Quaternary Science Journal - Das Paläolithikum von Ziegenhain und von Lenderscheid (Bez. Kassel)

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Das Paläolithikum von Ziegenhain und von Lenderscheid

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Das Paläolithikum von Ziegenhain und von Lenderscheid (Bez. Kassel) Von Rudolf G r a h m a n n , Bielefeld. Mit 1 Abb. A n g e r e g t durch die Ausstellung „Altsteinzeit Nordwestdeutschlands", die im S e p t e m b e r 1 9 3 8 in H a n n o v e r gezeigt w u r d e , gelang dem Fundpfleger L e h r e r A. LUTTROPP in Ziegenhain bereits wenige Monate später die Entdeckung von je einem F u n d p l a t z e paläolithischer G e r ä t e bei Ziegenhain u n d bei Lenderscheid, beide im Bezirk Kassel. Nach eifrigem S a m m e l n berichtete er unlängst k u r z da­ r ü b e r (LUTTROPP, 1 9 4 9 ) u n t e r Beigabe einer Reihe vorzüglicher Abbildungen nach eigenen Zeichnungen. Gleichzeitig gab auch Gisela F R E U N D eine kurze Beschrei­ b u n g der Fundstücke. In beiden Aufsätzen w u r d e die Frage der archäologischen wie der geologischen Einstufung nicht erörtert. Gelegentlich der im S e p t e m b e r 1 9 5 1 in Mainz stattfindenden T a g u n g der Deutschen Q u a r t ä r v e r e i n i g u n g legt H e r r LUTTROPP eine ansehnliche Reihe seiner Fundstücke vor. Ich e r k a n n t e d a r u n t e r u. a. sehr bezeichnende „Abschläge von Clactonart", Schildkerne der Levalloistechnik und entsprechende Abschläge v e r ­ schiedener Formen, auch Klingen, dazu eine Reihe Faustkeile. Das ließ in m i r den Wunsch reifen, weiteres F u n d g u t u n d die F u n d p l ä t z e selbst k e n n e n zu ler­ nen. Auf E i n l a d u n g von H e r r n LUTTROPP k a m ein Besuch am 2 0 . 1 0 . 1 9 5 1 zu­ stande. Zahl u n d A r t der Fundstücke sowie der Reichtum der Fundstelle bei Lenderscheid ü b e r t r a f e n weit meine E r w a r t u n g e n , sodaß es m i r geboten er­ scheint, ü b e r das V o r k o m m e n zu berichten, das weit m e h r als örtliche Bedeu­ t u n g hat u n d zu den wichtigsten Entdeckungen der letzten J a h r e auf dem G e ­ biete der Altsteinzeit Deutschlands zu zählen ist. H e r r n LUTTROPR h a b e ich für die Vorlage seiner Tausende von Werkstücken umfassenden Aufsammlungen u n d für die F ü h r u n g an die F u n d p l ä t z e aufrichtig zu danken. Das Fundgebiet liegt am S ü d e n d e der Kasseler Tertiärsenke, r u n d 7 5 k m südlich der größten A u s b r e i t u n g des nordischen Inlandeises, wohl der Rißzeit. Nordische Feuersteine fehlen hier also. Aber dem paläolithischen Menschen stan­ den in Bachgeröllen aus Lydit oder Hornstein, besonders jedoch in den S ü ß wasserquarziten, die den hier v e r b r e i t e t e n miozänen S a n d e n eingelagert sind, b r a u c h b a r e Werkstoffe für seine G e r ä t e zur Verfügung. Diese Quarzite sind v e r ­ schiedener Art, teils ziemlich grobkörnig, häufig a b e r auch feiner, schließlich auch, aus Schiuffbänken hervorgegangen, so dicht, daß mit bloßem Auge eine K ö r n u n g nicht m e h r w a h r g e n o m m e n w e r d e n k a n n u n d Chalzedonlagen entstehen. Die Quarzitlagen k ö n n e n m e h r e r e Meter mächtig sein. Sie bilden d a n n als H ä r t l i n g e die Gipfel kleiner busch- u n d b a u m b e s t a n d e n e r Hügel, an deren L e h ­ n e n sie bisweilen im Kleinbetrieb mit den S a n d e n a b g e b a u t werden. D a n n k a n n m a n feststellen, daß die Q u a r z i t b ä n k e mit einer bisweilen m e h r e r e Meter s t a r ­ k e n Verwitterungsdecke aus Quarzitbrocken bedeckt sind, zwischen die Flugsand u n d Lößstaub eingeweht ist. I n n e r h a l b dieses offenbar glazialen Gemenges lie­ gen viele künstliche Quarzitabschläge u n d echte Werkstücke. Die Hügel sind von einem Lößschleier eingemantelt, der so d ü n n ist, daß allenthalben die Quarzit­ brocken seines U n t e r g r u n d e s aus dem Boden „wachsen". Sie w e r d e n von den B a u e r n abgelesen und in das Gipfelwäldchen geschüttet. Diese Lesehaufen ent­ h a l t e n ebenfalls Abschläge, Werkstücke, auch K e r n e u n d Klopfsteine in Menge. Weitere können, besonders nach R e g e n w e t t e r oder Schneeschmelze aus den Äckern auf einer Fläche von r u n d 160 m mal 2 8 0 m ausgelesen werden.


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Der i m frischen Z u s t a n d e meistens hellgraue oder g r a u g r ü n e Quarzit b e ­ k o m m t bei der V e r w i t t e r u n g eine b r a u n e Rinde. Bisweilen auch ist er h e l l b r a u n getönt, die Rinde jedoch heller. Diese Unterschiede der P a t i n i e r u n g b e r u h e n wesentlich auf d e m verschiedenen geologischen Schicksal d e r Bruch- oder W e r k ­ stücke. I m Allgemeinen t r i t t B r ä u n u n g in s a u r e n Sicker- u n d G r u n d w ä s s e r n ein, Bleichung dagegen in alkalischen, auch beim Liegen a n der Oberfläche. Die weitaus meisten Werkstücke sind „Abschläge von Clactonart" (R. G R A H ­ 1938), meistens dick u n d länger als breit, m i t großer Schlagfläche u n d offe­ nem Schlagwinkel, nicht selten 120 bis 130°. Oft ist ein deutlicher Kegel sichtbar, m i t u n t e r sind es deren zwei oder drei, kurz, es sind alle M e r k m a l e vorhanden, die für die im Clacton übliche Schlagweise kennzeichnend sind. Es h a n d e l t sich also u m Erzeugnisse einer echten Amboßtechnik. A. LUTTROPP h a t m e h r e r e A m ­ boßsteine m i t s t a r k e n Schlagspuren gefunden u n d auch bereits e r w ä h n t . Manche dieser groben Abschläge zeigen Scharten oder einfachste Retusche u n d beweisen dadurch, d a ß sie als G e r ä t e benutzt worden sind. Dennoch braucht dies nicht zu bedeuten, daß hier „Clacton" v o r k ä m e , d e n n die Amboßtechnik ist s e h r lange a n g e w e n d e t worden, auch im Levallois, z. B. in M a r k k l e e b e r g (Riß) bei der e r ­ sten H e r r i c h t u n g d e r Rohsteine zu Kernen, wie ich schon früher e r w ä h n t h a b e (R. GRAHMANN, 1938). MANN,

Die Fundstellen bieten hierfür vorzügliche Beispiele. A u ß e r regelmäßigen r u n d e n Schildkernen d e r Levalloistechnik finden sich nämlich auch solche, die länglich sind u n d ein stumpfes Ende haben, das, obwohl retuschiert, doch d e u t ­ lich e r k e n n e n läßt, d a ß es sich ursprünglich u m die breite Basis eines Clactonabschlages gehandelt h a t (Abb. 1, ). Ein derartiges sonst wenig hergerichtetes Stück h a t A. LUTTROPP (1949) als „hufeisenartiges G e r ä t " gedeutet u n d abgebil­ det. M a n darf aus d e m V o r k o m m e n solcher Übergangsformen schließen, d a ß die Schildkerne meistens aus Clactonabschlägen hergestellt w u r d e n , d a ß also die im A m b o ß v e r f a h r e n hergestellten Abschläge hier gleiches Alter haben, wie die m i t Levalloismerkmalen. Dabei zeigen die meist grob u n d urtümlich w i r k e n d e n A m ­ boßabschläge häufig Eigentümlichkeiten, die auch sonst b e k a n n t sind, nämlich, daß die Basis nicht rechtwinklig zur Mittellinie liegt, sondern schräg (R. G R A H ­ MANN, 1938) oder d a ß eine Ecke des breiten Basisteiles schräg a b g e h a u e n ist (Abb. 1, '), w a s a n gleichartigen Stücken a n M a r k k l e e b e r g ebenfalls festzu­ stellen ist, übrigens auch in Clacton on Sea. 1

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Levalloisabschläge finden sich in reicher Fülle u n d in vielerlei Formen. Die kennzeichnenden Breitabschläge sind bis zu H a n d g r ö ß e v e r t r e t e n (Abb. 1,*), Klingen sind seltener, ihr B r e i t e n - u n d L ä n g e n v e r h ä l t n i s überschreitet nicht Abb. 1. Paläolithische Steingeräte von Lenderscheid und Ziegenhain (Hessen). V» nat. Gr.

1) Schildkern, der aus einem Amboßabschlag gewonnen wurde. Graubrauner Quarzit, stark patiniert, Lenderscheid. 2) Kleiner, herzförmiger Faustkeil, hellgrauer Quarzit, rotbraun patiniert, Lenderscheid. 3) Schaber aus schwarzem Kieselschiefer, Ziegenhain. 4) Breiter Schildkernabschlag, fazettierte Basis, brauner Quarzit, leicht patiniert, Lenderscheid. 5) Amboßabschlag, Schlagwinkel 125°, neben der Schlagfläche schräger Kantenab­ schlag, hellbrauner Quarzit, dunkelbraune Patina, Lenderscheid. 6) Hufkratzer, hellgrauer Quarzit, leicht patiniert, Lenderscheid. 7) Spitze v o n Abri-audi-Art, grauer Quarzit, leichte Patina, Lenderscheid. 8) Klinge m i t zweischneidiger Retusche, grauweißer Quarzit, ischwach patiniert, Lenderscheid. Die Abbildungen wurden v o n Herrn A. LUTTROPP in dankenswerter Weise nach eigenen Zeichnungen zur Verfügung gestellt.



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1 : 2,5, bei Längen bis zu 12 cm. Spitzen sind in verschiedenen F o r m e n vertreten, dabei selten die für das Levallois kennzeichnenden Dreieckspitzen, die R a u t e n u n d die ihnen n a h e s t e h e n d e n Fünfeckspitzen. Die A m b o ß - wie die Schildkernabschläge zeigen meistens keine oder n u r spärliche Retusche, wie das im Levallois üblich ist. Eine solche scheint sich mei­ stens u n t e r dem Einfluß von Acheul zu entwickeln. Das ist beispielsweise in d e m Clacton Südenglands, das dem m i t t l e r e n Interglazial angehört, gut zu verfolgen, ebenso im j ü n g e r e n Levallois Nordfrankreichs u n d Belgiens. Auch an u n s e r e n F u n d p l ä t z e n scheint ein solcher Einfluß bestanden zu haben. Darauf deutet be­ sonders eine Reihe von Faustkeilen (Doppelseiter). LUTTROPP (1949) bildet von ihnen zehn Stück ab, was a b e r eine Ü b e r b e w e r t u n g bedeutet, d e n n ihr Anteil am gesamten F u n d g u t e b e t r ä g t wohl r u n d ein Prozent (in M a r k k l e e b e r g 0,4°/o). Diese Doppelseiter sind fast durchweg breit u n d mittellang, selten mandelför­ mig, vielmehr meistens gestumpft dreieckig, h e r z - oder eiförmig (Abb. I , ) . I h r Querschnitt ist meistens symmetrisch, doch ist die Oberseite bisweilen etwas s t ä r k e r gewölbt. Solche F o r m e n finden sich in Nordfrankreich im J u n g a c h e u l u n d im Junglevallois des letzten Interglazials. An u n s e r e n F u n d p l ä t z e n sind die Doppelseiter aus natürlichen Quarzitbrocken u n d aus Amboßabschlägen meistens grob u n d wenig geschickt zugehauen worden, obwohl der Rohstoff, wie e t w a retuschierte Schaber zeigen, eine bessere B e a r b e i t u n g wohl gestattet h ä t t e . Auf Einfluß von Acheul sind anscheinend auch eine Anzahl sehr gut retuschierter G e r a d - u n d Bogenschaber von bisweilen stattlicher Größe, seltener auch Spitzen u n d K r a t z e r zurückzuführen. B e m e r k e n s w e r t ist eine gut retuschierte große Spitze mit beiderseitig eingekerbten Schneiden (wohl zum Festbinden a n einen Schaft). Eine ähnliche, jedoch kleinere Spitze ist aus dem Mesvinien - Levalloisien p r i m i t i v von Heiin in Belgien b e k a n n t u n d bei B R E U I L & KOSLOWSKI (1934) abgebildet. Ähnliche, jedoch a u ß e r der K e r b u n g keine Retusche zeigende Spitzen k o m m e n im Altlevallois von M a r k k l e e b e r g bei Leipzig vor. 2

Unser Überblick, d e r n u r auf das Wesentliche eingehen k a n n u n d einer ein­ gehenden B e a r b e i t u n g nicht vorgreifen soll, läßt zunächst erkennen, daß an den F u n d p l ä t z e n Ziegenhain u n d Lenderscheid unzweifelhaft ein echtes Levallois vorkommt. Dieses zeigt auf den ersten Blick überraschende A n k l ä n g e an das von Markkleeberg. Ob die besser retuschierten G e r ä t e u n d die Faustkeile einer besonderen Stufe angehören oder lediglich auf Acheuleinfluß beruhen, k a n n noch nicht bewiesen werden, doch halte ich das letztere wegen des geringen A n ­ teils von Faustkeilen und wegen i h r e r mangelhaften B e a r b e i t u n g für w a h r ­ scheinlicher. Mit diesem Befunde ist jedoch der Reichtum der F u n d p l ä t z e keineswegs er­ schöpft. Zunächst gibt es einige G e r ä t e t y p e n , die für das bisher e r w ä h n t e F u n d ­ gut fremd erscheinen, z. B. schlanke Doppelseiter, dabei einen von 9,5 cm L ä n g e u n d e t w a 1,5 cm Dicke, die weniger an Faustkeile als an rohstoffbedingt grobe Blattspitzen erinnern. M a n h a t den Eindruck, solche G e r ä t e seien j ü n g e r als das oben geschilderte Levallois. Daß unsere F u n d p l ä t z e s p ä t e r wieder von Menschen begangen w u r d e n , ergibt sich überdies aus dem V o r k o m m e n h e r v o r r a g e n d aus Lydit u n d Hornstein gearbeiteter Spitzen u n d Schaber (Abb. 1, ) verschiedener Art, die der Moustiergruppe zuzurechnen sind, sowie aus reich v e r t r e t e n e m J u n g p a l ä o l i t h i k u m , das w i e d e r u m quarzitisch ist. A. LUTTROPP hat eine Reihe der moustierartigen Stücke bereits abgebildet u n d auch das V o r k o m m e n von J u n g ­ paläolithikum bereits e r k a n n t . Sehr reich v e r t r e t e n sind S t i r n - und Hochkratzer verschiedener Art, sodaß m a n geneigt ist, den Fundstoff in das m i t t l e r e A u r i g n a c (im Sinne H. BREUIL'S) einzustufen. Doch w u r d e n als Seltenheit auch einige Cha3


Das Paläolithikum von Ziegenhain und von Lenderscheid

telperronspitzen festgestellt. A u ß e r d e m sind Klingen, Schrägendklingen wohl auch einige Stichel v e r t r e t e n (Abb. 1 , bis ) . 6

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Z u m Schluß m a g e r w ä h n t werden, daß auch aus Quarzit geschlagene K e r n ­ beile (Ertebölle) gesammelt w o r d e n sind. Frische Klingen u n d K l i n g e n k e r n e v e r r a t e n überdies neolithische Besuche. I m Ganzen ergibt sich für die F u n d p l ä t z e Ziegenhain u n d Lenderscheid fol­ gendes Bild: Der Reichtum an Quarzitbruchstücken auf den K u p p e n flacher H ü ­ gel in der Kasseler Senke, einem der wichtigsten Durchgangswege von Süd nach Nord, h a t den Menschen zu verschiedenen Zeiten eingeladen, hier seine G e r ä t e zu schlagen. M a n darf a n n e h m e n , daß die q u a r z i t g e k r ö n t e n Hügel als Blockhau­ fen besonders in der k a h l e n T u n d r a der Kaltzeiten die Blicke auf sich zogen, weniger im U r w a l d e einer Warmzeit. D a h e r die Besuche w ä h r e n d des W ü r m I durch Moustiermenschen (Neandertaler) u n d in der folgenden w ä r m e r e n Schwan­ k u n g oder zu Beginn des W ü r m II durch V e r t r e t e r der A u r i g n a c k u l t u r , w a h r ­ scheinlich Cro-magnon-Menschen. Ob aus d e m letzten Interglazial Werkstücke vorliegen, k a n n noch nicht sicher entschieden werden. Echte Doppelspitzen von W e i m a r e r A r t k ö n n t e n dafür sprechen, müssen es a b e r nicht; Blattspitzen gibt es gegen E n d e der letzten Warmzeit, aber ebenso im W ü r m II. Von Micoqueeinflüssen k o n n t e noch nichts festgestellt werden. Die F o r m der Faustkeile k ö n n t e auf Jungacheul oder eher Junglevallois hindeuten, die beide d e m letzten Interglazial angehören. Das Junglevallois Nordfrankreichs u n d Belgiens führt allerdings durch den Einfluß von Acheul eine größere Menge sauber retuschier­ ter Schaber u n d Spitzen, u n d auch seine Doppelseiter sind sorgfältiger geschla­ gen a l s unsere. So bliebe für unser Levallois vielleicht auch die Rißeiszeit. Die F u n d p l ä t z e w ü r d e n dadurch zeitlich dem frührißischen von M a r k k l e e b e r g n a h e rücken. Auf die enge Verwandschaft mancher Geräteformen mit solchen von M a r k k l e e b e r g w u r d e bereits hingewiesen, jedoch h a b e n die wenigen Doppel­ seiter von Markkleeberg, soweit sie sich e i n o r d n e n lassen, eher das G e p r ä g e des Mittelacheuls. Solche Doppelseiter, wie die von Ziegenhain und Lenderscheid, fehlen in M a r k k l e e b e r g gänzlich. So m u ß die g e n a u e Altersstellung unseres L e ­ vallois, Riß oder letzte Warmzeit, zunächst noch offen bleiben, auch w ä r e noch zu klären, ob auch ältere K u l t u r e n v e r t r e t e n sind, wie sehr tief patinierte Stücke v e r m u t e n lassen. K l a r h e i t ü b e r diese Frage, sowie auch sonst ü b e r die Z u o r d n u n g m a n c h e r G e ­ r ä t e w ü r d e sich wohl durch eine sorgfältige G r a b u n g e r b r i n g e n lassen, die, vom Gipfel des Lenderscheider Hügels ausgehend, einen breiten Schlitz durch die reichsten Lesefundstellen bis zur nächsten Talsohle (240 m) ziehen sollte. Dabei w ä r e auch die F r a g e zu klären, ob die L y d i t - u n d H o r n s t e i n g e r ä t e von Moustiera r t einer besonderen Schicht angehören, was zu v e r m u t e n ist. Die eingangs e r w ä h n t e Ausstellung in H a n n o v e r t r u g reiche Frucht: d e m L e h r e r A. LUTTROPP gelangen wirklich glückhafte F u n d e . Die F u n d p l ä t z e sind noch keineswegs erschöpfend ausgedeutet. Und sie w e r d e n nicht die einzigen i h r e r A r t sein. Überall, wo im Kasseler G r a b e n Quarzite anstehen, u n d beson­ ders auf den Gipfeln von Quarzithügeln sind solch alte W e r k p l ä t z e zu v e r m u t e n . Die Suche wird sich lohnen. Schriften-Nachweis. BREUIL & KOSLOWSKI: Etudes de stratigraphie paléolithique dans le Nord de la France, la Belgique et l'Angleterre. - Anthropologie 4 4 , S. 265. 1924. FREUND, Gisela: Zur Typologie der paläolithischen Funde von Ziegenhain. - Schriften zur Urgeschichte 2, Hessisches Landesmuseum Kassel. Marburg 1949. 4

Eiszeit und Gegenwart


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Rudolf Grahmann

GRAHMANN, Rudolf: Abschläge v o n Clactonienart in Mitteldeutschland. - Quartär 1 , 1 9 3 8 . — B e m e r k u n g e n über einige Arbeitsweisen bei der Herstellung v o n Feuersteinartifakten i m Altpaläolithikum. - Kultur und Rasse, 1 9 3 9 . — Markkleeberg und andere gleichartige altpaläolithische Fundplätze bei L e i p ­ zig. Geol.-archäolog. Monographie mit 1 3 1 Tafeln, im Druck. — Die geologisehe und archäologische Stellung des altpaläolithischen Fundplatzes Mark­ kleeberg bei Leipzig. - Eiszeitalter und Gegenwart 1, 1 9 5 1 . — Urgeschichte der Menschheit Stuttgart (W. Kohlhammer) 1 9 5 2 . LUTTROPP, A.: Paläolithische Funde in der Gegend von Ziegenhain. - Schriften zur U r ­ geschichte 2, Hessisches L a n d e s m u s e u m Kassel. Marburg 1 9 4 9 . Ms. eingeg.: 2 . 1 1 . 1 9 5 1 .

Zur Stratigraphie jungpaläolithischer Typen und Typengruppen Von K a r l J. N a r r , Bonn. Mit 3 Abb. Die hergebrachte Gliederung des J u n g p a l ä o l i t h i k u m s in Aurignacien, Solu­ t r é e n u n d Magdalénien w u r d e durch die Forschungen der letzten J a h r z e h n t e wesentlich modifiziert. Schon B R E U I L ( 1 9 1 2 ) e r k a n n t e , daß „ F r ü h " - u n d „Spätaurignacien" durch gewisse Erscheinungen m i t e i n a n d e r v e r k n ü p f t sind, die d e m „Mittelaurignacien" i m allgemeinen fehlen. Die Kluft zwischen „Mittel"- u n d „Spätaurignacien" w u r d e besonders von BAYER ( 1 9 2 8 ) betont, der für Ost- u n d Mitteleuropa s t a t t des letzteren von einem „Aggsbachien" sprach, welches zu ei­ n e r Zeit, in der in Westeuropa ein im Mittelaurignacien w u r z e l n d e s „ S p ä t a u r i g ­ nacien" weitergelebt h a b e n soll, bis an den Rhein v o r g e d r u n g e n w a r u n d sich erst s p ä t e r in F r a n k r e i c h geltend machte. A u ß e r d e m e r k a n n t e er, d a ß vom A u ­ rignacien noch das Olschewien als besondere Facies abzulösen ist (BAYER 1 9 2 9 ) . Diese Auffassungen w u r d e n von BAYER mit seinem b e k a n n t e n biglazialen S y ­ s t e m v e r k n ü p f t u n d verfielen mit diesem z u s a m m e n allgemeiner A b l e h n u n g . I n Frankreich b a u t e in n e u e r e r Zeit PEYRONY ( 1 9 3 3 ) den G e d a n k e n BREUIL'S aus u n d vereinigte das „ F r ü h " - u n d „Spätaurignacien" zu einem „Perigordien", das sich angeblich lückenlos in W e s t e u r o p a entwickelte, zwischen dessen älteres u n d j ü n ­ geres S t a d i u m sich jedoch auf weite Strecken das Aurignacien (in eingeengtem Sinn = „Mittelaurignacien" BREUIL'S) schob. GARROD ( 1 9 3 8 ) gelangte dagegen zu der Ansicht, daß das späte „Perigordien" a u ß e r h a l b Westeuropas e n t s t a n d e n sei. Sie unterschied ein Chatelperronien in W e s t e u r o p a ( = „ F r ü h a u r i g n a c i e n " BREUIL'S = „ F r ü h p e r i g o r d i e n " PEYRONY'S) ü b e r das sich das von Osten k o m m e n d e Aurignacien ( = „Mittelaurignacien" BREUIL'S) lagerte, das seinerseits von d e m G r a v e t t i e n ( = „Spätaurignacien" BREUIL'S = „Spätperigordien" PEYRONY'S = „Aggsbachien" BAYER'S) ebenfalls östlicher H e r k u n f t überschichtet w u r d e . Das Solutréen bildet ein d e r a r t kompliziertes P r o b l e m , daß hier nicht n ä h e r darauf eingegangen w e r d e n kann. Das Magdalénien w u r d e von BREUIL ( 1 9 1 2 ) in 6 S t a ­ dien aufgegliedert, von denen die drei ersten neuerdings nach i h r e m T y p e n i n ­ halt n e u erfaßt u n d als P r o t o - M a g d a l é n i e n abgesondert w u r d e n (CHEYNIER 1 9 5 1 ) . Durch die Auflösung von BREUIL'S „Aurignacien" ist natürlich auch der Streit u m dessen östliche oder westliche H e r k u n f t gegenstandslos geworden. Insbeson­ dere k a n n n u n m e h r die Tatsache, daß das „ F r ü h a u r i g n a c i e n " (im Sinne BREUIL'S) n u r in Westeuropa, das „Mittelaurignacien" in West-, Mittel- u n d dem w e s t ­ lichen Osteuropa, das „Spätaurignacien" sogar von Spanien bis Sibirien v e r b r e i ­ tet ist, nicht m e h r für eine Westherkunft des G e s a m t k o m p l e x e s ins Treffen ge­ führt werden. Wir k ö n n e n uns diesen glücklichen U m s t a n d aber bei der H e r a u s -


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