alles. - 9783765520099 - Brunnen

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Jennie Allen

alles. Wie ein kleines Gebet mein Leben radikal ver채nderte


Wirklich alles „Herr, wir wollen alles tun, was du willst. Wirklich alles.“ Mit diesem schlichten, aber radikalen Gebet auf den Lippen waren Zac und ich an einem ganz normalen Abend vor ungefähr zwei Jahren zu Bett gegangen. Erschöpft hatten wir an die Decke gestarrt und versucht, uns auszumalen, wie Gott wohl auf dieses Versprechen reagieren würde, doch es war uns nicht gelungen. Nachdem wir monatelang mit diesen Worten gerungen hatten, waren wir jetzt endlich so weit, sie auszusprechen. Uns war klar geworden, wie achtlos wir mit der kurzen Zeit, die wir auf dieser Erde verbringen, umgegangen waren. Ein Leben, das sich nur um ein gemütliches Haus, ein schönes Auto und originelle Weihnachtskarten drehte, genügte uns nicht mehr. Tief in unserem Inneren brannte nämlich eine Sehnsucht, die sich nicht länger unterdrücken ließ. Obwohl wir nicht einmal genau wussten, wonach wir uns eigentlich sehnten, waren wir an dem Punkt angelangt, an dem wir uns Gott restlos ausliefern wollten. Während Zac meine Hand nahm und diese entscheidenden Worte laut aussprach, betete ich im Stillen so aufrichtig mit, wie ich noch kaum ein Gebet gesprochen hatte: „Herr, wir wollen alles tun, was du willst. Wirklich alles.“ Es fühlte sich gar nicht so außergewöhnlich an, dabei hatten wir uns gerade dazu bereit erklärt, tausend Tode 82


zu sterben. Wir hatten uns Gott mit Haut und Haaren ausgeliefert. Bei dem Gedanken daran, was dies konkret bedeuten könnte, schlug mein Herz schneller … bis wir irgendwann schließlich einschliefen.

11. Tausend Probleme: Gott schafft sich Raum „Herr, wir wollen alles tun, was du willst. Wirklich alles.“ Eine ganze Woche lang sprachen wir jeden Abend dasselbe Gebet. Und jedes Mal legten wir Gott eine andere Sache zu Füßen. Als Erstes boten wir ihm unser Haus an: Wie kleine Kinder, die Monopoly spielen, hielten wir ihm unser rotes Plastikhäuschen hin und erkundigten uns, ob er daran interessiert sei. Gespannt warteten wir auf seine Antwort. Das Überwältigende war, dass wir Gottes Stimme deutlich hören konnten. Zac und ich spürten beide ganz genau, ob er Ja oder Nein sagte. Nachdem wir unser Zuhause vierundzwanzig Stunden lang auf den Altar gelegt hatten, waren wir davon überzeugt, dass wir es vorläufig noch behalten sollten. Wir hatten Gott angeboten, unser Haus zu verkaufen, weil es – finanziell gesehen – das Wertvollste war, das wir besaßen. Aber auch in anderer Hinsicht bedeutete es uns viel: Nach sechsmonatiger Bauzeit hatten wir uns hier endlich häuslich eingerichtet und zum allerersten Mal 83


meine heiß ersehnten Gardinen aufgehängt. Erstaunlicherweise war ich trotzdem innerhalb weniger Wochen bereit, mich von etwas zu trennen, an das ich jahrelang mein Herz gehängt hatte. Und der Gedanke, dass Gott dieses Opfer annehmen könnte, jagte mir nicht einmal Angst ein. Die Sehnsucht nach einem richtigen Zuhause, die mich so lange beherrscht hatte, war plötzlich kaum noch zu spüren. Gott hatte alles ins richtige Licht gerückt, und es war fast unglaublich, mit wie viel Begeisterung wir uns ausmalten, was Gott wohl mit dem Geld anfangen würde, das der Verkauf unseres Hauses erzielen könnte. Inzwischen ist uns jedoch klar geworden, weshalb Gott uns bisher vor diesem Schritt zurückgehalten hat. Er wusste nämlich, dass wir einen sicheren Stützpunkt brauchen würden, von dem aus wir all das in Angriff nehmen konnten, was er uns auftragen würde. Als wir am nächsten Abend erneut dieses Gebet sprachen, kam mir das zusätzliche Bett im Zimmer meines Sohnes in den Sinn. Darum fragten wir: „Herr, möchtest du, dass wir ein fremdes Kind aufnehmen?“ Wieder einmal konnten Zac und ich kaum fassen, wie lautstark und unmissverständlich sich unser unsichtbarer Herr zu Wort meldete. Denn wir waren uns beide plötzlich ganz sicher, dass er Ja sagte. Aber was genau sollten wir jetzt tun? Wollte Gott, dass wir ein Kind adoptierten oder dass wir ein Pflegekind aufnahmen? Diese Frage blieb vorläufig noch offen. In dieser Runde unseres Monopoly-Spiels gab Gott uns das rote Plastikhäuschen zurück und nahm stattdessen das leere Kinderbett. Zwar würde es noch ein Weilchen 84


dauern, bis dieses Bett einen neuen Besitzer haben würde, doch die Aussicht darauf beunruhigte mich mehr als die Vorstellung, unser Haus verkaufen zu müssen. Im Moment war unsere Familie ein eingespieltes Team, in dem jeder seinen festen Platz hatte. Wir waren einander alle sehr ähnlich – unsere Kinder waren flexibel, lebenslustig und unkompliziert. Dass in dieses harmonische Miteinander nun irgendein „Fremdkörper“ eindringen könnte, behagte mir gar nicht. Aber ich versuchte, dieses Gefühl zu unterdrücken, weil ich genau wusste, dass es nicht mehr an mir war, solche Entscheidungen zu fällen. In Zukunft würden wir keine Pro-und-Kontra-Listen mehr aufstellen, ich würde mich nicht mehr an meinem imaginären Wunschzettel für die Zukunft orientieren, und in Bezug auf unsere Familie würde die Vernunft nicht mehr das oberste Gebot sein. Unser Leben wurde jetzt ausschließlich von einem Gott gelenkt, dessen Handeln sich nicht in irgendeine Schublade einordnen ließ. An den darauffolgenden Abenden legten wir Gott immer mehr Dinge zu Füßen, die für uns sehr wichtig waren. Zum Beispiel unsere Gemeinde. Wollte er, dass Zac seine Gaben und Talente irgendwo anders einsetzte, oder war es womöglich an der Zeit, dass die Gemeinde einen neuen Leiter bekam? Als Nächstes boten wir Gott an, Amerika zu verlassen. Wir waren bereit, nach Übersee zu gehen, wenn wir ihn dadurch am meisten ehren konnten, solange wir auf dieser Erde waren. Wieder spürten wir jedoch, dass er sagte: Nein, noch nicht. Für manches, was wir ihm anboten, hatte Gott Verwendung, während er uns anderes bis auf Weiteres wie85


der zurückgab. Ohne uns sofort im Einzelnen zu verraten, was er vorhatte, machte er uns auf bestimmte Bereiche unseres Lebens aufmerksam, in denen er uns in den nächsten Jahren gebrauchen wollte. Auf unser unsichtbares Monopoly-Spiel bezogen, hieß das, dass Gott alle unsere Häuschen und Hotels genau begutachtete. Und obwohl er jedes einzelne für sich beanspruchte, wählte er nur einige wenige aus, die er gleich jetzt für seine Zwecke benutzen wollte.

Viele Sorgen Gott zu versprechen, dass wir alles tun würden, was er wollte, war erst der Anfang … der Anfang einer abenteuerlichen Reise in ein unbekanntes Land. Mir war klar, dass Gott unsere Lebensumstände verändern würde. Und dass er uns Stück für Stück auseinandernehmen und genau so gebrauchen würde, wie er es für richtig hielt. Allerdings hätte ich mir nie träumen lassen, wie rasch sich diese Entscheidung auf mein Inneres auswirken würde. So viele Jahre lang war ich von Angst, Unzufriedenheit und schlechtem Gewissen gequält worden. Und während wir nun im Bett lagen und immer mehr Bereiche unseres Lebens losließen, die uns vorher so wichtig erschienen waren, begannen alte Sünden und Fesseln von uns abzufallen. Gott veränderte mich. Alles veränderte sich plötzlich. A. W. Tozer hat behauptet, dass viele nebensächliche 86


Probleme schlagartig aus unserem Leben verschwinden werden, sobald wir Gott den Platz einräumen, der ihm gebührt.8 Jesus selbst hat es so ausgedrückt: „Sorgt euch vor allem um Gottes neue Welt, und lebt nach Gottes Willen! Dann wird er euch mit allem anderen versorgen“ (Matthäus 6,33). Bevor wir dieses radikale Gebet sprachen, war ich innerlich ziemlich verkorkst gewesen. Ich hatte in einer Sackgasse gesteckt, und jeder, den ich kannte, litt unter den gleichen Problemen. Weil ich mich so unbändig nach Veränderung und Heilung sehnte, verschlang ich Berge von christlicher Lebenshilfe-Literatur. Aber nachdem ich die darin enthaltenen Ratschläge befolgt hatte, ging es mir oft noch mieser als vorher. Wenn meine Kinder mir vor anderen Leuten eine freche Antwort gaben, reagierte ich aus lauter Verlegenheit viel heftiger, als es angebracht gewesen wäre. Wenn jemand warten musste, weil ich zu spät kam, schämte ich mich maßlos. Ständig plagten mich Sorgen um unsere Gemeinde und all die Leute, denen ich es unbedingt recht machen wollte. Und ich war oft niedergeschlagen, ohne zu wissen, weshalb. All diese Kämpfe waren deutliche Anhaltspunkte dafür, dass ich immer noch an einen Plastikgott glaubte. Im tiefsten Grunde meines Herzens zweifelte ich immer noch daran, dass Gott mich im Blick hatte. Und meine Einstellung bewies, dass mir mehr an diesem kurzen Leben auf der Erde lag als an dem zukünftigen, das niemals enden wird. Ich bemühte mich, alles richtig zu machen, und wollte jeder Anforderung gewachsen sein. 87


Dabei konnte ich beobachten, wie um mich herum Ehen zerbrachen und dadurch viel Groll und Bitterkeit entstand. Andere Leute aus unserem Bekanntenkreis kämpften jahrelang mit Depressionen. Manche von ihnen fühlten sich nicht einmal besonders deprimiert, sondern eher wie betäubt. Sie waren rastlos, unzufrieden und immer auf der Suche nach der nächsten Ablenkung. Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass meine inneren Nöte schlagartig auf einen Bruchteil ihrer vorherigen Größe zusammenschrumpfen würden, sobald ich mich Gott mit Haut und Haaren auslieferte, hätte ich diese Äußerung als einen Spruch abgetan wie: „Jesus ist die Lösung all deiner Probleme.“ Zwar hätte ich nicht widersprochen, aber schlicht und einfach nicht gewusst, was ich damit anfangen sollte. Mich dazu zu verpflichten, jeden Tag ausschließlich für Gott zu leben, stimmte damals absolut nicht mit meiner Vorstellung von wahrer Freiheit überein – eher mit dem Gegenteil. Welche Voraussetzungen sind also nötig, damit Gott uns wirklich verändern kann? * Vor Kurzem sind wir mit Freunden zu einem See gefahren und haben dort ein Boot gemietet. Ungefähr zwanzig Meter von einer Klippe entfernt, hielten wir an, und ich erklärte meinen beiden Ältesten, dass sie hinaufklettern und hinunterspringen dürften. Voller Begeisterung hüpf88


ten sie vom Boot aus ins Wasser, schwammen ans Ufer und stiegen auf den Felsen hinauf. Wir waren zu weit weg, um sie reden zu hören, und hätten sie nur durch lautes Rufen auf uns aufmerksam machen können. Daher konnte ich lediglich von Weitem beobachten, wie die beiden oben auf der Klippe saßen und miteinander beratschlagten, ob sie tatsächlich springen sollten oder nicht. An der Körperhaltung meines Sohnes ließ sich leicht ablesen, dass er der unsicherere der beiden war. Ich sah ein wenig hilflos zu und hoffte, dass sie sich trauen würden, denn es gab keinen besseren Weg nach unten. Was die beiden jetzt spürten, wusste ich – es war eine Mischung aus Adrenalin, Angst und Übelkeit. Und dieses Gefühl kann man nur überwinden, indem man springt oder auf allen vieren wieder nach unten krabbelt. Springen wir, oder wollen wir uns lieber auf allen vieren rückwärts bewegen? Solange wir unser Leben noch krampfhaft festhalten und darüber nachdenken, ob wir es Gott wirklich ausliefern sollen, haben die meisten von uns dasselbe Gefühl wie meine Kinder dort auf der Klippe. Es kommt uns so vor, als ob wir sterben müssten, falls wir tatsächlich den Schritt ins Leere wagen. Doch als ich mich Gott voll und ganz anvertraute, brachte mir genau das die Freiheit, von dem ich meinte, dass es meine Flügel endgültig stutzen würde. Zwar hat es sich angefühlt wie Sterben, und das tut es immer noch, aber dieser Schmerz ist der Schlüssel, der die Tür zur Freiheit aufschließt. Und auf der anderen Seite ist Freiheit, Frieden, Freude, Hoffnung und der Verzicht 89


darauf, alles unter Kontrolle zu haben. Für dieses Leben bin ich geschaffen worden. Letzten Endes sind meine Kinder gesprungen – und dann wieder und wieder und wieder. Sie konnten gar nicht mehr damit aufhören, sodass wir schließlich zu ihnen hinüberrudern und sie ins Boot holen mussten, bevor es dunkel wurde. Nicht auszudenken, dass sie dieses Vergnügen um ein Haar verpasst hätten! Wir müssen unsere Zweifel und Ängste überwinden und Gott vertrauen, weil er vertrauenswürdig ist. Er weiß, wie sich aus unserem Leben das Allerbeste machen lässt. Und je öfter wir springen und dabei merken, dass Gott immer greifbarer in unsere Nähe rückt, desto kleiner wird unsere Angst – und desto höher die nächste Klippe. * Ich liebe diesen Bibelvers: „Wer (mit Christus) gestorben ist, kann nicht mehr beherrscht werden – auch nicht von der Sünde“ (Römer 6,7). Es ist befreiend, wenn wir das Leben samt unseren Rechten und Erwartungen loslassen. Als Jesus auf dieser Erde lebte, hat er einige Dinge gesagt, die ich nie wirklich ernst genommen habe. Sie klingen in unseren Ohren ziemlich sonderbar und altmodisch: „Glücklich sind, die erkennen, wie arm sie vor Gott sind. Glücklich sind die Trauernden. Glücklich sind, die verfolgt werden. Glücklich könnt ihr sein, wenn ihr verachtet, verfolgt und verleumdet werdet, weil ihr mir nachfolgt“ (Matthäus 5,3+4.10+11). 90


Warum können wir unter solchen Umständen glücklich sein und uns freuen? Weil uns im Himmel eine große Belohnung erwartet, wenn wir in diesem Leben leiden müssen und um Jesu willen Opfer bringen. Durch das Leiden werden wir auf die Ewigkeit vorbereitet. Allerdings habe ich das früher nie so gesehen. Ich habe versucht, jeden Schmerz, der mich quälte, mithilfe eines Seelsorgers oder einer guten Tasse Kaffee aus der Welt zu schaffen. Und obwohl weder an der einen noch an der anderen Methode irgendetwas auszusetzen ist, haben sie doch nie bis ins Letzte funktioniert. Denn der Schmerz ist geblieben. Niemand hat mir gesagt, dass es ganz normal ist, dass wir leiden. Wir befinden uns nämlich in einem geistlichen Kampf, und kein Soldat würde damit rechnen, dass es im Krieg bequem und gemütlich zugeht. Während all der Jahre, die ich in meinem christlichen Elternhaus und in der Gemeinde verbracht habe, ist es mir gelungen, jeder Herausforderung auszuweichen, die auch nur im Entferntesten nach radikaler Nachfolge roch. Lass dich nicht länger von deinen ichbezogenen Wünschen beherrschen. Liefere dich Gott restlos aus. Gib ihm alles, was du hast. Solche Aufforderungen waren für besonders gefühlsbetonte Momente auf Jugendfreizeiten reserviert. Vielleicht richteten sie sich auch an Missionare, aber mit meinem täglichen Leben hatten sie absolut nichts zu tun. Jeden Tag Jesus Christus nachzufolgen, in dem ich mein Kreuz auf mich nahm und Schritt für Schritt hinter ihm herging, war in meinen Augen viel zu drastisch und mit unnötigen Kosten verbunden. 91


Ich würde lernen müssen, mir auf die Lippe zu beißen, wenn ich mich bei einem Streit mit Zac im Recht fühlte. Oder lernen, mich um Versöhnung zu bemühen, anstatt die beleidigte Leberwurst zu spielen. Dem Auto, das nach mir aufgekreuzt war, die Parklücke zu überlassen, ohne auf mein Recht zu pochen. Zum hundertsten Mal einen Korb Wäsche zu falten und in den Schrank zu räumen. Es sollte sich nämlich herausstellen, dass die Hingabe im Alltag noch schwieriger war als ein besonders kühner Gehorsamsschritt. Deshalb musste ich mich noch stärker auf Gott verlassen als vorher. Aber kaum hatte ich mich an ihn gelehnt, da griff er mir auch schon unter die Arme. Und es half, wenn ich mir den Himmel vor Augen malte. Sobald ich daran dachte, dass Gott mich sieht, musste ich nicht mehr unbedingt recht behalten. Ich war bereit, anderen zu vergeben, weil ich mich an seine überwältigende Liebe und an das Kreuz erinnerte. Und in Anbetracht der Tatsache, dass der Himmel praktisch vor der Tür steht, sollte ich mich wohl schleunigst um die Wäsche und noch ein paar andere Dinge kümmern. Schließlich wollte ich genug Zeit für all das haben, was Gott außerdem noch mit mir bezweckte. Und während ich Tag für Tag lauter kleine Tode starb und Gott immer besser kennenlernte, konnte ich spüren, wie sich das Durcheinander in meinem Innern immer mehr entwirrte. Allerdings sollten mir die radikalen, kühnen Schritte trotzdem nicht erspart bleiben …

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