Johannes Rivius Attendoriensis

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Johannes Rivius im Jahre 1541 (aus: Heinrich Pantaleon, Prosopographiae herorum atque illustrum virorum totius Germaniae; Artikel Rivius; vol III, Basel 1546, p. 243) 22


Motiv 端ber dem Haupteingang

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Johannes Rivius Attendoriensis Bruno Hesse Im Hinblick auf die vielen Neugründungen von Gymnasien im weiten Umkreis Attendorns entstand 1975 der Wunsch, der ältesten und lange Zeit einzigen höheren Schule im südlichen Sauerland, die bis dahin schlicht ”Gymnasium Attendorn” hieß, einen Namen zu geben. Man entschied sich für Rivius. Wer war dieser Mann und was waren seine Verdienste? Wir müssen zurückgreifen in die Zeit um 1500. Damals setzte sich in Deutschland der Renaissance - Humanismus durch, der in Italien entstanden war und in Kunst und Literatur wieder die Vorbilder und Ideale der Antike aufzugreifen suchte. Die einst hohe Scholastik hatte sich nicht fortentwickelt und war in der steten Berufung auf Autoritäten erstarrt. Philosophie und die lateinische Sprache waren nur noch Dienerinnen der Theologie und in diesem Dienst verkümmert. Griechisch war seit der Kirchenspaltung von 1054 verdrängt und fast völlig vergessen. Erst durch die Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 und die Flucht vieler Gelehrter geriet es wieder in den Blick des Westens. Zugleich mit der Wiederbelebung der alten Sprachen setzte die neue Bewegung des Humanismus auf die ganzheitliche Bildung von Geist und Körper des individuellen Menschen und auf dessen Freiheit des Gewissens. In diese geistig rege Zeit des Umbruchs und Neubeginns wurde am 1. August 1500 Johannes Rivius geboren. Der Vater, wohl ein Goldschmied in Attendorn, überließ den begabten Jungen der Lateinschule des Pfarrers Tilmann Mülle. Rivius hatte nicht nur das Glück, am Ort eine Lateinschule zu haben, damals und lange Zeit danach die einzige in dieser Region, sondern auch eine Ausbildung in den neuesten Ideen der Zeit zu finden. Der Pfarrer hatte deswegen manchen Ärger mit seinen Vorgesetzten, die solch einer dem Diesseits zugewandten Bildung misstrauten. Rivius vollendete seine Studien an der Universität Köln und war mit 23 Jahren als Lehrer für Latein, Griechisch und Philosophie für seine Heimat überqualifiziert. Er zog rheinwärts, studierte da und dort alte Handschriften und hörte davon, dass es in Leipzig einen Kreis

tüchtiger Humanisten gebe. So wandte er sich nach Sachsen, das damals ein aufstrebendes Land war und wegen der Silberfunde im Erzgebirge auch wohlhabend. Rivius fand rasch Zutritt in den Kreis der Gebildeten und fand mit 24 Jahren durch Leipziger Vermittlung eine erste Stelle am Stadtgymnasium in Zwickau. Wir wollen die einzelnen Stationen seines Lebens hier nicht weiter verfolgen. Fest steht, dass er an allen Orten seines Wirkens sehr erfolgreich war und auch Neuerungen wagte, wie die Erklärung der lateinischen Grammatik in deutscher Sprache. So erregte er schließlich die Aufmerksamkeit des Herzogs Heinrich, der ihn in die Residenzstadt Freiberg (Erzgebirge) berief als Studienleiter für den jüngeren Prinzen August. Diese Aufgabe führte ihn wenige Jahre später nach Leipzig zurück und von da nach Dresden, wo inzwischen der ältere Prinz Moritz die Regierung übernommen hatte. Moritz ernannte Rivius zum Inspektor für die neugegründeten Fürstenschulen in Meißen, Grimma und Pforta. In Meißen starb Rivius am 1. Januar 1553 an der Pest. Seine Lebensleistung umfasst nicht nur die Tätigkeit eines hochgestellten Fachmannes für Schule und Bildung, sondern auch eine reiche philologische und in dieser religiös aufgewühlten Zeit auch theologische Arbeit. Die heutigen Zeitgenossen genießen die Früchte von über 400 Jahren Philologenarbeit und können kaum ermessen, in welch jämmerlichem Zustand die Handschriften antiker Autoren waren, fehlerhaft und kaum lesbar. Rivius selbst berichtet davon, wie schwierig und zeitraubend die Arbeit an den Texten war. Besonders aktuell waren wohl die Untersuchungen am Werk des Historikers Sallust, wie aus vielen Briefen der damaligen Zeit und an den vielen Stationen, die dort erwähnt werden, zu ersehen ist: Freiburg, Bourges, Paris, Lyon, Verona, Brixen und schließlich Meißen, Annaberg, Freiberg. Auskunft darüber gibt eine bibliophile Kostbarkeit, die das Attendorner Rivius-Gymnasium 1982 erwerben konnte. Die Kommentare des Rivius sind hier nach Sitte der Zeit rahmenartig um den Sallusttext gedruckt, zusammen mit Erklärungen 23


anderer Humanisten. Das Buch, das auch Briefe von Rivius an hochgestellte Personen enthält, ist 1547 in Venedig gedruckt worden und zeigt im wohl später neu angefertigten Buchdeckel das Wappen von Nantes.

4. Ein Sammelband von 580 Seiten, pergamentgebunden in Oktavform, mit Schriften des Rivius zu Grammatik, Dialektik, Rhetorik, gedruckt zwischen 1550 und 1556 in Lyon.

In seinen Theologischen Schriften nimmt der fromme Mann, der 1531 noch vor den revolutionären Umtrieben des radikalen Predigers Thomas Münzer Zwickau verließ, Partei für die Kirchenkritik Luthers, ohne jedoch die katholische Lehre gänzlich aufzugeben. Auch die Verbindung zur Heimatstadt blieb wenigstens über seinen Namen stets erhalten. Bis zu seinem Tode nannte er sich Johannes Rivius Attendoriensis. Stadt und Schule taten 1975 gut daran, diesen Namen zu wählen mit all seinen historischen und lokalen Bezügen zu Attendorn und in Hinsicht auf ein großes Vorbild.

5. Der schon erwähnte Sammelband zum Werk des Sallust mit den Reden Ciceros gegen Catilina sowie mit mehreren Briefen des Rivius, gedruckt 1547 in Venedig Im Besitz des Heimatmuseums sind: 1. De erroribus Pontificiorum, Basel 1546 2. De consolandis aegrotantibus, Basel 1546

Im Besitz des Gymnasiums sind folgende Bücher: 1. De perpetuo in terris gaudio piorum, Basel 1551 2. Historiae C. Crispi Sallustii etc. ex castigatione Ioan. Rivii Attendoriensis, Köln 1561 3. Joannis Rivius u.a: C. Crispi Sallustii Latinorum Historicorum Praestantissimi Opera etc., Basel 1564

Inschrift über der Eingangstür zur Aula des Rivius - Gymnasiums 24

Vergrößerter Ausschnitt aus der auf der übernächsten Seite abgedruckten Seite der Sallustausgabe aus dem Jahre 1547


Heinrich Pantaleon, Lebensbeschreibungen berühmter Männer Deutschlands (Übersetzung der lateinischen Ausgabe von 1566), Bd. III, Basel 1570, S. 245)

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Verkleinerte Seite 165 der Sallustausgabe von 1547

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Titelblatt und eine Textseite der lateinischen Grammatik des Johannes Rivius, gedruckt 1539

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