Verlagsgruppe Random House FSC® N001967 Das für dieses Buch verwendete FSC®-zertifizierte Papier Classic 95 liefert Stora Enso, Finnland.
Die amerikanische Originalausgabe erschien im Verlag David C. Cook, Colorado Springs, USA, unter dem Titel „The Feast Of St. Bertie“. © 2008 by Kathleen Popa © der deutschen Ausgabe 2013 by Gerth Medien GmbH, Asslar, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München Die Bibelzitate wurden der „Gute Nachricht Bibel“ entnommen. Revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. Das Zitat auf Seite 227 stammen aus der Autobiografie der heiligen Therese von Lisieux: The Story of a Soul (L’Histoire d’une Âme): The Autobiography of St. Thérèse of Lisieux With Additional Writings and Sayings of St. Thérèse.
1. Auflage 2013 Bestell-Nr. 816788 ISBN 978-3-86591-788-1 Umschlaggestaltung: Hanni Plato Umschlagfoto: Corbis/iStock Photo Satz: Uhl+Massopust, Aalen Druck und Verarbeitung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany
F端r Noah und Alex, meine beiden Jungs
rolog P
Die Kerzen sind reine Dekoration. Man braucht sie nicht, um zu beten. Tatsächlich ist es am besten, wenn man ohne alles auskommt und nur sich selbst einbringt. Das ist eine der Wahrheiten, die ich lernen durfte. Doch in dieser Jubelnacht in der Abgeschiedenheit meiner Berghütte, meines kleinen Verschlags, na ja, vielleicht eher in meiner Betonzelle, da möchte ich es feierlich haben. Heute will ich mich daran erinnern, wie es war, als ich hierher kam, getrieben von Ängsten und erfüllt von unzähligen Sorgen, die ich in Gebete verwandeln wollte. Welchen Reichtum habe ich seither gefunden! Gemessen daran wäre ein mit Samt und Seide dekorierter Raum durchaus angemessen, auch Weihrauch und Myrrhe würden passen. Doch ich habe ja allem Luxus abgeschworen. Was gerade noch geht, sind die Kerzen. Vorsichtig entzünde ich die erste Kerze, dann die zweite, die dritte und vierte, schließlich die fünfte. Ich stelle sie in einer geraden Reihe auf den kahlen Beton. Dann verteile ich getrocknete Rosenblätter über den Boden und genieße ihren Duft, der sich mit dem süßen Aroma frischer Zimtschnecken mischt. Ich greife nach dem Granatapfel, den ich von Indias Baum gepflückt habe, und lasse meine Finger über die schon etwas verschrumpelte Haut gleiten. Dann teile ich die Frucht in zwei Hälften und drücke den 7
Saft in eine Tasse. Sie wird mir gleich als Abendmahlskelch dienen. Andächtig stelle ich die Tasse neben die Kerzen. Nun ziehe ich meine Schuhe aus, knie mich auf den Boden und schließe meine Augen. Beten kann so wunderbar sein. Zuerst bin ich dabei ganz allein – so fühle ich mich zumindest –, das machte mir früher gelegentlich Angst. Aber ich gehe weiter, immer wieder folge ich dem gleichen Pfad, der nun schon ausgetreten und leicht zu gehen ist. Bald bin ich nicht mehr allein. Ich bin bei dem besten Freund, den man nur haben kann. Heute bedarf es keiner Worte. Ich muss nicht immer reden, wenn ich bete. Heute lasse ich mich nur von der Liebe tragen, von der Freude und der Dankbarkeit. Ich öffne meine Augen, um das Abendmahl zu feiern, ziehe den Teller näher zu mir heran und halte die Zimtschnecke mit beiden Händen in die Höhe. „Das ist mein Leib, der für euch geopfert wird …“ Ich kann die Bibelstelle auswendig. Während ich die Schnecke auseinanderziehe, fallen Zuckerguss, Rosinen und Walnüsse auf den Boden. Ich stecke ein Stückchen in den Mund, kaue und genieße. Dann erhebe ich die Tasse. „Dieser Becher ist Gottes neuer Bund, der durch mein Blut in Kraft gesetzt wird …“ Ich führe die Tasse an meine Lippen und nehme einen Schluck. Ein Jahr ist vergangen, seit ich hier angekommen bin. Nachdenklich ruht mein Blick auf dem flackernden Schein der Kerzen. Wie schön ist der feurige, zuckende Reigen von Licht und Schatten, der mich an die Nacht am Strand erinnert, als meine tanzenden Freunde ein ganzes Universum funkelnder Sterne in den Nachthimmel schleuderten. Auch ich brachte damals meinen ganz persönlichen Tanz dar, während die Zeugen vergangener Zeitalter mich endlich als eine der ihren in die erlauchten Reihen aufnahmen … 8
apitel 1 K
Feuer hat mich schon immer fasziniert. Ich liebe das Orange der Flammen, das mich an die Farbe von Chrysanthemen erinnert. Ich mag es, wie das Feuer alles um sich auffrisst, während es sich unaufhaltsam ausbreitet. Sogar an jenem Apriltag zog mich das Schauspiel in seinen Bann, obwohl die Flammen aus meinem eigenen Haus schlugen, als wären die Wände aus Wachs. Ich stand auf Susannes Rasen, immer noch in der schwarzen Kleidung, mit der ich von der Beerdigung gekommen war. Einen Schleier hatte ich nicht getragen, das war heutzutage in unserer Gegend nicht mehr üblich. Aber eigentlich hätte ich mein Gesicht gerne vor den Blicken der Trauergäste verborgen. Eine Beerdigung zerrt Schmerz an die Öffentlichkeit, den niemand sehen sollte. Und man sollte als Frau in dieser Situation nicht über sein Aussehen nachdenken müssen. Schwarzer Rauch stieg auf, als ob das Haus, in dem Larry und ich gelebt hatten, sich hinter einem schwarzen Trauerschleier verbergen wollte, während das Feuer sein Inneres zerfraß. Die Sonne war untergegangen und unwillkürlich näherte ich mich den Flammen, um mich zu wärmen. Susanne zog mich zurück. „Du kannst nichts machen, Charlotte“, redete sie auf mich ein, ohne zu ahnen, worüber ich nachdachte. Sie 9
legte ihren Arm um mich und drückte meinen Kopf an ihre Schulter. Einen Moment lang tat es gut, mich auf sie zu stützen. Doch dann richtete ich mich wieder auf. Ich musste diese Situation allein meistern, auf meine Art. Auch war mir bewusst, dass Susanne alles daran setzen würde, mich umzustimmen, sobald sie begriff, was ich vorhatte. Ich musste mich wappnen, denn zurzeit brauchte es nicht viel, um mich von etwas abzuhalten. Aber mir erschien dieses Feuer wie ein Zeichen des Himmels, wie eine göttliche Zustimmung. Plötzlich hatte ich keinen Haushalt mehr, um den ich mich kümmern musste, Pflegebett und Rollstuhl mussten nicht mehr ins Parkinsonzentrum zurückgebracht werden. Das Feuer erledigte alles für mich. Ich hatte keinen Grund mehr zu zögern und es gab kein Zurück. Die Zeit war gekommen und ich konnte es einfach tun. Dabei spielte Susannes Meinung eigentlich keine Rolle. Es gab kein Thema, zu dem Susanne nicht eine klare Meinung vertrat. Während wir zur Beerdigung fuhren, bombardierte sie mich mit ihren Gedanken zum Verbleib meines Sohnes Garrett, der seit ungefähr vier Monaten verschwunden war. Sie wollte wissen, ob ich seine frühere Freundin angerufen hätte, ob seine Handynummer noch aktiv war und ob ich mit dem Personalleiter seiner früheren Firma gesprochen hätte. Wie konnte sie nur annehmen, ich hätte irgendetwas unversucht gelassen, um Kontakt zu meinem Sohn zu bekommen? Natürlich, die meiste Zeit saß ich neben dem Rollstuhl, in dem Garretts Vater wie eine verwelkende Rose mehr und mehr in sich zusammensank und dieses schwache Schluchzen von sich gab, das die Krankheit ihm noch als letzten Ausdruck der Trauer gelassen hatte. Tag und Nacht verbrachte ich an seiner Seite und umsorgte ihn. Doch wenn die Krankenschwester zu ihren täglichen Be10
suchen kam, nahm ich mir die Zeit, um zu Garretts Wohnung zu fahren und an seine Tür zu klopfen, um Briefe in seinen Briefkasten zu stecken, ihn anzurufen und auf seinen Anrufbeantworter zu sprechen. An dem Tag, an dem Larry wieder mit Lungenentzündung ins Krankenhaus kam – war seitdem wirklich erst eine Woche vergangen? – startete ich meinen letzten verzweifelten Versuch, um Garrett an das Sterbebett seines Vaters zu bringen. Sein Festnetzanschluss war tot, auch sein Handy war abgeschaltet. Ich hatte bereits herausgefunden, dass er ohne Vorwarnung eines Tages einfach nicht mehr zur Arbeit erschienen war und mit seiner Wohnungsmiete drei Monate im Rückstand war. Schon ein Jahr zuvor hatte seine Freundin mit ihm Schluss gemacht. Als Grund hatte sie mir seine Wutausbrüche und seinen Jähzorn genannt. Das Feuer war nicht halb so schlimm wie das Verschwinden meines Sohnes. Von allem, was mir geraubt worden war, schmerzte mich der Verlust des Hauses am wenigsten. Ohne das Haus konnte ich leben. Das Feuerwehrauto rumpelte die Straße entlang, bis es neben unserem Ginkgobaum zum Stehen kam. Ein lautes Stimmengewirr drang aus dem Funkgerät, dem aber niemand Beachtung schenkte. Ich atmete Rauch ein, doch der Großteil des Qualms zog nach oben. Eine Wasserfontäne entsprang an der Stelle, an der zwei Feuerwehrmänner in gelben Overalls standen. Sie richteten den Strahl auf das Feuerwerk, das einmal mein Zuhause gewesen war. Ich ließ meine Hand in meine Umhängetasche gleiten und tastete mich an den vertrauten Gegenständen entlang: ein zerfleddertes Buch, meine kleine Bibel und das in genarbtes Leder gebundene Tagebuch. „Alles wird gut sein und alles wird gut sein und aller Art Dinge wird gut sein …“, flüsterte ich unhörbar. 11
Ein Feuerwehrmann hatte die Handschuhe ausgezogen und kam über die Straße auf uns zu. Er hielt ein Klemmbrett wie ein Schild vor seine Brust und musterte die kleine Schar der Schaulustigen, bis unsere Blicke sich trafen. „Charlotte Denys?“ „Ja?“, antwortete ich fragend und gab ihm die Hand. „Ich bin Matthew Huong von der Feuerwehr. Können Sie sich an mich erinnern?“ Ich sollte mich an ihn erinnern? Mühsam versuchte ich zu denken. „Wir kennen uns aus der Gemeinde. Sie haben meine Tochter im Kindergottesdienst betreut. Es tut mir sehr leid, dass Sie Ihren Mann verloren haben.“ Susanne trat hinzu. „Ich kenne Sie, Mr Huong. Mein Name ist Susanne Keyes. Wir haben einmal zusammen das Krippenspiel aufgeführt.“ „Ja, stimmt.“ Er schüttelte ihr die Hand und wandte sich dann wieder mir zu. „Können wir unter vier Augen sprechen?“ Susanne trat zur Seite. Das gab mir Luft zum Atmen, während ich gleichzeitig ihren Halt vermisste. Ich folgte dem Feuerwehrmann. „Das ist ein schrecklicher Tag für Sie, Mrs Denys. Es tut mir sehr leid. Wir können von Glück reden, dass es so windstill ist, sonst müssten wir befürchten, dass das Feuer auch die umliegenden Häuser erfassen würde. Aber Gott sei Dank haben wir es unter Kontrolle.“ Ich nickte. „Außer Ihnen und Ihrem Mann lebte niemand in dem Haus, stimmt das? Sie hatten keine Kinder oder andere Angehörige bei sich im Haus?“ „Nein, wir waren nur zu zweit. Unser Sohn, mmmh … wohnt nicht mehr hier.“ 12
„Haben Sie eine Vermutung, wodurch das Feuer entstanden sein könnte?“ Ich hatte keinen blassen Schimmer. „Den Heizlüfter hatte ich ausgeschaltet, bevor ich gegangen war, jedenfalls mache ich das normalerweise immer.“ „… konnte die Beerdigung seines Vaters ja nicht besuchen, wenn er gar nicht wusste, dass er tot ist.“ Hinter meiner rechten Schulter höre ich Susannes Flüstern. Ich drehte mich um und begegnete dem Blick einer Frau, die neben Susanne stand. Sie war vor kurzem in unsere Gegend gezogen. Susanne sah mich an, deutete meinen missbilligenden Gesichtsausdruck richtig und schwieg. Mr Huong räusperte sich. Ich zwang mich, ihm wieder zuzuhören. „Was ich Ihnen zu sagen habe, ist noch nicht offiziell, aber hier geht es auch um Ihren persönlichen Schutz. Im Normalfall reden wir über solche Dinge erst nach Abschluss der Ermittlungen, doch uns liegen eindeutige Hinweise auf Brandstiftung vor. Es ist noch nicht sicher, wie der Brand gelegt wurde, aber eine Ihrer Nachbarinnen, Mrs Carol ähm …“ Er sah suchend auf sein Klemmbrett. „Graham.“ „Ja, genau, Carol Graham sah, wie eine Person von Ihrem Grundstück wegrannte, hinter dem Haus, durch den Garten. Es ist vermutlich ein Mann gewesen, doch weil er eine Kapuze trug, konnte sie ihn nicht beschreiben. Das Ganze ereignete sich während der Beerdigung, deshalb müssen wir davon ausgehen, dass der Brandstifter davon wusste.“ Brandstiftung. Das Wort lag zwischen uns in der Luft, undurchsichtig und unfassbar. Ich versuchte, mir die Bedeutung des Gesagten klar zu machen, doch die Bilder, die ich vor Augen hatte, passten nicht dazu: Larrys verfallender Körper im Sarg. Eine Handvoll Rosenblätter, die in die Grube hinabsegelten … 13
„Haben Sie eine Vermutung, wer für das Feuer verantwortlich sein könnte? Gibt es jemanden, den Sie auf der Beerdigung vermisst haben?“ Ich schob meine Brille, die über den schweißnassen Nasenrücken gerutscht war, nach oben. Meine Hände zitterten. Ich verschränkte die Arme, um die Hände stillzuhalten. Brandstiftung. „Tut mir leid“, sagte Huong, „das ist wirklich mehr, als man verkraften kann, eine Beerdigung und ein Hausbrand am gleichen Tag.“ Ich sah schwach über meine Schulter. „Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn Susanne …“ „Natürlich nicht.“ Ich streckte ihr meine Hand entgegen. Sofort war sie an meiner Seite und umfasste meinen Arm mit ihren perfekt manikürten Händen. „Mrs Denys, gab es jemanden, der mit Ihnen oder Ihrem Mann im Streit lag? Vielleicht ein verärgerter Mitarbeiter Ihres Mannes …“ Susanne runzelte die Stirn und fiel ihm ins Wort: „Larry ist schon vor sechs Jahren in Rente gegangen.“ Er notierte diese Angabe. „Vor sechs Jahren … Gut. Mr Denys war der Chef von …“ „ConjuTech“, antwortete ich. „Manche Menschen sind sehr nachtragend, auch noch nach Jahren. Kämen vielleicht auch Nachbarn oder Verwandte in Frage?“ „Nein“, antwortete ich, „mir fällt niemand ein.“ „Hatten Sie Ihre Alarmanlage ausgeschaltet? Es gab kein Signal.“ Susanne schüttelte entschieden den Kopf. „Das kann nicht sein.“ „Wir hatten nur das Hauptgebäude gesichert“, erklärte ich, „in dem ich seit etlichen Monaten nicht war.“ 14
„Seit Jahren“, verbesserte Susanne mich. Ich spürte den tadelnden Unterton in ihrer Stimme und zuckte innerlich zusammen. Sie hatte recht. „Seit Jahren. Seit dem Ausbruch von Larrys Krankheit lebten wir im Gästehaus.“ Ich deutete auf den kleinen Anbau gegenüber der Garage. Die Flammen schlugen jetzt aus mehreren Fenstern an der vorderen Fassade. Alles wird gut sein und alles wird gut sein … Mr Huong zog eine Visitenkarte aus seinem Klemmbrett und reichte sie mir. „Vielen Dank, Mrs Denys. Ich denke, fürs Erste habe ich keine Fragen mehr. Bitte rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt, das unsere Ermittlungen voranbringen könnte.“ „Mache ich.“ „Wo werden Sie heute Nacht schlafen?“ „Bei mir“, antwortete Susanne. Ich sah sie fragend an. „In Ambers Zimmer. Sie ist schon seit zwei Jahren verheiratet.“ „Das weiß ich, Susanne, schließlich war ich bei ihrer Hochzeit dabei.“ Der Feuerwehrmann sah von mir zu Susanne und wieder zu mir. „Haben Sie eine Handynummer, unter der wir Sie erreichen können?“ Ich gab ihm meine Nummer und er kehrte zu seiner Mannschaft zurück. Die meisten der Umstehenden kannte ich nicht. Teenager in Fußballtrikots mischten sich zwischen Damen in Bürokleidung. Ein junger Mann trug genau die Oakland-Raiders-Footballkappe, die Garrett immer angehabt hatte. Einen Augenblick lang dachte ich, er wäre es. Aber es war nicht Garrett. Noch nie konnte ich es leiden, wenn Susanne mich so ansah, als erwarte sie, dass ich ihre Gedanken lesen könnte. „Was ist?“, fragte ich gereizt. 15
„Ich denke nur, es wäre gut, du würdest deinen Sohn bald finden.“ Was sollte ich darauf erwidern? Ich sah zum Haus zurück. Mit einer erhobenen Axt in der Hand ging ein Feuerwehrmann auf meine Eingangstür zu. Die linke Außenwand meines Schlafzimmers brach gerade in sich zusammen. Meine Hand wanderte wieder in meine Tasche und umklammerte meine Bücher, als wären sie Gottes Hand, während meine Lippen das berühmte Zitat der englischen Mystikerin Juliana von Norwich flüsterten: „Alles wird gut sein und alles wird gut sein und aller Art Dinge wird gut sein.“
Einen Augenblick lang hätte ich mir fast selbst geglaubt. Ich begleitete Susanne nach Hause und erledigte die Anrufe bei den Versicherungen – oder vielmehr, Susanne rief an und ich beantwortete die Fragen. Wie auch immer, wir erledigten es. Doch ehe sie anfangen konnte, wieder über Garrett zu reden oder mir vorzuhalten, was für eine schlechte Freundin ich ihr die letzten Jahre gewesen war, zog ich mich in das Zimmer ihrer Tochter zurück. Drei Stunden lag ich in dem dunklen Raum und bemühte mich, geräuschlos zu schluchzen, als wäre ich die Darstellerin einer tragischen Rolle in einem Stummfilm. Einmal schneuzen und Susanne wäre an meiner Tür gewesen, da war ich sicher. Sie würde mich umsorgen, bemitleiden und sich um alles kümmern. Wahrscheinlich würde sie mir sogar die Tränen abwischen. Ich versank in Trauer. Der berühmte Satz von Juliana von Norwich half auch nicht mehr. Im ersten Moment hatte ich geglaubt, der Situation gewachsen zu sein. Ich war eingehüllt in einen Nebel, der scharfe Kanten rund er16