Gott auf der Spur - 9783957341051

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GOTT AUF DER

SPUR Ein Journalist trifft auf Menschen, deren Leben von Gott vollkommen verändert wurde Aus dem Englischen von Silvia Lutz

LEE STROBEL



Für Abigail, Penelope, Brighton und Oliver – Gottes Gnadengeschenke



Gehรถrt jemand zu Christus, dann ist er ein neuer Mensch. Was vorher war, ist vergangen, etwas Neues hat begonnen. 2. Korinther 5,17



Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung Auf der Suche nach Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kapitel 1: Ein Fehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 2: Das Waisenkind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 3: Der Süchtige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 4: Der Professor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 5: Der Schlächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 6: Der Obdachlose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 7: Der Pastor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 8: Der verlorene Sohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kapitel 9: Leere Hände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Epilog: Gnade verweigern, Gnade gewähren . . . . . . . . . . . . .

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Was sagt die Bibel zum Thema „Gnade“? . . . . . . . . . . . . . . . . Bücher zum Thema Gnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort Neues Leben und geistliche Erneuerung sind nur durch Gottes Gnade möglich. Stanley Grenz1 Gnade zu definieren kann so einfach sein. Man braucht dazu eigentlich nur einen einzigen markanten Satz: „Gnade ist die Gunst, die Gott Sündern erweist.“2 Diese knappe Definition lässt sich in umfangreichen theologischen Abhandlungen natürlich noch vertiefen. Aber im Kern ist Gnade ein unverdientes und bedingungsloses Geschenk, das Gott uns aus Liebe macht und das wir uns nicht verdienen oder erarbeiten können. Gnade versetzt uns in die Lage, Gottes Einladung anzunehmen. Durch Gnade werden wir Teil seiner Familie, und sie gibt uns die Kraft, uns zu verändern. Der Theologe Thomas C. Oden sagt, Gnade sei nötig, „um die Wahrheit zu erkennen, die Sünde zu meiden, sich richtig zu verhalten, angemessen zu beten, sich nach Rettung auszustrecken, um erste Schritte im Glauben zu machen und an ihm festzuhalten“.3 Gnade, schreibt er, sei nichts anderes als „die treibende Kraft des christlichen Lebens“.4 Definitionen sind wichtig, aber dieses Buch ist keine theologische Abhandlung über Gnade. Es ist eine Sammlung von Geschichten, die anschaulich darstellen, wie Gott Menschenleben von Grund auf umkrempeln kann: wie aus einem obdachlosen Junkie ein ordinierter Pfarrer wird, aus einem Ehebrecher 11


ein Eheberater, aus einem rücksichtslosen Rebellen ein selbstloser Diener Gottes und aus einem Massenmörder ein Heiliger, der Vergebung erfahren hat. „[Durch Jesus] sind nicht nur die Sünden unserer Vergangenheit vergeben“, sagt Charles Colson, „Gottes Kraft und seine Gnade verändern uns so, dass wir ein neues Leben führen können.“5 Philip Yancey formuliert dies noch drastischer: „Wir können nie so tief sinken, dass Gottes Gnade uns nicht erreichen könnte. Gleichzeitig lässt uns Gottes Gnade nicht am Boden liegen. Sie hilft uns auf und führt uns zu neuen Höhen.“6 Dieses Buch beschreibt eine ganz persönliche Reise. Den Anstoß zu dieser Reise gab eine Auseinandersetzung mit meinem Vater, die mich auf eine lebenslange Suche führte – ich wollte das Rätsel der Gnade entschlüsseln. Auf diesem Weg fand ich unbestreitbare Beweise für die Kraft der Gnade: im Leben eines koreanischen Waisenkindes, das sich in einem Fuchsbau zitternd mit ein wenig Stroh vor der Kälte schützte; in dem eines süchtigen Teenagers in Amarillo, dem es gleichgültig war, ob ihn seine nächste Spritze umbrachte; in dem eines obdachlosen Kriminellen in Las Vegas, der in Mülleimern nach Pizzaresten suchte; in dem eines gedemütigten Pastors in South Carolina, dessen schamlose Heuchelei ans Licht kam; in dem des Sohnes eines berühmten Predigers, der in Boston ein zügelloses Leben führte; in dem eines Kambodschaners, der vor den Roten Khmer floh, es dann aber mit einem berüchtigten Kriegsverbrecher zu tun bekam. Jede einzelne dieser Geschichten ist ein Teil im Puzzle von Gottes Gnade. Sie zeigen, dass Gnade nicht bei der Vergebung haltmacht; dass wir durch Gnade angenommen und sogar von Gott als seine Kinder willkommen geheißen werden; dass Gnade 12


neue Hoffnung wachsen lässt, wenn alles verloren scheint; dass sie auch in die schlimmsten Situationen hineinreicht; und dass sie uns hilft, den Menschen zu vergeben, die uns tiefe Wunden zugefügt haben, und sogar uns selbst zu vergeben. Mit anderen Worten: Wir alle sind auf Gottes Gnade angewiesen. Nicht nur der christliche Glaube ist unter den Weltreligionen einzigartig, auch die Gnade, die Jesus schenkt, ist einmalig. Wenn wir Gnade wirklich verstehen wollen, helfen Definitionen und Erläuterungen manchmal nicht weiter. Wir müssen sie im Leben von Menschen in Aktion sehen. Die Bibel ist eine unvergleichliche Sammlung von Gnadengeschichten. Als Jesus seinen Nachfolgern begreiflich machen wollte, was Gnade ist, erzählte er das Gleichnis vom verlorenen Sohn. „Jesus hat viel von Gnade gesprochen, hauptsächlich durch Geschichten“, betont auch Philip Yancey.7 Lesen Sie diese wahren Berichte von Menschen, deren Veränderung so radikal ist, dass sie nur das Werk eines barmherzigen Gottes sein kann. Ich wünsche Ihnen, dass Sie darin gewissermaßen auch Ihre eigene Geschichte wiederfinden.

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Einleitung

Auf der Suche nach Gnade Gott wartet darauf, dass wir nach ihm suchen. Zu schade, dass er bei vielen Menschen viel zu lange vergeblich warten muss. A. W. Tozer1 Er saß zurückgelehnt auf seinem Ruhesessel im Wohnzimmer, und seine Augen wanderten zwischen dem Fernseher und mir hin und her, als wollte er sich nicht dazu herablassen, unserer Auseinandersetzung seine gesamte Aufmerksamkeit zu schenken. Mit lauter Stimme machte er mir Vorhaltungen und schimpfte wütend, aber er schaute mich kein einziges Mal direkt an. Es war der Abend vor meiner Schulabschlussfeier. Mein Vater hatte mich dabei erwischt, dass ich ihn angelogen hatte. Schließlich stellte er seinen Sessel in Sitzposition und schaute mich doch direkt an. Seine Augen waren hinter seinen dicken Brillengläsern nur schmale, wütende Schlitze. Er hob die linke Hand und deutete bei jedem der folgenden Worte gereizt auf mich: „Du bist mir so egal, meine Liebe zu dir würde noch nicht einmal einen Fingerhut füllen.“ Er wartete, während seine Worte folgenschwer im Raum hin14


gen. Wahrscheinlich ging er davon aus, dass ich mich rechtfertigen, mich verteidigen, etwas stammeln oder mich entschuldigen oder klein beigeben würde. Dass ich irgendwie reagieren würde. Aber ich starrte ihn nur mit glühendem Gesicht finster an. Nach ein paar angespannten Momenten seufzte er schwer, begab sich wieder in Liegeposition und schaute weiter fern. In diesem Moment wandte ich mich von meinem Vater ab und ging zur Tür. Ich brauchte ihn nicht. Ich war ungestüm, ich war getrieben und ehrgeizig. Ich würde mich auch ohne seine Hilfe in der Welt zurechtfinden. Immerhin würde ich bei einem Ferienjob als Reporter einer kleinen Zeitung in Woodstock, Illinois, fast hundert Dollar in der Woche verdienen und in einer Pension wohnen. Während ich die Hintertür zuknallte und mit der Sporttasche, die ich eilig gepackt hatte, Richtung Bahnhof stapfte, schmiedete ich Pläne. Ich würde fragen, ob ich eine Festanstellung bei der Zeitung bekommen könnte. Viele Reporter hatten es auch ohne Studium zu etwas gebracht, warum sollte ich das nicht auch schaffen? Ich würde mir schon bald einen Namen machen. Ich würde die Redakteure der Chicagoer Zeitungen beeindrucken und irgendwann den Durchbruch schaffen. Ich würde mir zusammen mit meiner Freundin eine Wohnung suchen. Ich war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schaffen und nie wieder nach Hause zurückzukehren. Eines Tages würde ich es ihm heimzahlen. Es würde der Tag kommen, an dem mein Vater die Chicago Tribune aufrollen und meinen Namen unter einem Exklusivbericht auf der Titelseite lesen würde. Ich würde es ihm schon zeigen. Ich war auf einer Mission. Und von Zorn getrieben. Doch was ich damals noch nicht erkennen konnte: Als ich an jenem 15


schwülen Juniabend die Straße entlangstapfte, befand ich mich in Wirklichkeit auf einer ganz anderen Mission. Und diese würde eines Tages mein Leben auf eine Weise verändern, die ich mir nie hätte vorstellen können. An jenem Tag nahm meine lebenslange Suche nach Gnade ihren Anfang.

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Kapitel 1

Ein Fehler Eines Tages wirst du das verstehen Die Psychoanalyse … führt uns täglich vor Augen, wie jugendliche Personen den religiösen Glauben verlieren, sobald die Autorität des Vaters bei ihnen zusammenbricht. Sigmund Freud1

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E

rst auf ihrem Sterbebett bestätigte mir meine Mutter, was ich durch jahrelange Therapie nur geahnt hatte: Meine Existenz war ein Fehler, wenigstens in den Augen meines Vaters. Meine Eltern hatten zunächst nur drei Kinder – ein Mädchen und dann zwei Jungen. Mein Vater stürzte sich in seine Rolle als Vater. Er trainierte seine Söhne im Baseballverein der Kleinen, leitete eine Pfadfindergruppe, war Vorsitzender des Elternbeirats, unternahm Familienurlaube und besuchte Sportveranstaltungen und Abschlussfeiern. Nach mehreren Jahren kam dann die unerwartete Nachricht, dass meine Mutter mit mir schwanger war. „Dein Vater war … Sagen wir einfach, er war überrascht“, erzählte mir meine Mutter in den letzten Wochen ihres Lebens, als der Krebs sie ans Bett fesselte und wir uns stundenlang unterhielten. Dieses Thema hatten wir nie zuvor angesprochen, aber wir waren gerade in ein offenes Gespräch über unsere Familie vertieft, und ich wollte diese Gelegenheit nutzen, um einige Antworten zu bekommen. „Inwiefern überrascht?“ Sie betrachtete mich nachdenklich. „Nicht positiv überrascht“, antwortete sie schließlich mitfühlend. „Was war er dann? Wütend?“ „Ich würde nicht gerade ,wütend‘ sagen. Frustriert vielleicht. Verärgert wegen der Situation. Er hatte einfach andere Pläne. Und dann überredete ich ihn, noch ein weiteres Baby zu bekommen, damit du einen Spielkameraden hättest.“ Das Ergebnis war meine jüngere Schwester. Jetzt ergab alles einen Sinn. Als ich Jahre zuvor meinem Therapeuten von der Beziehung zu meinem Vater erzählt hatte, von der emotionalen Distanz, dem fehlenden Engagement, den ständigen 18


Auseinandersetzungen und Wutausbrüchen, hatte er vermutet, dass meine ungeplante Ankunft in der Familie die Zukunftspläne meines Vaters durcheinandergebracht haben könnte. Ich konnte mir vorstellen, dass mein Vater damals das Gefühl gehabt hatte, nach drei Kindern endlich Zeit für sich selbst verdient zu haben. Finanziell ging es ihm gut, er wollte bestimmt gerne reisen und seine Freiheit genießen. Jetzt hatte meine Mutter mir diese Annahmen endlich bestätigt. Unsere Familie wohnte in einer Wohngegend im Nordwesten von Chicago, in der überwiegend die obere Mittelklasse lebte. Mein Vater arbeitete hart, um seine Kanzlei aufzubauen, und er versorgte uns mit allem, was wir brauchten. Materiell hatten wir mehr als genug. Er war ein treuer Ehemann, hatte einen guten Ruf und viele Freunde. Aber meine Beziehung zu ihm war immer eisig. Vielleicht brauchte ich einfach mehr Bestätigung als andere Kinder, ich weiß es nicht. Als ich zur Welt kam, hatte er jedenfalls keine Lust mehr, mit mir zu den Pfadfindern zu gehen, meine Baseballspiele zu besuchen, bei meinen Schulwettkämpfen zuzusehen oder an meinen Abschlussfeiern teilzunehmen. Ich kann mich auch an kein einziges tiefgehendes Gespräch mit ihm erinnern. Ich hörte von ihm nie die Worte, nach denen ich mich am meisten gesehnt hatte. Im Laufe der Zeit lernte ich, dass ich seine Aufmerksamkeit nur durch Leistung erlangte. Also bemühte ich mich um gute Noten, war Jahrgangsstufensprecher, engagierte mich als Redakteur bei der Schülerzeitung und schrieb sogar eine Kolumne für die Lokalzeitung. Trotzdem war er mit keiner meiner Leistungen zufrieden. Ich kann mich jedenfalls nicht daran erinnern, dass ich von meinem Vater einmal ein Wort des Lobes gehört hätte. Kein einziges. 19


Meine Eltern waren Mitglieder der evangelisch-lutherischen Kirche. Mein Vater saß im Kirchenvorstand und gab unentgeltlich Ratschläge in juristischen Fragen, obwohl er sonntagvormittags statt in der Kirche normalerweise auf dem Golfplatz anzutreffen war. Ich kann mich noch an einen Sonntag in meiner Kindheit erinnern, als die ganze Familie gemeinsam zum Gottesdienst fuhr. Anschließend brachte mein Vater die Familie nach Hause, aber mich vergaß er. Es ist, als sei es erst gestern gewesen, als ich mich ängstlich und panisch in der Kirche umgesehen und mit pochendem Herzen vergeblich meinen Vater gesucht habe. Es war natürlich nur ein Versehen gewesen, aber mir fiel es schwer, darin nicht ein Sinnbild für den Zustand unserer Beziehung zu sehen.

Väter und Gottvertrauen Als ich ungefähr zwölf war, gerieten mein Vater und ich wegen irgendetwas aneinander. Ich schämte mich anschließend und hatte Schuldgefühle, und als ich im Bett lag, nahm ich mir fest vor, mich in Zukunft besser zu benehmen, gehorsamer zu sein und mich mehr anzustrengen, damit mein Vater mich annahm. Ich kann mich nicht mehr an die Einzelheiten erinnern, die zu unserem Konflikt an jenem Abend geführt hatten, aber das, was danach geschah, ist für mich auch fünfzig Jahre später immer noch lebendig. Ich träumte, dass ich mir in der Küche ein Sandwich machte, als plötzlich ein strahlender Engel erschien und mir erzählte, wie wunderbar und herrlich der Himmel sei. Ich hörte ihm eine Weile zu und sagte dann ganz nüchtern: „Da gehe ich hin.“ Ich meinte damit natürlich, am Ende meines Lebens. 20


Die Antwort des Engels verblüffte mich: „Woher willst du das wissen?“ Woher ich das weiß? Was für eine Frage ist das denn? „Äh, ich versuche, ein braves Kind zu sein“, stammelte ich. „Ich versuche, das zu tun, was meine Eltern mir sagen. Ich versuche, mich anständig zu benehmen. Ich gehe zur Kirche.“ Der Engel erwiderte: „Das zählt nicht.“ Jetzt war ich sprachlos. Wie konnte das alles nicht zählen: meine Bemühungen, brav zu sein, pflichtbewusst zu sein, die Erwartungen meiner Eltern und Lehrer zu erfüllen? Panik stieg in mir auf. Ich brachte kein Wort über die Lippen. Der Engel ließ mich eine Weile schmoren. Dann sagte er: „Eines Tages wirst du das verstehen.“ Im nächsten Moment war er verschwunden und ich wachte schweißgebadet auf. Das ist der einzige Traum aus meiner Kindheit, an den ich mich noch heute erinnere. Im Laufe der Jahre ging er mir öfter durch den Kopf, aber ich schüttelte diese Erinnerung immer wieder ab. Es war doch nur ein Traum gewesen. Als ich älter wurde, wuchs meine Verwirrung in Bezug auf geistliche Fragen. Meine Eltern bestanden darauf, dass ich als Teenager zum Konfirmandenunterricht ging. „Aber ich bin nicht sicher, ob ich das alles überhaupt glaube“, sagte ich zu meinem Vater. Seine strenge Antwort lautete: „Du gehst in den Konfirmandenunterricht! Dort kannst du deine Fragen stellen.“ Im Konfirmandenunterricht ging es hauptsächlich darum, den Katechismus auswendig zu lernen. Fragen wurden nur widerwillig geduldet und oberflächlich beantwortet. Am Ende hatte ich mehr Zweifel als am Anfang. Ich ließ diese Veranstaltung über mich ergehen, denn wenn ich endlich konfirmiert war, durfte ich selbst entscheiden, ob ich weiterhin zur Kirche gehen wollte oder 21


nicht. Und ich wusste genau, wie meine Entscheidung ausfallen würde. Damals hatte ich noch keine Ahnung davon, dass die Beziehung eines jungen Menschen zu seinem Vater auch seine Einstellung zu Gott stark prägen kann. Ich wusste nicht, dass sich viele bekannte Atheisten von ihren Vätern im Stich gelassen gefühlt haben oder zutiefst von ihnen enttäuscht gewesen sind und deshalb nicht den Wunsch verspürt haben, ihren himmlischen Vater kennenzulernen2, darunter Friedrich Nietzsche, David Hume, Bertrand Russell, Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Arthur Schopenhauer, Ludwig Feuerbach, Baron d’Holbach, Voltaire, H. G. Wells und Madalyn Murray O’Hair. Das erfuhr ich erst später, als ich mich mit Josh McDowell anfreundete, dessen Vater ein gewalttätiger Alkoholiker war. „Ich wuchs mit der Vorstellung auf, dass Väter eben ihre Kinder verletzen“, erklärte Josh mir. „Man erzählte mir zwar, dass es einen himmlischen Vater gibt, der uns liebt, aber das machte mich nicht unbedingt glücklich. Im Gegenteil. Diese Aussage tat mir weh, denn ich konnte einfach keinen Unterschied zwischen einem himmlischen Vater und einem irdischen Vater erkennen.“ Josh sagt von sich selbst, dass er ein „starrsinniger Agnostiker“ war, bis er das Christentum auf den Prüfstand stellte und dabei zu der Überzeugung gelangte, dass es der Wahrheit entsprach.3 In meinen Teeniejahren begann ich immer mehr, am Christentum zu zweifeln; hinzu kam, dass meine Lehrer behaupteten, die Wissenschaft mache Gott überflüssig. Dadurch entwickelte ich mich immer mehr zum Skeptiker. Aber etwas fehlte – sowohl in meiner Familie als auch meiner Seele –, was in mir eine immer größere Sehnsucht nach etwas Undefinierbarem weckte, das ich damals selbst nicht erklären konnte. 22


Jahre später war ich gerade auf dem Northwest Highway in Palatine, Illinois, unterwegs – ich kann mich noch genau an die Stelle, die Uhrzeit und das sonnige Wetter erinnern –, als ich im Radio einen Sender suchte und etwas hörte, das mir die Tränen in die Augen trieb. Ich verstand nicht alles, aber es ging um Väter und Glauben und Gott und Hoffnung. Die Stimme im Radio gehörte einer Frau, die etwa in meinem Alter war, in ihrer Jugend aber einem entsetzlichen Grauen und einer unvorstellbaren Brutalität ausgesetzt gewesen war. Sie hatte das genaue Gegenteil von meiner behüteten Kindheit erlebt und doch fühlte ich mich auf der Stelle mit ihr verbunden. Ich musste sie unbedingt ausfindig machen. Ich musste mit ihr sprechen und mich in einem persönlichen Gespräch nach ihrer Geschichte erkundigen. Ich musste ihr meine Fragen stellen. Irgendwie wusste ich, dass sie mir helfen könnte zu begreifen, was Gnade ist.

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