GDI IMPULS - Das Blockchain-Manifest

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ISSN 1422-0482 . CHF 35 . EUR 31

Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel Nummer 2 . 2016

Das BlockchainManifest Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst der Blockchain. Sie wird die Transaktion so verändern wie das Internet die Kommunikation. Und damit die Welt, wie wir sie kennen.

Parag Khanna

Claus Dierksmeier

Primavera De Filippi

Small is successful

Global Krausismo

Von Termiten inspiriert




Sparen SparenSie Siedort, dort, wo woesesniemand niemanderwartet. erwartet. Überzeugen Überzeugen SieSie sich sich vom vom niedrigen niedrigen Treibstoff Treibstoff verbrauch, verbrauch, tiefen tiefen COCO und und 2-Ausstoss 2-Ausstoss attraktiven attraktiven Flottenrabatt Flottenrabatt unserer unserer neuen neuen Mercedes-Benz Mercedes-Benz Modelle. Modelle. Erleben Erleben SieSie zum zumBeispiel Beispieldas dasC-Klasse C-KlasseT-Modell T-Modellhautnah hautnahbeibeieiner einerProbefahrt. Probefahrt.EinEinAuto, Auto,das das durch durch seinen seinen intelligenten intelligenten Materialmix Materialmix Gewicht Gewicht und und Verbrauch Verbrauch reduziert. reduziert. Lassen Lassen SieSie sich sich von von Ihrem Ihrem Mercedes-Benz Mercedes-Benz Partner Partner eine eine individuelle individuelle OffOff erte erte unterunterbreiten breiten oder oder informieren informieren SieSie sich sich unter unter www.mercedes-benz.ch/fl www.mercedes-benz.ch/fl eet eet

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Ein Hauch von 1996

Archiv für Abonnenten Kostenloses Artikelarchiv für Recherchen und Downloads . www.gdi-impuls.ch Neues Login: Ihre E-Mail-Adresse Passwort: 8LOCKS Weitere Abonnentenvorteile > digitale Gesamtausgabe > App zum kostenlosen Download > 15 % Rabatt* auf den Teilnehmerpreis der GDI-Abend-Veranstaltungsreihen *Rabatte sind nicht kumulierbar

facebook.com / GDI.Impuls

«Es klingelt. Die Jungs vom ‹Feinschmecker› sind da. Die Redaktion hat eine Geschichte über ‹Essen im Internet› in der Mache.» So begann Peter Glaser vor zwei Jahrzehnten sein Zusammentreffen mit einem Online-Neuling zu beschreiben. Dieser, Food-Redaktor eben, wollte einfach nur Essen im Internet fotografieren. Jener, Online-Veteran Glaser, erklärte ihm geduldig, vielleicht ein wenig seufzend, was ein Usenet ist (wo es Rezepte gab) und was Compuserve (wo es Bilder gab) und dass weder das eine noch das andere etwas mit dem Internet zu tun hätten. Der Redaktor hörte brav zu, fotografierte dann ein reales Peperoni vor Compuserve-Foodbildschirm und machte daraus eine Geschichte über Essen im Internet. Ein bisschen wie jener Food-Redaktor kam ich mir in den vergangenen Monaten vor, wenn ich mit den Experten-Veteranen über Blockchain sprach. Sie erklärten mir geduldig, was Open Ledger ist und was Smart Contracts und was der Unterschied zwischen der Blockchain-Technik hinter Bitcoin und einer Blockchain-Technik für das Internet of Things ist. (Besonders geduldig war Michael Osborne vom IBM Research Lab in Rüschlikon, vielen Dank dafür.) Und ich hörte brav zu, machte mir Notizen und hoffe jetzt, dass unsere Blockchain-Titelgeschichte mehr mit den Perspektiven dieser Technologie zu tun hat als damals das Peperoni-Foto mit den Perspektiven des Internets. Und ganz vielleicht ist dieses Heft ja auch in zwanzig Jahren, wenn die Blockchain längst die Welt erobert hat, noch so lesbar und hellsichtig wie heute Peter Glasers Innenansichten aus der Frühzeit des OnlineSeins («24 Stunden im 21. Jahrhundert», Kiepenheuer & Witsch 1996). Und wenn ich schon beim Ausgraben bin: Da gab es jemand, der schon vor zwei Jahrhunderten eine Philosophie entwickelte, die den Ansätzen ziemlich nahe kommt, die wir in den kommenden Jahrzehnten brauchen werden, wenn wir das Zusammenleben von Menschen und Maschinen ordentlich regeln wollen. Seinen Namen, Karl Christian Friedrich Krause, werden Sie bislang wohl kaum gehört haben. Aber wenn ich dessen Interpretation durch Claus Dierksmeier (ab Seite 76) richtig verstanden habe, wird sich das in den kommenden Jahren gehörig ändern. Detlef Gürtler . Chefredaktor


Autoren S. 70

S. 106

S. 106

S. 32

S. 110

S. 90

FRANCES COPPOLA > S. 44 arbeitete viele Jahre für verschiedene Ban-

sie seit zwei Jahrzehnten Trends und Gegentrends in Wirtschaft, Gesellschaft

ken als Analystin und Projektmanagerin und ist seit 2010 als Finanzautorin

und Konsum. Seit ihrem Studium an der Universität St. Gallen befasst sie

tätig, unter anderem für «Forbes» und «Financial Times» sowie mit ihrem

sich in verschiedenen Funktionen mit Zukunftsthemen, Innovation und Ver-

einflussreichen Blog «Coppola Comment». Sie ist zudem professionelle

änderung von Menschen und Märkten. www.gdi.ch

Sängerin und Associate des britischen Royal College of Music. CHRISTOPH GIESA > S. 32 ist Publizist in Hamburg. Er studierte in Mann-

www.coppolacomment.com

heim und Lissabon Wirtschaftswissenschaften und bewegt sich heute an der PRIMAVERA DE FILIPPI > S. 20 ist Permanent Researcher am Verwal-

Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. 2014 erschien

tungswissenschaftlichen Zentrum der Université Paris II sowie Faculty Asso-

sein Buch «New Business Order» (Hanser Verlag, mit Lena Schiller Clausen).

ciate am Berkman Center for Internet & Society der Harvard Law School. Dort

Neben seiner publizistischen Tätigkeit berät Giesa unter anderem das Welt-

erforscht sie distribuierte Online-Architekturen wie Bitcoin oder Ethereum.

ethos-Institut in Tübingen. www.christophgiesa.de

Neben ihrer Forschungsarbeit ist Primavera De Filippi Rechtsberaterin für Creative Commons und die P2P Foundation sowie Chief Alchemist des israe-

BETTINA HÖCHLI > S. 106 (r.) ist Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler

lischen Blockchain-Start-ups Backfeed.

Institute und analysiert Veränderungen von Gesellschaft, Wirtschaft und

www.nesta.org.uk/users/primavera-de-filippi

Konsum. An den Universitäten in Bern und Tokio studierte sie Volkswirtschaft und Soziologie mit Vertiefung in Spieltheorie und Verhaltensökonomie.

CLAUS DIERKSMEIER > S. 76 ist Direktor des Weltethos-Instituts und

Neben ihrer Forschungstätigkeit am GDI verfasst sie ihre Doktorarbeit im

Professor für Globalisierungs- und Wirtschaftsethik an der Universität Tübin-

Bereich Konsumentenverhalten. www.gdi.ch

gen. Seine akademische Arbeit konzentriert sich auf Fragen der Politik-, Religions- und Wirtschaftsphilosophie unter besonderer Berücksichtigung

NICO JASPERS > S. 110 ist Gründer und Geschäftsführer von Dalia

von Theorien der Freiheit und der Verantwortung im Zeitalter der Globalität.

Research, einem Technologieanbieter für digitale Befragungsmethoden. Vor

www.weltethos-institut.org/institut

seiner Tätigkeit bei Dalia war er Geschäftsführer bei Dimap Global Solutions. Jaspers studierte Volkswirtschaftslehre an der Columbia University New York

KARIN FRICK > S. 12, 98 ist Leiterin Research und Mitglied der Ge-

sowie der Sciences Po Paris und promovierte an der London School of Eco-

schäftsleitung des GDI Gottlieb Duttweiler Institute. Als Ökonomin erforscht

nomics. www.daliaresearch.com 4


S. 38

S. 44

S. 20

S. 84

S. 98 S. 76

PARAG KHANNA > S. 84 ist Geostratege und Autor. Der gebürtige Inder

NADINE STOYANOV > S. 70 ist Director bei Futureworks AG in Zürich,

wuchs in den Vereinigten Arabischen Emiraten, New York und Deutschland

wo sie Unternehmen insbesondere im Retail-Bereich in den Themen Digital

auf, promovierte an der London School of Economics und ist als Senior

Transformation, Business-Model-Innovation und Design-Thinking berät. Die

Research Fellow am Centre on Asia and Globalisation der Lee Kuan Yew

Juristin befasst sich seit langem mit dem Thema «intention economy» und

School of Public Policy an der Universität Singapur tätig. Zudem ist Khanna

hat die erste Concept-Map dazu erstellt (N3T2.com). Zuvor führte sie vier

Managing Partner des geostrategischen Beratungsunternehmens Hybrid

Jahre ein Tech-Start-up und war bei Manor als Senior Buyer und bei Bain &

Reality. Seine jüngste Publikation «Connectography» ist soeben erschienen.

Company als Beraterin tätig. www.futureworks.ch/de

www.paragkhanna.com ZÜRCHER HOCHSCHULE DER KÜNSTE > S. 38 Der Masterstudiengang MARTA KWIATKOWSKI > S. 106 (l.) ist Senior Researcher & Advisor am

«Trends» an der Zürcher Hochschule der Künste vermittelt Kompetenzen in

GDI Gottlieb Duttweiler Institute und analysiert gesellschaftliche, wirtschaft-

visueller und kultureller Trendforschung für die Entwicklung zukunftswei-

liche und technologische Veränderungen. Zuvor war sie in leitenden Funk-

sender Designkonzepte. Jeweils im ersten Semester erstellen die Studieren-

tionen im Marketing in der Softwarebranche sowie bei den Schweizerischen

den unter Leitung von Bitten Stetter und Judith Mair zusammen mit dem

Bundesbahnen SBB tätig, zuletzt als Leiterin Marketing Konzern. www.gdi.ch

GDI einen Trendbericht, diesmal zum Thema «Währung von übermorgen»; mit Larissa Bollmann, Paul-Christian Brenndörfer, Alice Dal Fuoco, Raadiya

RUTH BARBARA LOTTER > S. 90 ist Producerin und verantwortliche

Lüssi, Alain Schibli und Maria Weiss. www.zhdk.ch

Herausgeberin von Websites zu Lese- und Bildungsförderung. Sie arbeitete beim Weltmarktführer für integrierte Bibliothekssysteme sowie in verschiedenen wissenschaftlichen Bibliotheken Österreichs. Als Künstlerin ist Lotter als Autorin, Fotografin und Malerin tätig. www.lesewelten.org JAKUB SAMOCHOWIEC > S. 98 ist Senior Researcher am GDI Gottlieb Duttweiler Institute und analysiert gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Veränderungen mit den Schwerpunkten Entscheidungen, Alter, interkulturelle Kontakte, politische Psychologie, Konsum. www.gdi.ch 5

S. 12, 98


Thema: Blockchain 4 AUTOREN

> Experimente Christoph Giesa

66 SUMMARIES THEMA

32 IM BLOCKCHAIN-LABOR

114 SUMMARIES IDEEN, WORKSHOP 115 ZUSATZIMPULS

Wo die Blockchain-Theorien an der Wirklichkeit gemessen werden können.

116 GDI-STUDIEN 117 GDI-KONFERENZEN 118 GDI GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUTE

> Währung Judith Mair, Bitten Stetter et al.

120 GDI-AGENDA 2016

38 DIE NÄCHSTE GESELLSCHAFT STEHT KOPF

120 IMPRESSUM

Wenn alle Werte umgestülpt werden, kann dabei auch ein völlig neues Konzept von Währung herauskommen. > Recht Frances Coppola

> Infografik 10 DIE GROSSEN VISIONEN

44 OUTSMARTING SMART CONTRACTS

Was uns Experten so alles zur Blockchain versprechen.

Wo und wie es knirscht, wenn Menschen auf Smart Contracts treffen. Und warum das gut so ist.

> Technologie Karin Frick . Detlef Gürtler

> Die grosse Grafik

12 DAS BLOCKCHAIN-MANIFEST

50 DIE PERSPEKTIVEN

Die neue Transaktionstechnologie Blockchain macht eine völlig neue – und bessere – Welt möglich.

Was ist realistisch von den Blockchain-Visionen? > Foto-Essay Stephanie Kiwitt

> Dezentralisierung Gespräch mit Primavera De Filippi

52 GEBEN UND NEHMEN

20 VON TERMITEN INSPIRIERT

Eine Transaktionskette im analogen Leben.

Kollaborative Lösungen können die Lücke füllen, die entsteht, wenn zentrale Institutionen überflüssig werden. > Infografik 22 «CRYPTO VALLEY»

Eine Momentaufnahme der Blockchain-Szene zwischen Zürich und Zug. > Start-ups Anja Dilk . Heike Littger 24 DIE MACHER DER BLOCKCHAIN

Zu Besuch bei Protagonisten der neuen Tech-Szene, die rund um die Blockchain entsteht. 6


Ideen

Workshop

> Medien Karin Frick . Detlef Gürtler . Jakub Samochowiec

> Marketing Nadine Stoyanov 70 DIE KUNST DES ZUHÖRENS

98 ÖFFENTLICHKEIT 4.0

Nach 150 durchaus erfolgreichen Jahren geht die marktschreierische «Push-Economy» zu Ende.

GDI-Studie zu den Folgen von Digitalisierung und Vernetzung für die Branche der audiovisuellen Medien.

> Philosophie Claus Dierksmeier

> Infrastruktur Marta Kwiatkowski . Bettina Höchli

76 GLOBAL KRAUSISMO

106 DIE DIGITALISIERUNG DES WASSERS

Eine zwei Jahrhunderte alte, fast vergessene Freiheitsethik kann im digitalen Zeitalter eine Renaissance erleben.

GDI-Studie zur Zukunft der Schweizer Wasserwirtschaft. > Arbeit Nico Jaspers

> Geopolitik Gespräch mit Parag Khanna

110 GRUNDEINKOMMEN IN EUROPA

84 «SMALL IS SUCCESSFUL»

Was die Europäer von einem bedingungslosen Grundeinkommen halten, und wie sie sich damit verhalten würden.

Klein, sicher, offen, gut vernetzt – was klingt wie die Schweiz, sind Erfolgsfaktoren für Staaten der Zukunft.

> Empfehlungen 112 DAS RELEVANTE NEUE

> Zwischenruf Ruth Barbara Lotter

Von und über Helden, Musterbrecher, Erfolg durch Misserfolge und den Fisch in uns.

90 BIBLIOTHECARE

Wenn Bücher aus der Zeit fallen – was machen dann die Büchereien?

7


«Die Blockchain hat das Potenzial, alle Mächte, die wir heute kennen, zu stürzen.» Karin Frick . Detlef Gürtler . Seite 12

«Termiten errichten ihre Bauten ja auch ohne hierarchische oder zentrale Behörde.» Primavera De Filippi . Seite 20

«Die Blockchain wird die Welt zum Positiven verändern. Wie der Fall der Berliner Mauer.» Anja Dilk . Heike Littger . Seite 24


THEMA >

«Wer sich für den Staat engagiert, erhält ‹Merits›. Mit 10 000 ist man Staatsbürger.» Christoph Giesa . Seite 32

«Die Währungen, wie wir sie heute kennen, werden in unserer Prognose zu ‹Shit-Coins›.» Judith Mair, Bitten Stetter et al. . Seite 38

«Aus den Hackern von heute werden die Chief Blockchain Security Officers von morgen.» Frances Coppola . Seite 44


Die grossen Visionen Die Blockchain ist eine neue, vielversprechende Technologie. Zumindest wird uns von den Experten viel versprochen. Unter anderem: GDI Impuls Nummer 2 . 2016

REVOLUTION

PARADIES

ZERSTÖRUNG

«For many, the Blockchain is the Messiah.» Gideon Greenspan, Gründer Coin Sciences

«Die Blockchain wird vieles in der Finanzbranche ersatzlos überflüssig machen. Voraussichtlich wird kein Stein auf dem anderen bleiben.» Konrad Hummler, Partner M1 Consultants

«The Blockchain is at the heart of the Fourth Industrial Revolution.» Klaus Schwab, Executive Chairman World Economic Forum

SPRECHENDE MASCHINEN

KONZERN-KILLER «These kinds of decentralized networks will replace corporations.» Matan Field, Gründer Backfeed

DEMOKRATIE «The Blockchain could introduce a level of democracy and objective ‹truth› to the digital world that even the physical world can’t match.» Mike Gault, Gründer Guardtime

BILLIONEN «The total accessible market for this concept is measured in trillions.» Blythe Masters, CEO Digital Assets

REICHTUM «The Blockchain is a powerful tool for creating global prosperity.» Alex Tapscott, Autor «Blockchain Revolution» Quelle: www.gdi-impuls.ch . © 2016

«The Blockchain is an ideal medium of exchange for machines that need to talk to each other.» Marc Andreessen, Venture Capitalist


Karin Frick . Detlef GĂźrtler

Das BlockchainManifest


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Was das Internet für die Kommunikation ist, wird die Blockchain für die Transaktion sein. Und da Transaktionen das gesamte Wirtschaftsleben bestimmen, werden alle zentralen Institutionen unserer Ökonomien durch diese Technologie der radikalen Dezentralisierung infrage gestellt. Die Plattformbetreiber aus dem Silicon Valley dürfte es als Erste erwischen.

Und ziemlich genau darum geht es auch. Nur dass es sich nicht um graue Bürokraten handelt, die auf diese Weise Transaktionen registrieren, sondern um eine Technologie. Eine Transaktion nach der anderen, in Blöcken registriert und versiegelt, jeder Block an den vorherigen andockend, jeder mit einer Andockstelle für den folgenden versehen. Erstmals 2008 für Transaktionen in der digitalen Kryptowährung Bitcoin eingesetzt, haben die Blockchain-Transaktionen ein paar bemerkenswerte Eigenschaften. Keine dieser Transaktionen ist im Nachhinein manipulierbar: Was einmal stattgefunden hat, lässt sich nicht in der Buchhaltung ganz anders darstellen. Jede dieser Transaktionen ist für alle Beteiligten einsehbar: Wie die Fliege im Bernstein kann man sie sehen und untersuchen – aber bei aller Transparenz nicht wieder zum Leben erwecken. Ob diese Transparenz tatsächlich für alle gilt (wie bei Bitcoin-Transaktionen) oder nur für einen klar definierten Kreis von Beteiligten, hängt von der jeweils verwendeten Variante der Blockchain-Technologie ab. Manche dieser Transaktionen sind mit einer Bedingung verbunden: Wenn Ereignis A stattgefunden hat, wird automatisch Transaktion B durchgeführt. Die Blockchainer nennen dieses Prinzip «Smart Contract», schlauer Vertrag, weil er (die richtige Programmierung vorausgesetzt) selbst erkennt, ob und wie er erfüllt wurde. Jede dieser Transaktionen ist machbar, ohne dass ein Mittelsmann dafür benötigt würde: Die Institutionen, die uns

1848 begann das Kommunistische Manifest mit einem Gespenst. «Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet», schrieben Karl Marx und Friedrich Engels stark übertreibend über den damals noch kaum bekannten Kommunismus. In ihm habe «die Bourgeoisie die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen». Der Blockchain geht es heute nicht viel anders. Sie ist zwar keine Ideologie, sondern eine Technologie, aber sie hat das Potenzial, alle Mächte, die wir heute kennen, zu stürzen: die alten Herren aus den Konzernzentralen genauso wie die neuen Herren aus dem Silicon Valley und die grossen Institutionen wie Bürokratie, Staat und – halt: die Kirche wohl nicht. Aber alles, was wir in den zwei Jahrhunderten seit dem Beginn der industriellen Revolution an Institutionen aufgebaut haben, um grosse Prozesse zentral zu steuern, wird von dieser Technologie der radikalen Dezentralisierung infrage gestellt. Eine andere Welt ist möglich. Wir sollten das als Chance erkennen. DIE TRANSAKTIONSMASCHINE Ledger. Contract. Transaction.

Die Begriffe, um die sich die Szene dreht, sind so unsexy wie der Begriff Blockchain selbst. Sie klingen so, als würden graue Bürokraten viele, viele Verträge in schweren Blöcken zusammenketten. So wie es früher bei Sklaven und Sträflingen gemacht wurde, nur dass an der Kette keine Eisenkugel hängt, sondern ein Kassenbuch-Block. 13


Technologie . Das Blockchain-Manifest . Karin Frick, Detlef Gürtler

einige Zeit vergehen. Sodass es erst einmal um die Frage geht, wofür diese Technologie denn tatsächlich am besten geeignet ist. Besonders Erfolg versprechend scheint dabei der Versuch, die Herrscher der Plattform-Monopole mit technischen Mitteln zu stürzen und eine neue Plattform-Demokratie zu schaffen. Oder kürzer: so etwas wie Uber – nur ohne Uber. In den vergangenen Jahren hat das Silicon-Valley-Start-up Uber in vielen Städten und Regionen in aller Welt eine Plattform aufgebaut, die Anbieter und Nachfrager von Fahrleistungen einfach und effizient zusammenbringt. Es werden keine Spezialisten gebraucht wie Taxifahrer und keine spezielle Hardware wie Mietwagen, sondern nur eine Software, die Angebot und Nachfrage zusammenbringt und die Abrechnung übernimmt. Diesen Service lassen sich die Betreiber dieser Plattform allerdings mit etwa zwanzig Prozent des Umsatzes honorieren. So disruptiv diese Sharing-Plattform auch für die davon betroffenen Branchen ist und so sehr sie eine Bedrohung für die traditionellen Geschäftsmodelle der anderen Anbieter darstellt, die Transaktion selbst folgt den herkömmlichen Mustern: An die Stelle des Taxiunternehmens, das die Vereinbarung zwischen Fahrer und Passagier garantiert, tritt der Plattformbetreiber. Mit Blockchain lässt sich das auch anders regeln: Anbieter (Fahrer) und Nachfrager (Passagier) der Fahrleistung können damit auch ohne zwischengeschaltete Plattform einen Deal machen. Da die Transaktion über die Blockchain unverrückbar festgelegt ist, kann sie auch für alle im

üblicherweise zur Verfügung stehen, um die ordnungsgemässe Abwicklung von Transaktionen zu garantieren, werden in einer Blockchain-Anwendung nicht gebraucht. «Die Kontrolle im System kann aus dem Zentrum herausgenommen und auf die Enden verteilt werden», formuliert es Michael Osborne, Blockchain-Experte am IBM Research Lab in Rüschlikon – sodass am Ende gar kein Zentrum mehr gebraucht wird. An die Stelle von einzelnen (mehr oder weniger) vertrauenswürdigen Institutionen wie Unternehmen und Regierungen tritt so ein System, in dem alle Beteiligten ihren Beitrag zum Gesamtvertrauen leisten. Und daran entzündet sich die Fantasie, und daraus entstehen Potenziale. Denn hier geht es um mehr als nur um eine neue, digitale Methode, Transaktionen durchzuführen und zu

Mit der Blockchain kann es gelingen, die Herrscher der Plattform-Monopole zu stürzen. registrieren. «Was das Internet für die Kommunikation ist, ist die Blockchain für die Transaktion», lautet einer der zentralen Sätze der Bewegung. Aber weil Transaktionen das tägliche Brot des wirtschaftlichen Geschehens sind, müsste man eigentlich, so Osborne, sagen: «Was das Internet für die Kommunikation ist, ist die Blockchain für das Business.» Nicht zufällig sind es die Banken, die sich als erste Branche intensiv mit der Blockchain-Thematik beschäftigen. Schliesslich ist es die zentrale Säule ihres Geschäftsmodells, bei Transaktionen ein vertrauenswürdiger Mittelsmann zu sein. Ob im Börsenhandel, bei Exportgeschäften, bei Kreditvereinbarungen oder Kapitalanlagen, die Banken bringen Anbieter und Nachfrager auch dann zusammen, wenn beide sich nicht kennen und/oder nicht vertrauen. Alles nicht nötig, das regelt ja die Bank. Oder eben eines Tages die Blockchain, womit man dann keine Bank mehr bräuchte.

Systeme, die sich selbst organisieren, sind robuster und effizienter als zentral gesteuerte. Nachhinein auftretenden Fragen, ob haftungsrechtlich oder steuerlich, herangezogen werden. Eine erste praktische Umsetzung dieses Ansatzes gibt es bereits: La’Zooz, ein israelisches Start-up, betreibt eine Ridesharing-Plattform auf Blockchain-Basis, die einzig den Nutzern gehört. Betrachtet man nur die Fahrten, die bisher über die UberPlattform vermittelt werden, läuft der Vorteil eines Blockchain-Systems scheinbar «nur» auf das Einsparen der Betreiberprovision hinaus. Allerdings kann man auch für diesen Fall schon das Einsparen all der Nutzerdaten mit hinzurech-

UBER OHNE EIGENTÜMER Berichte über ein baldiges Ableben

der Bankenbranche wären allerdings stark übertrieben. IBMForscher Osborne berichtet, dass eine Vielzahl von Unternehmen mit Blockchain experimentieren wollen und auf der Suche nach den dafür bestgeeigneten Anwendungen sind. Von dort bis zu einem Durchbruch im Massenmarkt wird noch 14


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

nen, die bislang vom Betreiber kostenlos vereinnahmt werden. Plus eine schwer quantifizierbare Nebenwirkung: Investorengelder, die bislang in grossem Umfang an solche Plattformen gingen, würden in Zukunft dort spärlicher fliessen. Der Anreiz, durch Ausfahren der Ellenbogen alle Konkurrenten zu eliminieren und damit Milliardär zu werden, fiele weg – die Digitalisierung könnte menschlicher ablaufen.

Wie funktioniert eine Blockchain? Man kann sich das wie ein doppeltes Abhaken vorstellen. Eine Transaktion (A gibt B eine Zitrone) wird von den Beteiligten als richtig festgestellt und abgehakt. Mit einer Reihe weiterer neuer Transaktionen wird sie in einem kryptografischen Code zusammengefasst, also in einen

Der Anreiz, durch Ausfahren der Ellenbogen die Konkurrenz zu eliminieren, fällt weg.

Block gegossen. Dieser Block wird an den vorangegangenen Block angehängt. Mit der Feststellung, dass er tatsächlich am bislang neuesten Block hängt, wird der gesamte Block und damit alle darin befindlichen Transaktionen abgehakt. Die so entstehende ununterbrochene Reihe von Transaktionsblöcken gab der Blockchain ihren Namen.

FAHR-GESCHÄFT OHNE FAHRER Noch wesentlich spannender wird die Blockchain-Technologie allerdings, wenn mit ihr auch Anwendungen möglich werden, die in den bisherigen Geschäftsmodellen gar nicht vorkommen. Beim Beispiel Ridesharing etwa, wenn es gar nicht um eine Transaktion zwischen Fahrer und Passagier geht, sondern einer der Beteiligten gar kein Mensch ist. Wenn Sie Ihr selbstfahrendes Auto den Tag über auf die Strasse schicken und es da und dort Passagiere mitnimmt und andernorts wieder absetzt, können alle einzelnen Fahr-Geschäfte in einer Blockchain verzeichnet und gesichert werden. Ob der Preis vor der Fahrt, während der Fahrt oder irgendwann später festgelegt wird, spielt für die Blockchain keine Rolle. Über diese Fahrten-Buchführung lassen sich im Nachhinein zudem mögliche Konfliktfälle aufklären sowie die Abrechnung vornehmen. Und natürlich kann das Prinzip auch funktionieren, wenn keiner der Beteiligten ein Mensch ist: Ihr Auto kann ja auch statt Passagiere Güter transportieren. Oder Roboter. Oder gar nichts, sondern schlicht beim Fahren für einen Auftraggeber Daten sammeln.

Um zweifelsfrei, lückenlos und manipulationssicher funktionieren zu können, werden an den einzelnen Abschnitten der Blockchain-Prozesskette jeweils Verschlüsselungstechniken eingesetzt. Zudem werden die verschlüsselten Blöcke nicht an einer zentralen Stelle gespeichert, sondern bei allen Beteiligten. Bei der bislang einzigen in grossem Massstab funktionierenden Blockchain-Anwendung, der Registrierung aller BitcoinTransaktionen, sind dies alle Bitcoin-Teilnehmer. Jeder von ihnen hat somit Einblick in jede Bitcoin-Transaktion. Für andere Einsatzgebiete, zum Beispiel innerhalb eines Unternehmens oder einer Lieferkette, ist auch eine kleine, geschlossene Gruppe von Beteiligten möglich. Eine potenziell hochrelevante Blockchain-Funktion ist die Gestaltung und Fixierung von ausführbarem Code: Wenn im System festgestellt wurde, dass A eine Zitrone an B gegeben hat, werden von Bs Konto fünfzig Rappen an A überwiesen. Bei diesen «Smart Contracts» ist die Ausführung irreversibel mit der vorigen Feststellung verbunden – das macht sie prinzipiell für alle Transaktionen geeignet, die dem «Zug-umZug»-Muster folgen. Auch wenn die Transaktionskosten in einer Blockchain deutlich niedriger liegen als bei herkömmlichen Systemen, sind sie nicht null. Bei Bitcoin müssen derzeit für jede Transaktion Gebühren in Höhe von min-

EINE WAHRE PEER-TO-PEER-ECONOMY Die Verbindung von

destens zehn Mikro-Bitcoin gezahlt werden. Je mehr der Überweisende

Blockchain und Sharing-Economy gibt einer schon ziemlich alten Idee neuen Schwung – der Selbstorganisation. Sie wurde in den letzten Jahrzehnten zum Schlüsselbegriff und Idealmodell für die Steuerung von sozialen, technischen und biologischen (Öko-)Systemen. Auch die freie Software gründet auf der Idee der Selbstorganisation. Open Source steht für Quelltext, der offen und öffentlich ist, und für frei verfügbares Wissen und Information im Allgemeinen sowie für das Prinzip der verteilten Macht.

zahlt, desto schneller wird seine Transaktion bestätigt. Zudem erhält derjenige, der den nächsten Block an die Kette anhängt, ein Honorar von 25 hierfür neu geschaffenen Bitcoin (Bitcoin-Mining). Da dies mit der Lösung einer aufwendigen kryptografischen Aufgabe verbunden ist («Proof of Work») und viele Miner um jeden neuen Block konkurrieren, trägt dieser Prozessschritt zwar zur Sicherheit und Funktionsfähigkeit der Blockchain bei, ist aber mit einem hohen Verbrauch an Rechnerkapazität und Strom verbunden.

15


Technologie . Das Blockchain-Manifest . Karin Frick, Detlef Gürtler

PLATTFORM UND BLOCKCHAIN IM SYSTEMVERGLEICH

Organisationsstruktur

Wirtschaftssystem

Wem gehört die Plattform?

Klassische Plattform

Blockchain

Zentral, hierarchisch

Dezentral

Grösser ist besser

Small is beautiful again

Dominanz der «Sirenenserver» mit enormen Rechnerleistungen, die alle anderen Rechner im Netzwerk übertreffen

Rechenleistung ist im Netz verteilt

Netarchical Capitalism

Distributed Capitalism

Neofeudale Monopole

Peer-to-Peer-Business, Konsens-Ökonomie

Unternehmen

Niemand Netzwerk gehört den Nutzern, Cooperatives

Steuerung

Zentrale

Netzwerk

Top-down-Regulierung

Algorithmus Smart Contracts

Big Brother

Little Brother

Einer sieht alles

Alle sehen alles, aber keiner kann verändern, wie das System funktioniert

Sicherheit

Hacking, Phishing, Trolling etc.

Noch keine Sicherheitslücke gefunden

Standort

Nationale Standorte

Staatenlos

Vertrauen

Führung, Brand

Algorithmen und Mass-Collaboration

Metapher

Riese, Krake, Spinne

Schwarm, Ameisen, Bienen

Transparenz

In der vernetzten Wirtschaft wird Teilen zum Programm, alles, was man teilen kann, wird auch geteilt werden und freie Ressourcen gemeinsam genutzt. Der Erfolg von Facebook, Uber, Airbnb zeigt das Potenzial dieser neuen Wirtschaftsform – im Guten wie im Schlechten. Er beruht schon beim jetzigen Modell mit einem zentralen Plattformbetreiber auf Crowd-basierten Netzwerken; die Arbeit und das Kapital kommen von dezentralen Individuen, die kollaborieren, und nicht von Unternehmen oder staatlichen Aggregaten. Denkt man in dieser Logik weiter, müsste konsequenterweise auch die Steuerung des Systems geteilt werden. Mit der Blockchain-Technologie erhält die Peer-to-PeerEconomy genau diese Möglichkeit. So können in Zukunft nicht nur Waren und Dienstleistungen sondern auch die Kontrolle und der Profit geteilt werden – und zwar nicht nur in

Systeme, die sich selbst organisieren, gelten als effizienter und robuster als zentral gesteuerte, zudem als besser skalierbar, antifragil, demokratischer und fairer. Die Beziehungen und Interaktionen, die das System definieren, werden nur durch das System selbst bestimmt. Selbstorganisierende Systeme

In Zukunft können nicht nur Dinge und Dienste, sondern auch Profit und Kontrolle geteilt werden. handeln eigenständig, eigenverantwortlich und aus sich selbst heraus. Dabei handeln die interagierenden Elemente nach einfachen Regeln und erschaffen eine Ordnung, ohne eine Vision von der gesamten Entwicklung haben zu müssen. 16


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

DAS POTENZIAL DER VERNETZTEN DINGE

Netzwerk-Effekt / Netzwert

avantgardistischen Nischen, sondern für alle. Netzwerk-Effekte, die bisher von zentralen Playern abgeschöpft werden, können nun aufgrund konkreter Leistungen und nicht aufgrund einer Monopolposition gerechter verteilt werden. Die nächste Generation der Sharing-Plattformen funktioniert ohne zentrale Autorität. Mitglieder werden aufgrund ihrer Leistung,

Dank Automatisierung und Smart Contracts können auch Mikroleistungen abgerechnet werden.

Geschlossenes System

Offenes System

Wie werden die positiven Netzeffekte verteilt? N Anzahl vernetzte Dinge

ihres Beitrags entschädigt und nicht aufgrund ihrer Position im Netz. Dank Automatisierung und Smart Contracts können auch Mikroleistungen einfach abgerechnet werden. Ein bereits existierendes Beispiel dafür ist Ujo Music. Dort wurde ein Prototyp geschaffen, der zeigt, wie Blockchainbasiertes Sharing für Musik in Zukunft funktionieren könnte. Die Musikerin Imogen Heap hat auf ujomusic.com ein Lied veröffentlicht, bei dem Käufer einsehen können, wie der Verkaufserlös unter den Beteiligten aufgeteilt wird: transparent, unmittelbar und dank Blockchain ohne Beteiligung Dritter.

ten Gesundheitsassistenten versorgen. Wie sich das Internet der Dinge entfaltet, hängt massgeblich davon ab, wie diese Netzeffekte zwischen den Playern verteilt werden. Langfristig gewinnt das System, in dem die Dinge am erfolgreichsten kooperieren und das nicht nur den effizientesten, sondern auch den fairsten Verteilmechanismus hat. So wie heute in reifen

Langfristig gewinnt das System, in dem die Dinge am erfolgreichsten kooperieren.

NEUE NETZ-ARCHITEKTUR FÜR MIKROTRANSAKTIONEN Der Be-

darf für solche Lösungen steigt exponentiell, wenn nicht nur Menschen, sondern auch Dinge miteinander vernetzt sind. 2020 werden weltweit bereits über fünfzig Milliarden Gegenstände mit dem Internet verbunden sein – Autos, Brillen, Kleider, Kühlschränke, Heizungssysteme und Parkplätze denken mit und organisieren sich selbst. Aus isolierten Produkten werden vernetzte Dienstleistungen. Damit stellt sich die Frage, wer (und was) wen oder was kontrolliert. Wird das Netz der smarten Dinge zentral oder dezentral gesteuert? Zentrale Netzwerke sind nicht einfach skalierbar, je grösser sie werden, desto höher werden auch die Transaktionskosten und umso stärker die Notwendigkeit, zu standardisieren. Dezentrale Systeme sind zentral kontrollierten Systemen mittelfristig überlegen, weil sie effizienter und flexibler sind. Ein distribuiertes System ist elastischer, belastbarer und anpassungsfähiger. Das Potenzial der vernetzten Dinge liegt in der Kooperation von Dingen, Diensten und Daten, nicht in einem isolierten Service – der Schrittzähler ist als isolierte App weniger wert als in Kooperation mit anderen Apps, die einen integrier-

Märkten fair produzierte Produkte bevorzugt werden, werden wir morgen tendenziell auch faire Taxidienste bevorzugen – und wenn sich der interaktive Kühlschrank doch noch eines Tages durchsetzen wird, dann wohl eher, wenn er von Wikipedia betrieben wird als von Facebook. AUTOMATISIERTE FÜHRUNG Wenn Menschen und Dinge sich

selbst ohne zentrale Instanz organisieren können: Warum sollte das nicht auch für Unternehmen möglich sein? In der Tat ist eine der Perspektiven der Blockchain-Technologie, die Steuerung von Organisationen zu automatisieren. Die Geschäftsleitung und das Management sollen in Zukunft durch Software oder besser einen Schwarm von künstlichen Intelligenzen ersetzt werden. «Dezentrale Autonome Organisationen» (DAOs) könnten die Märkte von morgen bestimmen – 17


Technologie . Das Blockchain-Manifest . Karin Frick, Detlef Gürtler

tion intern besser koordinieren konnten als durch Geschäftsbeziehungen mit externen Partnern. Der Ölkonzern Standard Oil machte im späten 19. Jahrhundert den Anfang, Henry Ford brachte den Zentralismus 1928 zu einem Höhepunkt: Seine «River Rouge»-Automobilfabrik baute nicht nur Autos, sondern produzierte auch den Stahl und Strom dazu. Auch die

selbstlernende Robot-Organisationen, die autonom agieren und ohne Manager und Mitarbeiter auskommen. Die Führung wird sozusagen ins Netz verlagert. «Eine Algo-Lösung für ein politisches Problem», nennt das der niederländische Politologe Geert Lovink. «Dahinter steht die Überzeugung, dass technische Lösungen und die Schönheit der puren Mathematik immer sauberer und besser sein werden als die immer etwas unordentlichen sozialen oder politischen Lösungen.» Zumindest haben diese «unordentlichen» Lösungen im Einzelfall Praxistauglichkeit bewiesen: In den letzten Jahren gab es zahlreiche Ansätze für ein «Management ohne Manager» – etwa das «Semco System», «Holacracy» bei Zappos oder die von Jon Husband 1999 eingeführte «Wirearchy». Im grossen Stil allerdings scheiterte die Einführung basisdemokratischer Organisationsstrukturen, bei der sich selbst organisierende Teams das traditionelle Management ersetzen, bisher daran, dass die basisdemokratischen Prozesse sehr langsam und ineffizient sind. Jede Technologie, die dezentrale Organisation effizienter und schneller macht, kann hier also die Akzeptanzschwelle spürbar senken.

Unternehmen haben nur eine Existenzberechtigung, wenn ihre Transaktionskosten niedrig sind. Migros war ein Pionier der Integration vieler Produktionsstufen und Produkte unter einem Konzerndach. Dass es dennoch nicht zu einem unendlichen Grössenwachstum kam, liegt insbesondere an den Bürokratiekosten in grösser werdenden Konzernen, die den Kostenvorteil der Massenproduktion auffressen. In jener Zeit wurde auch die noch immer beste Erklärung für Entstehen und Vergehen, Wachsen und Schrumpfen von Unternehmen gefunden – im Jahr 1937 durch den US-Ökonomen Ronald Coase in «The Nature of the Firm»: Unternehmen sind so lange die bestgeeignete Wirtschaftsform, wie ihre Transaktionskosten geringer sind als bei anderen möglichen Organisationsformen. Die ursprüngliche Erfolgsformel des absoluten Grössenwachstums wurde bald darauf relativiert: Es ging nicht mehr darum, alles unter einem Dach zu produzieren, sondern alles Profitable. Dass man damit sogar noch grösser werden konnte, verdanken wir wiederum einer Technologie: Unternehmenssoftware wie R/3 von SAP ermöglichte es den Konzernen im späten 20. Jahrhundert, ihre Komplexität weiter zu steigern.

Robot-Organisationen ohne Manager und Mitarbeiter können morgen die Märkte bestimmen. DEZENTRALISTISCHE WELTORDNUNG In einem (Teil-)System

nach dem anderen kann durch die Blockchain eine Verschiebung von zentraler zu dezentraler Organisation erreicht werden. Auf Dauer kann das auch für das Gesamtsystem nicht ohne Folgen bleiben: Die Welt, in der wir leben, wird dezentralistischer. Damit schicken wir uns an, zentrale (!) Elemente unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu beseitigen, die die Welt in den vergangenen zwei Jahrhunderten geprägt haben. Denn in die zentralistische Welt, wie wir sie heute kennen, sind wir erst im 19. Jahrhundert hineingewachsen. Entscheidender Faktor dafür war damals eine Technologie: die Eisenbahn. Sie ermöglichte das Entstehen von Massenmärkten (weil Transporte über weite Strecken möglich wurden) und von Massenproduktion (weil mit ihr viele Arbeiter zu grossen Fabriken fahren konnten). Die Eisenbahn förderte das Wachstum von Grossstädten und von Grosskonzernen – nämlich Unternehmen, die Massenproduktion und -distribu-

COASE UMGEDREHT Aber nun kann es passieren, dass die Blockchain auch damit Schluss macht. Der finnische Unternehmer und Blockchain-Experte Esko Kilpi dreht dafür die ursprüngliche Argumentation von Coase schlicht um: «Wenn die Transaktionskosten in der gesamten Gesellschaft so drastisch sinken wie derzeit, müssen sich Form und Logik ökonomischer Einheiten zwangsläufig ändern.» Und diese «ökonomischen Einheiten», so Kilpi, werden mittelfristig keine Unternehmen mehr sein, da andere Organisationsformen günstiger sind. «Eine traditionelle Firma ist fast automatisch die teurere Alternative.» Und damit dem Untergang geweiht. 18


Ähnlich argumentiert auch Michel Bauwens, der belgische Veteran der Peer-to-Peer-Bewegung. Die Stelle, die bislang die Unternehmen einnehmen, könnte von den Menschen selbst eingenommen werden: «Die Blockchain kann die Transaktionskosten menschlicher Kollaboration so weit senken, dass bürgerschaftliche Selbstorganisation die vorherrschende Wertschöpfungsvariante in unseren Gesellschaften wird.» Wobei er darauf hinweist, dass der Wegfall von zentralen Einheiten nicht nur zum Zerfall von Unternehmen führen kann, sondern auch zum Zerfall von Gesellschaften: «Autonome Individuen, die mit ihresgleichen Verträge schliessen, brauchen dafür keine Gemeinschaften mehr.» Die Technologie an sich führe noch nicht zu einer Befreiung des Menschen; es komme weiterhin darauf an, wie der Mensch mit ihr umgehe. JAHRZEHNTE DES ÜBERGANGS Beim Weg von zentralen zu dezentralen Organisationsmustern in Wirtschaft und Gesellschaft können wir durchaus mit langen Übergangsfristen rechnen: Von der ersten Eisenbahnstrecke (1830) bis zum ersten Konzern im heutigen Sinn (Standard Oil Trust, 1882) verging ja auch ein halbes Jahrhundert; auf ähnliche Dimensionen sollten wir uns auch jetzt einstellen. Schliesslich hängt das gesamte Wirtschafts- und Sozialsystem in hohem Mass vom Funktionieren der Zentralen ab.

Die Stelle, die bislang die Unternehmen einnehmen, können die Menschen selbst besetzen. Und, wie ebenfalls die Entwicklung im 19. Jahrhundert gezeigt hat: Es ist nicht ausgemacht, dass die neu entstehenden Institutionen schnell genug entstehen, um die wegfallenden alten Institutionen bruchlos zu ersetzen. Die traditionellen Sicherungssysteme von Dorf und Familie wurden ab den 1880er-Jahren durch staatliche Systeme (wie Sozialversicherungen) und betriebliche Leistungen (wie Werkswohnungen) ersetzt beziehungsweise ergänzt. Davor aber waren die Industriestädte für viele ihrer Bewohner sozial wie ökonomisch eine Hölle. Diese Jahrzehnte des Infernos sollten wir diesmal vermeiden. <

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30./31. August 2016

Ecknauer+Schoch ASW

GDI Impuls . Nummer 2 . 2016


Gespräch mit Primavera De Filippi

Von Termiten inspiriert Wie sieht das aus, wenn die Blockchain alle zentralen Institutionen überflüssig macht? Hoffentlich menschlich, sagt die «Chef-Alchimistin» des Start-ups Backfeed, das hierfür eine kollaborative Lösung entwickelt.

Zumindest ein dezentrales und funktionierendes Ordnungssystem gibt es bereits. Man nennt es Markt.

Märkte sind in der Tat die beste Näherung an dezentrale Steuerung, die wir derzeit haben. Ein freier Markt koordiniert auf spontane und dezentrale Weise Individuen, die miteinander interagieren können, ohne dass eine zentrale Autorität ihnen sagen müsste, was zu tun ist. Aber der Markt führt nicht immer zur für eine demokratische Gesellschaft besten Entscheidung, und er kann auch leicht von den herrschenden Mächten manipuliert werden – dementsprechend tut sich hier eine Lücke in den Ordnungsstrukturen auf. Bis heute haben wir kein ausgearbeitetes Modell für eine dezentrale Ordnung, das nicht marktgetrieben ist.

Frau De Filippi, in der Formel «Was für das Internet die Kommunikation war, ist für Blockchain – X» ersetzen die meisten Menschen aus der Blockchain-Szene X mit «Transaktion». Aber für Sie ist dieses X «Kooperation». Was nicht wirklich das Gleiche ist. Sind Sie auf einem anderen Weg unterwegs als der Rest der Blockchainer?

Wie kann die Blockchain das ändern, die doch selbst stark markt-

Die meisten Anwendungen der Blockchain orientieren sich derzeit an einem individualistischen Ansatz – endlich kann man Transaktionen mit Menschen durchführen, von denen man weder weiss, wer sie sind, noch, ob man ihnen vertrauen kann, weil diese Technologie kein Vertrauen mehr erfordert. Das ist der Blockchain-Mainstream. Aber wir verfolgen eine andere Spur, die stark auf Zusammenarbeit fokussiert ist: Die Blockchain ist eine neue, vollständig dezentralisierte Infrastruktur, auf die man vieles aufsetzen kann – die aber eine Ordnungsstruktur braucht, um einsatzfähig zu sein. Für die dezentrale Peer-to-Peer-Zusammenarbeit fehlt uns noch eine passende Struktur: Die meisten Ordnungssysteme sind nämlich zentralisiert und hierarchisch.

getrieben ist?

Wohl kaum, solange sie mit dieser sehr individualistischen und vertrauenslosen Perspektive verwendet wird. Mir (und vielen anderen Menschen) behagt aber die Aussicht auf eine ohne Vertrauen funktionierende Gesellschaft gar nicht, in der alles durch Code geregelt wird und in der autonome Systeme miteinander durch vertrauenslose Technologien vermittelt interagieren. Aber das muss nicht so sein. Man kann auch eine neue Vertrauensschicht aufbauen, ein Protokoll für Vertrauen, das auf dieser Technologie aufsetzt. Damit würde es möglich, eine dezentrale Infrastruktur mit einem kollaborativen Ordnungssystem zu verwenden. 20


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Aber im wirklichen Leben sind wir (und Sie) weit von dieser Möglich-

Es geht nicht um mich. Backfeed ist nur ein Tool für eine dezentrale Ordnung. Diejenigen hingegen, die dieses Tool verwenden, um damit einen dezentralen Uber oder eine dezentrale Airbnb zu schaffen, werden kämpfen müssen. Ich hoffe, dass sie bereit sind.

keit entfernt?

Nicht so weit. Backfeed ist eines der Projekte, die genau das erreichen wollen. Wir entwickeln ein dezentralisiertes Reputationssystem, das eine dezentrale Organisation antreiben kann. Wir wollen weg vom Konzept der Dezentralen Autonomen Organisationen (DAOs) …

Und aus dieser dezentralen Ordnung sollen mehr oder weniger smarte Gesellschaftsverträge entstehen?

… die eine Art Unternehmen sein sollen, nur ohne Menschen …

Ja. Backfeed soll neue Ordnungsstrukturen ermöglichen, mit deren Hilfe Menschen zu einem gemeinsamen Ziel beitragen können (und dafür belohnt werden), ohne von einer zentralen Autorität koordiniert zu werden.

… und hin zum Konzept der Dezentralen Kollaborativen Organisationen (DCOs). Diese wiederum sollen die Zusammenarbeit fördern, das gemeinsame Gestalten und den sozialen Zusammenhalt. Mit der Blockchain und den «Smart Contracts» haben wir ein Werkzeug zum Aufbau einer dezentralen, kein Vertrauen benötigenden Gesellschaft. Aber wir können die gleichen Tools auch verwenden, um etwas völlig anderes zu bauen: nicht «Smart Contracts», sondern «Smart Social Contracts». Wir leben in einer Gesellschaft, wo wir mit anderen zusammenarbeiten, und Vertrauen ist etwas, was die Menschen nicht loswerden wollen, ganz im Gegenteil.

Gibt es dafür irgendwo ein Beispiel?

In der Natur. Dort wird das «Stigmergie» genannt. Das Prinzip wird deutlich, wenn wir Termitenbauten beobachten. Diese Tiere errichten ihre Bauten ohne hierarchische oder zentrale Behörde. Meinen Sie, wir sollten wie Termiten werden?

Es geht eher darum, sich von der Organisationsstruktur der Termiten inspirieren zu lassen. Aber die Menschen würden natürlich ihren freien Willen und ihre individuelle Komplexität behalten, wenn es das sein sollte, was Ihnen Angst macht.

Reputationssysteme? Wie bei Ebay, Amazon, Uber, Airbnb?

Ja. Aber ohne Ebay, Amazon, Uber, Airbnb. Während wir dank des Internets gut auf Peer-to-Peer-Basis kommunizieren können, ist es immer noch schwierig, in grossem Umfang zu kooperieren, ohne dafür einen Mittelsmann einzuschalten. Deshalb gibt es ja diese neuen Mittelsmänner wie Uber, Airbnb oder Facebook – sie profitieren von dem Wert, der durch die Zusammenarbeit von Menschen geschöpft wird. Die Blockchain aber ermöglicht es uns, dezentral und ohne Mittelsmann Werte auszutauschen; und das nicht nur mit Geldwerten, sondern für jede Art von Wert.

Sie kontrastieren den Termitenbau mit menschlichen Gebäuden wie alten Pyramiden und modernen Hochhäusern – Strukturen, die typisch für eine hierarchische Top-down-Welt sind. Bedeutet dies, dass wir mit Blockchain und «Smart Contracts» keine Pyramiden mehr bauen können?

Aber nein. Mit Backfeed habe ich lediglich das Ziel, den Aufbau alternativer Plattformen zu ermöglichen, mit deren Hilfe Menschen ihre eigenen Systeme schaffen können, ohne dass sie sich auf eine zentrale Plattform verlassen müssen.

Nicht wirklich. Wenn wir das Backfeed-System für einen Pyramidenbau implementieren, können wir pyramidische Strukturen ohne ein pyramidisches Ordnungssystem haben – ausserdem sind die Bauten der Termiten in Relation zur Grösse dieser Insekten mindestens genauso beeindruckend. Zusammenarbeit macht stark, und wir wollen ein Maximum dieser Kräfte zusammenbringen. Aber es soll spontan passieren, nicht von oben herab diktiert. <

Wenn ich ein Manager oder ein Investor bei Uber wäre, würde ich

Interview: Detlef Gürtler

Sie wollen all diese Ubers und Airbnbs loswerden?

dennoch denken, dass Sie versuchen, mich loszuwerden. Sie werden, um Ihr Ziel zu erreichen, gegen jemanden kämpfen müssen – sind Sie dazu bereit? 21


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GDI Impuls 2 . 2016

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Anja Dilk . Heike Littger

Die Macher der Blockchain

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GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

In Silicon und Crypto Valleys entsteht rund um die Blockchain eine neue Tech-Szene. Energische Nerds, die eine Revolution anzetteln wollen, verspielte Tüftler, die sich in Details verlieben, und erfahrene Veteranen früherer Tech-Wellen, die aber diesmal ganz bestimmt beim Durchbruch dabei sein wollen. Unsere Reporterinnen haben einige von ihnen besucht.

Kalifornien, Mountain View, gefühlte 49 Grad im Schatten. Techies aus aller Welt haben sich im Open-Air-Amphitheater gleich gegenüber vom Google-Hauptquartier versammelt. Spannung liegt in der Luft. In einer Stunde startet die Google I/O. Der neue Konzernchef Sundar Pichai wird die grösste Entwicklerkonferenz der Welt eröffnen. Hipster eilen zum Amphi, der Himmel ist blau wie frisch gestrichen, auf dem Meer glitzern die Strahlen der Sonne. Christian Rebernik sitzt auf den Stufen zur Eingangshalle, das Handy am Ohr, den Morgenkaffee in der Hand, und ist mittendrin, da, wo die grossen Stellschrauben der Digitalisierung gedreht werden. Sein Thema: Blockchain. Der Technikchef des Berliner Start-ups Number 26 will ganz oben mitspielen. Zurzeit sieht es gut aus, die Banking-App-Company gilt als einer der Shootingstars der Branche, selbst Paypal-Gründer Peter Thiel zeigt sich beeindruckt. Umso entschlossener wird Rebernik hier, im Herzen des Silicon Valley, dieser Tage seine Netze zu wichtigen Playern der Szene auswerfen, allen voran Apple und Google, die mit Power an mobilen Zahlsystemen feilen. Denn er ist überzeugt: Es lohnt sich, Gas zu geben. Diese Technologie, von der alle reden in der Entwicklerszene, ist das nächste grosse Ding. «Die Zukunft hat längt begonnen», sagt Rebernik. «Dass man mit Technologie ganze Industrien verändern kann, ist doch irre.» Und das hat Rebernik vor: die Welt verändern, genauer die Bankenwelt. Es kann doch nicht sein, schimpft der 38-Jährige, dass er sein Bankkonto in Österreich weder via Mail noch per Telefon schliessen kann, dass er eigens aus Berlin anreisen

muss, um sich vor Ort in die Wiener Schalterschlange zu stellen, nur um dann zu erfahren, dass er a) leider in der falschen Filiale Schlange steht und b) die richtige Filiale leider gleich geschlossen hat, weshalb er c) noch mal anreisen muss. Es kann doch nicht sein, dass es selbst mitten in Europa drei Tage dauert, bis eine Überweisung auf ein Bankkonto eingetrudelt ist. Dass es fünfzig Euro kostet, tausend Euro in die USA zu schicken. Dass Kunden keine Kontrolle darüber haben, was in der Zeit eigentlich mit ihrem Geld passiert. Und natürlich, dass immer noch diese antiquierten Münzen in den Portemonnaies klimpern. Reberniks Vision: Bares abschaffen und dem Geld Flügel verleihen. Digitalisiert, mobil, aufs Handy gepackt. Der Weg: Blockchain. «Zum ersten Mal haben wir mit einer Technologie die Möglichkeit, digitalen Zahlungsverkehr sicher, transparent und blitzschnell zu machen.» BLÄSSE IM BANKER-GESICHT Blockchain ist derzeit das grosse

Thema. In vielen Ecken der digitalen Welt tüfteln Tech-Freaks an Konzepten und Modellen, um diese Technik optimal einzusetzen. Eine neue Szene entsteht. Wer sind diese Typen, die auf leisen Sohlen eine Revolution anzetteln? Die den Bankern die Blässe ins Gesicht zaubern, viele ganz Grosse elektrisieren? Was treibt sie an? Welche Visionen bewegen sie? Der Blick führt erst mal, das ist unvermeidlich, zu Vitalik Buterin, dem 21-jährigen Russen, Softwaregenie, Leiter des führenden Blockchain-Projekts Ethereum, das er derzeit in Zug vorantreibt, jener Region also, die mittlerweile zum 25


Start-ups . Die Macher der Blockchain . Anja Dilk, Heike Littger

ÜBERALL MITMISCHEN Aber da sind noch viele andere, die an

«Crypto Valley» der Schweiz gewachsen ist. «Silicon Mountain», nennt Buterin diesen Fleck Erde, auf dem er unbeschwert von strengen Regulierungen an seiner Revolution arbeiten kann, einer Art Neuem Testament der Digitalisierung. Hannes Grassegger beschrieb ihn im «Magazin» des Zürcher «Tages-Anzeigers» als «digitalen Lenin», als scheuen, brillanten Aufständischen, dessen Stimme wie die von Siri klingt und der sich in den Weiten des Netzes mehr zu Hause fühlt als in der realen Welt. Banker und Investoren, so heisst es, kleben gefesselt an seinen Lippen. Ein Unerreichbarer, entrückt in andere Sphären, der Beobachtern als Guru oder Alien gilt. Viel ist über ihn geschrieben worden. Für viele Gleichaltrige ist Buterin ein leuchtendes Vorbild und die Blockchain ihre Hoffnung, die Welt zu verändern (oder vielleicht nur ein Mädchen abzubekommen, obwohl sie weder gut Fussball noch Gitarre spielen können). In allen Phasen der Technik-Entwicklung haben solche Nerds, Geeks und Kids die etablierten Unternehmen und Experten unter Druck gesetzt, weil sie weder Rücksicht auf bestehende Strukturen noch auf ihre Gesundheit noch auf irgendwelche Gesetze oder ethische Normen nehmen mussten. Manche setzen sich damit durch (siehe Kasten), für die meisten aus dieser Gruppe dürfte es auch diesmal nicht mehr als eine Phase ihres Lebens sein: Die Kids werden erwachsen, haben plötzlich etwas zu verlieren und werden von den ein paar Jahre jüngeren Nerds unter Druck gesetzt, die mit einer neuen Technologie die Welt verändern wollen.

Die Älteren wissen, wie es ist, wenn eine Revolution von der flachen Welle zum Tsunami wird. durch einfache Computerspiele geklickt, lernte später Programmieren. Doch Computer an sich langweilten ihn. Wie viel mehr versprach dieses neue Netz! «Eine Ausbildung dafür gab es nicht», sagt Rebernik. Also schaute er anderen Entwicklern auf die Finger, fischte sich Software aus dem Internet, schrieb schliesslich ein Programm für einen eigenen OnlineShop. Doch was taugte der schon ohne sicheres Bezahlsystem? Und wäre es nicht viel besser, auch mobil shoppen zu können? Später, nach dem Studium Wirtschaftsinformatik, hat Rebernik fast überall mitgemischt, wo man im Internet mitmi-

seine Firma Microsoft in der damals hippen

schine Google begannen. Noch später kam

Software-Branche gründete. Im gleichen Alter

der Durchbruch bei Jeff Bezos: Als er Ama-

startete 2004 Mark Zuckerberg das Social-

zon gründete, hatte er bereits seinen dreissigs-

Picklige Nerds, die mit ihren Technik-Kenntnis-

Instrument Facebook. Als die Musik-Tausch-

ten Geburtstag hinter sich.

sen die Welt retten (oder zerstören wollen), sind

börse Napster 1999 an den Start ging, war ihr

ausser in Hollywood-Filmen wie «Wargames»

Erfinder Shawn Fanning sogar erst achtzehn

(1983) eine eher seltene Spezies. Allerdings ist

Jahre alt. Auch der Blockchain-Pionier Vitalik

genau eine solche Karriere der Traum vieler

Buterin ging mit seinem Unternehmen Ethe-

Heranwachsender. Entsprechend üben neue

reum mit neunzehn an den Start.

Technologien eine grosse Anziehungskraft auf viele Teenager aus.

Natürlich waren nicht alle Gründer revolutionärer Tech-Firmen so früh dran. Steve Jobs

Manchmal auch tatsächlich mit grossem

startete Apple mit 21, Larry Page und Sergey

Erfolg. Bill Gates war neunzehn, als er 1975

Brin waren schon 23, als sie mit ihrer Suchma26

«Wargames» . Quelle: scifinow.co.uk

Kiddie-Karrieren

den Stellschrauben für die neue Technologie drehen. Menschen eben wie jener Christian Rebernik, der Mitte Mai auf der Google I/O in der kalifornischen Sonne sitzt. Der 38-Jährige mit dem kleinen Kinnbärtchen weiss, wie es ist, wenn eine Revolution als flache Welle heranspült und plötzlich zu einem Tsunami schwillt. Er war dabei, als das Internet seine ersten Gehversuche machte, als Modems noch fiepten und schnarrten und die Leser seiner Schülerzeitung die kleinen Texte, die er online stellte, nur im Ruckelmodus lesen konnten. Schon als Kind hatte sich Rebernik am Amiga oder am Commodore C64


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

der 34-Jährige, «aber wenn wir länger warten, ist der Zug abgefahren.» Für die erste Runde des virtuellen Accelerator-Programms bewarben sich 54 Teams. Zehn davon werden aktuell drei Monate lang von einem siebzigköpfigen Mentoren-Team betreut, darunter auch Guido Rudolphi. Den Cyber-Experten hat insbesondere das Konzept «viel online, wenig Präsenz» überzeugt. «Die meisten Blockchainer stehen ganz am Anfang ihrer Karriere, haben kein Geld, sich einen längeren Aufenthalt in Zürich zu leisten, haben mitunter Schwierigkeiten, ein Visum zu bekommen – und sind vom Typ her», Grassinger überlegt, «nicht die extrovertiertesten.» Was ihm besonders gefällt: die Bandbreite an Ideen. Die einen wollen eine Bank für Flüchtlinge aufbauen. Die anderen sicherstellen, dass in einer Weinflasche nur das drin ist, was drin sein soll. Ausserdem spannend: die positive Stimmung. Alle sind beflügelt und davon überzeugt, die Welt mit ihrer Arbeit besser zu machen, «wie die Neuauflage der 68er-Generation, fast schon ein bisschen sektenhaft». Dreimal trifft er sich mit den Teams persönlich, in Berlin, in London, in Ams-

schen kann. Bei Partnerbörsen und digitalen Wettbüros, in Werbeportalen und bei den Vereinten Nationen. Umso besser weiss er jetzt, wie er seinen Traum von der schnellen, unkomplizierten, überall verfügbaren Bank voranbringen kann, jetzt, wo endlich die Technik auf dem Tisch liegt, die das möglich macht. Wird es in zehn Jahren noch Banken geben, Herr Rebernik? «Klar, genauso wie es heute noch Offline-Shops gibt. Aber vieles wird sich in den digitalen Raum verlagern.» GROSSE BANDBREITE AN IDEEN Sprung nach München, es reg-

net, hier liegen die Temperaturen nur knapp über null. Daniel Grassinger sitzt im Stadtcafé, gleich gegenüber vom Jüdischen Museum am Sankt-Jakobs-Platz, und bestellt sich einen Milchkaffee. Seit drei Jahren lebt er in Zürich, doch am Wochenende kommt er oft in seine Heimatstadt zurück. Abschalten. Nachdenken. Freunde treffen. Termine wahrnehmen. Hypovereinsbank, Allianz, Münchner Rück, «es gibt bereits Unternehmen, die an unserer Idee interessiert sind». Grassinger hat nach seinem Studium – Bauingenieurwesen und Betriebswirtschaftslehre – bei AECOM gearbeitet. Sein Job: Raumkonzepte für Grossunternehmen entwickeln. Sei es, um Geld zu sparen, Abteilungen wie Produktentwicklung und Marketing näher zusammenzurücken oder für den begehrten Nachwuchs eine Art Campusatmosphäre zu kreieren mit Sofa, Kaffeebar und Kicker. «Eine gute Zeit», sagt er. Doch letztlich wollte er immer sein eigener Chef sein. 2013 ging er für AECOM in die Schweiz. Einer der Kunden: Daniel Gasteiger, damals Managing Director bei der UBS. «Wir haben uns sofort verstanden», erzählt Grassinger. Man hat sich getroffen, näher kennengelernt, irgendwann auch gemeinsam darüber nachgedacht, was es «jenseits der Corporate-Karriere» noch geben könnte. Der richtige Impuls kam im März 2015 auf dem LAUNCH Festival in San Francisco. Mitten unter den 15 000 Teilnehmern: Ursula Oesterle, die damalige Leiterin des SwisscomThink-Tanks im Silicon Valley. «Sie erzählte uns von Blockchain», so Grassinger, «und wunderte sich, dass in Europa niemand darüber redete, in den USA war es bereits das Thema.» Zurück in der Schweiz, fingen beide an zu recherchieren, hörten sich um, knüpften Kontakte. Nur sechs Monate später stand der Businessplan für Nexussquared – den ersten Schweizer Hub für BlockchainInitiativen aus ganz Europa. «Noch ist es nicht zu spät», sagt

«Die Blockchain wird die Welt zum Positiven verändern. Wie der Fall der Berliner Mauer.» terdam. Anfang Juli findet in Zürich dann die Abschlussveranstaltung statt – mit Präsentation vor Investoren und Networking, «auch mit dem Ziel, die Jungfirmen in die Schweiz oder nach Deutschland zu holen». SPÜRBARER WUNSCH NACH VERÄNDERUNG Einer, der von der Schweiz aus agiert, ist Richard Olsen. Gerade kommt er von einem Termin am «Bankeninstitut» der Universität Zürich. «Mir bleibt die Stimme weg, wenn ich sehe, was alles schiefläuft – und nicht nur mir.» Ob in der Bahn oder im Flugzeug, überall treffe er Menschen, die zutiefst frustriert sind, «sie wollen eine Veränderung, ein anderes System, das ist spürbar». Insofern sind die Würfel für den erfahrenen Wirtschaftsexperten bereits gefallen. «Blockchain wird die Welt zum Positiven hin verändern.» Das lasse sich nicht aufhalten, genauso wenig wie damals der Fall der Berliner Mauer, «wir sind Zeugen eines höchst profunden Wandels – und er hat bereits begonnen». 27


Start-ups . Die Macher der Blockchain . Anja Dilk, Heike Littger

«Alles ist Open Source, die Software, die Algorithmen», sagt Olsen, «das ist eine völlig neue Herangehensweise.»

Olsen ist in der Schweizer Finanzszene kein Unbekannter. Schon Ende der Achtzigerjahre hat er in Zürich ein kleines Forschungsunternehmen gegründet, um aus Millionen von Datenpunkten Devisenprognosen in Echtzeit zu generieren. Heute will er mit Lykke ein neues Kapitel aufschlagen, das Motto: «Zurück zum Tauschwarenhandel von Mensch zu Mensch». Für Olsen ist das Finanzsystem die zentrale Schraube, um die Gesellschaft zu verändern. «Viele unserer Probleme gründen darauf, dass Menschen keinen Zugang zu den Märkten haben und somit kein Auskommen.» Wer sich auf der neuen Plattform registriert, wird Bürger von Lykke City und kann,

WEGRASIERTE ARBEITSPLÄTZE Nicht weit entfernt macht sich

Stefan Klauser auf den Weg zum Bahnhof. Heute geht es nach Genf, zu einer Konferenz im Rahmen der OECD. Thema: Open Science und Digitalisierung. «Mich interessiert besonders, welche Rolle Blockchain in den Referaten spielt.» Seit Februar ist Klauser beim Komplexitätsforscher Dirk Helbing am ETH-Lehrstuhl für Computational Social Science. Wie bei Helbing geht es auch bei Klauser erst einmal um die digitale Revolution, die «in den kommenden zehn bis zwanzig Jahren fünfzig Prozent der heutigen Arbeitsplätze wegrasieren wird». Nicht nur Taxifahrer wird es treffen, wenn selbstfahrende Autos Kunden durch Stadt und Land kutschieren. «Wir alle stehen vor einem gewaltigen Umbruch – und kein Land der Welt ist darauf vorbereitet.» Im Grunde müsse die Hälfte der Volkswirtschaft neu erfunden werden. Klauser steigt in den Zug. Ein paar Minuten hat er noch. «Die Gefahr, dass die Umwälzung die Welt ins Chaos stürzt, ist gegeben», erzählt der 32-Jährige. Vor allem, weil wir im Moment noch in die falsche Richtung laufen. Die Menschen werden nicht befähigt, sondern immer stärker bevormundet und voneinander isoliert. Stichwort Big Data. Angeblich dient die Analyse riesiger Datenmengen dazu, den Menschen bessere Produkte und Dienstleistungen anbieten zu können oder die Welt sicherer und bequemer zu machen. Doch letztlich führt es dazu, so Klauser, «dass ein jeder von uns gefangen ist in einer Welt aus personalisierten Informationen, einer FilterBubble» – und nur noch das sieht, was ihm aufgrund seiner Suchanfragen, Einkäufe, Kontakte, Bewegungsmuster gezeigt und angeboten wird. Er erwähnt China und den «Citizen Score» – implementiert mittels einer App der Online-Konzerne Alibaba und Tencent, die sozial erwünschtes Verhalten mit Punkten belohnt. Hat man 600 erreicht, gibt es günstige Kredite, ab 700 steigen die Chancen auf ein Visum nach Singapur oder Europa. Punktabzug gibt es für Kritik an der Kommunistischen Partei, «falsche» Freunde, «unerwünschte» Interessen. «Wenn das so weitergeht, besteht die Gefahr, dass wir verlieren, was wir innerhalb von Jahrzehnten und Jahrhunderten aufgebaut haben», sagt Klauser. Freiheit und Selbstbestimmung, Menschenwürde, Fairness, Gerechtigkeit, die

«Die Blockchain macht das Internet zu dem, was es schon immer sein wollte.» so der Plan, spätestens ab September 2017, mit allem handeln, was er besitzt. Dienstleistung gegen Bitcoins, Produkte gegen Aktien, Wissen gegen Naturalien, «selbst die Bodenvase im Wohnzimmer lässt sich dann ad hoc versilbern», so Olsen. Heute können die Lykkeaner bereits Devisen kaufen und verkaufen. Olsen hat in den vergangenen Jahren viel gelernt, wie er sagt. Wie gründet man ein Unternehmen, wie führt man Mitarbeiter, wie bringt man Menschen im Netz zusammen, wie funktionieren Märkte? Er hat aber auch «viele, viele Fehler» gemacht. Sein grösster: zu wenig Flexibilität. «Man muss wie der Surfer abwarten können und dann, wenn die richtige Welle kommt, geschmeidig mitgehen – im Flow bleiben.» Bereits 2011 hat sich Olsen mit Kryptowährung beschäftigt – aber dann doch auf seine innere Stimme gehört: Die Zeit war noch nicht reif. Rückblickend hat sich das Warten gelohnt. «Ich hätte nur eine Vorwelle erwischt und sässe heute vielleicht entmutigt am Strand.» Heute beschreibt Olsen sich weniger als Surfer, eher als Pionier in noch unbekanntem Gelände: «Pfosten einschlagen. Biwak aufstellen. Auf Gleichgesinnte warten.» Es könne passieren, dass man allein bleibt auf weiter Flur, so Olsen. Doch dafür seien diesmal eigentlich bereits zu viele unterwegs. Das Kernteam von Lykke besteht inzwischen aus siebzehn Mitstreitern, die in sieben Ländern sitzen, dazu kommen etliche Entwickler, die an die Idee glauben und sich miteinklinken. 28


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Kaffeemaschinen, Zahnbürsten, Schuhen oder Rauchmeldern mitmischen. Der Unterschied zu jetzt: «Jeder Bürger bestimmt selbst, welche Informationen er erfassen und teilen möchte», erklärt Klauser. «Und jeder hat gleichberechtigt Zugriff.» Mit Blockchain steht dafür nun «eine faszinierende Technologie» bereit, so Klauser, denn die Basis von «Nervousnet» ist Vertrauen und Transparenz – nur dann werden die Menschen sich einklinken, mitmischen, das Netz weiterentwickeln, Services und Produkte anbieten, «und ja, ein leistungsfähiges Informationsökosystem aufbauen – mit vielen neuen Jobs, die wir dringend brauchen». Im April fand ein erster Hackathon statt, um Back-End und Apps zu entwickeln, Lösungen zu finden für bestmöglichen Schutz von Privatsphäre und Datenhoheit. Gut vierzig Entwickler, Datenspezialisten, Unternehmer, Anwender und Neugierige folgten dem Aufruf «Let us build digital democracy together!». Für Stefan Klauser ist die Blockchain nicht das «next big thing» nach dem Internet. «Es macht vielmehr das Internet zu dem, was es immer sein wollte.» Eine echte Peer-to-Peer-Welt.

Möglichkeit, sein Leben so zu gestalten, wie man möchte. Letztlich auch Demokratie, Sicherheit und Frieden. Der Ausweg? Klauser geht zu seinem Platz, zieht Laptop und Handy aus der Tasche, die Fahrt will er nutzen, um einen Vortrag vorzubereiten. «Information ist der Rohstoff der Zukunft», sagt Klauser, «und er wird immer wertvoller, je öfter man ihn teilt.» Insofern sollte man besser heute als morgen aufhören, Information wegzusperren wie Gold in einen Tresor. «Wir müssen die Menschen vielmehr befähigen, mit dieser neuen Ressource umzugehen, im Austausch mit anderen zu veredeln, Mehrwert für alle zu generieren.» DIGITALE DEMOKRATIE Institutsleiter Helbing denkt schon län-

ger über ein digitales Bürgernetzwerk nach, eine Art planetares Nervensystem, das, wie er sagt, «in Echtzeit die Welt vermisst». Der Name: «Nervousnet». Mittels Sensoren im Smartphone kann es bereits heute Temperatur, Helligkeit, Lärm, Bewegung, Erschütterung, Beschleunigung zusammenführen. Später sollen auch Messfühler in Kühlschränken,

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Wir wünschen Ihnen einen himmelblauen Tag. 29


Start-ups . Die Macher der Blockchain . Anja Dilk, Heike Littger

Der 30-Jährige ist gefragt, denn von Minckwitz beschäftigt sich schon seit 2011 mit Blockchain und der darauf basierenden digitalen Währung Bitcoin. Hat Websites aufgezogen, auf denen sich zum Beispiel Amazon- und Ebay-Artikel per Bitcoin zahlen lassen. «Wir sind den Banken fünfeinhalb Jahre voraus.» Seit einem Jahr arbeitet das Team an einer App, die es ermöglicht, innerhalb von Stunden Geld ins Ausland zu schicken – für gerade mal 0,5 Prozent der überwiesenen Summe. Vierzehn Währungen sind bereits verfügbar, mehr als

«Wir sollten diese zweite Chance nutzen.» Doch dafür müssten wir begreifen, dass wir «an einem Scheideweg stehen», und darüber nachdenken, wie wir in Zukunft leben möchten: in einer «von oben dirigierten Überwachsungsgesellschaft», wie Klauser sagt, oder in einer «partizipativen digitalen Gesellschaft», die auf kollektive Intelligenz und Selbstorganisation fusst. BROWSER FÜR GELD Fern der Schweiz, Berlin-Kreuzberg. Nicht

weit vom Ufer der Spree liegt das alte Umspannwerk. Der Industriebau aus Backstein, Stahl und Glas gehört zu den Hotspots der deutschen Blockchain-Szene. Hier kann man zum Beispiel Jörg von Minckwitz treffen, den Gründer von Bitwala. Ein Stockwerk hoch, vorbei an Bauchpresse, Bitcoin-Automat und Club-Mate-Bar. Am Ende des Lofts sitzen ein halbes Dutzend Entwickler schweigend vor den Macs. Manche tragen eine bunte Sonnenbrille, andere Bärte. Ein junger Mann springt auf, Typ sympathischer «good guy» aus einer USFernsehserie. Federnder Gang, breites Lachen, blonde Haare, wie vom Sommerwind in optimalem Masse zerzaust, enges weisses T-Shirt mit der Aufschrift «New Jörg City». «Hallo, ich bin Jörg», sagt Jörg und führt den Besuch in die Sitzecke neben der Küche. «Den Coworking-Space haben wir selbst aufgezogen, Kellerwohnung oder Hinterhof-Hub wie anfangs – das passte einfach nicht mehr zu unseren Kunden.» Wenn Bankvorstände in den Entwickler-Hub kamen, haben von Minckwitz und sein Co-Founder Jan Goslicki noch rasch den Staub von den kippeligen Stühlen gewischt. «Wir brauchten etwas Repräsentativeres.»

«Wir arbeiten an einem neuen Internet – einem Internet der Werte und Transaktionen.» 5000 Nutzer in Afrika, Asien und Europa transferieren über Bitwala. Zahlen Strafzettel, Miete, Honorare – und handeln. «Bitwala ist ein Browser für Geld», erklärt von Minckwitz. «Ich will den Zugang zum internationalen Zahlungssystem auch Menschen eröffnen, die bisher ausgeschlossen sind.» Weil sie nicht kreditwürdig sind oder keine Banken in der Nähe finden. Von Minckwitz: «Wenn man die Bezahlweise via Blockchain mit Logistik kombiniert, wird Handel von Mensch zu Mensch von jeder Ecke der Welt aus möglich.» Denn die Lieferanten können durch die neue Technologie sicher sein, dass ihre Waren auch wirklich bezahlt und nicht mehrfach gehandelt werden. «Bank the unbankable», das treibt von Minckwitz an. Er ist einer, der weiss, was er will. Der mit vier seinen ersten Computer vom Vater bekam, mit vierzehn im kleinen Dorf bei Stuttgart auf MS-DOS erste Skripte schrieb und beschloss: Ich will mal eine Firma gründen. Der die Verlässlichkeit von Zahlen liebt und doch ein begnadeter Player auf dem unzuverlässigen Feld der Kommunikation ist. Dass Bitcoin jüngst auch Kritik einstecken musste, entmutigt ihn nicht. «An Streaming hat anfangs auch niemand geglaubt, weil das Netz zu langsam war. Bitcoin müssen wir genauso weiterentwickeln.» Der nächste Schritt: die App nutzerfreundlicher machen. «So, dass auch meine Mutter sie versteht.»

«Die Banken löchern uns. Aber wir sind ihnen fünfeinhalb Jahre voraus.» Bitwala wächst rasant, ein Plus von fünfzig Prozent im April, eine Million Transaktionen laufen auf der Plattform pro Monat. Gerade ist von Minckwitz zurück aus New York, Austauschrunde mit Wallstreet-Bankern. Deutsche Bank, Barclays – «alle löchern uns: Wohin geht die Entwicklung, welche Erfahrungen habt ihr gemacht, wie können wir Blockchain nutzen?» Nächste Woche geht es zu einer Konferenz in Prag.

IDENTITÄTS-BLOCKCHAIN In Frankfurt am Main sitzt wäh-

renddessen Oliver Naegele und webt die Fäden der deutschen Blockchain-Szene zusammen. Naegele, Jahrgang 1967, 30


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

seinem Bürostuhl zurück. «Wir dürfen unsere Chance nicht verpassen. Jetzt haben wir die Gelegenheit, die Weichen neu zu stellen.» Ein verdammter Druck. Doch nie wollte Oliver Naegele etwas anderes tun. Da ist die Lust, Neuland zu erkunden; die Freude, mit diesen «vielen brillanten Menschen der Szene» zusammenzuarbeiten; die Aussicht, etwas wirklich Bedeutendes zu schaffen. Naegele weiss: Es liegt noch eine Strecke vor ihm. Um die Menschen da draussen von den Möglichkeiten des Web X.0 zu überzeugen, braucht es mehr als ein Sicherheitsversprechen. Userfreundlich, komfortabel und supereasy zu verstehen, muss das neue Netz sein. Kryptische Zeichen sind ein Rausschmeisser. Noch ist der Blockchain-Kosmos freilich «im Alphastadium», sagt Naegele. «Wildwest. Doch spätestens in fünf Jahren werden wir gute Lösungen haben.» Und dann wird die Welt eine andere sein. <

ist ein Allrounder. Ingenieur, Programmierer, Verschlüsslungsexperte, Musiker, dreifacher Vater, eloquenter Analytiker. Seit Jahren treibt ihn um, wie man das Netz besser machen kann. Damit Sicherheitslücken, Angriffe von Bots, Hackern, Script-Kiddies keine Chancen haben. Damit der kommerziellen Verwendung persönlicher Daten durch Giganten à la Facebook und Google, Apple und Amazon endlich ein Riegel vorgeschoben werden kann. «Mit Blockchain können wir die Weichen für ein werte- und transaktionsbasiertes Internet stellen – damit das Netz wieder sich selbst und den Usern gehört», sagt Naegele. Und: «Wir arbeiten an einer neuen Ausrichtung des Internets – dem Web X.0.» Wenn das gelingt, wird eine universelle Infrastruktur entstehen, die wirklich sicher ist, transparent und kontrollierbar. Die Tage von Oliver Naegele sind voll wie nie zuvor. Er feilt gerade an einem europaweiten Internetbürgerrecht, das juristische Sicherheit schafft. Banker bittet er in seine Fintech-Community zum Austausch. Längst gilt er selbst in der Szene als Grösse. Naegele atmet tief durch und lehnt sich in

BRAINWRITING BRAINWRITING

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Himmelblau AG Himmelblau AG 10 Oberburgstrasse Oberburgstrasse 10 3400 Burgdorf 3400 Burgdorf

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Nein, auch das ist kein Fussballfeld. Eher ein Kreativfeld, Nein, auch das ist kein Fussballfeld. Eher ein Kreativfeld, auf dem Sie in 14 Minuten Ideen am Laufmeter generieren auf dem Sie in 14 Minuten Ideen am Laufmeter generieren werden. Wenn Sie denn kreativ sind. Aber wie in jedem werden. Wenn Sie denn kreativ sind. Aber wie in jedem Fussballteam spielen sie nicht alleine, wir stürmen mit Fussballteam spielen sie nicht alleine, wir stürmen mit Ihnen das gegnerische Tor. Ihnen das gegnerische Tor. Brainwriting lässt jede und jeden zu Wort kommen, Brainwriting lässt jede und jeden zu Wort kommen, denn auch stille Wasser... sie wissen schon. denn auch stille Wasser... sie wissen schon. Der Zeitdruck ermöglicht spontane Ideen, die unter Der Zeitdruck ermöglicht spontane Ideen, die unter anderen Bedingungen nie geboren werden. anderen Bedingungen nie geboren werden. Brainwriting ist der Ideengenerator, der anschliessend Brainwriting ist der Ideengenerator, der anschliessend verdichtet wird um noch mehr Ideen zu entwickeln. verdichtet wird um noch mehr Ideen zu entwickeln. Spielpartner inklusive: Spielpartner inklusive: www.himmelblau.ch | T. 034 420 16 16 www.himmelblau.ch | T. 034 420 16 16

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Wir wünschen Ihnen einen himmelblauen Tag. Wir wünschen Ihnen einen himmelblauen Tag.


Christoph Giesa

Im Blockchain-Labor

LIBERLAND

SERBIEN KROATIEN

Donau

BOSNIENHERZEGOWINA


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Innovative Ideen, sogar digitale, brauchen Anknüpfungspunkte in der Gegenwart, an denen sie auf die Wirklichkeit treffen, sich an ihr messen und dadurch voranbringen können. Einer der noch wenigen Orte, an denen Blockchainer solche Experimental-Bedingungen vorfinden, liegt in einer Flussbiegung zwischen Kroatien und Serbien.

die besonders interessant ist: einige hundert BlockchainExperten. «Wir sind durch Zufall zum grössten BlockchainProjekt der Welt geworden», lacht Jedlicˇka, wenn man mit ihm darüber spricht. Aber das ist nur die halbe Wahrheit, denn so zufällig ist diese Entwicklung gar nicht. Um das zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Idee hinter Liberland.

Vít Jedlicˇka ist viel beschäftigt. Will man mit ihm sprechen, erreicht man ihn meistens in irgendeinem Hotel, kurz vor wichtigen Gesprächen oder der Eröffnung einer weiteren Botschaft. Der Tscheche ist Präsident der Freien Republik Liberland. Die wird zwar noch von keinem Staat der Welt anerkannt, aber um das zu ändern, muss Jedlicˇka sich umso mehr wie ein echter Präsident verhalten. Er nennt das den «Ententest»: So wie man eine Ente daran erkennen könne, dass sie geht wie eine Ente, schwimmt wie eine Ente und schnattert wie eine Ente, könne man auch einen Staat daran erkennen, dass er sich verhält wie ein Staat. Immerhin, Liberland proklamiert eine sieben Hektar grosse Fläche an der Donau zwischen Kroatien und Serbien für sich. Das ist dreimal so viel wie Monaco und macht das Projekt damit glaubhafter als jeden in einem Garten oder Hinterhof ausgerufenen Mikrostaat. Dazu kommt, dass es sich um eine Fläche handelt, die seit 25 Jahren weder von Kroatien noch von Serbien beansprucht wird – das Ergebnis einer Flussbegradigung, nach der Unklarheit über den offiziellen Grenzverlauf der beiden Nachfolgestaaten Jugoslawiens herrschte, die bis heute nicht ausgeräumt wurde. Eine Flagge, eine Hymne, eine Verfassung – all das hat die junge Republik bereits. Und das gilt auch für einen weiteren wichtigen Punkt des Ententests: das Staatsvolk. Mehrere hunderttausend Menschen aus der ganzen Welt haben sich inzwischen um die Staatsbürgerschaft von Liberland beworben. Und darunter befindet sich auch eine Gruppe,

NULL-TRANSAKTIONSKOSTEN-GESELLSCHAFT Alternative Wirt-

schafts- und Wohnprojekte gibt es viele, überall auf der Welt. Meistens werden sie aus einem antikapitalistischen, antikonsumistischen, also eher linken Impuls heraus gegründet. Alles gehört allen, was oft sogar für die Körper der anderen gilt. Liberland will genau das nicht. Seiner Gründung liegt vielmehr der libertäre Impuls zugrunde, nachdem es nicht in Ordnung ist, wenn der Staat über Steuern und Abgaben massiv in die Eigentumsverhältnisse seiner Bürger eingreift. Liberland will einen Staat ohne Steuern. Um diese Vision möglich zu machen, setzt man massgeblich auf die Möglichkeiten einer Technologie: der Blockchain. Denn, so die Überzeugung, wenn man es schaffe, über diese den Traum einer NullTransaktionskosten-Gesellschaft (fast) Wirklichkeit werden zu lassen, könne man getrost auf einen Staat verzichten, der überall seine Finger im Spiel hat. Wer eine solche Vision in die Tat umzusetzen beginnt, muss sich nicht wundern, dass er die Blockchainer dieser Welt schnell an seiner Seite hat. Zu den aktuellen Projekten im Rahmen der Staatsgründung gehört etwa ein Katasteramt, das automatisiert die Ver33


Experimente . Im Blockchain-Labor . Christoph Giesa

In Zukunft sollen dann auch die Transaktionen zwischen den Bürgern von Liberland über eine mobile App auf Basis der Blockchain – und damit unabhängig vom Staat – abgewickelt werden können, ebenso wie die An- und Abmeldung oder der Verkauf von Firmen, wie Jedlicˇka erklärt. Die Wertpapierbörse von Liberland wird selbstverständlich ebenso auf Basis der Blockchain laufen. Angelehnt an die direkte Demokratie der Schweiz und die digitalen Abstimmungen in Estland, soll ausserdem ein sicheres Abstimmungssystem auf Basis der Blockchain entwickelt werden.

waltung des Staatsgebiets von Liberland übernimmt. Sobald jeder einzelne Quadratmeter über die Blockchain einem Eigentümer zugewiesen ist, sind die Verhältnisse geklärt und nicht mehr manipulierbar. Situationen wie in Griechenland, wo ein nicht funktionierendes Katasterwesen zu dauernden Rechtsstreitigkeiten führt, wären dann undenkbar. Auch für die Verteilung des Landes hat man sich schon etwas überlegt, wiederum auf der Blockchain basierend. Dazu muss man ein wenig ausholen. Auf dem Weg zu einem funktionierenden Staat gibt es noch eine Menge zu erledigen – dafür braucht es Ressourcen, in diesem Fall: Geld und Arbeit. In einem «normalen» Staat wird das Geld, um die Arbeit zu bezahlen, über Steuern eingenommen. Wenn man aber, wie

KRYPTO-TEST IN ZUG Die Entwicklung läuft bereits. Das gröss-

te Problem von Liberland ist derzeit noch, dass es seine Projekte zwar skizzieren und entwickeln, nicht aber in der Realität, sondern nur digital testen kann. Noch steht auf dem Gelände in der Flussbiegung ein altes, unbewohntes Jagdhäuschen. Die kroatische Polizei hält die Siedler davon ab, das Land zu betreten und sich dort niederzulassen – «illegal», wie Jedlicˇka betont. Um den Ententest endgültig abzuschliessen, planen die Liberländer zunächst die Besiedlung des Landes von der Flussseite her, mit Hausbooten. Aber auch das wird noch eine Weile dauern. Andere Projekte, die sich in etablierten Staatsstrukturen bewegen und damit nicht die gleichen Freiheitsgrade haben, wie Liberland es eines Tages möglicherweise haben wird, gibt es allerdings schon. Eines davon ist der Kanton Zug, der inzwischen aufgrund der hohen Dichte von Unternehmen, die sich mit Blockchain-Technologie im Allgemeinen und Kryptowährungen wie Bitcoin im Besonderen beschäftigen, bisweilen «Crypto Valley» genannt wird. Dort akzeptiert zum ersten Mal überhaupt eine öffentliche Verwaltung, nämlich die der Stadt Zug, im Rahmen eines Pilotprojektes die Begleichung von Rechnungen bis zu 200 Franken in Bitcoin. Die Sogwirkung auf die Szene ist dort, wie auch in Liberland, unverkennbar. Wo Offenheit für neue Technologien und schlanke Verwaltungslösungen herrscht, dort sammeln sich dann auch diejenigen, die mit diesen experimentieren – ganz ohne dass es dafür millionenschwere öffentliche Werbekampagnen bräuchte. Vor diesem Hintergrund dürfte auch Hannover die Chance haben, in Zukunft als einer der wichtigsten Standorte für das Thema Blockchain zu fungieren. Dort öffnet in diesen Tagen nämlich ein Projekt die Türen, das bisher das örtlich in-

Wer sich für den Staat engagiert, erhält «Merits». Hat man 10 000 zusammen, ist man Staatsbürger. Liberland, auf Steuern verzichten will und allein auf Freiwilligkeit setzt, braucht man andere Möglichkeiten. Der Anreiz ist in diesem Fall die Währung Liberlands, «Merit» genannt. Diese kann man erwerben, indem man «Tasks» erledigt, also Aufgaben, die im Rahmen des Aufbaus von Strukturen und deren Administration anfallen, oder indem man schlichtweg Geld bereitstellt. Ein Merit entspricht derzeit einem USDollar – ab hundert Merits gewinnt man die ersten Mitgestaltungsmöglichkeiten, mit 10 000 Merits den Anspruch auf die Staatsangehörigkeit. INVESTITIONSANREIZE OHNE STEUERVORTEILE Auch wenn es zunächst widersprüchlich wirkt: Dass Liberland auf Steuern verzichten will, aber trotzdem Anreize setzt, Geld zu investieren, hat Methode. Denn wer auf Freiwilligkeit setzt, muss umso mehr auf seine Bürger setzen – und damit diese auch in die Verantwortung nehmen. Ein libertäres Projekt ist vielleicht eines, in dem einen der Staat in Ruhe lässt, aber keines, indem man nichts zum Gelingen beitragen muss. «Merit» ist daher auch kein zufällig gewählter Name, steht der Begriff doch gleichermassen für Wert, Leistung und Verdienst. Und damit für das Versprechen, sich einen Wert – wie etwa ein Stück Land oder die Staatsbürgerschaft von Liberland – durch eigene Leistung verdienen zu können. 34


Der erste Kryptostaat

Bitnation erhalten alle Leistungen einer souve-

risierung von Bitnation. Hochzeiten, Geburten

ränen Nation, unabhängig davon, wo sie sich

und Zeugnisse werden via Blockchain beglau-

zu dieser Zeit auf der Welt befinden.

bigt und in einem kryptografisch gesicherten,

Während Liberland ein Staatsgebiet zwar noch

«Ich wollte die Welt grenzenloser machen»,

nicht hat, aber anstrebt, will Bitnation dauer-

begründet Tarkowski Tempelhof ihr Engage-

haft ohne festes Territorium auskommen. Die

ment – schon als Jugendliche schrieb sie über

schwedisch-polnisch-französische Gründerin

nichtgeografische Nationen. Angeregt worden

Susanne Tarkowski Tempelhof möchte mit die-

sei sie durch ihren Vater, der viele Jahre als

sem Projekt eine virtuelle Identität schaffen, die

Staatenloser lebte.

staatsunabhängig ist. Diese Blockchain-Identi-

Die erste Kooperation mit einem Territorial-

tät würde die herkömmlichen, ländergebunde-

staat gibt es bereits: Estland nutzt seit Dezem-

nen Identitätsausweise ablösen. Die Bürger von

ber für sein E-Residency-Programm die Nota-

öffentlichen Register hinterlegt.

genwert versehen und können für andere Leistung in und um den Hafven eingesetzt werden.

tegrierteste Projekt mit Blockchain-Hintergrund sein dürfte. Ricardo Ferrer Rivero ist einer der Köpfe hinter dem Hafven, dem neuen Coworking-Space in der Hannoveraner Nordstadt. Der Hafven soll nicht nur architektonisch – ein spektakulärer schwarzer Bau, der schon von der Bahnstrecke aus ins Auge sticht – und bezüglich der Finanzierung – fünf Millionen Euro, von einem privaten Investor und ohne einen Cent öffentlichen Geldes – Massstäbe für Coworking-Spaces europa- und sogar weltweit setzen. Vielmehr sollen auch dort Aufwand für «Regierung» und «Verwaltung», in diesem Fall

GLÄSERNE SUPPLY-CHAIN Von diesem anspruchsvollen Expe-

riment abgesehen, sollen aber auch ganz einfache Prozesse in der Blockchain abgebildet werden, etwa ein Verpackungspfandsystem oder die Ausleihe von Büchern, Werkzeug und anderem Material. Eine weitere Überlegung ist die, die Blockchain zu nutzen, um einen Konsumententraum wahr zu machen: die gläserne Supply-Chain. Die Bezahlung des Obstlieferanten etwa könnte dann automatisch mit dem Eingang des Obstes mitsamt seinen Herkunftsdaten erfolgen. Die Qualität kann von den Abnehmern bewertet werden, und wenn sie einen gewissen Standard nicht erfüllt, wird der Lieferant automatisch aufgefordert, nachzubessern – oder irgendwann ganz blockiert. Ferrer Rivero sieht in den Blockchain-Anwendungen, an denen er für den Hafven arbeitet, eine Mischung aus Vertragskontrollinstrument nach dem Motto «Keine Leistung ohne Gegenleistung» und einem Reputationsmanagement nach dem Motto «Leistung soll auch als solche erkannt werden». Wer über die Blockchain – nicht manipulierbare – gute Bewertungen bekommt, kann diese perspektivisch auch nach aussen hin vermarkten. Während bei Amazon jedermann Bewertungen schreiben kann und damit Missbrauch Tür und Tor geöffnet ist, steht in der Anwendung, wie Ferrer Rivero sie derzeit konzipiert, jeder Bewertung ein finanzieller Wert gegenüber, was falsche Angaben unattraktiv machen soll.

Wo Offenheit für neue Techniken herrscht, sammeln sich auch die, die mit ihnen experimentieren. Geschäftsführung und Angestellte, möglichst gering gehalten werden, indem das «Staatsvolk», im Falle des Hafven die Coworker, in Form von Arbeitsleistung selbst die Aufgaben übernimmt und dafür «Merits» erhält – die aber in diesem Fall nicht gegen eine Staatsbürgerschaft in Liberland eintauschbar sind, sondern Guthaben in der hafveneigenen Kryptowährung darstellen. Wer beispielsweise ein Event organisiert, bekommt dafür Punkte; je nachdem, wie gut die Referenten ausgewählt waren, ob die Bestuhlung passte und das Catering gut und ausreichend war, fällt die Honorierung mehr oder weniger üppig aus. Diese Punkte sind mit einem konkreten finanziellen Ge35

Susanne Tarkowski Tempelhof . Quelle: peacefulanarchism.com

GDI Impuls . Nummer 2 . 2016


Experimente . Im Blockchain-Labor . Christoph Giesa

2013 erschienenen Buch «Creative Intelligence» als «IndieCapitalism» beschrieben hat (siehe GDI Impuls 1.14). Angelehnt an den Indie-Begriff aus der Musik, mit dem eine Bewegung beschrieben wird, die sich von den vorherrschenden Vorgehensweisen und Regeln der Industrie unabhängig macht, baut auch die marktwirtschaftliche Indie-Bewegung auf vorhandenen kulturellen und unternehmerischen Bewegungen auf. Sie ist massgeblich durch Kreativität getrieben, ihre Akteure sind «Maker», also Menschen, die Dinge selbst produzieren, verändern oder «hacken» und von Werten wie Unabhängigkeit, Dezentralität, Gerechtigkeit getrieben werden. Sie richten sich nicht gegen den Kapitalismus als solchen, sondern besetzen vielmehr die Nischen, die die Ineffizienzen des bestehenden Systems lassen, und bauen dort neu, was sie an anderer Stelle mit viel Aufwand gegen den Widerstand etablierter Strukturen durchsetzen müssten. Nun müssen sie nur darauf achten, dass ihre Nischen erhalten bleiben – wobei sie auch auf die Unterstützung von Banken, Verwaltungen und anderen Playern hoffen, die ein Interesse an ihren Experimenten haben. Dann, so sind Ferrer Rivero wie auch Jedlicˇka überzeugt, hat Europa gute Chancen, Marktführer beim Thema Blockchain-Technologie und Kryptowährung zu werden. Wenn irgendwann nicht nur Liberland, sondern die ganze Technologie ihren Ententest bestanden hat, dürfte die Sogwirkung noch einmal ganz andere Dimensionen erreichen. Da denkt man fast automatisch an das Beispiel Silicon Valley. Und wiederholt sich Geschichte nicht manchmal? «Beste Dienstleistungen zu unschlagbaren Preisen», das ist das grosse Versprechen der Blockchain. In dieser kurzen Botschaft stecken unendlich viele Möglichkeiten, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft neu zu denken, Geld zu verdienen und Geld zu sparen, Strukturen einzureissen und neue zu errichten. Die Blockchain wird vieles verändern, so wie das Internet auch. Aber auch das geschah nicht über Nacht und ging nicht ohne Enttäuschungen und Rückschläge ab. Es dürfte noch einige Zeit spannend bleiben. In Liberland, Zug und Hannover, aber auch an vielen anderen Orten auf der Welt. <

Obwohl Ferrer Rivero mit seinem Bitcoin-Start-up Pey Erfahrungen mit Blockchain-Technologie mitbringt, ist er selbst davon überzeugt, dass dieses Projekt eine lange Beta-Phase haben wird. Nicht alles wird auf Anhieb klappen oder angenommen. Warum er dennoch überzeugt ist, dass der Hafven in Zukunft auch als Blockchain-Labor erfolgreich sein wird? «Weil wir unsere Community über die Jahre in anderen Projekten bereits aufgebaut haben und diese unsere Werte teilen», antwortet er darauf. Da ist sie wieder – die Gemeinschaft als Faktor, wie schon in Liberland und Zug. Dann schiebt Ferrer Rivero noch nach: «Der Hafven ist der bisher wohl beste Versuch, eine Zeitmaschine zu bauen.» Und es scheint genügend Menschen zu geben, die bereit sind, sich gemeinsam auf den Weg zu machen – weil sie sich gegenseitig vertrauen. Und der Blockchain. EXPERIMENTE IN DER NISCHE Ferrer Rivero und Jedlicˇka, ein

Venezolaner und ein Tscheche, mit ihren Projekten in Hannover und an der Donau, sind zwei Beispiele für BlockchainExperimente jenseits der Finanzszene – und damit auch jenseits des schnellen Geldes aus den Kassen von Banken und anderen Grossunternehmen. Ihr Ziel ist es vielmehr, die gesellschaftspolitische Dimension der Blockchain-Idee zu ent-

Beste Dienstleistungen zu unschlagbaren Preisen – das ist das Versprechen der Blockchain. wickeln. Während Banken sich in Konsortien darum bemühen, die Technologie so zu adaptieren, dass ihre bestehenden Prozesse dadurch schneller und kostengünstiger werden – und damit versuchen, disruptive Entwicklungen von ausserhalb zu verhindern –, geht es Ferrer Rivero und Jedlicˇka genau darum, diese Disruption zu ermöglichen. Nur eben an anderen Stellen. Sie kümmern sich dabei vor allem um diejenigen Bereiche, die von Big Money bisher nicht oder zumindest nicht mit Nachdruck bespielt werden. Dass Liberland genau dort entsteht, wo zwei existierende Staaten eine Lücke gelassen haben, kann man durchaus als Sinnbild für das Denken der Blockchain-Community sehen. Diese Beschreibung erinnert nicht zufällig an das, was der New Yorker Innovationsprofessor Bruce Nussbaum in seinem

Links zum Thema www.liberland.org www.hafven.de 36


You Need to Know Your Individual Customer, Not Your Target Group. Welcome to Data-Driven Branding. branders.ch


Judith Mair, Bitten Stetter et al.

Die nächste Gesellschaft steht kopf


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Mit der Blockchain laufen wir auf eine Umstülpung der Werte von Wirtschaft und Gesellschaft zu. Das sagt sich leicht. Aber wie soll man sich das vorstellen? Master-Studierende der Studienvertiefung Trends der Zürcher Hochschule der Künste haben es mit einer Pyramide und einem ganz neuen Konzept von Währung versucht.

Sperrstunden. Warum, so die immer wieder laut werdende Frage, sollen wir Produkten, Dienstleistungen oder Währungen vertrauen, die sich nicht mit unserem Anspruch auf Selbstverwirklichung verbinden?

Egal, ob «Always on» oder «24/7-Gesellschaft», es gibt viele Bezeichnungen, um unsere Besessenheit von der digitalen Welt und ihre unendlich vielen Möglichkeiten zu beschreiben. Wir möchten uns keine Gelegenheit entgehen lassen, Teil dieser vernetzten Gesellschaft zu sein, um die letzten Weltnachrichten, Statusänderungen oder Beziehungsdramen mitzuerleben. Egal, ob Inspirationen von Influencers auf Instagram oder Wissen direkt von «Ted-Visionären»; wir sind es gewohnt, dass alles immer und überall verfügbar ist und wir uns jederzeit direkt beteiligen können. Als dezentralisiertes Konstrukt hat das Internet Zugang zu einer völlig neuen Welt eröffnet. Zugleich verlangen wir nach immer personalisierteren Selektionsmöglichkeiten, streben nach Individualisierung und sehnen uns nach mehr Autonomie, Mitspracherecht und Selbstwirksamkeit. Parallel wächst die Skepsis gegenüber statischen Angeboten und hierarchischen Institutionen, die uns bevormunden und einschränken. Es mag ja sein, dass das schon immer so war – aber muss es deswegen immer so sein? Es gab Zeiten, da war es schon immer so, dass Menschen an Infektionen gestorben sind. Heute gibt es Antibiotika. Es gab Zeiten, da durfte man keine Herdplatte anfassen, auf der gerade gekocht wurde. Heute gibt es Induktionskochfelder. Es gab Zeiten, da musste man bei Autos einen physischen Schlüssel in ein physisches Schloss stecken, um es öffnen zu können – da wäre Car-Sharing schlicht unmöglich gewesen. Es gab Telefone mit Wählscheiben und Gebührenzählern, und es gibt immer noch

ESSEN, SCHLAFEN, TRINKEN, WIFI Die permanente Jagd nach Selbstverwirklichung ist zum zentralen Motiv unserer Lebensgestaltung geworden. Das rüttelt die bekannte Bedürfnispyramide Maslows nicht nur gehörig durcheinander, sondern stellt sie möglicherweise gänzlich auf den Kopf. Denn die physische Notwendigkeit, der schiere Lebensunterhalt, das nackte Überleben, ja auch der neu als Grundbedürfnis empfundene Zugang zum Internet sind so lange schon und so intensiv gesichert, dass sie immer weniger als ein Fundament wahrgenommen werden, auf dem alles andere aufbaut. Es gerät dabei sogar aus dem Blickfeld, dass für die Sicherung dieser Grundbedürfnisse eine Gesellschaft notwendig ist. Zum einen liegt das daran, dass das letzte Totalversagen der uns sichernden Institutionen schon so lange her ist beziehungsweise so weit weg stattfindet. Zum anderen übernehmen aber auch immer häufiger Technologien solche Aufgaben. So gibt es beispielsweise einen grossen öffentlichen Apparat, um einen sicheren Strassenverkehr zu gewährleisten: Polizisten, Rettungsdienste, Strassenverkehrsordnungen, Prüfstellen, Baubehörden, Verkehrsgerichte – und dennoch bleibt der Strassenverkehr mit einem Risiko behaftet. Mit selbstfahrenden Autos wird sich dieses Risiko so minimieren, dass es 39


Währung . Die nächste Gesellschaft steht kopf . Judith Mair, Bitten Stetter et al.

praktisch nicht mehr vorhanden ist; was bislang noch BasisService der Gesellschaft ist, wird zu einer technischen Selbstverständlichkeit. Das Internet, dieses herrenlose Netzwerk, hat es in einem Akt der kreativen Zerstörung nicht nur geschafft, unseren Umgang mit Informationen zu demokratisieren, sondern auch ganze Wertschöpfungsketten von der Kreation über die Herstellung bis hin zu Distribution und Konsum zu zerlegen. Das Netz macht vor nichts und niemandem halt. Dabei liegt der von ihm entwickelten Dynamik ein simples Versprechen zugrunde: Zugang und Partizipation für alle. Angefeuert durch Web-1.0-Enthusiasten und Hacker-Communitys wurde innerhalb kürzester Zeit das anhin leere Gerüst mit Inhalten und Möglichkeiten gefüllt. Inzwischen ist die Kraft des Kollektiven zweifellos zu einer neuen Macht herangewachsen.

Technologie dazu führen, dass der vertrauenswürdige Mittelsmann als solcher nicht mehr benötigt wird – sie vollendet geradezu das Branchenvernichtungswerk, das die Dealmaker und Investmentbanker begannen.

MIKROÖKONOMIEN OHNE MITTELSMÄNNER Konzepte, die das

zustellen, wie diese Innovationen eine Gesellschaft noch einmal neu umwälzen werden, die sich ohnehin gerade von den Füssen auf den Kopf stellt. Bereits in naher Zukunft wird eine Vielzahl von Arbeitsplätzen durch Automation, Digitalisierung und Robotisierung wegfallen. Die Arbeitswelt mit ihrer Idee von Erwerbsarbeit und Vollbeschäftigung wird so etwas wie das Telefon mit seiner Idee von Wählscheiben und Gebührenzählern: Es ist eine traditionelle, lange gut funktionierende Idee, aber sie fällt eben irgendwann aus der Zeit. Wir werden dazu gezwungen, unsere herkömmliche, lange gut funktionierende Vorstellung von Arbeit, Verdienst und Einkommen, und nicht zuletzt auch von Geld, daraufhin zu überdenken, ob sie nicht jetzt gerade, oder doch morgen, aus der Zeit fällt. Die heute noch abstrakt wirkende, aber durchaus visionäre Idee des bedingungslosen Grundeinkommens ist einer von vielen möglichen Versuchen, um für die sich wandelnde Arbeitsstruktur ökonomisch nachhaltige Lösungsansätze zu finden. Sich dabei nur an der heutigen Form der Erwerbsarbeit zu orientieren, ist so, als hätte man alle Innovationen der Telekommunikation an ihrer Kompatibilität mit dem Gebührenzähler gemessen. Klar, es ist ein Service, und er muss einen Preis haben – aber inzwischen geht das auch ganz gut mit Flatrate. Erwerbsarbeit fokussiert auf das ökonomische Kapital, aber auch das soziale und das kulturelle Kapital werden nachvollziehbare und messbare Grössen eines neuen Wirtschaftssystems sein.

ÖKONOMISCHES, SOZIALES, KULTURELLES KAPITAL Als das In-

ternet noch neu und unbekannt war, konnten wir kaum erahnen, welche enorme Macht sich hinter dieser Technologie verbirgt. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, stehen wir inmitten von Bitcoin und Blockchain und versuchen, uns vor-

Es gibt bereits Zahlungsmittel, die auf partizipativen Leistungsprinzipien beruhen.

kollektive Streben nach Autonomie und Individualisierung widerspiegeln, zeigt die Sharing- und Netzwerk-Ökonomie. Basierend auf dem Prinzip des Vertrauens, der Kollaboration und der Partizipation, organisieren sich die Mitglieder dieser Mikroökonomien zunehmend autonom und machen zentrale Hierarchien vermehrt überflüssig. Die Grossen, die das Rückgrat der Volks- und Menschwirtschaft bildeten, verlieren an

Die Blockchain vollendet das Branchenvernichtungswerk, das die Investmentbanker begannen. Relevanz (und an Grösse); die Kleinen und die Privaten, die die Nischen und Lücken füllten, die die Grossen übrig liessen, erschliessen sich ein Segment nach dem anderen und nehmen an ökonomischer Bedeutung zu. Auch hier übt also eine Pyramide den Kopfstand. Jetzt wird es wohl der Finanzmarkt mit seinen Grossbanken sein, bei dem Digitalisierung und Dezentralisierung ihren Tribut einfordern. Kaum sind Banking-Plattformen und digitale Transaktionskonten wie Paypal zum Standard für digitale Zahlungen geworden, steht die nächste Disruption bereits vor der Tür. Nachdem die Banken schon viel dafür getan haben, ihre frühere Reputation als vertrauenswürdiger Mittelsmann bei Geldgeschäften zu beschädigen, kann die Blockchain40


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

ALTERNATIVE WÄHRUNGSMODELLE ALS INDIZIEN DES WANDELS

Schon heute nutzen wir weltweit neue Tausch- und Zahlungsmittel, die auf ein neues Wirtschaftssystem hinweisen. Traditionelle Zahlungsmethoden sind längst nur noch eine unter vielen verfügbaren Möglichkeiten. In vielen Regionen werden alternative Währungen innerhalb Communitys rege gehandelt, um primär die lokale Wirtschaft zu fördern, dezentrale Transaktionssysteme wie Blockchain gewinnen weiter an Bedeutung, digitale Kryptowährungen wie Bitcoins, Darkcoins oder Ether werden vielerorts eingesetzt. Parallel existieren Zahlungsmittel, die auf partizipativen Leistungsprinzipien beruhen. Den Schnaps im Duty-freeShop können wir schon lange mit den Flugmeilen unseres «Miles & More»-Kontos erstehen, und den Wocheneinkauf bei Migros mit den treu verdienten Cumulus-Punkten bezahlen. Als Rabattsysteme nach traditionellem Muster entstanden, verbinden sie das eigentlich neutrale Geld mit Aktivitäten und Loyalitäten. Einen Schritt weiter geht Nike mit seiner exklusiven Währung: Die «Nike Sweat Points» kann man sich ausschliesslich durch sportliche Aktivität erarbeiten, und sie ermöglichen wiederum den Erwerb von limitierten Produkten der Marke. Eine ähnliche Strategie verfolgen Zeitbanken, in denen nach dem Prinzip einer geldlosen Tauschwirtschaft Zeit zum Zahlungsmittel wird und so allen die Chance bietet, auch ohne konventionelles Geld Handelsbeziehungen einzugehen. Hier gewinnt das soziale und das kulturelle Kapital immer mehr an Wert – und folglich an wirtschaftlicher Substanz.

HEALTH COIN Ohne Schweiss kein Preis Gesund zu sein, galt schon seit jeher als einer der grössten, wenn nicht als der grösste, immaterielle Wert, den man sich und anderen wünschen konnte. Bisher war Gesundheit unbezahlbar, doch seit dem Health Coin ist das Vergangenheit. Anfangs waren es lediglich unzählige FitnessApps, Activity-Trackers, Smart Watches oder Smart-Running-Shoes, die unsere Fortschritte dokumentierten und die uns untereinander konkur-

WÄHRUNG ALS MARKE? Wenn wir solche Entwicklungen in die

rieren liessen. Doch schon bald traten diese isolierten Daten in Wech-

Zukunft fortsetzen, kommen wir bei einer Werte-Währung an. Sie beruht nicht mehr wie aktuelle Währungen auf dem «verordneten» Glauben an eine freie Marktwirtschaft oder an Wirtschaftsideologien wie «Wohlstand durch Wachstum», sondern basiert auf gemeinsamen Werten, Interessen, Austausch und Handel. Besser gesagt: Es wird sich dabei nicht um eine, sondern um eine Vielzahl von Werte-Währungen handeln. In unserer hochindividualisierten und dezentralisierten Welt sind wir es gewohnt, unter all den Wertvorstellungen und Lebensentwürfen genau die auszuwählen, die uns entsprechen. Wenn wir diese Gewohnheit auf Zahlungsmittel übertragen, gewinnen diese verstärkt Markenqualitäten – wie beispielsweise die Aufgabe, Orientierung und Zugehörigkeit zu vermitteln.

selwirkung miteinander – bis zu Wechselkursen und Tauschverhältnissen war es da nicht mehr weit. Heute können Health-Goths, Quantifiers und Fitness-Icons Ihr Körperbewusstsein zu Kapital transformieren und jenes mit Investitionen in Ihre Gesundheit weiter in die Höhe treiben. Mit Health Coins wandeln sich Ernährung und sportliche Aktivitäten von einer Nebensache zu Kapitalanlage. Sie stehen für einen gesunden Lebensstil, Vitalität und Lebensfreude. Die Mitglieder der Health-Coin-Community zeichnen sich durch eine hohe Begeisterungsfähigkeit und Ausübung neuer Ernährungs- und Fitnessmoden aus. Menschen innerhalb der Health-Coin-Community können sichergehen, dass ihre körperliche Selbstdisziplinierung entsprechend die Kasse klingeln lässt. HealthCoiners streben nach einem langen, gesunden Leben, ewiger Jugend und verstehen dies als wichtiges Kapital einer Gesellschaft.

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Währung . Die nächste Gesellschaft steht kopf . Judith Mair, Bitten Stetter et al.

CRAFT COIN

FAITH COIN

Mach es selbst

Tue Gutes, sei ganz bei dir

Beim Craft Coin wird alles zu Kapital, was den Bereich des traditionellen

Der Einfluss der Religionen und die Suche nach Sinn und innerem Frieden

Handwerks oder handwerklich hergestellter Dinge betrifft. Hinter dem

wuchsen in den letzten Jahren, was zugleich die wachsende Beliebtheit

Bekenntnis der Craft-Coiner steht ein von Autonomie und Autarkie ge-

des Faith Coin erklärt. Dessen Anhängerschaft besteht aus Gläubigen

prägtes Lebensmodell. Status gewinnt man nicht durch das, was man

aller Glaubensgemeinschaften, die das Spirituelle über das Materielle

besitzt oder konsumiert, sondern durch das, was man kann und macht.

und das Kollektive über das Egozentrische stellen. Sie interessieren sich

Monopol- und Machtkartelle sowie die Massenproduktion der Industrie-

nicht für Konsum und Besitz, sondern für den tieferen Sinn ihres Lebens.

konzerne werden konsequent abgelehnt. Verfolgt wird ein durch die

Faith-Coiner setzen auf ihre innere Stärke und die Kraft der Gemeinschaft.

«Beschränkung auf das Wesentliche» motivierter Lebensentwurf, bei

Sie bekennen sich zur Weisheit, Balance und Verankerung und pflegen

dem es primär darum geht, möglichst viele Dinge des alltäglichen Lebens

den bewussten Umgang mit ihrem Leben und dem ihrer Nächsten.

selbst herzustellen. Der Craft Coin wurde im Zuge der Maker- und Craf-

Nächstenliebe und Sharing gelten als höchste Gebote. Letzteres war auch

ting-Culture populär – man machte auf den einschlägigen Plattformen,

die Keimzelle des Faith Coin – vertrauenswürdige Gleichgesinnte konnte

bei Ebay oder Etsy den Mit-Makern damit Sonderpreise. Inzwischen sind

man so am Zahlungsmittel erkennen. Inzwischen werden Faith Coins

Craft Coins ein etabliertes Zahlungsmittel von Manufakturen, Handwerks-

unter anderem von Glaubenshäusern, Hilfsorganisationen, Heilpraxen,

betrieben, lokalen Lebensmittelproduzenten, Möbelhändlern, DIY-Märk-

Holy-Water-Herstellern, Tee-Läden wie auch bei Meditations-, Entschleu-

ten und Coworking-Spaces.

nigungs- und Achtsamkeitsseminaren genutzt, von Spendenorganisationen wiederum dankbar angenommen. «Tue Gutes für dich und deine Nächsten» ist das Leitbild dieser Community. So fliessen bei jeder Währungstransaktion automatisch drei Prozent in soziale Projekte.

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GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Mussten sich Konsumenten bei herkömmlichen Marken noch über den Konsum und Besitz von Produkten in deren Markenwelt und Vision einkaufen, liefert die Werte-Währung ihren eigenen Sinn- und Lifestyle-Kosmos gleich mit. Die vier hier vorgestellten Werte-Währungen veranschaulichen beispielhaft den Zahlungsverkehr von übermorgen. Anders als konventionelle Währungen vertreten Health Coin, Rebel Coin, Craft Coin und Faith Coin gemeinschaftliche Werte, wobei sie jeweils an unterschiedlichen Stufen der Bedürfnispyramide ansetzen – vom Sicherheitsbedürfnis (Gesundheit) bis zur Selbstverwirklichung (Rebellion). WERTEWANDEL, WÄHRUNGSWANDEL? Die Währungen, wie wir

sie hier beschreiben, gibt es noch nicht. Den Nährboden, auf dem sie gedeihen, jedoch schon: ein starker Wunsch nach gemeinschaftlichen Strukturen, verbunden mit einer ähnlich starken Technologieeuphorie. Es scheint alles dafür zu sprechen, dass sich Währungsund Bezahlsysteme rasant weiterentwickeln werden: Sie werden immaterieller, individueller, partizipativer und dezentraler. Zudem wird der Wunsch nach einem Währungssystem, das mit individuellen Werten wie Vertrauen, Transparenz, Gesundheit, Kultur oder Wissen handelt, zukünftig wirksamer werden. Je mehr Menschen mit einer Werte-Währung statt mit einem an geografische Grenzen gebundenen, bedruckten Stück Papier bezahlen werden, desto universeller und unverzichtbarer wird sie sein. Und die Währungen, wie wir sie heute kennen? Die Franken oder Euros? Sie werden in unserer Prognose zu «ShitCoins»: Mit einem Zahlungsmittel, dessen einziger «ideeller» Wert in dem dogmatischen Bekenntnis zu Wachstum liegt, will man lieber nichts zu haben. <

REBEL COIN No Yes Der Rebel Coin fand seine ersten Anhänger im Darknet, einem Tauschbörsennetzwerk, in dem Regimekritiker und Systemfeinde sich verschlüsselte Nachrichten sendeten, vernetzten und organisierten, um besonders in Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit agieren zu können. Heute lockt der Rebel Coin all diejenigen an, die Werte und Normen der Mehrheitskultur infrage stellen oder gegenkulturelle Lebenskonzepte verfolgen. Rebel-Coin-Nutzer und -Nutzerinnen, auch NoCoiner genannt, fühlen sich aus ihrer Historie heraus in kleinen diskreten Netzwerken am wohlsten, daher versuchen sie, das Zahlungssystem klein und schwer zugänglich zu halten. Je grösser die Gruppe und der Währungsmarkt, desto unsicherer würde das System, meinen sie. Rebel Coin ist eine Friend-to-Friend-Währung, bei der indirekt Verbindungen über vertraute Personen durch interne Zahlungen hergestellt werden. Zugänge gibt es durch Mund-zu-Mund-Propaganda und Reputation. Eine Sonderstellung unter den Werte-Währungen hat der Rebel Coin dadurch inne, dass er zu keinem wie auch immer gearteten Kurs in andere Währungen getauscht werden kann. Szeneprojekte wie die Rote Fabrik in

Die Beteiligten Unter der Leitung von Prof. Bitten Stetter und Judith Mair haben sich Larissa Bollmann, Paul-Christian Brenndörfer, Alice Dal Fuoco, Raadiya Lüssi, Alain Schibli, Maria Weiss der Währung von übermorgen gewidmet. Konzepte: alle; Visualisierungen: Paul-Christian Brenndörfer, Alain Schibli, Maria Weiss; Text: Alice Dal Fuoco, Larissa Bollmann, Raadiya Lüssi

Zürich oder das Berliner Haus Bartleby, ein Zentrum für Karriereverweigerung, akzeptieren ausschliesslich Rebel Coins als Zahlungsmittel und halten sich so Mitläufer, Spitzel oder gar Touristen vom Hals.

43


Frances Coppola

Outsmarting Smart Contracts


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Wann immer bei Verträgen Menschen mit ins Spiel kommen, wird es kompliziert: Sie machen Annahmen und wollen Ausnahmen, sie interpretieren und modifizieren – wie es im analogen Leben eben so geht. Und manchmal manipulieren sie auch; wenn sie es mit einer Maschine zu tun bekommen, erst recht. Den «Smart Contracts» der Blockchain kann nichts Besseres passieren.

den Geschäfte abschliessen und sichern, mit denen sie bislang keine Beziehung hatten, hat sich seit dem 14. Jahrhundert nicht wesentlich verändert, als Banken die ersten Akkreditive ausstellten. Diese sind im Wesentlichen das Versprechen eines vertrauenswürdigen Mittelsmanns – der Bank –, den Exporteur zu bezahlen, sobald der Nachweis erbracht wird, dass die Ware geliefert wurde. Das Risiko, dass der Empfänger nicht zahlt, wird damit beseitigt. Allerdings lassen sich die Banken für das Vertrauen bezahlen, und einige von ihnen sind selbst auch nicht so ganz vertrauenswürdig. Könnte darauf verzichtet werden, eine Bank zwischenzuschalten, sollten beide Parteien davon profitieren. Hier kommt der Smart Contract ins Spiel. Statt eines Bank-Akkreditivs erstellen die Parteien einen Vertrag in ausführbarem Computercode, der die zu liefernden Waren und die Zahlungsbedingungen enthält. Der Empfänger zahlt das Geld auf ein Online-Treuhandkonto ein. Sobald der Nachweis erbracht ist, dass die Ware geliefert wurde, führt der Code automatisch die Zahlung an den Lieferanten aus. Es gibt da allerdings noch ein kleines Problem: Derzeit können noch keine Zahlungen automatisch von Smart Contracts ausgelöst werden. Aber – hey! – das ist ein technisches Problem, das bestimmt zu gegebener Zeit gelöst werden kann. Die Nutzung von Online-Treuhandkonten nimmt zu. Vorauszahlung braucht weniger Vertrauen: Der Lieferant sieht, dass seine Zahlung bereits auf dem Konto liegt. Bei einem Online-Treuhandkonto ohne Mittelsmann, dafür mit

Jeder wirtschaftlichen Transaktion liegt ein Vertrag zugrunde. Viele davon sind einfache Vereinbarungen zwischen zwei Parteien mit klaren Bedingungen. In seiner einfachsten Form ist ein Vertrag einfach ein Versprechen: Sie versprechen, mir eine bestimmte Menge Orangen zu liefern, ich verspreche, Ihnen eine bestimmte Menge Geld zu geben. Solange beide Seiten die Vereinbarung verstehen, und weder Machtausübung noch Informationsasymmetrie noch Zwang im Spiel sind, muss keine dritte Partei beteiligt sein: In einer perfekten Welt brauchen Vereinbarungen zwischen «mündigen Erwachsenen» keine Mittelsmänner. Und genau das sollen «Smart Contracts» erreichen. Keine teuren Anwälte und Mittelsmänner: Die Parteien einer Transaktion einigen sich auf Inhalt und Bedingungen, und sie fixieren den Vertrag als Computercode, den beide sehen und verstehen können. Im «Smart Contracting Protocol» des Unternehmens Ethereum können nicht nur die Beteiligten, sondern die gesamte Gemeinschaft den Vertrag einsehen. Der öffentliche Charakter der Ethereum-«Smart Contracts» bedeutet, dass sie im Konfliktfall unabhängig überprüft werden können. Zudem führt der Code den Vertrag selbsttätig aus, wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind. Alles automatisch. ELIMINIERTES VERTRAUEN Smart Contracts können besonders

nützlich sein, wenn die Parteien einander nicht vertrauen und geografisch voneinander getrennt sind. Ein Beispiel dafür ist der internationale Handel: Die Art, wie Exporteure mit Kun45


Recht . Outsmarting Smart Contracts . Frances Coppola

zweiter Vertrag zwischen Ihnen und meinem Vater: «Sie liefern Beweise dafür, dass ich den ersten Vertrag nicht erfüllt habe, er liefert Geld.» In der Realität sind viele Vereinbarungen noch komplexer. Versicherungen zum Beispiel, insbesondere dort, wo Rückversicherungen mit ins Spiel kommen. Sich von Schleife zu Schleife bis zu demjenigen zurückzuarbeiten, der letztlich die Verantwortung trägt, kann ausserordentlich schwierig sein. Smart Contracts sind derzeit noch weit davon entfernt, diese

ausführbarem Computercode, kann sich logischerweise kein Mittelsmann mehr mit dem Geld aus dem Staub machen. Das klingt wie eine gute Idee. Aber was, wenn die Ware nicht ankommt? Das kann die Schuld des Lieferanten sein oder auch nicht: Bei physischer Lieferung kann immer etwas schiefgehen, Verluste lassen sich nicht ausschliessen. Der Käufer wartet auf seine Ware und wartet, und wartet … Sein Geld liegt auf dem Treuhandkonto fest, er kann während der Wartezeit also nicht damit arbeiten. Mit einem traditionellen Akkreditiv wäre das nicht passiert. Treuhandkonten sind also gut für kleinere Transaktionen geeignet, können aber gravierende Liquiditätsprobleme verursachen, wenn sie für grössere Sendungen mit höherem Lieferrisiko eingesetzt werden. Als Alternative zum Treuhandkonto kann mit Sicherheiten gearbeitet werden: Wenn der Käufer nicht zahlt, kann der Verkäufer auf die verpfändeten Vermögenswerte zurückgreifen. Oder eine dritte Partei könnte die Zahlungen gewährleisten.

Auf dem Weg in den Mainstream müssen Smart Contracts sich an unsere Unordnung anpassen. Komplexität zu bewältigen. Aber das kann noch kommen: In dem Mass, in dem Smart Contracts technisch und ökonomisch von der Nische in den Mainstream fortschreiten, passen sie sich an die Unordentlichkeit menschlichen Handelns an. Einfache Konzepte entwickeln Komplexität – Smart Contracts werden da keine Ausnahme sein. Schliesslich werden sie von Menschen gemacht – und Menschen sind komplexe Wesen. Smart Contracts sollen den Zwang zum Vertrauen aus den Verträgen zwischen Menschen eliminieren. Sie sollen nicht die Menschen eliminieren. Ja, aber – es gibt da ein grundsätzliches Problem. Denn wenn Verträge komplexer werden, steigt die Wahrscheinlich-

KONTINGENZ UND KOMPLEXITÄT Bedingte Verträge sind sehr

häufig, und sie können sehr komplex sein. Sie benötigen zusätzliche Informationen wie Grundbuchauszüge oder Wertberechnungen für Sicherheiten. Und sie können Dritte beinhalten. Zum Beispiel könnte mein Vater dafür bürgen, dass ich Sie bezahle. Wie würden Smart Contracts damit umgehen? Es müssten dann zwei Verträge geschlossen werden. Der erste zwischen uns: «Sie liefern Orangen, ich liefere Geld», und ein

September sah es mehrere Monate so aus, als

Versorgungsengpässen bei vielen Rohstoffen

könnte auch jede andere Grossbank von heute

und Lebensmitteln gekommen. Erst das Ein-

auf morgen umfallen. Viele Exporteure lehn-

greifen von Staaten und Zentralbanken brachte

ten deshalb die üblichen Bankgarantien als

den Kreditkreislauf wieder in Gang.

Der Tausch «Ware gegen Geld» heisst oft

Sicherheit ab – Importeure mussten im Voraus

«Ware gegen Geldgarantie» – ein Mittelsmann,

zahlen, um die Ware aus dem Hafen heraus-

meist eine Bank, garantiert, dass der Verkäufer

zubringen. Um das tun zu können, hätten sie

zu einem späteren Zeitpunkt sein Geld erhält.

allerdings Kredit von ihrer Bank gebraucht –

Was passiert, wenn die Garantie des Mittelsmanns plötzlich nichts mehr wert ist, liess

und der war auf dem Höhepunkt der Finanzpanik praktisch nicht zu bekommen.

sich im Herbst 2008 in allen grossen Häfen der

Die erste Konsequenz: Schon Anfang Ok-

Welt besichtigen. Nach dem abrupten Zusam-

tober wurden in einigen Häfen die Lager knapp.

menbruch der US-Bank Lehman Brothers im

Innerhalb weniger Wochen wäre es weltweit zu 46

Quelle: usatoday.com

Tod eines Mittelsmanns


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

zu diesem Vertrag geführt haben. Ein rechtsgültiger Vertrag ist das Endprodukt der Verhandlung, nicht der Anfang – unbeteiligte Dritte wissen nicht, worum es in den Verhandlungen ging, was ihre Fähigkeit reduziert, bezüglich der Auslegung des Vertrages als Schiedsrichter zu fungieren. Würde dennoch in der gesamten Community abgestimmt, könnte das Ergebnis extrem unfair ausfallen. Und dann gibt es ja auch noch missbräuchliche Praktiken wie Stimmenkauf, Zwang oder Betrug. Schliesslich geht es (noch) bei allen Transaktionen oder Verträgen um Menschen, ob direkt oder indirekt. Und Menschen können alle Arten von hinterhältigen Methoden verwenden, wenn ihnen das einen Vorteil bringt. Diejenigen mit den dicksten Brieftaschen und den wenigsten Skrupeln können die meisten Rechtssysteme austricksen. Smart Contracts wären da keine Ausnahme. Der Schöpfer von Ethereum, Vitalik Buterin, hat für dieses Problem eine Lösung vorgeschlagen: dezentrale Gerichte. Einige nach Zufallsprinzip ausgewählte Personen würden dabei

keit, dass es zu Missverständnissen kommt. Smart Contracts können den Zwang zum Vertrauen nur eliminieren, wenn sie auch die Möglichkeit von Missverständnissen eliminieren. Aber ist vollständige Transparenz und Eindeutigkeit eine realistische Perspektive? DAS PROBLEM, SICH ZU VERSTEHEN Dass die Bedingungen eines

Vertrags missverstanden werden, kommt sehr häufig vor. Selbst wenn man das «Kleingedruckte» liest – was viele nicht tun –, kann das, was man meint, dass die Bedingungen bedeuten, sich substanziell von dem unterscheiden, was die andere Partei meint, dass sie bedeuten. Unterschiedliche Interpretationen von Verträgen sind das tägliche Brot der Juristen. Wenn beide Seiten einen Smart Contract abschliessen und sich daran halten, löst das noch nicht das Problem der Interpretation – wie es auch heute passieren kann, obwohl jede Partei eine von beiden Seiten unterzeichnete und von unabhängigen Dritten beurkundete Kopie des gleichen Vertrages in Händen hält. Ich weiss: Sie sehen das Gleiche wie ich. Sie wissen: Ich sehe das Gleiche wie Sie. Trotzdem müssen wir nicht gleicher Auffassung sein, was das bedeutet, was wir sehen. Sie können mich verklagen, wenn ich nicht erfülle, was Ihrem Verständnis nach das Kleingedruckte von mir verlangt; ich kann mich verteidigen, indem ich Ihrem Verständnis ein anderes, meines nämlich, entgegensetze. Möglicherweise kann ein vertrauenswürdiger Mittelsmann unser Problem lösen: ein Schiedsrichter oder Schlichter. Und wenn wir uns gar nicht einigen können, kann eine andere vertrauenswürdige Institution entscheiden: ein Richter oder eine Geschworenen-Jury. Wenn wir zu einem System virtueller, smarter Verträge wechseln, die individuell auf die Umstände eines bestimmten Deals angepasst sind: Brauchen wir dann überhaupt noch diesen Überbau von Rechtsanwälten, Schiedsrichtern, Schlichtern, Gerichten, Richtern und Geschworenen? Vielleicht könnten wir Gerechtigkeit stattdessen ja crowdsourcen: Wenn jeder in der Online-Community den Vertrag sehen kann, kann jeder darüber abstimmen, wer recht hat. Die Partei mit der höheren Stimmenzahl gewinnt. Dies setzte natürlich voraus, dass jeder gleichermassen in der Lage ist, computercodierte rechtliche Aussagen zu interpretieren, was nicht unbedingt so sein muss. Zudem verfügen solche Zuschauer, die nicht Partei des jeweiligen umstrittenen Geschäfts sind, nicht über die Hintergrundinformationen, die

Die mit den dicksten Brieftaschen können fast jedes Rechtssystem aushebeln. Auch Smart Contracts. juristische Konflikte mit Smart Contracts schlichten. Moment mal: Ist uns so eine Idee nicht schon einmal irgendwo begegnet? Ja, genau, bei der Auswahl der Geschworenen in einer Jury. Gerade weil es zu Zwang, Stimmenkauf und Bestechung kommen kann, werden Jury-Mitglieder nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Die Weisheit der Massen kann gekauft werden. Aber auch Geschworene brauchen Informationen und Anleitung. Martin Köppelmann aus der Ethereum-Community schlägt akzeptierte «Orakel» vor, die in Streitigkeiten Position beziehen könnten. Akzeptiert von der Crowd, der Masse, der Mehrheit. Ähnlich wie das heute schon agierende Orakel von Twitter, würde das Orakel von Blockchain von Menschen gemacht, nicht von Göttern: Es würde seine Vertrauenswürdigkeit daraus beziehen, dass die Beteiligten eher eine «richtige» Antwort geben, weil sie mit jeder falschen Antwort ihren Ruf aufs Spiel setzen. In vielen Fällen wird daraus tatsächlich eine Weisheit der vielen – in einigen allerdings auch ein Wahnsinn der Massen. Twitter-Nutzer wissen nur zu gut, wie schnell aus 47


Recht . Outsmarting Smart Contracts . Frances Coppola

zum Zweck persönlicher Bereicherung. Wenn die OnlineGerechtigkeit derart gestaltet wird, dann werden in dem Mass, indem sie traditionelle Rechtssysteme ersetzt, drei Jahrtausende gesellschaftlichen Fortschritts geschleift.

völlig falschen Informationen ein «Mem» werden kann, das unmöglich zu korrigieren oder wieder aus der Welt zu schaffen ist. Wenn das Urteil des Orakels der Menge gefallen muss, so kann es nicht unparteiisch sein. In der Antike wurden Orakel dadurch gegen Korruption geschützt, dass sie als göttliche Institution galten: Die Menschen fürchteten das Werk der Götter mehr als jedes Gebilde von Menschenhand. Modernen Orakeln fehlt ein solcher Schutz. Wir haben keine Angst vor dem Zorn der Computer – noch nicht. Selbst das vertrauenswürdigste, meistgeachtete Orakel kann von skrupellosen Akteuren gekauft werden: Popularität ist keine Garantie für Ehrlichkeit.

DIE GRENZEN DER SMART CONTRACTS Smarte Verträge sind

gar nicht so smart. Sie benötigen eine klare, eindeutige Logik sowie vollständige und genaue Informationen, um funktionieren zu können. Für einfache Zwei-Wege-Transaktionen könnte das machbar sein. Aber viele Verträge sind weitaus komplexer – und weit weniger eindeutig. Wer Smart Contracts überlisten will, kann das erreichen, indem er Komplexität und/ oder Mehrdeutigkeit hinzufügt. Menschen sind in dieser Fertigkeit unübertroffen. Oft ist zusätzliche Komplexität und Mehrdeutigkeit ja gut gemeint: Sie soll sicherstellen, dass das System «fair» für alle ist. Einfache Systeme werden selten mit der chaotischen Realität des Lebens fertig und noch seltener mit den hinterhältigen Plänen derjenigen, die das System austricksen wollen. Aber je komplexer ein Rechtssystem ist, desto weniger effizient ist es. Und je weniger eindeutig es ist, desto besser kann es ausgetrickst werden. Es ist wahrscheinlich unmöglich, ein funktionsfähiges System zu schaffen, in dem alle Verträge «smart» sind und niemals ein Vermittler oder Schiedsrichter benötigt wird. Je grösser die Komplexität wächst, desto teurer wird es, den Zwang zum Vertrauen zu eliminieren – und ein «vertrauenswürdiger Mittelsmann» (oder ein Orakel) wird zu einer attraktiven Methode, um vertragliche Rechte in hochkomplexen Systemen festzulegen. Aber solche Komplexität in einigen Verträgen macht Smart Contracts nicht generell unmöglich. Jeden Tag gibt es abertausende einfacher Transaktionen, die mit Smart Contracts schneller und billiger durchgeführt werden können und bei denen die Wahrscheinlichkeit missbräuchlicher Verwendung sehr gering ist. Die Herausforderung besteht darin, die Grenzen für Smart Contracts herauszufinden.

DAS PROBLEM DER GERECHTIGKEIT Es gibt ein weiteres Pro-

blem: Auch wenn ein Vertrag klar und eindeutig ist, kann er ungerecht sein. Auf den Finanzmärkten waren im vergangenen Jahrzehnt viele Beispiele dafür zu finden: Devisenswaps wurden an Schulbehörden verkauft, Zinssicherungsoptionen an Kleinunternehmen, strukturierte Hypothekenderivate an Stadtkämmerer. Die Verträge wurden von den Käufern jeweils in voller Kenntnis dessen unterzeichnet, was sie enthielten,

Aus den Hackern von heute werden die Chief Blockchain Security Officers von morgen. und dennoch handelte es sich um ungerechte Verträge. Die Verkäufer nutzten aus, dass die andere Seite die komplexen Auswirkungen der Produkte nicht wirklich verstand. Schon im gegenwärtigen System gibt es viele Beispiele dafür, dass die Mächtigen und Skrupellosen die Uninformierten ausbeuten. Smart Contracts tragen absolut nichts dazu bei, diese Asymmetrie zu beseitigen. Im Gegenteil, sie könnten Macht konzentrieren und den Missbrauch der Schwachen verstärken. Zu den Aufgaben des Rechtssystems gehört es, die Armen, die Schwachen und die Uninformierten zu schützen. Dazu gehört auch, zu entscheiden, wann ein Vertrag unbillig ist und wie die davon Betroffenen entschädigt werden. Wenn es keine unparteiischen Vermittler mehr gibt, deren Aufgabe es ist, die Rechtsstaatlichkeit zu bewahren, wird Gerechtigkeit zu einer Frage des Geldes, wird Status zu einem Mass für Vertrauenswürdigkeit, wird das System durchlässig für den Missbrauch

TESTEN DER GRENZEN Die Geschichte von Bitcoin zeigt wieder einmal, dass die Grenzen für den Einsatz einer neuen Technologie häufig durch Handlungen gezogen werden, die die meisten Menschen als anrüchig betrachten würden oder die tatsächlich kriminell sind. Hacking zum Beispiel: Kryptowährungen können gestohlen werden, die Börsen, an denen 48


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

ben. Am Ende müssen Smart Contracts Teil der Rechtssysteme der realen Welt werden, nicht eine Alternative zu ihnen. So wie die unehrenhaften Zwecke, für die Bitcoin in seinen frühen Tagen verwendet wurde, irgendwann die Aufmerksamkeit von Regierungen erregten, werden auch Smart Contracts früher oder später von Institutionen der realen Welt reguliert und Rechtssystemen der realen Welt unterworfen werden. Zudem werden die Institutionen der realen Welt nicht nur Wege suchen, sich gegen betrügerische Verwendungen von Smart Contracts zu verteidigen, sondern auch Wege, sich mit ihnen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Und da die Gauner von gestern oft die besten Gaunerjäger von morgen sind, werden diejenigen, die jetzt ihr technologisches Know-how nutzen, um das System zu knacken, die Regulierer und Sicherheitskräfte der Zukunft sein. Der nächste Chief Blockchain Security Officer der Deutschen Bank könnte einer der Hacker von heute sein. <

sie gehandelt werden, können manipuliert oder absichtlich zum Absturz gebracht werden. Die Grenzen der Smart Contracts werden voraussichtlich in ähnlicher Weise von jenen getestet werden, die mit unehrenwerten Absichten agieren. Es wird unweigerlich Betrugsfälle geben, bei denen Smart Contracts eine Rolle spielen. Sie werden auch garantiert dafür verwendet werden, zu stehlen, Steuern zu hinterziehen oder sich Verpflichtungen zu entziehen. Das ist nicht so sehr eine Kritik an Smart Contracts als vielmehr die Feststellung, dass der technische Fortschritt die Natur der Menschheit nicht verändert. Dass einige Menschen versuchen, andere auszunehmen, zieht sich durch alle Epochen der Menschheitsgeschichte. Eine der fundamentalen Aufgaben von Regierungen war es deshalb immer, die Schwachen zu schützen und Gerechtigkeit zu üben. Einige würden diese Aufgabe gern der Technik übertragen; aber da die Technologie selbst zu korrupten Zwecken verwendet werden kann, wird auch weiterhin irgendeine Autorität gebraucht werden, der sich die Nutzer dieser Technologie zu verantworten ha-

Übersetzung: Detlef Gürtler

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49


Die Perspektiven Was ist denn tatsächlich realistisch von den Blockchain-Verheissungen? Auf die Gefahr hin, in zwanzig Jahren lächerlich auszusehen, hier unsere Prognosen: GDI Impuls Nummer 2 . 2016 Paradies? Ob wir Menschen mit der Blockchain glücklich oder gar selig werden, hängt ganz allein von uns ab. Revolution? Vermutlich ja. Allerdings eher als langer Prozess wie bei der industriellen Revolution – und nicht als plötzlicher Umbruch wie bei der Französischen Revolution.

Demokratie? Sorry, die demokratische Ordnung von Gemeinwesen kann keine Technologie schaffen oder sichern. Die Blockchain kann uns aber dabei helfen, es selbst zu schaffen.

Sprechende Maschinen? Smart Contracts ohne menschliches Zutun werden ein wesentliches Element der Interaktion von Maschinen.

Konzern-Killer? So schnell stirbt sichs nicht. Grossunternehmen werden ums Überleben kämpfen – auch wenn sie keiner mehr braucht.

Zerstörung? Nicht nur eine Branche – das gesamte Wirtschaftssystem des Industriezeitalters wird überflüssig werden. Es kommt darauf an, was an seine Stelle tritt – und wie schnell das passiert.

Quelle: www.gdi-impuls.ch . © 2016

Reichtum? Ja, aber nicht in Geld gemessen. Dezentrale Blockchain-Systeme dürften am besten geeignet sein, um die Wertschöpfung der Maschinen allen zugutekommen zu lassen.

Billionen? Das sieht nicht gut aus. Der Traum von Grösse ist kein nachhaltiges Konzept bei einer radikal dezentralen Technologie.


der Würfel selbst transaktionsbuchführen würde, wäre das nicht passiert.

Wissen Sie noch, welche Hand den Würfel auf Seite 57 hält? Nein? Tja, wenn

hierher zurück. Gut.

Folgen Sie den Transaktionen bis zum Ende, kommen Sie dann wieder

Geben und Nehmen

Foto-Essay: Stephanie Kiwitt








Summaries

THEMA: BLOCKCHAIN

Anja Dilk . Heike Littger > Seite 24

genüber statischen Angeboten und hierarchi-

DIE MACHER DER BLOCKCHAIN Im Ram-

schen Institutionen, die uns bevormunden und

Karin Frick . Detlef Gürtler > Seite 12

penlicht der internationalen Blockchain-Szene

einschränken. Wenn die Dezentralisierung sich

DAS BLOCKCHAIN-MANIFEST Was das Inter-

stehen junge Revolutionäre wie der 21-jährige

auch technisch fortsetzt, kann das im Zahlungs-

net für die Kommunikation ist, wird die Block-

Ethereum-Gründer Vitalik Buterin. Aber an der

mittelsystem zu einer Vielzahl von Werte-

chain für die Transaktion sein. Und da Transaktio-

Entwicklung der Blockchain-Technologie sind

Währungen führen, die jeweils unseren Wertvor-

nen das gesamte Wirtschaftsleben bestimmen,

auch viele Entrepreneure aus früheren Start-up-

stellungen und Lebensentwürfen entsprechen.

werden alle zentralen Institutionen unserer Öko-

Epochen beteiligt, die schon Erfahrungen damit

Dadurch gewönnen Zahlungsmittel verstärkt

nomien durch diese Technologie der radikalen

gemacht haben, wie eine kleine Welle plötzlich

Markenqualitäten – etwa die Aufgabe, Orientie-

Dezentralisierung infrage gestellt. Mit als Erste

zu einem Tsunami wächst. «Pfosten einschlagen.

rung und Zugehörigkeit zu vermitteln.

wird es die grossen Plattformbetreiber wie Uber

Biwak aufstellen. Auf Gleichgesinnte warten», be-

oder Facebook treffen, da die Blockchain eine

schreibt einer von ihnen seine Pioniertätigkeit

Frances Coppola > Seite 44

Peer-to-Peer-Organisation ermöglicht, die ohne

im Zentrum des Schweizer «Crypto Valley» zwi-

OUTSMARTING SMART CONTRACTS Block-

zentralen Betreiber auskommt. Auf längere Sicht

schen Zürich und Zug.

chain-gestützte Smart Contracts stossen schnell

werden aber auch andere zentrale Institutionen in

an ihre Grenzen, wenn sie es mit der komplexen

ihrem Bestand bedroht, wie Konzerne oder Staa-

Christoph Giesa > Seite 32

Lebenswirklichkeit zu tun bekommen, die Ver-

ten. Der Niedergang alter Institutionen bei gleich-

IM BLOCKCHAIN-LABOR Innovative Ideen

träge zwischen Menschen auszeichnet. Das gilt

zeitigem Aufbau neuer Strukturen ähnelt dabei

brauchen Anknüpfungspunkte in der Gegenwart,

für eine unterschiedliche Interpretation des

stark der Entwicklung in der Frühzeit der indus-

an denen sie sich an der Wirklichkeit messen

«Kleingedruckten» genauso wie für missbräuch-

triellen Revolution.

können. Beste Experimental-Bedingungen finden

liche Praktiken, etwa Stimmenkauf, Zwang oder

sich vor allem dort, wo Strukturen komplett neu

Betrug. Für einfache Transaktionen zwischen

Gespräch mit Primavera De Filippi > Seite 20

aufgebaut werden und keine Rücksicht auf Tra-

Maschinen dürften Smart Contracts besser ge-

VON TERMITEN INSPIRIERT Die Blockchain

ditionen genommen werden muss. Eines dieser

eignet sein. In der Realität werden die Grenzen

ermöglicht eine neue, vollständig dezentralisier-

Labors liegt im Niemandsland zwischen Kroatien

der Smart Contracts voraussichtlich von jenen

te Infrastruktur. Allerdings gibt es noch keine

und Serbien – eine sieben Hektar grosse Fläche

getestet werden, die mit unehrenwerten Ab-

Ordnungsrahmen, die zu dieser neuen Struktur

am Donauufer, die der Tscheche Vít Jedliˇcka zu

sichten agieren. Allerdings werden diejenigen,

passen – eine ohne Vertrauen funktionierende

einem Musterstaat namens Liberland ausbauen

die jetzt ihr technologisches Know-how nutzen,

Gesellschaft, in der alles durch Code geregelt

möchte.

um das System zu knacken, die Regulierer und Sicherheitskräfte der Zukunft sein.

wird, ist für die meisten Menschen nicht wünschenswert. Eine dezentrale Infrastruktur mit

Judith Mair, Bitten Stetter et al. > Seite 38

einem kollaborativen Ordnungssystem könnte

DIE NÄCHSTE GESELLSCHAFT STEHT KOPF

hier eine praktikable Lösung darstellen: Das Kon-

Die permanente Jagd nach Selbstverwirklichung

zept der «Smart Contracts» würde so zu «Smart

ist zum zentralen Motiv unserer Lebensgestal-

Social Contracts» weiterentwickelt.

tung geworden. Parallel wächst die Skepsis ge66


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«Aus der ‹Attention-Economy›, in der die Unternehmen schreien, wird eine ‹IntentionEconomy›, in der die Unternehmen zuhören.» Nadine Stoyanov . Seite 70

«Es liegt der Rechtsgrund auf nützlichen Besitz nicht in der Arbeit, sondern im Bedürfnis und zuhöchst in der vernünftigen Natur selbst.» Karl Christian Friedrich Krause . Seite 76


IDEEN >

«Für die Vereinigten Staaten von Amerika wäre es Erfolg versprechend, zu den Vereinigten Städte-Staaten von Amerika zu werden.» Parag Khanna . Seite 84

«Anfangs dachte ich, bei Open Access ginge es nur um offenen Zugang, nicht um Geld. Ganz schön naiv.» Ruth Barbara Lotter . Seite 90


Marketing . Die Kunst des Zuhörens . Nadine Stoyanov

Die Kunst des Zuhörens Die «Push-Economy» geht nach 150 durchaus erfolgreichen Jahren zu Ende – statt schreiend Bedürfnisse zu wecken, wird es für Händler und Produzenten darum gehen, zuhörend Bedürfnisse zu befriedigen. Der Übergang in diese «PullEconomy» hat bereits begonnen, sagt Nadine Stoyanov – und zeigt, wer sich schon wie auf diesem Weg befindet.

70


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Sie kennen das. Man stöbert auf «Zalando», schaut sich ein Produkt an, verlässt die Seite, geht auf eine Newsseite wie «20 Minuten», und wie durch ein Wunder ist das eben angeschaute Produkt wieder da, jetzt als mehr oder weniger attraktives Werbebanner – und nicht nur dieses eine Mal, sondern immer, immer wieder. «Re-Marketing» nennt sich dieses unangenehm klebrige Phänomen. Mein Re-Marketing-Albtraum war ein harmloser Tomatenhummus, der mich über Monate hinweg nicht in Ruhe liess. Dieses Ich-verfolge-dich-überallhin-Marketing (und auch noch, wenn

du schon nachgegeben hast) ist ein Schrei nach Aufmerksamkeit. Und genau das macht die «Push-Economy» aus: Mein Unternehmen hat etwas, das ich dir verkaufen will, und deswegen nerve ich dich, bis du nachgibst. ENDE DER ATTENTION-ECONOMY Gepusht wird seit 150 Jahren: Unternehmen produzieren im Voraus und verkaufen im Nachhinein. Dafür müssen sie die Aufmerksamkeit der Kunden gewinnen: «Push-Economy» und «Attention-Economy» sind Synonyme. Wenn ein System so lange besteht, muss es wohl ganz gut funktioniert haben, 71

und bis vor kurzem war für die Pusher auch die Welt noch in Ordnung: Viele regten sich über Werbung und Marktschreierei auf, aber sie kauften. Doch seit einigen Jahren ändert sich das System. Die einzelnen Änderungsschritte mögen graduell sein, aber am Ende führen sie zu einer 180-Grad-Umkehrung der aktuellen Art und Weise, wie Unternehmen operieren: Aus «push» wird «pull», aus der «Attention-Economy», in der die Unternehmen schreien, wird eine «Intention-Economy», in der die Unternehmen zuhören. Es gibt viele Anzeichen, an denen sich der Einstieg in diese 180-Grad-


Marketing . Die Kunst des Zuhörens . Nadine Stoyanov

trisch, also auf gleicher Ebene. Unternehmen sind dadurch nicht mehr etwas anderes, Grösseres als ihre Kunden, sondern etwas Gleiches, auf Augenhöhe Befindliches. Und diese Verbindung ist kurz und schnell: kein Dienstweg, keine Lieferkette, in Millisekunden auf den Punkt. Zusätzlich ist die Dialoghistorie einfach zu verfolgen – ein Vorteil, den Telefon und direktes Gespräch nicht bieten können. Dieses Netz-Denken hat sich bereits sehr stark in unserem Alltag verankert: Wer ständig Whatsapp, Slack, Wechat und Facebook Messenger nutzt, ist für Kommunikation von oben herab schlicht nicht mehr erreichbar.

Papierkorb mit Staubsaugerfunktion tatsächlich zu kaufen, wenn er es auf den Markt schaffen sollte, ist eine weit belastbarere Aussage als ein FacebookLike oder ein Kreuzchen bei einer Marktforschungsumfrage. So verschiebt sich die Entscheidungsmacht über die Produkte beziehungweise Projekte eines Unternehmens von diesem weg und hin zum Kunden.

> Crowdfunding: Zu Beginn wurde Crowdfunding (zum Beispiel bei Kickstarter) vor allem von Start-ups eingesetzt, die Kapital zum Markteinstieg benötigten. Inzwischen wird es auch von Unternehmen eingesetzt, um Produkte zu testen, bevor sie massenweise produziert werden. Das Commitment, die neuen unsichtbaren Ohrhörer oder den

WENDE ZUR PULL-ECONOMY Am Ende dieser bereits begonnenen 180Grad-Wende steht eine Pull-Economy: Der Kunde äussert seine Bedürfnisse, und die Unternehmen reagieren darauf. Das Gleiche drückt der Begriff Intention-Economy aus, da bei diesem Modell der Kunde seine Absichten kommuniziert: Er macht klar, was er braucht, und holt es sich von demjenigen Unternehmen, das es bietet. Das erfordert eine Umwälzung des gesamten operativen Prozesses. Um es am Hummus zu erläutern: Ich liebe ja eigentlich Tomatenhummus, aber eben

Pusher der Antike

Auch wenn Brautwerbung in vielen Kulturen in

in rauen Mengen irgendwelche Produkte herzu-

der einen oder anderen Form betrieben wird,

stellen und erst danach jemanden zu suchen,

Geworben wird nicht erst seit der Einführung

war sie nur selten so nervend, wie hier von

der einem die Ware auch wieder abnimmt?

des Markenartikels. Auch penetrantes Pushen

Homer geschildert. Eine ganz spezielle Varian-

> Netzwerkkommunikation: Das Web ist wortwörtlich ein Netz, es verbindet A mit B (und/oder C, D, E – bitte mindestens bis zum Alphabet-Ende fortgesetzt denken). Diese Verbindung ist symme-

ist keine Erfindung der Neuzeit. In der klas-

te der Pull-Economy boten die Römer beim

sischen Antike litt beispielsweise Penelope

legendären Raub der Sabinerinnen, indem sie

darunter: Die Gemahlin des listenreichen

einfach dem Nachbarstamm dessen unver-

Odysseus war jahrelang der fast ununterbro-

heiratete Frauen raubte.

chenen Werbung von Herren ausgesetzt, die

Dass, so wie heute, Warenproduzenten

sie gern geheiratet hätten. Penelopes heim-

ihre Güter als Pusher in den Markt drücken, war

kehrender Gatte löste das Problem mit den

in vorindustrieller Zeit praktisch unvorstellbar:

Brautwerbern dann auf eine Weise, die selbst

Sie waren meist nur auf Bestellung tätig. Wer

den Ad-Blockern von heute zu rabiat wäre.

hätte auch auf den Gedanken kommen sollen,

72

Statue der Penelope . Quelle: wikipedia.de

Wende beobachten lässt. Hier drei Beispiele: > Transparenz: Das Web hat den Informationsfluss schneller und billiger gemacht und somit zu mehr Transparenz geführt. Früher konnten sich Kunden nur schwer über Produktspezifikationen austauschen und mussten den Angaben der Unternehmen vertrauen. Heute kann man in Online-Foren Fragen stellen und sich auf Facebook mit seinen Freunden über Produkte austauschen. Eine falsche Angabe des Unternehmens, eine unkluge Reaktion auf einen Kundenwunsch kann innerhalb von Stunden einen globalen Shitstorm auslösen. Und das ist gut! Denn die Offenheit aller Information zwingt auch die Unternehmen, offen, transparent und ehrlich zu sein.


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

nicht denjenigen, der mich verfolgt hatte – denn der schmeckt wie Pestopaste. Anstatt mich weiter mit Bannern zu plagen, würde in einer perfekten Welt das Unternehmen auf meine individuellen Wünsche eingehen und einen superyummy Tomatenhummus herstellen, der mir schmeckt. Unmöglich, denken Sie? Denn wie kann ein Unternehmen, das an Profitabilität und Skalierung denken muss, auf die Wünsche jedes Kunden eingehen? Ausserdem sehen Sie die Kosten explodieren: mehr Customer-Care? Weniger Verhandlungsstärke bei der Produktion, da die Produkte personalisiert sein müssen? Und was passiert mit den Marketing-Budgets? Können diese automatisiert werden, oder explodieren sie exponentiell? Diese Ängste sind nachvollziehbar, und die perfekte Welt gibt es auch im 21. Jahrhundert noch nicht. Aber vielleicht würde es mir ja schon genügen, wenn das Tomatenhummus-Unternehmen das Rezept nur leicht änderte (es muss ja nicht immer superyummy sein, yummy reicht manchmal auch), oder ein Händler könnte das mit dem Eingehen auf die Kundenwünsche übernehmen – die Intentionen so vorsortieren und aggregieren, dass die Produzenten sie auch bewältigen können. Dann stünden sozusagen nicht mehr Joghurts und Pestopasten im Regal des Retailers, sondern die Anliegen seiner Kunden. Eine neue Chance für den Handel: So etwas ist selten geworden in dieser Zeit; in gesättigten Märkten (wie es sie überall in den Industrieländern gibt) mit sinkendem Umsatz, fallenden Margen, steigenden Kosten und immer

mehr Technologien und Plattformen, die die traditionelle Rolle des Händlers als Mittler zwischen Angebot und Nachfrage, Hersteller und Konsument überflüssig machen wollen. Als das Gottlieb Duttweiler Institute im Herbst 2008 den Beginn des «Age of Less» proklamierte, reagierte der Handel vielerorts schockiert. Zu Recht, wenn man umsatzorientiert funktioniert. Wachstum ist für Unternehmen unerlässlich. Und trotzdem nicht ganz zu Recht. Denn bedeutet weniger Umsatz unbedingt weniger Marge? Bedeutet weniger Umsatz unbedingt mehr Lager? Bedeutet weniger Umsatz unbedingt weniger Ebit? In der Push-Economy: ja. Gemäss der Pull-Economy: nein.

geten vergessen wir, dass jeder Mensch in einem anderen Kontext lebt. «Contextual Marketing» ist 2016 ein Buzzword, aber nicht im Sinne der Intention-Economy, nicht im Sinne eines Austauschs zwischen Ebenbürtigen. Wenn man miteinander redet, hört man einander zu; wenn man schreit, schreit man. Und deshalb raten wir Unternehmen als Erstes: Hört aktiv zu. Helft den Kunden, ihren eigenen Bedürfnissen entsprechend zu investieren. Arbeitet für den und mit dem Kunden, und unterstützt diesen bei seiner Entscheidungsfindung. Doch wie hört man besser zu? Für mich bedeutet zuhören, dass ich mein Gegenüber ernst nehme und ihm

«Händler könnten sich an den Intentionen der Kunden orientieren – dann stünden diese statt Joghurts im Regal.» ZUHÖREN UND TESTEN Für mich gibt es zwei essenzielle Faktoren, welche uns alle für die Pull-Economy sensibilisieren können: zuhören und testen. Moment, ich glaube, ich muss das Erste doch noch einmal wiederholen: ZUHÖREN! Nein, keine Sorge, ich schreie nicht weiter, ich wollte Sie nur kurz aus Ihrem eigenen Schrei-Modus herausholen. Durch das Schreien hören wir nämlich unsere Kunden nicht mehr. Und wir sind alle Kunden (bitte nicht von Konsumenten sprechen – man nutzt Konsumenten aus; man dient aber Kunden). Durch das ganze Segmentieren und Tar73

authentisch Empathie entgegenbringe. Mir Zeit nehme, auf den Kunden eingehe und im richtigen Moment die richtigen Fragen stelle. Dieser Ansatz bedarf einer Transformation der Art und Weise, wie Unternehmen mit Kunden kommunizieren – wobei diese Transformation nicht unbedingt mehr kosten muss, ganz im Gegenteil. Wenn man besser zuhört, weiss man besser, was der Kunde will. Je besser die Intentionen des Kunden getroffen werden, desto weniger ineffektive Kosten für Marketing, weniger Abfall, weniger Abschreibungen und bessere Margen. Hatte ich schon erwähnt, dass einem bestimmten Unternehmen


Marketing . Die Kunst des Zuhörens . Nadine Stoyanov

die Rezeptänderung von Pestopaste zu yummy Tomatenhummus eine zufriedene und dauerhaft treue Kundin bescheren könnte? VON DESIGN-THINKING LERNEN Der zweite Sensibilisierungsfaktor ist die «attitude to test». Auch wenn Konzepte wie «Design-Thinking» und «Lean Start-up» gerade gehypt werden, so können wir trotzdem von der Grundeinstellung dieser Arbeitsprozesse lernen.

diese ungezwungene Anpassungsfähigkeit abhandengekommen ist. Testen hilft. Und im kleinen Stil – sozusagen guerillamässig – geht es schneller, kostet weniger Geld und macht grundsätzlich mehr Spass. In einer Testphase kann man sowohl ein neues Produkt beziehungsweise eine neue Dienstleistung testen als auch alle involvierten Stakeholder einbinden. Denn an diesen scheitert Innovation genauso oft wie an den Produkten/Dienstleistungen selber.

«Zum Beispiel Zara: Nur was in Testläden gut läuft, geht nach zwei, drei Wochen in die Massenproduktion.» Testen also – und zwar günstig. Wir haben während meiner Start-up-Zeit sogenanntes Lehrgeld ausgegeben. Sie fragen, wie viel? Genug! Aber hätte ein grösseres Unternehmen dasselbe versucht, hätte es wohl zehnmal so viel Cash in der halben Zeit verbrannt. Wenn man im grossen Stil testet, dann ist das eine Generalübung. Man muss dann die ganze Maschine in Bewegung setzen, die zu viel Geld und zu viel Energie von allen involvierten Parteien verlangt. Sooo wild sind wir denn auch nicht auf das Neue. Prinzipiell mögen wir Menschen den Status quo – jetzt nicht unternehmerisch gesprochen, sondern persönlich. Wir mögen unsere Gewohnheiten, unsere «Rituale». Aber ändert sich etwas, lernen wir, uns anzupassen – und das schnell. Mir scheint, dass vor allem in Europa Unternehmen

Zuhören und testen. Ich behaupte nicht, dass diese zwei Begriffe eine Zauberformel sind, aber es sind Sensibilisierungsfaktoren, die uns für eine 180-GradWende hin zur Pull-Economy gelenkiger machen. Und die auch von einigen der führenden Unternehmen der Branche bereits praktiziert werden. Drei Beispiele hierfür habe ich unten angeführt. > Zaras Test-Textilien: Die FashionKette Zara, wichtigste Marke des Inditex-Konzerns, testet permanent. Allerdings nicht die Basics. Sie werden immer noch in Asien eingekauft, sprich mit einer Vorlaufzeit von sechs bis neun Monaten. Basics sind sichere Teile, welche von Jahr zu Jahr wenig variieren, sie bleiben länger auf der Bildfläche und sind grundsätzlich in eher neutralen Farben gehalten – das Basics74

System funktioniert gut nach dem PushModell. Und weil Basics eben Basics sind (und jeder sie braucht), ist das Risiko, keinen Kunden dafür zu finden, niedriger. Bei den Trendkollektionen hingegen ist Zara dem Pull-Prinzip schon viel, viel näher. Die Kette hat Testläden in aller Welt, in die sie Testkleidung schickt: neue Textilien, die grösstenteils von den Must-haves der letzten Modeschauen inspiriert wurden. Werden diese neuen Designs innerhalb einer vorher definierten Zeit vollständig verkauft, werden sie en masse produziert und kommen innerhalb von zwei bis drei Wochen auch in die regulären Zara-Läden – wenn nicht, dann nicht. Ein Traum für alle Retailer, oder? Aber wie machen sie das? Die Gruppe Inditex hat einen grossen Vorteil: Sie ist vertikal integriert. Nicht alle Fabriken und Ateliers gehören ihr, aber in allen, die für Inditex arbeiten, wird die Kapazität hundertprozentig der Gruppe gewidmet. Nur so ist der verlangte Rhythmus umsetzbar. Viele Retailer sind gerade daran, Teile ihrer nach Asien verlagerten Produktion wieder zurück nach Europa beziehungsweise in die USA zu verlagern, um schneller reagieren zu können. Das macht heute schon Sinn und in Zukunft noch mehr; denn wenn man dem Kunden aktiv zuhört und seine Bedürfnisse umsetzt, kommt es nicht auf den letzten Rappen Produktionskostenersparnis an. Für einen yummy Tomatenhummus würde ich garantiert einen Preis akzeptieren, der einen halben Franken höher als beim derzeit angebotenen Pestopasten-Hummus liegt – den ich ja sowieso niemals mehr kaufen werde.


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

> Peer-to-Peer-Communication mit dem Facebook-«Business Messenger»: Ja, natürlich, Facebook ist über die Jahre zu einem klassischen Push-MarketingInstrument mutiert. Ads. Traffic-Generator. Noch mehr Ads. Noch mehr Pestopaste. Aber mit dem «Business Messenger» hat Facebook einen klaren Schritt in Richtung Pull-Economy gemacht. Mit ihm wurde eine Barriere gebrochen: die Barriere zwischen Unternehmen und Kunden. Die Kunden können jetzt via Messenger und mit Hilfe von «bots» mit Unternehmen «sprechen», wie sie es mit ihren Freunden tun. Facebook revolutioniert den Customer-Care, indem es Unternehmen und Kunden die Möglichkeit gibt, einen symmetrischen Austausch zu haben. Sie kennen alle die Abkürzung CRM (für Customer Relationship Management), und die meisten von Ihnen haben vermutlich ein CRM-Tool installiert. Das gehört zum Push-Modell – weil Ihnen diese Software hilft, Ihre Kunden

nisse durch den Messenger, indem er/sie mit dem Unternehmen Kontakt aufnimmt, und das Unternehmen reagiert entsprechend. Da gibt es kein Segmentieren, kein Targeten – ein Mensch kommuniziert mit einem Unternehmen. Pull-Economy. Die US-Vordenker Doc Searls und John Hagel III haben entsprechende Konzepte schon vor einigen Jahren entwickelt, inzwischen versuchen sich viele Start-ups am Aufbau von CMR/VRMTools – und wie das Beispiel von Facebook zeigt, geht dieser Ansatz gerade aus der Nische in den Mainstream. Bei meinem hassgeliebten Hummus-Hersteller ist er allerdings leider noch nicht angekommen. > Smart Data bei Amazon: Wie Amazon mit Daten umgeht, ist beeindruckend. Vielleicht hatten Sie Glück und haben den ersten Amazon-Laden in Seattle gesehen. Das ist nicht nur Big Data, das ist Smart Data. Auch wenn die

«Zum Beispiel Facebook: Über den neuen ‹Business Messenger› können Kunden mit Firmen wie mit Freunden sprechen.» in Gruppen zu gliedern (Segmentieren! Targeten!) und mit ihnen via Mail online, social oder viral oder, oder, oder zu «kommunizieren». Was Facebook hier einführt, kann hingegen eher als ein CMR(Client Managed Relationship)Tool bezeichnet werden oder auch als VRM: Vendor Relationship Management. Der Kunde äussert seine Bedürf-

Art und Weise, wie Amazon Daten sammelt, immer noch gemäss dem PushEconomy-Modell funktioniert, nähert sich die Datenauswertung der Pull-Economy. Amazon weiss genau, wer was wo einkauft, und kann so nicht nur die Auswahl in den Läden gemäss den allgemeinen Umsatzzahlen definieren, sondern diese geografisch, demografisch und 75

eventuell sogar psyochografisch sehr detailliert herunterbrechen. Dies optimiert die Durchlaufzeit der Produkte und resultiert in einer Abnahme der Lagerprobleme. Amazon ist darüber hinaus eine Supply-Chain-Koryphäe und zudem gerade auf Shopping-Tour, um vertikal integrierte Fashion-Start-ups zu übernehmen. Ob ein Retailer bei so vielen Daten tatsächlich noch in der Lage ist, dem einzelnen Kunden zuzuhören, sich mit ihm auf Augenhöhe zu begeben, ist theoretisch heiss umstritten – je mehr es um einen herum rauscht, desto schwieriger kann es sein, das einzelne Signal zu vernehmen. Aber Amazon, so viel ist sicher, wird genau das Unternehmen sein, an dem diese Frage praktisch entschieden wird. Und wenn Amazon dazu nicht in der Lage sein sollte; wenn das Unternehmen sich wichtiger nimmt als uns, seine Kunden: Hey, ihr Offline/Online-Händler da draussen, wenn ihr richtig zuhört, werdet ihr vielleicht die Amazons der Pull-Economy! Ich freue mich jetzt schon auf einen yummy Tomatenhummus von euch. <

Lektüre zum Thema Doc Searls . The Intention Economy . When Customers Take Charge . Harvard Business Review Press 2012. Doc Searls’ Blog zu Vendor Relationship Management: blogs.harvard.edu/doc/category/vrm


Philosophie . Global Krausismo . Claus Dierksmeier

Global Krausismo «Krause entwickelt eine globale Freiheitsethik, deren Potenziale bis heute noch nicht ausgeschöpft sind», schreibt Claus Dierksmeier, Direktor des Tübinger Weltethos-Instituts, in seinem soeben erschienenen Buch «Qualitative Freiheit». Krause?

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GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Ja, Krause. Karl Christian Friedrich Krause (1781 – 1832), um genau zu sein. Dieser deutsche Philosoph ist in grossen Teilen der Welt nahezu unbekannt, gilt aber vielen Spaniern und Lateinamerikanern als der eigentliche Ahnherr nachhaltiger und kontextsensitiver Freiheitsphilosophie. Dort gab es sogar eine politische Bewegung namens «krausismo» – ein auf soziale Harmonie zielender Liberalismus. Dierksmeier hat das oft sperrig formulierte Werk Krauses für die heutige Zeit aufbereitet. Und wir haben hier die «bis heute noch nicht ausgeschöpften Potenziale» mit Thesen für die Zukunft (in Grün) angereichert.

THESE In einer digitalisierten Welt werden die Gesellschaftsverträge, auf denen die Nationalstaaten der Moderne basieren, brüchig. Krauses Ansatz, Zivilität und Gesellschaft ohne Vertragslogik zu konstruieren, wird dadurch wieder aktuell.

DIE ANERKENNUNG der Menschenwürde kann man Krause zufolge weder erwirken noch verwirken. Nicht die stets bedingte Wechselseitigkeit faktischer Anerkennung begründet daher das Grundrecht, als moralische Vernunftwesen anerkannt zu sein – das unbedingte Recht, als Vernunftwesen ge77

achtet zu werden, begründet eine absolute Rechtspflicht zur allseitigen Anerkennung. Deshalb fordert Krause: «Behandle auch den als ein vernünftiges Wesen, der dich als ein unvernünftiges behandelt, der deine Vernünftigkeit nicht respektiert.» Selbst «wenn mich niemand respektiert, so entbindet mich


Philosophie . Global Krausismo . Claus Dierksmeier

THESE In einer vernetzten Welt ist das zentrale Element nicht so sehr das Individuum als vielmehr seine Verbindungen. Die relationale Philosophie Krauses ist ideal dafür geeignet, von den Zuckerbergs von heute aufgegriffen zu werden.

DER MENSCH KANN, anders als das Tier, Bindungen aus freien Stücken eingehen sowie freiwillig wieder lösen. Menschen benötigen einander keinesfalls nur zum Nutzentausch und zur wechselseitigen Mängelbeseitigung. Sie vereinigen sich auch zu edleren Zwecken. Über die wechselseitige Defizitkompensation hinaus streben sie die Vervollkommnung ihrer selbst und ihrer Umwelt an, um sie in eine immer freiheitskonformere Lebenswelt zu veredeln. Geselligkeit entsteht – damaligen Sozialvertragstheorien wie heutigen Spieltheorien zuwider – nicht allein durch die unvermeidliche Koexistenz von «charakterlosen Vernunftpersonen», sondern gerade auch durch frei

gewählte Kooperation und Kollaboration von «charaktervollen Personen». Die Theorie der Freiheit darf daher Personenverbindungen nicht nur als Institutionen zur Befriedigung niederer und zwingender Bedürfnisse rekonstruieren. Sie muss sie auch als Verbünde zur freiwilligen Wertschöpfung begreifen. Gerade auch die das materielle Dasein überschiessenden Momente freien Geselligkeitsverlangens sind zu würdigen: der Hang zu kulturvermittelter Selbststeigerung und spiritueller Kontemplation sowie der Wunsch zu vereintem, sittlichem Engagement im Dienste der Freiheit und Würde anderer. Krauses Sozialphilosophie misst daher Personenvereinigungen grösste Be-

Krause

de an der Ingenieur-Akademie Dresden. Späte-

Da Krauses Schriften eine in weiten Teilen

re Versuche, sich auf eine Professur zu bewer-

selbst geprägte Terminologie verwenden, er-

Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832)

ben, scheiterten.

schliesst sich seine Philosophie nur mühsam.

war einer der vielen Denker, die Deutschland

Als Krauses wichtigstes Werk gilt «Urbild

in dieser Blüteperiode des Idealismus hervor-

der Menschheit» aus dem Jahr 1811. Die offe-

brachte. Anders als seine Zeitgenossen Hegel,

ne und partizipative, an einem ganzheitlichen

Fichte oder Schelling, war er zu Lebzeiten nur

Menschenbild orientierte Philosophie Krauses

wenig einflussreich. Ursächlich hierfür ist der

erregte in der damaligen Zeit eher Befremden,

Abbruch seiner Universitätslaufbahn: Nach

steht allerdings heutigen Vorstellungen deutlich

zweijähriger Tätigkeit als Privatdozent für Phi-

näher. Insbesondere die Leitgedanken des

losophie in Jena zog er sich 1804, mit gerade

«capability»-Ansatzes, wie ihn heute Martha

einmal 23 Jahren, zurück und wurde Lehrer –

Nussbaum oder Amartya Sen vertreten, finden

unter anderem für Kartenzeichnen und Erdkun-

in Krauses Denken eine frühe Entsprechung.

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Karl C. F. Krause . Quelle: wikipedia.de

dies nicht von meinem Respekt im Allgemeinen, auch rechtlich nicht». Hierfür rehabilitiert Krause die «Urrechte» der Persönlichkeit. Die jedem Menschen zustehenden Freiheiten resultieren demnach nicht aus wechselseitigem Tausch. Man ist anderen Personen zur Ermöglichung ihrer Freiheiten nicht nur (hypothetisch) verpflichtet, wenn man von ihnen symmetrische Gegenleistungen erwarten kann. Es gibt vielmehr eine (kategorische) Pflicht, jedem Freiheit zu ermöglichen; und diese erstreckt sich auch auf durch und durch asymmetrische Verhältnisse (etwa auf die Rechte zukünftiger Generationen oder von Menschen mit Behinderungen). Nicht das quantitativ-maximierende Kalkül miteinander schachernder Individuen errichtet den Sozialvertrag, sondern die qualitativ-optimierende Logik eines humanen Miteinanders gewährt allen Personen das Recht zu einem selbstbestimmten Leben; und dazu gehört, so Krause, auch das Recht, sich autonom in Sozialverträgen zu binden.


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

deutung bei. Institutionen – wie beispielsweise solche, die sich der Pflege von Kunst, Wissenschaft und Religion widmen – drücken in ihren Zielen und in den dieselben fördernden Lebensformen die Idee der Freiheit aus. Sie liefern der Gesellschaft Muster herrschaftsarmer Vergemeinschaftung und verantwortlicher Selbstbindung. Auch wenn Organisationen im Rahmen ihrer Mission die Freiräume ihrer Mitglieder mitbestimmen und einschränken, kann dies

im Ausgriff auf substaatliche und staatliche, zwischenstaatliche und überstaatliche Ordnungen, ja die ganze Welt. Jene «innere Geselligkeit» des Menschen führt, Krause zufolge, letztlich auf die Idee der «einen Menschheit», der – dem Begriffe nach – alle Personen, nah und fern lebende Menschen, gegenwärtige genauso wie zukünftige Generationen an- und zugehören. Je mehr ein Mensch sich in seinem Sinnen und Trachten an dieser Idee ausrichtet, so Krause,

«Meine Bürgerrechte gebühren mir nicht als Bürger dieses Staates, sondern als Bürger der Welt.» als (qualitative) Verwirklichung, nicht als (quantitative) Verengung von Freiheit begriffen werden, sofern sie in ihren Verfahren und Zielen auf persönlicher Freiheit aufbauen, innere und äussere Offenheit bieten, demokratisch verfasst sind und so weiter. Krauses Freiheitsidee wirkt somit zugleich rekursiv und prozedural: Was die interpersonale Institutionalisierung von Freiheit legitimiert, limitiert sie auch. Vergemeinschaftung ist nicht Selbstzweck, sondern soll Individuen helfen, ihre Freiheit zu betätigen und zu bestätigen. Illiberale Kollektive sind Krauses Sache daher nicht. Das Thema, wie individuelle Freiheit durch kollektive Freiheit komplementiert und komplettiert wird, entwickelt Krause mit viel Liebe zum soziologischen Detail, ausgehend von der Familie, über weitere Sozialverhältnisse (Gemeinde, Stadt) und schliesslich

umso harmonischer wird er mit anderen koexistieren und kooperieren. Die menschliche Freiheit ist von Grund auf kosmopolitisch und intergenerational ausgerichtet. Vergemeinschaftete Freiheit hat, wie jede andere Freiheit auch, einen vorpositiven Anspruch darauf, rechtlich anerkannt zu werden. Während in den damaligen Rechtstheorien der Staat sozialen Vereinigungen nahezu gnadenhalber Rechtsfähigkeit verleiht, insofern diese dafür gute Gründe vorbringen können, fordert Krause das Gegenteil. Der Staat habe, sofern nicht gute Gründe – wie mangelnde Rechtskonformität und Freiheitlichkeit – dagegen sprechen, Vereinigungen zur kollektiven Freiheitsausübung stets durch die Verleihung positiver Rechtsfähigkeit anzuerkennen.

79

THESE Eine Welt globaler Kommunikation und globaler Ökonomie benötigt nicht nur universale Menschenrechte, sondern auch ebenso universale Bürgerrechte. Krause hat sie entworfen.

DIE «VERNÜNFTIGE NATUR» des Menschen ist für Krause die Grundlage seiner Freiheit; sie fundiert seine unbedingte Würde und markiert diese als – auch seitens der jeweiligen Personen selbst – unveräusserlich. Folglich seien universale «Weltbürgerrechte» zu proklamieren, die allen Menschen kraft ihres Personseins und nicht erst vermittels historischer Staatsformen gewisse Freiheiten zuerkennen. Über jene Weltbürgerrechte schreibt Krause: «Sie gebühren mir nicht als Bürger dieser Erde und dieses Staates, sondern als Bürger der Welt. Ich kann sie daher nebst dem Rechte auf meinen Leib meine weltbürgerlichen Rechte und ihren Besitz mein weltbürgerliches Eigentum nennen; sie sind über allen positiven Zwang erhaben und stehen mit unverbrennlichen Zügen im Gesetzbuche der Welt.» Der «Volksstaat, welchen man gewöhnlich unrichtigerweise allein (…) den Staat nennt», nimmt zwar eine prominente Stellung im Kreise der rechtswahrenden Institutionen ein, darf aber niemals verabsolutiert werden. Denn dem Volk als ethnischer Grösse wird von Krause, gegen alle zeittypischen Tendenzen, keine übermässige Bedeutung beigemessen. Zum einen legt er dar, wie sich rechtliche Strukturen auch unterhalb und ausserhalb des national-


Philosophie . Global Krausismo . Claus Dierksmeier

staatlichen Rahmens herausbilden. Zum anderen denkt er strikt kosmopolitisch und verwirft jede Vaterlandsliebe, die das Ausland abwertet. Nationales Recht legitimiert sich bei Krause eindeutig nicht (wie im Rechtspositivismus) durch sich selbst, sondern durch seinen funktionalen Beitrag zur Freiheit aller, das heisst konkret, um durch die Institutionalisierung politischer Autonomie jedermann «sein Menschenrecht zu leisten». Nationale Gesetze seien stets im Hinblick auf die mögliche «Einstimmung (…) der ganzen zugleich lebenden Menschheit» zu verfassen. Entsprechend gaben lateinamerikanische Krausisten der kosmopolitischen und intergenerationalen Verpflichtung aller nationalen Politik Verfassungsrang. Gerade weil für Krause die Erde allen Menschen und Völkern zur individuellen Freiheitsverwirklichung gehört, darf sich die Lebensgestaltung der Kulturen auch in ungleichen Lebensweisen mani-

THESE Eine vernetzte, vielfältig voneinander abhängende Welt benötigt nicht nur Menschenrechte, sondern auch Menschenpflichten. Krause leitet sie aus einem freiheitlichen Menschenbild ab.

BESITZ MUSS in Ausübung und Gebrauch sozialverträglich sein, um geschützt zu werden. Eigentum darf also nicht zum Selbstzweck werden, sondern muss als Rechtszuschreibung stets erkennbar Mittel zum Zweck der Freiheit bleiben. Gebrauch von Sachen ohne deren Verbrauch oder Abnutzung kann schrankenlos gewährt werden. Hinsichtlich mehrfach nutzbarer Dinge ist eine Güterabwägung fällig, die zum Beispiel bei der Nutzung von Holz ergeben kann, dass man den Gebrauch als «Nutzholz gegenüber Brennholz» vorziehen sollte. Komplizierter wird es, wenn wir von Naturprodukten übergehen zu von Menschen hergestellten Objekten. Zwi-

«Die Erde ist niemals Niemandsland. Sie gehört prinzipiell allen Menschen gemeinsam.» festieren. Das Grundrecht des Menschen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, kann daher zu einer Vielzahl divergenter lokaler und regionaler Rechtsordnungen führen. Diese können als Bestimmungsgrössen einer global vernetzten Rechts- und Freiheitsordnung im Wesentlichen durchaus fortbestehen.

schen «selbstwürdigen Sachgütern», denen die durch sie dargestellte Freiheit innewohnt (Kunstwerke etc.), und blossen «Nutzgütern» besteht natürlich ein wichtiger Unterschied. Reine Nutzgüter darf man nicht nur «gebrauchen», sondern auch «verbrauchen», sofern nicht Rechte anderer oder der Gesellschaft entgegenstehen. Letzteres aber kann der Fall sein hinsichtlich von «selbstwürdi80

gen Sachgütern»; das heisst von Objekten, in welche berücksichtigenswerte Freiheitsrechte ihrer Gestalter eingegangen sind, was insbesondere beim geistigen Eigentum der Fall ist. Krause verweigert die etwa von John Locke (1632–1704) propagierte Güteraneignung in Wildwestmanier – man bearbeite Niemandsland und mache es sich dadurch zu eigen. Die Erde ist weder unendlich noch jemals Niemandsland; sie gehört prinzipiell allen Menschen gemeinsam. Man muss daher stets sicherstellen, dass in allen Aneignungsakten das Recht anderer, von der Weltteilhabe nicht ausgeschlossen zu werden und eine Wirksphäre für ihre Freiheit zu haben, gewahrt bleibt. Das aber kann der Einzelne überhaupt nicht gewährleisten, sondern nur eine alle Menschen repräsentierende Rechtsgemeinschaft. Alle historisch bisher erworbenen Besitzungen können daher nur provisorische, nicht ewige Geltung beanspruchen. Sie unterliegen dem Revisionsrecht einer zukünftigen, rechtlich verfassten Menschheit. Obschon es ein unbedingtes Recht darauf gibt, überhaupt Eigentum zum eigenen freien Gebrauch zu haben, erkennt Krause nur ein bedingtes Recht auf bestimmte Eigentümer und Nutzungsweisen an. Eigentümer und ihr Gebrauch sind dem Gutdünken ihrer Eigner nur innerhalb gewisser Grenzen unterworfen. Zwar sollen Menschen


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

durchaus auch einen Sachbesitz unter «Ausschluss aller anderen Personen» erlangen, um etwa einen Radius freier, ungestörter Werktätigkeit zu gewinnen. Doch darf der Ausschluss anderer dabei niemals zu einem für sich allein gültigen Definitionsmerkmal des Eigentumsrechts avancieren. Die Gültigkeit jenes Ausschlusses steht und fällt vielmehr mit seiner Funktion, Freiheit zu verkörpern. So bleibt zwar auch bei Krause der Umgang mit alltäglichen Gegenständen zumeist der Freiheit der Eigentümer überlassen; allerdings nicht, weil ihnen an und für sich ein (quantitativ) unbeschränktes Recht zukäme, mit ihren Sachen zu tun, was ihnen beliebt, sondern weil (qualitativ) jedem Individuum ein bestimmter «Freiheitskreis» zugestanden werden muss, in dem es sich frei selbst definiert.

Raúl Alfonsín . Quelle: interactivodemocracia.encuentro.gov.ar

Krausismo

THESE Gerade wenn demnächst künstliche Intelligenz dem Menschen überlegen sein sollte, werden Philosophien benötigt, die den Menschen nicht als Krone der Schöpfung, sondern als Teil eines grösseren Ganzen sehen. Krauses Menschenbild ist besser als Asimovs Robotergesetze geeignet, um als Basis für den Menschen betreffende MaschinenEntscheidungen zu fungieren.

IN DER PHILOSOPHIE des 19. Jahrhunderts schrumpft die Natur nicht selten zum blossen Objekt menschlicher Werktätigkeit ein. Krause aber sucht menschliche Freiheit nicht so sehr in Independenz von, sondern eher in Interdependenz mit ihrer Umwelt. Menschen vergewissern sich schliesslich ihrer selbst nicht nur in Abgrenzung gegen ihre biologischen und sozialen Kontexte, sondern zumeist in ihnen, mit ihnen und durch sie. Menschen leben in und aus Relationen zu ihrer Um-, Mitund Nachwelt. Aus diesem relationalen Verständnis der Person resultiert ein nachhaltigkeitsorientiertes Freiheitsver-

ständnis: Es gelte, dem menschlichen Bewusstsein alle anzuerkennenden natürlichen Grenzen nach seinen Kategorien zu vermitteln. Um uns in der Natur möglichst adäquat zu situieren, sollten wir streben, sie zufolge ihrer eigenen Gesetze und Strebungen zu verstehen. Auf dem Wege rechtlicher Stellvertretung steht die Gesellschaft dafür ein, dass auch diejenigen Individuen in den Genuss ihrer Rechte kommen, die dies nicht selber einfordern (können). Krause propagiert dazu eine allgemeine Rechtsvormundschaft der Menschheit für alle Einzelnen. Anstatt bestimmte Individuen oder Gruppen zu entmündigen,

Mehrere Jahrzehnte nach dem Tod Karl Chris-

Hälfte des 20. Jahrhunderts wollten mit Libe-

tian Friedrich Krauses kam seine Philosophie

ralismus in keiner Spielart etwas zu tun haben.

erst in Spanien und dann auch in Lateinamerika

Doch nach deren Fall bekannten sich die ersten

zur Geltung. Die politische Bewegung des

erneut demokratisch gewählten Präsidenten

«krausismo», eines auf soziale Harmonie zie-

jener Länder und die sie stützenden Parteien

lenden Liberalismus, prägte von Mitte der

wieder zum geistigen Vermächtnis Krauses.

1860er-Jahre bis zu seiner Unterdrückung

Dies gilt sowohl für den argentinischen Präsi-

durch Franco Mitte der 1930er das Verfas-

denten Raúl Alfonsín und die während seiner

sungsleben und die politische Kultur Spaniens.

Amtszeit (1983 –1989) sehr populäre liberale

Gleiches gilt für Argentinien und Uruguay,

Partei Argentiniens (UCR) wie auch für die

wo seit den 1870ern ganze Präsidentengene-

Batlle-Familie in Uruguay, aus der schon meh-

rationen sich dem krausistischen Denken ver-

rere Staatspräsidenten hervorgegangen sind,

schrieben. Die dortigen Diktaturen der zweiten

zuletzt von 2000 bis 2005.

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Philosophie . Global Krausismo . Claus Dierksmeier

dient dieses Konzept umgekehrt dem Schutz vor andernfalls sich einschleichender Entmündigung (etwa: des Kindes durch die Eltern, der Ungebildeten durch die Gebildeten). Aus faktischer Abhängigkeit macht Krause also, anders als etliche Denker vor ihm, keinen Legitimationsgrund für rechtliche Abhängigkeiten, sondern umgekehrt schmiedet er aus der rechtlichen Gleichstellung aller Personen ein Argument für die schnellstmögliche Besserung entwürdigender Lebensformen.

THESE Die Entkopplung von Erwerbsarbeit und Lebensunterhalt wird in den kommenden Jahrzehnten eines der heissesten politischen Themen sein. Krause hat hierfür einen gangbaren Weg erdacht, der auf der Menschenwürde beruht.

ALLE MENSCHEN SOLLEN, so Krause, die «gleiche Gelegenheit zur Entwicklung der geistigen und leiblichen Anlagen» haben; faire Lebenschancen zu schaffen, ist Aufgabe der Politik. De-

«Dem Arbeiter müssen seine Bedürfnisse gereicht werden, nicht weil er arbeitet, sondern weil er deren als Mensch bedarf.» Behinderung zieht darum auch für Krause keinerlei Verlust an Menschenwürde nach sich. Geistige und/oder körperliche Einschränkung hemmt zwar die Artikulation, bedeutet aber keine Privation der menschlichen Natur. Das Recht auf menschenwürdigen Freiheitsgenuss kommt allen Menschen zu, «wie missgebildet und mangelhaft, wie verkümmert, wie krank an Geist und Leib, wie immer ins Elend versunken» sie auch sein mögen. Um ihrer Menschenwürde willen ist die Gesellschaft zur Achtung und Pflege der behinderten Menschen verpflichtet. Der Anspruch auf gesellschaftliche Unterstützung ist nicht durch Gegenleistungen bedingt. Zur Würde eines jeden Menschen gehört, dass ihm sein Recht unbedingt geleistet werde.

nen, die sich aus eigener Kraft nicht zureichend versorgen können, hilft der Staat. Der Zugriff auf elementare Lebensgüter wie Nahrung, Wohnung und Kleidung darf nicht allein von marktwirtschaftlichen Erwerbsleistungen abhängen. Denn es «liegt der Rechtsgrund auf nützlichen Besitz nicht in der Arbeit, sondern im Bedürfnis und zuhöchst in der vernünftigen Natur selbst». Alle sollen zu einem Leben in Freiheit und Würde befähigt werden. Fichte hatte noch gemeint, wer nicht arbeite und niemanden finde, der einem Nahrung schenke, solle eben «Hungers sterben, und das von Rechts wegen». Krause sieht dies anders. Ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen Arbeit und Lebenserhalt lehnt er ab. Der Einzelne schuldet der Gesellschaft unbedingt, dass er für seinen und den kol82

lektiven Unterhalt arbeitet, sofern und soweit er kann. Umgekehrt schuldet die Gesellschaft allen die Voraussetzungen zu einer Existenz in Freiheit – ebenfalls unbedingt. Die beiden Obliegenheiten bedingen einander nicht; sie bestehen an und für sich. «Ihm [dem Arbeiter] selbst müssen seine leiblichen und geistigen Bedürfnisse gereicht werden, nicht weil er arbeitet, sondern weil er deren als Mensch bedarf. Wenn er daher, wiewohl es vermögend, nicht gehörig viel oder nicht auf die gehörige Weise arbeiten sollte, so ist er zwar deshalb zu bestrafen, allein es kann darauf kein Recht begründet werden, ihm irgendetwas anderes, was er wirklich anderweit[ig] rechtlich bedarf, zu entziehen.» Weil Krause die Rechtsordnung nicht als Tauschgesellschaft, sondern als Gemeinschaft zur allseitigen Freiheitsermöglichung auffasst, will er allen, unabhängig von sozialen oder biologischen Zufällen, ein Leben in menschenwürdiger Freiheit ermöglichen. Weniger John Rawls’ Plädoyer für eine quantitativ-gleiche Versorgung mit «basic goods» als vielmehr Martha Nussbaums und Amartya Sens qualitativ-differenzierter «capability»-Ansatz wäre ein heutiges Analogon dazu.


THESE Krause bietet eine rationale, Mensch und Tier gleichermassen achtende Ethik an – sozusagen die passende Philosophie für Flexitarier.

BEI TIEREN liegt stets bewusstes Leben vor. Überdies kommt einigen höher entwickelten Arten selbstbewusstes Leben und Personalität zu. Während die meisten Denker seiner Zeit Tiere als Triebautomaten ansahen und darum als blosse Sachen der menschlichen Verzweckung überantworteten, erkennt Krause Tiere ausdrücklich als Freiheitswesen an. Tieren kommen andere Rechte zu als Menschen. Ihre Rechte sind aber nicht schwächer. Sie kommen Tieren di-

rekt und mit gleicher Geltungskraft zu wie Menschen Menschenrechte. Ebenso wie Menschenrechte gelten Tierrechte unbedingt. Was der Mensch gegenüber seinesgleichen erzwingen darf, darf auch gegen jedes auf niedrigerer Freiheitsstufe existierende Lebewesen durchgesetzt werden. Wenn es uns erlaubt ist, den geteilten Lebensraum durch Rechtszwang zum Schutz der Freiheit aller einzuschränken, so auch den der Tiere, sofern dabei deren rechtsfeste Interessen berücksichtigt werden. Wenn der Mensch seine eigenen organischen Abfallprodukte (Haare, Nägel etc.) industriell verwerten darf, dann ebenso die der Tiere. Auch hält Krause es für möglich, dass man tierische Arbeitskraft nutzt und dazu die natürliche Bewegungsfreiheit von Tieren beschnei-

det; wir täten Ähnliches ja auch mit menschlicher Arbeitskraft. Aber darf der Mensch, der seinesgleichen nicht zum Zwecke des Nahrungserwerbs tötet, Tiere verspeisen? Nur dann, meint Krause, sofern «ohne solches die Menschheit auf Erden nicht bestehen könne». Dass man ohne äussere Not tierisches Leben zerstört, ist mit Krauses Theorie nicht zu rechtfertigen. <

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Lektüre zum Thema Claus Dierksmeier . Qualitative Freiheit – Selbstbestimmung in weltbürgerlicher Verantwortung . Transcript 2016

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Geopolitik . «Small is successful» . Parag Khanna

«Small is successful» Der US-Geostratege Parag Khanna hat die Erfolgsfaktoren für Staaten im 21. Jahrhundert untersucht – und landet dabei ziemlich genau beim Vorbild Schweiz. Aber auch Grossnationen wie die USA oder China können diese Rezepte übernehmen.

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Foto: Arenda Oooman, Retouch: JoppeBerlin

GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Herr Khanna, die Schweiz schneidet bei Ihnen als einer der am besten für das 21. Jahrhundert gerüsteten Staaten ab. Was haben beziehungsweise was machen wir denn, was andere nicht machen? Sie haben ein sicheres Land, Sie haben ausgezeichnete Infrastrukturen, und Sie sind sehr gut vernetzt, sowohl national als auch international. Diese Tugenden zeichnen die erfolgreichsten Länder der Welt aus: sicher, aber keine Festung, offen für Handel, Investitionen und Umweltschutz. «Secure connectiveness», sichere Konnektivität, ist mein Begriff für diese Erfolgsfaktoren.

Offenheit und Sicherheit lassen sich allerdings nicht gleichermassen maximieren, wie sich bei praktisch jedem politischen Konflikt erneut zeigt. Natürlich nicht – es muss hier jeweils eine Balance zwischen diesen Werten geben. Und die Schweiz ist sehr erfolgreich darin, einen Ausgleich zwischen Strömen und Reibung herzustellen. Sie ist in hohem Mass an der Dynamik der Weltwirtschaft beteiligt und zugleich erfolgreich darin, die Reibung in Grenzen zu halten, etwa bei Migration und Drogenhandel. Nur mit einer solchen Balance kann eine führende Position in der Welt gehalten werden. 85

Wer liegt denn ausser der Schweiz noch vorn in Ihrem Ranking? Es sind in der Regel kleinere Länder mit offenen Volkswirtschaften, guter Qualität der Infrastruktur und des Bildungssystems. Ebenfalls hilfreich ist die Fähigkeit, komplexe Produkte herzustellen, die nicht so einfach kopiert werden können. Hier schneiden in der Schweiz vor allem die Chemie- und die Uhrenindustrie gut ab. «Small is successful?» Wenn es das Erfolgsrezept im 21. Jahrhundert ist, klein zu sein, was passiert dann mit den grossen Ländern? Jenen Ländern,


Geopolitik . «Small is successful» . Parag Khanna

die 200 Millionen Einwohner haben, wie Brasilien, oder 300 Millionen, wie die USA, oder gar mehr als eine Milliarde wie China oder Indien? Werden sie alle zerfallen? Das nun nicht gerade. Aber sie müssen etwas werden, was die Schweiz schon ist: ein Städte-Staat. Auf Landkarten sieht die Schweiz eher wie ein Berge-Staat aus … Ökonomisch aber ist sie ein StädteStaat – eine Ansammlung von erfolgreichen, blühenden Städten, die in einem Netzwerk sehr gut zusammenarbeiten. China ist in einer ähnlichen Richtung unterwegs. Wir haben zwar meist eine Segmentierung vor Augen, die der politischen Gliederung in um die dreissig

Provinzen entspricht, aber China entwickelt sich immer mehr zu einer Ansammlung von 25 Megacitys. Jeder dieser Stadtgiganten hat eine sehr starke Binnenwirtschaft, jeder ist eng mit seinem Umland verflochten, aber auch mit den anderen Megacitys vernetzt, durch Kommunikations- und Transportinfrastruktur. Und jede dieser Metropolen hat ihre eigenen, vielfältigen internationalen Verbindungen. Auch für die Vereinigten Staaten wäre es Erfolg versprechend, zu den Vereinigten Städte-Staaten von Amerika zu werden. Also die jetzige Gliederung in fünfzig Bundesstaaten abzuschaffen … … und durch ökonomische Grossregionen mit starken urbanen Zentren zu er-

setzen. Entsprechend der sehr diversifizierten Geografie der USA sehe ich dabei sieben Grossregionen und etwa fünfzehn Megastadt-Räume: von Los Angeles im Südwesten über Seattle/ Portland im Nordwesten bis Miami/ Orlando im Südosten, vom Texas-Dreieck mit Dallas, Houston, Austin im Süden bis zur Megapolis im Nordosten zwischen Boston und Washington. Eine solche neue Struktur würde in den USA die Machtfrage stellen. Herrschen dann die Bürgermeister dieser Megastädte über deren Einwohner? Oder doch weiterhin der Präsident des Landes? Oder eine erst noch zu gründende neue Institution? Und wie findet die Machtverschiebung statt? Doch

Staaten mit Top-Ten-Platzierungen

Norwegen

Finnland

Schweden Dänemark Niederlande

Grossbritannien USA

Irland

Belgien Frankreich

Deutschland Luxemburg

Südkorea

Österreich

Schweiz

Japan Vereinigte Arabische Emirate Katar

Ruanda

Hongkong

Singapur

Malaysia

Infrastruktur Australien

Politische Effizienz Leistungsfähigkeit der Verwaltung BIP pro Kopf

Neuseeland

Innovation Vernetzung 86

Quelle: Parag Khanna / University of Wisconsin

Island

Kanada


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

wohl nicht mit einem Bürgerkrieg zwischen dem Bürgermeister von Boswash und dem Präsidenten der USA? Mein Begriff für den Ablauf dieser Machtverschiebung ist Devolution. Städte und Provinzen wollen mehr Kontrolle über ihr eigenes Budget haben, sie wollen über ihre Ausgaben genauso selbst entscheiden wie über ihre internationalen Beziehungen. Das passiert bei Regionen, die sich von einem Staat abspalten wollen, wie Schottland, Katalonien oder Venetien. Es passiert auch bei der Fragmentierung grösserer Länder, siehe Südsudan, Osttimor, Palästina oder Kurdistan. Und es passiert innerhalb von stabilen Gesellschaften, wenn Stadtverwaltungen wie in Los Angeles oder Seattle ihren Beitrag zu den Bundessteuern reduzieren und die lokalen Steuereinnahmen erhöhen wollen. Der Versuch des Bürgermeisters von Los Angeles, mehr Geld in der Stadtkasse zu haben, ist so etwas Ähnliches wie die Unabhängigkeitsbewegung der Katalanen? Nein, weil die territoriale Integrität der Vereinigten Staaten nicht gefährdet ist – und weil die Auswirkungen für den Rest des Landes sehr unterschiedlich sind. Wenn Katalonien sich von Spanien abspaltet, macht es dadurch Spanien ärmer. Aber ein grösserer finanzieller Spielraum für den Bürgermeister von Los Angeles macht Amerika reicher – weil Los Angeles in den USA bleibt. Dennoch stellt sich jedes Mal, wenn der Zentrale Macht oder Geld genommen wird, die Frage, wofür man die Zentrale überhaupt noch braucht. Könnten so im Laufe der Zeit Ihre

Städte-Staaten das Konzept des Nationalstaates überflüssig machen? Theoretisch: ja. Praktisch stellt die Zentralregierung nach wie vor das infrastrukturelle Rückgrat für die gesamte Nation zur Verfügung. Auf zentrale Netzwerke wie Ölpipelines, Eisen- und Autobahnen sind alle Städte weiterhin angewiesen, und dafür sind Zentralregierungen unverzichtbar. Zentralregierungen wie bisher? Oder sind auch andere zentrale Institutionen möglich? Infrastrukturnetze und logistische Korridore halten sich ja nicht unbedingt an nationalen Grenzen: Sie verbinden Regionen weitgehend unabhängig davon.

Meistens, wenn auf Karten neue Grenzen gezogen werden, hat das etwas mit Ereignissen wie Krieg oder Bürgerkrieg zu tun. Eine Grenzverschiebung könnte in der Theorie friedlich ablaufen, aber in der Praxis passiert das so gut wie nie – die Wiedervereinigung Deutschlands oder der Zusammenbruch der Sowjetunion können hier wohl als zwei der seltenen Ausnahmen gelten. Deutschland: ja. Sowjetunion: nein. Es gab in der Tat keinen Bürgerkrieg nach dem Ende der Sowjetunion, aber das bedeutet nicht, dass der Reorganisationsprozess in Gänze friedlich verlaufen ist oder in Zukunft friedlich verlaufen wird.

«Für die Vereinigten Staaten wäre es Erfolg versprechend, zu den Vereinigten Städte-Staaten von Amerika zu werden.» Hier gibt es keine für alle Fälle gleiche Antwort, da viele Entwicklungen gleichzeitig ablaufen. Kleinere Einheiten erhalten mehr Autorität, gleichzeitig findet eine Aggregation in grösseren Einheiten statt. Die kleinen Staaten werden nicht auf sich allein gestellt überleben können, sie müssen Verbindungen pflegen, wie ich es für Los Angeles und seine Verbindungen zum Rest der USA beschrieben habe. Sie arbeiten viel mit Landkarten. Mögen Sie Karten? Ich würde das eher eine Untertreibung nennen. 87

In Zukunft? Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist also auch nach einem Vierteljahrhundert noch nicht vergangen, sondern läuft weiter? Der Zusammenbruch nicht – aber dessen Folgen. Es gibt militärische Eskalationen, wie zwischen Armenien und Aserbaidschan oder in der Ukraine – was dort im Moment passiert, gehört immer noch zur Neuordnung der Geografie der ehemaligen Sowjetunion. In den Karten in meinem aktuellen Buch «Connectography» stehen allerdings weniger politische Grenzen im Mittelpunkt als vielmehr ökonomische Funktionen und Vernetzungen. Solche


Geopolitik . «Small is successful» . Parag Khanna

Karten sind weit friedlicher: Wenn Sie beispielsweise die wirtschaftliche Integration der EU, Westafrikas oder Südostasiens in Karten abbilden, können Sie deutlich sehen, wie sich die Regionen im Zeitverlauf entwickeln – dynamisch, aber friedlich. Dynamische Verflechtung von ökonomischen Grossregionen – höre ich da bei Ihnen das alte Triaden-Konzept

wie ich das für sinnvoll hielte. Eine G-3Organisation der wichtigsten Mächte China, EU und USA wäre einfacher zu installieren als eine G-20; und sie wäre viel wichtiger. So wie Sie das sagen, klingen auch die grössten Neuordnungen sehr glatt. Aber in der Realität laufen solche tektonischen Machtverschiebungen eigentlich nie friedlich ab.

«Man sollte den Neuaufbau des Nahen Ostens nicht auf Staaten fokussieren, sondern auf Städte.» heraus, mit den drei Grossregionen Europa, Amerika und Ostasien, in denen der interregionale Handel wichtiger ist als der globale? Nicht ganz. Das ursprüngliche TriadenKonzept war sowohl geopolitisch als auch ökonomisch gemeint. Heute haben wir ökonomisch in der Tat eine multipolare Wirtschaftsordnung mit drei Säulen: Die USA dominieren die westliche Hemisphäre, Europa die westliche Hälfte Eurasiens sowie Afrika und China den Fernen Osten. Aber diesen drei ökonomischen Säulen entspricht kein hegemoniales politisches System. Die Triade entwickelt sich, aber unkoordiniert.

Welche Regionen haben Sie im Kopf, wenn Sie über nichtfriedliche Entwicklungen nachdenken? Mir bereitet beispielsweise die unkontrollierte Verbreitung von Atomwaffen Sorge, die zu einer geopolitischen Eskalation führen kann. Aber gleichzeitig gibt es auch eine ganze Reihe von Gegenkräften, die eine Eskalation verhindern können: nukleare Abschreckung, finanzielle Integration, gegenseitige Verflechtung bei Handel und Lieferketten. Daraus ergeben sich komplexe Abwägungen. Natürlich ist es einfacher, darauf zu verweisen, dass die atomare Abschreckung brüchig geworden ist – aber das macht uns nicht klüger, und konstruktiv ist es auch nicht.

Von G-3 als Nachfolger für G-7 oder G-20 kann man also nicht sprechen? Ich spreche schon von einem G-3-System – allerdings existiert es eben nur de facto, nicht so strategisch koordiniert,

In unserer Weltregion finden nichtfriedliche Entwicklungen derzeit vor allem im Nahen Osten statt: Die Region war einst die Wiege der Zivilisation, die Länder sind durch eine jahr88

tausendealte Geschichte und eine Religion miteinander verbunden – aber man tötet einander. Erinnern Sie sich noch an den Beginn unseres Gesprächs? Da ging es um die grössere Bedeutung von Städten. Und jetzt schauen Sie unter diesem Blickwinkel in den Nahen Osten: Die arabische Welt ist seit vielen Jahrhunderten eine sehr städtisch geprägte Region. Bagdad, Damaskus, Beirut, Kairo, Teheran, Aleppo, Mosul, das sind beziehungsweise waren bis vor kurzem hoch entwickelte Städte mit zum Teil jahrtausendealter Tradition – und die meisten Araber leben in Städten. Man könnte also daran denken, den Neuaufbau der Region nicht auf Staaten zu fokussieren, sondern auf Städte. Seit Jahrhunderten hat sich dort immer wieder gezeigt, dass die Menschen ihre Heimatstadt schützen und verteidigen, aber nicht unbedingt ihr Heimatland. Darauf könnte man auch heute wieder aufbauen. < Interview: Detlef Gürtler

Lektüre zum Thema Parag Khanna . Connectography: Mapping the Future of Global Civilization . Random House 2016


Ruf Lanz

Putzmittel Markenexperten sehen die Welt etwas anders. «persönlich», das Magazin der Kommunikationsbranche. www.persoenlich.com


Zwischenruf . Bibliothecare . Ruth Barbara Lotter

Wenn Bücher aus der Zeit fallen, was machen dann Büchereien? Sie sollten Erkenntnisse nicht so sehr archivieren als vielmehr selbst publizieren, rät Ruth Barbara Lotter. Damit könnten sie dazu beitragen, Universitäten aus dem Klammergriff der Wissenschaftsverlage zu befreien.

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GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

Rafael Ball, der Direktor der ETH-Bibliothek, liebt es, zu provozieren, und geniesst das Rumoren, das er auslöst: «Entweder die Bibliotheken räumen ihre Bücherbestände aus und erfinden sich neu – oder sie werden verschwinden», polterte er im Gespräch mit der «Neuen Zürcher Zeitung». Nach diesem Problem-Donner kamen seine Lösungsangebote für Wissenschaftsbibliotheken wie die ETH allerdings eher raunend daher: «Die Publikation von wissenschaftlichen Artikeln ist heute ein hochkomplexes Verfahren. Da können wir helfen.» Kreisste da nur ein Berg, um ein Mäuslein zu gebären? Oder versteckt sich in diesem «Helfen» tatsächlich ein «NeuErfinden»?

ENTDECKUNGSREISENDE Ich glaube Letzteres, wobei ich gut verstehen kann, dass jemand, der sich mitten im Bibliotheksbetrieb befindet, hier beim Raunen bleibt. Nach 25 Jahren in ebendiesem Betrieb und zwei Jahren Sicht von aussen kann ich eine deutlichere Sprache wählen: Bibliotheken sollten die Publikation von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer ihrer Kernaufgaben machen. Und sie sollten dafür sorgen, dass sich Universitäten aus dem Klammergriff der Wissenschaftsverlage befreien. Ein Leser und Schreiber hat uns einen Ansatz hinterlassen, wie der weitere Weg aussehen könnte. Umberto Eco liebte es, Bibliotheken zu besuchen, we91

gen der «Möglichkeit zur Entdeckung von Büchern, deren Existenz wir gar nicht vermutet hatten, aber die sich als überaus wichtig für uns erweisen». 1981 spricht er von Universen, wenn er an Bibliothek denkt – doch hat das Internet nicht längst ähnliche Universen entstehen lassen? Bibliotheken waren nie Solisten, sondern Mitspieler in diesen Welten, Partner, sich in der Fülle zurechtzufinden. Und diese Fülle hat schon heute in vielen Bibliotheken kaum noch etwas mit Büchern zu tun. In jenen Wissenschaftsbereichen, die immer «schneller, höher, stärker» sein müssen, hat der elektronisch verfügbare Artikel das Buch schon längst abgelöst. In den


Zwischenruf . Bibliothecare . Ruth Barbara Lotter

Segmenten Technik, Naturwissenschaften und Medizin fliessen in Österreich manchmal mehr als achtzig Prozent in das Budget für elektronische Journale, an der ETH sind es bis zu siebzig Prozent des Erwerbungsetats. Stagnierende Budgets und steigende Subskriptionspreise fördern diese Entwicklung. Kein Laie ahnt, was ein Zeitschriftenabonnement eines Spitzenmagazins eine Bibliothek kosten kann. Im besten Fall denkt er an eine Tageszeitung, für die

rund 600 Franken im Jahr anfallen. In der Welt der Wissenschaftsjournale ist alles anders, ein Artikel einer renommierten Zeitschrift kostet 30 US-Dollar, ein Jahresabo auch schon mal mehr als 40 000 Dollar. Die Rechnung bezahlt zum grossen Teil die öffentliche Hand, da sie die Universitäten finanziert. Die Bürger und Bürgerinnen eines Landes, also wir, bringen das Geld für diese Zeitschriften auf. Genauso bringen wir das Geld auf für die Wissenschaftler, die an unseren Universitäten forschen und ihre Ergebnisse publizieren. In der Regel gratis. In der Regel in Zeitschriften. Deren Inhalt sie beziehungsweise ihre Kollegen ohne Entgelt zur Qualitätssicherung bewerten (Peer-Review). Zusammengefasst heisst das also: Die Wissenschaftsverlage bekommen

ihren Inhalt gratis von Forschern, deren Arbeit mit öffentlichen Geldern finanziert wurde. Und sie verkaufen diesen Inhalt sehr, sehr teuer an Bibliotheken, die mit öffentlichen Geldern finanziert werden. Wir zahlen also gleich doppelt dafür, dass diese Verlage Gewinn machen. Und den machen sie reichlich: Elsevier, einer der Riesen der Branche, schrieb in den vergangenen Jahren einen operativen Gewinn zwischen 34 und 37 Prozent des Umsatzes.

Warum um alles in der Welt wollen Wissenschaftler ausgerechnet für diese Zeitschriften schreiben? Es ist der Stellenwert, den diese Publikationen in der Wissenschaftscommunity einnehmen. Je wichtiger das Journal, desto teurer, desto besser das Renommee und die Bewertung, je bedeutsamer eine Zeitschrift, umso wichtiger ist sie für die persönliche Karriere. Der Impact-Faktor misst, wie oft Artikel einer Zeitschrift zitiert werden, und legt so ihren Stellenwert für die jeweilige Wissenschaft fest. Waren sie ursprünglich nur als Unterstützung von Bibliotheken bei der Entscheidung gedacht, welche Journale sie kaufen sollen, werden diese Zahlen nun für die Einstufung bei jeder Ausschreibung einer Professur herangezogen. Für den Lebenslauf eines Wissenschaftlers 92

sind Veröffentlichungen in Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor unabdingbar. Ohne Impact-Faktor – Karriere ade. Wir haben also auf der einen Seite Wissenschaftler, auf der anderen Seite Bibliotheken und dazwischen die Universität. Sie, die Universität, fungiert hier als Motor. Weil sie diese Bewertung haben will, gibt es dieses Spiel überhaupt. Doch unaufhörlich und beständig sind Universitäten die Verlierer, was die Kosten betrifft. Die klügsten Köpfe eines Landes lassen sich aushebeln von Wirtschaftsunternehmen und ihren Aktionären. AUSBRUCH AUS DEM OLIGOPOL Die bisherigen Lösungen sind beschämend. In Deutschland und in der Schweiz wurden für das gesamte Land Nationallizenzen verhandelt, in Österreich schliessen sich Bibliotheken zu Konsortien zusammen, die «günstigere» Abschlüsse erzielen wollen. Wir zahlen also noch immer, nur aus anderen Töpfen. Da diese Lizenzen nicht für alle Publikationen der Welt gekauft werden können, werden sie genau für jene Verlage ausgegeben, die schon jetzt den Universitäten die Haut abziehen. Open Access wird wie ein Zauberstab herausgezogen. Open klingt gut, Access auch, zusammengenommen heisst das «offener Zugang», und das klingt noch besser. Als ich das erste Mal davon hörte, vermutete ich, dass es einfach öffentlich zugängliche Publikationen wären, an Geld verschwendete ich keinen Gedanken. Ganz schön naiv. Denn Open Access im Wissenschaftsbetrieb bedeutet: Die Universität, ein Wissenschaftsfonds oder eine andere öffentliche Einrichtung zahlen dafür,


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

dass der Artikel bei der Veröffentlichung allen zugänglich ist. Richtig gelesen: Wir zahlen für die Veröffentlichung eines Artikels, dessen Forschung wir zuvor finanziert haben, damit jetzt wir alle ihn lesen dürfen. Wer von dieser Variante am meisten profitiert, darüber streiten sich die Geister und Experten. Manche sagen, Gewinner seien die Wissenschaftseinrichtungen weltweit, die auf diese Veröffentlichungen zugreifen können. Ich tippe eher auf die Wissenschaftsverlage als Profiteure: Mit dem freien Zugriff werden die Zitierungen steigen und damit der Impact-Faktor. Der Wert der Zeitschrift wird erhöht. Der Preis für die Veröffentlichung wird steigen. An den privaten internationalen Verlagen scheint also kein Weg vorbeizuführen. Ganze fünf von ihnen bestimmen bis zu siebzig Prozent der Publikationen einer Fachrichtung. Bei einem solchen Oligopol ist die Abhängigkeit zwangsläufig. Ausbruchsversuche gibt es immer wieder, am häufigsten von Universitätsbibliotheken. Alle paar Jahre bricht eine Universität die Verhandlungen mit Elsevier, einem der grössten Player, ab. Egal, wie renommiert der Name – Harvard, Konstanz oder Leipzig –, ausser einem grossen Schaumschlagen bleibt nichts übrig. Wenn sie sich am Ende einigen, wird eine Vereinbarung unterschrieben, die sie zur Stillhaltung verpflichtet. OHNMACHT DER BIBLIOTHEKEN Selbst wenn sich ein Institut entschliesst, wie die Mathematiker der Technischen Universität München, aus dem Vertrag mit Elsevier auszusteigen, wird es nicht viel nützen. Die Verlage packen ihre

Zeitschriften in Pakete mit geliebten und ungelesenen zusammen. Als die Teilbibliothek für Mathematik ihre Bestellungen stornierte, blieben noch immer die Pakete der gesamten TU München. Ich suchte in ihrer elektronischen Zeitschriften-Datenbank nach «mathemati*». Es waren insgesamt 66 Treffer, und von diesen sind 62 noch immer von der TU lizenziert. Das zeigt die Ohnmacht der Bibliotheken. Den Schlüssel in der Hand haben: die Universitätsleitungen. Denn es sind Universitäten und ihre Fakultäten, die Professoren und Professorinnen berufen, und der Wert von Wissenschaftlern wird noch immer nach ihrer Publikationszahl in diesen teuer finanzierten Zeitschriften bemessen. (Der ImpactFaktor wird übrigens ebenfalls von einem privaten Konzern erstellt, das Ranking

Wissenschaft wurde immer schon durch Kommunikation befruchtet. Die schnelle Verbreitung von Ideen war Anlass der Gründung der ersten naturwissenschaftlichen Zeitschrift, der «Philosophical Transactions», im Jahr 1660. Um diese Idee geht es, und wenn wissenschaftliche Zeitschriften diese Verbreitung nicht mehr fördern, sondern behindern, braucht es eben andere, neue Lösungen. Und die ersten Ansätze dafür gibt es auch bereits, noch zaghaft und schüchtern, aber sie sind da.

erfolgt genauso geheim wie jenes bei Google.) Die Universitäten und Forschungseinrichtungen müssen andere Kriterien entwickeln, damit sich der Publikationswunsch in andere Richtungen entwickeln kann. Dafür wird es nicht reichen, einfach selbstständig zu publizieren. Es braucht den gemeinsamen Gedankenprozess.

zum Ritter erhob, hatte er die wichtigsten mathematischen Preise errungen, wie die Fields-Medaille, eine Art mathematischen Nobelpreis. Und er ist ein Wissenschaftler 2.0: Auf seinem Blog lud er 2009 ein, gemeinsam an mathematischen Rätseln zu arbeiten. «Is massively collaborative mathematics possible?», fragte er damals. Crowd-Math

93

CROWD-MATH Besonders hervorgetan hat sich zuletzt ein Ritter, der kämpft wie einst Don Quixote: der Mathematiker Sir Timothy Gowers. Die Windmühle, gegen die er anreitet, heisst klassischer Open Access. Gowers ist jemand in seiner Disziplin: Bevor ihn die Queen


Zwischenruf . Bibliothecare . Ruth Barbara Lotter

sozusagen. Nach sieben Wochen konnte durch die vierzig Mitstreiter eine erste Lösung gefunden werden. Schnelle Antworten sind nicht die Regel, aber polymathprojects.org zeigt, dass auf diese Weise Antworten möglich sind. Bei seiner nächsten Science-2.0-Initiative, www.tricki.org, geht es darum, Lösungswege zu teilen, damit jeder Teil-

fentlich zugänglich, wo seit 25 Jahren wissenschaftliche Papers aus aller Welt gespeichert werden. Die Softwarelösung für das von Gowers hier verwendete Peer-ReviewVerfahren kommt von Scholastica, einer Firma, die 2012 von Studenten der University of Chicago gegründet wurde, um einen schnelleren und effizienteren Weg

nehmer die Möglichkeit hat, eigene eingefahrene Wege zu verlassen, wenn die geistigen Spurrillen schon zu tief gegraben sind. Die Kosten der mathematischen Journale wuchsen und wachsen enorm an. Deshalb beschloss Gowers 2012, nicht mehr für Elsevier zu arbeiten, weder in der Peer-Review noch als Autor. Auf thecostofknowledge.com rief er zur Unterstützung durch Unterzeichnung auf, 16 000 Unterschriften später musste er erkennen, dass die vielen nicht genug waren. Es hatte sich kaum etwas bewegt. Seit 2016 gibt er nun selbst mit anderen Mathematikern ein Open-Access-Journal, «Discrete Analysis», heraus. Es ist auf dem Dokumentenserver Arxiv der Bibliothek der Cornell University öf-

zur Peer-Review und zur Herausgabe wissenschaftlicher Journale zu ermöglichen. Pro veröffentlichten Artikel berechnet Scholastica zwischen zehn und hundert Dollar, wobei ab zehn Dollar die Herausgeber der Zeitschrift einen «Gewinn» erzielen. Es erscheint Ihnen viel? Ist es nicht. «Nature Communications» (die wohl teuerste) verlangt bis zu 5200 Dollar für einen Artikel im Open Access. STEIGBÜGELHALTER Ein anderes, breiteres Modell entwickelten die Gründer Alexander Grossmann und Tibor Tscheke mit «Science Open», einer Kombination aus sozialem Netzwerk, Blog und Publikationsplattform für Wissenschaftler aller Disziplinen. Statt 94

des Monate dauernden Peer-ReviewVerfahrens, welches Forschungsergebnisse erst mit langer Verzögerung präsentiert, können Forscher nun direkt online publizieren. Andere Wissenschaftler können diese Beiträge sofort lesen und wie in einem Blog kommentieren und bewerten, was bisher nicht möglich war. Seit 2014 werden die auf allen Open-Access-Plattformen gespeicherten Artikel gesammelt. Unter anderem auch jene von Arxiv, auf dem die Artikel des Journals von Gowers liegen und das diese Review-Möglichkeit nicht bietet. Elf Millionen Artikel sind es inzwischen geworden. Es gibt also andere Lösungen, als nur Geld aus einem anderen öffentlichen Topf zu nehmen. Und damit gibt es auch für Bibliotheken andere Lösungen, als nur Daten- und Papierbestände zu verwalten. Als Mitspieler im Prozess wissenschaftlicher Kommunikation können sie auch eine engere Zusammenarbeit bei Publikationen bieten, Unterstützung bei einem Open-AccessJournal oder eine intensivere Einbindung bei Lernplattformen. Die Serviceeinrichtungen einer Universität können gemeinsam mehr erreichen – es spricht nichts dagegen, dass Bibliotheken der Universität und den Wissenschaftlern den Steigbügel halten. <

Links zum Thema www.thecostofknowledge.com www.tricki.org www.richardpoynder.co.uk


«Hat sich eine Innovation erst einmal prinzipiell etabliert, wird sie durch viele Mikro-Erfindungen perfektioniert.» Venkatesh Rao im GDI Impuls 3.15

GDI Impuls – die Zukunft bietet Chancen Trends einordnen, Zusammenhänge erkennen, Strategien entwickeln. GDI Impuls – die Pfl ichtlektüre für Vordenker und Entscheider.

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«Die Grenze des technischen Fortschritts wird immer seltener von der Technik gezogen und immer häufiger von der Vorstellungskraft.» Karin Frick, Detlef Gürtler, Jakub Samochowiec . Seite 98

«Tools wie ‹Liquid Decision› und digitale Plattformen eröffnen der Wasserbranche neue Vernetzungsmöglichkeiten.» Marta Kwiatkowski, Bettina Höchli . Seite 106


WORKSHOP >

«Nur vier Prozent aller Europäer gaben an, mit einem bedingungslosen Grundeinkommen nicht mehr arbeiten zu wollen.» Nico Jaspers . Seite 110


Medien . Öffentlichkeit 4.0 . Karin Frick, Detlef Gürtler, Jakub Samochowiec

++++++++++++ KARIN FRICK, DETLEF GÜRTLER, JAKUB SAMOCHOWIEC +++++++++++++++++++++++++++

Öffentlichkeit 4.0

98


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

++++++++++++++ GDI-STUDIE +++++++++++ ZUKUNFT DER AUDIOVISUELLEN MEDIEN +++++++++++++++

Das GDI Gottlieb Duttweiler Institute hat im Auftrag der SRG SSR die Auswirkungen von Digitalisierung und Vernetzung auf die Branche der audiovisuellen Medien untersucht und Wege identifiziert, auf denen diese Umwälzung nicht erlitten werden muss, sondern gestaltet werden kann.

Die entstehende digitale Internetwelt ist eine multiple Welt von Parallelrealitäten, die traditionelle politische und politisch-rechtliche Begriffe unterminiert. Die Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle als Treiber des Wandels: Dank globaler Medien können einzelne Individuen praktisch zum Nulltarif jederzeit und von überall her Weltöffentlichkeit herstellen. So hat beispielsweise der Terrorstaat IS stark von Social Media profitiert. Die Medien sind aber auch selbst vom permanenten Wandel der vernetzten Welt betroffen. In den vergangenen 25 Jahren seit der Erfindung des World Wide Web sind sie vom Strukturwandel der Öffentlichkeit genauso geprägt worden, wie sie ihn selbst geprägt haben. Der radikalste Einschnitt für die Medienanbieter kam dabei nicht mit dem Internet. Noch 1999/2000 konnten die Dotcoms die spekulativen Erwartungen nicht erfüllen, weil die Software-Welt noch nach stationären Regeln funktionierte: Der PC auf dem Bürotisch, der mühsame und langsame Zugang zum Internet hielten die alten, hierarchischen, vertikal aufgestellten Unternehmen am Leben. Die Geschäftsmodelle wurden nach der Logik von Immobilien

und geografischen Gesichtspunkten entwickelt. Erst mit dem iPhone kam 2007 die wirkliche Revolution ins Rollen: Der Konsument wird über Nacht zum grossen Gewinner, denn an ihm müssen sich nun alle Anbieter ausrichten. Er zieht den grössten Nutzen aus dem Wandel. Aus passiven Konsumenten werden interaktive Prosumenten, deren Erwartungshaltung nun viel grösser ist. Will man ihre Zahlungsbereitschaft gewinnen, muss man das eigene Leistungsangebot viel präziser vermitteln können. Zuvorderst die Einfachheit, Auswahl, Verfügbarkeit, Vergleichbarkeit, die Möglichkeit für Feedback … und all

terface, die digitale Transformation ist in vollem Gange. Alle Versuche, die technische Entwicklung einzugrenzen, würden schlicht dazu führen, von neuen Playern überholt zu werden, die sich nicht an diese Grenzen halten müssen. Das gilt für die inhaltliche Veränderung: Die strikte Trennung zwischen Inhalte-Produzenten und -Konsumenten verschwindet, Partizipation verändert die Produktionsstrukturen. Durch die Demokratisierung der Medienproduktion nimmt auch die Angebotsvielfalt zu – mehr Medien, Marken, Mythen, mehr Content, Communication, Convenience.

Durch die Demokratisierung der Medienproduktion nimmt auch die Angebotsvielfalt zu – mehr Medien, Marken, Mythen. diese Entwicklungen tendieren zur Echtzeit. Was mit Musik scheinbar noch harmlos begann, wird nun zum Mainstream bei allen Konsumentenbedürfnissen, denen nur noch die Fantasie Grenzen setzen kann. CONTENT UND CONVENIENCE Wenn die

Digitalisierung die Spielregeln definiert, wird Innovation zum Programm. Wenn Innovation zum Programm wird, muss auch Veränderung Programm sein. Das gilt für die technische Veränderung: Ob Virtual Reality oder Zero In99

Das gilt für die organisatorische Veränderung: Innovation findet heute vorwiegend im Netzwerk statt, in Kooperation mit anderen Medienanbietern und den Nutzern. Es sind also strukturelle Reformen nötig, um die Silos traditioneller Unternehmensorganisation zu hinterfragen und sich schneller dem Wandel anzupassen oder ihn sogar voranzutreiben. Und das gilt für die mentale Veränderung: Immer mehr von dem, was kommt, hat immer weniger mit dem zu tun, was ist und was wir als Gewohn-


Medien . Öffentlichkeit 4.0 . Karin Frick, Detlef Gürtler, Jakub Samochowiec

heit lieb gewonnen haben. Es muss das Risiko der Öffnung und des Experimentierens eingegangen werden, um die Möglichkeiten des neuen Medien-Ökosystems auszuschöpfen. Nur so können unerwartete Chancen (Serendipität) entdeckt und kann der Zugang zu jüngeren Generationen gesichert werden. DIE NÄCHSTEN MEDIEN-TECHNOLOGIEN

Alle in der gesamten Menschheitsgeschichte gesprochenen Worte entsprechen etwa fünf Exabytes (5 × 1018 Bytes oder fünf Milliarden Gigabytes). Durch die Digitalisierung wächst die Menge an Daten rasant. Fünf Exabytes sind in etwa die Gesamtmenge der im Jahr 2002 erzeugten oder kopierten digitalen Daten. Im Jahr 2011 wurden etwa 1,8 Zettabytes (1,8 × 1021 Bytes oder 1,8 Billionen Gigabytes) erzeugt oder kopiert, und es wird erwartet, dass sich diese Zahl alle drei Jahre vervierfacht. Auch die Menge an miteinander vernetzten Geräten wächst exponentiell. Im Jahr 2014 waren 3,8 Milliarden Geräte miteinander verbunden, im Jahr 2015 waren es 4,9 Milliarden, im Jahr 2016 werden es 6,4 Milliarden sein. Im Jahr 2020 werden 20 Milliarden miteinander verbundene Geräte erwartet. Das stetig wachsende Netz von Geräten und die immer grösser werdenden Datenmengen führen dazu, dass auch immer mehr unserer direkten Umgebung digital wird. In Anlehnung an die Biosphäre wird dabei von einer Infosphäre gesprochen. Es ist die aus Informationen bestehende Umwelt, die wir mit den Maschinen teilen. Unsere digitale Umwelt besteht nicht aus grünen Codereihen auf schwarzem Grund, wie

wir sie aus Hackerfilmen oder «The Matrix» kennen, sondern aus Whatsapp-Chats, Katzenvideos, Online-News, Fotos auf sozialen Medien – und immer häufiger aus Geräten, Räumen, Oberflächen, Hintergründen, die mit uns kommunizieren (und mit anderen Menschen und Geräten über uns). Wir werden virtuelle Realität schon bald nicht mehr von der physischen unterscheiden. Unterhaltung, Fitness, Gaming, Sex und Reisen werden in Zukunft in multiplen Realitäten stattfinden. «Schon bald» bedeutet dabei, dass es sich um Entwicklungen handelt, die bereits im Gange sind. In noch holpri-

sich auf ein Paradigma, in dem wir über Bewegungen, Sprache, Blicke und sogar Gedanken mit smarten Dingen interagieren. Im Extremfall können wir mit Dingen wie mit Menschen reden – und sie können auf unsere natürlichen Gesten reagieren. Dafür braucht es noch einige Entwicklungssprünge bei den Sprach-, Mimik-, Bewegungs- und Stimmungserkennungssystemen, doch diese Technologien entwickeln sich rasant. Die Technik wird in Labors getestet, erste Prototypen werden auf den Markt kommen. Es ist ebenfalls keine Frage, ob Bildschirme ganz aus unserem Leben ver-

Die Grenze des technischen Fortschritts wird immer seltener von der Technik gezogen und immer häufiger von der Vorstellungskraft. ger Umsetzung, wie bei den Datenbrillen von Google oder Oculus, in militärischen Forschungslabors oder in Köpfen von Nerds, die vom nächsten Facebook träumen. Der exakte Weg zur neuen Realität ist dementsprechend auch noch nicht festgelegt – das Ziel, zu dem er führt, ist hingegen recht präzise formulierbar: die Aufhebung aller materiellen und immateriellen Begrenzungen des Geistes, sei er menschlich oder als Geist von Maschinen gegenwärtig. Das Virtuelle verliert die Begrenzung des Bildschirms. Kommunikation mit Geräten, Räumen etc. findet je länger, je weniger über einen Bildschirm statt. Zero Interface bezieht 100

schwinden, sondern nur, wann es so weit ist. Einen Überblick über die zahlreichen Konzepte und Technologien bietet die nebenstehende Tabelle. Bei einer immer noch exponentiellen Wachstumsrate von Speicher- und Rechenkapazitäten wird die Grenze des technischen Fortschritts immer seltener von der Technik gezogen, sondern immer häufiger von der menschlichen Vorstellungskraft. Von den Visionen, die Menschen sich von der Zukunft machten, ist ein grosser Teil bereits verwirklicht – vom sprechenden Spiegel bei Schneewittchen über Jules Vernes Mondfahrt bis zum Replikator aus «Star Trek» in einer ersten Annäherung mit 3-D-Druckern.


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

MEDIENRELEVANTE TECHNOLOGIEN FÜR DAS NÄCHSTE JAHRZEHNT

Telepathie, Brain-Computer-Interfaces

Gedanken lesen, Erinnerungen und Träume auf externem Speichermedium ablegen und teilen

Individuelle Gedanken

Empathieverstärker, Denkfunk, Fernsteuerung von Menschen

Hive-Mind

Kollektive Stimmungen, Gedanken und Ideen, aufzeichnen, lesen und beeinflussen

Aggregierte Stimmungen

Facebooks «Mood manipulation»-Projekt Open Water – The Internet of Visible Thought

Gedächtniserweiterung

Verlagerung von Teilen des persönlichen Gedächtnisses auf externe Speichermedien

Individuelle Erinnerungen

Mehrere US-Forschergruppen haben «Hirnprothesen» in Tierversuchen erprobt

Babelfish

Automatische Simultanübersetzung in alle Sprachen

Verbale Kommunikation

Viki Global TV

Algorithmic / Predictive News

Eine Art Seismograf für News; globaler Nachrichtenstrom wird in Echtzeit analysiert; mit der zunehmenden Verbreitung von Sensoren und «Internet of Things» kann man buchstäblich das Gras wachsen hören

Zukünftige Nachrichten («Vorrichten»)

Recorded Future macht automatische Nachrichtenprognosen, abgeleitet aus globalen Echtzeitnachrichten

Roboterjournalismus, Cognitive News

Künstliche Intelligenz generiert autonom Newsmeldungen aus unstrukturierten Echtzeitdatenströmen

Echtzeitnachrichten

Swarm News generiert News aus WikipediaUpdates, und dies schneller als klassische Redaktionen

Smart Assistants

Roboterjournalismus kann auch direkt von der Software in unserem persönlichen Device generiert und personalisiert werden; Suchmaschinen und Apps werden überflüssig, denn der Smart Assistant antwortet, bevor wir überhaupt wissen, was wir suchen

Personalisierte Nachrichten

Google Now und Siri können z. B. heute schon vorausplanen und aufgrund von Wettervorhersagen oder Verkehrsmeldungen Empfehlungen abgeben

Virtual Reality, Holodeck

Information löst sich vom Display, virtuelle Parallelwelten wachsen aus dem Bildschirm heraus und überlagern die physische Welt; Telepräsenz wird real, der Zuschauer ist mitten im virtuellen Geschehen

3-D-Kommunikation

Google Glass, Microsofts Hololens, Sonys Smart Eyeglass, Metas Space-Glasses, Magic Leap, Navdy Automotive, Acrossair, Word Lens; zweidimensionale Bilder werden uns in wenigen Jahren vorkommen wie heute Schwarz-Weiss-Fotos oder Stummfilme

Wearables

Virtuelle Realität zum Anfassen – der Bildschirm als Interface wird irrelevant

Fühlbare Kommunikation

Der Anzug des schottischen Start-ups Tesla Studios (keine Beziehung zu Tesla Motors) gleicht einem Taucheranzug; er verfügt über zahlreiche Knotenpunkte, die u. a. Muskeln reizen können und dem Träger beispielsweise das Gefühl vermitteln, dass er umarmt wird; durch die Sensoren kann der Träger auch einen virtuellen Avatar steuern

Maschinenträume

Künstliche Intelligenzen entwickeln eine eigene Kreativität – virtuelle Surrealität

Intermaschinelle Kommunikation

Mit Machine Learning und neuronalen Netzwerken erzeugen Computer autonom surreale, noch nie gesehene Bilder

Neue Sprachen

Wenn die Dinge um uns sämtlich vernetzt sind, dann sollten wir auch mit ihnen reden können

Transhumane Kommunikation

«Schritt für Schritt lassen wir Maschinen sehen (…). Dann helfen sie uns, zu sehen, dann werden menschliche Augen nicht mehr die einzigen sein, die die Welt erforschen und über sie grübeln.» Fei-Fei Li

101


Medien . Öffentlichkeit 4.0 . Karin Frick, Detlef Gürtler, Jakub Samochowiec

Der zukünftige Weg des technischen Fortschritts wird sich dementsprechend immer mehr an den Pfaden orientieren, die von der Vorstellungskraft bereits gangbar gemacht wurden. Das gibt nicht zuletzt den Geschichtenerzählern der Medien eine gänzlich neue Relevanz, da sie diese Wege bahnen.

Media-Disruption-Map Realisierbarkeit und Akzeptanz gegenwärtiger und zukünftiger Innovationen in der Branche der audiovisuellen Medien.

FLUIDISIERUNG DES LEBENS Die Struk-

turierung des Lebens im Takt der Uhr ist eine Erfindung der Neuzeit. Während fast der gesamten Menschheitsgeschichte orientierte sich das Leben am Rhythmus von Tages- und Jahreszeiten. Man stand «mit den Hühnern auf» oder verdöste die heisseste Zeit des Tages. Die Turmuhren von Kirchen und Rathäusern führten ab dem 14. Jahrhundert die gleiche Zeit für jeden in ihrem Einzugsbereich ein. Die gleiche Zeit für alle (innerhalb einer Zeitzone) setzte sich erst im 19. Jahrhundert durch: Die Fahrpläne der neu erfundenen Eisenbahn erzwangen eine gemeinsame Zeit für alle Orte entlang einer Strecke. Die strenge Taktung erlebte ihren Höhepunkt in der Industriegesellschaft, in der für möglichst viele Menschen klare Zeitvorgaben galten: feste Arbeits- oder Schulzeiten, einheitliche Ferientermine und Ladenschlusszeiten. Die Sendepläne der Radio- und Fernsehstationen passten sich dieser Taktung an und verstärkten ihre Wirkung: Feste Termine für Nachrichtensendungen, Serien oder Sportübertragungen strukturierten über viele Jahre den Tagesablauf der meisten Menschen. Noch bis vor kurzem galt es als unhöflich, jemanden während der «Tagesschau» anzurufen – eine Regel, die heute bei vielen noch für die Live-Übertragungen

Algorithmic/Predicitive News Gedächtnis-Erweiterung Hive-Mind Maschinenträume

Telepathie Brain-Computer-Interfaces

INNOVATIONSSTAND 2016 Medien-Konzepte Die Achsen dieser Media-Disruption-Map

te sind der GDI-Studie «Öffentlichkeit 4.0»

bilden die beiden Herausforderungen jeder

(2016) sowie Gartners «Hype Cycle for Me-

Innovation ab: Technologie / Ingenieurskunst

dia & Entertainment» (2014) entnommen.

sowie Bewusstsein / soziale Akzeptanz. Auf

Die hier dargestellte Positionierung aller

jeder Achse gibt es sieben Stufen zunehmen-

Konzepte auf den Achsen Technologie und

der Realisierbarkeit beziehungsweise Akzep-

Bewusstsein wurde gemeinsam von SRG und

tanz. Die in dieser Map aufgeführten Konzep-

GDI vorgenommen.

102

E Me


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

VISION VISION Noch im Ideenstadium, Noch im Ideenstadium, nicht konkretisiert. nicht konkretisiert. PROTOTYPPROTOTYP EntwicklungEntwicklung im Laborstadium. im Laborstadium. EINGESETZT EINGESETZT Begrenzter Einsatz, Begrenzter Machbarkeitstests. Einsatz, Machbarkeitstests. Babelfish

TECH-SHIFT TECH-SHIFT TechnischerTechnischer Durchbruch.Durchbruch. Weitere Einsatzgebiete. Weitere Einsatzgebiete.

Babelfish

ETABLIERTETABLIERT Die Technologie Die Technologie wird Teil unseres wird Teil Lebens. unseres Lebens.

Zero InterfaceZero Interface

MediaMediaProgrammatic Programmatic Embedded Embedded TV Advertising TV Advertising Virtual RealityVirtual Reality erchandising Merchandising

VITAL VITAL Schwer vorstellbar, Schwer vorstellbar, darauf zu verzichten. darauf zu verzichten.

Wearables Wearables Smart Assistants Smart Assistants

NATURALISIERT NATURALISIERT Kaum mehrKaum als Technologie mehr als Technologie zu erkennen.zu erkennen.

Social Gaming Social Gaming Augmented Reality Augmented Reality Consumer-Generated Media Consumer-Generated Media Social TV

Social TV Personal Cloud Entertainment Personal Cloud Entertainment Internet TV Internet TV Roboter-Journalismus, Roboter-Journalismus, Cognitive News Cognitive News

Data-Driven Marketing Data-Driven Marketing

NATURALISIERT NATURALISIERT Gehört zur mentalen Gehört zurDNA. mentalen DNA. GEWÜNSCHT GEWÜNSCHT Wird (oder sollte Wird (oder werden) sollte Teilwerden) des täglichen Teil des Lebens. täglichen Lebens.

AKZEPTIERT AKZEPTIERT Man gewöhnt Man sich gewöhnt daran, sich es zudaran, verwenden. es zu verwenden. MIND-SHIFT MIND-SHIFT Wandel vonWandel Bewusstsein von Bewusstsein oder Verhalten. oder Verhalten. KONTROVERS/ KONTROVERS/ NISCHE NISCHE In Nischen eingesetzt, In Nischen im eingesetzt, Mainstream im Mainstream abgelehnt. abgelehnt. NICHT AKZEPTIERT NICHT AKZEPTIERT Ideen, die weder Ideen,umgesetzt die wederwerden umgesetzt können werden nochkönnen sollen.noch sollen.

FREMD FREMD Klingt wie (oder Klingtist) wieScience-Fiction. (oder ist) Science-Fiction.

103


Medien . Öffentlichkeit 4.0 . Karin Frick, Detlef Gürtler, Jakub Samochowiec

von wichtigen Fussballspielen und den sonntäglichen «Tatort» gilt. Doch die Strenge lockert sich zusehends. Die Jobs in der Wissensgesellschaft ermöglichen mehr und mehr Menschen flexible Arbeitszeiten. Familienmodelle und Lebensläufe sind fluider geworden. Das betrifft alle Lebensbereiche, wie die GDI-Studie zur Zukunft des Schlafens im Jahr 2014 feststellte. «Neue Technologien, Digitalisierung, mobile Arbeitsformen, flexible Lebensstile:

ihm zu folgen –, leidet unter dem Bedürfnis, auf unzählige externe Impulse zu reagieren, die uns jeden Moment aus der Bahn werfen können.» Wenn alles jetzt und gleichzeitig passiert und jederzeit via Drohnen und Streetview auch verfolgt werden kann, kollabieren die tradierten Erzählformen – und neue brauchen Zeit, sich zu entwickeln. Diese Fluidisierung verringert dabei auch immer mehr die strukturierende Wirkung, die Medienangebote für den

«Gebt ihnen, was sie wollen und wann sie es wollen. Und wenn sie ‹binge-watchen› wollen – lasst sie ‹binge-watchen›.» Unsere Ruhe-Rhythmen können sich dem rasanten Wandel des 21. Jahrhunderts nicht entziehen. Unser Leben wird fluid – in Zukunft betrifft dies auch den Schlaf.» Auch unser Medienkonsum wird zeitunabhängiger: StreamingDienste ermöglichen uns individuelles Konsumieren der Inhalte, wann und wo es uns gerade passt. GEGENWARTSSCHOCK Die Entstruktu-

rierung der Zeit führt für die Konsumenten, so der US-Zukunftsforscher Douglas Rushkoff, zu einem «Gegenwartsschock»: «Wir hatten keine Ahnung, was es für uns als Menschen bedeuten würde, im Jetzt zu leben (…). Wir leben in einem Zustand ständiger Ablenkung, in dem wir das Unwichtige nicht mehr vom Wichtigen unterscheiden können. Unsere Fähigkeit, einen Entschluss zu fassen – geschweige denn

Wochen- oder Jahresablauf haben beziehungsweise hatten. Hier spielt vor allem «binge-watching» eine Rolle. Der Begriff, für die Redaktion des Collins Dictionary das Wort des Jahres 2015, bezeichnet den Konsum mehrerer oder sämtlicher Folgen einer Serie am Stück. «Das Publikum will Kontrolle. Es will Freiheit», sagte US-Schauspieler Kevin Spacey in einer Ansprache vor Fernsehmachern 2013 in Edinburgh: «Gebt ihnen, was sie wollen und wann sie es wollen. Und wenn sie ‹binge-watchen› wollen – lasst sie ‹binge-watchen›.» Den klassischen Fernsehanbietern wird damit ein Grundpfeiler ihres Sendegebäudes genommen – die Autorität der Programmplanung. Planung kann jeder für sich selbst machen, ein festgelegtes Sendeprogramm ist allenfalls noch ein unverbindliches Angebot. Gleichzeitig eröffnet diese Entstruk104

turierung aber auch die Möglichkeit, einen neuen Grundpfeiler zu errichten: mit dem Archiv als Teil davon. Technisch ist Streaming schliesslich nichts anderes als das Übertragen eines im Archiv vorhandenen Inhalts in die individuelle Gegenwart eines Nutzers – auch wenn wahrscheinlich nicht alle Inhalte des SRG-Archivs für ein Streaming so interessant sein werden wie beispielsweise die erste «Breaking Bad»-Staffel von 2008. Wenn der persönliche Tagesablauf und die individuellen Interessen Inhalt, Länge und Zeitpunkt des Medienkonsums bestimmen (und damit auch das Medium), sind Medienanbieter gefordert, ihr Angebot konsequent auf die Customer-Journey ihrer Nutzer auszurichten. Nur wer es schafft, in der individuellen Journey der Konsumenten relevant zu bleiben, wird auf lange Sicht noch bestehen können. <

Lektüre zum Thema Öffentlichkeit 4.0 – Die Zukunft der SRG im digitalen Ökosystem . GDI-Studie im Auftrag der SRG SSR . Download: www.gdi.ch/oeffentlichkeit40


Lesen Sie GDI Impuls auf Ihrem Tablet! So einfach geht es: Kostenlos für Abonnenten 1. App im iTunes oder Google Play-Store laden/installieren. 2. App auf dem Tablet öffnen. Unter «Login» können Sie sich mit Ihrer AboNummer und der eigenen PLZ anmelden. 3. Schon können alle GDI ImpulsAusgaben gratis geladen und gelesen werden. Für Nichtabonnenten 1. Kostenlose App im iTunes oder Google Play-Store laden/installieren. 2. App auf dem Tablet öffnen. Unter dem Button «Alle» die gewünschte Ausgabe anwählen und über den Button «Ausgabe kaufen» den Kauf der Ausgabe (CHF 28.–) tätigen. Um keine Ausgabe zu verpassen, können Sie über den Button «Abo kaufen» ein Jahresabo (CHF 96.–) lösen. 3. Nach dem Kauf die Ausgaben unter «Meine» lesen.

Wissensmagazin für für Wirtschaft, Wirtschaft, Gesellschaft, Gesellschaft, Handel Wissensmagazin Handel Nummer 21 .. 2016 2016 Nummer

DieBlockchainZukunft Das wirdManifest flauschig Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst Das postdigitale Zeitalter der Blockchain. Sie wird die Transaktion so wie das Internet die Kommunikation. machtverändern Daten sinnlich Und damit die Welt, wie wir – sie und kennen. schafft völlig neue Märkte.

John Naisbitt Parag Khanna High Touch

Small is successful

GDI IMPULS Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel www.gdi-impuls.ch . facebook.com /GDI.Impuls

Franz Liebl Nicola Pratt Claus Dierksmeier Primavera De Filippi Pränovation Arabischer Feminismus Global Krausismo

Von Termiten inspiriert


Infrastruktur . Die Digitalisierung des Wassers . Marta Kwiatkowski, Bettina Hรถchli

+++++++++++++++++++ MARTA KWIATKOWSKI, BETTINA Hร CHLI ++++++++++++++++++++++++++++

Die Digitalisierung des Wassers

106


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

++++++++++++++++ GDI-STUDIE +++++++++++ ZUKUNFT DER WASSERWIRTSCHAFT +++++++++++++++

Eine Studie des GDI Gottlieb Duttweiler Institute im Auftrag des Verbandes Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute untersucht, mit welchen neuen Formen von Organisation und Kooperation sich Gewässer effizienter, nachhaltiger und besser integriert bewirtschaften liessen.

In der kleinräumigen Wasserwirtschaft der Schweiz mischen viele Akteure mit: Nebst Bund, Kantonen und Gemeinden agieren auch Verbände, Umweltschutzorganisationen und weitere Institutionen. Hierzu gehören beispielsweise mehrere hundert ARA-Zweckverbände, etwa 2500 Wasserversorgungen, Fachverbände sowie unzählige lokale Kleinstvereinigungen wie zum Beispiel Fischpachtvereine. Kurz: Das Gebilde ist kompliziert und intransparent, die Akteure verfolgen oft divergierende Interessen und Ziele. Das birgt das Risiko, dass heutige und künftige Herausforderungen die kleinen Akteure zunehmend überfordern und die Probleme nur noch verwaltet und nicht mehr gelöst werden. Forschung und Bund sind sich bereits heute einig, dass es eine verbesserte Zusammenarbeit braucht, und mit dem Konzept des integralen Einzugsgebietsmanagements wurde auch ein Modell geschaffen, das grundsätzliche Zustimmung geniesst.

kroverunreinigung oder der schwindenden Biodiversität durch Urbanisierung, Zersiedelung, Bevölkerungswachstum und neue Lebensstile können einzelne Akteure nicht allein begegnen. Kollaboration ermöglicht Lösungen, die über die Interessen einzelner Anspruchsgruppen hinausgehen – und kann Kosten sparen. Kooperation findet bereits statt, doch sie ist langsam und teuer. Im ausdifferenzierten Umfeld der Wasserwirtschaft zusammenzuarbeiten, bedeutet oft lange und komplizierte Abstimmungsverfahren, die zu suboptimalen und manchmal auch teuren Lösungen führen. Die Umsetzung des integralen Einzugsgebietsmanagements wird durch

Tools wie «Liquid Decision» und digitale Plattformen eröffnen der Wasserbranche neue Vernetzungsmöglichkeiten. die Kleinräumigkeit und die Vielzahl an Akteuren erschwert. Gesucht ist: eine Zentralisierung ohne Standardisierung und Überregulierung mit Rücksicht auf lokale Spezifika und Subsidiarität, die von schwerfälliger Kooperation zu Kollaboration führt.

ZWANG ZUR ZUSAMMENARBEIT Zukünf-

tige Entwicklungen werden die Notwendigkeit zur Kollaboration verschärfen. Zunehmenden Konflikten um den Raum, neuen Bedrohungen wie der Mi-

auch die lokalen Rahmenbedingungen und unterschiedlichen Ziele respektiert. Digital vernetzte Wasseragenturen für institutionalisierte Aufgaben oder temporäre Projektverbünde für spezifische Herausforderungen sind interessante Modelle für neue Organisationsformen. Ihre Vorteile: > Unabhängigkeit von politischem Kalkül und lokalen Verpflichtungen; > Flexibilität, Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen; > Schaffung von Raum für Innovationen, Zugang zu Ansätzen von aussen. Damit diese Modelle in der Schweiz funktionieren, braucht es neue Tools. «Liquid Decision» und digitale Plattformen eröffnen dazu neue Möglichkeiten.

DIGITALE VERNETZUNG UND TEMPORÄRE PROJEKTVERBÜNDE Es braucht ein Mo-

dell, das sowohl ein kollektives, übergreifendes Entscheiden ermöglicht als 107

ENTSCHEIDEN DURCH «LIQUID DECISION»

Das Konzept der integralen Einzugsgebiete ist unter Experten kaum bestritten. Rational gesehen, spricht vieles dafür. Aber die Schweizer Kultur der Subsidiarität ist nicht zu unterschätzen. Eine Top-down-Verordnung wäre zum Scheitern verurteilt. Wie kann also ein in zentralisierteren Ländern bekanntes Modell wie die Wasseragenturen im Umfeld der Schweiz funktionieren? Digitale Tools wie «Liquid Decision»


Infrastruktur . Die Digitalisierung des Wassers . Marta Kwiatkowski, Bettina Höchli

DER ANSATZ VON «LIQUID DECISION»: EIN DEMOKRATISCHES ABBILD DER MEINUNGEN RELEVANTER AKTEURE

InteressenVertreter B GIBT INPUT Experte Sektor x

DELEGIERT STIMME

STIMMT AB

InteressenVertreter A

STIMMT AB

Experte Sektor w

GIBT INPUT

GIBT INPUT

GIBT INPUT

Entscheider I

Experte Sektor y

InteressenVertreter C

STIMMT AB Entscheider II

Experte Sektor v

InteressenVertreter E

Experte Sektor z

InteressenVertreter D

Lösungsoption 1 Lösungsoption 2 Dialog

Quelle: GDI 2016, in Anlehnung an Behrens, Kistner, Nitsche, Swierczek (2014)

ermöglichen es allen Akteuren, ihre Partikularinteressen einzubringen. Die Software Liquid Feedback ist als Hilfsmittel für Parteien, Vereine und Initiativen entwickelt worden, die das Internet zur Meinungsbildung nutzen wollen, insbesondere wenn die Zahl der Beteiligten zu gross wird, um dies in einem üblichen Forum, beispielsweise in einer Versammlung, zu gewährleisten. Zudem soll den Mitgliedern die Mög-

lichkeit gegeben werden, eigene Initiativen voranzutreiben, und der Einfluss von Entscheidungshierarchien soll gemindert werden. Die Software hat den Anspruch, stets ein demokratisches Abbild der Meinung zu ermitteln, das nicht durch Hierarchien, Wissensunterschiede oder andere Einschränkungen verzerrt ist. Zudem ermöglicht es Liquid Feedback, Hürden und Zeitabläufe für Ideen, Konzepte und auch für Prioritä108

tensetzung zu bestimmen. So kann ein Prozess initiiert und in Gang gesetzt werden, der Argumente unterschiedlichster Akteure mit den unterschiedlichsten Interessen zulässt und transparent macht. Die Diskussion wird vorangetrieben, bis ein Konsens respektive Entscheid bezüglich der besten Lösung gefunden wird. Diese Software könnte für die Wasserwirtschaft adaptiert werden – bei-


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

spielsweise in Form einer «Liquid Decision»-Plattform. So könnten sich verschiedene Akteure wie Experten eines Sektors, Interessenverbände und die Entscheider aus der Politik in einem transparenten Forum austauschen. Für flexible, temporäre Kooperationen, aber auch für langfristig institutionalisierte Organisationen bringen digitale Ansätze entscheidende Vorteile:

ist vorhanden, Strategien wurden erstellt. Doch die Umsetzung fällt schwer. Deshalb braucht es für alle Akteure einen transparenten Zugang zu diesem Wissen. Auch sollen Erfolgsgeschichten und Erfahrungswerte weitererzählt und transparent gemacht werden. Professionelle soziale Netzwerke wie Xing oder Linkedin verbinden bereits heute Menschen auf Grundlage ihres

Durch Kollaborationen kann die Wasserwirtschaft jährlich hunderte Millionen Franken einsparen. > Sie schaffen neue Möglichkeiten für die Zusammenarbeit und vereinfachen Innovationsprozesse, Entscheidungsfindungen und Kommunikation; > sie bewahren durch ein digitales, zentrales Netzwerk das föderale System und die Subsidiarität; > sie basieren auf partizipativen, demokratischen Wegen zur Lösungsfindung; > sie setzen auf die Idee von Netzwerken statt Hierarchien; > sie machen Koalitionen sichtbar – die Meinungsbildung geschieht als transparenter Prozess. Im föderalen System der Schweiz wird mit einem Ansatz wie «Liquid Decision» das integrale Einzugsgebietsmanagement ins digitale Zeitalter überführt. DIGITALES SOZIALES WASSERNETZWERK

Die vielen Studien zum integralen Einzugsgebietsmanagement zeigen: Das Wissen über die Vorteile, Schwierigkeiten und mögliche Herangehensweisen

beruflichen Profils. Auch die Akteure der Wasserwirtschaft könnten ein soziales Netzwerk aufbauen. Findet der Austausch in Netzwerken online statt offline statt, bringt dies viele Vorteile: > Das «Who’s who» der Wasserwirtschaft, also die Kompetenzen und Profile der Akteure, wird für alle sichtbar; > das grosse Arsenal an Analysen und Kennzahlen der Wasserwirtschaft wird transparent zugänglich gemacht; > digitale Netzwerke dienen als Multiplikator für Ergebnisse, Expertisen und Erfolgsgeschichten; > sie bieten ein Diskussionsforum, das sowohl das Mitreden als auch das Beobachten ermöglicht; > Experten und Vertreter der Wasserwirtschaft können ihre Haltungen klar und transparent positionieren. Wichtig ist: Um solche Ideen umzusetzen, braucht es keinen Masterplan. Einzelne Gemeinden oder Verbände können ein digitales Netzwerk für spe109

zifische Fragestellungen einsetzen und so mit Experimenten, die sich ohne jahrelange Vorbereitung durchführen lassen, Erfahrungen sammeln. Verbände auf lokaler oder nationaler Ebene können hier eine Pionierrolle übernehmen und solche Experimente anstossen. HOHES POTENZIAL ZU GERINGEN KOSTEN

Die Potenziale von Kollaborationen in integralen Einzugsgebieten sind sowohl gesellschaftlich wie auch wirtschaftlich sehr hoch. Dadurch lässt sich langfristig der Schutz für Mensch und Natur gewährleisten, und die Wasserwirtschaft kann jährlich bis zu mehrere hundert Millionen Schweizer Franken einsparen. Dem gegenüber sind die Investitionen und damit Risiken der Einführung digitaler Tools und neuer Organisationen verschwindend klein. Schnelle Experimente mit Instrumenten wie «Liquid Decision» führen zu schnellen Lerneffekten. Ein temporärer Projektverbund kann als Task-Force vorangehen und die vergleichsweise günstigen Tools an einem konkreten Projekt testen. Bei Erfolg kann der Einsatz institutionalisiert werden. Anders gesagt: Das Potenzial liegt in der Software – der Art, wie die Akteure zusammenarbeiten – und wirkt sich damit auf die grossen, finanziellen Hebel in der Hardware aus – die langfristig ausgelegten Infrastrukturen. <

Lektüre zum Thema Wenn Wasser zum neuen Öl wird – Wie die Schweiz die Konflikte der Zukunft meistert . GDI-Studie im Auftrag des Verbandes Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) . Download: www.gdi.ch/wasserwirtschaft


Arbeit . Grundeinkommen in Europa . Nico Jaspers

+++++++++++++++++++ NICO JASPERS ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

Grundeinkommen in Europa Die Debatte über ein «bedingungsloses

EUROPÄISCHE MEHRHEIT FÜR EIN GRUNDEINKOMMEN

Grundeinkommen», über das in der Schweiz

Antworten auf die Frage: Wenn es heute ein Referendum über die

gerade abgestimmt wurde, wird auch in an-

Einführung eines Grundeinkommens gäbe, wie würden Sie stimmen?

deren Ländern Europas weitergeführt werden. Darauf deutet eine Umfrage von Dalia

12 %

Research und Neopolis Network hin, die bei der «Future of Work»-Konferenz am 4. Mai 2016 am GDI Gottlieb Duttweiler Institute vorgestellt wurde. Dalia-CEO Nico Jaspers erläutert die wichtigsten Ergebnisse.

Dafür 24 %

64 %

Dagegen Gar nicht

10 000 repräsentativ ausgewählte Europäer wurden für diese Umfrage nach ihrer Meinung zu einem bedingungslosen Grundeinkommen befragt. Dabei ergab sich, dass eine Mehrheit von 64 Prozent der Europäer im Falle eines Referendums für ein bedingungsloses Grundeinkommen stimmen würde. 24 Prozent gaben an, dagegen zu stimmen, 12 Prozent votierten für Enthaltung. Unter den grössten europäischen Ländern ist der Anteil der Befürworter in Spanien mit 71 Prozent am höchsten und in Frankreich mit 58 Prozent am niedrigsten.

NUR VIER PROZENT WÜRDEN AUFHÖREN ZU ARBEITEN Antworten auf die Frage: Was wäre die wahrscheinlichste Auswirkung eines Grundeinkommens auf Ihr Arbeitsverhalten? 34 %

Mein Arbeitsverhalten bliebe unverändert Mehr Zeit mit der Familie verbringen

15 %

Keine der vorgegebenen Optionen

13 %

Mehr Weiterbildung

10 %

Mehr ehrenamtliche Tätigkeiten

7%

HOFFNUNGEN UND VORBEHALTE Das über-

Anderen Job suchen

7%

zeugendste Pro-Argument (von insgesamt sechs vorgegebenen Optionen, Mehrfachnennungen möglich, siehe Grafik) aus Sicht der Europäer: Ein Grundeinkommen würde die Sorge um

Weniger arbeiten

7%

Ein freies Arbeitsverhältnis wählen

5%

Gar nicht mehr arbeiten

4% 0%

110

50 %


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

+++++++++ GDI, 4. 5. 2016 +++++++++++ CONFERENCE FUTURE OF WORK +++++++++++++++++++

die Finanzierung von Grundbedürfnissen reduzieren. Diese Meinung teilen 40 Prozent der Befragten. Danach folgt (mit 31 Prozent Zustimmung) das Argument, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen die Chancengleichheit erhöhen würde. Bei den Kontra-Argumenten stachen drei der wiederum sechs vorgegebenen Positionen hervor: Es würde die Menschen dazu verleiten, nicht mehr zu arbeiten (43 Prozent Zustimmung), Ausländer würden in ihr Land kommen, um die Vorteile eines bedingungslosen Grundeinkommens auszunutzen (34 Prozent Zustimmung), und es sei nicht finanzierbar (32 Prozent Zustimmung).

DIE STÄRKSTEN PRO-ARGUMENTE Welche der folgenden Argumente für ein Grundeinkommen halten Sie für überzeugend? (Mehrfachnennungen möglich) Es verringert die Sorge um den Lebensunterhalt 31 %

Es erhöht die Chancengleichheit Es ermutigt zu Unabhängigkeit und Selbstverantwortung

23 % 22 %

Keines dieser Argumente Es verbessert das Ansehen von Hausarbeit und Ehrenamt

21 %

Es steigert die Solidarität, weil es von allen bezahlt wird

21 %

Es verringert Bürokratie und Verwaltungsaufwand

WENIG NICHT-ARBEIT Die Sorge davor,

dass die anderen mit einem Grundeinkommen nicht mehr arbeiten, ist dabei weit stärker verbreitet als die Vorstellung, dann selbst nicht mehr zu arbeiten. Denn nur 4 Prozent gaben als Antwort auf die Frage nach der wahrscheinlichsten Folge eines bedingungslosen Grundeinkommens auf die eigene Arbeitssituation an, dann mit der Arbeit aufhören zu wollen; weitere 7 Prozent meinten, dass sie dann weniger als bisher arbeiten würden. Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens findet offensichtlich trotz Vorbehalten grossen Anklang in Europa. Die Umfrageergebnisse deuten darauf hin, dass die Abstimmung in der Schweiz nicht so sehr das Ende einer Initiative markiert – sondern deren Anfang. <

40 %

16 %

50 %

0%

DIE STÄRKSTEN KONTRA-ARGUMENTE Welche der folgenden Argumente gegen ein Grundeinkommen halten Sie für überzeugend? (Mehrfachnennungen möglich) Es schafft einen Anreiz, mit der Arbeit ganz aufzuhören

43 %

Ausländer könnten ins Land kommen, um davon zu profitieren

34 %

Es ist nicht finanzierbar

32 %

Nur bedürftige Personen sollten staatliche Leistungen erhalten

32 %

Es erhöht die Abhängigkeit vom Staat

24 %

Es widerspricht dem Prinzip leistungsgerechter Vergütung

21 % 15 %

Keines dieser Argumente 0% 111

50 %


Empfehlungen . Das relevante Neue . Redaktion GDI IMPULS

Das relevante Neue Event zum Film zum Buch Ein Buch auf den Markt werfen? Einen flotten Streifen drehen und ins Netz stellen? Eine Konferenz anleiern? Das war gestern. Heute ist crossmedial. Wie sich mit einem Konzert verschiedener Formate Innovation in die Welt tragen lässt, zeigt gerade «Augenhöhe-Wege». Ein Team um Sven Franke und Filmemacher Daniel Trebien hat mit der Kamera in der Hand dutzende Firmen besucht, die Unternehmen neu denken – partizipativ, flexibel, eigenverantwortlich, als Gemeinschaft auf Augenhöhe. Die daraus entstandenen Porträts starteten als Film in unterschiedlichen Variationen in zehn Städten der Schweiz, Deutsch lands und Österreichs, verknüpft mit Live-Diskussionen mit den Protagonisten und Filmemachern. Jeder kann ihn sich von der Website herunterladen, selbst neu zusammenbauen und auf eigene Faust Film-und-Dialog-VeranstalERFOLG MIT MISSERFOLGEN

wollen, die gerade eine Absage erhalten hatte,

tungen organisieren – in Kinos, Unternehmen,

Einen echten Meta-Misserfolg habe er da gelan-

erläutert der 36-Jährige seine Motivation. «Ich

Schulen. Das Augenhöhe-Camp wiederum bringt

det, meint Johannes Haushofer, Psychologie-

wollte zeigen, dass wirklich jeder Hochs und

Interessierte einen ganzen Tag lang zusammen –

Professor an der US-Eliteuniversität Princeton:

Tiefs hat.»

eine Art Barcamp mit jeder Menge Open-Space-

Mit diesem einen Lebenslauf der Misserfolge

Was bei ihm von der Papierform des tradi-

habe er bei weitem mehr Aufmerksamkeit erregt

tionellen Lebenslaufs her eher nicht so aussieht.

Ähnlich gehen die Produzenten von «Mus-

als mit allem, was er jemals wissenschaftlich

Da stehen bei dem gebürtigen Bayern Haushofer

terbrecher» vor. Stefan Kaduk, Dirk Osmetz und

publiziert habe, zusammengenommen.

Debatten.

neben Princeton auch noch die Universitäten

Hans A. Wüthrich haben zum gleichen Thema

So kann das eben passieren, wenn man

Oxford, Harvard, MIT und Zürich – bei Ernst Fehr

nicht nur ein Buch und einen Film publiziert,

etwas veröffentlicht, das sich in zwei Sekunden

machte er dort 2012 seine (zweite) Promotion.

sondern laden auch zur Musterbrecher-Reise: im

verstehen und in den nächsten zwei Sekunden

Haushofers Ansatz spendete mehr als nur

Sonderzug zu den Orten des Musterbruchs in

weiterleiten, teilen, tweeten, kommentieren lässt.

ein bisschen Trost. Die Online-«Zeit» rief ihre

Süddeutschland. Innovative Ideen erfordern eben

Beides trifft auf Haushofers Lebenslauf zu, der

Leser auf, eigene Lebensläufe des Scheiterns

innovative Formate. AD

nur seine Fehlschläge enthält. Die Universitäten,

einzusenden, und die «Financial Times» erklärte

die ihn nicht genommen haben, die Fachzeit-

sogar, ziemlich ernsthaft, was man aus den Sta-

schriften, die einen Artikel von ihm abgelehnt

tionen des Scheiterns über den Erfolg des Be-

haben, die Stipendien, die er nicht bekommen

troffenen herauslesen könne; denn «nicht alle

hat. Er habe damit einer guten Freundin helfen

Absagen sind gleich». DG 112

Links zum Thema www.augenhoehe-wege.de www.musterbrecher.de


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

SCHÖN WÄRS

DAS RELEVANTE ALTE

«Der Rundfunk hat eine einzigartige Funktion zu erfüllen im Sinne der Völkerversöhnung. Er wird dazu beitragen, das Gefühl gegenseitiger Fremdheit auszutilgen.»

Eine fischige Geschichte der Evolution

Albert Einstein, 22. August 1930

Haben Sie Lust, wie ein Kind zu fragen: Wieso hören wir? Warum haben wir fünf Finger? Woher kommen wir? Dann sind Sie bei diesem Buch richtig. Neil Shubin versteht es, die Verbindung zwischen verschiedensten Lebensformen in einfachen Worten herzustellen: Jedes Lebewesen auf der Erde hat Eltern. Wir alle sind abgewandelte Nachkommen von weitergegebener genetischer Information. Die Geschichte der Evolution erzählt Shubin anhand des menschlichen

Nikolaus Kopernikus, George Washington, Martin Luther King (v. l. ) . Quelle: wikipedia.de

Körpers und der vielen Schritte, die zu ihm führten. Ich hatte schon längst vergessen, dass Shubin als Paläontologe auch Anatomie unterrichtet, als ich das Buch Medizinstudenten empfahl. Nicht vergessen hatte ich allerdings seine Beschreibung, wie Nerven unseren Kopf und speziell unser Gesicht in wirrem Durcheinander durchkreuzen. Er zeigt Entwicklungsschritte von der Befruchtung, bis ein kleiner Heldentum für alle

Dutzenden Beispielen ist der US-amerikanische

Mensch vor uns liegt, wie der erste Kiemenbo-

Ach, unsere Helden. Nikolaus Kopernikus, George

Sozialwissenschaftler Grant nachgegangen, un-

gen des Fisches später den Ober- und Unter-

Washington, Martin Luther King. Sie alle waren

zählige Studien aus Psychologie, Neurobiologie

kiefer bei uns bildet.

Genies, begnadete Querdenker, jeder auf seinem

und Soziologie hat er ausgewertet, um seine The-

Tief in die Vergangenheit geschaut – ich

Gebiet. Sie erforschten die Sterne, stellten poli-

se zu erhärten: Die grossen Originale der Weltge-

erkannte, wie nah mir alles ist. Bücher wie das

tische Weichen, brachten sozialen Wandel in

schichte sind uns viel ähnlicher, als wir glauben.

von Shubin haben mich gelehrt, dass diese

Gang. Für sie war nichts natürlicher, als mit ihrer

Im Kern unterscheiden sie sich vom Durchschnitt

Erde unsere Erde ist. Sie ist nicht nur mir, son-

Kreativität Veränderungen in Gang zu setzen und

nur in der Bereitschaft, das Gegebene zu hinter-

dern auch dem Regenwurm das gleich ver-

sich dem Mainstream entgegenzustellen. Ist

fragen. Sie sind Nonkonformisten. Fazit: Origi-

traute Zuhause, denn in weit historischer Ferne

doch klar.

nalität ist eine Frage der persönlichen Entschei-

hatten wir einen gemeinsamen Vorfahren.

Einspruch, sagt Adam Grant. Niemand ist

dung, keine der Gene. Jeder kann kreativ werden.

Entschuldigen Sie bitte, ich muss Schluss

zum Revolutionär programmiert. Der Weg fiel

Wie, verrät Grant in seinem Buch. Ein Manifest

machen, denn mit Vergnügen lese ich dieses

auch den Helden schwer. Kopernikus fürchtete

für das Andersmachen. Achtung: revolutionäres

Buch jetzt gleich nochmals. Ruth Barbara Lotter

sich vor dem Spott seiner Zeitgenossen, weshalb

Potenzial! AD

er seine Entdeckung 22 Jahre lang verschwieg. Gutsbesitzer Washington war verzweifelt, als er zum Oberbefehlshaber der amerikanischen Armee ernannt wurde. Und nur weil King einstimmig zum Wortführer des Boykotts gewählt wurde, überwand er seine Furcht vor öffentlichen Reden.

Adam Grant Nonkonformisten – Warum Originalität die Welt bewegt . Droemer Verlag . München 2016 113

Neil Shubin Der Fisch in uns – Eine Reise durch die 3,5 Milliarden Jahre alte Geschichte unseres Körpers . S. Fischer . Frankfurt am Main 2008


Summaries

als philosophische Basis sozialer Netzwerke, aber

Treiber des Wandels, sind aber auch selbst vom

auch für sein Menschenbild, das den Menschen

permanenten Wandel der vernetzten Welt betrof-

nicht als Krone der Schöpfung ansieht.

fen. Alle Versuche, die technische Entwicklung einzugrenzen, würden schlicht dazu führen, von

Gespräch mit Parag Khanna > Seite 84

neuen Playern überholt zu werden, die sich nicht

«SMALL IS SUCCESSFUL» Die besten Erfolgs-

an diese Grenzen halten müssen. Die Rundfunk-

chancen im 21. Jahrhundert haben kleinere Län-

und Fernsehanbieter müssen deshalb das Risiko

der mit offenen Volkswirtschaften, guter Qualität

der Öffnung und des Experimentierens eingehen,

der Infrastruktur und des Bildungssystems. Eben-

um die Möglichkeiten des neuen Medien-Öko-

falls hilfreich ist die Fähigkeit, komplexe Produkte

systems auszuschöpfen. So können unerwartete

herzustellen, die nicht so einfach kopiert werden

Chancen (Serendipität) entdeckt und der Zugang

können. Aber auch grössere Staaten wie China

zu jüngeren Generationen gesichert werden.

oder die USA können gut abschneiden, wenn sie IDEEN

die Entwicklungsdynamik ihrer grossen Metro-

Marta Kwiatkowski . Bettina Höchli > Seite 106

polen fördern. Für die USA könnte dies etwa ein

DIE DIGITALISIERUNG DES WASSERS Die

Nadine Stoyanov > Seite 70

Selbstverständnis als Vereinigte Städte-Staaten

Potenziale von Kollaborationen sind in der

DIE KUNST DES ZUHÖRENS Nach 150 durchaus

der USA bedeuten, deren ökonomisches Rück-

Schweizer Wasserbranche sowohl gesellschaft-

erfolgreichen Jahren geht die «Push-Economy»

grat fünfzehn Megastadt-Regionen bilden.

lich als auch wirtschaftlich sehr hoch. Dadurch

zu Ende: Das laute Schreien, um die Aufmerk-

lässt sich langfristig der Schutz für Mensch und

samkeit potenzieller Käufer zu erregen, stösst auf

Ruth Barbara Lotter > Seite 90

Natur gewährleisten, und die Wasserwirtschaft

immer mehr taube Ohren – oder wird gar nicht

BIBLIOTHECARE Die traditionelle Bindung der

kann jährlich bis zu mehreren hundert Millionen

mehr wahrgenommen. In der «Pull-Economy»

wissenschaftlichen Bibliotheken an das Archivie-

Schweizer Franken einsparen. Demgegenüber

verläuft der Prozess umgekehrt: Der Kunde äus-

ren von Veröffentlichungen nimmt an Bedeutung

sind die Investitionen und damit Risiken der Ein-

sert seine Bedürfnisse, und die Unternehmen

ab. Stattdessen sollten sie die Publikation von

führung digitaler Tools und neuer Organisationen

reagieren darauf. Um diese 180-Grad-Wende zu

wissenschaftlichen Erkenntnissen zu einer ihrer

verschwindend klein. Schnelle Experimente mit

schaffen, gibt es für Retailer zwei Empfehlungen:

Kernaufgaben machen. Damit könnten sie dazu

Instrumenten wie «Liquid Decision» führen zu

zuhören und testen. Eine beispielhafte Umsetzung

beitragen, dass sich Universitäten aus dem Klam-

schnellen Lerneffekten. Ein temporärer Projekt-

hierfür bietet Zara mit Testläden, in denen neue

mergriff der Wissenschaftsverlage befreien. Als

verbund kann als Task-Force vorangehen und die

Produkte vorab verkauft werden. Nur was sich dort

Mitspieler im Prozess wissenschaftlicher Kom-

vergleichsweise günstigen Tools an einem kon-

bewährt, kommt weltweit in die Regale.

munikation können sie auch eine engere Zusam-

kreten Projekt testen.

menarbeit bei Publikationen bieten, UnterstütClaus Dierksmeier > Seite 76

zung bei einem Open-Access-Journal oder eine

GLOBAL KRAUSISMO Der deutsche Philosoph

intensivere Einbindung bei Lernplattformen.

Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) ist in grossen Teilen der Welt nahezu unbekannt. In Spanien und Lateinamerika hingegen gab es so-

Nico Jaspers > Seite 110 GRUNDEINKOMMEN IN EUROPA Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens findet offensichtlich trotz Vorbehalten grossen Anklang

WORKSHOP

in Europa. Eine repräsentative Umfrage ergab, dass

Karin Frick . Detlef Gürtler . Jakub Samochowiec

eine Mehrheit von 64 Prozent der Europäer im Fal-

mo» – ein auf soziale Harmonie zielender Libe-

> Seite 98

le eines Referendums für ein bedingungsloses

ralismus. Die globale Freiheitsethik, die Krause im

ÖFFENTLICHKEIT 4.0 Die entstehende digitale

Grundeinkommen stimmen würde. Nur 24 Prozent

Widerspruch zu allen damaligen Strömungen ent-

Internetwelt ist eine multiple Welt von Parallel-

gaben an, dagegen zu stimmen. Die Umfrageergeb-

wickelte, kann im digitalen Zeitalter noch einmal

realitäten, die traditionelle politische und poli-

nisse deuten darauf hin, dass die Abstimmung in

einen ganz neuen Einfluss erhalten. Das gilt für

tisch-rechtliche Begriffe unterminiert. Die Me-

der Schweiz nicht so sehr das Ende einer Initiative

seinen relationalen Ansatz, der wie geschaffen ist

dien spielen dabei eine entscheidende Rolle als

markiert – sondern deren Anfang.

gar eine politische Bewegung namens «krausis-

114


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

ZUSATZIMPULS

Wissenswertes und Angebote für GDI Impuls Leserinnen und Leser

Der Lehrgang Strategie richtet sich an Personen, welche die strategischen Herausforderungen in Agenturen meistern wollen und unter anderem Antworten auf folgende Fragen erhalten möchten: Wie entwickelt man Strategien, die Marken und Märkte nachhaltig prägen? Welche Motivationen und Wünsche treiben Menschen an, und wie entwickeln wir aus diesen Insights aussagekräftige Markenpositionierungen, die on- und offline standhalten? Wie vermitteln AD SCHOOL – DIE TALENTSCHMIEDE DER BRANCHE

wir Markenwerte über aussergewöhnliche Plattformen, und wie werden aus

Neu in Zürich ab dem 18. August 2016.

solchen Konzepten erfolgreiche Cases, welche die Effie-Awards gewinnen? Ein Strategie-Intensivtag, in welchem die Teilnehmer ihr strategisches Können zum

Ab dem 18. August können die talentiertesten Kreativen und Strate-

ersten Mal unter Beweis stellen können, und eine gemeinsame Abschluss-

gen der Kommunikationsbranche von den besten Dozenten der Bran-

arbeit mit Teilnehmern des Lehrgangs Kreation runden die Ausbildung ab.

che lernen. Die Schule ist eine Kooperation zwischen ADC Schweiz,

Zu den Dozenten beider Lehrgänge gehören unter anderem Branchen-

Leading Swiss Agencies und der Account Planning Group Switzerland

grössen wie Michael Conrad (Präsident der Berlin School of Creative Leader-

und wird unterstützt von namhaften Partnern wie Google oder der HWZ.

ship und ehemaliger weltweiter Kreativchef von Leo Burnett) oder Martin Spillmann. Strategiedozenten sind Profis wie Peter Felser (Serviceplan),

Von August bis Dezember 2016 wird je ein Lehrgang für Kreative (Texter, Art

Uwe Munzinger (Sasserath Munzinger Plus), Simon Rehsche (Heimat Zü-

Directors, Digitalkreative) sowie ein Lehrgang für Berater und Strategen durch-

rich), Ester Elices (Publicis), Christoph Krick (Markenberater und Dozent),

geführt. Nebst eigenständigen Unterrichtseinheiten pro Lehrgang werden auch

Matthias Breitschaft (Vorn Consulting), Christian Rieder (Link), René Schwarz

gemeinsame Kurse durchgeführt. Die Abschlussarbeit muss von einem Team

(Namics 13), Michael Selz (OMD), Gordon Nemitz (Wirz) sowie weitere span-

mit Teilnehmern aus beiden Lehrgängen erstellt und vor einer Jury, bestehend

nende Marketing-Experten wie Geri Aebi (Präsident LSA), Steven Goodman

aus Vertretern der Branche, präsentiert werden.

(Watson), Bernhard Brechbühl (Storyfilter), Christoph Birkholz (Impact Hub

Die Ad School ist neu und doch erfahren. Sie ist aus der ADC/BSW-Kreativ-

Zürich). Das umfassende Dozententeam wird unter anderen mit folgenden

schule hervorgegangen und transformiert deren Ideen in die heutige Zeit. Das

Digitalspezialisten ergänzt; Michael Hinderling, Hansi Voigt, Remo Prinz,

heisst: Sie ist digitaler und vernetzter. So erhalten nicht nur kreative Talente das

Christian Etter oder UX-Spezialist Adrian Zumbrunnen.

Rüstzeug, sondern dank der Zusammenarbeit mit der Account Planning Group Kursdauer: 18. August bis Dezember 2016

Switzerland auch junge Berater und Strategen eine spezifische Weiterbildung. Im Lehrgang Kreation bekommen Kreative wie ADs, Grafiker, Texter und Digitale das theoretische und praktische Rüstzeug vermittelt, das es heute

Anmeldungen werden ab 18. Mai unter adschool.ch angenommen. Weitere

braucht: von der Strategie über Ideenfindung und -beurteilung bis zur medien-

Informationen unter www.adschool.ch oder bei Kathrin Leder (Sekretariat),

gerechten Umsetzung in den verschiedensten Kanälen – mit einer besonderen

LEADING SWISS AGENCIES, T +41 (0)43 444 48 10, F +41 (0)43 444 48 11,

Gewichtung der digitalen Herausforderungen von heute und morgen.

info@adschool.ch, www.adschool.ch

Die aktuelle Liste aller GDI Impuls Partner finden Sie auf www.gdi.ch/de/gdi-impuls/partner 115


GDI - Studien

Information und Bestellung: www.gdi.ch/studien

FLUID CARE – Nachfragemarkt versus

ÖFFENTLICHKEIT 4.0 – Die Zukunft der SRG

WENN WASSER ZUM NEUEN ÖL WIRD –

Wohlfahrtsstruktur

im digitalen Ökosystem

Wie die Schweiz die Konflikte der Zukunft meistert

Die steigende Lebenserwartung und neue Konsum-

Neue Technologien erlauben und erfordern neue

bedürfnisse verändern die Anforderungen an Be-

Medienformate, sie verändern Nutzungsverhalten

Drehen wir in der Schweiz den Wasserhahn auf,

treuung und Pflege. Schon die Generation der Baby-

und den Wettbewerb. Nutzer nehmen aktiv am

können wir uns darauf verlassen, dass jederzeit

boomer hat andere Vorstellungen von Selbstbe-

Medienprozess teil, Wettbewerber produzieren

sauberes Trinkwasser herausfliesst. Doch Hitze-

stimmung. Wer in der digitalisierten Gesellschaft

oftmals keine Inhalte mehr, sondern beliefern

sommer, trockenes Herbstwetter, schmelzende

des 21. Jahrhundert aufwächst, wird dereinst im

fragmentierte Zielgruppen mit unterschiedlichen

Gletscher und schneearme Winter lassen uns hier-

pflegebedürftigen Alter erst recht hohe Erwartungen

Inhalten, wodurch eine gesellschaftliche Polari-

zulande aufhorchen. Auch global steigen die Her-

an Flexibilität und Individualisierung haben.

sierung verstärkt wird.

ausforderungen.

Im Kontext dieser Entwicklungen müssen wir

Die SRG stellt einen Knotenpunkt dar, der die

Gemeinden, Landwirtschaft, Umweltschutz, Tou-

neu diskutieren, wie die Betreuung und Pflege von

Diskussion zwischen gesellschaftlichen Gruppen

rismus: Die Stakeholder in der hiesigen Wasser-

morgen aussieht. Was sind die zukünftigen Be-

fördern sollte. An einen sich rasant wandelnden

wirtschaft sind so zahlreich wie ihre Partikularinte-

dürfnisse, und wie können sie bedient werden?

Medienmarkt kann sich die SRG aber nur anpassen,

ressen. Wie kann sich die Schweiz frühzeitig für die

Welche Anbieter werden in Zukunft diesen Markt

wenn sie schnell und günstig experimentieren kann

Konflikte von morgen wappnen?

prägen? Die Studie untersucht, welche Herausfor-

und Nutzer mit in die Medienproduktion einbindet.

Die Studie «Wenn Wasser zum neuen Öl wird –

derungen auf das heutige System zukommen, und

Die SRG kann dazu beitragen, die direkte Demo-

Wie die Schweiz die Konflikte der Zukunft meistert»

zeigt, warum Betreuung und Pflege in Zukunft als

kratie unter digitalen Voraussetzungen neu zu defi-

zeigt, wie sich gewachsene, komplexe Organisatio-

integriertes, individualisiertes und ganzheitliches

nieren, wodurch sie ihren Auftrag besser erfüllen

nen in Zukunft organisieren können.

Konzept – als Fluid Care – gedacht werden muss.

könnte als je zuvor.

Marta Kwiatkowski, Daniela Tenger. «Fluid

Karin Frick, Jakub Samochowiec, Detlef Gürtler

zum neuen Öl wird – Wie die Schweiz die Konflikte

Marta Kwiatkowski, Bettina Höchli. Wenn Wasser Care – Nachfragemarkt versus Wohlfahrts-

«Öffentlichkeit 4.0 – Die Zukunft der SRG im digi-

der Zukunft meistert. Sprachen Deutsch, Französisch

struktur» . Sprachen: Deutsch, Französisch . Im

talen Ökosystem» . Sprachen: Deutsch, Franzö-

(Summary). Im Auftrag des Verbands Schweizer

Auftrag von Senesuisse . PDF-Download gratis:

sisch . Im Auftrag der SRG . PDF-Download gratis:

Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA).

www.gdi.ch/fluidcare

www.gdi.ch/oeffentlichkeit40

PDF-Download gratis: www.gdi.ch/wasserwirtschaft

116


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

GDI - Konferenzen

66. INTERNATIONALE HANDELSTAGUNG –

17TH EUROPEAN FOODSERVICE SUMMIT –

ACADEMY OF BEHAVIORAL ECONOMICS

Mehr als Handel: Leadership 2020

Think Tank and Congress for the Restaurant

26. / 27. Januar 2017

8. / 9. September 2016

Industry (26.) 27. / 28. September 2016

Der Handel wird immer unübersichtlicher. Amazon,

Lange glaubte die Wirtschaftswissenschaft, der Mensch verhalte sich rational. Ein Irrtum, wie die

Apple und Alibaba sorgen für neue Machtverhält-

Am zweitägigen Topkongress versammeln sich

Verhaltensökonomen der letzten dreissig Jahre

nisse. Währungskurse, Migration und drohende

jährlich seit dem Jahr 2000 in einer Traum-Loca-

eindrucksvoll gezeigt haben. Menschen neigen zu

Massenarbeitslosigkeit beeinflussen das Konsum-

tion am Zürichsee mehr als 250 Spitzenmanager

kognitiven Vereinfachungen, handeln entgegen

verhalten. Jetzt ist im Retail Leadership gefragt.

und Unternehmer der internationalen Profigastro-

ihren Interessen, lassen sich von anderen Men-

Welche Kompetenzen brauchen CEOs der Zukunft?

nomie. Über allem steht stets das Bekenntnis zu

schen beeinflussen. Kurz: Sie handeln in vielen

Die neue Formel lautet: ein Drittel Branchenwis-

Content und Community – so das Credo der ge-

Situationen irrational, und zwar systematisch, so-

sen, ein Drittel Transformationswissen, ein Drittel

meinsamen Veranstalter Gottlieb Duttweiler Insti-

dass ihr Verhalten prognostizierbar wird.

digitales Wissen. Die GDI-Handelstagung fragt:

tute (Schweiz), FoodService Europe & Middle

Die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie revo-

Wie geht Führung im Umbruch? Welche Rolle

East / dfv Mediengruppe (Deutschland) und Bos-

lutionieren nicht nur die Wissenschaft. Wer die

spielen Emotionen? Welche Unternehmenskultur

ton University (USA).

richtigen Lehren aus Verhaltensmustern zieht, erzielt einen strategischen Vorteil für seine Organisation.

bringt Erfolg? Antworten liefern gestandene Unter-

Ein rundes Dutzend Beiträge hochkarätiger Re-

nehmer, disruptive Gründer und Branchen-Vor-

ferenten steht im Mittelpunkt. Chancen für Wachs-

Das GDI und die Verhaltensökonomie-Experten

denker, darunter: Prof. Hans-Werner Sinn (DE),

tum, das sollen die Vorträge aufzeigen. Auf der

Fehr Advice & Partners laden weltweit führende

Ökonom und Autor («Gefangen im Euro»), Stephan

Bühne regelmässig Querdenker, Analytiker, aber

Wissenschaftler, erfahrene Praktiker und Politiker

Fanderl (DE), Vorsitzender Karstadt, und Bene-

auch Praktiker. Die jährliche Präsentation und

ein, um in exklusivem Rahmen zu zeigen, wie Sie

dict Dellot (UK) vom Londoner Think-Tank RSA.

Analyse der hundert umsatzstärksten Gastrono-

mit Behavioral Economics menschliches Verhal-

mie-Unternehmen Europas zählt zu den Kernstü-

ten verändern – und so die Unternehmenskultur.

cken der Veranstaltung. Ort: Gottlieb Duttweiler Institute, Rüschlikon / Zürich. Sprachen: Deutsch, Englisch (Simultan-

Ort: GDI Gottlieb Duttweiler Institute, RüschliOrt: Lake Side, Casino Zürichhorn, Zürich . Sprachen:

kon / Zürich . Sprachen: Deutsch / Englisch . Aus-

übersetzung). Information und Anmeldung:

Deutsch, Englisch (Simultanübersetzung) . Infor-

kunft: alessandro.delia@gdi.ch

www.gdi.ch/iht2016

mation und Anmeldung: Brigitte.Fischer@gdi.ch 117


118


GDI Impuls . Nummer 2 . 2016

DAS GOTTLIEB DUTTWEILER INSTITUTE ist eine Non-Profit-Or-

GOTTLIEB DUTTWEILER PREIS In unregelmässigen Abständen

ganisation und Teil der Stiftung Im Grüene. Den Grundstein zur «Errichtung eines internationalen Lehr- und Forschungsinstituts» legte der Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler 1962 persönlich kurz vor seinem Tod. Bei der Eröffnung 1963, die Duttweiler nicht mehr erlebte, war dieser «Ort der Besinnung und Begegnung» (Stiftungsauftrag) der erste unabhängige Think-Tank der Schweiz. Mit oft kontroversen Themen machte sich das Institut einen Namen bis über die Landesgrenzen hinaus. Heute ist das GDI eine praxisorientierte und unabhängige Früherkennungsinstitution, inhaltlicher Schwerpunkt bilden Handel und Konsum.

verleiht das GDI den renommierten Gottlieb Duttweiler Preis an Personen, die sich durch «hervorragende Leistungen zum Wohle der Allgemeinheit verdient gemacht haben». 2013 ging die Auszeichnung an den in Zürich lehrenden Wirtschaftsprofessor Ernst Fehr, zuvor wurden unter anderen der tschechoslowakische Präsident Václav Havel, alt UnoGeneralsekretär Kofi A. Annan oder der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales geehrt. Der Preis geht auf eine Donation der Mitglieder der Migros-Gemeinschaft an ihren Gründer zu dessen 70. Geburtstag zurück. AUFTRÄGE Die GDI-Forschung unterstützt Unternehmen,

Verbände und Behörden in einer Zeit wachsender Komplexität und Ungewissheit. Das Institut erkundet die Landschaft des Möglichen und hilft Entscheidern mit Auftragsstudien, Workshops und Referaten beim Gestalten einer wünschbaren Zukunft.

FORSCHUNG Die Forscher des GDI untersuchen den Wandel

von Gesellschaft und Wirtschaft. Mit überdisziplinären Methoden erkunden und deuten sie Trends. Sie schaffen gefährliche Ideen – solche, die das vermeintlich Unantastbare infrage stellen. Und sie entwerfen Thesen über zukünftige Entwicklungen. Seine Erkenntnisse dokumentiert das Institut in eigenen Publikationen.

VERANSTALTUNGSORT Das GDI vermietet seine Räumlichkeiten und Infrastruktur für geschäftliche oder private Anlässe. Seesicht, Park, Alpenpanorama und eine erstklassige Gastronomie machen das Institut zu einem einmaligen Veranstaltungsort. Vom Workshop für drei bis zum Bankett, Themenfest oder Kongress mit 300 Teilnehmern findet hier jeder Anlass ideale Voraussetzungen. Ein erfahrenes Team hilft zudem auf Wunsch bei der Event-Organisation, der Referentensuche oder der Menüwahl. Das Qualitätssiegel QIII des Schweizer Tourismus-Verbandes garantiert eine zuverlässig hohe Dienstleistungsqualität.

KONFERENZEN Das Institut veranstaltet Konferenzen zu ak-

tuellen Fragen und beweist dabei seit Jahrzehnten einen guten Riecher: Schon 1964 fand hier eine Tagung zum Abendverkauf statt, 1970 zur Frage «Ersticken unsere Städte im Verkehr?» und 1974 zum biologischen Landbau. Referenten und Teilnehmer gehören zur internationalen Spitze, so etwa Ahold-Präsident Albert Heijn, Walmart-CEO H. Lee Scott, der Metro-Aufsichtsratsvorsitzende Erwin Conradi, Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus oder der Vordenker Jeremy Rifkin.

Information und Reservation: GDI Gottlieb Duttweiler Institute, Rüschlikon / Zurich . T +41 44 724 61 11 . info@gdi.ch . www.gdi.ch 119


GDI - Agenda 2016 www.gdi.ch

Konferenzen Tagungen zu Handel, Wirtschaft und Gesellschaft 8. / 9. September 2016 66. Internationale Handelstagung – Mehr als Handel: Leadership 2020 (26.) 27. / 28. September 2016 17th European Foodservice Summit – Think Tank and Congress for the Restaurant Industry

Partnerveranstaltungen 26. / 27. Januar 2017 Academy of Behavioral Economics – Strategic Leadership im Spannungsfeld zwischen Regulierung und Wachstum Themenblöcke: Behavioral Economics Basics Leadership, Culture & Compliance Spannungsfeld Regulierung und Wachstum

Anmeldung Newsletter: www.gdi.ch/newsletter

GDI Impuls 2 . 2016 . 34. Jahrgang . ISSN 1422-0482 Herausgeber Stiftung Im Grüene . GDI Gottlieb Duttweiler Institute für Wirtschaft und Gesellschaft

Anschrift Redaktion GDI Impuls GDI Gottlieb Duttweiler Institute Postfach 531 . CH-8803 Rüschlikon / Zurich T +41 44 724 61 11 . F +41 44 724 62 62

Chefredaktor Detlef Gürtler . detlef.guertler@gdi.ch

Konzept und Gestaltung Joppe Berlin . Illustration: Frances Franzke Satz und Druckvorbereitung: Carsten Spielmann www.joppeberlin.de

Redaktion David Bosshart . Alain Egli . Karin Frick . Bettina Höchli . Martina Kühne . Marta Kwiatkowski . Jakub Samochowiec . Daniela Tenger

Korrektorat Andrea Leuthold . Zürich

Redaktionssekretariat Daniela Fässler . daniela.faessler@gdi.ch

Druck AVD Goldach AG . Goldach Erscheinungsweise 4-mal jährlich

Freie MitarbeiterInnen Anja Dilk . Heike Littger

© GDI Gottlieb Duttweiler Institute . www.gdi.ch

Abonnemente Einzelabonnement: CHF 120.– resp. EUR 105.– (inkl. MwSt., exkl. Versand) Abonnement im iTunes oder Google Play-Store: CHF 95.– (inkl. MwSt.) Kollektiv-Abonnement: Zu einem Abonnement können Sie bis zu zwei vergünstigte Zusatzabonnemente beziehen. Jedes zusätzliche Abonnement CHF 50.– / EUR 44.– Schnupper-Abonnement: 2 Ausgaben zum Preis von CHF 45.– / EUR 39.– (inkl. MwSt., exkl. Versand) Verlagsleitung / Marketing / Anzeigen Martina Anderberg-Allenspach . Andreas Fannin Mediensatellit GmbH . T +41 44 400 45 40 info@mediensatellit.ch . www.mediensatellit.ch Leserservice GDI Impuls Leserservice Postfach CH-6002 Luzern gdi-impuls@leserservice.ch T +41 41 329 22 34 . F +41 41 329 22 04 WEMF/SW-Beglaubigung Verkaufte Auflage: 3136 Ex. Gratisauflage: 320 Ex. Gezeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder.

Erhältlich in den Bahnhofsund Flughafenbuchhandlungen in Deutschland 120


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6 8. 9. 201ership ad Nex tecLhneologien ermöghliruchnegn.

Nummer 1 . 2016

Nummer 4 . 2015

Nummer 3 . 2015

Nummer 2 . 2015

Nummer 1 . 2015

Nummer 4 . 2014

Nummer 3 . 2014

Nummer 2 . 2014

GDI Impuls 1.16

Die Zukunft wird flauschig – Das postdigitale Zeitalter.

GDI Impuls 4.15

Top 400 Global-Thought-Leader – Die einflussreichsten Ideengeber der Welt.

GDI Impuls 3.15

Probieren Sie mal! – Retail-Disruption.

GDI Impuls 2.15

Vertraue mir! – In Tech We Trust.

GDI Impuls 1.15

It’s D-Time – Die digitale Revolution.

GDI Impuls 4.14

Top 100 Global-Thought-Leader – Die wichtigsten Ideengeber der Welt.

GDI Impuls 3.14

maximal minimal – Die Dematerialisierung des Konsums.

GDI Impuls 2.14

Decision Design – Und nun: die Zukunft.

e Fü Neue T ern) neu d r o f r e (und

Preis: je Ausgabe CHF 35.– / Euro 31.– (inkl. MwSt., exkl. Versand) Alle Ausgaben erhältlich solange Vorrat. www.gdi-impuls.ch Folgende Ausgaben und ältere CHF 25.– / Euro 22.– (inkl. MwSt., exkl. Versand): GDI Impuls 1.14

Polarisierung – Frische Kluft.

GDI Impuls 4.13

Global-Thought-Leader – Die 100 wichtigsten Ideengeber der Welt.

GDI Impuls 3.13

WEdentity – Die Zukunft der Beziehungen.

GDI Impuls 2.13

Die Zukunft der Medien.

GDI Impuls 1.13

Big Data – oder Big Dada?

GDI Impuls 4.12

Vermögen – Was Sie haben, was Sie können.

GDI Impuls 3.12

Just make it – Die Zukunft der Produktion.

GDI Impuls 2.12

Nicht zu fassen! – Die Zukunft der Planung.


ISSN 1422-0482 . CHF 35 . EUR 31

Wissensmagazin für Wirtschaft, Gesellschaft, Handel Nummer 2 . 2016

«Die Zukunft lässt sich nicht mit der Perspektive der Vergangenheit bewältigen.»

Innovation und Fortschritt bewegen nicht nur die Automobilindustrie. Auch die Schweizer Medien- und Werbelandschaft profitiert vom technologischen Wandel. Und damit von den vielen Möglichkeiten, welche Admeira bietet. Mit dem TV-, Radio-, Print- und Digital-Medienportfolio erzielt Admeira eine crossmediale Gesamtreichweite von rund 95%*. Und erreicht damit Menschen dort, wo sie wirklich sind. Im Zug, vor dem Fernseher, im Web oder überall gleichzeitig. Admeira – Neue Perspektiven für Ihren Erfolg. www.admeira.ch *Quelle: MedienKonsumstudie 2016

GDI IMPULS . Nummer 2 . 2016

Das Blockchain-Manifest – Die Zukunft der Transaktion

Morten Hannesbo, CEO AMAG

Das BlockchainManifest Ein Gespenst geht um in der Welt – das Gespenst der Blockchain. Sie wird die Transaktion so verändern wie das Internet die Kommunikation. Und damit die Welt, wie wir sie kennen.

Parag Khanna

Claus Dierksmeier

Primavera De Filippi

Small is successful

Global Krausismo

Von Termiten inspiriert


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