Kapitel 3 Drew trat aus der natürlichen Allee in das helle Mondlicht. Er-
füllt von einer tiefen Dankbarkeit für das, was sein Vater vor ihm hier geschaffen hatte, betrachtete Drew die Hütte, in der er aufgewachsen war. Er atmete tief ein und genoss das angenehme Gefühl, das diese Hütte in ihm auslöste, die auf einer Lichtung inmitten mehrerer großer Bäume stand. Ihre Wände bestanden aus geflochtenen Zweigen, die mit Lehm verschmiert waren. Dünner Rauch stieg aus dem Lehmkamin auf, der sich am einen Ende des Hauses befand. Auf der anderen Seite war ein großer Stoß Feuerholz sauber gestapelt. Ein haarloses Kaninchenfell, das über das eckige Fenster gespannt war, bot denen, die darin schliefen, einen gewissen Schutz. Sein Bruder saß auf dem Hackstock aus Eichenholz vor dem Haus und hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt. Drew lächelte bei sich. Josh war ein unverbesserlicher Optimist. Wenn ein Gewitter kam, rechnete Drew mit einer Überschwemmung, Josh jedoch mit einem Regenbogen. Drew dachte daran zurück, wie untrennbar sie als Jungen gewesen waren, ein Bruder die perfekte Ergänzung des anderen. Auch jetzt, da sie erwachsen waren, setzte sich ihre enge Beziehung in ihrem gemeinsamen Tabakhandel fort. Drew bearbeitete mit Leidenschaft und Ehrgeiz das Land, während Josh mit einer natürlichen Gabe als Tabakhändler Erfolg hatte, von der andere nur träumen konnten. Es war gut, seinen Bruder nach seiner letzten Fahrt nach England wieder zu Hause zu haben. Josh nahm den Zahnstocher aus seinem Mund. Die dunkelblonden Haare lockten sich unter seinem Hut und fielen bis über seine Schultern. „Wo ist sie?“ 35
Drew zuckte die Achseln. „Ein paar Meter hinter mir.“ Josh runzelte die Stirn. „Hast du ihr gesagt, dass sie auf dem Weg bleiben soll? Auch im Dunkeln gibt es hier immer noch genug Schlangen.“ „Was macht das schon? Ihre Überlebenschancen stehen sowieso sehr schlecht.“ „So schlecht sicher auch wieder nicht.“ Drew ließ Constances Kleidung und ihr Tagebuch auf die Bank neben der Haustür fallen. „Du vergisst, dass es nicht viele Frauen schaffen, wenn sie erst einmal hier sind. Nur jede Dritte. Nur die Zähen. Nur die Starken. In den meisten Fällen nur die Starrsinnigsten.“ Josh steckte sich den Zahnstocher wieder in den Mund und biss auf den dünnen Holzspieß. „Nur weil Leah hier nicht überlebt hat, heißt das nicht, dass jede Frau das gleiche Schicksal ereilen wird.“ Drew versteifte sich. „Leah hat nichts damit zu tun.“ „Das ist glatt gelogen, und das weißt du ganz genau. Seit ihrem Tod sind fast drei Jahre vergangen. Höchste Zeit, dass du darüber hinwegkommst.“ Drew nahm Constances Tagebuch in die Hand und blätterte darin herum. Es war natürlich zu dunkel, um darin zu lesen, aber das war gleichgültig, da Bilder von Leah vor seinem inneren Auge auftauchten. Ihre stille, blasse Schönheit, ihre steife, leblose Gestalt und die maisblonden, seidigen Haare, als sie sie in eine Kiste legten und diese sechs Fuß tief in die Erde senkten. Ein großer Knoten bildete sich in seinem Magen. Er wollte nicht zuschauen, wie auch die Lebenslust und die Vitalität dieser Rothaarigen ausgelöscht wurden. Mit fester Entschlossenheit klappte er Constances Tagebuch zu. Er brauchte nichts anderes tun, als auf Abstand zu bleiben, dann würde es ihn vielleicht nicht berühren, wenn dieses Land ein weiteres Menschenleben forderte. Diesen Fehler hatte er schon einmal gemacht. Er würde ihn nicht wieder machen. „Die Frau ist tot, bevor der Winter kommt.“ 36
Josh verdrehte die Augen. „Das weißt du nicht.“ „Wollen wir wetten?“ „Einverstanden“, willigte Josh ein. „Wenn sie nach dem Winter immer noch lebt, habe ich gewonnen, und du musst sie heiraten. Wenn sie tot ist, hast du gewonnen, und ich muss sie heiraten.“ Drew warf das Tagebuch wieder auf die Bank. „Sehr lustig und für dich auch eine sehr sichere Sache, wenn man bedenkt, dass deine Verlobte dich sehnsüchtig in England zurückerwartet.“ „Das stimmt.“ Josh rieb über die Stoppeln auf seinen Wangen. „Und, wirst du sie heiraten oder nicht?“ Drew runzelte die Stirn. „Nein. Sie muss einfach nur als Magd für uns arbeiten.“ „Aber sie ist keine Magd. Die Frauen auf der ,Randolph‘ sollten als Tabakbräute verkauft werden, nicht als Schuldmägde. Das weißt du ganz genau. Aber du wolltest keine Braut, nicht wahr, Drew?“ Joshs Augen verrieten, wie wütend er war. „Nein, du hast den Frauen für immer abgeschworen, und deshalb hast du mich auf eine verrückte Mission nach England geschickt, um die Gefängnisse abzuklappern, bis ich eine Frau fand, die keine schlimme Verbrecherin war, aber trotzdem deportiert wurde, und gleichzeitig nicht als Heiratskandidatin zur Debatte stand.“ Er spuckte den Zahnstocher aus und schaute diesem nach, wie er im hohen Bogen auf die Erde flog. „Das habe ich getan, großer Bruder. Ich habe Mary Robins gefunden. Nur für dich. Und damit viele Wochen vergeudet.“ Drew weigerte sich, Josh anzuschauen. Er hatte diesen Wutausbruch verdient. Sein Bruder hatte seine Anweisungen befolgt, ohne Fragen zu stellen, aber jetzt machte er seinem Unmut Luft, und wenn Drew ehrlich sein wollte, musste er zugeben, dass Josh jedes Recht dazu hatte. Deshalb würde er hier stehen bleiben und sich anhören, was sein Bruder ihm an den Kopf warf – wenigstens eine Weile lang. Josh biss die Zähne zusammen. „Und was machst du an dem 37
ersten verdammten Tag, an dem ich zurück bin?“ Ein spannungsgeladenes Schweigen legte sich über die Lichtung. „Du spielst Karten und gewinnst am Ende eine Braut. Eine Braut, die man heiraten kann. Jetzt hast du zwei Frauen, während andere keine einzige haben.“ Er schüttelte den Kopf. Sein ganzer Ärger verrauchte. „Der Rat wird das nicht dulden, Drew. Du wirst diese Zweite heiraten müssen.“ Drew starrte seinen Bruder mit leidenschaftslosen Augen an. „Nein.“ Josh stützte einen Ellbogen auf sein Knie und suchte in den Holzstückchen nach einem neuen Zahnstocher. „Warum nicht?“ Er betastete ein Stückchen, dann ein zweites und entschied sich schließlich für ein drittes. „Bist du es nicht müde, ledig zu sein? Findest du nicht, dass ein Mann mit achtundzwanzig Jahren schon längst …“ „Es reicht!“ Drew zog mürrisch seinen Hut vom Kopf. „Meine Überzeugungen gehen in eine andere Richtung als deine. Wenn du es so großartig findest, dich in England auszutoben, solange du dort bist, ist das in deinen Augen vielleicht das Größte, aber nicht für mich.“ Josh wandte den Blick ab. „Ich verurteile dich nicht. Mich ärgert es nur, dass du immer noch um Leah trauerst. Sie war schließlich nicht deine Frau – sie war deine Verlobte.“ Er rieb sich den Nacken. „Sie ist tot, Drew. Tot. Warum kannst du nicht endlich darüber hinwegkommen?“ Drew zwang sich, langsam einzuatmen. „Hast du vergessen, dass unsere Familie früher aus neun Leuten bestand? Hast du die Sterblichkeitsrate in dieser Siedlung vergessen? Hast du vergessen, dass wir ohne Eltern sind und nur noch Sally und Großmutter haben?“ „Vergiss Nellie nicht. Sie lebt auch noch“, sagte Josh leise. „Das stimmt. Aber sie ist jetzt verheiratet und lebt nicht mehr unter meinem Dach.“ „Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Drew strich sich abwesend mit den Fingern durch die Haare. 38
„Hätte ich gern eine Frau, die zu mir gehört? Natürlich. Aber nach allem, was ich erlebt habe, sind sie alle nicht der Mühe wert.“ Unerwünschte Bilder von Constance tauchten vor seinem inneren Auge auf. Er hasste rote Haare und sie war wahrlich ein wandelndes Leuchtfeuer. Aber, der Himmel stehe ihm bei, als er sie an Deck gesehen hatte, und dann wieder, als ihr Tuch auf den Boden gerutscht war, hatte er die Auswirkungen bis in seine Zehen gespürt. Und diese unansehnlichen Sommersprossen. Sie waren überall. Trotzdem hatte er dagestanden und sie angestarrt. Als sie ihr Mieder zurechtgerückt hatte, war er nicht imstande gewesen, sich zu bewegen, geschweige denn zu atmen. Er warf Josh einen Blick zu. „Ich will keine Frau, wenn ich hilflos zuschauen muss, wie sie stirbt und dann auch noch unsere Kinder sterben.“ „Wenn du keinen Erben willst, warum bist du dann so erpicht darauf, ein großes Plantagenhaus zu bauen?“ „Was soll ich denn sonst mit all dem Bauholz machen, das Vater uns im letzten Jahr spalten ließ? Es ist jetzt trocken und kann zum Bauen verwendet werden.“ „Es gibt genug Leute, die es dir abkaufen würden.“ Drew setzte seinen Hut wieder auf und starrte zum Wald, der gleich hinter der Lichtung begann. „Ich musste Vater versprechen, dass ich es bauen würde. Nicht einfach irgendein Haus, verstehst du. Ich musste ihm versprechen, genau das Haus zu bauen, das er gezeichnet hat. Das Haus, für das er all diese Nägel gekauft hat. Das Haus mit drei Stockwerken und einem gemauerten Keller aus Ziegelsteinen.“ Nachdem er seinen Bruder einen Moment lang sprachlos angestarrt hatte, klappte Josh seinen Mund wieder zu. „Wann hat er dir denn dieses Versprechen abgenommen?“ Drew stieß einen langen Seufzer aus. „Als du fort warst. Er lag auf dem Sterbebett und wand sich vor Schmerzen. Ich konnte es ihm nicht abschlagen.“ 39
Ein leichter Wind berührte sein Gesicht und bewegte die Blätter des Maulbeerbaums zu seiner Linken. Er pflückte eine Traube dunkelvioletter Früchte, die unter den schützenden, herzförmigen Blättern hingen. Ein winziger Strom aus süßem Nektar tropfte von seinen Lippen. Er wischte sich mit dem Ärmel über das Kinn und steckte sich eine weitere Beere in den Mund. Das Vibrato eines Frosches erstarb plötzlich und eine ungewohnte Stille breitete sich über der Lichtung aus. Josh schlug sich mit den Händen auf die Knie und deutete mit dem Kopf zu den Bäumen. „Sollte sie nicht inzwischen hier sein?“ Drew zuckte die Achseln. Josh richtete den Blick auf den ausgetretenen Pfad und kniff die Augen zusammen. „Was hältst du von ihren roten Haaren?“ Drews Gesichtszüge verhärteten sich. Joshs Augen funkelten belustigt. „Würdest du gern wissen, wie sie ist?“ Drew gab keine Antwort. „Temperamentvoll. Sie ist sehr temperamentvoll.“ Drew riss den Stiel der Beerentraube ab. „Natürlich wurden die Männer und die Frauen während der gesamten Fahrt auf getrennten Decks eingesperrt. Ich habe mit ihnen also nicht so viel Zeit verbracht wie mit den Männern. Und die Männer – du wirst wirklich zufrieden sein mit den Männern, die ich dir empfohlen habe. Mit ihrer Hilfe wirst du dein Haus gebaut haben, bevor ein Jahr vergangen ist.“ Drew weigerte sich, den Köder, den Josh ihm vor die Nase hielt, zu schlucken. Wo war sie nur? Sie sollte längst hier sein. „Aber trotzdem“, sprach Josh weiter, „bin ich ziemlich oft unter Deck geschlichen, um sicherzustellen, dass Mary Robins genug zu essen bekam.“ Er streckte die Beine aus und schlug sie an den Knöcheln übereinander. „Sie waren nebeneinander angekettet, weißt du. Mary und deine Rothaarige.“ 40
Drew schaute seinen Bruder finster an. „Es stimmt. Ich bin also in der einmaligen Lage, genau zu wissen, wie temperamentvoll sie ist.“ Er schürzte die Lippen. „Ehrlich gesagt, ist sie mehr als nur ein wenig temperamentvoll. Sie ist ein richtiger Wildfang. Aber ich mag sie. Ehrlich.“ In diesem Moment stolperte Constance auf die Lichtung. Drew ließ seinen Blick von ihren teilweise bedeckten Haaren bis zu ihren nackten Zehen wandern. Ihr ausgebleichtes Kleid war mit Schmutz beschmiert und saß viel zu eng, um sie anständig zu bedecken. Sein Bruder erhob sich und machte eine leichte Verbeugung. „Wie geht es Ihnen, Lady Constance?“ Diese ließ sich auf den Baumstamm fallen, den Josh gerade freigemacht hatte, und blickte von einem Mann zum anderen. „Sie sind miteinander verwandt? Aber natürlich. Das hätte ich mir denken können. Und, wie geht es Ihnen?“ Joshs Mundwinkel zog sich nach oben. „Gut, Mylady. Und Ihnen?“ „Ermutige Sie nicht, Josh.“ Mit gerunzelter Stirn drehte sich Drew zu ihr herum. „Wir benutzen hier in den Kolonien keine Titel. Du wirst genauso angesprochen wie all die anderen Knechte und Mägde hier, bis wir von deinem ‚Vater‘ hören, falls das je geschehen wird.“ Er sah, wie sie sich bemühte, eine widerspenstige Locke unter ihr Tuch zu stecken. „Und wie wird man zu mir sagen?“ „Constance.“ Sie keuchte. „Das kann nicht Ihr Ernst sein! Das werde ich nicht dulden.“ „Entweder Constance oder Weib“, entgegnete er und kniff die Augen zusammen. „Wenn du nicht auf deinen Vornamen reagierst, kannst du sicher sein, dass ich die andere Anrede benutzen werde.“ Sie kniff die Lippen zusammen. „Und wie wollen Sie angesprochen werden, wenn Sie mir das bitte verraten würden?“ „Master Drew.“ 41
„Ich werde keinen Mann Master nennen. Ich habe nur einen Herrn und der regiert im Himmel.“ „Dann hast du jetzt zwei.“ Die Hüttentür wurde geöffnet und sofort wieder geschlossen. Drew blickte sich um. Die Frau, die Josh für ihn gekauft hatte, stand im Mondschein hinter ihnen. „Mary“, keuchte Constance. Sie sprang rasch auf die Beine und eilte zu der anderen Frau. Was für ein ungleiches Bild die zwei Frauen, die sich hier umarmten, abgaben. Die eine war groß und strahlte Stärke aus. Die andere war zierlich und zu seinem Erschrecken sehr feminin. „Ich bin so froh, dich zu sehen!“, rief Constance aus. „Was machen Sie denn hier?“, erwiderte Mary. Josh räusperte sich. „Wir haben ein kleines Problem, meine Damen. Es sieht so aus, als hätte mein Bruder zwei Frauen statt einer gekauft.“ Drew machte zwei große Schritte und packte seinen Bruder am Arm. „Josh … meine Damen, könnten wir vielleicht ein Stück von der Hütte weggehen, damit wir Großmutter und Sally nicht wecken.“ Er verstärkte seinen Griff und sah sie erwartungsvoll an. „Gehen wir?“ Am Rand der Lichtung ließ er Josh los und versetzte ihm einen leichten Stoß. „Wenn du es schon ausplappern musstest, kannst du es ihnen gern erklären.“ „Was erklären?“, fragte Josh. „Dass du zufällig Lady Constance beim Kartenspiel gewonnen hast? Dass alle hier Anwesenden außer unserer kleinen Rothaarigen wissen, dass du von Anfang an nie die Absicht hattest, Mary zu heiraten? Dass die Männer in der Kolonie dich an den Zehen aufhängen werden, wenn sie das hören? Oder dass Großmutter noch etwas viel Schlimmeres mit dir machen wird?“ Drew knirschte mit den Zähnen. „Vergiss es. Ich erkläre es ihnen lieber selbst.“ Josh machte große Augen. „Wie du willst.“ „Meine Damen“, begann Drew, „ich habe Constance beim 42
Glücksspiel gewonnen und nicht die Absicht, eine von euch beiden zu heiraten.“ Josh brach in lautes Gelächter aus. „Joshua!“, zischte Drew. „Mäßige deine Stimme. Großmutter könnte aufwachen, und ich habe nicht die Absicht, heute Nacht mit ihr über dieses Missgeschick zu diskutieren.“ Josh grinste. „Natürlich würde ich nicht im Traum daran denken, Großmutter zu wecken. Besonders nicht, nachdem du Lady Constance die halbe Nacht auf dem Schiff gelassen hast, nur um sicherzugehen, dass Großmutter auch wirklich eingeschlafen ist, wenn du deine Neuerwerbung nach Hause bringst!“ „Es reicht!“ Josh schloss den Mund, aber seine Augen funkelten immer noch belustigt. Drew richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Frauen. „Habt ihr irgendwelche Fragen?“ „Ich würde jetzt gern baden“, entgegnete Constance. „Sie haben doch sicher einen Schwamm und eine Schüssel, nehme ich an?“ Drew kniff den Mund zusammen. „Die Gefangenen haben alle gebadet, bevor das Schiff vor Anker ging.“ „In Salzwasser. Das war äußerst unangenehm. Außerdem hatte das Schiff … nun ja, es hatte einen unangenehmen Gestank an sich. Ich dachte, sobald ich das Schiff verlasse, würde dieser Geruch verschwinden. Aber dem war nicht so. Es sei denn natürlich, das, was ich rieche, sind Sie und nicht ich.“ Sein Gesicht begann, leicht zu erröten. „Wie es der Zufall will, meine Dame, legte meine liebe Mutter, Gott schenke ihrer Seele ewige Ruhe, besonderen Wert darauf, dass ein Mensch sich regelmäßig wäscht. Josh und ich waschen uns jeden Tag.“ Constance keuchte. „Jeden Tag! Sie scherzen! Es ist ungesund, sich so oft zu baden. Es trocknet die Haut aus und … und … Ich weiß nicht, was sonst noch alles.“ „Ich sage dir, was sonst noch alles: Es entfernt die Tierchen vom Kopf und den Schmutz vom Körper. Meine Mutter ist seit fast drei Jahren tot, aber ich habe es keinen Tag versäumt, mich 43
bei warmem Wetter jeden Tag und bei kaltem Wetter jeden Sonntag im Bach zu baden.“ „Im Bach baden?“, kreischte sie. „Sie tauchen ins Wasser ein?“ „Ja.“ „Das ist, das ist …“ Sie bekreuzigte sich. „Wir erwarten von unseren Leuten das Gleiche.“ Josh zog die Augenbrauen hoch. Mary fächerte sich mit der Hand Luft zu. Constance erbleichte. „Das kommt nicht infrage. Unter keinen Umständen werde ich in einen Bach oder in irgendetwas anderes eintauchen. Ich habe nichts dagegen, mich zu baden. Aber ein Schwamm und eine Schüssel genügen mir. Ich werde mich jedoch nicht unter irgendein Wasser begeben.“ Er verzog das Gesicht zu einem gekünstelten Lächeln. „Wollen wir wetten?“ Sie warf Josh einen panischen Blick zu. „Ist das sein Ernst?“ Josh zuckte die Achseln. „Sieht so aus.“ Drew verkniff sich ein befriedigtes Grinsen. „Wollen Sie immer noch baden, Mylady?“ Sie atmete langsam und tief ein. Nachdem sie einen Augenblick lang geschwiegen hatte, bewegte sie den Kopf. „Ja. Aber eine Schüssel und ein Schwamm sind wirklich genug.“ Er warf Josh einen Blick zu. „Bring Constance zum Bach, damit sie sich das Gesicht waschen und zum Schlafen fertig machen kann.“ Josh trat vor und reichte ihr seinen Arm. „Mylady?“ Drew sah ihn finster an. Constance zögerte. „Heute Nacht wird niemand untergetaucht“, flüsterte Josh. „Ich gebe dir mein Wort.“ Sie schaute ihm einen Moment forschend in die Augen. Dann legte sie die Hand auf seinen Arm und folgte ihm zum Bach. Drew wandte sich wieder an Mary. „Hat Großmutter dir eine Decke gegeben“ „Ja, Herr.“ 44
„Gut. Du musst so bald wie möglich ein paar Matratzen machen.“ „Ja, Herr.“ Er nahm seinen Hut ab, um sich am Hinterkopf zu kratzen. Dann setzte er ihn wieder auf. Sie stand mit gebeugtem Kopf und gefalteten Händen da. Ein Tuch verbarg den größten Teil ihrer dunkelbraunen Haare. „Warum hältst du den Kopf gebeugt?“ Sie hob das Gesicht, schaute ihn aber nicht an. „Es wäre ein Zeichen für mangelnden Respekt, wenn ich Ihnen in die Augen schauen würde, Herr.“ Das Mondlicht machte ihre Gesichtszüge, die frühzeitig gealtert waren, weicher. Sie war wahrscheinlich nicht älter als zwanzig, aber auf ihrer Stirn und in ihren Mundwinkeln waren bereits Falten zu sehen. „Hier in Virginia brauchst du dir wegen solcher Förmlichkeiten nicht den Kopf zerbrechen. Du kannst mich anschauen, Mary, sooft du willst.“ Langsam bewegten sich ihre Wimpern nach oben. Riesige, braune Augen richteten sich auf seinen Hut, wichen aber seinem Blick immer noch ein wenig aus. Die runden, haselnussbraunen Augen machten sie anziehend. „Weißt du, ich brauche keine Braut“, erklärte er und atmete geräuschvoll aus. „Aber ich brauche trotzdem eine Frau.“ Ihr Blick wanderte von seinem Hut zu seinen Augen. „Verstehe“, flüsterte sie. Er fühlte, wie die Hitze wieder seinen Nacken hinaufkroch. „Nein, nein. Du verstehst mich falsch. Ich meine damit, dass ich eine Frau brauche, die kocht, die das Haus in Ordnung hält, die den Garten bebaut und sich um meine jüngere Schwester kümmert.“ Sie senkte das Kinn. „Das dürfte kein Problem sein, Herr.“ Er hatte sie in Verlegenheit gebracht. „Ist dir bekannt, dass ich zehn Männer gekauft habe und plane, sie morgen früh zu holen? Sie werden sehr hungrig sein.“ 45
„Ich werde mich darum kümmern, Herr.“ „Danke, Mary“, seufzte er. „Keine Ursache, Herr.“ „Du kannst dich jetzt wieder schlafen legen.“ „Danke, Herr.“ Er schaute ihr nach, wie sie zur Hütte ging. Auch wenn sie etwas hager war, vermittelte ihre große, aufrechte Statur den Eindruck einer Frau, die aus zähem, festem Holz gebaut war. Er nickte. Sie würde hier zurechtkommen. Sein Blick wanderte zu dem ausgetretenen Pfad, der zum Bach hinunter führte.
„Na, wenn das nicht der glückliche Bräutigam ist“, rief Josh aus. Drew knurrte. Constance saß am Ufer und fuhr erschrocken herum, um zu sehen, ob die Männer gleich anfangen würden zu raufen. Drew sah aus, als wäre er nur allzu gern dazu bereit. Josh hingegen lehnte nur mit der Schulter an einem Baum. „Immer mit der Ruhe, Drew. Ich habe mich nur gefragt, wann die Ehe vollzogen wird.“ „Hör auf, mich zu ärgern, Josh. Sonst bekommst du meine Fäuste zu spüren.“ „Das hast du das letzte Mal gemacht, als ich noch ein Kind war. Jetzt würde dir das nicht mehr so leicht gelingen.“ Constance drehte sich wieder zum Bach herum. Von Bäumen und verschiedenen anderen Pflanzen gesäumt, war das Bachufer unterschiedlich breit und gewunden. Ein grob gezimmertes Floß, das nur wenige Meter von ihr entfernt angebunden war, schlug immer wieder leicht gegen das Ufer. Sie schob ihre Ärmel nach oben und strich mit den Fingern durch das stille Wasser. Das Licht der sternenklaren Nacht schimmerte über die kleinen Wellen, die sie erzeugte. Constance beugte sich vor, spritzte ein wenig Wasser auf ihre erhitzte Haut und genoss die kühle Stille. 46
„Alles, was ich sehe, ist ein Mann, der nach dem Abendessen sein Wams aufknöpfen muss“, knurrte Drew. „Ich? Ha! Wenn du nicht aufpasst, hängt dein Bauch sicher bald bis zu deinen Knien herunter.“ „Du unverschämter, haariger Kerl! Ich habe einen Herkulesmagen.“ „Herkules! Dass ich nicht lache!“ Constance warf rasch einen Blick auf die Männer hinter ihr und schätzte die Entfernung ab, die sie von ihnen trennte. Sie waren nicht zu nahe, aber auch nicht sehr weit weg. Sie zuckte die Achseln. Es müsste genügen. Sie drehte ihnen den Rücken zu, öffnete ihr Mieder, ging am Ufer in die Hocke und füllte ihre Handflächen mit kaltem, erfrischendem Wasser. Vorsichtig goss sie sich das Wasser über das Gesicht und den Nacken und strich mit den Händen darüber. Es war absolut himmlisch. „Merke dir eines, du Fettwanst: Ich bin immer noch fast zehn Zentimeter größer als du.“ „Das stimmt“, pflichtet Josh ihm bei. „Aber was mir an Körpergröße fehlt, das mache ich mit meiner Wendigkeit wett.“ Mit einem Seufzer begann Constance, ihr Mieder wieder zuzuschnüren. Dieses verbale Kräftemessen wäre sicher bald zu Ende und sie wollte nicht mit einem offenen Kleid gesehen werden. Sie zog mit aller Kraft an den Schnüren. Ihr war nicht bewusst gewesen, wie schwer das ohne Marys Hilfe sein würde. Sie zog erneut und hielt die Bänder mit einer Hand fest und versuchte mit der anderen, das Mieder wieder zusammenzubinden. „Drew, du bist immer noch wütend. Ich hätte einen unfairen Vorteil dir gegenüber.“ „Hmpf. Dein Hirn ist genauso fett und faul wie dein Bauch.“ Constance vernahm ein Lachen, dann einen scherzhaften Schlag. Es gelang ihr einfach nicht, das Mieder wieder zuzuschnüren. Sie geriet allmählich in Panik und zog mit aller Kraft, um den Stoff wieder zusammenzuziehen. „Oh!“, keuchte sie. 47
Eines der Bänder zerriss. Sie starrte entsetzt auf das abgerissene Stück in ihrer Hand. Dann schloss sie gedemütigt die Augen. Die andere Hälfte des zerrissenen Bandes rutschte aus der Schlaufe. „Lady Constance?“ „Josh, rede sie nie wieder so an.“ Es folgte ein Moment des Schweigens. Sie biss sich auf die Unterlippe und versuchte, das Mieder mit den Händen zusammenzuziehen. Dabei löste sich der Rest des Bandes. Sie keuchte. „Constance?“, fragte Josh. „Ist alles in Ordnung?“ Sie nahm eine Bewegung hinter sich wahr. „Constance?“ „Nein!“, wimmerte sie. „Bleiben Sie weg!“ Die Bewegung stockte. „Was ist?“, fragte Drew. Sie zog mit den Händen. Das verschlimmerte ihr Dilemma nur noch mehr. „Was ist denn los?“, erklang Drews Stimme direkt hinter ihr. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, zog das Kinn ein und beugte sich vor. „Gehen Sie weg“, stieß sie mit erstickter Stimme hervor. Sie hörte seine Knie leise knacken, als er sich neben ihr nach unten beugte. Dann fühlte sie, wie er vorsichtig die Hand auf ihren Rücken legte. Sie fiel vor Schreck fast ins Wasser. „Hast du Schmerzen?“, fragte er. „Ja. Gehen Sie weg.“ Er blieb, wo er war. „Was tut dir weh?“ „Ach, Sie Ochse. Gehen Sie einfach weg.“ „Constance?“ Diesmal war es Josh, der auf ihrer anderen Seite kniete. „Sind es Frauenleiden?“ „Ohhh“, stöhnte sie. Und sie hatte gedacht, ihre Situation könnte nicht mehr schlimmer werden! „Joshua!“, schrie Drew. „Du ausgewachsener Hornochse. Hast du denn den Verstand verloren? Könntest du bitte ein wenig diskreter sein?“ 48
„Ach, du kannst mich mal. Sie ist deine verdammte Braut. Kümmere du dich doch um sie.“ Constance vernahm die unverwechselbaren Geräusche, als Joshua verärgert das Weite suchte. Dann folgte Stille. Wenn Drews Handfläche nicht ein Loch in ihren Rücken gebrannt hätte, hätte sie gedacht, er wäre auch gegangen. Aber so viel Glück hatte sie nicht. „Sind die Schmerzen sehr schlimm?“ Sie lugte über ihren Arm. „Sind wir allein?“ Er sah sie verwirrt an. „Hast du vor, mich umzubringen?“ Sie musste lächeln. „Jetzt noch nicht.“ „Ja, wir sind allein.“ Sie seufzte erleichtert. „Ich brauche Ihre Jacke.“ Verwirrt sah er sie mit großen Augen an. „Wie bitte?“ „Könnte ich bitte Ihre Jacke anziehen?“, fragte sie gepresst. „Meine Jacke anziehen? Wozu denn das?“ „Mein Mieder scheint sich zerlegt zu haben.“ Sie wand eine Hand frei und ließ das zerrissene Band zwischen ihren Fingern baumeln. Er sprang auf und wich zurück. „Meine Güte, Frau!“ Schneller, als sie schauen konnte, warf er ihr seine Jacke hin und wandte ihr den Rücken zu. Sie blieb einen Moment ruhig sitzen, um sich über seine Absichten klarzuwerden. Als er mit dem Rücken zu ihr stehen blieb, schnappte sie sich die Jacke vom Boden, schlüpfte hinein und stand auf. Die ärmellose Jacke war ihr viel zu groß. Der tiefe V-Ausschnitt auf der Vorderseite bot ihr darüber hinaus keinen Schutz. Sie drehte das Kleidungsstück herum. So war es viel besser. Das überraschend weiche Leder berührte ihre Haut. Es roch nach Sonnenschein, Schweiß und Natur. Es roch nach dem Mann, dem es gehörte. „Danke“, flüsterte Constance. Er blickte vorsichtig über seine Schulter, bevor er sich zu ihr herumdrehte. „Du hast sie verkehrt herum an.“ Ihr Gesicht begann zu glühen. „Ja.“ 49
Sein Adamsapfel bewegte sich nervös auf und ab. „Die Bänder sind abgerissen?“ Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Gesicht noch heißer brennen könnte. Trotzdem weigerte sie sich, diesem Barbaren zu erklären, wie wichtig es ihr war, alle Spuren dieser grauenhaften Schifffahrt von sich abzuwaschen. Sie nickte. Sein Blick wanderte überall hin, nur nicht zu ihr. Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. „Es ist heute Nacht zu spät, um sich gründlich zu waschen. Aber du kannst morgen früh baden.“ Sie kaute auf ihrer Unterlippe und wischte ihre Hände an der Jacke ab. „Mit Schwamm und Schüssel?“ Sein Blick heftete sich auf ihr Gesicht. „Mit Lappen und Eimer.“ Sie atmete tief ein. „Danke. Dafür wäre ich sehr dankbar.“ Ein Windstoß fegte über den Weg. Er wehte ihr ein paar Locken ins Gesicht und raschelte in den Sträuchern, die sie umgaben. Die langen Äste einer Trauerweide bewegten sich sanft hinter ihm, während er sich die Augen rieb und murmelte: „So ein Unsinn.“ Dann schaute er sie müde an. „Ich brauche keine Braut. Und eine zweite Frau brauche ich schon gar nicht. Du machst dich einfach so gut wie möglich nützlich. Für den Anfang hilfst du beim Kochen und im Haus.“ „Ich kann nicht kochen.“ Er kniff die Augen leicht zusammen. „Und warum nicht?“ „Ich hatte nie einen Grund zu kochen.“ „Du hattest keinen Grund, etwas zu essen?“ Ihre Mundwinkel verzogen sich nach oben. „Ganz im Gegenteil, ich esse sehr gern.“ „Aber du kochst nicht gern?“ „Es geht nicht darum, ob ich es mag. Es geht darum, dass ich es nicht kann.“ „Was kannst du denn dann?“ „Sticken.“ 50
„Sonst nichts?“ „Ich kann sehr gut mit Zahlen umgehen.“ „Was für ein Glück! Und ich hatte schon Angst, du könntest nutzlos sein.“
Drew betrachtete das Rätsel, das vor ihm stand. Sie konnte unmöglich die Wahrheit sagen. Keine adlige Frau würde zulassen, dass ihre Haare auf diese Weise aus ihrem Tuch hervorlugten. Keine adlige Frau würde ihr Mieder öffnen, wenn nur wenige Meter entfernt zwei Männer standen. Keine adlige Frau hätte diese Überfahrt überlebt. Wenn sie die Tochter eines Earl war, dann war er ein Königssohn. Andererseits konnte keine gewöhnliche Frau lesen und schreiben. Keine gewöhnliche Frau drückte sich so gewählt aus. Keine gewöhnliche Frau fragte nach einer Waschschüssel statt eines Eimers. „Bist du vielleicht zufällig die uneheliche Tochter eines Earl?“ Drew beäugte sie nachdenklich. Constance keuchte. „Wie können Sie es wagen! Sie würden nicht einmal die Königin von England erkennen, wenn sie vor Ihnen stünde!“ „Beantworte meine Frage.“ „Ich werde diese Frage keiner Antwort würdigen.“ Sie schob ihren Rock zur Seite, rauschte an ihm vorbei und begab sich zum Pfad, der zur Hütte zurück führte. Sie ließ ihn einfach stehen. Aber er war der Herr hier. Je früher sie das begriff, desto besser. Er biss die Zähne zusammen, machte ein paar große Schritte, legte den Arm um ihre Taille und hob sie vom Boden hoch. Sie reagierte mit großer Vehemenz – sie schrie, schlug um sich, kratzte, biss und trat ihn. Rasch ließ er sie wieder los. Sie fuhr angriffslustig herum und sah aus, als würde sie ihn jeden Moment anspringen. „Ich bin aus meiner Heimat fortge51
rissen worden, mit fünfzig Verbrecherinnen in den Laderaum eines stinkenden Schiffes gekettet, als Braut verkauft und bei einem Kartenspiel verschachert worden. Glauben Sie mir, ich bin im Moment nicht gerade bestens gelaunt. Wenn Sie mich noch einmal anrühren, übernehme ich keine Verantwortung für das, was ich dann tue.“ „Oh, doch. Ich bin jetzt dein Herr in allen Dingen. Wie es dir hier ergehen wird, hängt ganz davon ab, wie ich mich entscheide, dich zu behandeln. Da die meisten Frauen in dieser Siedlung ehemalige Kriminelle sind, sind die Mittel, mit denen wir sie beherrschen, etwas barbarisch. Bis jetzt habe ich eine solche Behandlung nie befürwortet, aber im Moment bin ich sehr versucht, meine Meinung zu ändern. Lass mich nie wieder einfach so stehen, wenn ich dir eine Frage stelle.“ Constance fuhr herum und marschierte davon. Er zögerte nur eine Sekunde, ehe er sich von hinten auf sie warf. Er rollte sich schnell zur Seite, damit er nicht auf ihr landete, sondern selbst den Aufprall auf der Erde abfing. Dann drehte er sie so, dass sie unter ihm zu liegen kam. „Bist du die uneheliche Tochter eines Earl?“ Sie quetschte ihre Arme zwischen sich und ihn und versuchte mit erstaunlicher Kraft, ihn wegzuschieben. „Ich wünsche Ihnen, dass Sie von Kopf bis Fuß Juckreiz bekommen und mich bitten, Sie zu kratzen. Ich würde Ihnen die schlimmste Krätze in ganz England verpassen.“ „Wir sind aber nicht in England, sondern in den Kolonien. Und jetzt beantworte meine Frage.“ Sie spuckte ihm ins Gesicht. Er wischte sich mit der Schulter die Wange ab. Dann legte er sich stärker auf sie und hielt ihre Backen mit den Händen fest. Sie konnte sich nicht mehr bewegen. „Mach das nie wieder. Habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“ Er sah, dass sie wieder spucken wollte. Er kniff drohend die Augen zusammen. „Ich warne dich.“ 52
Ah. Endlich eine Reaktion. Sie schluckte. „Bist du die uneheliche Tochter eines Earl?“ „Nein.“ Er zögerte. Sie hatte seine Frage beantwortet. Er hatte diese Schlacht gewonnen. Jetzt sollte er sie loslassen. Doch er blieb, wo er war. Natürlich hätte die Lederjacke, die er ihr geliehen hatte, genauso gut Teil einer Ritterrüstung sein können, denn sie verbarg alle weiblichen Kurven, die die Frau möglicherweise besaß. Aber das Mondlicht fiel auf ihr Gesicht und badete es in einen sanften Schein. Er ließ sich Zeit, ihr Gesicht aus der Nähe zu betrachten. Wenn er die Sommersprossen außer Acht ließ, war sie richtig hübsch. Ihr zart geformtes Gesicht wurde von einer zierlichen, schönen Nase gekrönt und noch nie im Leben hatte er so lange Wimpern gesehen. Lang und nicht direkt rot, sondern eher bräunlich, wie ihre Augen. Oh, ihre Augen waren unvergleichlich. Groß, leuchtend und viel zu intelligent. Nervös benetzte sie ihre großzügig geschwungenen Lippen. Bei der Reaktion, die das in ihm auslöste, geriet er in Panik. „Ich nehme an, Mary kann das Kochen und den Haushalt übernehmen. Du kümmerst dich um den Garten und meine kleine Schwester.“ „Sie sind zu gütig.“ Er zog einen Mundwinkel in die Höhe. Ah, dieser Sieg schmeckte wirklich süß. Er erhob sich, drehte sich um und ging zur Hütte. Dieses Mal ließ er sie stehen.
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