Florence Littauer & Rose Sweet
Einfach typisch! Im Job Wie Sie mit jedem erfolgreich zusammenarbeiten
Ăœbersetzt von Ulrike Becker
Inhalt
Die vier Persönlichkeitstypen nach Hippokrates (ca. 400 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Besetzungsliste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Begrüßen wir unsere Darsteller . . . . . . . . . . . . . . . Teil 1
Ein Überblick über die Persönlichkeitstypen . . . .
Wie entsteht unsere Persönlichkeit? . . . . . . . . . . . Wir werden mit unserem Persönlichkeitstyp geboren . Die emotionalen Bedürfnisse der verschiedenen Typen Die feineren Nuancen der vier verschiedenen Typen . . Persönlichkeitspaare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil 2
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7 8 9 17 19 41 59 82 97
So gestaltet sich das Arbeitsleben mit den vier Persönlichkeitstypen . . . . . . . . . 117
Der Sanguiniker – der beliebte Persönlichkeitstyp Der Choleriker – der kraftvolle Typ . . . . . . . . Der Melancholiker – der nach Vollkommenheit strebende Typ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Phlegmatiker – der friedliebende Typ . . . . .
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Teil 3
Die vier Persönlichkeitstypen in spezifischen beruflichen Konstellationen . . . . 187
Die Persönlichkeitstypen in der beruflichen Zusammenarbeit von Ehepartnern . . . . . Die Persönlichkeitstypen im Multi-Level-Marketing . . Die Persönlichkeitstypen im Immobiliengeschäft . . . Die Persönlichkeitstypen in der Gastronomie . . . . . . Die Persönlichkeitstypen im Gesundheitswesen . . . . Die Persönlichkeitstypen im Einzelhandel und im Büro Die Persönlichkeitstypen in geistlichen Berufen . . . . Unsere Abschiedsparty . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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189 205 224 241 255 270 288 300
Anhang A: Ihr Persönlichkeitsprofil . . . . . . . . . . . . . . 323 Bestimmungsbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Auswertungsbogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Anhang B: Begriffsdefinitionen zum Persönlichkeitsprofil . . 335
Die vier Persönlichkeitstypen nach Hippokrates (ca. 400 v. Chr.) Der beliebte Typ – der Sanguiniker Spaßig, gesellig, optimistisch . . . aber auch unorganisiert und ein schreckliches Plappermaul
Der kraftvolle Typ – der Choleriker Zielorientiert, ein geborener Anführer, selbstbewusst . . . aber oft zu dominierend und ziemlich unsensibel
Der nach Vollkommenheit strebende Typ – der Melancholiker Tiefschürfend, rücksichtsvoll, gut organisiert . . . aber mit einer negativen Grundhaltung behaftet und häufig deprimiert
Der friedliebende Typ – der Phlegmatiker Angenehm, umgänglich, anpassungsfähig . . . aber auch unentschlossen und unmotiviert
Die Besetzungsliste
Unsere Seminarteilnehmer
Ihre Charaktere
Ihre Geschichte
Carmen Gonzalez
Melancholikerin mit phlegmatischen Anteilen
Eine schüchterne Lehrerin, die ihre Schüler besser verstehen möchte
Dr. Charles Everett Hastings III.
Melancholiker mit phlegmatischen Anteilen
Ein wohlhabender Chirurg mit trockenem Humor, der reichlich herablassend wirkt
Holly Homes
Sanguinikerin mit phlegmatischen Anteilen
Eine auffällig gekleidete Immobilienmaklerin, die gerne lacht und im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht
Howard Jones
Sanguiniker mit cholerischen Anteilen
Ein gesprächiger Restaurantbesitzer mit einem kräftigen Bäuchlein
Darlene Heidenberg
Cholerikerin mit melancholischen Anteilen
Eine dominante Führungskraft, die mit ihrem Mann zusammen im Multi-Level-Marketing arbeitet
Fran Taylor
Cholerikerin mit sanguinischen Anteilen
Eine kontaktfreudige leitende Angestellte in der Bekleidungsbranche, die keine Gelegenheit auslässt, um etwas zu verkaufen
Hans Heidenberg
Phlegmatiker mit melancholischen Anteilen
Der lahme Ehemann Darlenes, der mit ihr in der Firma arbeitet
Pastor Paul Page
Phlegmatiker mit melancholischen Anteilen
Ein schweigsamer Pfarrer, der mit seinen Predigten die Gemeinde einschläfert
Begrüßen wir unsere Darsteller
E
s war an einem regnerischen Nachmittag im April, als Rose und ich (Florence) das Bibliotheksgebäude der Loma Linda University betraten, um eine Seminarreihe zu unterrichten, die unter dem Titel stand: „Einfach typisch! – Im Job“. Der Dekan der Hochschule, Dr. Hemingway, hatte diese Seminarreihe in den Lehrplan aufgenommen, weil ihm immer wieder Menschen ihr Leid geklagt hatten: „Wie soll ich diese zusammengewürfelte Truppe, mit der ich es an meinem Arbeitsplatz zu tun habe, nur richtig verstehen?“ Oder: „Wenn ich doch die richtige Lösung parat habe, warum machen die Leute dann nicht, was ich ihnen vorschlage?“ Dr. Hemingway war sich nicht sicher, wie er auf diese Fragen antworten sollte, bis er mich eines Tages bei einem Abendessen kennenlernte und mir von seinem Frust erzählte. „Die Leute reden so, als könne ich ihnen eine magische Pille verschreiben, die sie dann jeden Morgen einwerfen, und auf einmal sind sie klug. Wir wissen doch alle, dass das so nicht funktioniert!“ Angewidert knallte er seine Gabel auf den Teller. Ich musste lächeln. „Nun, Dr. Hemingway, es gibt schon eine ‚magische‘ Kur für Probleme zwischen unterschiedlichen Persönlichkeitstypen. Ich erkläre es Ihnen gerne. Diese Behandlungsmethode wurde im Jahr 400 v. Chr. von Ihrem eigenen Berufsstand entwickelt – von einem griechischen Arzt – und sie funktioniert noch heute.“ „Tatsächlich?“, meinte er. 9
„Erinnern Sie sich noch an Hippokrates? Er stellte sich dieselbe Frage, die Sie sich gestellt haben: ‚Gibt es einen Weg, wie ich meine Patienten besser verstehen kann?‘ Und: ‚Warum reagieren nicht alle meine Patienten in gleicher Weise auf meine Anweisungen?‘“ Unser Gespräch wurde so lebhaft, dass bald alle um uns herum interessiert zuhörten, während wir uns über Fragen und Lösungsansätze austauschten. Aus diesem Gespräch entstand die Idee für das 16-wöchige Seminar: „Einfach typisch! – Im Job“. Und nun betraten Rose und ich diesen Raum, in dem acht handverlesene Seminarteilnehmer auf uns warteten. Vier Männer und vier Frauen aus den verschiedensten Ecken der Berufswelt. Sie alle suchten Unterstützung für den Umgang mit „all den Menschen, die nicht so ticken wie ich“. Rose und ich hatten schon zuvor Seminare für den Umgang mit schwierigen Menschen abgehalten, mehr so aus Spaß an der Sache. Doch mit einer derart handverlesenen Truppe hatten wir es noch nie zu tun gehabt. Dr. Hemingway hatte die aus Freunden und Fachkräften bestehende Gruppe durch die empfohlene Lektüre meines Buches Einfach typisch! und durch den Persönlichkeitstest im Anhang dieses Buches auf das Seminar vorbereitet. So kannten wir die Persönlichkeitstypen unserer acht Studenten schon zu Beginn der ersten Seminareinheit und konnten uns gut auf sie einstellen.
Hier sind unsere Seminarteilnehmer Zu Beginn erklärte ich unseren Studenten, dass sowohl Rose als auch ich eine Mischung aus den beiden Typen Choleriker und Sanguiniker waren und sie im Verlauf des Seminars sicher bes10
ser verstehen würden, was das bedeutet. Rose fügte hinzu: „Das heißt, dass wir beide gerne das Heft in der Hand haben. Aber keine Sorge, es wird trotzdem Spaß machen!“ „Ja“, pflichtete ich ihr bei und schaute Rose währenddessen direkt in die Augen, „wir beide haben gerne das Heft in der Hand.“ „Ah . . . Heft in der Hand! Dabei fällt mir ein, dass Florence heute den Unterricht leitet. Wie ich die Sache in die Hand nehme, erleben Sie dann beim nächsten Mal!“ Rose lächelte der Gruppe zu und setzte sich dann auf einen Platz im hinteren Bereich des Raumes. Als Sanguiniker haben wir gelernt, bei unseren Seminaren zusammenzuarbeiten. Wir mögen es scherzhaft, wahren aber einander gegenüber stets die Achtung. Nachdem wir uns vorgestellt hatten, bat ich die Teilnehmer, der Reihe nach ihren Namen zu nennen und zu sagen, warum sie beim Seminar mitmachen wollten. Als Erste war eine entspannte junge Frau mit großen braunen Augen und dunklem, gewelltem Haar an der Reihe. „Ich heiße Carmen Gonzalez. Ich unterrichte an der örtlichen Highschool und hoffe, dass es mir gelingt, meine Schüler besser zu verstehen. Sie sind alle sehr verschieden und manche von ihnen wollen am liebsten nicht zur Schule gehen. Ich habe Einfach typisch! gelesen und ich denke, dass ich Melancholikerin bin, weil ich gerne lerne und mich von den Spielchen meiner Schüler schnell deprimieren lasse!“ Als Nächste war eine Frau in mittlerem Alter an der Reihe. Sie war etwas pummelig, hatte hellblaue Augen und konnte es gar nicht abwarten, sich uns vorzustellen. „Ich heiße Darlene Heidenberg und ich bin hier, weil ich mehr über meine Geschäftspartner erfahren möchte. Ich arbeite im Multi-Level-Marketing und bin immerzu mit meiner Arbeit beschäftigt. Meine Gedanken scheinen niemals stillzustehen!“ 11
Ich wusste sofort, dass sie Cholerikerin war. Neben ihr saß ein stiller, frostig wirkender Mann, der bis jetzt noch kein einziges Mal gelächelt hatte. „Ich wäre aus eigenen Stücken nicht hier, wenn mich Darlene“, er nickte in Richtung der Frau, die neben ihm saß, „nicht hergeschleppt hätte. So macht sie’s immer. Aber mir ist das egal. Mein Name ist Hans Heidenberg.“ Ich tauschte unauffällig einen Blick mit Rose und wir waren uns einig: ein Phlegmatiker. Die Gruppe schien verwirrt. Sollten sie nun Mitleid mit Hans haben, weil er hergeschleppt worden war, oder sollten sie glücklich sein, weil er Darlene hatte, die ihn in Schwung hielt? Als Nächster kam ein eifriger Mann an die Reihe, dem man ansah, dass er sein Leben lang gerne gegessen hatte. Als wäre er ein gemütlicher Nikolaus, wippte sein Bauch beim Lachen wie Pudding auf und ab. „Mein Name ist Howard Jones. Weil ich in der Gastronomie tätig bin, halten mich alle für Howard Johnson! Ich habe das Problem, dass mir alle Aushilfen davonlaufen. Sobald ich jemanden angelernt habe, ist er auch schon verschwunden. Ich habe von diesen unsteten Typen die Schnauze voll und wünsche mir ein paar, die bleiben. Nachdem ich Ihr Buch gelesen habe, bin ich mir ziemlich sicher, dass ich ein Choleriker bin. Mir würde meine Rolle als Chef mehr Spaß machen, wenn die Kerle nur mal richtig auf mich hören würden.“ „Ihr glaubt, ihr habt Probleme!“, rief die Blondine, die neben Howard saß, in die Runde. Sie trug ein T-Shirt mit der Aufschrift HOLLY HOMES. „Ihr solltet mal als Maklerin arbeiten. Ich weiß gar nicht, wer schwieriger ist: die verrückten Verkaufstypen in meinem Büro oder die komisch dreinschauenden Idioten, die als Kunden ins Haus kommen. Wenn man sie alle in einer Schüssel zusammenrühren würde, könnte man noch nicht mal einen anständigen Pfannkuchen damit backen. Das hat meine Mutter im12
mer gesagt – Gott sei ihrer Seele gnädig. Sie haben sicher schon festgestellt, dass ich Holly heiße. Mein Nachname ist nicht wirklich ‚Homes‘, aber das verkauft sich besser. Ich hab’ gern Spaß an der Arbeit, aber in letzter Zeit war’s damit nicht mehr so weit her. Der Markt ist grad echt sauschlecht!“ Eine Sanguinikerin! Rose und ich lächelten uns zu. Nach Hollys abschließenden Worten rückte der ehrbar dreinblickende, schlanke und groß gewachsene Mann neben ihr seinen Stuhl noch ein wenig weiter von ihr ab. „Ich bin Pastor Paul Page. Ich habe es gerne friedlich und ruhig. Ich bin hier, weil mich meine Gemeinde nicht für interessant genug hält. Ein Mann hat sogar mal zu mir gesagt: ‚Wenn Sie zu predigen anfangen, schlafe ich sofort ein.‘ Und weil er einer der Ältesten ist, ist das gar nicht gut. Ich hoffe, ich kann meine Persönlichkeit positiv verändern, obwohl ich eigentlich ganz glücklich mit mir bin.“ „Sie sind ein Phlegmatiker!“, sagte Howard. „Stimmt’s, Florence?“ Ich nickte und sah, dass der Pastor gerne noch etwas anfügen wollte. „Ich war auch nie verheiratet, weil es mir so schwerfällt, wichtige Entscheidungen zu treffen“, ergänzte er und lachte leise. Holly schob ihren Stuhl näher an ihn heran und lächelte ihn mit einem breiten Grinsen an. Dem unverheirateten, geistlich gesonnenen Pastor gegenüber saß eine sichtbar weltliche, farblich sehr geschmackvoll gekleidete junge Frau mit perfekt geschminktem Make-up und extra langen Wimpern. „Ich heiße Fran Taylor und ich hab’s mit der weiblichen Mode.“ „Das sieht man Ihnen auch an, meine Liebe!“, warf Howard ein. „Danke sehr. Aber was ich damit sagen wollte, war, dass ich eine leitende Stellung in einer Einzelhandelskette innehabe. Wenn ich nicht gerade auf Reisen bin, arbeite ich im Hauptsitz 13
der Firma. In meinem Job gibt es viel anzupacken. Eigentlich mache ich zwei volle Jobs, auch wenn die Firma das nicht so sieht. Schließlich bekomme ich nur ein Gehalt!“ Sie lachte über ihre eigene Bemerkung und fuhr dann fort: „Ich mag Mode. Ich mag Menschen. Ich rede gern und ich trage gern die Verantwortung. Es gibt so vieles, was ich absolut gern mag, man könnte fast meinen, ich hätte eine gespaltene Persönlichkeit! Wie auch immer, wir haben eine ganz neue Schmuckkollektion herausgebracht. Ich habe Ihnen eine Broschüre mitgebracht, die Ihnen die elegante Verarbeitung des Goldes und die leuchtenden Farben der Steine zeigt. Wirken sie nicht geradezu echt? Den Preis werden Sie lieben! Ganz unser Versprechen: ‚Große Leistung zum kleinen Preis!‘ Ich habe gleich ein paar Bestellformulare mitgebracht und – ja – Sie können auch mit Kreditkarte bezahlen.“ Während Fran ihre Werbebroschüren austeilte, bat ich den Letzten in unserer Runde, sich vorzustellen: einen eleganten, intelligent aussehenden und offensichtlich wohlhabenden Herrn. „Mein Name ist Dr. Charles Everett Hastings der Dritte. Die andern beiden sind nicht da, sie sind tot.“ Er lächelte über seinen Versuch, humorvoll zu sein – auch wenn sonst keiner lächelte. „Die anderen beiden waren Mediziner und so blieb mir nichts anderes übrig. Ich musste ‚der Dritte‘ werden und die Familientradition aufrechterhalten. Ich besuchte die Phillips Andover Akademie und die Universität Harvard und machte schließlich an der Universität Princeton meinen Doktor.“ Er hielt einen Moment inne, um seine Auszeichnungen wirken zu lassen. „Warum bin ich hier, wo ich doch offensichtlich bereits völlig überqualifiziert bin? Weil Dr. Hemingway mich bat, ich zitiere: ‚teilzunehmen und mal von all dem Intellektuellen wegzukommen und mit ganz normalen Menschen zusammen zu sein, denen mein IQ völlig egal ist‘. Ich sollte einfach nur ein netter 14
Kerl sein. Ich habe von Hippokrates bereits im Studium gehört, habe dieses Wissen aber nie angewandt. Ich hielt es für zu banal. Und jetzt bin ich hier – unter ganz normalen Menschen – und ich muss zugeben, dass Sie eine durchaus angenehme Gruppe zu sein scheinen.“ Als der gute Doktor ausgeredet hatte, wusste keiner so recht, was er davon halten sollte. Sollten sie sich beleidigt fühlen? Oder sollten sie Mitleid mit ihm haben, weil er der wirklichen Welt so völlig enthoben war? Ich dankte allen für ihre Offenheit und zog dann eine alte Zeitschrift hervor, um in das Thema, mit dem wir uns im nächsten Kapitel weiter befassen wollen, einzusteigen. Während Sie, liebe Leser, uns durch dieses Seminar begleiten, sollten Sie sich vorstellen, dass auch Sie zu dieser handverlesenen Gruppe gehören. Sind Sie bereit? Bald werden Sie merken, dass die Probleme dieser Menschen Ihren eigenen ähneln. Und unsere Lösungsvorschläge werden Ihren Tag erhellen. Wir freuen uns, Sie in unserer „angenehmen Gruppe“ begrüßen zu dürfen!
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TEIL 1
Ein Überblick über die Persönlichkeitstypen
Wie entsteht unsere Persönlichkeit?
I
ch stieg in unser Seminarthema ein, indem ich den Teilnehmern ein Exemplar der Zeitschrift Time vom 3. Juli 2000 zeigte und ihnen daraus einen Artikel über zwei Teams von Genforschern vorlas. Die Genforscher hatten sämtliche vererbbaren Eigenschaften des menschlichen Körpers entschlüsselt. „Nachdem sie über ein Jahrzehnt lang gehofft, geplant und Unsummen von Daten ausgewertet haben“, so las ich vor, „haben beide Teams im Grunde alle 3,1 Milliarden Erbinformationen der menschlichen DNA entschlüsselt – jener codierten Anleitung für den Bau und Betrieb eines funktionsfähigen menschlichen Körpers.“ * Ich erklärte ihnen, dass man neben solchen Merkmalen wie Augenfarbe, Haarbe- Wenn wir auf die Welt schaffenheit, Körperform oder Nasengröße kommen, besitzen wir auch die Persönlichkeit identifiziert hatte. bereits unser ganz eigenes Wir sind eher extrovertiert oder eher intro- Wesen, uns ganz individuell vertiert oder eine Mischung aus beidem – ge- entsprechende Verhaltensnauso wie wir eher groß oder eher klein oder weisen und für uns typische Reaktionen auf andere irgendetwas dazwischen sind. Menschen. „Wenn Sie graue Augen haben, aber lieber blaue hätten“, erklärte ich, „können Sie andersfarbige Kontaktlinsen kaufen. Doch wenn Sie die Kontaktlinsen herausnehmen, sind Ihre Augen immer noch grau. Wenn Sie statt Ihrer dunkelbraunen Haare lieber blonde hätten, können * Dick Thompson, Frederic Golden und Michael D. Lemonick. „The Race is Over“, Time, 3. Juli 2000.
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Sie sie bleichen. Doch sobald sie nachwachsen, besitzen Ihre Haare wieder ihre natürliche Farbe – und die ist dunkelbraun.“ „Stimmt genau!“ Das war Holly Homes, die sanguinische Maklerin. „Ich wollte immer schon blond sein!“ Sie lachte über sich selbst, obwohl nur wenige mitlachten. So fuhr ich fort. „Das Gleiche gilt für Ihren angeborenen Persönlichkeitstyp. Äußere Einflüsse wie das soziale Umfeld, familiäre Einflüsse, Ihr Alter, Ihre Reife oder auch die Geschwisterfolge mögen Ihre Persönlichkeit zwar geprägt haben, sodass Ihr ‚brauner‘ Typ ‚blond‘ aussieht –, aber hinter all dem steht immer Ihr wahres Temperament. Eltern, die das wissen, behandeln ihre Kinder entsprechend ihrer individuellen angeborenen Persönlichkeit. Wenn sie alle ihre Kinder gleich behandeln würden, würden die einen aufblühen, andere würden rebellieren und wieder andere würden den Versuch aufgeben, Mama zu gefallen. Bei dem Gedanken, unserer Zweijährigen die Haare zu färben, reagieren wir schockiert, doch möglicherweise machen wir uns kaum Gedanken darüber, dass wir vielleicht gerade versuchen, sie ihrer älteren Schwester ein wenig ähnlicher zu machen. Wenn ich mit Erwachsenen an ihren Persönlichkeitsproblemen arbeite – die sich häufig am Arbeitsplatz zeigen –, entdecke ich oft, dass ihre Eltern versucht haben, sie in einen Persönlichkeitstyp zu verwandeln, der sie eigentlich gar nicht waren. Oft wurden Sätze gesagt wie: ‚Was ist denn nur los mit dir? Warum benimmst du dich so schwierig?‘ Oder auch: ‚Kannst du nicht sein wie dein Bruder?‘“ Dr. Hastings seufzte bei diesen Worten vernehmbar und ergänzte dann: „Genau das hat meine Mutter immer zu mir gesagt.“ Ich warf Rose einen wissenden Blick zu, denn uns war bewusst, dass wir in den kommenden Wochen noch so manche persönliche Lebensgeschichte erfahren würden. Doch zunächst 20
mussten wir einigen Stoff hinter uns bringen und deshalb fuhr ich mit meinen Erläuterungen fort. „Kinder, die mit der Überzeugung groß werden, dass sie eine Enttäuschung für ihre Eltern sind, suchen den Rest ihres Lebens nach jemandem, der sie annimmt, wie sie sind. Wenn sie keinen Ort finden, an dem ihre Persönlichkeit wertgeschätzt wird, wird es schwer für sie.“ Wenn wir die Persönlichkeitstypen studieren, werden wir verstehen, warum nicht alle Menschen gleich sind. Wir werden entdecken, wie jeder von uns seinen einzigartigen Beitrag in dieser Welt leisten kann – und wir werden das zu schätzen wissen, was andere beizutragen haben.
Wo kommen die merkwürdigen Bezeichnungen her? „Wir machen jetzt erstmal eine kurze Pause und dann werfen wir einen kleinen Blick in die Geschichte der Medizin“, verkündete ich. In diesem Moment schien Dr. Charles Everett Hastings III. ein wenig munterer zu werden. Nachdem alle wieder an ihren Plätzen saßen, erzählte ich von dem griechischen Philosophen und Arzt Hippokrates, der um 400 vor Christus gelebt und mit seinen Patienten seine besonderen Probleme gehabt hatte. Einige von ihnen hielten sich an das, was er ihnen verschrieb, andere nicht. Er fragte sich, warum das so war. Warum waren einige Patienten zur Mitarbeit bereit und warum war es bei anderen derart schwierig? Seine Fragen führten zur ersten uns bekannten Einteilung der Charaktere. Er untersuchte die Körperflüssigkeiten seiner Patienten und entdeckte vier Kategorien, die heute als die klassischen „Temperamente“ bekannt sind. 21
Nachdem ich dies erläutert hatte, ging ich zu dem Schaubild, das hinter dem Pult an der Wand hing und sagte: „Genug der Geschichte. Kommen wir zu einer kurzen Vokabellektion.“ Und ich gab ihnen anschließend eine grundlegende Definition der vier Persönlichkeitstypen an die Hand: Sanguiniker (Blut): Ein Mensch, der lebendig ist und gerne Spaß hat. Er ist optimistisch, beliebt und ein begnadeter Geschichtenerzähler. Er kann aber auch sehr ichbezogen und gedankenlos sein. Choleriker (gelbe Galle): Ein Mensch, der gerne die Führung übernimmt und die Dinge in der Hand haben will. Auch er kann sehr selbstbezogen sein und neigt dazu, andere herumzukommandieren. Er ist ungeduldig und wird schnell wütend. Melancholiker (schwarze Galle): Dieser Mensch sieht jedes Detail. Er ist in sich gekehrt und strebt nach Vollkommenheit. Er neigt zu deprimierten Stimmungen und Pessimismus und findet wenig Gefallen an sozialen Aktivitäten, bei denen man sich mit Leuten unterhalten muss, die man nicht kennt oder mag. Phlegmatiker (Schleim): Ein unauffälliger, gemütlicher und angenehmer Mensch, der sich gerne entspannt und anderen mitunter faul erscheint. Er ist ein beständiger Mitarbeiter, der dort am wirkungsvollsten ist, wo er andere unterstützen kann. Doch er ist wenig zielorientiert und will nicht viel erreichen. Nach Angaben der Encyclopedia Britannica bezeichnet das „Temperament“ die Aspekte der Persönlichkeit, in denen es um unsere emotionale Disposition sowie um emotionale Reaktionen und deren Geschwindigkeit und Intensität geht. Geschwindigkeit Choleriker und Sanguiniker handeln schnell. Melancholiker und Phlegmatiker handeln überlegter. 22
Intensität Choleriker und Melancholiker sind emotional intensive und tiefschürfende Menschen. Phlegmatiker und Sanguiniker sind emotional ausgeglichen und locker. „Heute unterrichtet man Hippokrates’ Lehre von den Körpersäften als Grundlage der Temperamente nur noch selten“, teilte ich unserer Klasse mit, „doch seine Beobachtungen über das menschliche Verhalten waren sehr treffend und haben sich seit über 2.000 Jahren bewährt.“ Ich bat Rose, nach vorne zu kommen und der Gruppe eine weitere interessante Tatsache mitzuteilen. „Von den Temperamenten hörte ich zum ersten Mal in meiner katholischen Highschool“, erzählte sie. „Mönche hatten die Lehre von den Temperamenten über die Jahrhunderte hinweg bewahrt, denn sie nutzen sie als Mittel zur geistlichen Entwicklung, um sich selbst und die Bedürfnisse anderer besser erkennen zu können. Das half ihnen, den ganzen Menschen in den Blick zu bekommen – seine Gefühle, Leidenschaften, Neigungen, Reaktionsweisen, Tugenden und geistlichen Gaben. Thomas von Aquin, einer der brillantesten Philosophen der westlichen Zivilisation, schrieb in seinem berühmten Werk Summa Theologica über den Zusammenhang zwischen Temperament und Tugenden. Seine Erkenntnisse werden bis heute von Studenten verschiedenster Disziplinen angewandt: Jura, Ethik, Theologie, Philosophie und Psychologie. Thomas von Aquin schrieb: ‚Drei Dinge sind für die Erlösung des Menschen notwendig: zu wissen, was er glauben soll; zu wissen, was er erstreben soll, und zu wissen, was er tun soll.‘“ * * Die Summa Theologica (oder Summa Theologiae oder kurz Summa; das ist lateinisch und bedeutet: „Zusammenfassung der Theologie“) wurde 1265–74 geschrieben und ist das bekannteste Werk des Thomas von Aquin (ca. 1225–1274).
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„Danke, Rose“, sagte ich und wandte mich wieder der Klasse zu. „Wenn Sie die verschiedenen Persönlichkeitstypen verstehen, werden Sie dem weisen Rat Thomas von Aquins folgen können: Sie werden an das Beste im anderen glauben; erkennen, wonach er sich sehnt; und wissen, was sie tun können, um ihn wertzuschätzen und gut mit ihm auszukommen – insbesondere am Arbeitsplatz.“
Die Unternehmen unserer Väter Nach diesem kurzen Überblick war es mir ein Anliegen, dass unsere Teilnehmer – bevor wir im Thema fortfuhren – wussten, warum Rose und ich uns mit den Persönlichkeitstypen beschäftigt hatten und wie es dazu kam, dass wir dieses Seminar hielten und gemeinsam an diesem Buch schrieben. „Rose und ich sind beide quasi in den Unternehmen unserer Väter groß geworden“, erklärte ich. „Ihr Vater betrieb von zu Hause aus eine Firma, die Immobilien verwaltete und bewertete. Und ich half meinem Vater in seinem Gemischtwarenladen.“ Die Kunden in unserem Laden konnten die Gespräche, die wir im Familienkreis in der Küche führten, mithören. Wenn wir gerade über jemanden sprachen und diese Person dann den Laden betrat, warnte uns mein Vater immer, indem er laut das Lied „Heilig, heilig, heilig . . .“ vor sich hinsang. Wenn heute im Gottesdienst dieses Kirchenlied gesungen wird, halte ich augenblicklich meinen Mund. So habe ich gelernt, mit anderen Menschen auszukommen. Meine beiden Brüder und ich selbst sind alle berufsmäßige Redner geworden: Jim war Geistlicher in der amerikanischen Luftwaffe und ein hochdekorierter Offizier. Ron ist in der Gegend um Dallas ein sehr beliebter Radiomoderator. Wir alle 24
betrachten die Zeit, die wir im und mit dem Laden verbracht haben, als Fundament unserer erfolgreichen und effektiven Kommunikationsfähigkeiten. Rose ist die Älteste von acht Kindern – eine Sanguinikerin, die gerne ihren Spaß hat, inmitten einer ernsthaften Melancholikerfamilie. Sie musste schon früh ihre Mutter in der Erziehung ihrer jüngeren Geschwister unterstützen, was Rose nicht schwerfiel, da sie die fröhlichen Anteile eines Sanguinikers mit den führungsbereiten Anteilen eines Cholerikers verbindet. Am schönsten war für sie das Leben, wenn sie sich Spiele oder Wettbewerbe für ihre Geschwister ausdachte. Dann kommandierte Rose alle anderen herum, und wenn sich jemand beschwerte, machte sie ihn darauf aufmerksam, wie viel Spaß es doch allen machte. Auch ihr Vater war ein geborener Chef. Manchmal schlich sie sich in sein Büro und hörte ihm bei seinen Telefonaten zu. Wenn er dann mal eine Pause machte, setzte Rose sich auf seinen Schoß und versuchte, ihm ihre netten Geschichtchen zu erzählen, bis er schließlich lospolterte: „Jetzt komm doch endlich mal auf den Punkt!“ Er war ein Choleriker mit melancholischen Anteilen, der ein wichtiges Unternehmen zu führen und eine große Familie zu ernähren hatte, und wenn er ungeduldig wurde, war das manchmal gar nicht lustig. Rose ging gerne zur Schule, doch die zumeist melancholischen Nonnen fanden die Mätzchen, die sie im Klassenzimmer veranstaltete, nicht besonders spaßig. In der Oberstufe nahm Schwester Maria Hippokrates und seine Lehre der vier Temperamente im Unterricht durch. Rose war begeistert, sich selbst zu entdecken und zu erfahren, dass es gar nicht so verkehrt war, wenn man gerne seinen Spaß hatte. Als die Lehrerin jedoch auf die Schwächen der Sanguiniker zu sprechen kam, erkannte Rose viele der Fehler wieder, auf die sie von ihrer Familie bereits immer wieder mit der Nase gestoßen worden war. Sie schämte sich, 25
als wüsste die gesamte Klasse, dass es bei den vielen Fehlern des Sanguinikers nur um sie ging! Wir haben entdeckt, dass die meisten Menschen ihre Stärken mögen, aber nur ungern ihre Fehler anschauen. Rose wollte nicht, dass irgendjemand herausfindet, dass sie Schwächen besaß. Sie schien ohnehin nicht in diese Schule und ihre Familie zu passen, und so beschloss sie, sich in einen Melancholiker zu verwandeln. Schließlich fand ihre Lehrerin diesen Typ heiliger und ihre Eltern fanden ihn vollkommener. Von da an setzte sie sich schweigend zu ihrem Vater, erzählte ihre Geschichten nur noch kurz und knapp und erlernte seinen Beruf. Nach ihrem Studium an der Universität von San Francisco kehrte Rose nach Hause zurück und mühte sich zu lernen, wie man den Wert von Firmengrundstücken analysiert und schätzt. Um sich in einem von Männern dominierten Beruf zu behaupten, musste sie die Melancholikerin spielen und ihre sanguinischen Impulse unterdrücken. Auch das machte wenig Spaß! Doch mit ihrem Charme kam sie bei den Kunden an und bald übernahm sie die Firma. Als Rose ihre Mitarbeiter zu einem Vortrag anmeldete, bei dem ich über die vier Persönlichkeitstypen sprach, war sie verwirrt. War sie nun eine ernste Melancholikerin, die den Wert von Immobilien schätzte, oder eine Sanguinikerin, die ihr Licht unter dem Scheffel dieses Berufsstandes verbarg? Als ich Rose an diesem Tag unter den Zuhörern beobachtete, entdeckte ich eine ausgesprochene Schönheit mit dem Lächeln und der Begeisterung eines Sanguinikers. Als ich auf die Stärken der Sanguiniker zu sprechen kam, zeigten ihre Mitarbeiter auf sie und sagten: „Das bist du!“ Nach dem Vortrag erzählte mir Rose von ihrem Leben und wir kamen zu dem Schluss, dass sie eine unterdrückte Sanguinikerin war, die als melancholische Geschäftsfrau zu leben versuchte. 26