Samantha Koch (Hrsg.)
Ich bin am
besten wie ich bin
Ein erneuter Angriff auf den weiblichen Optimierungswahn
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Entscheiden oder Leiden. Vom Glück, immer eine Wahl zu haben Antje Balters Ich hab‘s gerne übersichtlich. Eine zu große Auswahl zu haben macht mich nervös, und vor allem kostet es mich unendlich viel Kraft und Zeit. Ich finde es schrecklich, in solche „Auswahlsituationen“ zu geraten. Wenn ich beispielsweise mit Leuten zum ItalienerGriechen-Inder ihres Vertrauens gehe, der 271 Gerichte auf der Karte hat, dann sind längst alle fertig mit dem Essen und wischen sich den Mund ab, während ich immer noch nicht weiß, ob ich lieber Lasagne oder Chicken-Curry essen soll, und schon ganz stolz bin, dass ich zumindest den Rest des Angebotes bereits verworfen habe. Auch immer wieder ein unlösbares Problem sind Prospekte großer Bekleidungshäuser, in denen es einen Pulli in fünf unterschiedlichen Varianten und acht Farben gibt: V-Ausschnitt, Rundhals, Rollkragen, UBoot-Ausschnitt, Schalkragen (die acht Farben erspare ich Ihnen). Schon allein bei dem Anblick kapituliere ich. In Bezug auf Bekleidung weiß ich mir mittlerweile ganz gut zu helfen. Zum Klamottenkaufen gehe ich nicht in die großen Kaufhäuser, in denen alle angesagten und weniger angesagten Modelabels ihre eigene
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Ecke haben, sondern ich habe ein kleines Geschäft in der Kleinstadt in der Nähe entdeckt – zufällig, weil es neben der Praxis des Zahnarztes meines Vertrauens ist –, wo ich nicht zwischen 79 Hosen wählen muss, sondern nur zwischen drei infrage kommenden Modellen. Und die – oh Wunder – passen alle drei so gut, dass ich nicht einmal vor der Entscheidung stehe, ob sie nicht doch einen Tick zu groß bzw. zu klein ist. Wegen meines Entscheidungsproblems kaufe ich auch immer die gleichen Nudeln im Supermarkt, obwohl es vielleicht bessere oder günstigere gäbe ... aber dann müsste ich die 50 Sorten vergleichen, und das kostet mich einfach zu viel Zeit und zu viele Nerven. Ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die sich Matratzen zum Probeschlafen nach Hause bringen lassen – obwohl das vielleicht vernünftig wäre bei einer so großen Anschaffung –, aber es ist mir einfach zu aufwendig! Und wenn ich die eine Matratze nach einer Woche Probeliegen vielleicht für nicht passend befinde, muss ich vielleicht auch noch eine zweite, dritte oder vierte probeliegen – und schon allein bei dem Gedanken an ein solches Unterfangen befällt mich eine bleierne Müdigkeit. Sie merken, worauf ich hinauswill. Es gibt aber auch noch eine andere Art von Entscheidungen, die ich sehr viel schwieriger finde – Entscheidungen, die mich und mein Leben betreffen und sich deshalb auch viel unmittelbarer auf meine Lebensqualität und –freude auswirken als diese rein „materiellen“ Dinge. Einige Beispiele:
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Ich habe eine Maximalanzahl von Veranstaltungen als Referentin, die ich pro Jahr annehme. Normalerweise gehe ich bei der Annahme solcher Termine rein chronologisch vor. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Irgendwann ist die letzte Veranstaltung gebucht und zugesagt, und drei Tage später kommt eine Anfrage, die für mich sehr verlockend ist: nette Ausrichter, viele Besucher, angenehme Koordinatoren und auch noch gutes Honorar. Soll ich noch Ja sagen oder nicht? Es ist eine Veranstaltung, die erst in etwas über einem Jahr im Herbst stattfinden soll. Jetzt ist es Sommer, ich bin gut erholt und ausgeruht und habe das Gefühl, viel Kraft zu haben. Aus Erfahrung weiß ich aber, dass nach einer Reihe von Terminen meine Kraft nachlässt und ich aufpassen muss, mich nicht selbst zu überfordern – was machen? Das ist für mich eine schwierige Entscheidung. Ein weiteres Beispiel: Tante Irmchen möchte uns besuchen. Tante Irmchen geht es nicht so gut. Sie hat eine längere Krankheit hinter sich und ist ein bisschen depressiv, sie ist sehr auf Ordnung und Sauberkeit bedacht und sagt gerne (auch ungefragt) ihre Meinung über alles und jeden. Tante Irmchen lebt allein und klagt über Einsamkeit. Ich möchte Tante Irmchen nicht zu Besuch haben – gerne mal für ein Wochenende, aber nicht für zwei Wochen. Ich würde mich verpflichtet fühlen, sie zu unterhalten, jeden Tag lecker zu kochen, ständig zu putzen und aufzuräumen und ihr als Seelentrösterin zur Verfügung zu stehen und auch für Besuch in unserem Haus zu sorgen. Dazu habe ich aber weder Zeit noch Kraft noch Lust.
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Aber ist meine Lust wirklich eine ausreichende Begründung, ihr abzusagen? Sollen wir nicht nett sein zu Senioren (schließlich werde ich auch in absehbarer Zeit eine solche sein, und nach Meinung meiner Kinder ist die verbleibende Zeitspanne gleich null)? Ist es da nicht mangelnde Nächstenliebe, wenn ich Tante Irmchen absage? Bin ich nicht eine Egoistin, wenn ich auf meine Kräfte und meine Arbeit verweise? Was ist, wenn Tante Irmchen in der Familie rumerzählt, dass ich sie nicht haben will, wo sie doch alt und krank ist und sich früher immer so rührend um mich gekümmert hat ... Ich weiß nicht, was ich Tante Irmchen auf ihre Anfrage antworten soll, und habe das Gefühl, die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben. Entweder Tante Irmchen denkt schlecht über mich (und sagt schlimmstenfalls auch noch weiter, was sie denkt), oder ich stelle mir selbst ein Bein, indem ich mich mit etwas überfordere, was ich zusätzlich zu meinen anderen mannigfaltigen Aufgaben einfach nicht bewältigen kann. Ich habe die Wahl – na toll! Es gibt solche Entscheidungen auch in Bezug auf unsere Gesundheit: Soll ich mir ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen und Schmerzen sowie eine lange Genesungszeit in Kauf nehmen? Ohne Garantie, dass ich hinterher wieder herumspringen kann wie ein junges Reh? Oder geht es auch noch eine Weile so, mit Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Angewiesensein auf Schmerzmedikamente? Wieder die Wahl zwischen Pest oder Cholera: entweder Schmerzen, lange Zeit der Genesung, eventuelle
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Komplikationen oder weiter mit den Schmerzen leben – auch ganz toll. Oder noch eine nicht selten vorkommende Situation: Die Eltern werden gebrechlich und können nicht mehr allein leben. Ich weiß, dass es die eigene Familie belasten wird, wenn sie zu uns ziehen – aber kann man so etwas wirklich aussprechen? Soll man nicht Vater und Mutter (und auch Schwiegervater und Schwiegermutter) ehren? Haben sie nicht ein Recht auf unsere Versorgung? Wenn ich Nein sage zu dem Plan, bin ich die böse, hartherzige Tochter/Schwiegertochter, sage ich Ja, setze ich meine Ehe und den Familienfrieden aufs Spiel. Ähnlich kann es auch sein, wenn erwachsene Kinder, die schon auf eigenen Füßen gestanden haben, wieder „zu Hause“ einziehen wollen, statt sich ein eigenes Zuhause einzurichten. Oder noch ein Beispiel aus dem Beruf: Soll ich es weiter mit einem cholerischen Chef aushalten, der zwar ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen führt, seine Angestellten aber wie inkompetente Leibeigene behandelt? Oder soll ich es lieber wagen, zu kündigen und mich selbstständig zu machen, auch auf die Gefahr hin, auf dem Bauch zu landen? Solche Entscheidungen will ich gar nicht treffen. Und eine Wahl zwischen Pest und Cholera ist keine echte Wahl. Am Ende stehe ich immer dumm da und bin die Gelackmeierte. Dagegen ist die Pullinummer aus dem Versandhauskatalog doch eine Kleinigkeit und die Auswahl von der zu umfangreichen Speisekarte eine Lachnummer.
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Die vermeintlich einfachste Lösung in solchen Situationen ist es, das Problem einfach auszusitzen. Ich stelle mich tot und warte einfach ab. Bei den Hüftgelenken mag das ja vielleicht noch funktionieren – irgendwann werden die Schmerzen so unerträglich, dass ich einwillige. Im Fall von Tante Irmchen merkt sie ja vielleicht selbst, dass ihre Besuchs idee für uns weniger prickelnd ist als für sie. Vielleicht findet sich auch andere Verwandtschaft, bei der sie bleiben und ein bisschen Abwechslung finden kann ... vielleicht. Aber bis dahin bin ich ständig in einem angespannten Schwebezustand. Was, wenn sie anruft und nachfragt? Was, wenn sie anderen Verwandten erzählt, wie hartherzig und egoistisch ich bin? Was ist, wenn den gebrechlichen Eltern bzw. Schwiegereltern allein zu Hause etwas passiert? Und auch hier das schlechte Gewissen. Sie haben uns doch auch großgezogen – dürfen wir da jetzt Nein sagen? Und man kann doch eigentlich den eigenen Kindern nicht das Elternhaus verweigern – oder? Es ist eine innere Dauerbeschallung mit Argumenten und Gegenargumenten, die einem die gesamte Kraft nehmen kann. Okay – also Aussitzen klappt nicht so gut. Sicher, ich kann mich dabei ganz gut als Opfer darstellen (andere oder das „Schicksal“ haben mich in diese Situation gebracht, da kann doch keiner verlangen, dass ich mich entscheide, ich habe ja schließlich nicht Schuld an der Situation), und in dieser Opferrolle kann ich auch ziemlich lange verharren. Viele Frauen, die ich kenne, tun dies, bis entweder ihre Gesundheit oder ihre Fami-
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liensituation sie zwingt, sich zu bewegen und zu entscheiden. Aber mit aktivem, selbst gestaltetem Leben und innerer Freiheit hat das wenig zu tun. Und für mein Empfinden hat es auch wenig mit Nächstenliebe zu tun, weil diese Haltung auch fast immer etwas Vorwurfsvolles hat: Die anderen haben Schuld an meiner Misere. Ich kann doch gar nichts machen, bin Opfer der Umstände! Also Aussitzen klappt nicht. Was dann? Natürlich: Ich kann mir Ratgeber suchen – das ist doch immer eine gute Option. Dann suche ich mir eine Vertrauensperson, meine beste Freundin zum Beispiel, die weiß, wie ich ticke, und wird mir schon sagen können, was ich tun soll. Das ist ein naheliegender Ausweg, aber auch der hat seine Tücken, denn die Freundin ist eben nicht ich. Sie kennt mich zwar, aber ich merke fast immer, wenn ich jemanden um Rat frage, dass er/sie letztlich aus der eigenen und nicht meiner Situation heraus argumentiert. Ratgeber reden in der Regel über sich selbst – und das ist auch völlig normal. Sicher, Ratgeber sind oft eine Hilfe, können uns vielleicht neue Impulse geben, unseren Blick schärfen für bisher nicht Bedachtes – aber eine Garantie für eine „richtige“ Entscheidung können sie nicht sein. Also die Sache mit den Ratgebern ist vielleicht eine Hilfestellung, aber nicht der Weisheit letzter Schluss. Was nun? Vielleicht ist das Allerwichtigste bei solchen Entscheidungen, sich bewusst zu machen, dass ich immer eine
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Wahl habe. Ich bin nie nur Opfer. Ich darf entscheiden, und es ist ganz normal und auch völlig in Ordnung, Entscheidungen zu treffen, die sich später als „falsch“ erweisen. Und noch normaler ist es, dass meine Entscheidungen nicht jedem recht sind. In manchen Situationen gibt es keine „richtige“ Entscheidung, sondern einfach nur eine Entscheidung. Unsere eineiigen Zwillingsmädchen sind gerade 18 geworden – jetzt können sie eeeendlich Piercings und Tattoos an sich anbringen lassen, weil sie unsere Erlaubnis nicht mehr brauchen (die sie nicht bekommen haben, weil mein Mann und ich nicht so auf Körperschmuck stehen und weil die Folgen irreversibel sind). Für Li, die ältere, war es die richtige Entscheidung, ohne Körperschmuck zu bleiben, für Lo, die jüngere, ging der Weg schnurstracks ins nächste Piercing-Studio – für sie auch die richtige Entscheidung. Und wer weiß, ob die beiden in zehn Jahren noch genauso entscheiden würden. Vielleicht wäre es dann genau andersherum, nur dass die Sache der Umentscheidung für Lo dann sehr viel aufwendiger wäre als für Li. Die Entscheidung von heute kann sich also durchaus morgen schon als problematisch oder falsch erweisen. Das bedeutet letztlich auch, dass es wirklich nichts bringt, Entscheidungen nicht zu treffen, weil man die falsche treffen könnte. Das Leben ist dynamisch und nicht statisch – und deshalb sind auch Entscheidungen nichts, was immer gleich bleibt. Sicher ist nur, dass nichts sicher ist und immer gleich bleibt, außer Gott – das ist schon mal gut zu wissen.
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Aber was tun, wenn das Leben schwer wird, weil schwere Entscheidungen anstehen? Meiner Erfahrung nach gibt es einen wichtigen Grundsatz in solchen Situationen: Es ist besser, eine „falsche“ Entscheidung zu treffen als gar keine. In einem unbefriedigenden „Schwebezustand“ zu bleiben, immer wieder alle Optionen gegeneinander abzuwägen, das kostet Kraft und lähmt letztlich, sodass man sich nur noch als Opfer der Umstände empfindet, auch wenn das de facto vielleicht gar nicht der Fall ist. Und noch etwas ist mir wichtig geworden: Man hat immer die Möglichkeit, sich zumindest dafür zu entscheiden, die unbefriedigende Situation anders anzuschauen. Ich kann sagen: „Meine Arbeitssituation ist stressig, weil mein Chef ein Despot ist und ich unterfordert bin, ich gleichzeitig aber viel zu viel Verantwortung übernehmen muss. Ich bin das Opfer meiner Arbeitssituation.“ Ich kann aber auch sagen: „Ich brauche diesen Job. Er stellt mich nicht zufrieden, aber ich werde den Job nicht mehr als mein Leben, sondern nur noch als Broterwerb betrachten und nicht mehr den Anspruch haben, dass er mir Befriedigung verschaffen muss. Gleichzeitig halte ich Ausschau nach einer neuen Stelle und baue die Bereiche in meinem Leben aus, die mir Befriedigung bringen.“ An der Situation hat sich zwar nichts geändert, aber dafür die Art, wie ich sie anschaue und darüber denke – und das kann sehr viel Stress aus dem Ganzen nehmen. Ich reagiere nicht mehr nur, sondern ich agiere, indem ich die Entscheidung treffe, die Sache anders anzuschauen.
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Wenn man so vorgehen möchte, ist es gut, sich in Entscheidungssituationen immer wieder die Frage zu stellen, was eigentlich mein Ziel ist, und zwar sowohl das unmittelbare Ziel in der Situation als auch das langfristigere für mein Leben. Wenn Tante Irmchen fragt, ob sie zu Besuch kommen kann, ich aber gerade dabei bin, einzuüben, nicht immer Ja zu sagen und mein Leben von anderen okkupieren zu lassen, dann ist es gut, Tante Irmchen abzusagen – auch wenn sie dann vielleicht beleidigt ist und die Folgen dieses Zustandes auf meine gesamte Familie in Form von Sippenhaft niedergehen Wenn es dagegen mein Ziel ist, aus meinem Schneckenhaus herauszukommen, mehr Kontakte zu haben und wieder aktiver in meinem Umfeld engagiert zu sein, kann auch die Entscheidung richtig sein, Tante Irmchen herzlich willkommen zu heißen, auch wenn meine Lust darauf nicht bei 150 Prozent liegt. Und bei dieser Entscheidung muss Tante Irmchen auch damit leben, dass sie nicht 24 Stunden am Tag bespaßt wird, sondern sich auch mal allein auf einen Spaziergang oder einen Stadtbummel begeben muss. Wenn ich auf diese Weise mein Leben anschaue, nicht als Zwangsjacke, sondern als Markt der Möglichkeiten, dann bin ich kein Opfer mehr, sondern Gestalterin – allerdings um den Preis, dass auch ich allein die Verantwortung für meine Entscheidungen trage. Wenn damals die Menschen zu Jesus kamen und Hilfe und Heilung bei ihm suchten, hat er oft gefragt: „Was willst du, das ich tue?“ Er hat nicht einfach einen „Man-
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gel“ behoben, sondern die Menschen aufgefordert, sich selbst anzuschauen und sich zu fragen, was ihnen wirklich wichtig ist. Und der reiche Jüngling war eben einfach nicht bereit, den materiellen Überfluss aufzugeben, um eine geistliche und seelische Fülle zu erleben. Und der Blinde, der wieder sehen wollte, musste sich überlegen, ob er wirklich sehen wollte – auch das Schlimme, was niemand gern sieht. Und der Gelähmte am Teich Bethesda musste sich überlegen, ob er wirklich Verantwortung für sein Leben übernehmen und sich selbst in Bewegung setzen wollte. Die Frage ist, ob wir wirklich aus der passiven Opferhaltung herauswollen und stattdessen hinein in die aktive, dynamischere, aber auch riskantere Gestalterrolle. Wir dürfen uns sowohl für das eine als auch für das andere entscheiden. Ich habe es gern übersichtlich – aber das Leben ist (leider) nicht übersichtlich, berechenbar und geradlinig. Es ist holprig, kurvig und immer für eine Überraschung gut, bestenfalls bunt, schlimmstenfalls chaotisch. Egal, ob und wie wir entscheiden, wir bekommen es nicht in den Griff. Aber es findet seinen Ruhepol immer wieder in dem Einen, der uns gemacht hat, und das nach eigener Aussage „sehr gut“. Es ist sicher und geborgen bei dem, der mich so liebt, wie ich bin, und der so groß und so voller Liebe ist, dass er mir die Freiheit einer Wahl lässt – auch die, seine Liebe nicht zu erwidern. In dieser Freiheit, in der ich geliebte Tochter bin, kann ich es wagen zu gestalten, auszuprobieren und Entscheidungen auch mal völlig aus dem Bauch heraus zu
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treffen – selbst wenn sie sich vielleicht später als „problematisch“ erweisen. In dieser bedingungslosen Liebe darf ich Fehler machen und sogar scheitern, weil ich weiß, dass ich nie tiefer fallen kann als in seine Hand.
Antje Balters, Jahrgang 1956, studierte Deutsch, Englisch und Publizistik in Mainz und arbeitete zunächst als Verlagslektorin. Seit über fünfundzwanzig Jahren ist sie als freie Referentin, Lektorin, Übersetzerin und Autorin tätig. Sie ist verheiratet, hat fünf Kinder und lebt in Bremen.
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