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KITELIFE STORYCONTEST YOUNG BLOOD CAMP OFFSHORE ODYSSEY LEINENCHECK
Kitelife 06 | Ausgabe 01-2008 | März/April Deutschland 4,80 € | A 4,80 € | CH 11,- SFR | Benelux 5,80 € | E/I 7,50 €
17.03.2008 16:32:57 Uhr
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offshoreodyssey Text Gavin McClurg übersetzt von Thomas Scheuring © Fotos Jody McDonald
Als Kind träumen wir davon, Pilot, Astronaut oder Arzt zu werden. Oder wir stellen uns vor, unseren Sport zum Beruf zu machen. Mein Traumberuf als Kind war Skiprofi und so trainierte ich einen Großteil meiner Jugend mit dem Ziel einer Skikarriere vor Augen. Alles Träume, die früher oder später für die meisten von uns den Anforderun-gen von Gesellschaft und der Verantwortung zum Opfer fallen. Schließlich lassen wir uns dann doch zu bereitwillig von Konventionen, Wohlstandsdenken und “Bedürfnis-sen“ vereinnahmen, die wir die neugierigen Kinder, die wir einmal waren uns zu eigen machen. Ich selbst habe über all die Jahre, vielleicht nicht immer erfolgreich, alles darangesetzt, diese unsichtbaren Ketten abzustreifen. Und ich habe immerhin auf diesem Weg ein paar Dinge gefunden, die dabei helfen, sich nicht zu sehr vereinnahmen zu lassen.
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in einfaches Beispiel: Umgib dich mit Leuten, die härter drauf sind als du selbst. Schließlich sind wir alle ein Produkt unserer Umgebung. Und such dir ein Umfeld mit Inspiration, in dem Grenzen nicht da bleiben, wo sie einmal waren. Wenn du dann noch hart arbeitest, wird dein Traum Realität. Ich gebe zu: Ich habe Angst vor einer vollständig verplanten Zukunft, hatte schon immer Angst davor. Es ist nicht einfach so, dass ich nicht weiß, was als Nächstes passieren wird – ich will es nicht unbedingt wissen.
Das ist es auch, was mich zum Kitesurfen gebracht hat. Mein Lebensunterhalt, oder besser mein Lebensinhalt, ist die Best Odyssey, unsere Kitesurfing-Expedition rund um die Welt, die niemals möglich gewesen wäre, wenn Kiter nicht ganz genauso denken würden. Wir Kiter sind ein besonderer Menschenschlag. Bereit, Risiken auf uns zu nehmen – für uns selbst, für unseren Körper, für unser Portemonnaie, immer auf der Suche nach Erfahrungen, die der Rest der Menschheit wohl nicht einmal für erstrebenswert halten würde. Lange bevor die Reise Realität wurde, dachte ich daran, wie gern ich einmal mit einem Pro aufs Wasser gehen würde. Ich bin von Natur aus nicht unbedingt ein guter Zuschauer, deshalb wollte ich nicht einfach nur am Strand sitzen – ich wollte mit aufs Wasser. Wollte genau wissen, was die Jungs treiben. Und natürlich ein paar Tricks dazulernen.
Wie es der Zufall will, bekam ich recht bald die Chance, Shannon Best und Clinton Bolton an Bord zu haben, um gemeinsam mit ihnen einen Kitesurfing-Film zu drehen. Diese Etappe unserer Expedition startete in Antigua, einer der Windward Islands in der Karibik. Ungefähr eine Stunde Fahrt entfernt von English Harbour, dem YachtZentrum Antiguas, liegt Green Island, eine von einem Barrier Reef umgebene Insel mit einem netten kleinen Strand als Startplatz und einer der schönsten Lagunen, die ich in den acht Jahren, die ich nun auf See unterwegs bin, je zu Gesicht bekommen habe. Unsere einzigen Begleiter waren Kolibris, Kakteen und ein Wind, der die nächsten zehn Tage nonstop blasen würde. Das Einzige, was einem ansonsten pefekten Start im Weg stand, war Shannon, der in Miami wegen Visaproblemen hängengeblieben war. Immerhin hatten wir strahlend blauen Himmel und perfekte Kitebedingungen ... Zeit, aufs Wasser zu gehen!
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Unser Boot, die Discovery, ist ein 18-Meter-Katamaran und ausgerüstet mit allem, was man für eine fünfjährige Weltumsegelung und die Erkundung neuer Kitespots braucht. Gemeinsam mit mir an Bord sind meine Partnerin Jody McDonald als Fotografin und unser Koch Nico, Franzose und ein Perfektionist am Herd, der das fantastischste Essen zaubert, das man sich vorstellen kann. Wir blieben zwei Tage zum Kiten vor Green Island, ohne einem anderen Boot oder auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Schließlich meldete sich Shannon mit der Nachricht, dass die Probleme mit seinem Visum ausgestanden waren, und wir segelten die paar Meilen nach Great Bird Island, um ihn am Flughafen abzuholen. Ich muss gestehen, mein erster Eindruck von dem heftig tätowierten Kerl, der mir am Flughafen gegenüberstand, war alles andere als brillant. Furchteinflößend würde es wohl eher treffen. Da waren wir, warteten gespannt auf Shannon, der gerade die Ankunftshalle verließ, und unser Kameramann Dave hielt die Szene auf Video fest. Alle hatten wir ein Lachen im Gesicht – außer Shannon. Das Erste, was ich ihn sagen oder vielmehr fluchen hörte, war: “Schalt die verdammte Kamera ab, ihr nehmt diesen Blödsinn da nicht auf.“ Dave hörte sofort auf zu filmen. Wir alle starrten betreten nach unten und ich für meinen Teil dachte mir: “Oh, das sieht gar nicht gut aus ...“ Zum Glück lag ich damit falsch und tatsächlich verbrachten wir miteinander eine der besten Wochen aller Zeiten. Auch wenn es das Ziel unserer Mission ist, neue Spots zu entdecken, habe ich das Gefühl, es ist besser, einige davon etwas vage zu lassen – und unser nächstes Ziel ist ein solcher Platz. Diesen Spot kann ich einfach nicht ruhigen Gewissens rausposaunen. Lasst uns diesen Platz, der alles hat, was einen perfekten Kitespot ausmacht, einfach „Paradise Beach“ nennen. Spiegelglattes Wasser. Ein Outside Reef Break, der nach links läuft. Palmen und puderweicher, rosafarbener Sandstrand. Massenweise Hummer und Sashimi. Trotz seines langen Fluges und der üblen Verspätung brauchte auch unser neuester Mitfahrer nicht lange, um sich zu entspannen. Ein Blick auf das Boot, die Lagune und den Wind – und er strahlte über das ganze Gesicht.
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Ich wusste wenig über Shannon, bevor wir uns trafen. Unsere Verbindung brachte es mit sich, dass wir gelegentlich mit dem ganzen Geschwätz, den Mythen, Lügen und Halbwahrheiten konfrontiert waren, die sich in irgendwelchen Internetforen abspielten. Alles, was ich über Shannon wusste, war, dass er ein Klotz von einem Kerl war, Australier, über und über mit Tatoos vollgepflastert, ein Typ, mit dem man sich besser nicht anlegen sollte. Während der ersten paar Tage hatte ich in der Tat das Gefühl, seine Teamkollegen seien irgendwie leicht eingeschüchtert von ihm. So wollten wir am nächsten Morgen eigentlich früh raus, um zu filmen. Als Shannon nicht zum Frühstück auftauchte, fragte ich Stacey, unseren ‚Team Manager’, ob er ihn vielleicht wecken könnte. “Hm, ist irgendwie nicht das, worauf ich gerade vorbereitet bin, sorry ... Er ist in seiner eigenen Zeit; er macht, was er will.“ O.K., verstanden, aber die Bedingungen waren gerade perfekt, und man braucht nun einmal Akteure, um einen Film zu machen. Also ging ich nach unten, klopfte an seine Kabinentür und prompt war er an Deck. Manchmal ist es eben nicht schlecht, der Kapitän zu sein. Aber ich sorgte dafür, dass er umgehend seine Zigarette und einen Kaffee bekam. Auch wenn ich nichts gegen Risiken habe – ich bin ja nicht verrückt! Wir blieben sechs Tage in unserem kleinen, abgeschiedenen Paradies. Die Sonne knallte uns den ganzen Tag auf den Kopf und wir zeigten ein paar Touristen, wie man einen Trainer-Kite fliegt. Wir filmten mehr als 20 Stunden besten Kitesport – besser, als ich es je zuvor gesehen hatte. In kristallklarem Wasser – klarer, als man es sich vorstellen kann. Clinton und Shannon feilten an ihren Tricks und wir anderen staunten mit offenem Mund. Verdammt, wie machen die das bloß? Die Hälfte der Sachen kannte ich nicht einmal dem Namen nach. Jenseits ihrer Tricks lernten wir die beiden aber
nicht nur als exzellente Kiteboarder und Sportler kennen, sondern einfach als beeindruckende und gleichzeitig eher bescheidene Persönlichkeiten. Shannon ist in Wahrheit jemand, der anderen mit Respekt und Zuvorkommenheit begegnet, dabei witzig und unterhaltsam und trotz all der Jahre, die er nun schon dabei ist, mit einer wilden Leidenschaft fürs Kiten. Er half mir, meine ersten Frontrolls zu stehen und er gab den Kids am Strand Unterricht mit der Begeisterung eines frischgebackenen Instructors. Clinton, der weit über seine zwanzig Jahre hinaus erwachsen wirkt, ist die Hilfsbereitschaft in Person und er lebt schlicht und einfach fürs Kiten. Ich bin noch nie jemandem begegnet, der dermaßen hart an seinem Repertoire arbeitet. Wir begannen jeden Tag mit neuem Elan – und jede Nacht fielen wir völlig erschöpft in unsere Kojen. Schweigsam und mit einem Anflug von Traurigkeit verließen wir irgendwann unser Paradies, ein abruptes Ende einer weiteren Etappe auf unserem Abenteuertrip rund um die Welt. Aber die Discovery war zufrieden, wieder unterwegs zu sein, sie flog förmlich dahin mit zehn Knoten Richtung Süden. Die Konturen der flachen Riffe glitten unter ihren Rümpfen entlang. Wir warfen ein letztes Mal unsere Angelleinen aus und hatten gleich eine Sierra-Makrele am Haken. Doch bevor der Fisch an Bord war, schoss ein großer Wahoo heran und verschlang die hintere Hälfte unseres Fangs. Unglaublich – aber Nico zauberte aus dem Rest dennoch einen sensationellen Gang Sashimi, den wir auf unserem Rückweg nach Antigua verspeisten. Noch Wochen nach ihrer Abreise bin ich beeindruckt von den beiden Träumern, die ein Leben jenseits aller Konventionen gewählt haben. Ich denke, irgendwie folgen wir alle unserem eigenen Weg. Wohin er führt, weiß letztlich niemand.
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Gavin McClurg ist Kapitän der Discovery und Initiator der Offshore Odyssey mit seinem innovativen Konzept. Gemeinsam mit seiner Crew, Gästen und Co-Eignern ist er seit Februar 2007 mit dieser auf fünf Jahre angelegten Kiteboarding-Expedition rund um die Welt unterwegs. Seine Philosophie: “Wir sind Wassermänner und -frauen, deren Leidenschaft die Erkundung der wenigen noch unberührten Flecken unserer Erde ist – und wir legen Wert auf Stil. Stil heißt für uns, die Dinge zu tun, die wir lieben, und dabei einen möglichst positiven Beitrag zu leisten für unsere Umwelt, für die Gegenden, die wir besuchen, und die Menschen, denen wir begegnen. Wir suchen Gleichgesinnte, die bereit sind, gemeinsam mit uns Risiken auf sich zu nehmen, in der Überzeugung, dass unser Segelabenteuer dies wert sein wird.“ Finanziert wird das Projekt sowohl durch die Sponsoren als auch Privatpersonen. Grundgedanke des Time-Share-
Konzepts ist es, sowohl die Aufwendungen und Risiken als auch die Vorteile und Privilegien, die eine Yacht bietet, unter den derzeit etwa 20 aus sieben Nationalitäten zusammengewürfelten Co-Eignern zu teilen. Jedes Jahr wird eine Route mit zehntägigen “Adventure Trips“ und vierzehntägigen “Epics“ festgelegt; jede einzelne Etappe für sich ist ein einzigartiger Trip zu mehr oder weniger unbekannten Destinationen, die auf anderem Weg kaum erreichbar wären. Co-Eigner wird man durch Erwerb eines “Adventure Shares“ oder “Epic Shares“, wobei die Anteile juristisch Firmenanteilen an dem Unternehmen Offshore Odysseys Inc. LLC entsprechen. Jeder Anteil beinhaltet einmal jährlich, also insgesamt fünfmal, die Teilnahme an einem zehn- oder vierzehntägigen Trip für zwei Personen in einer der drei sehr bequemen Eignerkabinen. Der von der professionellen dreiköpfigen Crew geführte 18 Meter lange Hochseekatamaran wird nach Expeditionsende wieder verkauft. Danach erhält jeder Co-Eigner einen Teil seines Einsatzes zurück. “Wir sind kein Charter-Unternehmen, unser Angebot richtet sich an Entdecker, die bereit sind, etwas zu investieren, um bei einer Expedition dabei zu sein“, so Gavin. “Wir werden wilde Plätze ansteuern, kiten, wo noch niemand zuvor einen Kite gestartet hat, speerfischen, freediven und wellenreiten – aber wir haben keinen Platz für Angeber oder Angsthasen.“ Etwas schade ist lediglich, dass nur wenige auch die finanziellen Möglichkeiten zu einer solchen Investition haben werden. Weitere Details auf www.offshoreodysseys.com
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