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Sag mir, wer ich bin

LORENA GÄRTNER

Lange Zeit fristeten Horoskope auf den letzten Seiten von Klatschblättern ihr Dasein. Sätze wie „Venus hilft flirtlustigen Schützen auf die Sprünge“ las man dort leicht beschämt. Doch seit einigen Jahren boomt der uralte Kult um Sternenkonstellationen und Wahrsagerei in den sozialen Medien. Vor allem die Generation Y sucht Antworten auf die Fragen des Lebens oft in den Sternen. Die liefern ihnen heutzutage Menschen wie Megan Fox oder Palina Rojinski und kosmisch interessierte Rapper via Instagram. In der Folge werden Tinder-Dates nach ihrem Aszendenten ausgewählt und Friseurtermine nur bei abnehmendem Mond vereinbart. Und das, obwohl die Wissenschaft sich stets bemüht, zu erklären, warum Horoskope vor allem Hokuspokus sind. Angenommen, ein Zwölftel der Menschheit ist jeweils im Zeichen der

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Jungfrau oder des Stieres geboren – schwer vorstellbar, dass dieses Zwölftel am gleichen Tag das gleiche Schicksal erfährt. Doch vielleicht offenbart die boomende Astrologie nicht die Verblödung einer kompletten Generation, sondern schlichtweg die Sehnsucht mancher, sich als Vereinzelte in einem Kosmos aufgehoben zu wissen. Die Sehnsucht nach ein bisschen Orientierung und Entscheidungshilfe, nach Spiritualität, nach Seelsorge light. Die New York Times etwa sieht in dem Trend eine Art Religionsersatz der jungen Erwachsenen in Krisenzeiten. Und vielleicht ist es besser, im Zeitalter der Unsicherheit an Sternbilder zu glauben, als die Hoffnung gänzlich zu verlieren und sich machtlos überall lauernden Gefahren ausgesetzt zu sehen. Wohldosierter Eskapismus hat ja schließlich noch niemandem geschadet.

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