835067 Dag Hammarskjöld (Kohler, Oliver) - 9783863340674

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Oliver Kohler

Dag Hammarskjöld Die längste Reise ist die Reise nach innen. Auszüge aus dem Tagebuch des UN-Generalsekretärs


Foto: UN/DPI


Eine Annäherung an Dag Hammarskjöld, den zweiten Generalsekretär der Vereinten Nationen, zu wagen, bringt einen Schriftsteller, einen Maler und einen Verlag mit den Lesern dieses Buchs auf eine gemeinsame Spur. Die fünfzigjährige Wiederkehr seines mysteriösen Todes auf einer Friedensmission signalisiert Aktualität. Das eigentliche Interesse gilt dabei nicht der Kriminalistik. Die Faszination einer originellen, nicht opportunistischen, sondern wertorientierten Persönlichkeit voller Komplexe und Visionen ist groß. Er war einer jener seltenen Politiker, die Kompetenz und Augenmaß, Mut und Demut, Bildung und Spiritualität in sich vereinen. Dieses Buch ist weder Biographie noch historische Erzählung. Es sammelt vielmehr Reflexe und Resonanzen. Die Erde aus Hammarskjölds Welt geht in neue Bildkompositionen ein. Der Innere Monolog vernetzt Tatsächliches mit Imaginiertem. Hammarskjöld, so fotogen er auf den unzähligen Pressebildern wirkt, bedient keine Klischees. Wer sich aber auf ihn einlässt, findet vielleicht einen Begleiter in den Umbrüchen und Aufbrüchen dieser Jahre.


Inhalt

Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Nicht ich, sondern Gott in mir Geleitwort von Nikolaus Schneider . . . . . . . . . . . . . . . .

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Dich wählte der Weg Aus dem Leben des Dag HammarskjÜld . . . . . . . . . . . .

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Acht Schritte oder neun . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tagebuch: Augenblick I .............................................. Tagebuch: Berufung II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagebuch: Weg III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagebuch: Einsamkeit IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 69 79 91


INHALT

Tagebuch: Verantwortung V ............................................. Tagebuch: Bescheidenheit VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagebuch: Gott VII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagebuch: Leben VIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagebuch: Schweigen IX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagebuch: Licht

99 115 129 137 147

Jeder Tag ein Leben Dag Hammarskjölds Spiritualität des Weges . . . . . . . . 157 Epilog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Vita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189


Foto: Š picture-alliance/akg-images


PROLOG

Die l채ngste Reise ist die Reise nach innen. 1950

Suche nicht die Vernichtung. Die wird dich finden. Suche den Weg, der zur Vollendung f체hrt. 6. Oktober 1957

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GELEITWORT

Nicht ich, sondern Gott in mir

Will man Dag Hammarskjöld charakterisieren, will man sein Leben beschreiben, wo soll man beginnen? So viele Rollen hat er in seinem nur 56 Jahre währenden Leben gespielt, so viele Aufgaben übernommen: der große Friedensstifter, der UN-Generalsekretär, der stellvertretende Außenminister, der Politiker, der Präsident des Reichsbankdirektoriums, der Wissenschaftler, der kluge Verhandler, der Friedensnobelpreisträger, der Sohn aus wohlhabendem Hause, der Einsame, der Mystiker, der Gottsucher – vielleicht auch: der Verschwörer? Viele Geschichten ranken sich um seine Person, am aufreibendsten die um seinen Tod und am unklarsten, bis heute, die Spekulationen über dessen Ursache. Abgesehen aber von und mitten in allem politischen Tagesgeschäft und allen diplomatischen Verhandlungen war Dag Hammarskjöld zeitlebens ein zutiefst religiöser Mensch. Das ist es, was mich am meisten beeindruckt am Leben dieses großen Politikers und Philo- oder vielleicht sollte man sagen Theosophen: diese ganz klare und doch immer neu suchende Beziehung zu Gott, sein Glauben, der ihn stets begleitete und der ihm oft so viel zumutete, den er je neu zu fassen und zu begreifen suchte und auf den er all sein Handeln und Denken gründete. Die Tiefe 11


GELEITWORT

dieser Gottesbeziehung und das grundlegende Vertrauen in Gottes Begleitung und Führung – bei aller erlebten Einsamkeit und allen Zumutungen dieses Lebens – sind gebündelt in dem Satz, den Dag Hammarskjöld in seinem Tagebuch verewigte und der neben den schlichten Lebensdaten seinen Grabstein im Dom von Uppsala ziert: „Icke jag utan gud i mig“ – „Nicht ich, sondern Gott in mir“. Mit dieser auf die kürzest mögliche Formel gebrachten theologischen Grundaussage, mit diesem Credo seines Lebens macht Dag Hammarskjöld sein ganz eigenes Verständnis eines Lebens im Dienste Gottes und der Menschen deutlich – und steht damit zugleich in der Tradition vieler großer christlicher Kunstschaffender und Theologen. Denken Sie etwa an Johann Sebastian Bachs „Soli Deo Gloria“ oder an Franz von Assisis Bitte: „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens.“ Wer so von sich weg weist, wer seine Bedeutung so zu relativieren und alle ihm zufallende Ehre auf deren Urheber zu beziehen weiß, ist in der Lage, von sich ab und auf das große Ganze zu sehen – und damit in letzter Konsequenz wirklich Großes zu vollbringen. Wie seine Rolle im Kongo-Konflikt auch ausgesehen haben mag, welche Umstände schließlich zu seinem Tod führten, ob ein tragischer Unfall, Sabotage oder ein gezielt geplantes Mordkomplott: Dag Hammarskjölds Leben bleibt ein faszinierendes Beispiel einer lebenslangen Gottsuche, eines Lebens im Dienste des Friedens und der Menschen – 12


GELEITWORT

und ein Beispiel dafür, auf wie vielfältige, manchmal unverständliche und oft ungewöhnliche Weise Gott einen Menschen finden und in dessen Leben wirken kann. Nikolaus Schneider

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Dich wählte der Weg

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Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch. Friedrich Hölderlin

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Alle Titel dieses Essays finden sich im Tagebuch von Dag Hammarskjöld.

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Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld

DICH WÄHLTE DER WEG

Nur der verdient Macht, der sie täglich rechtfertigt. Das Mädchen räkelt sich in der Sonne. Endlich hat sie die Flucht aus der Kleinbürgerlichkeit ihrer Eltern geschafft. Ihre Haut bekommt einen attraktiven hellbraunen Teint. Sie trägt nur einen Hauch von Bikini. Andere im riesigen Pool sind nackt. Eigentlich chillt sie lieber mit Mitschülern. Doch die älteren Herren sind großzügig. Sie lassen sich ihre Blicke und mehr etwas kosten. Allen voran der Ministerpräsident. Das Mädchen hechelt wie ein Hund. Endlich hat sie das Fluchtgeld zusammen und zwängt sich auf den Kahn des Schleppers. Nirgendwo Schatten. Ihre Haut platzt auf. Den dritten Tag schon treiben sie auf dem offenen Meer. Das überlastete Boot lässt sich kaum manövrieren. Eigentlich wäre sie lieber weiterhin in dem Internat bei den Nonnen aus Europa. Doch die Herren ihres Landes sind grausam. Sie sparen nicht an Gewalt gegen den verabscheuten Stamm. Allen voran der Präsident. Die beiden jungen Frauen könnten Schwestern sein. Irgendwann strandet das Boot an der Küste Italiens. Die Villen sind nicht weit. Begegnen werden sie sich vermutlich 17


DICH WÄHLTE DER WEG

Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld

nie. Nahe sind sie sich dennoch. Verantwortungsträger vergehen sich an der Generation Zukunft. Eingesetzt, um in ein besseres Dasein zu führen, verführen sie lieber die ihnen Anvertrauten. Opfer wird es immer geben. Jede Epoche hat ihr Areal des Unfassbaren, ihren Ground Zero. Vielleicht reißen die momentanen Krisen nicht schonungsloser in Abgründe als jene von gestern und vorgestern. Die Stürme aller Jahrhunderte ähneln sich. Das Gefühl der Fassungslosigkeit entsteht heute aber im Blick auf die Männer am Steuer und auf der Kommandobrücke. Oft gehen sie nicht als Letzte von Bord, sondern als Erste. Ihr Rettungsboot bietet allen Komfort. Sie spielen hoch, aber ohne eigenen Einsatz. Verspielt sind dann eben die Biographien derer, die ihnen vertraut haben, ihnen anvertraut waren. Selbst irgendwann und irgendwie gekränkt, misshandeln sie lieber weiter, statt den Teufelskreis zu zerbrechen. Als Marionetten spüren sie ihre Defizite am wenigsten. Auf ein solches Vakuum an Autorität lauert der Faschismus wie ein ausgehungerter Wolf. Sind die Leitfiguren und Lichtgestalten wie Dominosteine in einem Skandal gekippt, schlägt die Stunde eines neuen Führers. Die selbst fabrizierte Makulierung der Mächtigen ist kein Kavaliersdelikt. Ihr Versagen verschleißt Vertrauen. Der Glamour ihrer Abgänge blendet den Blick auf die wirklichen Untergänge. Ihre Kaltschnäuzigkeit lässt eine Kultur des Miteinanders abkühlen bis zur Erfrierung. Sie setzen aufs Spiel, was ihnen nicht gehört: „eines jeden 18


Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld

DICH WÄHLTE DER WEG

einziges leben“ (Reiner Kunze).2 Die Krise der Macht im Einundzwanzigsten Jahrhundert ist vor allem eine Krise der Mächtigen. Deshalb gilt: aufhorchen, aufmerksam werden und aufsehen, wenn jemand anders handelt, eine Alternative lebt und zu überraschenden Sätzen fähig ist: „Was die ,Elite‘ von der ‚Masse‘ scheidet, ist nur die Forderung nach Qualität. Und dies in einer Verantwortung für alle allen gegenüber und für die Vergangenheit der Zukunft gegenüber, eine Verantwortung, welche eine demütige und spontane Integration im Lieben spiegelt – in dessen unendlicher Perspektive und niemals wiederkehrendem Jetzt.“3 Es ist an der Zeit, sich an Dag Hammarskjöld zu erinnern. Er verkörpert eine Alternative. Die Beschäftigung mit ihm ist kein Akt von Denkmalpflege. Er lässt sich nicht wegsperren in die Abteilung für moralische Staatsmänner, an denen Besucher des Wachsfigurenkabinetts in sicherem Abstand vorbeigeführt werden. In ihm kehrt die Kategorie des Angemessenen in die politische Sphäre zurück. Er gibt das Menschenmögliche für die Menschlichkeit. Seine Intelligenz versucht sich an den unlösbaren Konflikten des 2

Reiner Kunze. eines jeden einziges leben. Gedichte. Frankfurt am Main (S. Fischer) 1986

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Dag Hammarskjöld. Zeichen am Weg. 9. Februar 1959. Im Blick auf die Neuausgabe des Tagebuchs im Herbst 2011 begnügen sich diese Nachweise mit dem Datum des Eintrags. Dieser beschränkt sich in manchen Phasen auf die Jahreszahl. In den vorliegenden und den künftigen Ausgaben sind die Texte damit zu finden.

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DICH WÄHLTE DER WEG

Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld

Globus. Der Schliff eines alten Adelsgeschlechtes dient ihm zur subtilen Taktung einer zielorientierten Diplomatie. Als leidenschaftlicher Leser verhundertfacht er die Linien seines eigenen Horizonts. Die Exzellenz seiner Bildung befähigt ihn, innovativ zu denken und werthaltig zu handeln. Lange bevor sie in der Psychotherapie aus uralten Traditionen neu konturiert wird, lebt er die Achtsamkeit. Seine persönlich konzipierte Neugestaltung eines interreligiösen Meditationsraums im New Yorker UNO-Gebäude und seine Tränen um einen Affen während seiner letzten Mission entspringen derselben Quelle. Nicht die Anzahl der Jahre, sondern ihre Sinnhaftigkeit sind ihm wichtig. Wer sein Leben früh verliert, kann dennoch sein Ziel erreichen. Dag Hammarskjöld hat den Tod akzeptiert und für das Leben gearbeitet. Bis zuletzt. „Noch einige Jahre, und dann? Das Leben hat Wert nur durch seinen Inhalt – für andere. Mein Leben ohne Wert für andere ist schlimmer als Tod. Darum – in dieser großen Einsamkeit – diene allen. Darum: wie unbegreiflich groß, was mir geschenkt wurde, wie nichtig, was ich ,opferte‘.“4 Ihn zu erfassen, ja, zu verstehen fällt nicht leicht. Unter Bäumen wäre er als Tiefwurzler anzusehen. Vieles bleibt rätselhaft, manches geheimnisvoll. Das macht ihn posthum zur Projektionsfläche mitunter obskurer Weltdeutungen. Ein Glücksfall ist dabei nur, dass er selbst eine Art Logbuch 4

20

Dag Hammarskjöld. Zeichen am Weg, 29. Juli 1958.


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