Johannes Oberth端r
GALERIE VILLA KÖPPE
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Johannes Oberthür „Sehstücke“
Wien 2011 Residenz des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland
Grußwort „Am 15. November 2011 habe ich anlässlich der vienna art week eine Ausstellung in der Residenz in Wien eröffnet. Der deutsche Künstler Johannes Oberthür aus Berlin zeigte abstrakte Arbeiten aus den letzten fünf Jahren. Es handelte sich um groß- und kleinformatige Aquarell- und Ölbilder, die in ihrer geradlinigen Strenge und intensiven Farbigkeit einen spannenden Gegenpol zu den gediegen eingerichteten, repräsentativen Räumen der Residenz bildeten. Die Eröffnung war denn auch ein voller Erfolg. Die Ausstrahlung der Exponate war dazu angetan, Licht und Freude zu verbreiten. Der Geist der Bilder besteht augenscheinlich darin, Offenheit zu erzeugen, Beziehung zu stiften. Damit bringen sie die Intentionen der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland prägnant zum Ausdruck. Nun freue ich mich, dass zu der Ausstellung ein Katalog erscheint. Für diesen und für alle weiteren Projekte wünsche ich dem Künstler Johannes Oberthür gute Inspiration und weiterhin viel Erfolg!“ Hans Henning Blomeyer-Bartenstein, Botschafter der Bundesrepublik Deutschlands in Wien
Heidrun und Raphael Rosenberg Blicke Bahnen – Neues Schaffen Zur Malerei von Johannes Oberthür Kunst und Wissenschaft sind in ihrem Telos verwandt. Ihre Medien und Methoden unterscheiden sich bisweilen deutlich, ihre Ziele stehen jedoch unter ein und demselben Vorzeichen, Neues zu schaffen. Aus der in beiden Sphären kultivierten „Neu-Gier“ entsteht ein vielfältiger Kosmos von innovativen Ideen, Formen und Dingen. Während einer Podiumsdiskussion zum Thema „Künstlerisches Experimentieren“ stellte im Oktober 2011 der Bildhauer und Rektor der Düsseldorfer Akademie, Tony Cragg, fest, es gäbe viel mehr Formen, die es nicht gibt, als Formen, die es gibt. Seine Aufgabe als Künstler sähe er darin, inexistente Formen zu gestalten und damit die Realität zu bereichern. Diese Definition trifft auf die Arbeit von Johannes Oberthür zu, der darüber hinaus sowohl Wissenschaftler (Philosoph) als auch Künstler (Maler) ist. Was ist sein „Forschungsgebiet“ in der Malerei? Worin liegt das Innovative seines bildnerischen Schaffens? Mit welchen Formen bereichert er unsere Lebenswelt? Ein erster Blick durch die Ausstellung in der Residenz des deutschen Botschafters in Wien, in der Oberthür Gemälde aus den letzten Jahren exemplarisch und gruppenweise gehängt hat, lässt schnell erkennen, dass seine Leinwände nicht im Sinne eines klassischen Tafelbildes als gerahmtes, kompositionell geplantes, vom Künstler Vor-Gesehenes konzipiert sind. Das Formenvokabular ist ungegenständlich und reduziert, ein handschriftlicher Duktus weitestgehend zurückgenommen. Eine eingehendere Betrachtung der Bilder zeigt, dass der Maler letztlich nur ein einziges elemen-
tares Gestaltungsmittel verwendet: Farbbahnen. Sie durchmessen geradlinig die Flächen seiner Leinwände über ihre gesamte Ausdehnung. Unablässig erkundet Oberthür die Mannigfaltigkeit, die sich aus der Kombination solcher Bahnen gewinnen lässt, aus der Vielfalt ihrer farbigen Zusammenstellung mit wechselnden Kontrasten und Farbstimmungen, aus der Modulation des Farbauftrags, die von aquarellartiger Lasur bis zur Pastosität variiert, aus der Schärfe und Unschärfe der Ränder einer jeden Bahn, schließlich und ganz besonders aus der Ausrichtung der Linien, auch im Verhältnis zum Format der Leinwand. Die Pinselführung verläuft überwiegend horizontal, gelegentlich auch vertikal. Die wenigsten Farbbahnen halten sich jedoch an das cartesianische Koordinatensystem. Teils geringfügig, fast unmerklich, teils auch sehr deutlich weichen sie ab in die Diagonale. Oberthür trägt die unterschiedlich breiten, unzähligen Bahnen nie ganz parallel zueinander auf und stets mit wechselnden Abständen, so dass sie Überlagerungen, Gewebe und Texturen bilden. Die Entschiedenheit ihrer Führung lässt die Fortsetzung der Farbbahnen häufig jenseits der Leinwandgrenzen vorstellbar werden, das Bild erscheint zuweilen als Ausschnitt aus Größerem. Dieses Hinauswachsen über die eigentlichen Grenzen der zweidimensionalen Bildfläche ist ein charakteristisches Wirkungspotential von Oberthürs Bildern. Vor dem Auge des Betrachters entsteht ein verwirrender eigengesetzlicher und eigenwertiger Raum aus flirrender Farbe und Licht, der schwer erinnerbar ist, nach immer wieder neuer Seherfahrung verlangt, aber niemals betreten werden kann. Er eröffnet sich nur dem Sehenden, bietet ihm aber keinen Ort. Die Radikalität, mit der der Künstler auf die Bedeutung des Sehens als „Schlüssel-Kompetenz“
zu seinen Bildräumen verweist, tritt besonders klar in dem 2009 entstandenen Bild „Das Ganze aus Seiltänzersicht“ zu Tage. Der Titel schon entzieht dem Betrachter den Boden und auch den Körper. Das Hochformat – in den Maßen 190 x 150 cm – überqueren sich kreuzende helle Schrägen in unregelmäßigem, doch ausponderiertem Rhythmus. Sie scheinen zunächst ein weniger scharf konturiertes Echo in dunkleren und andersfarbigen Farbbahnen zu finden, die allmählich zu einem blauen und violetten Farbnebel verschmelzen. Der mit dem Titel assoziierte beunruhigende Tiefenraum einer unbestimmten Fallhöhe deckt sich nicht mit der Schwerkraft-Erfahrung, die der Betrachter im realen Raum vor dem Bild hat. Oberthür evoziert ein körperloses Sehen in einen unbekannten Raum hinein, auf den sich das geläufige Oben und Unten nicht übertragen lässt. Das Experimentieren mit leichten Schrägen und dynamischen Richtungswechseln nimmt der Künstler in einer Reihe von weiteren Bildern auf, darunter auch Querformaten. Ohne eindringen zu können und den sich in den Überschneidungen manifestierenden Untergrund je zu erfassen, überquert das Auge die Bildfläche unruhig, schnell und immer wieder neu, von links nach rechts und rechts nach links Das Unergründliche, Bodenlose und zugleich nicht Einholbare der Dimensionen ist schließlich nochmals dezidiertes Thema einer 2011 entstandenen Gruppe von Werken, in der Oberthür mit dem Gegeneinandersetzen von Horizontalen und Vertikalen arbeitet. In „Kreuz und Quer im Quadrat“ setzen sich hintereinandergelegte Gitterstrukturen nach allen Seiten gleichmäßig ins Unendliche, in ein bildeigenes Universum fort: Die Farbbahnen changieren zwischen Illusionsträgern eines Raumes und Sperrbalken. Paradox ist die Situation des Betrachters: In dem selben Maße, in dem sich seinem Blick der Bildraum auftut, bleibt er selbst ausgegrenzt und auf
sich verwiesen. Ein Vergleich mit Bildern Gunther Fruhtrunks (1923-1982) verdeutlicht, worin die Besonderheit der ausgestellten Werke von Johannes Oberthür liegt. Jahrzehnte lang hat der aus dem Konstruktivismus kommende Fruhtrunk buntfarbige, kontrastreiche, streng parallele, orthogonale oder diagonale streifenförmige Bildflächen rhythmisch nebeneinander gesetzt. Seine Bilder verwirren das Auge des Betrachters – ganz im Sinne der Opart: Sie flimmern unruhig und täuschen Bewegung vor, spielen mit den bzw. gegen die Gewissheiten des Intellekts. Trotz struktureller Simplizität wirken sie schwer begreiflich. Oberthürs Bahnen sind im Gegensatz zu Fruhtrunks Streifen nicht geometrisch, sie erscheinen nicht konstruiert, tragen vielmehr die Spur des Eigenhändigen und laden zu längerer Betrachtung ein, die immer wieder in die existenzielle Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen individueller Seherfahrung mündet. Beide Maler sind aber darin vergleichbar, dass sie Schritt für Schritt, Jahr für Jahr mit einem bestimmten Formprinzip experimentiert und dabei immer neue Aspekte entwickelt haben. Gemeinsam ist auch, dass erst im Rückblick deutlich wird, worin dieses zu erforschende Formprinzip liegt und wie konsequent beide Maler darin eine eigene Herausforderung gefunden haben. Sie bereichern damit die Realität sowohl mit neuen Formen auf der Leinwand als auch mit neuen Erfahrungen für den Betrachter.
TAGEN ZWISCHEN TAG UND NACHT, 2011, ÖL/NESSEL, 140 x 190 cm
STUDIE FÜR DEINE GEGENWART, 2011, ÖL/NESSEL, 200 x120 cm
SIEHST DU, 2011, ÖL/NESSEL, 190 x 150 cm
DAS GANZE AUS SEILTÄNZERSICHT, 2010, ÖL/NESSEL, 190 x 150 cm
O.T., 2011, ÖL/NESSEL, 60 x 200 cm
KURZ VOR DER LÖSUNG, 2011, ÖL/NESSEL, 120 x 200 cm
ON, 2011, ÖL/NESSEL, 120 x 200 cm
AHNUNG VON DRAUSSEN, 2011, ÖL/NESSEL, 120 x 200 cm
IN ZUKUNFT VERSTRICKT, 2011, ÖL/NESSEL, 200 x 120 cm
KREUZ UND QUER IM QUADRAT, 2011, ÖL/NESSEL, 135 x 135 cm
FRÜHLING UND DAHINTER WINTER; 2011, ÖL/NESSEL, 190 x 150 cm
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