Gott nahe zu sein ist mein Glück - 9783765542022 - Brunnen

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Christoph Morgner (Hrsg.)

Gott nahe zu sein ist mein Gl端ck

Das Lesebuch zur Jahreslosung 2014


Tabea Dölker

Kein Sechser im Lotto „Ich will dir mehr Gutes tun als je zuvor. Ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin“ (Hesekiel 36,11). Am Anfang des Jahres finde ich dieses Kärtchen auf dem Teller bei einem Frühstückstreffen für Frauen. Danke, wie schön! Das hört sich an, wie ein Joker, wie ein Sechser im Lotto. Aber mir geht es gerade so gut. Alle sind gesund. Wir sind ein Ehepaar, das schon manches miteinander durchgestanden hat und interessante Perspektiven vor sich sieht. Die Kinder sind wohlauf, jeder kennt seine Aufgaben. Schön, wenn alles glattläuft, man sich keine besonderen Sorgen machen muss. Trotzdem: Dieser Vers aus dem Buch des Hesekiel, der mir wie ein Joker vorkommt, beschäftigt mich. Abergläubisch will ich ganz gewiss nicht sein. Wer weiß, was dieses Wort soll? Mit einem Klebestreifen hefte ich ihn auf Augenhöhe an den Schrank in meinem Arbeitszimmer. Irgendwie bin ich gespannt, was denn noch Besseres kommen könnte. August. Urlaubszeit. Nach vielen anstrengenden Wochen endlich keinem Terminkalender mehr folgen müssen. Wir unternehmen eine Fahrradtour. Am Morgen, bevor sich die Hitze des Tages ausgebreitet hat, genießen wir die kleinen Blumen auf den Feldwegen und den Duft der Getreidefelder. An der Kreuzung im nächsten Ort halten wir an, um den Verkehr abzuwarten. Zeitlupe. Von rechts kommt ein graues Auto, biegt in unsere Richtung ab und fährt direkt auf meinen Mann zu. 38


Von der Motorhaube wird er hochgeschleudert, zerschlägt mit dem Kopf die Windschutzscheibe und fällt, einer willenlosen Schaufensterpuppe gleich, mit dem Rücken auf die Bordsteinkante. So etwas liest man in Unfallberichten. So etwas passiert im Das passiert im Film – aber doch nicht Film – aber doch bei uns im echten Leben. Was soll ich nicht im echten jetzt zu tun? Wie kann ich helfen? Wer Leben! hilft uns? So langsam steigt die Zuschauerzahl. Meine dringlichen Bitten, den Rettungsdienst zu verständigen, scheint niemand zu begreifen. Wie kann ich meinen schwer verletzten, bewusstlosen Mann richtig lagern? Keiner hilft. Hat seine Wirbelsäule beim Aufprall auf der Bordsteinkante etwas abgekriegt? Wie sieht es mit Schädelverletzungen aus, was ist mit der Wirbelsäule? Er wird blau, jeansblau, zuerst im Gesicht. Ich ahne, dass wir uns tatsächlich in einer Grenzsituation befinden, und fange an, mit Gott, unserm himmlischen Vater, zu diskutieren: Das kannst du doch nicht ernst meinen. Vor Kurzem sind zwei junge Männer in unserer Gemeinde ums Leben gekommen. Nein, ich will nicht in der Reihe der Witwen stehen. Etwas, das nicht mit Händen zu greifen ist, hüllt uns ein – inmitten der umstehenden Menschen auf dem harten Straßenboden. Eine türkische Frau bringt ein Kissen. Um uns herum spüre ich etwas wie ein Zelt. Gottes Zelt. Kein Mensch kann es sehen und trotzdem werden wir geschützt von einer guten Macht, die ihre liebevolle Hand über uns hält. Und obwohl Fragen über Fragen offenstehen, empfinde ich die Geborgenheit und die Zuversicht dieses Schutz39


mantels um uns. – Wie kann man beschreiben, was kein Mensch versteht? Eine andere Wirklichkeit, mitten in diesem Sommertag! Das kann man niemandem erklären, jeder wird denken, die spinnt. Plötzlich würgt mein Mann. Die Bläue schwindet langsam. Nach einer scheinbaren Ewigkeit höre ich die Sirenen des Rettungswagens. Eine Frau im Nachbarhaus hat mich schreien gehört und einen Notruf abgesetzt. Die Bergung kann ich nur mit inbrünstigem innerem Gebet um Bewahrung begleiten. Im Krankenhaus bestätigt sich später der Verdacht auf schwere Kopfverletzungen und Brüche. Wird alles wieder heilen? Werden Folgeschäden zurückbleiben? Wie wird dies alles weitergehen? Fragen, Fragen – und trotzdem bleibt das Wissen um dieses Zelt, um diese schützende Hand. „In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“, so singen wir im Loblied auf Gott, den mächtigen König. Welch ein undenkbar großes Geschenk: Gott ist ganz nahe, er hat seine schützenden Flügel wie ein Zelt über meinen schwerstverletzten Mann ausgebreitet. Wir Menschen sind unvollkommen in unserem Tun und Lassen. Auch deshalb gibt er uns unter dem Schatten seiner Flügel Zuflucht, Schutz und Ruhe im Auge des wirbelnden Sturms. Gott sei Dank! Einige Jahre sind vergangen. Seine Kopfverletzungen, Wunden und Brüche sind überraschend schnell verheilt. Spätfolgen sind nahezu ausgeblieben. Unsere Beziehung ist noch tiefer verwurzelt und unsere Familie noch enger zusammengewachsen. „Ich will dir mehr Gutes tun als je zuvor. Ihr sollt erfah40


ren, dass ich der Herr bin.“ Kein Joker, kein Sechser im Lotto, sondern Wirklichkeit: Gott nahe zu sein ist unser Glück. Seine Güte und seine barmherzige, gnädige Hand erhalten unser Leben, unseren Glauben und unsere Beziehungen. Tabea Dölker ist Pädagogin, Referentin und Mitglied im Rat der EKD.

Astrid Eichler

Glück gibt es nicht auf Abstand Ein Vers aus Psalm 73 – und ich denke sofort an die unglücklichsten Zeiten meines Lebens. Damals war mir dieser Psalm eine große Hilfe und eine noch größere Herausforderung. Es ist das Gebet eines Menschen, der sein Leben als Unglück erlebt: „… war ich alle Tage geplagt und wurde jeden Morgen gezüchtigt. Mein Herz war verbittert, mir bohrte der Schmerz in den Nieren“ (Verse 14 und 21, Lutherübersetzung). Ja, das kannte ich! Als junge Pfarrerin in einer Gemeinde, die froh war, wieder einen Pfarrer zu haben, damit sie wissen, wohin sie sich wenden können, wenn jemand gestorben ist. Sechs kleine Dorfkirchen mit großen Bauaufgaben. Gottesdienste, zu denen drei bis fünf Personen kamen und manchmal auch gar keiner. Ein altes Pfarrhaus, das für mich kein Zuhause 41


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