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uck wappnete sich innerlich. Er hatte seinen Ellbogen um einen Pfosten des Gerüsts gelegt. Tausende von Menschen waren in Panik bei dem ohrenbetäubenden Lärm des Schusses zusammengefahren und hatten sich unwillkürlich abgewandt. Der Schuss war kaum 30 Meter von Buck entfernt abgegeben worden und so laut, dass es ihn nicht erstaunt hätte, wenn selbst die Leute in der letzten Reihe dieser riesigen Menschenmenge ihn noch hätten hören können. Er war kein Experte, hatte aber dennoch den Eindruck, dass der Schuss aus einem Hochleistungsgewehr stammte. Die einzige kleine Waffe, die einen solchen Lärm gemacht hatte, war die Pistole, mit der Carpathia Moishe und Eli drei Tage zuvor erschossen hatte. Um ehrlich zu sein, das Geräusch war diesem hier sehr ähnlich. Vielleicht war der Schuss aus Carpathias Waffe abgegeben worden? Vielleicht hatte ihn jemand aus seinem eigenen Stab als Zielscheibe benutzt? Das Rednerpult war mit einem lauten Krachen zu Boden gestürzt und der Nachhall des Schusses verklang in der Ferne … Buck verspürte den Wunsch, mit den anderen Menschen loszurennen, doch er machte sich Sorgen um Chaim. War er getroffen worden? Und wo steckte Jacov? Nur zehn Minuten zuvor hatte Jacov noch unterhalb der linken Bühne auf seinen Arbeitgeber gewartet. Buck hatte ihn dort gesehen. Und keinesfalls würde Chaims Freund und Assistent ihn in einer Krise im Stich lassen. Die Leute liefen größtenteils an der Bühne vorbei, doch einige kletterten auch unter den Bühnenteilen hindurch. Sie stießen gegen Buck und gegen die Pfosten, sodass die gesamte Konstruktion ins Wanken geriet. Buck hielt sich fest und sah zu den riesigen Lautsprecherboxen hoch, die umzustürzen drohten. Buck hatte die Wahl: Entweder er mischte sich unter die aufgebrachte Menge und riskierte es, niedergetrampelt zu werden, oder er kletterte ein paar Meter an dem winkligen Querbalken hoch. Er ent-

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schied sich für die letzte Möglichkeit und spürte sofort, wie wackelig die Konstruktion war. Sie schwankte stark, während Buck über die Menge hinwegsah. Carpathias Schrei und Fortunatos Klagen hatte er noch gehört, doch plötzlich verstummten die Lautsprecher über ihm. Buck sah hoch und beobachtete, wie sich eine der Lautsprecherboxen löste. »Vorsicht!«, schrie er der Menge zu, aber niemand hörte oder beachtete ihn. Er sah noch einmal hoch, um sicherzugehen, dass er nicht in Gefahr war. Die Schnur, mit der die Box gesichert war, zerriss wie ein dünner Faden. Entsetzt musste Buck mit ansehen, wie eine Frau unter dem Lautsprecher begraben wurde. Mehrere andere gerieten ins Taumeln. Ein Mann versuchte, das Opfer unter der Box hervorzuziehen, aber die Menge hinter ihm blieb nicht stehen. Die Massenhysterie veranlasste die Menschen, sich gegenseitig ohne Rücksicht niederzutrampeln, um aus der Gefahrenzone herauszukommen. Auch Buck konnte nicht helfen. Die gesamte Bühnenkonstruktion drehte sich. Er klammerte sich krampfhaft fest und wagte es nicht, sich in den Strom schreiender Menschen fallen zu lassen. Endlich entdeckte er Jacov, der gerade versuchte, die Seitentreppe zum Podium hinaufzusteigen, wo Carpathias Sicherheitskräfte mit gezückten Gewehren standen. Ein Hubschrauber wollte in der Nähe der Bühne landen, doch er musste warten, bis der Bereich geräumt war. Chaim saß reglos in seinem Stuhl, weit weg von Carpathia und Fortunato. Er schien steif zu sein, sein Kopf war zur Seite gefallen, so als könnte er sich nicht bewegen. Wenn er nicht erschossen worden war, hatte er vielleicht einen weiteren Schlaganfall erlitten oder Schlimmeres, einen Herzinfarkt vielleicht. Falls Jacov zu ihm gelangen konnte, würde er Chaim irgendwo in Sicherheit bringen. Buck versuchte, Jacov im Auge zu behalten, während Fortunato den Hubschraubern bedeutete, zu landen und Carpathia wegzubringen. Endlich gelang es Jacov, sich aus der Masse zu befreien, und er rannte die Treppe hinauf, wurde jedoch von dem Kolben eines Gewehrs niedergeschlagen und in die Menge zurückgeschleudert. Der Aufschlag war so hart, dass Jacov sicherlich das Bewusstsein verloren hatte und sich folglich auch nicht davor schützen konnte, überrannt zu werden. Buck sprang von dem Pfosten in die Menge und kämpfte sich zu Jacov durch. Er ging um die heruntergefallene Lautsprecherbox herum und spürte das klebrige Blut unter seinen Schuhen. Als Buck sich der Stelle näherte, an der Jacov aufgeschlagen sein

musste, sah er noch einmal zur Bühne hoch. Chaims Rollstuhl bewegte sich! Mit voller Geschwindigkeit rollte er zum hinteren Teil der Bühne. War er an den Joystick gekommen? War der Rollstuhl außer Kontrolle geraten? Wenn er nicht anhielt oder umdrehte, würde er vier Meter tief auf das Pflaster stürzen und damit in den sicheren Tod. Chaims Kopf hing noch immer zur Seite, der Körper war steif. Buck erreichte Jacov, der ausgestreckt auf dem Boden lag. Sein Kopf war seltsam zur Seite gedreht, die Augen weit aufgerissen, die Glieder schlaff. Buck konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken, als er die noch immer in Panik vorbeihastenden Menschen zur Seite schob und Daumen und Zeigefinger an Jacovs Hals legte. Kein Pulsschlag. Buck wollte den Leichnam aus dem Weg zerren, aber er befürchtete, trotz der vielen Narben in seinem Gesicht erkannt zu werden. Für Jacov konnte er nichts mehr tun. Aber was war mit Chaim? Buck rannte links um die Bühne herum und kam an der hinteren Ecke schlitternd zum Stehen. Da lag Chaims Rollstuhl auf dem Boden. Die schweren Batterien hatten sich aus ihrem Gehäuse gelöst und lagen sechs Meter von dem Stuhl entfernt. Ein Rad war verbogen, beinahe durchgebrochen, das Sitzpolster fehlte und eine Fußstütze war abgebrochen. Würde Buck einen weiteren Freund tot vorfinden? Er suchte die Stelle ab, an der der Rollstuhl lag, und sah auch unter der Bühne nach. Aber außer den Holzsplittern vom Rednerpult fand er nichts. Wie konnte Chaim einen solchen Sturz überlebt haben? Einige der Weltherrscher waren über den hinteren Teil der Bühne entflohen. Sie hatten sich an den Rand gehängt und dann abspringen müssen, um sich keine ernsthaften Verletzungen zuzuziehen. Und trotzdem hatten sich bestimmt einige den Knöchel gebrochen oder eine Sehne gezerrt. Aber ein Schlaganfallpatient, der mit seinem Rollstuhl vier Meter tief auf Beton aufschlug? Buck befürchtete, dass Chaim den Sturz nicht überlebt hatte. Aber wer hätte ihn fortbringen können? Ein Hubschrauber landete auf der anderen Seite der Plattform und Sanitäter eilten auf die Bühne. Die Sicherheitskräfte schwärmten aus und stiegen die Stufen hinab, um das Stadion zu räumen. Vier Notärzte kümmerten sich um Carpathia und Fortunato, während die anderen sich der anderen Opfer der Massenhysterie annahmen. Jacov wurde in einen Leichensack gelegt. Buck weinte beinahe, weil er ihn so hatte liegen lassen müssen, doch Jacov war nun an einem anderen Ort. Buck schloss sich der Menge an, die sich nun vom Stadion fortbewegte.

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Jacov war tot. Der Wunde an Carpathias Hinterkopf nach zu urteilen, war auch Nicolai tot oder würde es bald sein. Und er musste annehmen, dass auch Chaim diesen Sturz nicht überlebt hatte. Buck sehnte sich nach dem Ende all dieser Ereignisse und der Wiederkunft Christi. Aber das würde erst in dreieinhalb Jahren geschehen. Rayford kam sich vor wie ein Narr, als er mit der Menge davonrannte, den Saum seines Rockes in der Hand, damit er nicht stolperte. Er hatte die Pistole mitsamt der Schachtel fallen gelassen und wollte sich mit den Armen den Weg freiräumen, damit er schneller vorankam. Aber sein langer Rock behinderte ihn. Ein Adrenalinstoß trieb ihn voran. Wie gern hätte Rayford den Umhang und den Turban abgelegt, aber keinesfalls durfte er jetzt als Westler zu erkennen sein. Hatte er Carpathia ermordet? Er hatte es versucht, es beabsichtigt, aber er hatte den Abzug nicht drücken können. Und dann war er angestoßen worden und die Pistole war losgegangen, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass er getroffen hatte. Hatte die Kugel tatsächlich das Rednerpult durchschlagen und Carpathia durchbohrt? Konnte sie durch ihn hindurchgegangen sein und noch die Dekoration im Hintergrund durchschlagen haben? Das schien ihm unmöglich zu sein. Falls er den Potentaten ermordet hatte, dann brachte ihm dies bestimmt keine Genugtuung, keine Erleichterung und auch nicht das Gefühl, eine große Tat vollbracht zu haben. Während er weitereilte und die Schreie und das Stöhnen von Carpathias Anhängern um sich herum hörte, hatte Rayford das Gefühl, vor einem Gefängnis davonzulaufen, das er sich selbst geschaffen hatte. Als die Menge sich zerstreute, blieb er stehen und beugte sich, die Hände an die Hüften gelegt, vor, um nach Luft zu schnappen. Ein vorübereilendes Ehepaar sagte: »Ist das nicht schrecklich? Sie glauben, dass er tot ist!« »Schrecklich«, keuchte Rayford, aber er sah sie nicht an. Da er annahm, dass die Fernsehkameras alles aufgezeichnet hatten, vor allem ihn und die erhobene Pistole, würde es nicht lange dauern, bis nach ihm gefahndet wurde. Sobald er die überfüllten Straßen hinter sich gelassen hatte, zog er sein Gewand aus und steckte es in eine Mülltonne. Er rannte zu seinem Wagen und konnte es gar nicht erwarten, nach Tel Aviv zu kommen und Israel zu verlassen, bevor es unmöglich sein würde.

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Mac stand ganz hinten im Stadion, so weit von dem Schützen entfernt, dass er den Schuss erst hörte, als sich die riesige Menge in Bewegung setzte. Während die Menschen neben ihm zu schreien begannen und wissen wollten, was los war, hielt er den Blick fest auf die Bühne gerichtet. Erleichterung machte sich in ihm breit. Er würde sich und Abdullah also nicht opfern müssen, um sicherzugehen, dass Carpathia auch wirklich den Tod fand. Auf den riesigen Übertragungswänden konnte er sehen, dass Nicolai auf dem Boden lag, und der Unruhe auf der Bühne entnahm er, dass er die tödliche Kopfwunde erlitten hatte, von denen die Christen annahmen, dass sie seinen Tod herbeiführen würde. Mac wusste genau, was von ihm erwartet wurde. Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des Towers in Tel Aviv. »Haben Sie einen Piloten, der die 216 nach Jerusalem bringen könnte?« »Ich bin bereits auf der Suche, Sir. Das ist ja eine schreckliche Tragödie.« »Ja.« Mac wählte die Nummer von Abdullah. Dem Lärm im Hintergrund konnte er entnehmen, dass sein Erster Offizier sich nicht auf der Gala befand. »Haben Sie’s gehört, Ab?« »Ja. Soll ich die Phoenix holen?« »Ist nicht nötig. Sie versuchen, sie herzubringen. Ich habe gesehen, wie Sie das Hotel verlassen haben. Wo stecken Sie?« »Bei Doktor Pita. Vermutlich mache ich mich verdächtig, weil ich in aller Seelenruhe meine Mahlzeit beende, während der große Boss stirbt und alle anderen auf der Suche nach einem Fernsehgerät auf die Straßen gestürzt sind.« »Stecken Sie den Rest Ihres Essens ein, und wenn Sie nichts mehr von mir hören, treffen wir uns in einer Stunde auf dem Flughafen in Jerusalem.« Mac kämpfte sich nach vorne durch, während alle anderen in panischer Hast zu den Ausgängen des Stadions drängten. Wenn notwendig, zückte er seinen Ausweis, und als er die Bühne erreicht hatte, war offensichtlich, dass Carpathia in den letzten Zügen lag. Seine blutenden Handgelenke lagen an seinem Kinn, Blut tropfte auch aus Ohren und Mund und seine Beine zitterten heftig. »Oh, er ist tot! Er ist tot!«, jammerte Leon. »Kann denn niemand etwas tun?« Die vier Notärzte knieten an Carpathias Seite. Ihre tragbaren Mo-

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nitore piepten. Sie wischten seinen Mund aus, um ihm Sauerstoff zu geben, überprüften seinen Blutdruck und versuchten, die Blutung an seinem Kopf zum Stillstand zu bringen. Carpathia lag in einer Blutlache, die so groß war, dass man sich kaum vorstellen konnte, es könne noch mehr Blut in einem Körper fließen. Mac warf einen Blick auf den auf dem Boden liegenden Körper. Carpathias normalerweise gebräunten Hände und sein Gesicht waren bereits leichenblass. Eine solche Verletzung konnte niemand überleben, und Mac fragte sich, ob die Körperbewegungen vielleicht nur posthume Körperreflexe waren. »Ganz in der Nähe befindet sich ein Krankenhaus, Commander«, sagte einer der Notärzte. Dieser Vorschlag brachte Fortunato in Rage. Er hatte gerade Blickkontakt mit Mac aufgenommen und schien etwas sagen zu wollen, als er sich an den Arzt wandte. »Sind Sie verrückt? Diese – diese Leute sind nicht qualifiziert! Wir müssen ihn nach Neu-Babylon bringen.« Er wandte sich an Mac. »Ist die 216 bereit?« »Auf dem Weg von Tel Aviv hierher. Wir müssten in einer Stunde startklar sein.« »Eine Stunde?! Sollten wir ihn nicht lieber mit dem Hubschrauber nach Tel Aviv bringen?« »Zum Flughafen nach Jerusalem geht es schneller«, widersprach Mac. »In einem Hubschrauber können wir ihn nicht stabilisieren, Sir«, gab der Notarzt zu bedenken. »Es ist einfach nicht genug Platz!« »Wir haben keine Wahl!«, entschied Fortunato. »Ein Rettungswagen ist zu langsam.« »Aber ein Rettungswagen verfügt über die notwendige Ausrüstung, die –« »Bringen Sie ihn in den Hubschrauber!«, bestimmte Fortunato. Der Notarzt wandte sich ungehalten ab. Seine Kollegin sah zu ihm hoch. Carpathia lag ganz reglos da. »Keine Funktionen mehr«, erklärte sie. »Er ist tot.« »Nein!«, schrie Leon. Er stieß die Ärztin zur Seite und kniete in Carpathias Blut nieder. Er beugte sich über ihn, barg sein Gesicht an der leblosen Brust und schluchzte laut. Sicherheitschef Walter Moon entließ die Notärzte mit einem Kopfnicken. Als sie ihre Ausrüstung zusammenpackten und sich entfernten, zog er Leon sanft von Carpathias Leichnam fort. »Wir wollen den Leichnam nicht zudecken«, schlug er vor. »Wir bringen ihn jetzt in den

Hubschrauber. Sagen Sie nichts über seinen Zustand, bis wir wieder zu Hause sind.« »Wer hat das getan, Walter?«, jammerte Fortunato. »Haben wir ihn schon gefasst?« Moon zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.

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Buck rannte den ganzen Weg zu seinem Hotel. Erneut wählte er Chaims Nummer, wie er es schon unterwegs immer wieder getan hatte. Noch immer besetzt. Die Leute in Chaims Haus, Stefan, der Diener, Jacovs Frau Hannelore und Hannelores Mutter, hatten sich bestimmt die Übertragung im Fernsehen angesehen und telefonierten nun miteinander, um herauszubekommen, ob einer von den anderen Informationen über das Wohlergehen ihrer Lieben hatte. Endlich nahm Hannelore den Hörer ab. »Jacov!«, rief sie. »Nein, Hannelore, hier spricht Greg North.« »Buck!«, jammerte sie. »Was ist passiert. Wo –« »Hannelore!«, warnte Buck. »Ihr Telefon ist nicht abhörsicher!« »Das ist mir jetzt egal, Buck! Wenn wir sterben, dann sterben wir halt! Wo ist Jacov? Was ist mit Chaim geschehen?« »Wir müssen uns irgendwo treffen, Hannelore. Falls Chaim nach Hause kommt –« »Chaim geht es gut?« »Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht mehr gesehen nach –« »Haben Sie Jacov gesehen?« »Wir sollten uns treffen, Hannelore. Rufen Sie mich von einem anderen Telefon aus an und –« »Buck, sagen Sie es mir! Haben Sie ihn gesehen? Ist er noch am Leben?« »Hannelore –« »Buck, ist er tot?« »Es tut mir Leid. Ja.« Sie begann zu jammern und im Hintergrund hörte Buck einen Schrei. Hannelores Mutter? Hatte sie aus dem Gespräch geschlossen, was passiert war? »Buck, sie sind hier!« »Was? Wer?« Er hörte das Schlagen einer Tür, einen Schrei, dann einen weiteren Schrei. »Die Leute von der Weltgemeinschaft!«, flüsterte sie eindringlich. Dann war die Leitung tot.


An Bord der Phoenix 216 wurde Nicolai Carpathia von seinem persönlichen Arzt untersucht und für tot erklärt. »Wo haben Sie gesteckt?«, fragte Leon vorwurfsvoll. »Sie hätten vielleicht etwas tun können.« »Ich war genau da, wo ich sein sollte, Commander«, rechtfertigte sich der Doktor, »in dem Wagen 100 Meter hinter der Bühne. Die Sicherheitskräfte wollten mich nicht herauslassen, weil sie weitere Schießereien fürchteten.« Während die 216 zur Rollbahn rollte, kam Leon ins Cockpit und sagte zu Abdullah: »Stellen Sie eine Verbindung zu Direktor Hassid im Palast her. Auf der abhörsicheren Leitung.« Abdullah nickte und warf Mac einen Blick zu, nachdem Fortunato das Cockpit verlassen hatte. Der Erste Offizier stellte die Verbindung her und informierte Leon über die Gegensprechanlage. Schnell legte er den Hebel um und gestattete Mac mitzuhören, ohne dass im Cockpit etwas davon zu hören war. »Sie haben die schrecklichen Nachrichten bereits gehört, David?«, fragte Leon. »Jawohl, Sir«, erwiderte David. »Wie geht es dem Potentaten?« »Er ist tot, David ...« »Oh, nein!« »… aber das soll auf Anweisung von Sicherheitschef Moon bis auf weiteres noch streng geheim gehalten werden.« »Ich verstehe.« »Oh David, was sollen wir nur machen?« »Wir alle blicken auf Sie, Sir.« »Vielen Dank für so freundliche Worte in einer solchen Zeit, aber ich brauche noch etwas anderes von Ihnen.« »Jawohl, Sir.« »Schalten Sie die Satelliten ab, damit diejenigen, die dies getan haben, nicht mehr per Telefon miteinander sprechen können. Ist das möglich?« Eine lange Pause entstand. »Ja«, erwiderte er langsam. »Das ist natürlich möglich. Ich hoffe, Sie sind sich über die Auswirkungen im Klaren ...« Mac flüsterte Abdullah zu: »Rufen Sie Buck, Rayford und die anderen im Versteck an. Leon wird jegliche Kommunikation unterbinden lassen. Falls sie miteinander sprechen müssen, dann sollten sie das jetzt tun.« »Erklären Sie sie mir«, forderte Leon.

»Wir hängen alle am selben System«, erklärte David. »Darum sind wir auch nicht in der Lage gewesen, die Übertragungen der Anhänger Ben-Judahs ins Internet zu blockieren.« »Das heißt also, wenn sie nicht miteinander kommunizieren können, dann können wir es auch nicht?« »Genau.« »Tun Sie es trotzdem. Die Leitungen über Land in Neu-Babylon bleiben doch in Funktion, oder?« »Ja, und die Abschaltung betrifft auch nicht die Fernsehübertragung, aber alle Ihre Ferngespräche laufen über Satelliten.« »Also werden wir nur noch innerhalb Neu-Babylons miteinander kommunizieren können?« »Richtig.« »Das wird ausreichen. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn Sie alles wieder in Ordnung bringen können.« Zwei Minuten später rief Leon David erneut an. »Wie lange wird das dauern?«, fragte er. »Eigentlich dürfte ich Sie gar nicht erreichen.« »Drei Minuten«, beruhigte ihn David. »Ich werde mich in vier Minuten noch einmal melden.« »Sie werden mich nicht erreichen, Sir.« »Das hoffe ich!« Doch vier Minuten später sprach Leon gerade mit dem Doktor. »Ich will eine Autopsie«, sagte er, »aber über die Todesursache darf nichts durchsickern.« Über die Abhöranlage hörte Mac mit, was in der Kabine gesprochen wurde. »Und ich möchte, dass dieser Mann von den fähigsten Leuten für die Aufbahrung hergerichtet wird. Verstanden?« »Natürlich, Commander. Wie Sie wünschen.« »Keinesfalls will ich diesem Metzger im Palast die Aufgabe übertragen. Wen schlagen Sie also vor?« »Jemanden, der diesen Auftrag gebrauchen könnte.« »Wie abscheulich! Dies wäre ein Dienst für die Weltgemeinschaft!« »Aber sicherlich wollen Sie die Arbeit doch entlohnen, oder?« »Natürlich, aber nicht, wenn es dabei nur ums Geld geht …« »So ist es nicht, Commander. Ich weiß zufällig, dass Dr. Eikenberrys Bestattungsinstitut personalmäßig sehr unterbesetzt ist. Sie hat mehr als die Hälfte ihrer Angestellten verloren und muss ihr Geschäft neu organisieren.« »Und sie kommt aus Neu-Babylon?«

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»Aus Bagdad.« »Ich möchte nicht, dass Nicolai nach Bagdad gebracht wird. Kann sie in den Palast kommen?« »Sie wird sicher gern ...« »Gern?« »Bereitwillig, Sir.« »Ich hoffe, sie kann Wunder vollbringen.« »Zum Glück wurde sein Gesicht nicht in Mitleidenschaft gezogen.« »Trotzdem«, meinte Leon mit belegter Stimme, »wie soll man diese … diese schreckliche Wunde verbergen?« »Ich bin sicher, dass das möglich ist.« »Er muss vollkommen aussehen, würdevoll. Die ganze Welt wird um ihn trauern.« »Ich werde sie sofort anrufen.« »Ja, bitte versuchen Sie es. Ich möchte gern wissen, ob Sie es schaffen durchzukommen.« Aber es gelang ihm nicht. Die weltweite Telefonkommunikation war unterbrochen. Und auch Abdullah hatte niemanden erreichen können. Mac wollte gerade die Abhöranlage abschalten, als Leon tief aufseufzte. »Doktor?«, fragte er. »Kann Ihre Leichenbestatterin, äh –« »Dr. Eikenberry.« »Richtig. Kann sie einen Abdruck vom Körper des Potentaten anfertigen?« »Einen Abdruck?« »Sie wissen schon, eine Art Plastik oder so etwas, die seine genauen Körpermaße und Gesichtszüge wiedergibt?« Der Arzt zögerte. »Nun«, meinte er schließlich, »Totenmasken sind nichts Neues. Ein ganzer Leichnam wäre ein enormes Unterfangen, verzeihen Sie den Ausdruck.« »Aber es ist zu schaffen?« Eine weitere Pause. »Ich denke, der Leichnam müsste eingetaucht werden. In der Bestattungsabteilung des Palasts gibt es einen Behälter, der groß genug ist.« »Dann ist das also möglich?« »Alles ist möglich, Exzellenz. Tut mir Leid, ich meine natürlich Commander.« Fortunato räusperte sich. »Ja, natürlich, Doktor. Nennen Sie mich nicht ›Exzellenz‹. Zumindest noch nicht. Und bereiten Sie alles für einen Abdruck des Körpers des Potentaten vor.«

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