Pfarrer Johann Christoph Blumhardt
Die Heilung von Kranken durch Glaubensgebet
Bestell-Nr.: 52 50432 ISBN 978-3-86773-167-6 Alle Rechte dieser Ausgabe vorbehalten © 2012 cap-books/cap-music Oberer Garten 8 D-72221 Haiterbach-Beihingen 07456-9393-0 info@cap-music.de www.cap-music.de Bearbeitung: Andreas Claus Texterfassung, Beratung, Lebensbild: Sylvia Steeb Covergestaltung: Henri Oetjen, Designbüro Oetjen Blumhardt-Bild: Mit freundlicher Genehmigung Landeskirchliches Archiv Stuttgart Druck: Schönbach-Druck, Erzhausen Gedruckt in Deutschland Als Vorlage diente die Ausgabe „Die Heilung von Kranken durch Glaubensgebet“ von 1922, Volksdienst-Verlag, Leipzig.
Inhaltsverzeichnis Vorwort des Herausgebers....................................................... 4 Pfarrer Johann Christoph Blumhardt – Lebensbild............ 8 Über die Heilung der Dämonischen Einführung............................................................................... 11 Gottes Hilfe auf Glaubensgebete................................................ 19 Über die Heilung der Kranken Einführung...............................................................................29
Was ist Krankheit?....................................................................34
Sind deshalb die Ärzte unnötig?.................................................37
Über den Gebrauch von Medikamenten.....................................41
Die Gebetsheilungen in Möttlingen............................................46
Sind Wunder heute noch notwendig?.........................................54
Zeugnisse aus der damaligen Gegenwart Gott heilt Kranke durch Gebet Aus dem Leben von Prediger Johannes Seitz...............................59 Aus dem Leben von Dorothea Trudel..........................................75 Aus dem Leben von Henriette von Seckendorff-Gutend...............82 Aus dem Leben von Evangelist Elias Schrenk..............................96 Aus dem Leben von Fritz Ötzbach..............................................98 Aus dem Leben von Pfarrer Paul Barth..................................... 112
Vorwort des Herausgebers Vor einigen Jahren ist mir ein Büchlein von Pfarrer Christoph Blumhardt „Die Heilung von Kranken durch Glaubensgebet“ in die Hände gekommen, und zwar in einer Ausgabe von 1922 aus dem Volksdienst-Verlag, Leipzig. Diese Ausgabe war eine überarbeitete Wiederauflage der Originalschrift von 1850, ergänzt um „Zeugnisse aus der Gegenwart“. Ich habe das Büchlein gelesen und erstmal zur Seite gelegt, schon damals mit dem Gedanken an eine Wiederveröffentlichung, denn Ausführungen, Angriffe, Überlegungen und Praxis sind heute immer noch aktuell und lesenswert. Vielleicht mit dem Unterschied, dass Pfarrer Blumhardt damals Dinge erlebt und erfahren hat, die heute jenseits allen Zugriffs zu liegen scheinen, aber dringend geboten wären. Er würde wahrscheinlich heute wieder so schreiben! Die Not seiner kranken Gemeindeglieder ließ ihn nicht ruhen, er vertraute den biblischen Zusagen. Am bekanntesten ist die Krankheitsgeschichte der Gottliebin Dittus, eine, so Blumhardt, von Dämonen besessenen Frau. Zwei Jahre (1842-1843) dauert das kräfteverzehrende Ringen um Befreiung, das Pfarrer Blumhardt in jeder Beziehung an seine Grenzen bringt. Danach nimmt eine Buß- und Erweckungsbewegung ihren Lauf, die von vielen Heilungen begleitet wird. All das geschieht in einem schwäbischen Dorf, in einer evangelischen Kirche.
1849 greift der Theologe und Arzt Dr. de Valenti in der Schrift „Die Wunder in Möttlingen“ Pfarrer Blumhardt scharf an, wegen der bekannt gewordenen Heilungen und Befreiungen. Der „ordentliche Weg“ hätte darin bestanden, körperlich Kranke der Obhut von Ärzten zu überlassen und sich als Seelsorger allein auf die Belehrung, Bestrafung und Tröstung zu beschränken.1 1850 antwortet Blumhardt mit der oben bereits erwähnte Erwiderung, in der er auch einiges richtig stellt, was an Gerüchten im Umlauf war. Zudem legt er durchaus pointiert dar, was ihn bewegt und antreibt. Der Charakter einer Verteidigungsschrift, die übrigens damals einen anderen Titel trug, erklärt vermutlich auch, warum er zuerst auf „Die Heilung der Dämonischen“ eingeht. Was erstaunt, aber wiederkehrender Lauf der Dinge ist: Die Begebenheiten in Möttlingen wurden damals von der Kirchenleitung und vielen anderen kritisch beurteilt, und damit auch die Person Johann Christoph Blumhardts. Heute, viele Jahre später, wird Johann Christoph Blumhardt als Pfarrer und Glaubensheld in Ehren gehalten. Damals musste er sich rechtfertigen, heute sind Kirchen nach ihm benannt. Würde in unserer Zeit Ähnliches im nächsten Kirchenbezirk passieren, wäre die Aufregung wieder groß. Für diese Ausgabe (ausgehend von der oben genannten Ausgabe von 1922) wurde die Sprache behutsam der besseren Lesbarkeit wegen angeglichen, ohne den Inhalt zu ändern oder zu interpretieren. Unendliche Schachtelsätze wurden vereinfacht, manchmal auch kompakter gestaltet oder aufgeteilt. Einige Passagen wurden gekürzt, die sehr ausführlich auf de Valentis Schrift eingehen. Wo es nötig erschien, wurden kurze Erklärungen per Fußnote angefügt. Das Anliegen 1 Dieter Ising: Johann Christoph Blumhardt (Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage 2002), Seite 233.
war, den Zugang zu den Inhalten nicht durch alte Sprache zu erschweren. Die Berichte der Zeitgenossen im zweiten Teil des Buches kann man nur mit Staunen lesen, sie enthalten viel geistliche Weisheit und Praxiserfahrung. Das, was mit Blumhardt anfing, hat sich an anderen Stellen fortgepflanzt. Henriette von Seckendorff-Gutend schreibt in ihrem Beitrag: „Ich finde keine einzige Stelle in der Bibel, nach welcher wir unsere Krankheiten behalten müssten. Es kommt nicht darauf an, dass unsere Gebete besonders lang und innig sind; dies greift oft nur die Nerven an; nein, ein Blick, ein Seufzer genügt oft. Es fällt uns so schwer, wirklich still vor dem Herrn zu liegen, denn es muss (…) die Unruhe des Herzens vernichtet sein, wenn wir Segen haben wollen.“ Empfehlenswert sind zwei umfangreiche Biografien, der erste von einem Zeitzeugen. • Friedrich Zündel: Johann Christoph Blumhardt (Brunnen Verlag, verschiedene Ausgaben) • Dieter Ising: Johann Christoph Blumhardt (Vandenhoeck & Ruprecht, 1. Auflage 2002) In Möttlingen (Landkreis Calw) ist im Gottliebin-DittusHaus eine Dauerausstellung eingerichtet (www.blumhardt-gesellschaft.de). Und nicht zuletzt der Hinweis auf eine weitere Schrift von Pfarrer Blumhardt selbst zum Thema Möttlingen: Sieg über die Hölle. Vielen herzlichen Dank an Sylvia Steeb, die in vielen Stunden Arbeit die Ausgabe von 1922 abgeschrieben hat, das Buch war in alter Frakturschrift gesetzt. Außerdem hat sie wertvolle Gedanken und sachkundige Hinweise beigesteuert, ebenso das Lebensbild von Pfarrer Blumhardt. Zum Abschluss ein Zitat vom Blumhardt-Biografen Zündel: „In ihrem Verlauf (gemeint ist die Lebensbeschrei-
bung) sind oft weniger die Leistungen Blumhardts als die Taten des Herrn Jesus durch ihn zu verzeichnen. Das Verdienst, welches Blumhardt dabei gebührt, hat er einmal in seiner naiven Geradheit so ausgesprochen: ‚Damals hat der Heiland vor der Tür gestanden und angeklopft, und ich habe ihm aufgetan.‘“2 Haiterbach-Beihingen im Dezember 2012 Andreas Claus
2 Friedrich Zündel: Johann Christoph Blumhardt (Brunnen Verlag, verschiedene Ausgaben), Seite 109.
Pfarrer Johann Christoph Blumhardt – Lebensbild
Johann Christoph Blumhardt wurde am 16. Juli 1805 in Stuttgart geboren, als Sohn eines Bäckers und Mehlhändlers, seine Mutter war die Tochter eines Schneidermeisters. Schon mit drei Jahren besucht er die Schule, zu der er aber, weil er klein und zart war, getragen wird. „Frühe schon war des Knaben Freude die Bibel, die ihm auch in allerlei Trübsal der Armut (...) Trost und Erquickung bot. Abends, wenn die Kinder zu Bette waren, pflegte er, im Bette stehend, im Hemdchen seinen jüngeren Geschwistern in lebhafter Begeisterung die Geschichten zu erzählen, die er wieder in der Bibel gefunden hatte.“3 Mit zwölf Jahren hat er die Bibel schon zweimal durchgelesen. Im Alter von 14 Jahren beginnt seine Ausbildung zum Theologen in der Klosterschule Schöntal an der Jagst. Vier Jahre später erhält Blumhardt mit einem herzoglichen Stipendium einen Platz zum Theologiestudium im Ev. Stift Tübingen. Seine erste Stelle als Vikar tritt er 1829 in Dürrmenz-Mühlacker an. Sein Weg führt ihn weiter nach Basel. Sein Onkel Christian Gottlieb Blumhardt, Inspektor der Basler Mission, beruft ihn 1830 als Lehrer ans Missionshaus. Sein Hauptunterrichtsfach ist Hebräisch. „Lebenslang war er dankbar dafür, dass hier der Grund gelegt wurde, zu seiner späteren Fähigkeit; Gedanken klar zu ordnen und in die richtige, d.h. einfachste Form zu bringen.“4 Hier lernt 3 Friedrich Zündel, Lebensbild von Blumhardt, S. 17 4 Friedrich Zündel, Lebensbild von Blumhardt, S. 34
er seine Frau Doris, geb. Köllner, kennen. Nach sechseinhalbjähriger Tätigkeit in Basel wird er nach Iptingen als Pfarrgehilfe gerufen. Seine erste Pfarrstelle erhält er 1838 in Möttlingen bei Calw. Der bisherige Pfarrer, Dr. Pfr. Christian Gottlieb Barth, hatte sich für Blumhardt eingesetzt. Möttlingen war eine besondere Pfarrgemeinde. So ist überliefert, dass Pfarrer Bührer (1749-1763) zeitlebens um gläubige Seelsorger für diesen Ort bat. Und Gott hat diese Bitte erhört. 1842 wird Johann Christoph Blumhardt in Möttlingen mit der Krankheit eines Gemeindeglieds konfrontiert: Eine junge Frau litt unter Krämpfen, Blutungen und unerklärlichen Geistererscheinungen und wandte sich Hilfe suchend an ihren Pfarrer. Ihr Name war Gottliebin Dittus. Der beeindruckende Glaubenskampf gegen Krankheit und Dämonie endete zwei Jahre später mit dem Ausruf: „Jesus ist Sieger!“ Die aus der Befreiung entstehende Erweckung und Bußbewegung verursachte auch Unruhe und Misstrauen. Viele Auswärtige strömen nach Möttlingen zu Blumhardts Gottesdiensten. An einem Pfingstfest zählt man 2.000 Abreisende. In der folgenden Zeit wird von weiteren Heilungen berichtet, bei Gemeindegliedern und Besuchern. Die Presse verhöhnt die Ereignisse als Betrug und Wundergläubigkeit. Das Konsistorium der kirchlichen Oberbehörde verbietet ihm daraufhin, die Heilung körperlicher Krankheiten mit der Seelsorge zu vermischen. 1852 erwirbt Blumhardt das Heilbad in Boll, das vom Staat nicht mehr instand gesetzt wurde. Begleitet von der Familie Dittus (vier Geschwister) richtet er mit seiner Familie dort eine Stätte der Begegnung unter Gottes Wort für Mühselige und Beladene ein und wirkt so bis an sein Lebensende am 25. Februar 1880. Sylvia Steeb
Über dIe heIlung der KranKen Einführung Nun aber habe ich mich einem schwierigeren Punkte zuwenden, nämlich über die Gebetsheilungen anderer Kranken. Darüber würde ich lieber schweigen, wenn ich nicht genötigt worden wäre zu sprechen. Weil ich aber reden muss, so will und kann ich nicht anders, als die Wahrheit sagen und ein freies Bekenntnis ablegen. Vorerst ist es wieder auffallend, dass sich der Herr mit der Heilung leiblicher Kranken auf ein Gebiet begab, das eigentlich den Ärzten gehörte. Zahllos waren die Kranken, die zu ihm kamen. Auch wenn er die Zwölf oder die Siebzig noch zu seinen Lebzeiten aussandte (Matthäus 10,1; Lukas. 10,1-9), war es sein Erstes, dass er ihnen Macht gab, auch „zu heilen allerlei Seuche und allerlei Krankheit“. Bekannt ist seine Testamentsverheißung: „Auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird es besser mit ihnen werden.“ (Markus 16,18) Der Herr musste es zum Teil wie im Verborgenen tun; und zu dem geheilten Aussätzigen sagte er: „Siehe zu, dass du niemand nichts sagest; sondern gehe hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, zum Zeugnis für sie.“ (Markus 1,44) Er wollte einen unangenehmen Zusammenstoß mit dem Priesterstande vermeiden, da nach dem Gesetze dieser ärztliche Befugnisse hatte. Ein anderes Mal, da ihm viel Volk nachfolgte und er sie alle heilte, „bedrohte er sie, dass sie ihn nicht meldeten“.
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(Matthäus 12,15-16) Seine Heilungen waren auch den Obersten so zuwider, dass sie deswegen öfters „einen Rat über ihn hielten, wie sie ihn umbrächten“. Dass die Apostel in seine Fußstapfen nachfolgten, wissen wir; und als die Gläubigen einmal beteten: „Strecke deine Hand aus, dass Gesundheit und Zeichen und Wunder geschehen durch den Namen deines heiligen Knechtes Jesus“ (Apostelgeschichte 4,30-31), so bewegte sich die Stätte, wo sie versammelt waren. In den Gemeinden waren gewöhnlich auch besondere Personen, welche „die Gabe hatten, gesund zu machen“. (1. Korinther 12,9) Später scheinen das hauptsächlich die Ältesten gewesen zu sein, nach dem Bibelwort Jakobus 5,14-16: „Ist jemand krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, und lasse über sich beten und salben mit Öl in dem Namen des Herrn; und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen.“ Da wir durchaus von nichts anderem in den Evangelien und Apostelgeschichten lesen, so fragt man wiederum zu Recht: „Wie kommt es, dass das Evangelium sich so viel beschäftigt mit den Kranken? Weil der Herr in erster Linie vielleicht mit Krankenheilungen seine göttliche Sendung beweisen wollte? War es denn nicht unnötig und überflüssig, mit solchem Eifer eine Sache zu betreiben, die doch ebenso gut auf dem gewöhnlichen Wege durch die Ärzte, wenn auch nicht so schnell, hätte bewerkstelligt werden können?“ Ja, das letztere wäre eben die Frage; und wir müssen hier wieder um der Würde des Herrn willen bekennen und sagen: Er hat sicher nichts Unnötiges und Überflüssiges getan, nichts, das auf einem andern Wege hätte ebenso geschehen können. Und das Vorgehen des Herrn, wenn wir nur die Augen auftun wollen, beweist unwidersprechlich, dass im Grunde alle Heilung nur von oben kommen kann. Woher kommt denn die unermessliche Anzahl von Kranken, wenn man ihnen durch natürliche Mittel hätte helfen könnten? Warum hat der Herr nie
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auch nicht die geringste Andeutung gegeben, dass man ihn eigentlich mit etwas Unnötigem belästige? Wie viel Mühe hat es ihm doch gemacht! Ein kalter, nüchterner Verstand sollte denken, er habe damit nur seinem Hauptzweck Genüge getan, wenn es z.B. wie in Matthäus 14,3536 erzählt wird: „Und da die Leute ihn sahen, schickten sie aus in das ganze Land umher und brachten vielerlei Ungesunde zu ihm und baten ihn, dass sie nur seines Kleides Saum anrührten; und alle, die ihn anrührten, wurden gesund.“ Überfielen sie ihn doch eigentlich mit Kranken, wo er ging und stand. War er in einem Hause und predigte, so brachen die Leute das Dach auf und ließen den Gichtbrüchigen mit Seilen zu ihm herunter. (Markus 2,4) Konnte man ungelegener und ungeschickter dem Herrn kommen als so? Er aber wehrt es nicht ab, sondern sogar wenn andere meinten, den Zudrang verwehren zu müssen, weil es zu viel würde, er ließ er es nicht zu. (Lukas 18,35-43) Sicherlich, wenn manche unserer Zeit damals gelebt hätten, sie hätten solches zusammen mit den Pharisäern „einen schwärmerischen und falschen Wunderglauben“ genannt, der „den gesunden, Haus, Schule und Kirche erhaltenden, segnenden und erneuernden Glauben in seinem innersten Leben angreife und vernichte“ – so wird z.B. auch über mich gesprochen. Hatten aber am Ende die Pharisäer nicht doch Recht mit ihrem Widerspruch? War die Handlungsweise des Herrn nicht zu mindestens auffallend und unerklärlich, gerade auch weil er sie seinen Jüngern für die Zukunft mitgab? Sieht sie nicht, so wohltuend sie war, höchst unfreundlich gegen den ärztlichen Berufsstand aus, an den man sich sonst in Krankheiten wendet, und der vielleicht übermütig sagte: „Geht ihr weg, lasst mich hin, ich verstehe es besser als ihr, bin schneller damit fertig und brauche nicht so viel Umstände und kann den Leuten etwas ersparen.“ Ja, es wäre in der Tat all das Wohltun des Herrn
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eine Ungerechtigkeit gewesen und eben damit, wenn man wollte, sogar Sünde, wenn die Voraussetzung richtig wäre, dass der sogenannte ordentliche Weg am Ende ebenso gut, wenn auch langsamer geholfen hätte. Noch mehr, ist seine Handlungsweise nicht auch darum zu verwerfen, dass er mit ihr die denkbaren Heilmittel gering schätzen lehrte? Oder sie zu „verlästern“ scheint? Er will ja nichts als Glauben, und wo der Glaube nicht ist wie in Nazareth einmal (Matthäus 13,58), da kann er auch nicht heilen. Tut er da nicht ein Unrecht auch gegen die Natur, und damit Sünde gegen seinen Vater, der in die Natur auch die Kräfte der Heilung gelegt hat, die Jesus nun geradezu missachtet, weil er ja sogar will, dass das, was er tut, auch noch nach ihm getan werden solle? Ja, so wäre es tatsächlich, wenn es wirklich mit den sogenannten Naturkräften zum Zwecke der Heilung so wäre, wie man es so oft meint. Wegen dieser Ansicht schätzen auch so viele Menschen die Wunderheilungen Jesu so gering ein, und ebenso einige Ärzte, die wohl auch dies und jenes mit ihrer Kunst für möglich halten, was Jesus tat, und dabei gern auf ihre Kunst und die Wirkung der zahlreichen natürlichen Mittel pochen. Wollen wir der moralischen Würde Jesu nicht zu nahe treten; wollen wir ihn als einen Vorleuchter zu allem Guten, also auch zur Ordnung, zur Wertschätzung und Achtung anderer ehren; wollen wir in ihm nicht bloß einen unnötigen Tausendkünstler, sondern einen zu nötigen Dingen ausgerüsteten Wundertäter erkennen; wollen wir nicht Gott selbst seine eigene Kreatur richten und verwerfen lassen, – so müssen wir bekennen, dass der Herr Jesus mit seinen Wunderheilungen etwas tat, was keine Kunst und keine Kreatur und Naturkraft zustande bringen konnte. Er tut, was niemand kann, und das heißt so: „Wunderbar, Rat, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst“. (Jesaja 9,6) Dies lässt sich auch aus den erzählten Wunderheilungen selbst anschaulich machen.
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Was waren es hauptsächlich für Leute, denen er half? Aussätzige, an denen noch jeder Arzt verzweifelte, Taubund Stummgeborene, Blind- und Lahmgeborene, Mondsüchtige, Epileptische (die an einigen Stellen deutlich beschrieben sind), Gichtbrüchige, mit Seuchen und Qual, alte Krankheiten, gegen die niemand mehr Rat wusste, belastete Leute, eine Blutflüssige, die zwölf Jahre lang von den Ärzten viel erlitten und allmählich ihr ganzes Vermögen eingebüßt hatte, während es immer schlimmer mit ihr geworden war, Wassersüchtige, Leute mit verdorrten Gliedern usw. Ist es nicht überzeugend, dass für solche Kranke kein Kraut gewachsen, und dass an ihnen alle Kunst der Ärzte verloren ist? Wer sollte es nicht glauben können, dass zur Heilung solcher Kranken eine unmittelbar von Gott kommende Kraft erforderlich ist? Besonders, wenn die Evangeliumsgeschichte noch andeutet, dass auch bei leiblichen Krankheiten dämonische Kräfte im Spiel sind oder sein können, wie bei jener Frau, die infolge eines Geistes der Krankheit, mit dem sie Satan gebunden hatte, achtzehn Jahre lang krumm gewesen war? (Lukas. 13,11+15-16) Wenn man aber einwenden wollte, bei jenen Krankheiten sei es vielleicht so, aber es gebe doch auch viele andere, bei denen, wie die Erfahrung zeige, ärztliche Kunst und Natur viel ausrichten; so will ich die beiden letzteren keinesfalls abtun und ihnen ja gerne einiges Recht lassen. Um so mehr, weil jene Gotteskräfte in der Kirche leider verschwunden sind, so dass man oft notgedrungen dazu greifen muss. Aber die Aussage bleibt doch fest, wenn der Herr Jesus selbst nur vom außerordentlichem Wege weiß und seine Jünger nur diesen lehrt, dass bei aller und jeder Krankheit mindestens ein Etwas ist, darüber keine menschliche Kunst Meister werden kann, und worin die eigentliche Hilfe von oben kommen muss. Sei es, dass diese oft und sehr oft von selbst eintritt, ohne dass der Mensch bittet – „denn Gott lässt seine Sonne
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aufgehen über die Bösen und über die Guten, und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte“, wie auch Luther in seinem Katechismus lehrt: „Gott gibt das täglich Brot (worunter er auch die Gesundheit versteht), auch wohl ohne unsere Bitte allen bösen Menschen“ – oder dass Gott gebeten und in kindlichem Glauben angerufen sein will, wenn er aber seine Hilfe versagt, weil er nicht gesucht wird, dann muss auch jede menschliche Kunst scheitern.
Was ist Krankheit? Um die Sache noch näher zu beleuchten: Ist Krankheit ein bloßes natürliches Ungefähr? Freilich, so sieht es gegenwärtig jedermann an. Man fragt immer nach äußerlichen Ursachen und weiß immer eine Krankheit, welche sie auch sei, aus irgendetwas heraus zu erklären. Natürlich gebe ich es zu, dass etwas Äußerliches den Anlass dazu geben kann und muss. Aber warum hat dieses Äußerliche, das bei tausend Menschen auch vorkommt, bei diesen nicht dieselbe Folge? Warum bei demselben Menschen wohl das eine, aber nicht das andere Mal? Man sagt: Der eine ist geneigt oder disponiert zu einer Krankheit, der andere nicht; der eine hat stärkere, der andere schwächere Nerven; auch derselbe Mensch, der ja steten Veränderungen ausgesetzt ist, kann die Disposition zu einer Krankheit heute nicht haben, wohl aber etwa morgen. Ganz richtig, aber dann ist doch klar, dass die eigentliche Ursache tiefer liegt und nicht in dem jeweiligen Anstoß. Wir müssen zur Schrift zurückgehen; und nach dieser ist man wohl mit mir einig, dass die Sünde oder die sündige Natur des Menschen die Ursache der Krankheit ist. Aber solches sagt man und glaubt es dann doch in der Praxis nicht; gerade wie man wohl sagt, dass ein Gott sei, aber auch das bei genauem Hinsehen doch wieder nicht glaubt. Was einem übrigens auch bei scheinbar guten