gen vom 22. Februar bis 4. April die Vorträge „Beyond Personality“ von Lewis aus. Diese Vorträge bilden das vierte Hauptkapitel von Pardon, ich bin Christ.
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FEBRUAR
Der Kern der Verdorbenheit In dem Moment, wo der Mensch ein Selbstbewusstsein hat, hat er auch die Möglichkeit, sich selbst an die erste Stelle zu setzen, der Mittelpunkt, ja, eigentlich Gott selbst sein zu wollen. Das war die Sünde Satans; und das war die Sünde, die er die Menschen lehrte. Manche Leute glauben, der Fall des Menschen habe etwas mit der Sexualität zu tun, aber das ist ein Irrtum. (Die Erzählung in der Genesis lässt eher darauf schließen, dass eine gewisse Entartung unseres geschlechtlichen Lebens eine Folge des Falls, nicht aber seine Ursache war.) Unseren Urahnen setzte Satan in den Kopf, sie könnten „sein wie Gott“; könnten sich unabhängig machen, als hätten sie sich selbst erschaffen; könnten ihr eigener Herr sein und getrennt und fern von Gott Glückseligkeit finden. Und aus diesem hoffnungslosen Unterfangen ging fast alles hervor, was wir die Geschichte der Menschheit nennen: Geld, Armut, Ehrgeiz, Krieg, Prostitution, Klassenherrschaft, Königreiche und Sklaverei, die ganze furchtbare Geschichte des Menschen, der etwas sucht, was ihn glücklich machen soll, aber Gott außer Acht lässt. – aus Pardon, ich bin Christ
24.
FEBRUAR
Selbstvergötterung Wir haben keine Vorstellung davon, in welchem Akt oder in welcher Aktfolge dieser in sich selbst widerspruchsvolle, unmögliche Wunsch zum Ausdruck gekommen ist. Soweit ich sehe, könnte es buchstäblich mit dem Essen einer Frucht zu tun gehabt haben; aber die Frage ist von geringerer Bedeutung. Dieser Akt des Eigenwillens von Seiten des Geschöpfes, diese äußerste Verfälschung seiner wahren geschöpflichen Stellung ist die einzige Sünde , die als „Fall“ des Menschen gedacht werden kann. Die Schwierigkeit ist, dass die erste Sünde einerseits etwas sehr Hassenswertes gewesen sein muss (sonst könnten ihre Folgen nicht so schrecklich sein) und dennoch so begehrenswert, dass ein Wesen, welches frei war von der Versu60
chung des gefallenen Menschen, sie begangen haben kann. Die Abwendung von Gott hin zum Selbst erfüllt beide Bedingungen. Sie ist eine Sünde, die auch dem paradiesischen Menschen möglich war; denn die bloße Tatsache eines Selbst, die bloße Tatsache, dass wir es „Ich“ nennen, birgt von Anfang an die Gefahr der Selbstvergötterung in sich. Nachdem ich ein Ich bin, muss ich – und sei er noch so winzig und noch so leicht – einen Akt der Selbst-Hingabe vollziehen, um mehr für Gott zu leben als für mich selbst. Dies ist, wenn du willst, der „schwache Punkt“ im Wesen der Schöpfung selbst; das Risiko, von dem aber Gott offenbar der Meinung ist, es lohne sich. – aus Über den Schmerz Im Februar 1 9 4 3 hält Lewis an der Universität von Durham drei Vorträge, die unter dem Titel Die Abschaffung des Menschen veröffentlicht werden.
25.
FEBRUAR
Das alberne „Selbst“ Screwtape erklärt die Absicht des Feindes: Natürlich weiß ich, dass es auch dem Feinde daran gelegen ist, die Menschen von ihrem eigenen Ich zu lösen, aber in anderem Sinne. Denke stets daran, dass er diese kleine Brut wirklich liebt und einen albernen Wert auf die Persönlichkeit eines jeden von ihnen legt. Wenn er zu ihnen davon spricht, dass sie ihr „Selbst“ verlieren sollen, so meint er damit nur die Preisgabe der Anmaßung ihres Eigenwillens. Haben sie dem Folge geleistet, so gibt er ihnen tatsächlich ihre volle Persönlichkeit zurück und rühmt sich (ich fürchte, wirklich im Ernst), dass sie, wenn sie völlig sein Eigentum sind, mehr ihr eigenes Selbst sind als je zuvor. Daher kommt es, dass er, während er sich über das Opfer ihres harmlosen Willens freut, es geradezu hasst, sie aus irgendeinem andern Grunde von ihrer eigentlichen Wesensart wegtreiben zu sehen. Wir aber sollten sie ununterbrochen gerade dazu anspornen. – aus Dienstanweisung für einen Unterteufel
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26.
FEBRUAR
Recht und Unrecht Am bemerkenswertesten aber ist, dass auch ein Mensch, der behauptet, er glaube nicht an ein Recht und Unrecht, immer wieder auf diese Unterscheidung zurückgreift. Vielleicht bricht er selbst ein Versprechen, das er uns gegeben hat – aber sobald wir versuchen, unser Versprechen ihm gegenüber ebenfalls nicht einzuhalten, beschwert er sich im Nu und sagt, wir seien nicht fair. Ein Staat mag erklären, Verträge seien nicht wichtig; im nächsten Augenblick jedoch widerlegt er sein eigenes Argument mit der Behauptung, der von ihm für unwichtig erklärte Vertrag sei ungerecht. Aber wenn Verträge wertlos sind und wenn es so etwas wie Recht und Unrecht nicht gibt (...), was ist dann der Unterschied zwischen einem gerechten und einem ungerechten Vertrag? Hat ein solcher Staat damit nicht die Katze aus dem Sack gelassen und zugegeben, dass ihm, was immer er auch sagen mag, das Naturrecht genauso bekannt ist wie allen anderen? Wir können also nicht umhin, an ein gültiges Recht und Unrecht zu glauben. Vielleicht haben wir manchmal falsche Vorstellungen davon, so wie man beim Rechnen Fehler machen kann. Aber Recht und Unrecht sind so wenig eine Frage des bloßen Geschmacks oder der Auffassung wie das große Einmaleins. – aus Pardon, ich bin Christ
27.
FEBRUAR
Die Satzung der Natur Hoffentlich wird das, was ich nun zu sagen habe, nicht missverstanden. Ich will keine Moralpredigten halten und ich komme mir – weiß der Himmel – keinen Deut besser vor als andere. Ich versuche nur, auf eine Tatsache aufmerksam zu machen; die Tatsache nämlich, dass wir selbst uns in diesem Jahr, in diesem Monat oder, was noch wahrscheinlicher ist, bereits heute nicht so verhalten haben, wie wir es von anderen erwarten. Vielleicht können wir allerlei Entschuldigungen vorbringen. 62
Damals, als wir die Kinder so ungerecht behandelten, waren wir müde. Und jene dunkle Geldangelegenheit – die schon beinahe vergessen ist – passierte, als wir gerade in der Klemme saßen. Und was wir damals dem alten Herrn versprochen und nie gehalten haben – nun, wenn wir gewusst hätten, was noch alles auf uns zukommen würde, hätten wir das Versprechen bestimmt nie gegeben. Und was unser Verhalten der eigenen Frau (oder dem Mann) und der Schwester (oder dem Bruder) gegenüber angeht: „Wenn die wüssten, wie sie einem auf die Nerven gehen können, würden sie sich darüber nicht wundern. Und überhaupt – wer sind Sie eigentlich?“ Ja, ich bin auch nicht besser. Auch mir gelingt es kaum, der Satzung der Natur zu folgen, und sobald mir jemand ein Versäumnis vorwirft, taucht in meinem Gehirn ein ganzer Schwarm von Entschuldigungen auf. Dabei geht es im Moment nicht darum, ob diese Entschuldigungen stichhaltig sind oder nicht. Wesentlich ist vielmehr, dass sie ein weiterer Beweis dafür sind, wie tief dies Gesetz in uns verankert ist, ob wir das wollen oder nicht. Wenn wir nicht an ein Sittengesetz glauben, warum liegt uns dann so viel daran, uns zu entschuldigen, wenn wir uns einmal nicht „richtig“ verhalten haben? In Wahrheit glauben wir so sehr daran, wir fühlen die Verpflichtung durch das Gesetz oder die Regel so stark, dass wir den Gedanken, dagegen zu verstoßen, nicht ertragen können und deswegen die Verantwortung von uns abzuwälzen versuchen. Denn wohlgemerkt, wir suchen all diese Erklärungen nur für unser schlechtes Verhalten. Nur für unsere Missstimmungen machen wir Müdigkeit, Sorgen oder Hunger verantwortlich; gute Laune schreiben wir uns selber zu. – aus Pardon, ich bin Christ
28.
FEBRUAR
Triebe Es ist ein Irrtum, einige unserer Triebe – wie Mutterliebe oder Vaterlandsliebe – für gut und andere – wie Geschlechtstrieb und Kampflust – für schlecht zu halten. Kampflust oder Geschlechtstrieb müssen zwar häufiger unterdrückt werden als Mutterliebe oder Vaterlandsliebe. Doch es gibt auch Situationen, in denen ein verheirateter Mann seinen Geschlechtstrieb, ein Soldat seine Kampflust 63
steigern muss. Andererseits muss eine Mutter gelegentlich ihre Liebe zu ihren Kindern, ein Mann seine Liebe zu seinem Vaterland etwas einschränken, damit sie nicht zu Ungerechtigkeiten gegen die Kinder oder die Heimat anderer Menschen führen. Streng genommen gibt es weder gute noch böse Triebe. Denken wir noch einmal an das Beispiel vom Klavier. Es hat nicht zwei Arten von Tasten, „richtige“ und „falsche“. Jede einzelne Taste kann beim Gebrauch richtig oder falsch sein. Das sittliche Gesetz ist weder irgendein einzelner noch eine Reihe von Trieben. Es lenkt die Triebe und bringt dabei eine Art Melodie hervor, die wir „das Gute“ oder „richtiges Verhalten“ nennen. Übrigens hat dieser Aspekt ganz wesentliche praktische Auswirkungen. Es wäre überaus gefährlich, würden wir einen einzelnen Trieb herausgreifen und ihn zum Leitstern unseres Handelns machen. Es ist keiner dabei, der uns nicht zu Teufeln machen könnte, wenn wir ihn absolut setzen. Man könnte zwar meinen, Menschenliebe sei in dieser Hinsicht ungefährlich, aber das stimmt nicht. Wenn man die Gerechtigkeit dabei außer Acht lässt, so wird man sich eines Tages dabei ertappen, wie man ein Abkommen nicht einhält oder vor Gericht falsche Aussagen macht – alles um der Menschenliebe willen – und schließlich zu einem grausamen und treulosen Menschen wird. – aus Pardon, ich bin Christ
29.
FEBRUAR
Moralische Ansprüche Die Heiligkeit Gottes ist etwas Höheres und etwas anderes als moralische Vollkommenheit; und sein Anspruch an uns ist mehr und anderes als der Anspruch moralischer Verpflichtung. Ich leugne das nicht. Aber auch dieser Einwand wird, wie der Begriff „Gemeinschuld“, sehr leicht benützt, um die entscheidende Frage zu umgehen. Gott mag etwas Höheres sein als moralische Gutheit; er ist aber nicht weniger. Der Weg zu dem Land der Verheißung führt über den Sinai. Das sittliche Gesetz mag dazu da sein, dass man darüber hinausschreite; aber es gibt kein Darüberhinausschreiten für jene, die nicht zuvor den Anspruch des Sittengesetzes anerkannt und mit all ihrer Kraft versucht haben, diesem Anspruch zu genügen, und die schlecht und recht der Tatsache ihres Versagens ins Auge sehen. 64