To Save A Life - 9783865916570

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Jim & Rachel Britts

Bist du bereit, ein Leben zu retten? Roman

Aus dem Amerikanischen Ăźbersetzt von Jokim SchnĂśbbe


Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100 Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier EOS liefert Salzer, St. Pölten. This book was first published in the United States by Outreach, Inc., 2230 Oak Ridge Way, Vista, CA 92081, with the title: „To Save A Life“. © 2009 by Jim and Rachel Britts Used by permission © der deutschen Ausgabe 2012 by Gerth Medien GmbH, Asslar, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Die Bibelzitate wurden, sofern nicht anders angegeben, der folgenden Bibelübersetzung entnommen: Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (GN) Der Liedtext auf S. 74 wurde dem Liederbuch »Du bist Herr – Band 3« entnommen: Originaltitel: »I can feel you« (»Come and fill me up«) Text und Musik: Brian Doerksen Copyright © 1990 Mercy/Vineyard Publishing, USA Deutscher Text: Wolfgang Dennenmoser 1. Auflage 2012 Bestell-Nr. 816 657 ISBN 978-3-86591-657-0 Umschlaggestaltung: Michael Wenserit Umschlagfoto: Alexia Wuerdeman Satz: Daniel Eschner Druck und Verarbeitung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany


F체r alle Teenager, mit denen wir in den letzten 10 Jahren arbeiten durften. Wir beten, dass diese Geschichte euch dazu inspiriert, eure Welt zu ver채ndern.


1 Na, das passt ja super, schoss es Jake durch den Kopf, als er widerwillig aus seinem Wagen in den trüben Nieselregen stieg. Die Wassertropfen kribbelten auf seiner Haut und ihn überlief ein Zittern. Warum bin ich bloß hergekommen?, fragte er sich. Was soll das denn jetzt noch bringen? Er zwang sich, auf die kleine Gruppe von Menschen zuzugehen, die sich wenige Meter von ihm entfernt zusammendrängten. Sie sprachen leise miteinander und hatten ihre Hände tief in den Taschen vergraben. Offensichtlich kämpften sie nicht nur gegen die äußerliche Kälte, sondern auch gegen das taube Gefühl in ihrem Inneren. Rogers Mutter bemühte sich vergeblich, einen gefassten Eindruck zu erwecken, während Rogers jüngere Schwester ausdruckslos vor sich hin starrte. Jakes Nachbarin, Mrs Jones, stand ebenfalls dort. Sie hatte die Herzlichkeit nicht ganz verloren, die sie sonst immer ausstrahlte, aber ihre Augen waren gerötet, und ihr sonst allgegenwärtiges Lächeln fehlte heute. Von den Übrigen erkannte Jake auf den ersten Blick nur Clyde Will, dessen Tätowierungen unter seinem Hemd hervorschauten. Als Jake näher kam, löste sich ein ungefähr 35-jähriger Mann aus der Gruppe und begann zu sprechen. Er wirkte fast so betroffen und unsicher, wie Jake sich fühlte. »Heute sind wir hier versammelt, um Roger Andrew Dawson Auf Wiedersehen zu sagen.« Der Redner hielt inne, atmete tief durch und fuhr dann fort: »Eigentlich hätte er noch eine lange Lebensstrecke vor sich haben sollen, aber wir danken Gott trotzdem für die knapp achtzehn Jahre, in denen Roger bei uns war.« Rogers Mutter versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Mit einem Mal fühlte sich Jakes Krawatte an, als schnürte sie ihm die Kehle zu. Warum bin ich hier?

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Die Sommerferien vor der fünften Klasse. Ein heißer Nachmittag im Juli. Jake und Roger sitzen auf ihren Fahrrädern und radeln ziellos auf den Straßen hin und her. Sie langweilen sich und sprechen kaum ein Wort. Plötzlich wendet sich Roger mit einem verschmitzten Grinsen an seinen Kumpel. »Ich hab eine Idee!«, sagt er. »Mir ist eingefallen, wie wir so richtig absahnen können!« Jake hat sofort ein ungutes Gefühl, denn er hat schon einige Erfahrungen mit Rogers verrückten Ideen gesammelt. »Ist das wieder so eine Aktion, für die ich hinterher drei Wochen Hausarrest bekomme?«, erkundigt er sich misstrauisch. »Ach komm schon, sei kein Weichei. Das wird supercool! Machst du mit?« Roger grinst übers ganze Gesicht. Zwar ist Jake immer noch skeptisch, aber seine Neugier und die Lust auf ein Abenteuer gewinnen die Oberhand. Wenige Minuten später rennen Jake und Roger die Straße entlang. Sie haben sich mit den Umhängen und Masken, die zusammengeknüllt in einer Ecke von Jakes Schrank gelegen haben, verkleidet und von Jakes Mutter zwei Kissenbezüge stibitzt. Nun grölen sie laut herum und versuchen, ihre Lieblingshelden aus dem Fernsehen zu imitieren. Als Jake mit den Armen wedelt und wie ein aufgescheuchtes Huhn hin und her hüpft, bekommt Roger einen Lachanfall. Am Vorgarten von Jakes Nachbarin rücken sie noch schnell ihre Umhänge und Masken zurecht, bevor sie zur Haustür laufen und klingeln. Die Tür geht auf und Mrs Jones erscheint, eine hübsche Frau, deren strahlendes Gesicht sie viel jünger wirken lässt als ihre 50 Jahre. Allerdings kommt sie noch nicht einmal dazu, Hallo zu sagen, weil Roger und Jake sofort wie aus einem Mund »Süßes oder Saures!« brüllen. Beim Anblick der beiden Superhelden, die eher an Vogelscheuchen erinnern, beginnt Mrs Jones zu schmunzeln. »Aber Jungs, es ist doch erst Mitte Juli!« »Waren Sie beim Friseur, Mrs Jones? Sie sehen wirklich klasse aus!«, meint Roger daraufhin, wobei er seinen ganzen Charme spielen lässt.

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Instinktiv streicht sich die Frau über ihr frisch gefärbtes rotes Haar und lächelt noch herzlicher. »Na gut, ihr beiden, ich schau mal, was sich auftreiben lässt.« Kaum hat sie ihnen den Rücken zugekehrt, da klatschen sich die beiden Freunde triumphierend gegenseitig ab. Das ging leichter als erwartet! Mrs Jones kommt mit Müsliriegeln und Trinkpäckchen zurück, doch bevor die Beute in den Kissenbezügen verschwindet, zaubert Roger noch ein Gänseblümchen hinter seinem Rücken hervor. »Und das ist für Sie!« Sein Augenzwinkern ist zwar noch nicht völlig überzeugend, aber mit dieser Geste hat er endgültig gewonnen. Während die Frau die Blume beglückt betrachtet, flitzen die Jungs zum Bürgersteig und rufen ihr über die Schulter ein Dankeschön zu. An der Straßenecke schaut Jake Roger an. »Hey, wie bist du denn an die Blume gekommen?« Roger grinst und zeigt auf das Beet in Mrs Jones’ Vorgarten. »Du bist ja völlig durchgeknallt, Mann!«, sagt Jake bewundernd, peilt das nächste Haus auf der anderen Straßenseite an und sprintet los. »JAKE!!!« Rogers Schrei lässt ihn gerade noch rechtzeitig innehalten, um einen Geländewagen direkt auf sich zurasen zu sehen. Sein Blick trifft den des zerstreuten Fahrers, der zu spät auf die Bremse tritt. Das Fahrzeug rutscht auf Jake zu, aber Jake kann sich vor Schreck nicht rühren. »NEEEIIIIN!!!«, schreit Roger. Jake weiß nicht, wie ihm geschieht, nur, dass er zur Seite gerissen wird und wenige Zentimeter vom Auto entfernt auf den Asphalt stürzt. Er hört das widerliche Geräusch brechender Knochen. Blut tropft aus seinem aufgeschürften Knie. Benommen schaut er hinter sich auf die Straße. Sein bester Freund liegt bewegungslos unter der Stoßstange des Autos, sein rechtes Bein verdreht, sein roter Umhang wie ein Leichentuch um sein Gesicht gewickelt. Jake schauderte bei der Erinnerung an jenen Tag vor acht Jahren und starrte Mrs Jones an, die ihm gegenüber im

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Regen­stand. Der Typ, der vermutlich ein Pastor oder so was war, redete immer noch. »Keiner von uns weiß, was Roger durchgemacht hat und was für Dämonen in seinem Kopf herumgeschwirrt sind. Wir verstehen nicht, warum Gott diese Dinge zulässt, aber wir kennen Gottes Herz. Und wir können ihm vertrauen – sogar in unserem tiefsten Schmerz.« Warum bin ich hier?, fragte sich Jake noch einmal. Anfang siebte Klasse. Ein kühler Herbstmorgen. Auf dem Sportplatz dribbelt Jake einen Fußball mit unglaublicher Ballkontrolle. Er spurtet an den Abwehrspielern vorbei, die ihm den Ball nicht abjagen können. Die Eltern am Spielfeldrand jubeln vor Freude, als er die Abwehr plattmacht. Es ist nicht das erste Mal, dass Jake allen anderen die Schau stiehlt, denn jede Art von Sport liegt ihm einfach im Blut. Roger feuert seinen besten Freund ebenfalls begeistert an. Er läuft am Rand des Spielfelds hin und her, um mit ihm mitzuhalten. Dabei ist sein Hinken nicht zu übersehen, weil er sein rechtes Bein stark nachzieht. So fällt er immer weiter zurück. Jake entkommt zwei weiteren Abwehrspielern und schießt knapp am Torwart vorbei, der vergeblich nach dem Ball hechtet. Triumphierend hebt Jake die Arme, während alle seine Kameraden auf ihn zustürmen – fast alle. Roger bleibt als Einziger am Rand des Spielfelds, wo er ganz allein ein paar Luftsprünge macht. Nachdem der Schiedsrichter abgepfiffen hat, bringt einer von Jakes Mannschaftskameraden, Doug Moore, Jake und einige der anderen Spieler zu seinem Vater. »Klasse gespielt, Jungs!«, lobt Mr Moore und verteilt große Becher mit Schoko- und Vanilleeis. Jake nimmt das Eis entgegen und sieht, dass Roger ganz in der Nähe steht. Er grinst seinen Kumpel an, den Geschmack von Vanilleeis auf der Zunge, und will auf ihn zugehen. Doch bevor er sich richtig in Bewegung gesetzt hat, wird er von seinen Mannschaftskameraden umringt. Sie reden auf ihn ein und fordern ihn auf, das letzte Ballmanöver noch einmal vorzuführen.

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Na ja, ich kann ihnen ja schnell zeigen, wie das geht, denkt er. Rogers Mutter ist ja auch da, die wird sich bestimmt um Roger kümmern. Jakes Blick fiel auf Rogers Mutter, auf deren Wangen sich die Regentropfen mit Tränen mischten. Nachdem der Pastor seine Ansprache beendet hatte, wurde Rogers Sarg ganz langsam in die Tiefe gesenkt. Es schien beinahe so, als laste auf ihm das Gewicht jedes einzelnen Anwesenden. Dann gingen die Angehörigen und Bekannten zögernd an den Rand des Grabes und warfen jeder eine Handvoll Erde hinein. Jake blickte auf den Klumpen Dreck in seiner Hand. Jede Faser seines Wesens drängte ihn davonzulaufen, aber er überwand sich und warf mit einer steifen Bewegung diesen letzten Gruß in das Grab. Das dumpfe Geräusch, mit dem die Erdbrocken auf den Sarg prallten, hallte in seinen Ohren nach. Das war der letzte Verrat, den er an Roger übte: den Anschein zu erwecken, als gehöre er zu seinen treuen Freunden. Pah! Ein toller Freund. »Jake.« Beim Klang der vertrauten Stimme drehte er sich langsam um. Rogers Mutter stand vor ihm und nahm ihn in den Arm, bevor er reagieren konnte. Doch er brachte es nicht über sich, die weinende Frau an sich zu drücken. »Es würde ihm bestimmt viel bedeuten, dass du gekommen bist. Ihr beiden habt euch immer so gut verstanden …«, erklärte Mrs Dawson schluchzend. Jake wusste nicht, was er sagen sollte, und er war sehr erleichtert, als sich ein Verwandter näherte, um ihr zu signalisieren, dass sie aufbrechen sollten. Während Rogers Mutter sich mit einem völlig durchweichten Taschentuch über die Augen fuhr, flüsterte sie verzweifelt: »Hast du eine Ahnung, was wir falsch gemacht haben? Gab es irgendwelche Anzeichen, die wir hätten bemerken müssen?« Jake schüttelte nur den Kopf und starrte auf seine Füße. Da blickte Mrs Dawson ihn ein letztes Mal traurig an und

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schleppte sich zu dem wartenden Auto. Was habe ich hier eigentlich verloren? In der neunten Klasse. Ein fantastischer Freitagabend. Die Turnhalle der »Pacific High School« ist brechend voll. Schüler und Eltern heizen die Atmosphäre schon vor dem Spiel so stark an, dass die Spieler sich vor lauter Adrenalin kaum auf den Plätzen halten können. Als der Ansager dann die Aufstellung der beiden Basketball-Mannschaften bekannt gibt, ruft jeder Name ein neues Grölen hervor. »Und als Guard, mit einem Durchschnitt von fünfzehn Punkten und elf Vorlagen pro Spiel, die Sportskanone aus der neunten Klasse … JAKE TAYLOR!!!« Jake grinst übers ganze Gesicht, reckt beide Fäuste in die Luft und läuft aufs Spielfeld. *** Noch vier Minuten bis zum Abpfiff. Jakes Mannschaft führt mit fünf Punkten. Bei Jakes perfekten Drei-Punkte-Würfen und seinen genialen Passvorlagen haben sich die Fans fast heiser gebrüllt. In Jakes Adern pulsiert reines Adrenalin, und er bewegt sich instinktiv, ohne erst lang überlegen zu müssen. Jetzt dribbelt er wieder den Ball, überblickt das Spielfeld und erfasst sofort, welche Taktik am günstigsten ist. Er tut so, als visiere er den rechten Flügel an, dann wirft er den Ball ohne hinzusehen zu einem Mitspieler, der unter dem Korb vollkommen frei steht. Der fängt und befördert den Ball zielsicher durchs Netz. Gleich darauf kann Jake noch einmal mit einem großartigen Korbleger punkten. Oh Mann, das ist der absolute Wahnsinn! Während Jake ans hintere Ende des Spielfelds läuft, streift sein Blick die Cheerleader, die sich vor der Wand aufgereiht haben. Seine Augen bleiben an einem Mädchen hängen, das sich rhythmisch zu den Klängen der einstudierten Anfeuerungsrufe bewegt. Amy Briggs. Obwohl die ganze Turnhalle tobt, steht Jakes Welt für den Bruchteil einer Sekunde still. Er braucht nur an Amy zu denken, dann bekommt er sofort weiche Knie, doch er versucht trotzdem, sich wieder aufs Spiel zu konzentrieren.

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Ein Guard der gegnerischen Mannschaft wirft den Ball jetzt einem frei stehenden Spieler zu. Daraufhin spielt dieser dem Jungen, den Jake eigentlich decken sollte, einen gezielten Pass zu und ermöglicht es ihm so, einen Treffer zu landen. Jake ärgert sich, dass er nicht aufmerksam genug war, und sieht aus dem Augenwinkel, wie sein Trainer ihn mahnend anschaut. Okay, das wird mir nicht noch mal passieren, nimmt er sich fest vor. Wenig später kann er einem anderen Gegenspieler den Ball abjagen, dribbelt ein paar Schritte und holt zu einem spektakulären Drei-Punkte-Wurf aus. Der Ball flutscht durchs Netz wie ein Stück Seife durch nasse Hände. Während die Zuschauer jubeln, heftet Jake sich zielstrebig an die Fersen des Gegenspielers, für den er zuständig ist. Er will nicht noch einmal schuld sein, dass die andere Mannschaft Punkte holt! *** Als Jake nach dem Spiel aus dem Umkleideraum herauskommt, wird ihm von allen Seiten gratuliert. Die Eltern der anderen Spieler klopfen ihm lobend auf die Schultern, und er kann gar nicht allen Klassenkameraden antworten, die begeistert auf ihn einreden. Dass seine eigenen Eltern wie gewöhnlich nicht erschienen sind, vergisst er, sobald er Amy Briggs erblickt. Sie lehnt gelassen an einem Pfosten, umgeben von einer Schar Jungs aus der Basketballmannschaft, die alle um ihre Aufmerksamkeit ringen. Aber sie hat nur Augen für Jake. »Hey, du hast echt super gespielt«, ruft sie ihm zu, als er an ihr vorüberschlendert. »Findest du? Danke.« Jakes Herz pocht plötzlich wie ein Vorschlaghammer. Unbekümmert lässt Amy die Schar ihrer Verehrer hinter sich und geht auf Jake zu. Sie tritt so dicht neben ihn, dass ihre bloße Schulter seinen Arm streift, als sie auf seine Sporttasche zeigt. »Was ist denn das für ein kleiner Vogel da auf deiner Tasche?« »Das ist das Maskottchen vom College in Louisville. Dort möchte ich eines Tages Basketball spielen.« Irgendwie klingt

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der Satz nicht ganz so cool, wie er es sich in seinen Träumen ausgemalt hat. Aber Amy scheint das nicht zu bemerken. »Aha«, meint sie. »Wie sieht’s aus – kommst du heute Abend auch zur Party?« »Ja, okay …« Jake stockt. »Zu welcher Party eigentlich?« Amy lächelt ihn strahlend an. »Das wirst du nur herausfinden, wenn du mit uns mitfährst.« Wieder berührt sie seinen Arm und ihre Berührung elektrisiert seinen ganzen Körper. »Gib mir mal dein Handy.« Von der Souveränität, die Jake noch vor wenigen Minuten auf dem Spielfeld gezeigt hat, ist nichts mehr zu spüren, während er mit rotem Kopf in seiner Tasche herumwühlt. Endlich hat er das gesuchte Objekt entdeckt, und er hofft inständig, dass Amy nicht merkt, wie feucht seine Hände sind, als er ihr das Handy reicht. Sie tippt ihre Nummer in die Liste seiner Kontakte. Unterdessen wirft Jake einen Blick über ihre Schulter und sieht, dass Roger auf sie beide zugehumpelt kommt. Jake zuckt zusammen. Er beobachtet, wie die Leute, die in Gruppen zusammenstehen, hinter seinem alten Freund herstarren. Hier und da kichert sogar jemand. Ärgerlich denkt Jake: Warum kann Roger sich nicht ein bisschen unauffälliger benehmen? Seine Gehbehinderung ist längst nicht mehr so schlimm wie früher, obwohl sie immer noch ins Auge sticht – als beständige Erinnerung an den schicksalhaften Tag vor fünf Jahren. Seit der sechsten Klasse hat die Tatsache, dass Jake ein hervorragender Sportler ist, dafür gesorgt, dass er in der Schule immer beliebter geworden ist. Roger hingegen hat infolge des Unfalls keine Möglichkeit mehr, auf diesem Gebiet zu glänzen. Er passt nicht mehr so richtig in Jakes ständig wachsenden Freundeskreis. Zwar unternehmen die beiden Kumpel noch ab und zu etwas zusammen, doch es ist immer Roger, der sich bei Jake meldet. Insgeheim fürchtet Jake nämlich, dass sein Ruf als cooler Sportler Schaden nehmen könnte, wenn er zu oft mit Roger gesehen wird. Doch ihn plagt auch ein nagendes Schuldgefühl, das er einfach nicht abschütteln kann.

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»Hör mal, Amy – ich bin ja eigentlich schon mit Roger verabredet. Kann er auch zur Party kommen?«, fragt Jake zögernd, als Amy ihm sein Handy zurückgibt. Amy folgt Jakes Blick und schaut zu Roger hinüber. »In unserem Auto ist leider nur noch ein Platz frei«, erklärt sie achselzuckend. »Du musst schon selber wissen, was dir wichtiger ist.« Sie schenkt ihm noch ein strahlendes Lächeln, ehe sie leichtfüßig zu ihren Freundinnen hinübergeht, die in einem knallroten Wagen mit offenem Schiebedach sitzen. Fasziniert blickt Jake ihr nach, bis Rogers Stimme ihn wieder in die Realität zurückholt. »Hab ich Halluzinationen oder hast du dich gerade wirklich mit Amy Briggs unterhalten?!«, fragt er mit leuchtenden Augen. Jake nickt voller Stolz. »Nicht schlecht, Alter. Aber jetzt musst du dich trotzdem losreißen. Meine Mutter hat die Pizza schon bestellt.« Roger stößt mit seinem Ellenbogen gegen Jakes Arm, nur wenige Zentimeter von der Stelle entfernt, wo Amy ihn berührt hat. Verlegen tritt Jake von einem Fuß auf den anderen. »Tut mir leid, Roger, aber ich kann nicht mit zu euch kommen.« »Was? Aber das haben wir doch schon vor dem Spiel ausgemacht!« Jake vermeidet es, ihn anzusehen. Diese Chance kann er sich doch unmöglich entgehen lassen, oder? »Amy hat mich zu einer Party eingeladen.« Irgendwie erinnert Roger plötzlich an einen Luftballon, aus dem man die Luft herausgelassen hat. »Na schön, was soll’s, die Pizza können wir uns ja später aufwärmen. Wo steigt denn die Party?« Jake holt tief Luft. »Du bist leider nicht eingeladen.« Stille. Roger tritt ein Stück zurück, als hätte man ihm einen körperlichen Schlag versetzt. Nach einer Weile sagt er heiser: »Alles klar. Die Zeiten haben sich wohl geändert.« Dann macht er kehrt und humpelt davon. »Hey, Roger, nimm das doch nicht so tragisch!«, ruft Jake ihm nach. Einerseits schämt er sich für sein Verhalten, und andererseits ist er irritiert, dass sein Freund offenbar so wenig

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