Münker (1874-1970), der in Hilchenbach eine Metallfabrik besaß und ebenfalls begeisterter Wanderer war, fungierte als Geschäftsführer des seit 1914 vom SGV selbständigen deutschen Jugendherbergsverbandes und ergänzte den Idealisten Schirrmann perfekt durch sein organisatorisches Geschick. Unermüdlich und höchst erfolgreich warben beide in den folgenden Jahrzehnten um Unterstützung für ihr Werk. Schon in den Jahren 1910 bis 1912 entstanden im Sauerland und in angrenzenden Gebieten parallel zu Altena 65 Jugendherbergen.11 Sie boten zumeist einfachste Übernachtungsmöglichkeiten und waren überwiegend in Schulen, Turnhallen, Vereinshäusern und Privathäusern untergebracht.

Blick auf Burg Schnellenberg um (Sammlung Richard Schirrmann/ Medienzentrum für Westfalen)

1910. LWL-

Die Burg war seit dem Wegzug der letzten Mitglieder der Familie von Fürstenberg 1835 dem langsamen Verfall ausgesetzt. Wechselnde Pächter hatten im Südteil der Unterburg eine Brauerei betrieben, bis dieser Burgteil durch einen Großbrand 1889 komplett zerstört wurde. Danach wurde nur noch die Burgschenke weiter geführt, die neben einem Biergarten, dem „Grünen Plätzchen“, das sich hinter der Oberburg befand, auch über eine Kegelbahn verfügte.13 In eben dieser Kegelbahn wurde 1911/12 die „Jugendherberge“ untergebracht.14 Deren Ausstattung wird man sich denkbar einfach vorstellen müssen. Vermutlich bestanden die 30 „Lagerstätten“, die es dort in

Die Einrichtung einer ersten Jugendherberge auf Burg Schnellenberg 1911/12 Eine dieser frühen echten Jugendherbergen entstand – vermutlich schon 191112 - auf der Burg Schnellenberg.

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Hartung (wie Anm.3), S. 47. Darauf lässt die hohe Zahl von 795 Übernachtungen schließen, die Hartung (ebd., S. 269) für 1911 für Attendorn angibt. Er listet diese zwar unter „Studenten- und Schülerherbergen“, doch können die nur in den Pfingstund Sommerferien zur Verfügung stehenden wenigen Betten im Gasthof Ritter für eine solche Zahl von Jugendwanderern unmöglich gereicht haben. 12

13

Vgl. Otto Höffer/Ralf Breer: Attendorn. Portrait zur Jahrtausendwende, Attendorn 1997, S. 83. 14 Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 471 (freundlicher Hinweis von Stadtarchivar Otto Höffer).

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jener Zeit gab, aus schlichten Strohlagern. Im ersten Jugendherbergsverzeichnis, das Richard Schirrmann im August 1912 herausgab, wird die Burg tabellarisch mit folgenden Angaben aufgeführt:15

über einen Jugendpflegerkurs, der 1912 in Attendorn stattfand. Darin heißt es, es seien „manche Klagen über die Wandervögel laut“ geworden. Bezeichnend war allerdings auch der ergänzende Hinweis des Berichterstatters, „in zahlreichen Fällen [habe] sich ergeben ..., daß die eigentlichen Wandervögel zu Unrecht“ bezichtigt worden seien.18 Nach Beginn des Ersten Weltkriegs war es mit dem Aufschwung des Jugendwanderns und damit auch des Jugendherbergswerks ohnehin zunächst einmal vorbei. Auf Burg Schnellenberg sank die Zahl der Gäste schon 1914 auf 261 ab, im August 1917 vernichtete dann ein Brand die in der ehemaligen Kegelbahn der Burg untergebrachte Herberge.19

Wert der Herbergseinrichtung: 212 Mark Träger: SGV Gäste aus Höheren Schulen: 26 Knaben, 0 Mädchen Gäste aus Volksschulen: 132 Knaben, 0 Mädchen Schulentlassene Jugend: 44 Knaben, 0 Mädchen Gesamtsumme 202 Da die Zahl der 1912 in Attendorn übernachtenden Jugendwanderer insgesamt bei 393 lag,16 scheint es in diesem Jahr auch noch andere Unterkünfte – etwa die Schülerherberge im Gasthof zum Ritter – gegeben zu haben. 1913 fanden dann alle in Attendorn nächtigenden jugendlichen Wanderer auf der Burg Schnellenberg einen Schlafplatz. Mit 911 Gästen, unter ihnen erstmals auch 35 Mädchen, gehörte die Burg im letzten Vorkriegsjahr zu den sechs besucherstärksten Einrichtungen des jungen Jugendherbergsnetzes.17

Nach dem Ersten Weltkrieg: Von der Jugendherberge zur „Jugendburg“? Wann genau nach dem Ersten Weltkrieg der Herbergsbetrieb in Attendorn wieder aufgenommen wurde, ist unklar. Offenbar wurde die Burg – oder ein anderer Standort in der Stadt – sehr bald wieder als Notherberge genutzt, denn schon für Pfingsten 1920 vermerkt Karl Hartung in seiner Geschichte des Jugendherbergswerks in Westfalen-Lippe: „An manchen Herbergsorten, besonders in Altena (neben der Burgbleibe gab es noch 5 Hilfsherbergen bis 1923), Lüdenscheid, Attendorn, Arnsberg, war es unmöglich, die Scharen unterzubringen,

Dass der von der aufblühenden Jugendbewegung befeuerte „Wandertrieb“ vieler Jugendlicher nicht auf einhellige Begeisterung stieß, belegt ein Bericht

18

Bericht des Kreisschulinspektors über einen Kursus zur Ausbildung von Jugendpflegern im Kreis Olpe, 27.11.1912 (Landesarchiv NRW, Abt. Westfalen, Reg. Arnsberg IIH 3551). 19 Chronik 1917, in: Archiv der Deutschen Jugendbewegung, A 201, Nr. 189; Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 471.

15

Herbergsverzeichnis 1912, in: Archiv der Deutschen Jugendbewegung, Bestand A 201 (Deutsches Jugendherbergwerk), Nr. 527 (freundlicher Hinweis von Elke Hack). 16 Vgl. Hartung (wie Anm.3), S. 269. 17 Jahresbericht 1913, in: Archiv der Deutschen Jugendbewegung, A 201, Nr. 84.

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obwohl man Tausenden abgeschrieben hatte.“20 Für 1922 gibt Hartung die Zahl der Jugendherbergsübernachtungen in Attendorn dann mit 6.066 an.21

erland, und einem Foto der Burg Schnellenberg ein Aufruf, der außer von Münker auch von zahlreichen Honoratioren aus Stadt und Region unterzeichnet war: dem Bürgermeister der Stadt Attendorn, dem Amtmann für das Amt Attendorn, zu dem die Burg damals gehörte, dem katholischen und evangelischen Pfarrer der Stadt, dem Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft im Märkischen Gau, dem SGVVorsitzenden für den Bezirk Mittellenne und auch dem Vorsitzenden des Westfälischen Heimatbundes, Freiherr 22 In dem SchreiKerckering zu Borg. ben hieß es wörtlich: „Die oben abgebildete Burg Schnellenberg bei Attendorn soll eine Jugendburg werden. Attendorn ist der wanderwichtigste Ort im Sauerlande. Aber Tausende junger Menschen suchten dort in den letzten Jahren vergeblich nach Obdach. Mit Zustimmung der Gräfl. Fürstenberg‘schen Verwaltung wurde daher auf der Burg im vorigen Jahre eine Jugendherberge hergerichtet. Amtmann a.D. Jenrich auf der Burg betreut die Gäste als Herbergsvater. Diese Herberge aber langt entfernt nicht und soll jetzt erweitert werden. Mehr als 100 Lager in getrennten Räumen werden geschaffen. Aber nicht nur das. Die Fürstenberg’sche Verwaltung hat neuerdings die Zustimmung gegeben, daß auch der prächtige Rittersaal einbezogen wird. Er soll den in der Jugendbewegung stehenden Vereinigungen zu Tagungen dienen. Häufiger noch wird er von der Attendorner Jugendpflege benutzt werden. Überhaupt soll er, weit über Attendorn und den Kreis Olpe hinaus,

Wandergesellschaft vor dem Portal der Oberburg, um 1910. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Offiziell wurde die Jugendherberge auf der Burg Schnellenberg aber erst 1923 wieder „hergerichtet“. Treibende Kraft war jetzt Wilhelm Münker, der als Geschäftsführer des Verbandes Deutscher Jugendherbergen, Zweigausschuss Sauerland, nicht nur das Plazet der Eigentümerfamilie von Fürstenberg einholte, sondern auch bei staatlichen und kommunalen Entscheidungsträgern und bei der heimischen Wirtschaft engagiert um Unterstützung warb. Im Juli 1924 erschien unter dem Briefkopf des Verbandes Deutscher Jugendherbergen Zweigausschuss Sau20 21

22

Hartung (wie Anm.3), S. 76. Ebd., S. 271.

Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59.

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Reihe guter Gaben gingen bereits ein. Darum sind wir gewiß, daß auch sie uns einen Baustein nicht versagen werden. ... Sie werden es nicht bereuen, durch einen Baustein dazu beigetragen zu haben, aus dem alten Schnellenberg einen Quell neuer Kraft zu machen.“23

zu einem Mittelpunkte werden für alle Vereine von jung und alt, die dem Aufbau, dem Volke, der Heimat dienen.... Der Schnellenberg ist das hervorragendste alte Baudenkmal des südlichen Westfalens. Nur wenige solcher Bauten hat unsere Heimat aufzuweisen. Umso mehr ist es Pflicht zu retten, was zu retten ist. ... Das Alte soll in den Dienst des Neuen gestellt werden. Ziel ist die Schaffung einer Stätte der Kraft, der Erbauung und der Freude.

Tatsächlich gelang es binnen Jahresfrist, nicht zuletzt mithilfe von Materialspenden aus der heimischen Wirtschaft,24 in der Oberburg fünf Schlafräume mit insgesamt 124 Betten inklusive sanitärer Anlagen und einer „Abkochküche“ zu schaffen und auch den Rittersaal als Tagungsraum einzurichten.25

Eine gesunde und starke, reine und frohe Jugend heranzuziehen, ist Ziel aller Jugendpflege und des Jugendwanderns im besonderen. Der Flügel mit den Herbergsräumen und dem Rittersaal war bereits dem Verfall preisgegeben. Der Herbergsverband hat ihn durch die Herrichtung des Daches gerettet. Neues Leben soll jetzt aus den alten Gemäuern ersprießen. Die baulichen Instandsetzungen kosten freilich viel Geld. Ist schon das Bauen im Tale nicht billig, so erst recht auf der Bergeshöh. Aber die Beteiligten sind sich einig, daß hier mit verhältnismäßig geringen Mitteln Treffliches erreicht werden kann. Beim Zusammenwirken aller Kräfte muß und wird das Werk gelingen. Das Reichsministerium des Innern und das Wohlfahrtsministerium haben uns ihre Hilfe zugesagt. ....

Der Rittersaal – Herzstück der Jugendherberge auf Burg Schnellenberg, 1925. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

Vom „grünen Plätzchen“ aus, das inzwischen nicht mehr als Biergarten 23

Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59. 24 So spendete die Olper Ringofenziegelei Bonzel im September 1923 1000 Ziegelsteine (ebd.). 25 Auf der Rückseite einer Ansichtskarte des Rittersaals aus dem Jahr 1925 findet sich der Aufdruck: „Jugendherberge auf Schloss Schnellenberg bei Attendorn i.W. 5 Schlafräume mit 124 Betten. Prächtiger Rittersaal, für Tagungen gut geeignet.“ (Sammlung Stefan Lünswilken). Vgl. Brunabend/Pickert/Boos (wie Anm.4), S. 220.

Der Schnellenberg wird bald eine große Zugkraft ausüben. Gerne werden die Vereine, die nicht auf das Wirtshaus angewiesen sein wollen, sich zur Aussprache versammeln. In der Zeit der großen Raumnot ist eine solche Heimstätte für Jung und Alt doppelt wichtig. Der Grund ist gelegt. Eine -9-


Das Aus: Die Schließung der Jugendherberge Schnellenberg 1928

genutzt wurde, legte man eine überdachte Holztreppe und einen Eingang zur Jugendherberge an.

Während es reichsweit für das Jugendherbergswerk steil aufwärts ging, sahen sich die Verantwortlichen beim weiteren Ausbau und der dauerhaften Unterhaltung der Burg Schnellenberg vor wachsende Probleme gestellt. Schon im Februar 1924 war im ältesten Teil der Burg eine große Außenmauer in einer Breite von 10 Metern und einer Höhe von 20 Metern eingestürzt, deren Wiederaufbau sich als sehr aufwändig erwies.28 Demgegenüber blieb nicht nur die Spendenbereitschaft der heimischen Wirtschaft, sondern auch die der Stadt Attendorn hinter den Erwartungen Wilhelm Münkers zurück. In einem Brief an Amtmann Becker übte der Geschäftsführer des Jugendherbergswerks unverhohlene Kritik an der Stadt: „Ich kann die Stadt Attendorn nicht zwingen, eine anständige Summe zu geben ... Umgekehrt ist das bisherige Versagen der Stadt nicht als Beweggrund für das Amt anzusehen, sich darauf zu berufen. Wenn von zwei Beteiligten einer seine Pflicht nicht anerkennt, kann das niemals ein Entschuldigungsgrund für den anderen sein.“29

Blick auf die Oberburg mit dem Aufgang zur Jugendherberge, um 1925. (Sammlung Richard Schirrmann/ LWL-Medienzentrum für Westfalen)

1926 konnte die so erweiterte Burgherberge 7.809 Wandergäste begrüßen.26 Mit dieser Steigerung lag Attendorn im Trend. Allein im „Stammgau Sauerland“ des Jugendherbergswerks stieg die Zahl der Herbergen - nicht zuletzt dank massiver Förderung seitens der staatlichen Jugendbehörden - zwischen 1919 und 1928 von vierzig auf über einhundert, die der jährlichen Übernachtungen von 20.000 auf 186.000 an. Reichsweit überschritt sie 1929 die 3,5 Millionen-Marke. Damit wurden Jugendherbergen zu einem wichtigen Bestandteil der touristischen Infrastruktur. Parallel zum quantitativen Ausbau des Herbergsnetzes veränderten sich die Qualitätsstandards: Schlafsäle mit Etagenbetten ersetzten allmählich die Strohlager, WC’s die „Donnerbalken“ und „moderne“ Waschanlagen die Pumpen vor dem Haus.27

Zugleich sprach er in diesem Brief auch die Vorbehalte vieler Einheimischer gegenüber der Wanderbewegung an, „weil zahlreiche Attendorner Bürger und auch Stadtväter den Fremdenverkehr Reulecke/Stambolis (wie Anm.7). S. 99-110; Markus Köster: „Aus grauer Städte Mauern“. Jugendliche als Pioniere des Massentourismus, in: ebd., S. 137-149, hier S. 141. 28 Vgl. Höffer/Breer (wie Anm.13), S. 83, und Münker an Gemeinde Attendorn, 14.7.1924 (Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59). 29 Münker an Amtmann Becker, 27.10.1924 (ebd.).

26

Hartung (wie Anm.3), S. 271. Vgl. Stefanie Hanke: Reorganisation und Ausbau der Jugendherbergen nach 1918, in: 27

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als den Lebensunterhalt verteuernd und darum ungünstig halten“.

Neuanfang 1930: Die Jugendherberge am Heldener Weg

Als dann auch noch die Verhandlungen über eine langfristige Anpachtung der Burg auf 99 Jahre scheiterten, weil die Fürstenberg’sche Verwaltung eine Schädigung ihrer umliegenden Wälder durch die Wanderer fürchtete und deshalb hohe Forderungen stellte,30 begann das Sauerländische Jugendherbergswerk umzudisponieren: 1927 wurde gerade einmal zwei Wanderstunden entfernt die „Jugendburg“ Bilstein eröffnet; ein Jahr später, am 1. April 1928, schloss die Jugendherberge auf Burg Schnellenberg für immer ihre Pforten.31 Zwar enthielt der Pachtvertrag, den der Graf von Fürstenberg im April 1928 mit Norbert Bilsing schloss, ausdrücklich eine Klausel, die dem neuen Pächter die Weitervermietung der „für seinen Wirtschaftsbetrieb entbehrlichen Räumlichkeiten für die Zwecke der Jugendpflege - Jugendherberge -“ erlaubte,32 doch teilte der neue Geschäftsführer des sauerländischen Jugendherbergswerks, Max Kochskämper, dem Amt Attendorn schon am 4. Mai 1928 unmissverständlich mit, dass der Vorstand die Auflösung der Jugendherberge auf dem Schnellenberg beschlossen habe. „Hieran ändert auch nichts die Tatsache, dass der Schnellenberg neu verpachtet wurde.“33

Gleichzeitig betonte Kochskämper, dass man weiterhin an einem Jugendherbergsstandort in dem „wanderwichtigen“ Attendorn interessiert sei. Hierfür geriet zunächst das alte Krankenhaus an der Hospitalkirche in den Blick, das durch den 1928 eröffneten Neubau an der Hansastraße leer stand. Doch bald tat sich an der Heldener Straße - damals noch Heldener Weg genannt eine andere Alternative auf: Dort hatte in den Jahren 1924 bis 1927 der Gesangverein Cäcilia ein „Sängerheim“ errichtet, das man über Attendorn hinaus „zu einer Pflegestätte des deutschen Liedes“ machen wollte. Dabei hatte man aber die Rechnung buchstäblich ohne den Wirt gemacht, denn die Behörden versagten der Cäcilia die für den Betrieb einer Gastronomie erforderliche Schankkonzession.34 Des einen Pech, des anderen Glück: Der Jugendherbergsverband übernahm 1929 das geräumige und günstig anzukaufende Haus am Heldener Weg und eröffnete dort „nach einigen baulichen Veränderungen“ mit Beginn der Wandersaison Ostern 1930 eine neue Jugendherberge.35

30

Brunabend/Pickert/Boos (wie Anm.4), S. 220. Hartung (wie Anm.3), S. 84. 32 Pachtvertrag vom 24.4.1928 (Stadtarchiv Attendorn, Bestand Amt Attendorn 1925-1952, Akte D 59). 33 Kochskämper an Bürgermeister Amt Attendorn, 4.5.1928 (ebd.). 31

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Freundlicher Hinweis von Stadtarchivar Otto Höffer. 35 Vgl. Die Jugendherberge 11 (1930), S. 55, Hartung (wie Anm.3), S. 92, und Brunabend/Pickert/Boos (wie Anm.4), S. 220.

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Einige der interessantesten Aufnahmen zur Geschichte der Burg Schnellenberg als Jugendherbergsstandort lassen sich im Fotonachlass Richard Schirrmanns entdecken, den das LWL- Medienzentrum für Westfalen in Münster 2008 von Schirrmanns Tochter Gudrun übernommen hat. Dazu zählen das Bild des überdachten Treppenaufgangs zur Herberge (Abb. 6) und das des mit Tischen bestückten Rittersaals (Abb.5). Bemerkenswert ist aber auch das - der Kleidung nach zu urteilen - um 1910 entstandene Porträt einer zünftigen, Wandergesellschaft, die sich mit Musikinstrumenten vor dem Portal der Oberburg postiert hat (Abb. 4). Ob Schirrmann dieses Bild selbst aufgenommen hat und wen es zeigt, ist unbekannt.

Die noch unverputzte neue Jugendherberge an der Heldener Straße, ca. 1931. (Postkarte, Sammlung Stefan Lünswilken)

Sie bot den Wanderern 75 Betten und zusätzlich ein Notquartier für weitere 50 Personen. Der erste Herbergsvater Emil König konnte schon im Jahr 1930 über 5.000 Wandergäste begrüßen, fünf Jahre später sogar 9.638.36 Träger der neuen Herberge wurde die 1924 gegründete Ortsgruppe Attendorn des Deutschen Jugendherbergsverbandes, die Anfang 1931 unter Vorsitz von Dr. Anton Overmann, Direktor des RiviusGymnasiums, 132 Mitglieder zählte.37 Die Jugendherberge an der Heldener Straße überstand die politischen Umbrüche der Jahre 1933 und 1945 und existierte bis 1987. Zuletzt war seit 1970 Franz Springob als Herbergsvater tätig.38

Blick von der Bigge zur neuen Jugendherberge (rechts) und zur Burg Schnellenberg, ca. 1933 (Postkarte, Cramers Kunstanstalt Dortmund/Sammlung Stefan Lünswilken)

Fotografien als Spuren der Geschichte Heute erinnert fast nichts mehr an die bewegte Jugendherbergshistorie der Stadt Attendorn. Nur eine Reihe von Fotografien hält die Erinnerung an dieses vergessene Kapitel der Attendorner Tourismusgeschichte wach.

Insgesamt hat das LWLMedienzentrum unter www.bildarchivwestfalen.lwl.org weit über 1.500 Bilder aus dem Nachlass Schirrmann für die Öffentlichkeit online zugänglich gemacht. Falls Sie selbst noch über Fotos verfügen, die einen der Attendorner Jugendherbergsstandorte zeigen, freue ich mich über einen Hinweis (markus.koester@lwl.org).

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Hartung (wie Anm.3), S. 280. Vgl. Die Jugendherberge 12 (1931), S. 10. 38 Freundlicher Hinweis von Olaf Homberg, Attendorn. 37

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Ein Attendorner Junge – Pater Johannes (Ulrich) Rocksloh OSB verstarb plötzlich am 12. Januar 2011 durch einen tragischen Unfall in Dar-es-Salaam/Tansania von Meinolf Lüttecke

Am 12. Januar 2011 verstarb an den Folgen eines Badeunfalls in Dar-esSalaam (Tansania) der Benediktinerpater und Missionar Johannes (Ulrich) Rocksloh OSB im Alter von 69 Jahren.

Tätigkeit im fernen Ostafrika, Tansania, fanden damit ein jähes Ende. Ulrich Rocksloh wurde am 26. August 1941 in Heggen geboren. Seine Eltern waren Theodor und Klara Elisabeth Rocksloh. Nach dem Abschluss der Volksschule erlernte er den soliden Beruf des Werkzeugmachers bei der Firma Muhr und Bender (1956 bis 1959). Anschließend war er von 1960 bis 1962 bei der Firma Franz Viegener II (heute Viega) beschäftigt. Es folgte die Bundeswehrzeit, und im April 1964 trat Ulrich Rocksloh in die Abtei Königsmünster ein und erhielt bei der Aufnahme ins Noviziat den Namen Johannes des Täufers.

Am 29. Juni 2010 las Pater Johannes Rocksloh eine Messe für seinen Schuljahrgang 1941/42. Unser Bild entstand anschließend an der Seite der Hospitalkirche. Auch seine Jahrgangskollegen vermissen Ulrich Rocksloh. Foto: Meinolf Lüttecke

Nach der zeitlichen Profess am 7. Mai 1966 waren seine ersten Einsatzbereiche das Sekretariat des Gymnasiums und die Missionsprokura. Diese Arbeit brachte ihn mit einer großen Zahl von Menschen in Kontakt, die später mit viel Engagement und Treue seine Missionsarbeit unterstützten. In der feierlichen Profess legte Bruder Johannes am 11. Mai 1969 sein Leben in Gottes Hand und band sich endgültig an die Gemeinschaft der Missionsbenediktiner von Königsmünster.

In Attendorn war er einer von uns, der Rocklohs Uli, der auf dem Kehlberg aufgewachsen war. Entsprechend groß war die Bestürzung in der Hansestadt. Die Telefone liefen heiß, als die Todesnachricht einen Tag später, am 13. Januar 2011, in der Hansestadt bekannt wurde. Viele Bewohner Attendorns konnten das kaum glauben, hatten sie noch im Dezember den obligatorischen Rundbrief vor Weihnachten oder auch persönliche Post aus Tansania, mit den wunderschönen Briefmarken auf dem Umschlag, erhalten. Aber es war Fakt, Abt Dr. Dominicus Meier OSB von der Abtei Königsmünster (Meschede) bestätigte die traurige Nachricht. 35 Jahre missionarische

Am 26. November 1972, so geht aus dem offiziellen Totenbrief der Abtei Königsmünster hervor, entsandte der damalige Abt Harduin Bießle Bruder Johannes als Missionar in die Abtei Ndanda im Südwesten Tansanias. Dort waren gerade bedeutende Umwälzun- 13 -


gen im Gang. Seit Gründung der Kirche in Tansania zu Beginn des Jahrhunderts waren die Oberen der Missionsklöster zugleich Bischöfe der im Aufbau gewesenen Kirche gewesen.

„Agricultural Association of Mumburu“, einen großen landwirtschaftlichen Maschinenring. Hier konnte jedermann zu günstigen Bedingungen einen Traktor mit den jeweils nötigen Geräten mieten, um seine Felder zu bestellen. Bruder Johannes war sehr dankbar, mit seiner Landmaschinengenossenschaft einen wirksamen Beitrag zum wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt im Umfeld der Abtei Ndanda leisten zu können. Zugleich kam aber immer wieder eine deutliche Portion Ratlosigkeit darüber zum Ausdruck, dass afrikanische und europäische Vorstellungen über sinnvolle Methoden der Organisation und des Wirtschaftens schwer unter einen Hut zu bringen sind.

Unser Bild entstand beim Besuch der Journalistin Gunhilde Lüttecke im Jahre 1978. Aus erster Hand berichtete Bruder Johannes über seine missionarische Tätigkeit. Foto: Gunhilde Lüttecke

1973 wurde im bisher durch den Abt von Ndanda geleiteten Missionsgebiet das Bistum Mtwara unter Leitung eines einheimischen Bischofs errichtet. Bruder Johannes wurde als Finanzverwalter einer der wichtigsten Mitarbeiter des neuen Bischofs. Nachdem er in dieser Funktion die Anfangsphase des jungen Bistums mitgetragen hatte, kehrte er in die Abtei Ndanda zurück und startete dort ein Projekt, das ihm sowohl in Tansania als auch in Deutschland einen fast legendären Ruf eintrug: Bruder Johannes gründete die

Beim Besuch eines Festes in Attendorn entstand 1978 dieses Bild, welches Bruder Johannes Rocksloh im Gespräch zeigt. Foto: Gunhilde Lüttecke

Vielleicht auch vor dem Hintergrund dieser Zwiespältigkeit wuchs in Bruder - 14 -


ger in einer Pfarrei der Bischofsstadt und stand zugleich dem Bischof als Finanzchef zur Seite. Als er 1996 Pfarrer von Liwale wurde, begann für den Hansestädter ein weiterer prägender Einsatz. Liwale ist einer der isoliertesten Orte Tansanias. Es gelang Pater Johannes diese Pfarrei aus ihrer langjährigen Schattenexistenz zu befreien, eine gute bauliche Grundlage für das Gemeindeleben zu schaffen und vor allem die Glaubenspraxis ihrer Mitglieder zu vertiefen. Kaum hatte Pater Johannes den Neuaufbau der Pfarrei Liwale auf eine gute Bahn gebracht, wurde er durch einen Auftrag des Abtes von Ndanda vor eine neue Herausforderung gestellt.

Johannes die Überzeugung, dass gute geistliche Begleitung für die Menschen in Tansania noch hilfreicher sein würde als seine bisherige Tätigkeit. Er entschloss sich, Priester und Seelsorger zu werden, begann 1983 das Studium der Theologie im Seminar Lantershofen und wurde am 24. Januar 1988 durch den tansanischen Bischof Emmanuel Mapunda in Königsmünster zum Priester geweiht. Zutiefst berührt waren die Teilnehmer des Weihegottesdienstes davon, dass dabei der Messkelch des 1905 im Zusammenhang eines Aufstandes getöteten Benediktinerbischofs Cassian Spiß benutzt wurde. Über Jahre hatte sich Pater Johannes bemüht, den bei dem Mordanschlag entwendeten Kelch ausfindig zu machen und in die Hände der Benediktiner zurückzuholen. Die Primiz in Attendorn war dann am 31. Januar 1988 im Sauerländer Dom seiner Heimatstadt.

Dieses Bild entstand in Tansania und zeigt Pater Johannes Rocksloh im weißen Habit mit kleinen und großen Gemeindemitgliedern. Foto: Privat

2001 übernahm er in der tansanischen Hauptstadt Dar-es-Salaam die Leitung des Klosters Kurasini. Das Kloster ist als Prokura Kontakt- und Durchlaufstelle für die Auslandsbeziehungen der Benediktinermission in Tansania: Missionare, Helfer und Gäste der Missionsklöster finden dort eine erste Anlaufstation, Post, Materialsendungen und Spendengelder werden an die Empfänger weitergeleitet, Visaangelegenheiten der Missionare abgewickelt.

Ein großer Tag war für Pater Johannes Rocksloh die Feier der Primiz am 31. Januar 1988 in seiner Heimatstadt. Unser Bild zeigt ihn mit einem Mitbruder beim Einzug in den Sauerländer Dom. Foto: Meinolf Lüttecke

Die Rückkehr nach Tansania im Mai 1988 brachte für Father John, wie er meistens genannt wurde, zunächst eine Doppelaufgabe: Im neu gegründeten Bistum Lindi wirkte er als Seelsor- 15 -


In den letzten zehn Jahren seines Lebens widmete sich Pater Johannes mit großer Kompetenz und vor allem viel Herzlichkeit diesem Dienst, bis der plötzliche Tod ihn ereilte.

Willy Springob und Markwart Richter überreichten Ulrich Rocksloh eine von der Kölner Poorte selbst gemachte Fackel: Foto: Meinolf Lüttecke

Zum Badeunfall nahm in einem Schreiben vom 21. Januar 2011 an Freunde und Wohltäter, Abt Dionys Lindenmaier OSB von der Abtei Ndanda, zu dessen Konvent der Benediktiner gehörte, Stellung: „Am Vormittag des 12. Januars 2011 fuhr Fr. John mit Pater Allan Maxime, dem Sekretär des Vatikanischen Botschafters, ans Meer nach Kimbiji, um etwas auszuruhen. Das Mittagessen bestellten sie im Hotel Kassabeach für 14.30 Uhr, weil sie zuvor noch etwas schwimmen wollten. Als die Bedienung um diese Zeit das Essen bringen wollte, waren beide Patres noch nicht wieder da. Sie sah die abgelegten Kleider und wusste somit, dass sie tatsächlich zum Schwimmen ins Meer gegangen waren. Langsam wurden die Leute vom Hotel unruhig und blickten herum, ob sie die Beiden nicht sehen konnten. Da zeigte sich ein lebloser Körper in einiger Entfernung auf der Wasseroberfläche. Die Flut hatte angefangen hereinzuströmen. So baten sie einige Fischer, die sich in der Nähe aufhielten, nachzusehen. Diese bargen wenig später einen Toten. Es war Fr. John. Als sie weiter suchten, entdeckten sie auch den zweiten Toten, P. Allan. Wie

Ulrich Rocksloh und Poskevatter „Hansel“ Gerbe von der Kölner Poorte – zwei, die sich gut verstanden. Foto: Meinolf Lüttecke

Im Jahre 2010 war Ulrich Rocksloh zuletzt in seiner Heimatstadt. In all den langen Jahren seiner Missionstätigkeit hat der Benediktiner seine Heimat nie vergessen. Wenn er auf Heimaturlaub in Deutschland war, plante er immer Tage ein, an denen er sich mit alten Freunden, seinem Jahrgang 1941/42, den Poskebrüdern, ehemaligen Nachbarn vom Kehlberg und vielen anderen traf. Und er konnte gewiss sein, dass die Hansestädter ihn bei seinen Projekten unterstützten. Bei seinem letzten Besuch auf dem Osterkopp der Kölner Poorte erzählte er mit Stolz, dass er bereits als Dreijähriger mit in den Berg ging. Dank eines Wohltäters bekam Ulrich Rocksloh auch über 20 Jahre die Westfalenpost, so dass die Infos aus der Heimat immer da waren.

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konnte das passieren? Es ist uns ein Rätsel. Nach der Aussage von dortigen Bewohnern sind schon einmal Fischer dort umgekommen. Es scheint dort eine Strömung zu geben, die einen Strudel verursacht. Vermutlich sind Fr. John und P. Allan dort hineingezogen worden. Es ist wirklich schwer zu sagen, wie es wirklich passierte.“

ertrunken war. Er hat das unter der Überschrift „Trunken vorm Ertrinken“ in dem Buch „Brücken und Wege, Band 2 – Jesusbilder heute“ niedergeschrieben: Bei einem Segeltörn war er ins Meer gesprungen. Das Segelboot war auf einmal nicht mehr sichtbar. Father John schildert das wie folgt: „Ich stehe nun im Wasser, sobald das Boot in scheinbare Nähe kommt, rufe und winke ich ohne Unterlass. Viel Luft einziehen. Augen zu und den Kopf ins Wasser, so kann ich gut stehen und mit den Kräften Maß halten. Was sehe ich im Dunkel der Finsternis? Auf einmal bin ich in der altehrwürdigen Pfarrkirche meiner sauerländischen Heimat. Der erhabene Altarraum ist festlich geschmückt in einem Meer von Blumen und Fahnen, eine feierliche Stille liegt im Raum, es ist 40stündiges Gebet vor dem ausgesetzten Allerheiligsten. Die große barocke Monstranz wirft mit ihrem goldenen Kleid das Licht der vielen, vielen Altarkerzen zurück, eine wahrhaft festliche Stimmung und Stille, die gefüllt ist mit lateinischen Gesängen.“ Pange, lingua, gloriosi…“ und „Adoro te devote…“ und immer wieder ertönt das „Tantum ergo sacramentum…“. Ich bin daheim, geborgen und geschützt und getragen in Gottes Hand. Tiefer Friede umgibt mich. Meine Rettung ist sicher. Totales, absolutes Vertrauen umfängt mich: Hier und jetzt kommt das Boot und fischt mich aus dem Wasser. Auftauchen, durchatmen, das Boot sehe ich von ferne. Zuwinken und nochmals Zeichen geben, tief einatmen, Augen zu und zurück in mein „Gotteshaus“ unter Wasser, in meinen Sauerländer Dom, in die völlige Stille und Geborgenheit Gottes. Die Orgel spielt dezent und intoniert „Genitori, genitoque laus

Das Bild zeigt das Grab von Pater Johannes (Ulrich) Rocksloh auf dem Klosterfriedhof der Benediktiner in Ndanda/Tansania. Die Aufnahme stellte uns freundlicherweise Dr. Barbara Rocksloh-Papendiek, die Schwester von Ulrich Rocksloh, zur Verfügung.

Unter großer Anteilnahme wurde Pater Johannes auf dem Klosterfriedhof der Benediktiner der Abtei Ndanda am 15. Januar 2011 begraben. Die Attendorner verabschiedeten sich in einem Gedenkgottesdienst in der Heimatkirche von Ulrich Rocksloh, dem Sauerländer Dom, von ihrem Landsmann, der in die weite Welt zog. In der Todesanzeige, die die Geschwister von Ulrich Rocksloh verfassten, heißt es treffend: „In 35 Jahren Missionstätigkeit in Tansania hat er die Liebe zu seiner sauerländischen Heimat nie verloren.“ Nach der Beerdigung hörte man in Attendorn, dass Ulrich Rocksloh bereits im Jahre 1974 im Indischen Ozean fast - 17 -


et jubilatio…“. Eine große Anzahl von Ministranten knien im Altarraum, als Dechant Köster (gestorben 1960) Weihrauch nachlegte zum Inzens des Allerheiligsten Altarsakramentes. Ich spüre den Wohlgeruch des Weihrauchs, als er das Gebet anstimmt: „Oremus! – Deus, qui nobis sub sacramento mirabili…“. Weihrauchschwaden erfüllen den feierlichen Chorraum, als der Dechant im barocken Chormantel und dem fein gestickten Velum den Schlusssegen erteilt. „Ein Haus voll Glorie schauet…“ klingt es aus

aller Mund, eine wahrhaftige Anbetungsstunde geht zu Ende. Auftauchen, Luft schnappen, Ausschau halten, Gott sei Dank, das Boot ist ganz in meiner Nähe. Nach gut einer Stunde hat man mich entdeckt. Erleichterung auf beiden Seiten, die Kinder weinen, die anderen sind blass, fahl und fertig. Hände werden ausgestreckt und – ruck zuck – werde ich ins Boot gehievt. Mit Erstaunen mustern sie mich und trauen ihren Augen nicht, in welch guter Verfassung ich bin …“

Attendorner Osterbräuche – Die Osterabendprozession von Peter Höffer

Die Attendorner Osterbräuche entfalten sich in ihrer Vielfalt in weltlicher und in kirchlicher Art. Zu den wohl feierlichsten Momenten gehören zweifelsohne die Osterabendprozessionen, ausgehend von den ehemaligen Standorten der vier Stadttore oder auch Pooten genannt. So ziehen etwa zwanzig Minuten nach dem Anzünden der vier Osterfeuer die Prozessionen aus der Waterpoote, aus der Kölner Poorte, aus der Ennester Pote und der Niedersten Poorte über die zugehörigen Hauptstraßen Wasserstraße, Kölner- , Ennester- und Niederste Straße zur Pfarrkirche St. Johannes Baptist, dem Sauerländer Dom.

sion eine beleuchtete Osterlaterne, die sogenannte Osterlüchte (Lüchte = Leuchte) der jeweiligen Poote. Nachdem die Prozessionen die Kirche erreicht haben, ziehen sie einmal um diese herum. Hier befand sich über viele Jahrhunderte der Attendorner Friedhof, man bringt somit den Toten in Form der Osterlaterne das österliche Licht. Alle vier Prozessionen singen das Osterlied „Das Grab ist leer, der Held erwacht“. Die sehr eingängige Melodie und der nicht minder einprägsame Text verbreiteten sich nach ihrer Veröffentlichung im Landshuter Gesangbuch von 1777 schnell im deutschen Sprachraum. Auch Melchior Ludolf Herold, dessen Gesangbuch sich im kurkölnischen Sauerland durchsetzte, übernahm das Lied.

Die Prozessionen werden jeweils von einem Geistlichen sowie zwei Messdienern mit Prozessionsfahnen begleitet. Vorangetragen wird jeder Prozes-

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An der Spitze der einzelnen Prozessionen wird die Osterlaterne der jeweiligen Poote, das ist eine große Vortragelaterne, welche meist von einer Person getragen wird, vorangetragen.

ursprünglich vom Blechschläger Anton Bischoff im Jahre 1808 hergestellt, wurde 2011 nach dem Original-Vorbild neu angefertigt. Kunstschmied Pater Abraham Fischer (Abtei Königsmünster), Glasermeister Martin Vollmert (Schmallenberg) und die Glashütte Lamberts (Waldsassen) übernahmen die Neuanfertigung.

Lüchte der Kölner Poorte

Lüchte der Niedersten Poorte

Die älteste Laterne ist aus dem Jahr 1808 und wird von der Kölner Poorte getragen. Die aus Messing bestehende, bleiverglaste Laterne zeigt in ihrem herzförmigen Unterbau auf der einen Seite das Osterlamm mit Fahne. Die andere Seite zeigt die Symbole für Glaube, Hoffnung und Liebe, also Kreuz, Anker und flammendes Herz. Ebenfalls zu sehen ist das Kürzel „KP“, also Kölner Poorte, und im darüber angebrachten Kreuz die Datierung 1808. Die Laterne der Kölner Poorte,

Die Osterlaterne der Niedersten Poorte ist in das Jahr 1885 zu datieren. Sie wurde nach dem Diebstahl einer Vorgängerleuchte von Friedrich Bischoff aus Attendorn angefertigt. Auf einem achteckigen Unterbau steht ein Kreuz, dessen Balken von Würfeln durchdrungen sind. Hier sind auf der Vorderseite Evangelistensymbole und auf der Rückseite die Evangelisten zu sehen. Die runde Scheibe in der Mitte zeigt das Lamm Gottes mit Banner.

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Lüchte der Ennester Pote

Die Osterlaterne der Ennester Pote stammt aus dem Jahr 1925. Sie hat die Form eines Kreuzes, dessen Mitte auf der Vorder- und Rückseite von zwei Rauten überlagert wird. Die Wandung des Kreuzes ist aus farbiger Bleiverglasung zwischen einem Messinggerüst. Die Raute weist auf der einen Seite Christus als den guten Hirten (Bleiverglasung) und auf der anderen Seite den segnenden Christus (Hinterglasmalerei) auf. Die Ennester Pote ist noch im Besitz einer älteren, aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammenden, Laterne. Sie wird jedoch nicht mehr getragen, sondern ist als Dauerleihgabe im Südsauerlandmuseum zu besichtigen. Sie ist sehr aufwendig verarbeitet und war früher sogar mit Blattgold versehen.

Lüchte der Waterpoote

Die Osterlaterne der Waterpoote stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und fällt durch ihren voluminösen Unterbau aus Blech auf, welcher seit alters her grün gestrichen ist. Dieser Unterbau besitzt die Form einer Wappenkartusche und ist vielfach ornamental durchbrochen. Darauf sitzt das Kreuz und zeigt auf der einen Seite das Osterlamm mit Fahne, auf der anderen Seite eine Sonne. Die Laterne wurde im Jahr 1974 aufwendig durch die Firma Dr. Oidtmann in Linnich restauriert und neu verglast. Der Künstler war Wilhelm Buschulte aus Unna. Die Fa. Buschulte arbeitet für alle Denkmalämter in Deutschland und führte z. B. Restaurierungen am Aachener Dom aus.

Die Häuser an den vier Prozessionsstraßen werden seit alters her an den Fenstern mit vielen kleinen Kerzen be- 20 -


leuchtet und bilden somit den feierlichen Rahmen für die Prozession. Leider beteiligen sich in den letzten Jahren viele Geschäftshäuser nicht mehr an dieser schönen Sitte. Das mag daran liegen, dass viele Filialgeschäfte an den Hauptstraßen angesiedelt sind, deren Betreiber nicht mit den heimischen Bräuchen vertraut sind.

somit den neuen „Herold“ auch in Attendorn einzuführen. Wahrscheinlich wurde das Lied „Das Grab ist leer“ zuerst durch Chrysologus Heimes in der früheren Franziskanerkirche mit der Schuljugend eingeübt und ist dann später zum Prozessionslied bei der Feier des Osterabends geworden. Etwaige Anhaltspunkte für die Prozession vor dem Wechsel vom 18. zum 19. Jahrhundert gibt es wohl zurzeit nicht. Später, so am 28. März 1849, gibt es einen Hinweis auf die Prozession. Pfarrer J. B. Pielsticker beantragt beim Generalvikar die Erlaubnis zur Durchführung der Prozession am 1. Ostertag. Die Antwort vom 4. April 1849 lautet: „Ja, wenn jeder Zug von einem Geistlichen begleitet wird“.

Abschließend kann man sagen, dass die Prozessionen ihren Ursprung erst im Ende des 18. Jahrhunderts und Anfang des 19. Jahrhunderts haben. Die älteste Laterne stammt aus dem Jahre 1808, aber ob es hier schon Vorgängerlaternen gegeben hat, ist momentan nicht zu klären. Das Prozessionslied „Das Grab ist leer“ stammt, wie schon beschrieben, aus dem Jahre 1777 und hat sich erst später hier durch den „Herold“ verbreitet. Die Auseinandersetzungen um die endgültige Einführung des deutschen Kirchengesanges in Attendorn im Jahr 1823 haben die Tatsache in den Hintergrund treten lassen, dass die Bemühungen in dieser Richtung bereits 16 Jahre früher begonnen haben. Ein erhaltenes Exemplar des Choralbuches zum „Herold“ von Ferdinand Wilhelm Ignatz Kayser trägt auf dem Titelblatt den Vermerk „Comparavit Magistratus Attend. 1807“. Der Ankauf durch den Magistrat der Stadt Attendorn erklärt sich wohl dadurch, dass es für Schulzwecke verwendet wurde, um

Dass Pastor Zeppenfeld in seinem Lagerbuch über die Pastoratseinkünfte 1658 wohl auch alle den Geistlichen der Stadt auferlegten Pflichten während des Jahres und unter diesen auch sämtliche Prozessionen anführte, die Osterprozession jedoch aber mit keinem Wort erwähnte, könnte ein Beleg dafür sein, dass es diese Prozession im 17. Jahrhundert noch nicht gab. Quellen: Stadtarchiv, Stadtarchivar Otto Höffer Werner F. Cordes, Attendorner Osterbräuche im Wandel, in: SAUERLAND, 1997, 4 ff. Gerhard Höffer, Guet Füer! – Das Osterbrauchtum in Attendorn und anderswo

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100 Jahre Listertalsperre von Dieter Thys

Repro: Stefan Lünswilken, Attendorn

In der im November erschienenen Dokumentation “100 Jahre Listertalsperre“ haben wir ausführlich die Planung und den Bau der Talsperre von 1904 bis 1912 dargelegt. Wir konnten jedoch bei weitem nicht alles, was wir in den Archiven gefunden haben, verwenden, denn das hätte den Rahmen unseres Buches gesprengt. Allerdings lohnt es sich, einmal die Argumente der Ingenieure für den Bau eines Kraftwerkes zur Stromerzeugung an der Listertalsperre darzulegen. Sie waren für die Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts weit vorausschauend, da die Benutzung der Elektrizität noch kaum verbreitet war. Um die Mitglieder der Listertalsperrengenossenschaft, also den Bauherrn, von den vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten des elektrischen Stromes zu überzeugen, wurde eine sehr ausführliche Information ausgegeben, die ich auszugsweise wiedergeben möchte. Sie wurde im Dezember 1905 erstellt und an die Stadt und das Amt Attendorn sowie an die Triebwerksbesitzer an Bigge und Lenne verteilt. Im ersten Teil wurden besonders die ästhetischen und die Gesundheit fördernden Vorzüge angepriesen:

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Außer den Vorzügen in Bezug auf die ästhetischen und gesundheitlichen Aspekte wurden noch weitere gute Qualitäten des elektrischen Lichtes angepriesen: „An B e q u e m l i c h k e i t i m G e b r a u c h steht die elektrische Beleuchtung allen anderen weit voran, und dieser Umstand hat ihr in erster Linie die Gunst des Publikums gewonnen. Mit einem Druck kann man von beliebiger Stelle aus die Lampen anzünden und auslöschen; bei Anwendung geeigneter Schaltungen kann dies sogar von mehreren Stellen aus vorgenommen werden, was besonders für Treppenbeleuchtung etc. von Bedeutung ist. Die außerordentliche Bequemlichkeit der Bedienung bewirkt auch, dass man sich bald daran gewöhnt, jede Lampe, die zeitweilig nicht benutzt werden soll, sofort zu löschen, was man bei anderen Beleuchtungsarten wegen der Umständlichkeit des Wiederanzündens vermeidet. Hierdurch tritt eine wesentliche Ersparnis ein, welche bei der Beurteilung der Kosten verschiedener Beleuchtungsarten nicht außer Acht gelassen werden darf. Das unangenehme und zeitraubende Putzen der Petroleumlampe und der Ärger über zerbrochene Zylinder, verrußte Räume und beschädigte Glühkörper bleiben erspart. In Bezug auf die F ä h i g k e i t s i c h a l l e n V e r h ä l t n i s s e n a n z u p a s s e n, wird die elektrische Beleuchtung von keiner anderen annähernd erreicht.“ - 23 -


Als Beispiele werden genannt die „wundervollen Beleuchtungskörper“, das Beleuchten von Schaufenstern, das Ausleuchten enger Räume und die Leitungen, die sich leicht biegen lassen und sich der Tapetenfarbe anpassen. „Von hervorragender Bedeutung ist die große F e u e r s i c h e r h e i t der elektrischen Beleuchtung gegenüber anderen Beleuchtungsarten.“ Selbst in „feuergefährlichen Räumen lässt sich die elektrische Beleuchtung ohne Bedenken verwenden.“ Trotzdem werden alle Anlagen „vor dem Anschluß an die öffentlichen Leitungsnetze auch in Bezug auf die Feuersicherheit einer gründlichen Prüfung unterzogen.“ Neben der Bevorzugung des elektrischen Lichtes gegenüber den bisherigen Lichtquellen gab es noch einen zweiten, wichtigeren Aspekt der elektrischen Energie, nämlich die Vorteile der von elektrischem Strom angetriebenen Maschinen:

Weiter wird dann ausgeführt, dass der Elektromotor an nahezu jedem Ort aufgestellt werden kann und wegen seiner Leichtigkeit t r a n s p o r t a b e l ist. Deshalb ist er z.B. für Wasserpumpen, „für Mörtel-Misch-Apparate, ganz besonders aber für kleine Bohrmaschinen (geeignet), da die auch an solchen Stellen ein Arbeiten mit Maschinenkraft ermöglichen, wo sonst nur die Knarre das kümmerliche aber einzige Hilfsmittel ist.“ Auch „die Möglichkeit der Herstellung ganz k l e i n e r Motore bis zu 1/10 PS, die noch recht vorteilhaft arbeiten, hat der Verwendung des Elektromotors als Betriebsmaschine ein Gebiet eröffnet, wo früher nur Hand= oder Fußbetrieb angewendet wurde. Die W a r t u n g des Elektromotors ist die denkbar einfachste und beschränkt sich auf ein gelegentliches Abreiben des Kollektors und Absäubern der Maschine. Entsprechend einfach ist die Bedienung im Betriebe. Durch das Drehen einer Kurbel oder das Bewegen eines Hebels wird der Motor in Gang gesetzt und derselbe Hebel ermöglicht, falls dies erforderlich sein sollte, auch eine Regulierung der Tourenzahl.“ Es werden noch weitere Vorteile ausführlich dargestellt. Ich verkürze diese Ausführungen auf ein Mindestmaß. - 24 -


„Die Inbetriebsetzung . . . kann von beliebiger Stelle aus erfolgen.“ Die Tourenzahl ist „außerordentlich gleichmäßig und ist also den besten Dampfmaschinen ebenbürtig, den Gasmaschinen überlegen. Ein sehr wesentlicher Vorteil sind seine sehr niedrigen Anschaffungskosten.“ Der zuletzt erwähnte Vorteil für die Nutzung der elektrischen Energie galt der finanziellen Sichtweise – ein nicht unerhebliches Argument, denn:

Auf diese Grundpreise kommen die Verbrauchspreise noch hinzu. Diese schwanken je nach Lichtstärke von 10 Kerzen 0,9 Pfennige bis von 1000 Kerzen 22,8 Pfennige je Stunde. Die Einrichtungskosten der Beleuchtung „betragen je nach Umfang ungefähr 12 bis 18 Mk. für jede Glühlampe. Die Einrichtungskosten der Elektromotore betragen für einen fertig aufgestellten Motor von 1 Pferdestärke ungefähr 520 Mk., von 10 Pferdestärken ungefähr 1330 Mk. Diese Werte sind den Preislisten entnommen ohne Abzug von Rabatten, die in manchen Fällen bis zu 30 % betragen.“ Diese allgemein gültigen Argumente führten schließlich - in Verbindung mit einem besonderen Gutachten - zur Zustimmung für den Bau eines Kraftwerkes an der Listertalsperre.

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Repro: Ruhrverband Essen Wie auf diesem Foto zu sehen ist, wurde das Kraftwerk dann allerdings direkt am Fuß der Sperrmauer errichtet.

Der Ausbau des Kraftwerks wurde in zwei Stufen vorgesehen, um die Kosten der Anlage dem jeweiligen Nutzungswert anzupassen. „Der erste Ausbau soll unter Berücksichtigung der für das Unternehmen in Betracht kommenden Verhältnisse in folgender Weise ausgeführt werden. Die Zuleitung des Kraftwassers von der Sperrmauer bis zu den Turbinen soll schon beim ersten Ausbau gleich für die größte zur Verfügung stehende Wassermenge durch zwei schmiedeeiserne Rohre von je 1000 mm lichter Weite erfolgen. Eine der beiden Leitungen genügt für den Fall eines Schadens an einer Leitung, so daß eine Leitung als Reserve betrachtet werden kann.“

Repro: Ruhrverband Essen Man sieht hier die Öffnungen in der Mauer zur Durchführung der beiden Rohre.

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In der ersten Ausbauphase wurden im Kraftwerk dann zwei Turbinen installiert: Die erste hatte eine Leistung von 200 PS und war für Fallhöhen von etwa 22 m bis 35 m vorgesehen. Die zweite hatte eine Leistung von 300 PS und war für Fallhöhen von 10 m bis 22 m ausgelegt. „Für eine weitere Turbine von 200 P.S. für höhere Gefälle ist beim ersten Ausbau gleich das Gebäude sowie der Anschluß für die Wasser= Zu= und Ableitungen vorzusehen. . . Sie dient beim ersten Ausbau im Wesentlichen als Reserve. Für den zweiten Ausbau ist sie außer als Reservemaschine zur günstigeren Ausnutzung der Kraft bei niedrigerem Gefälle von Vorteil. Die Dynamomaschinen, welche mit den Turbinen direkt auf die Welle gekuppelt werden, sind Drehstrommaschinen für eine Leistung von 150 KW. und 200 KW. bei einer Spannung von rund 5000 Volt. Die Schaltanlage wird zunächst zum Anschluß der zwei Maschinen und der Fernleitung eingerichtet, eine gleichmäßige Einrichtung zum Anschluß der dritten Maschine beim zweiten Ausbau wird von vornherein vorgesehen.“

Repro: Ruhrverband Essen So sah die Anlage der Turbinen und Dynamomaschinen im endgültigen Ausbau aus.

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Der erste Ausbau des Kraftwerks reichte also zunächst nur für die Versorgung der Stadt Attendorn und einiger „größerer Stromverbrauchsstellen“ an der Strecke vom Kraftwerk bis nach Attendorn.

Für die Verteilung des Stromes in Attendorn wurden zwei Transformatoren von je 70 kW für Lichtstrom und zwei in gleicher Leistung für Kraftstrom vorgesehen. Sie wandelten die Spannung von 5000 Volt für Lichtstrom auf 110 Volt, für Kraftstrom auf 500 Volt um. Für die drei „Stromverbrauchsstellen“ am Weg nach Attendorn wurden kleinere Transformatoren gebaut. „Die Gesamtlänge des Leitungsweges beträgt unter Berücksichtigung der vorliegenden Anmeldungen und einer vollständigen Ortsbeleuchtung ungefähr 4200 m.“ Für diesen ersten Ausbau des Kraftwerks und die Versorgung der Stadt Attendorn mit elektrischem Strom wurden 270 000 Mark veranschlagt. Der zweite Ausbau war mit 105 000 Mark berechnet. Der gesamte Ausbau kostete demnach 375 000 Mark.

Zu diesem Kostenvoranschlag gab es eine Rentabilitätsrechnung, die so ausfiel:

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Das bedeutete für die Genossenschaft, dass sie für den ersten Ausbau 16 200 Mark jährlich aufbringen musste, für den zweiten Ausbau noch einmal 6 300 Mark.

Für die technische Überwachung wäre noch ein Techniker einzustellen, für den ein Jahresgehalt von 3 000 Mark anzusetzen sei. Das Einkassieren der Gelder für den Stromverbrauch sollte ein „Rendant im Nebenamt“ übernehmen, der 500 Mark bekommen würde. Die Betriebskosten wären demnach auf 6 600 Mark zu veranschlagen. Die Gesamtkosten des ersten Ausbaues würden demnach 22 800 Mark betragen. Dann stellt der Gutachter einen Vergleich mit der an das Lennekraftwerk angeschlossenen Stadt Plettenberg an. Nach 10-jährigem Anschluss der Stadt hat das Lennekraftwerk für Lichtstrom 23 500 Mark und für Kraftstrom 41 000 Mark im Jahr eingenommen. Bezogen auf die Stadt Attendorn und der dort angesiedelten Industrie kommt der Gutachter für das Listerkraftwerk zu folgendem günstigerem Ergebnis: Nach 5 Betriebsjahren betrüge die Einnahme für Lichtstrom 24 000 Mark, für Kraftstrom im Tagesbetrieb 27 000 Mark, für Kraftstrom im Nachtbetrieb 5 600 Mark. „Die Gesamteinnahmen bei voller Ausnutzung des ersten Ausbaues sind also zu veranschlagen auf 56 600 Mk. Diesen Einnahmen stehen gegenüber an Ausgaben 22 800 Mk. Hiernach bleibt also schon bei voller Ausnutzung des ersten Ausbaues nach Abzug der Verzinsung und der Betriebskosten von den Einnahmen ein Betrag von 56 600 – 22 800 = 33 800 Mk. übrig.“

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Alle Dokumente und Zitate: Kreisarchiv der Stadt Altena

Die ausführlichen Informationen überzeugten alle Beteiligten.

Foto: Ruhrverband Essen Das Elektrizitätswerk konnte daraufhin geplant und gebaut werden.

Für die Stadt Attendorn wurde dann im November 1908 das bereits erwähnte Elektrizitätswerk geplant (im Volksmund „Eltwerk“ genannt). Die Dokumente über den Bau des Elektrizitätswerkes stammen aus dem Archiv der Stadt Attendorn, Akte H2-2292.

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Nach weiteren Ausführungen über die Böden und Wände, die Fenster und Türen und das Dach endete die Baubeschreibung so:

Das Grundstück „Flur 4“ liegt dort, wo sich heute das „REWE Center“ befindet.

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Im März 1909 überreichte die Bauleitung den Antrag zum Bau des Kraftwerks: „An den Herrn Königlichen Kreisbauinspektor, Siegen“.

Nach einigen Änderungen wurde der Entwurf genehmigt und das Elektrizitätswerk konnte gebaut werden.

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Es befand sich zwischen dem Bahngelände und dem Mühlengraben (siehe Oval) und musste Mitte der 1970er Jahre dem Bau eines großen Geschäfts- und Wohnhauses (heute REWE Center) weichen.

aus: Rundflug über Attendorn wie es früher war, S. 6/7

aus: Rundflug über Attendorn wie es früher war, S. 34

Foto: Stefan Lünswilken, Attendorn

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Aus dem Tagebuch des Hubertushüttenvereins Einen Einblick in das Hüttenleben und die Hüttenabende gibt das Tagebuch des Hubertushüttenvereins (Archiv des VOH), aus dem wir in dieser Ausgabe einige Einträge aus dem Frühjahr 1935 abdrucken:

Im Mitteilungsblatt Nr. 26 (2004), Seite 21 ff. hat Peter Höffer in seinem Artikel „Die Hubertushütte – Geschichte(n) einer Waldhütte und deren Stellung im Freizeitverhalten der letzten 70 Jahre“ bereits über die Entstehung der Hubertushütte und das Hüttenleben berichtet:

6. Mai 1935 Heute war der erste schöne Frühlingsabend, den wir auf der Hütte verleben konnten. Von neuem empfanden wir, welch Kleinod wir in unserem Tuskulum und seiner lieblichen Umgebung besitzen. Dementsprechend war auch die Stimmung unter den Freunden, alles war ein Herz und eine Seele, und wenn man dann unter die Bäume ging und den prächtigen Sternenhimmel betrachtete, war es einem ganz feierlich zumute. Und wenn dann noch, wie heute Abend, ein lukullischer Genuss hinzukommt, so glänzen die Mienen. Es gab Goulasch, von Freund Rudolf Scherer unter Assistenz seiner lieben Gattin, die uns heute angenehme Gesellschaft leistete, aufs beste zubereitet. Das leidige Spülen brachte wie immer einen Missklang in die Stimmung. In anerkennenswerter Weise besorgten schließlich Hubert Frey und Ferdinand Rauterkus das unbeliebte Geschäft, und zwar für zwei ältere Freunde. Nichts desto weniger klang der Abend wieder in Freundschaft und Gemütlichkeit aus.

…Der Hüttenverein traf sich Woche für Woche zum gemütlichen Beisammensein. Eines der Mitglieder mußte für Speis und Trank sorgen. Über ihre Einnahmen und Ausgaben wurde genau Buch geführt, es ging hier meist nur um Pfennigbeträge. Zu essen gab es oft eine gute Eintopfsuppe mit Einlage. Große Freude herrschte im Kreis der Hüttenfreunde, wenn einmal ein Gast anwesend war, der die Kasse aufbesserte, so war der nächste Hüttenabend gesichert. In froher Runde wurden viele Feste und gemütliche Hüttenabende mit Gesang und guter Laune gefeiert. … …Der Verein der Hubertushütte hatte folgende Mitglieder: Josef Homberg, Paul Bischoff (genannt Herzchen), Willi Bruse, Karl Dingerkus, Alex Flusche, Ludwig Flusche, Otto Flusche, Josef Franke, Karl Franke, Friedrich Fuhrmann, Karl Hans, Toni Höffer, Ferdinand Rauterkus, Alfred Roll, Bruno Roll, Willi Roll, Josef Selter, Ernst Scherer, Rudolf Scherer, Willi Scherer, Werner Schnütgen, Josef Schulte, Josef Voß und Hubert Wilmes, Hüttenwart der Hubertushütte. Nach ihm wurde die Hütte „Hubertushütte“ genannt. …

13. Mai 1935 Heute sahen wir Frau Rudolf Scherer und als getreuen Fridolin Ernst Scherer am Herde stehen; sie versahen den Küchendienst, da Rudolf Scherer abhanden gekommen war. In aufopferungsvoller Weise hat seine Gattin für

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er sie recht gut mundend uns nachher servieren lassen konnte. Fürsorglich hatte ihm seine Gattin geholfen, die es sich (nicht) nehmen lasen wollte, nach dem Rechten zu sehen, genau wie bisher. Frau Alex Flusche, die an jedem Montag ebenfalls das Essen mit vorbereitet hatte, was nachträglich heute dankbar anerkannt sei. Rudolf war wieder Herr der Lage, ja er fühlte sich so stark, dass er Wilhelm Kesselböhmer einem strengen Verhör wegen seines Ausbleibens am vergangenen Montag unterzog, welchem dieser nachkam, indem er in seiner Unschuld alle Fragen gewissenhaft beantwortete. Wenn Wilhelm eine Ahnung gehabt hätte, was vorgefallen war, hätte er nicht so bescheiden und treu Frage und Antwort gestanden. Übrigens häuft sich in letzter Zeit wieder das unentschuldigte Ausbleiben, so dass auch heute wieder zu viel Essen gekocht war und die pünktlich kommenden Freunde müssen die Folgen tragen. Josef Beul wurde wieder geschäftlich abgerufen, was er sehr bedauerte, wenigstens konnte er aber seiner Pflicht noch genügen, indem er mit 3 Tellern seinen Mann stellte. So war der Kreis recht klein geworden, doch war es auch heute Abend wieder recht gemütlich. Um noch einmal auf das unentschuldigte Fortbleiben zu sprechen zu kommen, sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es eine große Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Koch bedeutet, dessen aufopferungsvolle Tätigkeit dadurch sehr erschwert wird. Ebenso ist das leichtfertige Einladen von Gästen zu vermeiden, die dann doch nicht kommen, und für die schon mitgekocht wurde. Um einen geordneten Geschäftsbetrieb zu ermöglichen und unnötige Ausgaben zu vermeiden, muss auf strengste Einhal-

unser leibliches Wohl gesorgt, und da noch einige Gäste kommen wollten, waren die Vorbereitungen für das Essen noch größer gewesen als nötig war, da die Eingeladenen wie so oft nicht kamen. Es soll in Zukunft nichts mehr auf diese Versprechungen gegeben werden. Bernhard Hoffmann hatte für Wasser und Holz in rauen Mengen gesorgt, so dass das Kochgeschäft flott von statten ging. Als zum Mahl gerüstet war, erschien Rudolf Scherer, vollständig abgekämpft. Er hatte den glücklichen Ausgang eines Vorkommnisses, das ihm sehr nahe gegangen war und das ihn die ganze Nacht vorher auf den Beinen gehalten hatte, mit Verwandten und Bekannten sehr ausgiebig gefeiert. Man hatte Verständnis für seinen Zustand, auch seine liebende Gattin, und ließ ihn gewähren, als er sein müdes Haupt an ihrer Seite auf die Tischplatte bettete. Es gab Linsen und der Berichterstatter muss gestehen, dass ihm diese selten so gut geschmeckt haben. So wurde auch Josef Voß entschädigt, der, obwohl er als Trauzeuge bei einer standesamtlichen Trauung zu der Nachfeier geladen war, doch in der Hütte erschien – gewiss ein Beispiel der Treue und Anhänglichkeit. Um den müden Rudolf nach Hause zu begleiten und da sich auch bei der stellvertretenden Köchin und dem stellvertretenden Koch die Strapazen der vergangenen Nacht bemerkbar machten, brach man heute ziemlich früh zur Heimkehr auf. 20. Mai 1935 Nach dem Ereignis des vergangenen Montags war man froh, dass alles wieder in der Reihe war. Freund Rudolf rührte brav seine Bohnensuppe, damit

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tung der Vorschriften unserer Satzungen gesehen werden. 27. Mai 1935 Heute war bei uns schon wieder Namenstagsfeier, und zwar dominierte der heilige Wilhelm; so galt es unseren Freund Kesselböhmer zu feiern. Sein Platz war reich geschmückt und herzlich waren die Glückwünsche, die ihm ausgesprochen wurden. Zum Dolmetsch unserer Gefühle für das liebe Namenstagskind machte sich Rudolf Scherer, der ihm noch ein Maiglöckchensträußchen an die Brust heftete. Es gab leckeren Sauerbraten. Die Küche stand wieder unter Leitung von Alex Flusche, der nach sechswöchiger Abwesenheit von seiner Kur in Aachen glücklich in unseren Kreis zurückgekehrt war. Wir verlebten wieder einige schöne Stunden in gemütlicher Runde, schade, dass einige der Frauen sie so früh verließen.

Originalseite aus dem Tagebuch des Hubertushüttenvereins. Repro: VOH Attendorn

Auch heute hatten wir wieder das Vergnügen einer Namenstagsfeier: Ferdinand Rauterkus beging seinen Ehrentag, aus welchem Grunde sein Platz mit frischem Grün geschmückt war. Mit strahlender Miene nahm er die wohlgemeinten Glückwünsche entgegen. Josef Beul hatte Tauben gestiftet, so dass einem jeden der Erschienenen ein ganzer Vogel serviert werden konnte. Sie schmeckten, mit gehacktem Fleisch gefüllt, mit der kräftigen Brühe ganz vortrefflich; als Zuspeise gab es einen ganzen Eimer voll Rhabarber, den Paul Bischoff aus Schmittepaul bei Valbert herbeigeschleppt hatte. Dem Spender der Tauben wie auch dem Koch Alex für seine Mühe, die die Zubereitung des Festessens verursacht hatte, sei an dieser Stelle bestens gedankt. Freund Franke, der erst sehr spät erscheinen konnte, musste allerdings

3. Juni 1935 Heute gab es zunächst eine kleine Sensation: Freund Anker und Flusche waren an die alte Quelle im Grunde gegangen, um in deren Nähe ein Luftbad zu nehmen. Hierbei wurden sie von einem Gewitterschauer überrascht, so dass sie, um ihre in den Büschen hängenden Kleider vor dem Regenguss zu schützen, in die Tannen flüchten mussten. Als die beiden in etwas desolatem Zustand wieder in der Hütte ankamen, wurden sie mit einem schadenfrohen Hallo empfangen. Aber trotz alledem, schön ist so ein Luftbad doch, und vielleicht finden sich bei nächster Gelegenheit weitere Anhänger dieses gesunden Sports.

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mit einem Beefsteak vorlieb nehmen. Freund Beul versprach ihm aber für ihn und seine Gattin auch je eine Taube zu stiften. Der Ordnung halber sei festgestellt, dass Josef Voß vor der Verlesung der Niederschrift unseren Kreis verlassen hatte. In den Dachpfosten haben sich Borkenkäfer eingenistet, denen man seitens des Hüttenvereins energisch zu Leibe gegangen war, indem man die Rinde der Pfosten abgekratzt und die Hütte dann desinfiziert hatte. Der Geruch der ätzenden Flüssigkeit machte sich namentlich in den Winkeln der Hütte noch recht unliebsam bemerkbar. Ohne geöffnete Tür und Fenster war es nicht auszuhalten, bei der kühlen Witterung und der Zugluft war der Aufenthalt zuweilen recht ungemütlich. Doch entschädigte uns das vorzügliche Essen, über das man bis zum Schluss des Lobes voll war.

Fortsetzung des Eintrages vom 3. Juni 1935

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Silberhochzeit Josef Arens, 30.1.54 mitgeteilt von Ferdinand Rauterkus

Was ist doch diesen Tag für’n Gedäh im Arens Haus. Um diese Silberhochzeit machen sie einen Schmus, dass es sich lohnt, mal ganz genau zu wissen, was für ein Pärchen sich da zusammen getan hat, damals im Januar vor 25 Jahren. In unserem lieben schönen Städtchen Attendorn. Ihr müsst das Silberbrautpaar mal richtig begucken so leicht tut kein Ehepaar dem gleichen. Sie strotzen vor Gesundheit und vor Energie. Man sieht, sie halten gar nix von „Schmachterie“. Echtes Bürgertum beweist ihre Körperfülle. Das kann Korsett und Schusterkittel nicht verhüllen. Wohlhabenheit strahlt aus ihren Augen. Von echt Geblüt die festen roten Backen strahlen. Wenn ich den beiden über ’n Weg mal laufe, dann denke ich stets, die passen gut zusammen. Es ist ein Paar von selten guter Art. Wie haben die sich damals wohl kennen gelernt? Sie war bei Baltes, wischte dort und kochte. Er wagte sich hier ins Städtchen und sah sich um als selbständiger Mann im zähen Leder. Und schlug sich einsam und alleine so dadurch. Es dauerte nicht lange, da hatte er sie gewittert. Da fing das Schusterherz in der Brust an zu zittern. Um Baltes Haus schlich er sich abends wie vernarrt und machte sich bemerkbar auf ganz seltene Art.

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Und flöten wollte er nicht, sie war ja auch kein Hund. Was sollen dann auch andere Leute denken. Er wusste sich zu helfen, er war nicht so dumm. Die Eisenspitze von seinem Stocke, schrumm, die schrammte laut und lang hin über ’s Straßenpflaster. Die Leute fragten, was ist das dann nur für’n Laster. Sie hatte fixe raus, was das bedeuten sollte und schwupp stand sie mit lachendem Gesicht bei dem Jupp. So koppelten sich die beiden nach und nach zusammen. Nach einiger Zeit konnten sie dieses Haus auch kaufen, und alles war dann so wie es sein musste. Er saß tagtäglich über ‘m Schusterpinn, tat liebenswürdig mit der Kundschaft sprechen. Und kamen in die Werkstatt junge Mädchen, dann war er überfreundlich zum Beweis, wie wichtig echter Kundendienst ihm ist, da hat er sie gekniffen, „boxet“ bis sie piepsten. Und wenn er sie noch in den Judenspeck kniff, dann ist er richtig in seinem Element. Von dieser Seite die Auguste ihn gut kennt. Die Bienenzüchter haben zu ihm Vertrauen. Als Imkenvatter kann man auf ihn bauen, verteilt den Zucker wie ein reeller Mann. Weil er das Süße nicht verknappen kann, verlangt man nach kräftigen und flüssigen Dingen. Da kann die Auguste ein Liedchen von singen. Sie schimpft dann auch mal, doch ist sie so gescheit, dass sie ihn auch richtig zu nehmen weiß.

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Wenn er das Wirtschaftsgeld zu knapp lässt werden, dann kann sie ihm um den Bart rum schmieren, die beste Schmusekatze das nicht besser kann. Da kommt der Jupp dann nicht gegen an. Durch solche Evakünste lässt er sich erweichen, und sie kriegt immer was sie will erreichen. Doch sagt mir aber ja nichts von der Auguste, die werkelt hier im Hause resolut und fix, und als das Haus von Bomben war zerrissen, da hat sie das Aufbauen bald alleine geschmissen, und alle Arbeit war von guter Art, als hätte „dat Menske“

jedes Handwerk gelernt.

Die Energie ist ohne alle Maßen. Als sie im Zug ein Kleid hat liegen lassen, da machte sie den Beamten völlig verrückt. Sie kriegte es wieder, darin war sie geschickt. Die wichtigste Person ist, was ich immer wusste, im Nachtjackenviertel hier die Auguste. Sie sorgt für Ruhe und für Ordnung auch des Nachts. Und wenn dann mal so ein netter beschwipster „Schlaks“ grölend stolpert hier beim Hause rauf, dann hat er, klatsch, einen Pott voll Wasser auf dem Koppe. Sie ist ein prächtiger Mensch, ganz egal, zu allem kann man sie gebrauchen, überall. Das sind nun diese 2, beguckt sie euch richtig. Für uns wäre nun die große Frage wichtig, was wir dem Silberbrautpaar wünschen wollen.

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Es muss was sein, was denen und uns gefällt. So meine ich, es w äre das Allerbeste, wir wünschten ihnen zu diesem hohen Feste, dass sie nun in den nächsten 25 Jahren genau so bleiben wie sie bis zu diesem Tage waren. Denn wenn sie anders wären, was ich immer wusste dann w ären sie nicht der Jupp und die Auguste.

Das Haus Arens um die Jahrhundertwende Wie mir Maria Schmidt, Tochter des Heimatdichters Johannes Schulte, sagte, hat sie mit Frau Hedwig Graf zusammen seinerzeit die Gäste bekocht und bewirtet. Zu einem lustigen Zwischenfall sei es am Nachmittag gekommen, als die Jubiläumstorte - in Form eines Bienenkorbes - überreicht wurde: Das Prachtstück rutschte dem Jubilar direkt auf seine gute Jacke! Entsprechende Kommentare hätten dann aber doch noch für Heiterkeit gesorgt. Als Urheber der plattdeutschen Verse vermutet Frau Schmidt die ehemalige Nachbarin von Arens, Frau Ferdinande Laymann. Ferdinand Rauterkus

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Vor 75 Jahren: „Haushaltsplan der Stadt Attendorn für das Rechnungsjahr 1937“ von Jürgen Meise

Warum dieses Thema? Eigentlich hatte ich den Haushaltsplan der Stadt aus dem Jahr 1937, den ich vor Jahren bekommen hatte, in die Hand genommen, um zu sehen, ob und wie sich die Zeit des Nationalsozialismus in einem städtischen Haushalt widerspiegelt. Beim Durchblättern des Haushaltsplanes allerdings wuchs die Neugier: Wie war ein Haushaltsplan vor 75 Jahren aufgebaut? Was sagte der vor mir liegende Plan über die Stadt Attendorn aus?

Der städtische Haushalt 1937 gliedert sich in acht Einzelpläne: 1. Allgemeine Verwaltung 2. Polizeiverwaltung 3. Bauverwaltung 4. Betriebe und Unternehmungen 5. Schul- und Bildungswesen 6. Fürsorgeverwaltung 7. Finanzverwaltung 8. Durchlaufend(es) Beigefügt sind die Einzelpläne des städtischen Krankenhauses, des städtischen Wasserwerks und des städtischen Elektrizitätswerks.

Zur Haushaltssystematik Der Haushalt 1937 ist nach dem System der Kameralistik aufgebaut, einem System, das in Attendorn bis zum Jahr 2005 gültig war. Es wurde durch die Doppik, das neue kommunale Finanzmanagement, abgelöst. In der Kameralistik wurden Einnahmen und Ausgaben gegenübergestellt, saldiert und ein Überschuss oder ein Fehlbetrag ermittelt. Der Überschuss aus dem Einzelplan „Finanzen“ deckte die Fehlbeträge, die in den anderen Einzelplänen entstanden. Reichte der Überschuss dafür nicht aus, mussten Kredite aufgenommen werden.

Unterschiede Es fällt sofort auf: Die Bezahlung der Polizei ist heute nicht mehr Aufgabe der Stadt, sondern Ländersache. Der Begriff „Fürsorgeverwaltung“ ist durch den weniger diskriminierenden Begriff ‚Soziales’ ersetzt. Das Krankenhaus ist verkauft. Wasser und Strom werden über Betriebe in der Rechtsform einer GmbH verteilt. Einen weiteren gravierenden Unterschied zu heute findet man bei den Lehrkräften des städtischen Gymnasiums. Die 13 dort tätigen Beamten wurden von der Stadt bezahlt. Auch dieses ist heute die Aufgabe des Landes.

In der Doppik werden nicht nur Geldflüsse – wie in der Kameralistik – dargestellt, sondern auch der Ressourcenverbrauch wie Abschreibungen oder Pensionsrückstellungen. Über die Bilanz werden Vermögen, sowie Schulden erkennbar. Auch der doppische Haushalt vermeidet nicht grundsätzlich eine Kreditaufnahme.

Und auch bei der Sparkasse findet man Veränderungen. Beamte und Angestellte dieses Institutes gehörten zum städtischen Personal und wurden von der Stadt bezahlt. Heute sind Sparkassen selbständige, öffentlichrechtliche Einrichtungen. - 45 -


Das städtische Personal In der Stadtverwaltung arbeiteten zwölf Beamte, dreizehn Angestellte standen auf der Lohnliste der Stadt, unter ihnen die Beschäftigten der Sparkasse (s.o.). Dazu noch ein Gewerbelehrer, eine Handarbeitslehrerin und zwölf Arbeiter, darunter Reinigungskräfte, Hausmeister und ein Bademeister.

der starken Verschuldung von 2,1 Mill. RM musste bei Aufstellung und Abwicklung des Haushaltsplans 1936 äußerste Sparsamkeit wiederum erster Grundsatz sein.“2 So heißt es im Erläuterungsbericht des städtischen Haushalts 1937. Und weiter: „Auf dem Gebiet der Instandsetzung und Verbesserung der Straßen ist ganz außerordentlich viel nachzuholen, denn es war vor 1934 schon seit Jahrzehnten nichts Durchgreifendes in der Straßenverbesserung und Unterhaltung geschehen. Für die Unterhaltung der öffentlichen Gebäude waren auch in der Zeit der Wirtschaftskrise die erforderlichen Mittel nicht vorhanden…“. Für die Instandsetzung des Rathauses seien Mittel vorhanden gewesen und auch für die „Verschönerung der Innenräume“ der Volksschulen habe man Geld bereitstellen können.

Einnahmen und Ausgaben Die Gesamteinnahmen des „ordentlichen“ Haushalts 1937 betrugen 1.140.208,34 RM (Reichsmark), die Ausgaben beliefen sich auf 1 1.152.752,25 RM. Außer Steuern erhielt die Stadt weitere Einnahmen durch Verkäufe, Gebühren und Beiträge, aber auch durch das Schulgeld der Gymnasiasten in Höhe von 57.885,00 RM und die Mieteinnahmen von städtischen Häusern in Höhe von 18.378,88 RM. Dass noch nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1950er Jahre hinein Schulgeld für den Besuch eines Gymnasiums gezahlt werden musste, wird manch Älterer noch wissen. Nur die Einzelpläne „Finanzverwaltung“ und „Betriebe und Unternehmungen“ erwirtschafteten Überschüsse. Dem Haushaltsplan ist beigefügt eine Liste von 58 Mietern städtischer Wohnobjekte, darunter der Preußische Justizfiskus, die Lehrwerkstatt, die Dortmunder Aktienbrauerei, aber auch das Sturmbüro der SA.

Auf der Ausgabenseite „fallen zunächst einige wesentliche Mehrausgaben….ins Gewicht“ und zwar für Tilgungsbeiträge umgeschuldeter Darlehen, für die „Ruhegehaltskasse“, für die Errichtung einer städtischen Bücherei und für „den notwendigen Bau eines HJ-Heimes“ mit zunächst 4.000 RM als Rücklage. Als „besonders große Belastung“ wurden die Ausgaben für das Gymnasium gesehen. Für diese Schule, „jetzt deutsche Oberschule“, entstand durch geringere Schülerzahl ein Ausfall an Schulgeld in Höhe von „schätzungsweise 10.000 RM“. Allerdings erhielt die „deutsche Oberschule“ „mit Rücksicht darauf, dass diese höhere Schule nicht nur für Attendorn, sondern für den ganzen

Zur Lage der Stadt Der dem Zahlenwerk beigefügte Erläuterungsbericht vermittelt einen Überblick über die Lage der Stadt, soweit sie in einem Haushaltsplan dargestellt werden kann. „Bei der bekannten angespannten Finanzlage der Stadt Attendorn infolge - 46 -


Kreis Olpe zuständig ist, einen Zuschuss von 25.000 RM“ vom Kreis. Der Staat zahlte der Stadt weitere 35.000 RM dazu. Insgesamt erwartete man ein Ausgabensoll in Höhe von 155.690,34 RM für das Gymnasium; für die Volksschulen dagegen nur 33.419,45 RM.

Ausdrücklich wird angemerkt, dass der Kanalbau nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen Bedeutung hat, sondern „dass durch die Kanalisation große gesundheitliche Gefahren gebannt sind“. Man mag meinen, die Ausgaben für den Kanal- und Straßenbau seien nur ein kläglich niedriger Betrag verglichen mit den hohen Investitionen, die heutzutage von der Stadt Attendorn im Tiefbau geleistet werden (müssen). Man beachte jedoch: Zur Stadt Attendorn gehörten im Jahr 1937 weder die Gemeinde Helden, noch die Gemeinde Attendorn Land. Die Zahl der Einwohner der Stadt betrug nach Angaben im Haushaltsplan gerade mal 6300 Personen. Attendorn, wie es heute ist, entstand erst mit der Kommunalreform 1969.

Investitionen im Jahr 1937 Investitionen sind im „außerordentlichen“ Haushalt verbucht. Im Jahr 1937 soll in Straßenbau und in Kanalbau investiert werden: Ein Kanal vom „Schüllernhof“ zum Hohlen Weg vor dem Amtsgerichtsneubau und je ein Kanal in der Bleichergasse und der Brunnengasse. Man hoffte, den Kanalbau mit 3.800 RM finanzieren zu können. Für den Bau einer „Siedlungsstraße im Siedlungsgebiet Musebieter“ sowie einer Teilinstandsetzung des „alten Hohlenweges“ wurden 3.900 RM bereitgestellt. Für den Ankauf von Siedlungsgelände standen 7.100 RM zur Verfügung.

Die Infrastruktur Der Haushaltsplan macht deutlich: Die Infrastruktur der Stadt Attendorn ließ sehr zu wünschen übrig. Die städtischen Gebäude waren in einem schlechten Zustand. Im Straßen- und Kanalbau war noch viel zu tun. Im Jahr 1933 waren die Straßen in „einem fast trostlosen Zustand“. Und trotz der Investitionen in den Jahren 1934 bis 1936 sei „zur Instandsetzung der übrigen Straßen im Laufe der nächsten Jahre noch ein gewaltiger Betrag notwendig“. Die Neu- bzw. Umpflasterung der Straßen innerhalb der Promenaden bezifferte man mit „etwa 86.000 RM“.

Mit 14.800 RM erschöpfte sich der für das Jahr 1937 gesamte Bereich neuer Investitionen. Jedoch wird im Erläuterungsbericht darauf hingewiesen, dass in den Jahren 1934 – 1936 11,895 km Straßen und Wege instandgesetzt wurden, wobei nicht alle Straßen eine Teerdecke erhielten (3,360 km). Die meisten wurden nur „gehärtet“, was immer das heißt. Nach Fertigstellung der im Bau befindlichen Kanäle seien „am Ende dieses Rechnungsjahres insgesamt 2507 lfdm (laufende Meter) Kanalleitungen verlegt, einschließlich des großen Hauptsammlers, der vom Ruhrverband…gebaut wurde“.

Wohnungsnot in Attendorn Und es gab Wohnungsnot in Attendorn. Wörtlich heißt es: „Die große Wohnungsnot in Attendorn und die Interessen der Industrie machen es - 47 -


Da findet man die Haushaltsstelle „Anteil der Stadt an den Sterilisierungskosten“. Hinter dieser Haushaltsstelle verbirgt sich die Zwangssterilisierung geistig und körperlich behinderter Menschen. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 belastete Städte und Gemeinden, so auch Attendorn, mit den Kosten dieser Zwangsmaßnahmen. Attendorn zahlte 300 RM.

dringend erforderlich, weitere Siedlungsgebiete zu errichten. Leider kann wegen Mangel an Mitteln das außerordentlich große Bedürfnis an neuen Siedlungshäusern nicht in dem wünschenswerten Umfange befriedigt werden“. Der Bau der Siedlungsstraße Musebieter lässt erkennen, dass die ersten Siedlungshäuser an dieser neuen Straße gebaut waren oder sich im Bau befanden. Zu den weiteren Siedlungsgebieten gehörten dann auch die 14 Doppelhäuser, die in der Bauzeit 1933 – 1939 errichtet wurden.3

Für das „Geschenkbuch: Hitler ‚Mein Kampf’ an Brautleute“ standen 400 RM bereit.

Die höchsten Steuereinnahmen Der Erläuterungsbericht fährt fort: „Bei Beurteilung der Finanzlage muss berücksichtigt werden, dass im Rechnungsjahr 1937 die Steuereinnahmen wohl den höchsten Stand erreichen, der bei dem jetzigen Umfange der Attendorner Wirtschaft je zu erreichen ist“. Diese wohl höchste Steuereinnahme wurde mit 357.945,08 Reichsmark veranschlagt. Darin enthalten waren folgende Steueranteile: Reichseinkommensteueranteil, Körperschaftssteuer mit einem Anteil vom Reich und der öffentlichen Versorgungsbetriebe, Umsatzsteueranteil, Grundvermögenssteuer, Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital und die Gewerbelohnsummensteuer. Enthalten waren auch eine Bürgersteuer, die Schankerlaubnissteuer, die Biersteuer, die Getränkesteuer, die Vergnügungssteuer und die Hundesteuer.

Ebenfalls 400 RM flossen an die Organisatoren des Kreisparteitags der NSDAP und der nationalen Feiern. 1.200 RM dienten der Unterhaltung und Ausschmückung der öffentlichen Gebäude und Denkmäler – natürlich mit nationalsozialistischen Symbolen. Für den Neubau eines HJ-Heimes wurde eine Rücklage in Höhe von 4.000 RM gebildet. (HJ = Hitlerjugend) Dem „dringenden Wunsch der Behörden“ folgend plante die Stadt, eine städtische Bücherei einzurichten, die mit Hilfe nationalsozialistischen Lesestoffs zur Umerziehung der Bevölkerung beitragen sollte. Der städtische Vorschlag, die Lehrer- und Schülerbibliothek des Gymnasiums zur Einrichtung dieser „Volksbücherei“ zu nutzen, wurde von der „staatlichen Beratungsstelle für das öffentliche Büchereiwesen“ in Hagen abgelehnt, da „zu wenig brauchbares Material vorhanden“ sei. Die Bücherei, deren Kosten man auf 3.500 bis 4.000 RM schätzte (das HJHeim auf „vorerst“ 4.000 RM!), wurde

Und das ‚Nationalsozialistische’ im Haushalt 1937? Natürlich interessiert, wie sich die nationalsozialistische Zeit im Haushalt einer Kleinstadt widerspiegelt. Es finden sich einige Stellen: - 48 -


also anfinanziert und sollte der Öffentlichkeit 1938 zur Verfügung stehen.

ten. „Der gegenüber dem Vorjahr angesetzte Mehrbetrag vom 2.000 RM muss zur Neubedachung des städt. alten Rathauses (jetzt Amtsgericht) aufgewendet werden. Die nachgesuchte Genehmigung zum Abbruch dieses alten baufälligen Gebäudes wurde, weil es als Baudenkmal erklärt worden ist, sowohl vom Reichs- als auch vom Provinzialkonservator abgelehnt. Das Dach droht einzustürzen. Kostenanschlag über 2.000 RM liegt vor.“ (Haushalt 1937, Seite 83)

Ein Zuschuss an die NSV für Gesundheitsfürsorge war eingeplant (NSV = Nationalsozialistische Volkwohlfahrt). Das SA-Sturmbüro zahlte Miete an die Stadt, war also in einem städtischen Gebäude untergebracht (SA = Sturmabteilung, eine politische Kampftruppe der NSDAP). Das sind nicht gerade viele Positionen innerhalb der großen Anzahl der Haushaltsstellen, jedoch sind es wichtige. Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) wird unterstützt einschließlich einiger ihrer Gliederungen. Und in die Jugend und die Bildung im Sinne der NSDAP wird investiert. Es gilt damals wie heute: Die Bildung entscheidet über die Zukunft.

Verkürzte Schulzeit am Gymnasium Nicht nur in diesem Jahrhundert, auch in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts war die Schulzeit an Gymnasien schon mal verkürzt worden. Die (preußische) Staatsregierung hatte das „höhere Schulwesen“ vereinheitlicht. Das Gymnasium in Attendorn wurde zur „deutschen Oberschule“. In den Erläuterungen zum städtischen Haushalt 1937 steht: „Danach ist ab Ostern 1937 in Sexta mit Englisch als erster Pflichtfremdsprache zu beginnen.“ Und weiter: „Durch die von der Staatsregierung eingeführte verkürzte Schulzeit in höheren Lehranstalten (8 Jahre statt bisher 9) ist jedoch im Schuljahr 1937 mit einer geringeren Schülerzahl zu rechnen, da Ende 1936 zwei Klassen die Reifeprüfung ablegten.“ (Haushalt 1937, Seite 71; dazu auch: Rivius 2000 – Gymnasium der Stadt Attendorn, Attendorn 2000, Seite 54)

Anmerkungen: 1 Alle Zahlen, die genannt werden, sind Sollzahlen, also Beträge, die man erwartete. 2 Alle folgenden nicht weiter gekennzeichneten Zitate sind dem Erläuterungsbericht des Haushaltsplanes für das Jahr 1937 entnommen. 3 In dem Buch „100 Jahre Wohnungsgenossenschaft im Kreis Olpe, Südsauerland eG“, Olpe 2002, findet der interessierte Leser weitere Informationen zum Wohnungsbau in Attendorn und darüber hinaus im Kreis Olpe

Bemerkenswerte Einzelheiten aus dem Haushalt 1937: Nazis wollten das alte Rathaus abreißen Folgende Erläuterung im Haushaltsplan verrät, dass die Attendorner Nazis das heutige Südsauerlandmuseum, den einmaligen gotischen Profanbau Südwestfalens, abreißen lassen woll- 49 -


Wie es früher war von Walter Wurm

Wir blicken einmal zurück ganz weit, in unsere schöne Kinderzeit.

Und sie spielten Gummitwist, den Computer gab´s noch nicht.

Babys in Windeln wunderbar, Pampers waren noch nicht da.

Jungen trugen Bommelmützen Und sie schwenkten Stänkerbüchsen.

Bettchenfarbe voll Blei und Cadmium, das alles brachte uns nicht um.

Videospiele nicht bekannt, Lichtbilder warf man an die Wand.

In unseren alten Kinderwagen, lagen vorher schon oft Blagen.

Tagsüber nur draußen, wie zum Trotze, es gab gottlob noch keine Glotze.

Völkerball, Kreiselschlagen, Kinderspiele, Äpfel klauen, oft ganz viele.

Niemals außer Landes gewesen, aber in Ennest Kartoffeln gelesen.

Ringschlagen und Versteckenspiel, Spielsachen, die hatten wir nicht viel,

Panhas lecken, Rollschuh laufen, und für ´nen Groschen Eis mal kaufen.

wir spielten Räuber und Schanditz, im Auto war kein Kindersitz.

Handy noch ein Fremdwort war, wenn man uns brauchte, waren wir da.

Aus Runkeln machten wir Fackeln gerne, es gab noch keine elektrische Laterne.

Zanken, schlagen und vertragen, oft Blessur davon getragen.

Fahrrad oft ein uraltes war, Gangschaltung war noch nicht da.

Und zu Hause statt zu trösten, gab´s noch Schläge auf den Entblößten.

Fahrrad oft zu klein, zu groß, kein Helm, der Kopf war immer bloß.

Tee aus Stutenkerlpfeifen rauchen, heute manche Haschisch brauchen.

Der Name Fahrrad war bekannt, wird heute Mountainbike genannt.

Kein McDonalds, keine Pizzastube, was wir brauchten, gab´s in Müllers Bude.

Schuhe selten mal gekauft, wurden von Geschwistern aufgebraucht.

Fettes Essen allemal, Cholesterin war uns egal.

Fußballspiel und Klingelmännchen, Kreis und Ballspiel für die Mädchen.

Bekommen ist es allen doch, hurra, denn wir leben noch.

Die damals Kleidchen trugen schon, es war vor der Emanzipation.

Früher war´s nicht besser, das ist klar, aber anders, das ist wahr.

Mädchen hatten Schürzchen um, spielten Plumpsack, der geht um.

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Die katholische Kirche in der Nazizeit in Attendorn von Josef Hormes (+)

Der Nationalsozialismus war ein aus der Not der Zeit herausgeborenes Kind. Acht Millionen Arbeitslose. Zum „Stempeln“ mussten die Attendorner wöchentlich einmal zum Annohaus an der Finnentroper Straße. Hier bildete sich eine Kette bis zum Marktplatz. Ich kann mich noch an ein Ehepaar erinnern, das wöchentlich fünf Reichsmark an Unterstützung bekam. Übrigens gab es meines Erachtens damals nur zwei Möglichkeiten: Entweder Kommunismus oder Nationalsozialismus – die Demokratie war leider am Ende ihrer Kraft.

Juden hat der Papst allein durch die Aufnahme in den Vatikan das Leben gerettet! Es ist doch nicht abzuleugnen, dass es gerade die katholische Kirche und auch die bekennende evangelische Kirche waren, die noch allein gegen die Nazis in der Opposition standen. Den vielen anderen Gegnern war doch die Gelegenheit schon lange genommen. Die Deutschen Christen mit ihrem Reichsbischof Müller haben hier allerdings eine üble Rolle gespielt.

Nun zum eigentlichen Thema:

Der damalige Dechant Richard Schwunk hat vor der sogenannten Machtergreifung und erst recht nachher keine Predigt gehalten, in der er nicht die Nazis direkt oder indirekt angegriffen hat. Er hat vor 1933 immer wieder vor den Nazis gewarnt. Er ging dabei sogar soweit, dass er die Kirchenbesucher in der Predigt auffordert: Ihr müsst Zentrum wählen, ihr müsst die Tageszeitung „Tremonia“ lesen.

Wie sah es nun in Attendorn aus?

Man kann es einfach nicht mehr hören: Die Kirche war mitschuldig an den Gräueltaten der Nazis, besonders an der Judenverfolgung. Was schiebt man heute Papst Pius XII. alles in die Schuhe, wie er bei der Vernichtung der Juden untätig gewesen sei. Ihm waren doch auch die Hände gebunden. Im Nachhinein kann man gut kritisieren. Die größten Kritiker sind nämlich die Leute, die den Nationalsozialismus überhaupt nicht miterlebt haben. Man hat doch damals den Lauf der Dinge genauestens mitverfolgt. Der Papst hat seine Stimme immer wieder erhoben. Aber keiner hörte auf ihn! Wenn Pius XII. noch stärker gegen die Nazis aufgetreten wäre, so stellte man fest, wäre Hitler noch radikaler gegen die Juden vorgegangen. Ganz bestimmt hätte er dabei nicht den gesamten Klerus in Deutschland vergessen. Wie vielen

Hier möchte ich auch nicht unerwähnt lassen, dass Dechant Schwunk auch vor 1933 immer wieder gegen den Kommunismus zu Felde zog. Die Kommunisten hatten damals eine Parteiveranstaltung auf dem Marktplatz angesagt. So wie der Redner loslegte, ließ der Dechant alle Glocken läuten. Nachdem sie wieder abgestellt wurden, begann der Redner wieder. Die Glocken läuteten nun erneut. Dieser Wechsel vollzog sich dann noch ein-

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Mir wurde später einmal von einem Jugendlichen gesagt: „Warum habt ihr die Nazis dann gewählt?“ Da konnte ich ihm zur Antwort geben, dass das jeweilige Wahlergebnis (99,9%) schon am Abend vorher feststand.

mal. Die Versammlung wurde dann beendet. Nach dem 30. Januar 1933 mussten auch alle Kirchen die Hakenkreuzfahne zeigen. Unser Dechant ließ daraufhin eine kleine Hakenkreuzfahne (mehr einen Wimpel) aus dem Turm heraushängen. Die Reaktion von den „Braunen“ kam sofort. Ihm wurde zur Auflage gemacht, ab sofort eine große Fahne zu zeigen.

Ein überzeugter Nazi sagte mir einmal: „Wenn euer Schwunk nicht aufhört zu hetzen, dann knallen wir ihn von der Kanzel ab.“ Ein anderer meinte, man solle alle Kirchenbesucher aufhängen. Auf dies und ähnliche Vorkommnisse kann man nur die Frage stellen: „Was hätte man denn dagegen unternehmen sollen?“ Diese Wortgewaltigen hatten doch ihre braunen Vorgesetzten voll im Rücken!

Anfang 1934 fand hier eine Mission statt. Bei der Abschlussfeier war sogar der Ortsgruppenleiter mit seinem Gefolge dabei. Sie bekamen einen Ehrenplatz in dem früheren Chorgestühl. Bei dem Lied Fest soll mein Taufbund… trugen sie einen brennende Kerze. Das war dann wohl auch das Ende zwischen Kirche und Partei!

Im Jahre 1942 wurde hier die Feldprozession verboten. Trotz des Verbots zogen etwa 300 Attendorner (ohne Geistliche) die alten Wege. Einige Zeit nach der Prozession wurden dann Josef Hoffmann, Josef Hüttemann und mein Vater als angebliche Initiatoren der Prozession von der Gestapo in die sogenannte Steinwache nach Dortmund befohlen. Mein Vater wurde u.a. mit 300,- Reichsmark Geldbuße bestraft. Da er zu der Zeit kein Einkommen hatte, gab er zur Antwort, man solle das Geld von seinen vier im Felde stehenden Söhnen vom Sold einhalten! Daraufhin wäre der Gestapobeamte Buschmann vor Wut rasend geworden. Dechant Schwunk wurde dann in diesem Jahre aus Attendorn nach Thüringen verbannt, wo er bis zum Ende des Krieges blieb. In der Nazizeit gab es überhaupt nur drei Möglichkeiten, um „überleben“ zu können. 1. Man war strammer Partei-

Missionskreuz, Eigentum der kath. Kirchengemeinde St. Johannes Baptist, Attendorn. Foto: Claus Ortmann

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Wer hat sich nun eigentlich von den verantwortlichen Nazigrößen für ihre Verbrechen bis heute entschuldigt? Ich kannte nur eine Frau, die das älteste Parteibuch von Attendorn hatte. Nach dem Kriege zog sie wieder nach Attendorn und lebte ganz erbärmlich in einer kleinen Baracke. Sie hat mir zigmal gesagt: „Meinen jetzigen beklagenswerten Zustand habe ich wirklich verdient.“

soldat. 2. Man versuchte mit großer Diplomatie nicht besonders aufzufallen oder 3. man wurde zum Märtyrer. Es dürfte auch hier den Kritikern nicht entgangen sein, dass etliche Geistliche im KZ landeten bzw. ermordet wurden! Hier noch eine Erinnerung an den früheren Vikar Hammecke aus Ennest, der wegen einer Äußerung auf der Kanzel zum Verhör beordert wurde. Er gab bei der Vernehmung klar zur Antwort: „Ich bin bereit, für Christus zu leiden.“ Da frage ich wieder, was musste denn noch alles getan werden. Zur Zeit werden die Opfer gern zu Tätern gemacht! In der Nazizeit sagte mir mal ein echter Gegner der „Braunen“: „Man kann nur die Faust in der Tasche machen!“ Genauso war es.

Zum Schluss noch ein Ausspruch von Hitler in einer seiner Reden: „Mit der katholischen Kirche werde ich nach dem Kriege abrechnen!“ Josef Hormes, im April 2000

Anmerkung der Redaktion: Josef Hormes hat dem Verein für Ortsund Heimatkunde Attendorn e.V. eine Reihe von Artikeln hinterlassen, die wir in loser Folge veröffentlichen. In diesen Beiträgen, die um das Jahr 2000 entstanden sind, blickt er zurück auf sein Leben und rückt historische Ereignisse in den Attendorner Kontext. Er gibt dabei seine ganz persönliche Sicht der Dinge wieder und hat bei der Übergabe seiner Texte darum gebeten, seine Berichte ohne Kürzungen zu veröffentlichen.

Unter den vielen Mitläufern hier hat es auch genügend Leute gegeben, die wirklich keine andere Wahl hatten. Ich kannte Katholiken, die ihres Berufes wegen oft sonntags in einem Nachbarort zur Kirche gingen. Übrigens hierzu: Nikodemus hat Jesus auch schon bei Nacht aufgesucht! Kurz nach der sogenannten Machtergreifung fand am Feuerteich ein Vorbeimarsch der SA und SS statt. Auf der Ehrentribüne war sogar ein Vikar aus dem Sauerland. Er hat wohl geglaubt, dass Hitlers „Mein Kampf“ nicht so gemeint war. Er wurde aber schon bald eines Besseren belehrt. Sicher hat es im Laufe der Jahrhunderte Päpste und Bischöfe gegeben, die sehr viel Unheil angerichtet haben. Aber – kann man denn dafür die von Christus eingerichtete Kirche verantwortlich machen? Hatte doch Jesus schon unter seinen 12 Aposteln einen Verräter. - 53 -


Zum Ende des zweiten Weltkrieges in Attendorn im Bereich Wassertor/ Am Gerbergraben von Georg Ortmann

Zeichnung: Georg Ortmann

Nachempfundene Situation rund um das Wassertor vor dem Einzug der Amerikaner am 11. April 1945. Die StraĂ&#x;en wurden nach dem Bombenangriff von Anwohnern

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und Helfern notdürftig frei geräumt, auch Kriegsgefangene unter Bewachung wurden hierzu eingesetzt.

Zeichnung: Georg Ortmann

Haus Stern, Ostwall 93, vor dem Bombenangriff am 28. März 1945, Ansicht der Westseite. Beschreibung der Westseite nach dem Bombenangriff: Das Haus hatte den Bombenangriff verhältnismäßig unbeschädigt überstanden. Man denke an die völlig zerstörten Häuser Rodomski, Kolpinghaus und die, in unmittelbarer Nähe stehenden, Reihenhäuser am Gerbergraben. Die Westseite des Hauses Stern zeigte eine, vom Luftdruck verursachte, leichte Schieflage des Türmchens. Das Gitter am kleinen Balkon war zerstört. Die Dachrinnen und Fallrohre hingen in mehreren Teilen herunter. Fenster und Rollläden waren zersplittert, und der Putz hatte überall Beschädigungen, die teilweise bis auf das rote Ziegelmauerwerk reichten. Aus den Fenstern und vom Balkon hatte man den Blick auf das unfassbare Zerstörungswerk. - 55 -



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