Stephan Berg
ER – Die finsteren Winde dieser Welt Eine wahre Geschichte
Stephan Berg
ER – die finsteren Winde dieser Welt Eine wahre Geschichte
228 S., gebunden € 16,99 (D) / SFr *25,50 / € 17,50 (A) ISBN 978-3-7655-1618-4 Bestell-Nr. 191618 Erscheint im Juni 2013 © Brunnen Verlag GmbH, Gießen *) unverbindliche Preisempfehlung
„Nichts ist zu schwer, zu kompliziert oder zu kaputt, um das Beste im Leben noch zu erfahren. Niemand ist zu alt oder zu jung, um seine Träume doch noch zu verwirklichen, wenn ‚ER‘ an seiner Seite ist!“ Als Einbrecher gejagt, als Drogendealer verfolgt, vom besten Freund verraten und in den Fängen der marokkanischen Drogenmafia. Aus der Bahn des Lebens geworfen, kaum mehr zu retten. Doch dann erfährt sein Leben eine dramatische Wendung. Er lässt sich auf das Wagnis des Glaubens ein. 33
Kontakt mit der Mafia Christine und Lucas warteten zu Hause auf mich. Die Kripo hatte die Wohnung durchsucht und die Beamten hinterließen ein großes Chaos. Christine war völlig fertig und stinksauer. Auch sie war davon betroffen, dass mein Leben so außer Kontrolle geraten war. Mann, war ich froh, wieder daheim zu sein. Lucas sprang mir gleich in die Arme. Ich umarmte ihn fest. Niemand sollte mich je wieder in den Knast sperren! Das schwor ich mir! Lucas war so unschuldig und klein. Er hatte keine Ahnung, wie schwer das Leben war und wie es einen in Schwierigkeiten bringen konnte. Er wusste nicht, was für ein Versager und Vollidiot sein Vater war. Er liebte mich bedingungslos. Ich nahm mir vor, mich mehr um die beiden zu kümmern. Schließlich waren sie meine Familie. Später, als Christine und Lucas einkaufen waren, lag ich auf dem Sofa und starrte an die Decke. Ich war völlig frustriert. Was sollte nun werden? Wie sollte mein Leben nun weitergehen? Ich wollte nicht wieder in den Knast zurück, also musste ich verschwinden. Aber wohin? Wer konnte mir helfen? Viele Gedanken rasten durch meinen Kopf. Blieb ich hier, landete ich vielleicht im Gefängnis, so viel war sicher. Würde ich abhauen, wären Christine und Lucas wieder alleine. Aber sie konnten ja nachkommen, sobald ich mir eine Existenz in einem anderen Land aufgebaut hätte. Ich glaubte, keine andere Wahl zu haben. Ich musste 34
Deutschland verlassen. Christine erzählte ich zunächst nichts von meinem Vorhaben. In den nächsten Tagen plante ich meine Auswanderung. Dies gestaltete sich schwieriger als gedacht. Rainer und ich hatten die Auflage vom Gericht, die Stadt nicht zu verlassen. Würde ich erwischt werden, müsste ich zurück ins Gefängnis. Ich nahm Kontakt zu meinem alten Freund Mike auf. Als wir zusammen auf Montage waren, hatte er mit seinen guten Kontakten zur marokkanischen Mafia geprahlt. Wenn da was Wahres dran war, musste er mir helfen. Wir trafen uns in einer heruntergekommenen Kneipe im Rotlichtviertel. Das Bier war warm, die Kneipe dreckig und die Typen zwielichtig. Aber es war genau der richtige Ort, um mit Mike über meine Situation zu sprechen. „Ich muss das Land verlassen!“ „Habe schon von deiner Festnahme gehört. Scheiße, Alter! Blöd gelaufen. Hättest besser aufpassen sollen“, grinste er. „Ich brauche keine blöden Sprüche. Ich brauche deine Connections. Hast du mir nicht mal was von einem Typ von der Mafia erzählt? Oder war alles nur Angeberei?“ „Ne, war es nicht. Lass mich sehen, was ich für dich tun kann. Ich rufe an, sobald ich etwas in Erfahrung gebracht habe.“ Nun hieß es abwarten! Und das Warten machte mich verrückt. Ich war mir sicher, dass die Polizei mich beobachtete. Bestimmt war auch mein Telefon angezapft. Mein Gefühl täuschte mich nicht. 35
Einige Tage später tauchten Kripobeamte bei mir auf und bombardierten mich mit Fragen. „Woher hatten Sie die Schlüssel für den Nachtklub? Wer war Ihre Kontaktperson? Und die Spielautomaten haben Sie ebenfalls aufgebrochen.“ Sie versuchten mich in die Enge zu treiben, um weitere Geständnisse zu bekommen. „Wo sind die 6000 Dollar geblieben, die Sie im Hotel Maximilian gestohlen haben?“ Wer gab ihnen all die Informationen? Diese Beamten gingen mir auf den Sack. Die waren mir etwas zu gewieft! Ich wurde immer nervöser. Viele Fragen schwirrten in meinem Kopf herum. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen. Tagsüber erschrak ich bei jedem Klingeln an der Wohnungstür. Waren es wieder die Bullen? Was wollten sie noch? Die Kripo wusste schon zu viel über mich. Und wenn sie tatsächlich die anderen Einbrüche herausbekämen, dann wäre ich geliefert. Dann ginge es auf direktem Weg, für eine lange Zeit, in den Knast! Doch da wollte ich niemals hin! Zu viel Beute aus den Einbrüchen hatte ich noch im Geschäft meines Vaters im Getränkelager versteckt. Ich musste die Beweise unbedingt wegschaffen, bevor die Bullen auch dort eine Hausdurchsuchung machen würden. Eigentlich hätte ich schon längst alles verticken sollen! Weit nach Mitternacht schaffte ich die Beute weg, zertrümmerte alles und warf die Teile in einen Schrottcontainer. Niemand beobachtete mich. Drei Tage später kam endlich der Anruf von Mike. Wir sollten uns mit einem Mann namens „Basko“ tref36
fen. Noch immer zweifelte ich daran, dass er tatsächlich Kontakte zur marokkanischen Mafia hatte. So ließ ich alles auf mich zukommen. Am nächsten Tag wartete ich angespannt an einer Ecke auf Mike. Es dämmerte und der Nieselregen war unangenehm. Ich war gelöster, als er endlich ankam. Wir fuhren in die Altstadt. Die alten Häuser aus dem 13. Jahrhundert wirkten fast bedrohlich. Mike hielt in einer kleinen Gasse. Die Pflastersteine waren rutschig. Wir gingen zu einem Haus, an dem ich schon oft vorbeigekommen war. Er klingelte. Die große alte Tür wurde aufgerissen und ein Mann winkte uns schnell in den muffigen und dunklen Flur. Ehe ich wusste, was mit mir geschah, drückte er mich an die Wand und durchsuchte mich von Kopf bis Fuß. Er wirkte auf mich ziemlich nervös. Das hier war eine andere Liga als alles, was ich bis jetzt gemacht hatte. Nachdem er fertig war, deutete er mit dem Kopf zur Treppe. „Nach oben!“ In der Wohnung war es angenehmer. Dickes Holzgebälk durchzog den Raum. Der Typ stellte sich als Basko vor. Er war um die 30 Jahre alt, hatte schwarze Haare und sah südeuropäisch aus. Seine dunklen Augen schienen mich zu durchleuchten. „Habe schon von dir gehört. Bist ein harter Junge. Aber auch dumm. Hast dich erwischen lassen.“ „Ja. Ist Scheiße gelaufen.“ „Hier nimm!“ Basko gab uns einen Drink. Dann reichte er mir einen Joint. Bis jetzt hatte ich nicht 37
sehr häufig Haschisch geraucht. Ab und zu mal auf einer Party. Er setzte sich zu uns. „Ich kenne dich! Dein Vater ist Verkaufsfahrer und deine Mutter Krankenschwester. Hast ’ne Menge Jobs geschmissen.“ Ich nickte. „Wie geht es deiner Frau und deinem Sohn?“ Diese Frage hörte sich bedrohlich an. „Gut.“ Mehr bekam ich nicht heraus. Basko sah mich an. Er schien jedes Wort, jede Regung von mir zu prüfen. „Na gut, was würdest du von einem Leben in Marokko halten?“ Na, das klang doch grandios und nach Abenteuer. „Cool. Wie lebt man dort?“, fragte ich ihn. „Und vor allem, von was lebt man dort?“ „Das Leben in Marokko ist einfach und ohne Stress. Ich habe dort ’ne Menge Kontakte, die dir weiterhelfen können. Und keine Sorge wegen der Kohle! Wir haben einige Geschäfte laufen und jemanden wie dich können wir dort gut gebrauchen“, grinste er. Der Vorschlag gefiel mir! Afrika hörte sich aufregend an und als Mittelsmann die schnelle Kohle machen, kam mir genau recht. In meinen Gedanken sah ich mich schon in Marokko am Strand liegen, einen Drink in der Hand, und ein Leben in Saus und Braus führen. Ich zog erneut am Joint. Dann kamen mir aber einige Bedenken: Was für Geschäfte sollte ich machen? Drogengeschäfte oder Geldgeschäfte mit der Mafia? Na gut, warum nicht? Wen kümmerte es? Alles ist besser, als in Deutschland im Knast zu verkümmern. 38
Mitten in diese Gedanken platzte Basko: „Wird aber nicht billig werden, die nötigen gefälschten Papiere zu besorgen. Auch die Reise und den Fahrer dorthin musst du löhnen. 8000 Dollar sollten den ‚Spaß‘ abdecken.“ Peng! Die Seifenblase zerplatzte! Da war der Haken! „Hast du so viel Kohle übrig?“ Natürlich hatte ich sie nicht. Meine Gedanken liefen auf Hochtouren. Wie käm ich an so viel Bares? Mehr Einbrüche? Wäre eine Option, aber wenn die Bullen mich observierten, dann hätte ich endgültig ausgespielt. Hatte ich etwas, was ich verkaufen konnte? Klar, mein Motorrad. Das war gut seine 12.000 Dollar wert. Bestimmt fände sich schnell ein Käufer für das Bike. „Kein Geld, keine Reise!“, sagte Basko, lehnte sich zurück und zog genüsslich am Joint. Ich erzählte ihm von meinem Motorrad. „Okay. Deal! Du gibst mir deine Maschine und wir bringen dich mit neuen Papieren nach Marokko. Außerdem bekommst du noch 800 Gramm Haschisch obendrauf.“ Die Drogen waren ungefähr 4000 bis 6000 Dollar wert. Wieder zu Hause dachte ich noch einmal über das Treffen nach. Basko war sicherlich eine große Nummer. Und er hatte anscheinend viel Erfahrung. Ich hatte das Gefühl, wenn ich nur einen Fehler machte, würde er mein größter Feind sein. Mike hatte nicht gelogen. Er hatte wirklich Kontakte zur marokkanischen Mafia. Nun war es erst einmal wichtig zu überlegen, ob ich diesen Deal überhaupt machen sollte? Klar wollte ich nach Marokko. Doch Basko mein Motorrad zu verkau39
fen, hatte noch einen Haken. Der Kredit für das Motorrad, für den Rainer gebürgt hatte, lief ja noch. Ich überlegte hin und her, bis mir eine Idee kam. Den folgenden Tag rief ich Rainer an und wir verabredeten uns zu einem Treffen. Überpünktlich kam ich zum Treffpunkt. Ich war extra kreuz und quer durch die Stadt gefahren, um eventuelle Bullen abzuschütteln. Schon zehn Minuten über der geplanten Zeit. Hatte Rainer unser Date vergessen? Ich wartete weitere Minuten. Doch Rainer kam nicht. Gerade, als ich mich aus dem Staub machen wollte, tauchte ein schwarzer Mercedes auf. Rainers Vater kam auf mich zu. Er war ein bekannter Geschäftsmann und sehr einflussreich. Aber was wollte er denn hier? Ohne Höflichkeitsfloskeln kam er sofort zur Sache. „Rainer wird sich nicht mehr mit dir treffen. Was willst du so Wichtiges von ihm?“ Wir sprachen über das Motorrad und Rainers Bürgschaft. „Wozu brauchst du das Motorrad?“ „Um ins Ausland abzuhauen.“ „Okay! Du bleibst im Ausland und kommst erst zurück, wenn die Sache für Rainer vor Gericht ausgestanden ist, oder am besten du bleibst für immer verschwunden!“ Wir einigten uns darauf, dass er für die Bürgschaft aufkam und den Kredit bezahlte. Ich nickte. Dann kam er ganz nah an mich heran. „Und merke dir, dieses Gespräch hat niemals stattgefunden!“ 40
Dann stieg er in den Wagen und fuhr davon. Seinem Sohn konnte nichts Besseres passieren, als dass ich verschwand. Jetzt hatten seine Anwälte vor Gericht freie Bahn, um Rainer als Opfer darzustellen und mich als alleinigen Drahtzieher. So konnte Rainer den Knast umgehen und käme mit einer Vorstrafe und Bewährung davon. Ich war überzeugt, einen guten Deal eingegangen zu sein. Jetzt würde alles glattgehen. Doch mein Glücksgefühl dauerte nur so lange, bis ich nach Hause kam. … Ich ertränkte alle Gedanken im Alkohol. (…)
Finstere Winde in Marokko Marokko! Endlich waren wir angekommen. Ein buntes Durcheinander von Menschen, Autos, Eselskarren und Straßenverkäufern erwartete uns. Jeder schien etwas von uns zu wollen. Die Händler kamen direkt ans Auto. „Haschisch, Haschisch my Friend?“, fragten einige. Andere wollten uns aufdringlich ein Hotel andrehen oder boten sich als Reiseführer an. Vor uns hielt Greg mit seinem Auto an. Ein schlanker dunkler Mann bewegte sich auf ihn zu. Greg stieg aus und begrüßte ihn. Sie sprachen kurz miteinander. Dann kamen beide zurück. „Das ist Mohammed“, stellte Greg ihn vor, „er wird unser Bewacher und Führer für die kommenden Wochen sein.“ „Hallo, ‚La Bas‘?“, sagte er und schmunzelte. „Ant41
worte einfach mit einem lang gesprochenen ‚Becheer‘, was so viel wie ‚mir geht es gut‘ bedeutet“, meinte Greg und erzählte, dass Mohammed einige Zeit in Frankfurt gelebt hatte. Deshalb sprach er einigermaßen gut Deutsch. Mohammed war so eine Art „Springer“ für die Mafia. Er erledigte alles und schreckte auch nicht davor zurück, jemanden kaltzumachen, falls nötig. Mohammed sollte uns die ganze Zeit begleiten. Er setzte sich auf den Beifahrersitz in Gregs Auto. (…) Mohammed erzählte, dass wir in den nächsten Tagen zu den Hanfplantagen in die Berge fahren würden. Von dem Rifgebirge hier in Marokko hatte ich schon einiges gehört. Es war ein höchst gefährlicher Ort. Von dort kommt das meiste Haschisch, das in Marokko produziert wird. Mehr als 3000 Tonnen pro Jahr. Der Hauptteil davon geht nach Europa. 80% des gesamten Haschisch der EU kommt aus Marokko. Die Drogenhändler verdienen pro Jahr zwei Milliarden Dollar. Vieles davon wird als Bestechungsgeld für Beamte, Politiker und weitere korrupte Leute genutzt. Auf der anderen Seite ist das Einkommen der Arbeiter und Bauern dagegen sehr gering. Und die Lebensbedingungen sind hart. Von all dem wollten auch wir profitieren. (…) Mir fiel ein Artikel ein, den ich vor einiger Zeit über einen Journalisten gelesen hatte. Dieser wurde von der marokkanischen Polizei zusammengeschlagen, weil er über die Drogenmafia und die Korruption in Marokko berichtet hatte. Nicht wenige Reporter wurden aufgrund 42
dessen schwer misshandelt und ins Gefängnis geworfen. Geschichten wie diese machten mich unsicher. War es wirklich so eine gute Idee, mit Mohammed und den anderen ins Rifgebirge zu fahren? Eigentlich kannte ich die Männer kaum. Sie waren hinterlistig und gerissen. Das war auch schon alles, was ich von ihnen wusste. (…)
Gejagt von der Mafia Das Vertrauen war weg. Stattdessen kontrollierte mich jetzt Angst. An diesem Ort schien alles möglich zu sein. Die Drogen und die Mafia hatten mich fest im Griff. Ich stand völlig neben mir und hatte die Kontrolle über mein Leben verloren. Die Mafia arbeitete mit heftigen psychischen Tricks und versuchte mich durch Gehirnwäsche hörig zu machen. Die Begleiterscheinungen der Drogen, wie Realitätsverlust und Paranoia, halfen ihnen dabei, mich zu einem bedingungslos gehorsamen „Sklaven“ zu machen. Dem war ich nicht gewachsen. Dem war wohl niemand gewachsen. Große Panik ergriff mich. Bevor ich völlig den Bezug zur Wirklichkeit verlieren würde, musste ich aussteigen. Auch musste ich den Drogenkonsum zurückschrauben. Doch wie sollte ich es anstellen? Ich stand völlig unter Beobachtung. Frühmorgens stand ich auf. Es war wie immer. Die Arbeiter kümmerten sich um die Pflanzen und einige Frauen backten Brot. Greg und Mustafa waren ebenfalls 43
schon wach und saßen auf einer Bank. Sie taten, als ob nichts gewesen wäre. Okay, dieses Spiel sollten sie haben. Ich durfte jetzt nur nicht überreagieren. Keep cool, Stephan. „Hey, habt ihr Bock auf eine kleine Wanderung auf die Bergkuppe?“ Beide verneinten. Das war auch meine Absicht. Um endlich einen klaren Gedanken fassen zu können, musste ich hier weg. Keiner folgte mir. Meine Schritte knirschten unter dem sandig-steinigen Weg, der steil bergauf führte. Vorbei an trockenen Pflanzen, Büschen und kahlem Gestein. Der Aufstieg war nicht leicht. Durst quälte mich. Shit. Ich hatte vergessen, mir etwas zu trinken mitzunehmen. Mein Schatten schien mich immer weiter zu führen. Es war ruhig. Ab und zu sah ich in der Ferne kleine weiße Häuser. Ich hielt an, um zu verschnaufen. Auf den Cannabisfeldern konnte ich Arbeiter erkennen. Es schienen auch Kinder dabei zu sein. Ohne Maschinen, nur mit den Händen, pflückten die Bauern den Hanf und banden ihn büschelweise zusammen. Verrückt. Sie ernten den Hanf so wie bei uns den Weizen. Hier lebten Familien, ja ganze Dörfer von der Haschischproduktion. Das war ihr einziger Lebensinhalt. Kurze Zeit später erreichte ich eine Anhöhe. Ich setzte mich auf einen Felsvorsprung und betrachtete die Aussicht. Von hier aus konnte ich ins Tal hinuntersehen. Stille! Seit Tagen endlich Stille. Einfach mal zur Ruhe kommen und nicht mehr unter Beobachtung stehen. Ein leichter Wind wehte. Er brachte etwas Kühlung. Zum ersten Mal seit langer Zeit schien mein Verstand klarer 44
zu werden. Ich dachte über die bisherige Reise nach. Mit all den Eindrücken und Erfahrungen. Jetzt konnte ich keinem mehr vertrauen und sie vertrauten mir ebenfalls nicht. Auch ging es überhaupt nicht weiter. Wir saßen hier oben auf der Farm und jeder dröhnte sich nur zu. Und dann diese Gehirnwäsche. Mich schauderte, wenn ich nur daran dachte. Ich erkannte, dass sie mich ohne zu zögern kaltmachen würden. Warum hatten sie mich überhaupt mitgenommen? Verzweifelt schrie ich in das Tal hinab. „Verdammte Scheiße! Wie komme ich hier nur wieder raus!?“ Auf einmal musste ich an Lucas und Christine denken. Sie fehlten mir. Was sie jetzt wohl machten? Ob sie mich vermissten? In den letzten Jahren hatte ich ihnen ja viel zugemutet. Die Einbrüche, die Scherereien mit der Polizei, mein Aufenthalt im Knast und nun dies. Würde ich sie je wiedersehen? Alexander fiel mir wieder ein. Eigentlich müsste er schon aus der Haft entlassen sein. Ob er immer noch Christ war? Hatte er sein Leben in den Griff bekommen? Christ. Gott. Julian. Das alles hatte ich völlig vergessen. Wo war Gott denn jetzt? Die ganze Zeit über war ich in den Drogen und deren Welt gefangen gewesen. Doch nun sah ich völlig klar und erkannte die Wirklichkeit. Als ob jemand ein Licht in meiner Seele eingeschaltet hatte. Ich dachte zurück an meine Gefängniszelle. Dort, wo ich die Liebe und Gegenwart von Jesus so stark gespürt hatte. Und nun, mitten im Rifgebirge, sprach Gott erneut zu meinem Herzen. Es war, als ob ER mir sagen wollte: „Ich bin immer noch da für dich!“ 45
Umgeben von Hanfplantagen, fing ich an wieder mit ihm zu reden. „Jesus, wenn es dich echt gibt, dann helfe mir bitte hier raus. Bring mich bitte heil zurück nach Deutschland zu meiner Familie. Ich weiß, dass ich eigentlich keine Gnade mehr verdient habe, aber ich bitte dich dennoch mir zu helfen. Vergib mir, was ich getan habe!“ Mir war klar, ich musste und wollte aussteigen! …
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