Ein schöner Tag zum Sterben Heute ist ein wunderschöner Wintertag. Draußen ist es ziemlich frisch und die Eichhörnchen in meinem Garten jagen einander durch einen großen hohlen Baumstamm. Die Roten rennen den weniger aggressiven Grauen hinterher. Die rote Sorte scheint völlig sorglos zu sein und nie zu ermüden. Das ist Unterhaltung pur – besser als Fernsehen! Es ist schwer zu glauben, dass vor wenigen Jahren an einem ähnlich schönen Tag wie heute in einem kleinen, vorstädtischen Krankenhaus am Ende der Straße die Hölle los war. Noch schwerer fällt es mir zu glauben, dass ich derjenige auf dem OP-Tisch und das Objekt dieses Kampfes um Leben und Tod war. Ärzte hatten mir zu einem früheren Zeitpunkt bereits meine beiden Knie wiederhergestellt. Diese Eingriffe waren schmerzhaft, aber notwendig gewesen und ohne Zwischenfälle verlaufen. Jetzt war es an der Zeit, meine Gallenblase entfernen zu lassen. Doch bei dieser Operation hatte ich im Vorfeld sehr unangenehme Gefühle. Tage vor dem Tag, der sich als der schlimmste meines Lebens herausstellen sollte, hatte ich mir Sorgen um meinen bevorstehenden Krankenhausbesuch gemacht. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Ich hatte sogar in Betracht gezogen, mir mit einem Marker „Nur Gallenblase herausnehmen“ quer über den Bauch zu schreiben. Ich wollte nicht, dass mich der Chirurg mit dem Typen verwechselt, bei dem eine Beinamputation vorgenommen werden sollte. Ein ungutes Gefühl Ich steh nicht gerne früh auf, aber die frühen Morgenstunden meines Operationstages waren noch schlimmer als sonst. Als mich meine Frau Janie die wenigen Kilometer von unserem Haus zum Krankenhaus fuhr, war mir eigenartig übel. Je näher wir kamen, desto ernsthafter überlegte ich mir, die Operation abzusagen. In meinem Innersten muss ich realisiert haben, dass ich meine Hausaufgaben – mich über die Risiken der Operation, den Ruf des Chirurgen oder den des Krankenhauses zu informieren – nicht gemacht hatte. Heute wüsste ich es besser – aber ich nehme der Geschichte schon etwas vorweg. Als wir im Krankenhaus ankamen, war mir immer noch ganz anders. Was war diese ominöse Vorahnung, die ich da spürte? Der Arzt schien unerklärlich ängstlich und ernsthaft überfordert zu sein. Die Krankenschwestern verhielten sich, als ob sie belagert würden. Die meisten Geräte schienen schlecht zu funktionieren – und es gab nur einlagiges Toilettenpapier! Nennen Sie mich verrückt, aber in meinem Buch hat diese Art schlechtes Omen etwas zu bedeuten. Eine der seltsamen Schwestern stellte fest, dass ich ungewöhnlich nervös war, und gab mir ein Beruhigungsmittel. Das Medikament sandte mich in andere Sphären. Bald waren alle meine Sorgen verschwunden und ich wehrte mich gegen nichts mehr. Alle Vorahnung löste sich in Luft auf und ich ließ jetzt alles auf mich zukommen. Während der Arzt und die Schwestern ihre letzten Vorbereitungen trafen, saß ich glücklich da und redete mit Janie. Das medizinische Fachpersonal, in dessen Hände ich bald mein Leben legen würde, schien immer noch nicht so richtig im Einklang mit sich zu sein, aber ich versicherte mir selbst, dass diese Operation keine große Sache sei – nur so etwas wie meine Knieoperation. Ich werde nie die Worte vergessen, die meine Frau und ich wechselten, während ich den Gang hinunter zum Operationssaal gefahren wurde: „Ich liebe dich, Janie. Bis bald.“ „Ich liebe dich noch mehr!“, rief sie zurück.
„Nein“, entgegnete ich, „ich liebe dich mehr!“ Unser kleines Wortspiel dauerte so lange, bis die Türen des OP-Saals hinter mir zuschwangen. Nachdem ich auf den Operationstisch gelegt worden war, wurden Janies Worte durch die kalte Stimme des Anästhesisten verdrängt, der in der üblichen Weise von zehn abwärts zählte. Es wurde dunkel um mich, noch bevor er bei sieben angelangt war. Auf diesem Tisch, in diesem vorstädtischen Krankenhaus und in diesem narkotisierten Zustand erlebte ich, wie es ist zu sterben – und wie es ist, von den Toten zurückzukehren. (…)
Keine Routine „Sechs … fünf … vier“ – Janie hörte natürlich den Countdown des Anästhesisten nicht und sah nicht zu, wie ich bewusstlos wurde. Sie war ins Wartezimmer zurückgekehrt, trank Kaffee und plauderte mit meiner Sekretärin Reese, die ebenfalls ins Krankenhaus gekommen war. In Janies Gedanken war alles in Ordnung. Nach einer halben Ewigkeit kam schließlich ein Krankenhausangestellter zu Janie und Reese und erzählte ihnen, dass meine OP gerade begonnen habe. Janie erinnert sich daran, wie sie dachte: Das ist eigenartig, aber an nicht viel mehr. Nach 45 weiteren Minuten führte eine Krankenschwester Janie und Reese in einen kleinen Konferenzraum. „Es ist etwas schief gegangen“, verkündete die Schwester mit ausdrucksloser, nüchterner Stimme. „Es gab ein kleines Problem, sodass Steve das Krankenhaus heute nicht verlassen können wird.“ „Was ist passiert?“, stieß Janie hervor. „Steve blutet sehr viel und er wird sehr lange Zeit krank sein. Er müsste bald aus dem OP-Saal kommen und in ein Krankenzimmer gelegt werden.“ Es war klar, dass die Schwester nicht wollte, dass Janie und Reese in Panik geraten, aber dafür war es zu spät. Janie schwankte zur Damentoilette und schrie zu Gott. Ihre Stimme hallte von den sterilen Fliesen wider, als sie von ganzem Herzen bat: „Oh Gott, oh Gott, oh Gott, hilf! Bitte lass Steve nicht sterben!“ Die glanzlosen, beigefarbenen Wände der Toiletten boten ihr wenig Trost, deshalb ging Janie zurück in den Konferenzraum. Sie war wie betäubt. Warum hatte Steve nicht den Marker genommen und Anweisungen auf seinen Bauch geschrieben? Reese war bereits aktiv geworden. Sie rief Leute an – jeden, der ihr einfiel – und sagte zu allen dasselbe: „Betet für Steve!“ Schwestern und Ärzte brachten Janie und Reese mehrmals in der Stunde vage Neuigkeiten. Diese wurden im Laufe des Tages kein bisschen besser. Ich hatte das Bewusstsein verloren und blutete stark. Ärzte waren hinzugerufen worden, um mich wiederzubeleben. In kürzester Zeit wurde klar, was passiert war: Meine Hauptschlagader war fälschlicherweise durchstochen worden – nicht einmal, sondern zweimal, an der Ober- und an der Unterseite. Das hatte ernsthafte Komplikationen hervorgerufen. Die Nachricht verbreitete sich schnell. Bis zum Abend war auf lokalen Radiosendern und im Fernsehen von meinem Unglück berichtet worden. Eine bekannte Radiosendung brachte stündliche Neuigkeiten über meinen Zustand. Ich schaffte es sogar in die 18-Uhr-Nachrichten. Währenddessen hing ich zwischen Leben und Tod, daher hörte und sah ich nichts davon.
Manche Leute erhielten mitten in der ersten Nacht einen Anruf, andere hörten bis zum Nachmittag danach nicht von dem, was passiert war. Bald kamen Freunde ins Krankenhaus. Janie hat mir erzählt, dass die Nachricht für alle wie ein Schlag gewesen ist. Es kann nicht Steve sein. Ich habe ihn gerade noch gesehen. Er befand sich noch vor ein paar Tagen in bester Gesundheit. Dem Tod nahe? Wie kann das sein? Heute reden die Leute immer noch davon, wo sie waren, als sie zum ersten Mal von der Nachricht hörten. Für mich ist es eigenartig, so etwas zu hören. Wahrscheinlich hatte ich mehr Freunde, als ich dachte. An diesem Nachmittag wurde ich auf die Intensivstation verlegt, wo ich mit einem Beatmungsgerät verbunden wurde, das mich am Leben hielt. Janie erzählt, dass ich aufgebracht war und mich wehrte, als mir der Beatmungsschlauch in den Hals gesteckt wurde. Sie verbrachte die meiste Zeit des Tages im Schock und versuchte, den medizinischen Fachjargon der Ärzte zu verstehen. Schließlich, etwa um Mitternacht, überzeugten die Ärzte und Krankenschwestern Janie davon, dass sich über Nacht nichts ändern würde. So ging sie zögerlich nach Hause, um ein wenig zu schlafen. Mitten in der Nacht Janie nahm das Telefon mit ans Bett und war gerade eingeschlafen, als es klingelte. Es war eine Krankenschwester von der Intensivstation. „Sie müssen herkommen“, meinte die Schwester. „Steve muss noch einmal operiert werden.“ Später erzählte mir Janie: „Ich wusste, wenn ich dich lebendig sehen möchte, muss ich ins Krankenhaus fahren. Ich war völlig benommen und konnte kaum stehen. Als ich mich anzog, schaute ich in deinen Schrank, und es war wie ein Schlag ins Gesicht, als ich realisierte, dass du vielleicht nie wieder nach Hause kommen und diese Sachen tragen würdest.“ Janie war nicht in der Lage, ein Auto zu steuern, deshalb bat sie Rebekah, zu fahren. Laura kam ebenfalls mit. Weil sie den Freunden, die sich im Wartezimmer versammelt hatten, nicht begegnen wollten, gingen Janie und die Mädchen in einen anderen Raum, wo sie alleine sein konnten. Die Krankenschwestern riefen Janie und meine Töchter herzu, als ich zu meiner zweiten Operation gefahren werden sollte. Bei dieser Fahrt durch den langen Gang gab es keine Neckereien – ich war unter Vollnarkose und Janie war die Einzige, die redete. Obwohl ich keines ihrer Worte hören konnte, erinnerte sie mich an unsere Pläne, nach Florida zu ziehen, um dort neue Gemeinden zu gründen. „Komm schon, Schatz“, sagte sie. „Du kannst es schaffen. Ich will nicht allein nach Florida gehen!“
Sehnsucht nach einem Wunder Es war ein schöner Tag zum Sterben. Ich wurde sehr schnell immer schwächer. Meine Lebenszeichen waren beinahe verklungen und das Ende war nur noch einen Moment entfernt. Die Ärzte vermuteten, dass ich innerlich blute, deshalb pumpten sie mich voll mit frischem Blut und Flüssigkeiten. Merkwürdigerweise entdeckte das Ärzteteam dann aber, als ich während meiner zweiten Operation aufgeschnitten wurde, dass ich nicht so viel geblutet hatte, wie anfänglich angenommen. Statt mich wiederzubeleben, führten die mir zugeführten Flüssigkeiten schließlich dazu, dass mein gesamter Körper aufquoll und meine inneren Organe erdrückt wurden. In nur wenigen Stunden
blähte ich von 80 auf 140 Kilo auf. Ich sah aus wie eine Kreuzung zwischen dem Michelin-Männchen und einem Hefekloß! Meine Lazarusgeschichte Man hört nicht oft von jemandem, der gestorben und wieder lebendig geworden ist. Lazarus ist wieder zum Leben erweckt worden, aber wir erfahren nichts darüber, was er erlebt hat, als er sich außerhalb seines sterblichen Körpers befand, und auch nicht, wie er nach seiner Auferstehung gelebt hat. Zum großen Teil bleiben sein Tod und seine Auferstehung geheimnisumwoben. Da ich dieses Buch schreibe, ist es offensichtlich, dass ich nicht tot geblieben bin. Deshalb habe ich beschlossen, meine eigene Lazarusgeschichte zu erzählen. Im ersten Kapitel habe ich die Umstände meines Kampfes zwischen Leben und Tod beschrieben. Nun sind Sie sicher gespannt, wie es weitergeht. Aber ich möchte zunächst ein wenig in der Geschichte zurückgehen. Einige Monate vor meiner Operation hatte ich oft unerträgliche Schmerzen im Bauch, manchmal nach fetthaltigem Essen. Die Anfälle waren qualvoller als bei einer Verdauungsstörung oder einem Sodbrennen und nach einer solchen Attacke war ich wie betäubt und zitterte. Da es zu meiner Arbeit gehört, bei Konferenzen auf der ganzen Welt zu sprechen, und weil ich einen solchen Anfall nicht erleben wollte, wenn ich gerade in London oder Nashville bin, tat ich, was vernünftig war, und ließ mich durchchecken. Mein Hausarzt hatte sofort den Verdacht, dass es mit meiner Gallenblase zusammenhängt, und überwies mich an einen jungen Chirurgen. Es wurde ein Sonogramm erstellt, dessen Ergebnisse nicht so richtig schlüssig waren: Es gab keine sichtbaren Hinweise darauf, dass mit der Gallenblase irgendetwas nicht in Ordnung war. Der junge Chirurg schlug eine Bauchspiegelung vor, bei der er ein paar kleine Einschnitte in meinen Körper machen würde, um meine Gallenblase zu untersuchen und – wenn nötig – zu entfernen. Wie mir die Operation beschrieben wurde, schien sie ziemlich sicher zu sein. Mein Chirurg war bereit und so legten wir den Termin im Dezember fest. Ich würde in kürzester Zeit wieder aus dem Krankenhaus sein und Weihnachten mit meiner Familie verbringen … (…) Meine Operation „Drei … zwei … eins“ – der Countdown ging weiter, aber ich zählte ihn nicht mehr mit. Der Chirurg nahm die ersten drei Einschnitte seitlich von meinem Brustkorb vor, um eine Öffnung zu schaffen, durch die er später das Operationsbesteck einführen konnte. Ein vierter Einschnitt wurde genau unter meinem Bauchnabel gemacht, um, wenn nötig, meine Gallenblase entfernen zu können. Als der Chirurg jedoch zu diesem vierten Schnitt ansetzte, machte er aus irgendeinem Grund einen tragischen Fehler. (Das war bei meiner ersten, ursprünglich geplanten Operation, bevor Janie und die Kinder erfuhren, dass etwas schief gegangen war.) So wie ich es verstanden habe, setzte der Chirurg das Instrument in einem falschen Winkel an. Dann drückte er das Gerät zum Schneiden an die Haut. Statt einen Einschnitt von 2,5 Zentimetern Länge zu machen, um meine Bauchmuskeln zu teilen, riss das Schnittgerät eine acht bis zehn Zentimeter tiefe Wunde in meinen Bauch. Das rasiermesserscharfe Instrument machte einen Schnitt durch meine Eingeweide, meinen Darm und – am schlimmsten von allem – direkt
durch meine Aorta. Dann bohrte es sich wie ein Dolch in mein Rückgrat und trennte dabei einige Nervenbündel ab. Jeder, der Biologie mindestens bis zur neunten Klasse hatte, weiß, dass die Aorta dafür verantwortlich ist, alles Blut, das vom Herzen kommt, zu den lebenswichtigen Organen im Körper zu transportieren. Man kann sich vorstellen, was geschah, als meine Aorta plötzlich zwei Löcher hatte. Das Blut spritzte wie eine Fontäne heraus. Mein Blutdruck sank sofort auf 50 zu 30 (als normal gilt um die 120 zu 80). Obwohl ich blutete, bemerkte es der Chirurg nicht. Er war überrascht, als mein Blutdruck absank, denn er sah kein Anzeichen für eine Blutung, weil das Blut durch die Schwerkraft aus meinen Venen in den Hohlraum meines Rückens floss. Worte der Zuversicht Während all das passierte, schaute ich zur Decke auf. Dort sah ich Licht und hörte eine Stimme – die Stimme Gottes. Er sprach laut zu mir – ja, seine Worte waren hörbar. Ich wusste intuitiv, dass es Gott war, der zu mir sprach. Es war, als redeten hundert Freunde in harmonischer Gleichklang miteinander. Es war eine Stimme, die mir bekannt vorkam, mich tröstete und mir nahe war. Ich fühlte mich geborgen. Diese Stimme war die welterschütternde Stimme, die Mose aus dem brennenden Busch gehört haben muss. Gott hatte zu ihm gesprochen, zu einer Zeit, als er dringend Hoffnung und Orientierung brauchte. Ich bin nicht Mose, aber ich begreife jetzt, dass ich in diesem Moment, in dem OP-Saal eines Krankenhauses im ländlichen Cincinnati, Gottes Stimme hörte. In all den Jahren meines Lebens mit Gott hatte ich ihn nie vernehmbar reden gehört (und habe es seitdem auch nie wieder erlebt). Ich hatte noch nicht einmal jemanden getroffen, der Gott schon einmal laut reden gehört hat. Diese Art göttlicher Kommunikation ist sehr ungewöhnlich. Vielleicht benutzt Gott sie nur in Notfällen. Als ich Gottes Stimme hörte, war ich also zunächst beunruhigt – bis ich auf das hörte, was er zu sagen hatte. „Hab keine Angst“, machte Gott mir Mut. „Du brauchst vor nichts Angst zu haben. Es wird alles wieder gut werden.“ Ich hatte nicht wirklich Angst – ich war eher erstaunt über das, was geschah. Das war wie in diesen Filmen aus den Siebzigern, die jemanden zeigen, der auf einem LSD-Trip ist. Langsam trieb ich Richtung Decke und schaute auf das Durcheinander hinab. Meine Sicht ähnelte der einer unter einem Heliumballonkorb befestigten Kamera. Plötzlich wusste ich, dass das, was ich da unten sah, ich selbst war. Es war eigenartig und wie im Traum. Ich hatte Frieden, weil Gott mir Zuversicht gegeben hatte. Bis zu diesem Moment hatte ich immer gedacht, dass Leute, die behaupten, sie hätten Gottes Stimme gehört, Spinner sind. Aber jetzt gehörte ich zu ihnen. (…) Steve Sjogren: Der Tag an dem ich starb Der bewegende Bericht eines Menschen, der klinisch tot war
Über den Autor Steve Sjogren hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht, schreibt für verschiedene amerikanische Zeitschriften und ist als Vortragsredner unterwegs. Mit seiner Frau Janie hat er sowohl in den USA als auch in Norwegen Gemeinden gegründet. Steve hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie in Ohio.