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–1– „Hey, Astrid, hast du schon das Neueste gehört?“ Babs ließ ihre rundliche Figur so schwungvoll auf einen dieser scheußlichen Plastikstühle plumpsen, daß etwas blaßbraune Flüssigkeit aus ihrem Pappbecher überschwappte. „Klar, jede Menge!“ Astrid grinste breit und zog ihren eigenen Kaffeebecher näher zu sich heran, um der kleinen Lacke auszuweichen, die sich auf dem runden Tischchen gebildet hatte. Die Aula der Universität wimmelte von Studenten, und Astrid hatte Mühe gehabt, diesen Tisch vor dem Buffet zu ergattern. „Nach den Ferien hört doch jeder hier massenhaft Neuigkeiten! Zum Beispiel, daß der Andi auf Musik Hauptfach umsteigen will. Oder was Clara und Ernst in Spanien erlebt haben. Oder...“ „Nein, nein!“ Babs streckte den Kopf vor und senkte vertraulich die Stimme. „Etwas, was eigentlich noch ein Geheimnis ist!“ „Oh, klar, Geheimnisse sind dazu da, daß man sie teilt!“ Astrid lächelte ihr berühmtes süßes AstridLächeln und schob sich eine hellbraune Haarsträhne hinters Ohr. „Also?“ Babs funkelte ihre Freundin vergnügt durch ihre runden Brillengläser an. An Babs war alles rund: ihr Körper, ihr fröhliches Gesicht, die Wangen mit den lustigen Grübchen – und ihre Brille paßte da so richtig gut dazu. „Also, die Silvia...“ begann sie halblaut, „weißt du, die kleine Dunkelhaarige, die mit Englisch und Deutsch...“ „Jaja, ich weiß, wen du meinst! Mach’s doch nicht so spannend!“ Astrid streckte ihren langen schlanken Hals vor, um besser zu hören. „Sie heiratet den Rektor?“ riet sie. „Himmel, was du für Unsinn redest!“ tadelte Babs. „Also, wen dann?“ „Wer sagt denn, daß sie heiratet?“ „Naja, wenn du gar so geheimnisvoll tust, dann heiratet meistens irgendwer.“ „Als ob das gar so häufig vorkommen würde.“ „Also, sagst du’s mir jetzt, oder nicht?“ „Okay. Also, sie ist schwanger.“ Auf diese Mitteilung wußte Astrid zunächst einmal gar nichts zu erwidern. Sie starrte ihre Freundin ein paar Augenblicke lang verdattert an. Dann griff sie hastig in die Tasche ihrer Jacke, die über der Stuhllehne hing, und förderte ein Päckchen Zigaretten zutage. Ihre langen, schlanken Finger, die auch gut zu einer Pianistin gepaßt hätten, zitterten leicht, als sie eine Zigarette herausfingerte und anzündete. Ungeduldig zog sie daran, dann endlich blies sie mit einem kleinen Seufzer der Erleichterung den Rauch durch die Nase und lehnte sich zurück. „Süchtlerin!“ Babs wedelte mit den Händen vorm Gesicht, um den Rauch in die andere Richtung zu treiben. „Na, was sagst du? Da bist du platt, was?“ „Also war ich mit Heiraten doch nicht gar so weit daneben, oder?“ bemerkte Astrid trocken. Sie hatte sich jetzt wieder völlig unter Kontrolle. „Sie heiratet aber nicht“, wiederholte Babs eindringlich. „Zumindest jetzt nicht. Der Peter will nicht. Er will auch kein Kind.“ „Und da kriegt sie’s trotzdem?“ „Ja, und das find’ ich eigentlich toll. Sie hofft natürlich, daß der Peter sich’s später noch anders überlegt – aber das Baby bekommt sie auf jeden Fall“, berichtete Babs. „Schön blöd.“ „Was??“ „Warum sollte er sich’s anders überlegen? Er wird wütend sein, daß sie ihren Kopf durchsetzt! Und dann steht sie da – mit einem Baby, ohne Mann, ohne Abschluß – das wird ihr noch leid tun!“ „He, was ist mit dir los?“ Babs faßte ihre Freundin scharf ins Auge. „So zynisch kenn’ ich dich ja gar nicht!“ „Wieso zynisch?“ Astrid tupfte die Asche von ihrer Zigarette und wedelte den Rauch von Babs weg. „Ich bin nur realistisch. Sei doch ehrlich: wenn die Silvia jetzt ein Kind kriegt, das ihr Freund nicht will – zwei Jahre bevor sie fertig studiert hat – das ist doch der blanke Wahnsinn! Wem ist denn damit geholfen? Was kann sie einem Kind denn schon bieten, ohne Vater? Ohne Beruf? Ohne Geld?“ „Ja und was sollte sie deiner Meinung nach tun?“ Astrid sah ihre Freundin von oben herab väterlich an. Das war nicht schwer, weil sie sogar im Sitzen ein ganzes Stück größer war als Babs.


„Komm, sogar du mußt doch schon gehört haben, daß wir in der Neuzeit leben... Es gibt Mittel und Wege, wie man den Frauen ein solch trostloses Leben ersparen kann!“ „Du meinst, dem Kind erspart man das Leben, und der Mutter die Unbequemlichkeiten!“ grollte Babs. „Also ehrlich, das hätte ich nicht von dir–...“ Sie unterbrach sich. „Da kommt der Felix. Kein Wort mehr! Denk dran: das ist noch geheim!“ Beide Frauen hoben die Hand und winkten einem jungen Mann mit kurzgeschorener Stoppelfrisur zu, dessen weißes T-Shirt eindrucksvoll über seiner breiten Brust spannte. Felix erblickte die beiden in der Menge von Studenten, die alle Kaffee aus dem Automaten schlürften und Neuigkeiten austauschten, und kam näher. „Na, ihr zwei Hübschen? Seht ihr euch zu Hause nicht genug?“ Er drückte Babs einen herzhaften Kuß auf den Mund und nickte Astrid grüßend zu. „Ich hab euch da wen mitgebracht.“ Er winkte einen Jüngling heran, der mit Hemd, Krawatte und dunkelblauem Blazer nicht nur zu warm, sondern vor allem viel zu elegant angezogen war und in dem Gewühl von Gestalten in Jeans und Sweatshirt wie ein Fremdkörper wirkte. „Das ist der James.“ Felix deutete auf die beiden Mädchen und stellte vor: „James, das ist Babs, meine Freundin – my girlfriend –, und das ist ihre Freundin Astrid. Die beiden wohnen zusammen.“ Er ergriff einen Stuhl, stellte ihn mit der Lehne zum Tisch und setzte sich rittlings darauf. „Hello everybody!“ James streckte ihnen die Hand entgegen. „Nett euch kennenzulernen.“ Er rollte das r hinten im Gaumen. „Äh – gleichfalls!“ Astrid deutete auf einen Stuhl, der gerade am Nebentisch freigeworden war, und fügte hinzu: „Willst du dich nicht hinsetzen?“ „Oh ja, danke.“ Da Felix sich neben Babs gesetzt hatte und demonstrativ ihre Hand hielt, setzte James sich in gebührendem Abstand neben Astrid. „Wo kommst du denn her?“ fragte Babs. „Oh, von America. Nach meinen Erfahrungen gibt es wenig Sinn, wenn ich euch erkläre, von welchem Ort genau. Das kennt hier niemand. Oder studiert einer von euch Länderkunde?“ Alle schüttelten den Kopf. „Für einen Amerikaner sprichst du aber ziemlich gut deutsch!“ meinte Astrid. „Soll das ein Lob fuhr mich oder ein Beleidigung fuhr alle Amerikaner sein?“ James grinste sie an. Er hatte einen dichten, rötlich-blonden Schopf, der zur Feier des Tages sorgfältig gescheitelt war, und ein gutaussehendes, männliches Gesicht. Unter dem lächerlichen Sakko schien sich eine sportliche Figur zu verbergen. Bevor Astrid etwas entgegnen konnte, fuhr er fort: „Ich studiere Deutsch und Literatur und mouchte Lehrer werden. An der High school.“ „Aha, und jetzt machst du ein Auslandsjahr.“ „Oh ja, und heute ist das noch alles sehr kompliziert fuhr mich. Ein Wunder, ich habe hergefunden!“ Er lachte, und Astrid bemerkte amüsiert, daß er offenbar kein „ü“ aussprechen konnte. „Und dann hast du dich gleich wieder verirrt!“ bemerkte Felix, und erklärend fügte er hinzu: „Ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, aufs Damenklo zu gehen!“ „Na du bist ja ein ganz Übler!“ grinste Babs. „Es war gar nicht angeschrieben!“ verteidigte sich James. „Ach, dieses! Ja, an der Türe war früher so eine Frauenfigur, aber die ist schon lange runtergefallen“, erklärte Astrid. „Ich habe des Direktors Bouro gesucht, und dann Felix hat mir zum Glouck geholfen.“ „Ja, ich fürchte, du mußt noch viel lernen!“ seufzte Felix. „Jetzt, wo ich weiß, wo die Damenklo ist, kann doch nix mehr passieren!“ grinste James. „Oh, hast du eine Ahnung! Zum Beispiel mußt du lernen, daß man die Leute hier mit ihrem richtigen Titel ansprechen muß.“ Felix deutete auf einen graumelierten, bärtigen Herrn, der in Gedanken versunken vorbeieilte. „Der da zum Beispiel wird mit ‘Dozent Diefenbrunner’ angeredet. Ihn mit ‘Doktor’ anzureden, oder gar nur mit ‘Herr Diefenbrunner’, käme einer Beleidigung gleich. In Österreich nimmt man’s mit den Titeln sehr genau! Wenn er es allerdings nicht hört, kannst du auch ‘Struppi’ zu ihm sagen.“ „Oh, das ist kompliziert!“ James schnitt ein verzweifeltes Gesicht. „Wie kann man sich das alles merken?“ „Nimm’s nicht so tragisch.“ Astrid legte ihre Hand auf seinen Arm und lächelte ihr süßes AstridLächeln. „Im Zweifelsfall kannst du jeden mit ‘Professor’ anreden. Das ist die höchste Würde, die man in diesen heiligen Hallen hier antrifft. Und wer noch nicht Professor ist, der möchte es werden. Also paßt es immer.“


„Also kounnte ich den Dicken da mit ‘Professor Diefenbrunner’ benennen?“ fragte James, und Astrid registrierte, daß er auch das „ö“ nicht richtig herausbrachte. „Ja,“ bestätigte sie, „aber merk dir noch eins: der Struppi ist nicht dick! Der ist halt... – er versteht eben zu genießen! Er ist vielleicht ein bißchen unterspickt, aber doch niemals dick! Ein stattlicher Mann. Und sehr... äh, sehr nett.“ Babs stieß Astrid mit dem Ellbogen in die Seite. „Jaja, wir wissen’s! Struppi ist der netteste, süßeste, liebste Dozent, den die Welt je gesehen hat! Weißt du, James, unsere Astrid hat leider die verhängnisvolle Angewohnheit, sich immer nur in Männer zu verlieben, die sie nicht kriegen kann. Wie zum Beispiel in den lieben Herrn Dozenten Diefenbrunner! Also sei vorsichtig!“ James grinste irritiert, weil er nicht recht wußte, ob das jetzt Spaß oder Ernst war. Astrid schoß Babs einen gespielt bitterbösen Blick zu und lächelte James verbindlich an. „Hör nicht auf sie. Sie redet manchmal wirres Zeug.“ Sie klopfte mit der Hand auf Babs’ Stirn. „Aber sonst ist sie ein nettes Mädchen.“


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