Tracie Peterson
Sophia Umwege zum Gl端ck
Tracie Peterson Sophia Umwege zum Glück 334 Seiten, gebunden, 14 x 21 cm Erscheinungsdatum: August 2012 ISBN: 978-3-7655-1235-3 EUR (D) 14,99 / SFr 22,50 / 15,50 (A) Copyright © 2010 by Tracie Peterson Originally published in English under the title Embers of Love by Bethany House, a division of Baker Publishing Group, Grand Rapids, Michigan, 49516, U.S.A. All rights reserved. Titel der amerikanischen Originalausgabe: Embers of Love Copyright © 2010 Tracie Peterson Originalausgabe: Bethany House Alle Rechte vorbehalten. Deutsch von Friederike Gralle Lektorat: Konstanze von der Pahlen
© der deutschen Ausgabe: 2012 Brunnen Verlag Gießen www.brunnen-verlag.de Umschlagmotiv: Kevin White Photography, Minneapolis; CCat82/shutterstock.com Umschlaggestaltung: Olaf Johannson Satz: DTP Brunnen Herstellung: GGP Media GmbH, Pößneck
F端r Judy Miller
Deine Freundschaft ist in so vieler Hinsicht ein Segen f端r mich. Ich bitte Gott, dass er dir Kraft verleiht, die kommenden Tage zu 端berstehen.
Kapitel 1
Philadelphia – Juni 1885
I
ch werde nicht zulassen, dass du das zu Ende führst“, verkündete Sophia Vandermark. Sie umschloss die behandschuhten Hände ihrer besten Freundin. „Selbst etwas derart Drastisches würde dir nicht den Respekt deiner Mutter verschaffen, und ganz bestimmt wird es auch nicht ihr Herz erweichen.“ Elisabeth Decker – von ihren engsten Freunden Lizzie genannt – schüttelte den Kopf. „Du verstehst das nicht. W enn ich diesen Schritt nicht tue, muss ich mit ihr nach Hause zurück.“ „Unsinn“, antwortete Sophia. „Du kannst mit zu mir kommen. Mein Bruder wartet am Bahnhof – oder wird spätestens in einer halben Stunde da sein. Es gibt keinen Grund hierzubleiben. Du bist volljährig, und ich schätze, dass selbst dein V ater einverstanden sein wird.“ „Das ist dann noch etwas, wofür meine Mutter ihm die Schuld geben kann.“ Sophia drückte die Hand ihrer Freundin. „Lizzie, deine Eltern sind geschieden, und dein V ater ist in der Lage, damit fertig zu werden. Sie leben in verschiedenen Städten. Sie müssen sich nie wieder unterhalten – und wenn sie es doch tun, dann wird auch das deine Gefühle für Stuart nicht ändern. Lass nicht die Sorge um alle anderen der Grund dafür sein, dass du in eine Ehe ohne Zuneigung einwilligst.“ Lizzie ging zum Fenster hinüber und nahm vorsichtig ihren Hochzeitsschleier ab, unter dem ihr kunstvoll frisiertes blondes Haar zum Vorschein kam. Allein schon diese Geste ließ Sophia hoffen, dass ihre Freundin Vernunft annehmen würde. „Ach, Sophia, wie kann ich denn jetzt noch alles absagen? Es haben sich alle versammelt und warten auf die Hochzeit. Und 7
was ist mit Stuart? Er hat so ein schäbiges V erhalten nicht verdient.“ „Stuart liebt dich auch nicht mehr als du ihn. Für ihn ist das alles nur ein Spiel. Du bist ein hübsches Juwel, mit dem er sich schmücken will.“ „Genau wie meine Mutter immer gesagt hat. Männer heiraten nicht aus Liebe.“ „Ganz so stimmt das sicher nicht, und das weißt du auch“, entgegnete Sophia. „Viele Männer heiraten aus Liebe. Mein V ater, zum Beispiel.“ „Aber wenn ich jetzt einfach gehe, hat meine Mutter gewonnen.“ Lizzie schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht mal glauben, dass ich so etwas sage … nachdem ich so sehr für diesen T ag gekämpft habe.“ „Ehe und Romantik sind doch keine Schlacht … jedenfalls sollten sie das nicht sein“, antwortete Sophia. „Du redest von dem Kampf, es zum Altar zu schaffen, nicht von der Hoffnung, der Freude und Liebe, die dich dahin hätten bringen sollen. Du willst Stuart Albright nicht heiraten. Du tust es nur , um deine Mutter zu ärgern.“ Lizzie biss sich auf die Lippen. „Es ist nicht nur das. Ich muss ihr beweisen, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann. Sie hat sich so in ihr Engagement für die Frauenbewegung verrannt. Jede Frau in Amerika ist ihr wichtig – nur ich nicht.“ Sophia ging zu ihrer Freundin ans Fenster . „Vielleicht hast du recht, aber du bist mir wichtig, Lizzie. Und es ist noch nicht zu spät, diese Hochzeit abzusagen. Noch kannst du ihr entkommen und jetzt mit mir zusammen fortgehen.“ „Das kann ich nicht. W enn ich Stuart nicht heirate, dann er wartet Mutter von mir, dass ich nach Hause zurückkomme und mich auch bei den Frauenrechtlerinnen engagiere. Sie wird mich von einer Kundgebung zur nächsten schleppen. Und nicht nur das, ich werde auch Stuarts Familie eine Erklärung abgeben 8
müssen – und meinen Eltern – und Rebecca und dem Rest der Gemeinde.“ „Rebecca weiß, dass du einen Fehler machst. Sie ist die einzige gute Freundin, die wir hier in Philadelphia noch haben. Sie wird jeden Augenblick zurück sein, und dann erklären wir ihr einfach, dass du endlich Vernunft angenommen hast.“ „Wie kann denn Weglaufen vernünftig sein?“ Sophia wollte Lizzie am liebsten schütteln, damit sie die Sache endlich einsah. Stattdessen fasste sie sie an ihren schlanken Schultern. „Wenn ein Versprechen unter falschen Voraussetzungen gegeben wird. Man darf nicht mit einer Lüge weiterleben, nur weil man sie einmal in die W elt gesetzt hat. Und die Liebe deiner Mutter wirst du auf diese Weise auch nicht gewinnen. Sie begreift nicht, was sie verloren hat und was du wirklich wert bist. Du musst nicht mit zu ihr nach Hause zurückgehen. W ie ich bereits gesagt habe, du kannst mit zu mir kommen.“ Lizzie sah sie verwirrt an. „Was soll ich denn in Texas?“ Sophia tippte sich auf die W ange und dachte nach. „Es gibt jede Menge zu tun. Du kannst bei meiner Familie wohnen. W ir haben dort zwar nicht die Annehmlichkeiten, die wir hier aus Philadelphia gewohnt sind, aber es gibt keinen Grund, nicht das Beste daraus zu machen. W ir können uns mein Zimmer teilen, so wie im College.“ „Aber wie soll ich das alles meiner Familie – und den Gästen – erklären?“ Sophia empfand plötzlich unbändige Freude. Jetzt ging es nur noch darum, mit Lizzie die Details zu diskutieren. „W ir bitten einfach deinen Vater, dass er sich um alles kümmert. Er wird das vollkommen verstehen.“ „Aber ich habe mich schon ins Kirchenbuch eingetragen.“ „Es wurde noch kein Gelübde abgelegt. Und der Priester hat die Trauung noch nicht vollzogen.“ „Und was ist mit Stuart?“ Stuart Albright hatte den Ruf, das zu bekommen, was er sich 9
in den Kopf setzte. Er hatte Lizzie zwei Jahre lang den Hof gemacht, und um ihrer politisch aktiven Mutter eins auszuwischen, hatte Lizzie schließlich eingewilligt. Sophia wusste, dass er sich nicht einfach so öffentlich demütigen lassen würde. Andererseits glaubte sie wirklich, dass er Lizzie nicht liebte. „Vielleicht hat dein V ater ja eine Idee. Ich werde ihn holen.“ Die Kirchenglocken läuteten zur vollen Stunde, und Sophia wusste, dass ihre Zeit nun fast um war. „Ich bin gleich zurück.“ Vorsichtig lief sie in ihrem rosafarbenen Seidenkleid in den Flur. Genau in diesem Moment kam Rebecca Longstreet zurück, deren rote Locken sich fast bis zur Hüfte hinunterkringelten. „Die Kirche ist voll. Alle warten schon. W arum ist Lizzie noch nicht fertig?“ „Weil sie nicht heiraten wird“, rief Sophia. Rebeccas Augen weiteten sich, und sie faltete ihre behandschuhten Hände. „Na, wenn das mal nicht für einen Skandal sorgt.“ „Jetzt freu’ dich nicht so darüber , Rebecca. Es ist sehr schwer gewesen für Lizzie. Ich werde sie erst einmal mit zu uns nach Texas nehmen. Geh du und warte mit ihr . Ich muss ihren V ater f nden.“ Auf dem W eg zur Eingangshalle der Kirche entdeckte sie Mr. Decker. Er ging nervös auf und ab und zerrte immer wieder an den Manschetten seines gestärkten Hemdes. Als er Sophia erblickte, hielt er inne und straffte seine Schultern. „Sind wir bereit?“, fragte er und strahlte sie an. „Nicht ganz.“ Sophia sah vorsichtig an ihm vorbei ins Innere der Kirche. „Würden Sie mir bitte folgen?“ „Natürlich. Gibt es ein Problem?“ Sophia hielt ihre Antwort zurück, bis sie wieder in dem winzigen Raum waren, wo Lizzie mit Rebecca wartete. „Etwas war tatsächlich nicht in Ordnung, aber jetzt versuchen wir es wieder hinzukriegen.“ Sophia ging zu Lizzie hinüber . „Ihre T ochter möchte die Hochzeit absagen.“ 10
Sie wussten nicht, wie Mr . Decker die Nachricht aufnehmen würde, aber sein breites Grinsen war ganz und gar nicht das, was Sophia erwartet hatte. „Ich bin ja so froh, Lizzie. Ich weiß, dass du ihn nicht liebst, und das hat mir echte Sorge bereitet.“ Lizzie machte ein paar zögerliche Schritte auf ihren V ater zu. „Woher wusstest du das?“ „Es war recht offensichtlich, dass du das hier nur getan hast, um dir selbst etwas zu beweisen. Und gestern Abend während unseres Essens konnte ich deutlich erkennen, dass du und Stuart sehr wenig Gefühle füreinander hegt. Und als er dann weg war und deine Mutter anf ng, wegen der Hochzeit mit dir zu streiten, hast du nicht ein Mal das Wort Liebe erwähnt.“ „Stuart hat mir so lange den Hof gemacht“, sagte Lizzie. „Er hat mich mit Geschenken und Aufmerksamkeit geradezu über häuft. Ich bin mir sicher, dass er mich sehr gern hat, aber ich liebe ihn nicht. Das stimmt.“ „Ach, mein liebes Kind, dieser Mann liebt dich auch nicht“, sagte ihr V ater und nahm ihre zarten Hände in seine. „Ich glaube, dass er dich genauso benutzt hat, wie du ihn benutzt hast.“ „Wie das, Vater?“ Mr. Decker zuckte mit den Achseln. „Er glaubt wahrscheinlich, dass du seine politischen und geschäftlichen Ambitionen begünstigen würdest. Eine hübsche Frau, die gute gesellschaftliche Umgangsformen hat, tut das immer.“ „Dann wird er mich sicher nicht einfach so gehen lassen“, sagte Lizzie. „Mach dir um ihn keine Sorgen“, f el Rebecca ein. „Er wird es überleben.“ „Aber ich komme mir so herzlos vor.“ Der Kummer in Lizzies Stimme bestärkte Sophia nur noch in ihrem Entschluss. „Mr. Decker, mein Bruder George wartet am Bahnhof auf mich, um mit mir nach Hause zu fahren, sobald die 11
Hochzeit vorbei ist. Ich werde nach T exas zurückgehen, wie ich gestern Abend erzählt habe.“ Er nickte. „Ich erinnere mich.“ „Meine Idee ist nun – natürlich nur , wenn Sie einverstanden sind –, dass ich Lizzie mitnehme. Mein Bruder wird nichts dagegen haben, und meine Mutter würde überglücklich sein, noch eine junge Dame im Haus zu haben. Lizzie kann bei uns bleiben, solange sie will.“ „Das wäre doch eine gute Lösung, Lizzie“, sagte Mr . Decker und wandte sich wieder an seine T ochter. „Texas wird genügend Abstand zwischen dir und den Albrights schaffen, sodass ich die Dinge in Ruhe klären kann. Deine Mutter wird sich aufregen, dass du dich nicht von ihr verabschiedet hast, aber ich schlage vor , dass ihr beiden euch lieber sofort auf den W eg macht.“ Er griff in seine Westentasche und holte ein Lederportemonnaie heraus. „Ich gebe dir alles Geld, was ich bei mir trage. Das sollte für eine W eile genügen. Wenn du mehr brauchst, schreib mir einfach.“ Lizzie nahm das Geld, das er ihr hinhielt. „Aber V ater, was wenn …“ Er legte seinen Finger auf ihren Mund. „Wir haben keine Zeit für weitere Fragen. Geh jetzt. Ich werde der Gemeinde erklären, dass es dir nicht gut geht und die Zeremonie verschoben wird. Wenn ich dann erst einmal die Möglichkeit hatte, persönlich mit Mr. Albright und deiner Mutter zu sprechen, werde ich bekannt geben, dass die Hochzeit gänzlich abgesagt ist.“ Sophia ergriff die Hand ihrer Freundin. „Komm jetzt, wir können die Hintertür nehmen.“ „Aber was ist mit meinem Hochzeitskleid? Ich kann doch schlecht in diesem Aufzug bleiben.“ Sophia überlegte schnell. „W ir tragen dieselbe Größe. Auf dem College haben wir ständig unsere Kleidung getauscht. Und da, wo wir hingehen, braucht man nichts Extravagantes, also denke ich, dass ich genügend Garderobe für uns beide habe.“ 12
„Außerdem sind deine Koffer schon für die Flitterwochen gepackt. Ich kann sie dir einfach nachschicken“, fügte ihr V ater hinzu. Sophia lächelte. „Siehst du, schon geklärt.“ Lizzies Vater beugte sich zu seiner T ochter und küsste sie herzhaft auf die W ange. „Geht jetzt schnell. Miss Longstreet und ich werden alle so lange aufhalten, wie wir können.“ Er sah zu Sophia. „Wie kann ich Lizzie erreichen?“ „Adressieren Sie Briefe an Sophia V andermark in Perkinsville, Texas. Es wird kein Problem sein, dort ihre Post zu empfangen. Die Stadt ist winzig. W enn Lizzie erst mal da ist, wer den sie alle kennen.“
George Vandermark wusste nicht, was er davon halten sollte, als seine Schwester und die in weiß gekleidete Braut am Bahnhof auf ihn zuliefen. Auch die anderen Leute in der W artehalle starrten die beiden an. Eine ältere Frau, die hinter George stand, f üsterte ihrer Freundin zu: „W ie unpassend. W elche Braut behält denn ihr Kleid auf der Reise an? Es wird doch gleich schmutzig.“ Dann stellte sie sich neben George und sah ihn an: „Kennen Sie die beiden?“ „Ich denke schon“, antwortete er. „Zumindest die Dunkelhaarige.“ Er trat vor und scherte sich nicht weiter um das missbilligende Schnaufen der alten Dame. Sophia stellte ihre kleine Reisetasche ab, bevor sie George um den Hals f el. „Ich habe dich so vermisst.“ „Mir scheint, dass du während deiner Abwesenheit erwachsen geworden bist. Ich sehe schon, ich werde dir die Jungs vom Leib halten müssen, damit sie dich nicht auf Schritt und T ritt verfolgen.“ „Ach, Unsinn. Du bist der, auf den man achthaben muss. Sieh 13