Eiszeitalter u.
Gegenwart
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107—110
Hannover
1990
3 Abb.
Ein mittelpaläolithischer Fundplatz in den Basiskiesen der Emscher-Niederterrasse bei Bottrop/Westfalen RAIF-W.
SCHMITZ *)
Terraces, gravel, archaeological sites, fossil localities, artifacts, Paleolithic, Acheulian, M a m m u t h u s trigontherii, teeths, T h / U , absolute age, Middle Pleistocene, Saalian North Rhine-Westphalia, Rhine Westphalian Basin, TK 4507
Kurzfassung: Beim U m b a u des Rhein-Herne-Kanales zwi schen 1956 u n d 1975 w u r d e bei Bottrop in d e n „Knochen kiesen" an der Basis der Emscher-Niederterrasse ein Sied lungsplatz des pleistozänen Menschen vom Bagget erfaßt. Bei d e m Inventar des Platzes handelt es sich kulturell u m ein Jungacheuleen, eine durch Faustkeile u n d blattförmige Schaber gekennzeichnete Formengruppe. Bis h e u t e ist das Alter dieser Formengruppe (vorletzte oder frühe letzte Kalt zeit) im westlichen Mitteleuropa der Kernpunkt einer Kon troverse, entzündet am wichtigsten Jungacheuleen-Fundplatz Nordwestdeutschlands, Salzgitter-Lebenstedt (TODE 1982).
investigate this question by way of scientific date establish ing methods. Linked to this is an attempt at chronologically classifying the base gravels of the Emscher Lower Terrace whose age assignment — mostly to the early Weichselian glacial period — is also still disputed.
Jungacheuleen (Lebenstedter Gruppe)
Das in Bottrop reichlich erhaltene Zahnmaterial von Mam muthus trogontherii eröffnete die Möglichkeit, mit natur wissenschaftlichen Datierungsmethoden dieser Frage nach zugehen . Daran geknüpft ist der Versuch einer chronologischen Ein stufung der Basiskiese der Emscher-Niederterrasse, deren Einordnung, meist in das frühe Weichselglazial, ebenfalls umstrirten ist.
[A Middle Palaeolithic Site in the Base Gravels of the Emscher Lower Terrace near Bottrop/Westphalia] Abstract: During the course of the Rhine-Herne Canal re construction project carried out between 1956 and 1975, a dredge unearthed a Pleistocene settlement situated in the base gravel "Knochenkiese" of the Emscher Lower Terrace near Bottrop. The objects found at the site have been cultur ally classified as Late Acheulian, a form group characterized by hand-axes and leaf-shaped scrapers. In t h e Western part of Central Europe, the age assignment of this form group (second or early last glacial period) has always been and still is a central point of controversy, inspired by the most important Late Acheulian site at Salzgitter-Lebenstedt (TODE 1982) in North-West Germany. Thanks to the ample dental material from Mammuthus trogontherii preserved in Bottrop it has become possible to
*) Anschrift des Verfassers: R.-M. SCHMITZ M. A., Institut für Ur- u n d Frühgeschichte, Weyettal 125, 5000 Köln 4 1 .
A b b . 1: Verbreitung des Jungacheuleen im westlichen Mitteleuropa (nach BOSINSKI 1967). - 1 Herne. - 2 Bottrop.
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nehmen ein frühweichselzeitliches Alter der Ablagerungen an.
1. E i n l e i t u n g Seit Beginn des Jahrhunderts wurde beim Bau des Rhein-Herne-Kanals u n d bei späteren Wasserbaum a ß n a h m e n im Emschertal häufig eine grobsandige bis kiesige Schicht angeschnitten, die nordisches Material u n d pleistozäne Großsäugerreste enthält.
BOSINSKI (1963: 137—139; 1967: 4 1 ; 1982: 48) betont dagegen die Ähnlichkeit des paläolithischen Fundmateriales mit saalezeitlichen Funden aus Frankreich u n d der DDR, so z. B. im Liegenden der Drenthegrundmoräne in Markkleeberg bei Leipzig (BAUMANN & MANIA 1983: 88). Einen chronologischen Anhaltspunkt in der ansonsten nicht exakt festlegbaren Fauna stellt der Schädelrest einer Saiga-Antilope (Saiga tatarica ssp) dar; KAHLKE (1975: 136) hält aufgrund der Morphologie eine Zuordnung des Bottroper Fundes zum Formenkreis der saalezeitlichen Saigas Europas für möglich.
Mehrfach wurden darin mittelpaläolithische Siedlungsplätze erfaßt, so in Herne (KAHRS 1912), Bottrop (HEINRICH 1980) u n d Essen-Dellwig (BOSINSKI 1983: 80f., 90). Die Fundschicht wurde als „Knochenkiese" bezeichnet — anfänglich deskriptiv nach ihrem Fundinhalt, später stratigraphisch, jedoch ohne Möglichkeit einer sicheren zeitlichen Einstufung. Die Datierungsansätze schwanken zwischen Ende des Saaleglaziales (KAHRS 1912: 63), Übergang Saale/Eem (BÄRTLING 1912: 192), frühem Eem (MENZEL 1912: 200), spätem Eem bis frühem Weichselglazial (STEUSLOFF 1934) u n d frühem Weichselglazial (ANDREE 1928: 280).
2. Der Fundplatz Bottrop Zwischen den Kanalkilometern 13,2 u n d 16,7 wurde der Rhein-Herne-Kanal in den Jahren 1956 bis 1975 (mit längeren Unterbrechungen) verbreitert u n d vertieft. Das anfallende Baggergut wurde mit Wasser vermischt u n d auf ein Spülfeld gepumpt, wo A. HEINRICH, der Leiter des Museums für Ur- u n d Ortsgeschichte Bottrop, u n d seine Helfer den Hauptteil des
Die „Knochenkiese" bilden nach BRUNNACKER (1982: 16, 26) die Älteste, nach JANSEN (1986: 102) einen Teil der Älteren Niederterrasse. Beide Autoren
Seht. Christian Levin 2
2r- • -
Essen-Dellwig Schnittlinie o Kembohrung
• Sondierbohrung
Kssen-Dcllwlfl
Seht. Christian Levtn 2
Oberhitnseit -Korbet'k £ Brg Oberhausen 4
Künstliche Aufschüttung
I Feinsand, I i T miitelsandig. schluffig
I Fein-bis Mittelsand I (S.a|
Schlutf, schwach ton ig bis ton ig
Fem- bis Mittelsand Jüngere Sand-Folge I = Jüngerer Talsand!
Flugsand
Auensand und Auenlehm
F e i nsand. Schlu I f. humos. Torten Feinsa nd-Schluti-Folge mit Torten (Alterod• Hori/ont)
Jüngere Niederterrasse
•••':'| Fem-bisMitielsand.z T schwach kiesig.veieinzell mithumosenLagen Altere Sand-Folge (= Alterer Talsand)
Schluff. sandig, humos bts lortig
EZ3
Feinsand, Schlurf, meist humos
Fein- bis Mittel sand. z.T humos
Kies, Sand Kies-Sand-Folge
Sand-Schluff-FoJge Altere Niederterrasse
Ton. Schlurf, kalkig glazifluviatile Bildungen (Saale-Kaltzeit)
jy
Y I Sandmergel stein Oberkreide
Abb. 2: Quartärablagerungen im Bereich Oberhausen-Borbeck/Essen-Dellwig/Bottrop. — + Fundplatz Bottrop, < Fundschicht. (Aus JANSEN & DROZDZEWSKI 1986; Fundort/Fundschicht vom Verf. gekennzeichnet.
Ein mittelpaläolithischer Fundplatz in den Basiskiesen
Fundmateriales bergen konnten. Ein kleiner Teil der Funde wurde direkt auf dem Eimerkettenbagger sichergestellt. Steinartefakte u n d vom Menschen bear beitetes faunistisches Material konnten nur dann be obachtet werden, wenn der Bagger bei Kanalkilo meter 13,65 innerhalb eines 45 Meter langen A b schnittes im nördlichen Kanaldrittel lag (HEINRICH 1987: 80, 131). Der Vergleich der Baggertiefe mit Bohrprofilen ermöglichte die Zuweisung der Funde zu den „Kno chenkiesen" (HEINRICH 1980: 113). Die Fundschicht entspricht der von JANSEN (1986: 104) beschriebenen Kies-Sand-Folge. Es konnten 364 aus nordischem Feuerstein hergestellte Artefakte geborgen werden, die bis auf wenige Aus n a h m e n nicht verwittert odet abgerollt sind; daher
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kann es als gesichert gelten, daß in Bottrop ein unverlagerter Siedlungsplatz entdeckt wurde. Mit Faustkeilen, blattförmigen Schabern u n d präpa rierten Kernen (Abb. 3) sind die Kriterien für eine kulturelle Zuordnung z u m Jungacheuleen gegeben. Der sehr gute Erhaltungszustand det Steinartefakte erlaubte eine von G. LASS am Seminar für Ur- u n d Frühgeschichte der Universität Münster durchgeführte mikroskopische Gebrauchsspurenanalyse. Bei 200facher Vergrößerung zeigten die Silices ein breites Ver wendungsspektrum: neben dem Zerlegen von Tieren konnte die Bearbeitung von Holz, Knochen, Kno chen/Geweih und Haut/Leder nachgewiesen werden. Knochen, Geweih u n d Elfenbein ließen sich direkt durch bearbeitete Fundstücke als Werkstoffe belegen; so liegen u. a. Knochen- u n d Geweihstücke mit tief eingeschnittenen Kerben vor. Das Tätigkeitsspektrum der Bottroper Freilandstation umfaßt somit alle Arbeiten, die m a n für den Bereich eines längerfristig besiedelten Platzes erwartet. Nach den durch das Wasser- u n d Schiffahrtsamt Duis burg erstellten Bohrprofilen floß ein von S in die UrEmscher mündender Bach unmittelbar am Siedlungs platz vorbei (mündl. Mitt. U. STOTTROP, Ruhrland m u s e u m Essen); daraus ergibt sich eine für mittelpaläolithische Freilandstationen häufig beobachtete Lage im Winkel zwischen einem Fluß u n d einem Bachlauf.
3.
Datierung
D e n Knochenkiesen des Siedlungsplatzumfeldes ent stammt eine große Anzahl pleistozäner Großsäuger reste (HEINRICH 1987). Aus d e m Mammuthus-Zahnmatethl wurden drei sehr gut erhaltene Molare von Mammuthus trogontherii ausgewählt und von R. HAUSMANN am Geologischen Institut der Universität Köln mit der Thorium/UranMethode datiert. Dabei ergaben sich Mittelwerte von 189.300, 144.100 u n d 126.900 Jahren B. P. D a alle Daten vor das Eem fallen, liegt ein erster kon kreter Beleg für das Alter des nordwestdeutschen Jungacheuleen u n d für die warthezeit l i c h e Einstufung der basalen Kiese der EmscherNiederterrasse vor.
1
i 6
cm
A b b . 3: 1 Faustkeil, 2 beidflächig tetuschietter Schaber Typ H e r n e , 3 präparierter Kern vom Fundplatz Bottrop. —
Die Gleichsetzung der „Knochenkiese" des Emschertales mit ähnlichen Ablagerungen der Lippe erscheint n u n m e h r fraglich, da C - D a t i e r u n g e n von Knochen aus der Älteren Niederterrasse der Lippe konventio nelle Alter von 36.600 ± 1220 u n d 41.910 ± 960 Jahren B . P . erbrachten (SKUPIN 1983: 48). l4
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Weitere Datierungen sind notwendig, auch im Hin blick auf die Frage, ob das Jungacheuleen eine reine Erscheinung des Saaleglaziales ist oder ob es ein Fort leben dieser Formengruppe in der frühen Weichsel kaltzeit gibt. 4.
Schriftenverzeichnis
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Manuskript eingegangen am 2 5 . 9- 1989-