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Innovation und Covid-19 Die Entwicklung innovationssystemrelevanter Trends im Kontext der Covid-19-Pandemie
Wie werden sich Innovationssysteme in Zukunft entwickeln? Dies ist eine der zentralen Fragestellungen, mit der sich die Institute des Fraunhofer-Verbunds Innovationsforschung auseinandersetzen. Zur Unterstützung des Verständnisses und der Gestaltung erfolgreicher Innovationssysteme durch Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft haben wir im Jahr 2018 im Impulspapier »Wandel verstehen, Zukunft gestalten. Impulse für die Zukunft der Innovation« fünf Thesen zum Wandel von Innovation bis zum Jahr 2030 zur Diskussion gestellt (Fraunhofer-Verbund Innovationsforschung (Hrsg.) 2018; Bauer und Schimpf 2020).
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Die Covid-19-Pandemie hat im Jahr 2020 nahezu alle Lebensbereiche krisenhaft betroffen. Innovation eröffnet einerseits Wege aus der Krise. Andererseits sind zahlreiche Aspekte von Innovation selbst den Auswirkungen der Krise unterworfen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie sich die Covid-19-Pandemie auf die Zukunft der Innovation auswirkt. Diese Frage wollen wir im Folgenden diskutieren, indem wir das Impulspapier »Wandel verstehen, Zukunft gestalten. Impulse für die Zukunft der Innovation« einer pandemiebedingten Überprüfung unterziehen. Ausgehend von den 2018 identifizierten, innovationssystemrelevanten Trends und entwickelten Thesen möchten wir uns hierzu gemeinsam mit Ihnen erneut auf eine Zeitreise in das Jahr 2030 begeben, um von dort aus die Auswirkungen von Covid-19 auf Innovationssysteme rückblickend zu reflektieren und die damit einhergehenden Chancen und Risiken näher zu beleuchten.
Die Entwicklung innovationssystemrelevanter Trends im Kontext der Covid-19-Pandemie
Um den Wandel von Innovationssystemen zu verstehen, gilt es, die wichtigsten Einflussfaktoren zu kennen und zukünftige Entwicklungstrends einzuschätzen. In unserem Impulspapier haben wir fünf innovationssystemrelevante Trends identifiziert, priorisiert und auf Basis von Experteneinschätzungen in die Zukunft projiziert. Diese Projektionen seien im Folgenden im Kontext der Covid-19-Pandemie auf den Prüfstand gestellt:
Die digitale Transformation eröffnet neue Perspektiven für den Innovationsprozess. Die treibende Kraft der digitalen Technologien wird zu einer zunehmenden intelligenten Vernetzung von Personen und Objekten führen. Die Covid-19-Pandemie hat diese Entwicklung auf vielfältige Art und Weise beschleunigt, weshalb sie auch als Digitalisierungs-Booster oder -beschleuniger bezeichnet wird (Danzinger und Hossbach 2020; Hofmann et al. 2020). Vor allem erzwang die Pandemie vielerorts das Arbeiten aus dem Home-Office, woraus in großem Umfang die Digitalisierung bisher analoger Kommunikation und Interaktion resultierte.
Daneben beschleunigte die Pandemie die Digitalisierung ganzer Geschäftsmodelle sowie eine weitere Digitalisierung der Produktion. Mit Blick auf das Jahr 2030 gehören die Digitalisierung und der Einsatz von künstlicher Intelligenz zu den wichtigsten Trends, die Innovationssysteme prägen werden.
Die mit der digitalen Transformation und einer steigenden Konvergenz von Disziplinen und Branchen einhergehende, kontinuierlich wachsende Komplexität von Innovationssystemen ist seit Jahrzehnten ein beständiger Begleiter im Umgang mit Innovationen. Die Covid-19-Pandemie hat diese Komplexität um neue Aspekte erweitert. Aktuell ist zu beobachten, dass in strategische Innovationsentscheidungen verstärkt Themen wie Krisenmanagement und die Resilienz von Innovationssystemen einbezogen werden. Auch wenn das längerfristige Maß des Einflusses der Covid-19- Pandemie schwer absehbar ist, kann für die Zukunft in jedem Fall von einer weiter ansteigenden Komplexität von Innovationssystemen ausgegangen werden.
Die zunehmende Breite der Akteursbasis im Innovationsprozess resultiert sowohl aus der wachsenden Komplexität als auch aus dem Trend hin zur Entwicklung ganzheitlicher Lösungen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie die Nutzung von Open-Innovation-Ansätzen und Plattform-Modellen werden daher in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Per Saldo wird die Covid-19- Pandemie auf den Trend hin zu einer breiteren Akteursbasis voraussichtlich einen neutralen Effekt haben. Denn einerseits erschwert die Digitalisierung von Kommunikation und Interaktion die Vertrauensbildung im direkten persönlichen Kontakt. Andererseits wird durch die Digitalisierung die Einbindung von global verteilten Akteuren erleichtert. Ebenso sind als Reaktion im Krisenmanagement sowohl eine Öffnung von Innovationssystemen und damit einhergehend eine zunehmende Breite der Akteursbasis als auch das Gegenteil in Form größerer Innovationstiefe entlang des Innovationslebenszyklus mit einhergehender Vor- und Rückwärtsintegration von Innovationsaktivitäten in Unternehmen zu beobachten. Basierend auf den ursprünglichen Annahmen ist daher von einer weiterhin wachsenden Verbreiterung der Akteursbasis in Innovationsprozessen bis zum Jahr 2030 auszugehen.
Die immer häufigere Nutzung von Open-Science-Ansätzen kombiniert mit der zunehmenden Vernetzung und Digitalisierung aller Lebensbereiche führt zu einer immer höheren Verfügbarkeit von Wissen. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf diese Entwicklung sind kaum eindeutig zu beurteilen. Als Antwort auf die Krisensituation ist sowohl eine steigende Nutzung von offenen Ansätzen als auch eine verstärkte Zurückhaltung bei der Teilung von Wissen zu beobachten. Entsprechend ist bis zum Jahr 2030 von der Fortführung des längerfristigen und krisenunabhängigen Trends hin zu einer vermehrten Verfügbarkeit von Wissen auszugehen.
Im Rahmen der zunehmenden Nutzerzentrierung in Innovationssystemen entwickeln sich Innovationen immer stärker in Richtung ganzheitlicher und systemischer Lösungen, in denen Produkte, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle kombiniert entwickelt werden. Dieser Trend bleibt von der Covid-19-Pandemie relativ unbeeinflusst, so dass sich Innovationssysteme bis 2030 weiter in verstärktem Maße daran orientieren werden, welchen Wert eine Innovation für deren Nutzer hat.
Zusätzlich zu den innovationssystemrelevanten Trends, die im Impulspapier dargestellt wurden, zeichnen sich im Kontext der Covid-19-Pandemie neue Entwicklungen ab, die das Potenzial haben, Innovationssysteme bis zum Jahr 2030 wesentlich zu beeinflussen. Ein Trend, der durch die Covid-19-Pandemie in allen Branchen und Gesellschaftsbereichen verstärkt wurde, ist das steigende Nachhaltigkeitsbewusstsein. Hier sollte die Krise als Chance auf dem Weg zur durchgängigen Integration von Nachhaltigkeit in Innovationssysteme begriffen werden (Bodenheimer und Leidenberger 2020; wpn 2020). Ein anderer Trend im Kontext der Covid-19-Pandemie ist die Veränderung des Verständnisses von Arbeit und deren Bewertung. Hier ist zunehmend eine Ergebnisorientierung zu beobachten, die insbesondere aus der pandemiebedingten Notwendigkeit zur Arbeit im Homeoffice resultiert (Bockstahler et al. 2020, S. 44–47). Auf allen gesellschaftlichen Ebenen hat die Pandemie darüber hinaus Sensibilisierung bezüglich der Themen der Technologie- und Innovationssouveränität geführt. Diese Souveränität wird dabei als die Fähigkeit verstanden, die Technologien oder Innovationen, die als kritisch für Wohlfahrt, Wettbewerbsfähigkeit und Handlungsfähigkeit definiert werden, eigenständig vorzuhalten und weiterentwickeln zu können, oder ohne einseitige strukturelle Abhängigkeit beziehen zu können (siehe Edler et al. 2020, S. 4).
Über diese innovationssystemrelevanten Trends hinaus hat die Pandemie zu einer erhöhten Unsicherheit in Märkten und Unternehmen geführt. Bezüglich der Entwicklung von Innovationen konnte in der Vergangenheit beobachtet werden, dass eine solche Unsicherheit zur Reduktion mittel- und langfristig orientierter Innovationsbudgets führen kann. Schon jetzt sind bereits entsprechende Auswirkungen auf aktuelle und geplante Innovationsaktivitäten zu beobachten (EFI 2021, S. 20–26). Eine solche Reduktion sollte jedoch im Blick auf die permanente Anforderung, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, so weit wie möglich vermieden werden.