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WER SCHREIBT MEINE HAUSARBEIT?
Die Suche nach Ghostwritern zwischen Topfpflanze und Pax WER SCHREIBT MEINE HAUSARBEIT?
Wie findet man einen Ghostwriter? Was kostet die auftragsmäßige Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit? Wer sind die fremden Schreiber? Und ist das überhaupt legal? UniFRIZZ geht auf Spurensuche. ›› Text: Tamara Kämmerer
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Wissenschaftliche Hausarbeiten: fester Bestandteil eines jeden Studiums und in der Regel dazu da, um auf die Abschlussarbeiten eines Bachelor- oder Masterstudiums vorzubereiten. Obwohl mein Studium bereits zwei Jahre zurückliegt, erinnere ich mich noch, als sei es gestern gewesen: Kurz vor Abgabefrist kann man die Nervosität in den Seminarräumen regelrecht spüren. Zwischen Nebenjob, Referaten, Klausuren und was einem sonst noch dazwischen kommt, bleibt mal wieder keine Zeit, um sich intensiv mit diesem einen Thema auseinanderzusetzen. Oder die sogenannte Prokrastination, das Vertagen von anstehenden Abgaben, hat ihre Finger im Spiel. So oder so: Das Semester steht auf der Kippe. Und das alles nur, weil diese eine letzte Hausarbeit fertig werden muss. Wer es doch schafft, kurz vor knapp die durchschnittlich 7.000 verlangten Worte zu Papier zu bringen, minimum 40 Fußnoten zu platzieren sowie die dazugehörigen zehn Quellen im Literaturverzeichnis alphabetisch aufzuführen, ist letztlich so gebeutelt, dass nicht selten der Satz fällt: „Beim nächsten Mal engagiere ich wirklich einen Ghostwriter!“ GHOSTWRITER. Im Duden beschrieben als „Autor, der für eine andere Person, meist eine bekannte Persönlichkeit, schreibt und nicht als Verfasser genannt wird“. Bekannt waren die wenigsten, die ich während meines Studiums kennenlernte. Und auch wenn sich doch viele mal mit dem Gedanken an die Beauftragung eines fremden Verfassers der eigenen Prüfungsleistungen in Form einer Hausarbeit beschäftigt hatten, so wusste ich tatsächlich von niemanden, der den Wunsch wirklich in die Tat umgesetzt hatte. Von einem mir bekannten wahrhaften Ghostwriter ganz zu schweigen. „So jemanden findet man doch sicher nur im Darknet“, hatte ein Kumpel vermutet. Eine Spekulation, die mir über das Studium hinaus keine Ruhe ließ.
Wo findet man diese dubiosen Fremdautoren? Wie viel verlangen sie für ihre Leistung? Ist die ganze Sache denn so illegal, wie sie sich anfühlt? Ich wollte es herausfinden. Ich erfand eine Geschichte – mein fiktiver Großcousin benötigt einen fremden Texter, der für ihn seine Hausarbeit verfasst – und begab mich auf die Suche.
EBAY-KLEINANZEIGEN: DAS DARKNET DER GHOSTWRITER Meine Suche begann – und endete – im Internet. Sie führte mich zunächst auf die Seiten verschiedenster seriös wirkender Anbieter. Es überraschte mich, dass gleich mehrere Ghostwriter-Agenturen online und unverhohlen um Kunden buhlen und ihre Dienstleistungen öffentlich anbieten. Auf Nachfrage beschrieb man mir den Kundenstamm als branchenübergreifend und die Gründe einer Beauftragung als vielfältig. Die Nachfrage sei insbesondere für Lernskripte, Bücher und natürlich akademische Arbeiten sehr hoch. Wettbewerber seien oft nur auf das schnelle Geld aus, man selbst allerdings habe die zuverlässigsten, erfahrensten und schnellsten Schreiber. Es werde natürlich Wert gelegt auf die Vermittlung eines nachweislich qualifizierten Autors, denn man verstehe sich als professioneller „Coaching-Partner“. Doch wer sind die Autoren, wollte ich wissen. Also recherchierte ich weiter und wurde fündig auf Ebay-Kleinanzeigen zwischen Ikea-Möbeln und Gartenzubehör: „Ich schreibe deine Hausarbeit! Mathe, Biologie, Geografie, ganz egal“ oder auch „Studentin der Wirtschaftswissenschaften schreibt deine Hausarbeiten“. Ich schrieb die Inserenten an. Doch vorher wollte ich auf Nummer Sicher gehen: Ist Ghostwriting eine Straftat? Der Deutsche Hochschulverband (DHV) bemüht sich seit geraumer Zeit um die Einführung des „Wissenschaftsbetrugs”, doch der Gesetzesvorschlag wurde bisher nicht als Straftatbestand anerkannt. Das Verfassen von Texten im Namen anderer ist also per se nicht verboten. Und die Erteilung des Auftrags? Hier ist die Sache etwas komplizierter. Eine jede akademische Arbeit (sei es Hausarbeit oder Abschlussarbeit) enthält eine eidesstattliche Erklärung, in der sich der Studierende dazu verpflichtet, den Text eigenständig zu verfassen. Exmatrikulation oder Bußgelder sind die Konsequenzen, sollte man eine von „Geisterhand“ geschriebene Arbeit als die eigene einreichen. Abzugrenzen ist dieser Sachverhalt jedoch vom Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt, das die Verwendung eines vorgefertigten Werkes als Mustervorlage lediglich als Absicherung des aktuellen Forschungsstands bezeichnet und damit für legal erklärt. Was mir die angefragten Anbieter im Chat anboten, ging allerdings über eine „Mustervorlage“ hinaus. „Im Fach Soziologie habe ich viele Haus-, Seminar- und Bachelorarbeiten verfasst. Die Kunden waren zufrieden“, erzählte mir eine Ghostwriterin, die ganz offen mit Vor- und Nachnamen auftrat. Sie berechne ab 24 Euro pro Seite, abhängig von Abgabedatum und Seitenzahl der Arbeit. Die Variabilität bestätigte mir auch mein zweiter Chatpartner. Es komme „halt immer auf das Thema an. Beispielsweise Mathe füllt schnell ein paar Seiten“, denn da könne man gut mit Formeln und Skizzen arbeiten. Der Preis bewege sich für fünf Seiten um die 90 Euro. Anfrage Nummer drei wurde mit den präzisen Angaben von „16 Euro Seitenpreis, bei Schriftgröße 12, Schriftart Arial, einem Zeilenabstand von 1,5 und normalen Seitenrändern“ beantwortet. Man habe in den verschiedensten Fachbereichen Erfahrung und könne auch multilingual verfassen. Ausschließlich seriöse Quellen seien eine Selbstverständlichkeit. Plagiat ausgeschlossen. Einen enger gefassten Rahmen an Möglichkeiten bot mir eine Juristin, die sich etwas Geld mit Ghostwriten dazu verdiente: „Bei zwei Wochen Erstellungszeit sind wir preislich bei 800 bis 1.500 Euro. Den genauen Preis kann ich allerdings nach Angabe aller relevanten Punkte nennen. Unter 800 Euro wird es aber sicherlich nicht realisierbar sein“. Auch wenn sie preislich mit am höchsten auftischte, so hätte ich in sie doch das größte Vertrauen gehabt – vielleicht weil sie die einzige war, die fehlerfrei chattete. Meine Recherche ging nicht über die reine Anfrage hinaus. Sie brachte mir eine Erkenntnis: Ich bin froh, nicht früher auf die Suche gegangen zu sein. Denn ich wäre wohl der lukrativen Tätigkeit eines Ghostwriters nachgegangen, um meine Finanzen aufzubessern. Und dabei hätte ich sicherlich meine eigenen Hausarbeiten bis zum Sankt Nimmerleins vertagt und noch länger studiert.
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