Lydia (Ausgabe 4/2013) 448893

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w w w . l y dia . n e t

Persönlich. Echt. Lebensnah. D 12013 ISSN 0939-138X

4/2013 sfr 5,60  3,20 (A)

 3,10

i d e n t i tät

engel

Unsichtbare Helfer

Weißt du, wer du wirklich bist? pat r i c i a K e l ly

Das Herz der Gastfreundschaft EHE

Aline Baumann

„Deine Liebe schenkt mir Flügel“

Leben ohne Angst! Befreit von Leistungsdruck – angenommen, wie ich bin


{persönlich} 3 Ganz persönlich Die größte Ehre meines Lebens Elisabeth Mittelstädt 16 „Der Gast ist König!“ Vagabunden, Waisenkinder und ein Herz voller Liebe: Wenn Fremde zur Familie gehören Patricia Kelly 22 Die Begegnung Nach einem schrecklichen Unfall brauchte ich einen Glauben, der mehr bot als fromme Worte. Einen Glauben, dem es sich zu folgen lohnt. Gracie Rosenberger

12

25 Meine Weihnachtserinnerung – Sabine Wenz 38 Birgit Kelle: „Ich kämpfe für Familien“ Ellen Nieswiodek-Martin 44 Nie allein So lange hatte ich auf einen Partner fürs Leben gewartet. Doch kurz nach der Hochzeit wurde mein Mann schwerkrank. – Gisela Wieland-Wyss

Als Freundinnen unterwegs zur Dankbarkeit

68 Meine Geschichte Stärker als meine Angst – Susanna Bigger 72 Heilige heute Frauen wie wir • Die „besonderen“ Kinder Bozica Somodi • Der krüppelige Weihnachtsbaum Janita Pauliks • Mein Weihnachtsbaby Lotte Bormuth

Leben ohne Angst!

6 Befreit von Leistungsdruck – angenommen, wie ich bin Interview mit Aline Baumann

T i te l f o t o : I n e s

m ay n a r d

{echt} 20 Girl Talk Ist Weihnachten noch normal? – Elisabeth Koch 32 Weißt du, wer du wirklich bist? Die Reise zu meinem wahren Ich und wie ich lernte, mich selbst zu mögen Stacy Eldredge 36 Mehr von mir Vom Wagnis, mich selbst zu verschenken Andrea Lucaciu 50 Meine Meinung Wie hat Gott Ihnen geholfen, Ihre Angst zu überwinden? 51 Das Lied – Max Lucado 52 Die weiße Tischdecke – Lidija Stojkovic 54 Engel – unsichtbare Helfer – Sabine Bockel 81 Sag mal, ... Fragen an Maria, die Schwester von Marta und Lazarus 82 Nachgedacht Wie Kleines große Kreise zieht – Ingeborg Barker 4

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Weißt du, wer du wirklich bist?

16

„Der Gast ist König!“


{inhalt}

Lydia

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Meine Weihnachtserinnerung

{lebensnah} 12 Vergessene Geschenke Als Freundinnen unterwegs zur Dankbarkeit – Saskia Barthelmeß 15 Gott sei Dank – wem sonst? – Elisabeth Malessa 18 Nachgefragt Streit an Weihnachten? – Annemarie Pfeifer

30

26 Der Schatz der Zeit Warum ich meinen Ruhestand genieße – Silvia Konstantinou

Vergiften Sie Ihr Gehirn?

30 Vergiften Sie Ihr Gehirn? Von Nudeln, Gedanken und gesunden Entscheidungen – Dr. Caroline Leaf 41 Ungesagte Worte ... und ihre unsägliche Kraft Kathy Koch 42 Unter uns Müttern Sonntagsgedanken – Saskia Barthelmeß 48 Wie ich lernte, für andere zu beten – Denise George 60 Zeit zu zweit Beleben Sie Ihre Ehe neu! – David und Claudia Arp 62 „Deine Liebe schenkt mir Flügel ...“ – Ken Tada und Joni Eareckson Tada

36

Mehr von mir

{service} 10 Für Sie gelesen 24 Liebe Leser 46 Schmunzeln mit LYDIA 58 LYDIA kreativ – Imke Johannson 76 Gut informiert, Neu inspiriert 80 Leserbriefe 81 Impressum

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Dankbarkeit

Saskia BarthelmeSS

Vergessene

geschenke Als Freundinnen unterwegs zur Dankbarkeit

„Und wie sagt man?“ Erwartungsvoll schaue ich meine kleine Tochter an. „Danke“, piepst sie und nimmt den angebotenen Keks entgegen. Schon früh im Leben lernen wir, dieses Wort zu sagen, das Mütter froh macht und Fremde strahlen lässt. Doch nur selten verbinden wir damit mehr als eine höfliche Floskel. Wenigen Menschen gelingt es, Dankbarkeit zu ihrem Lebensstil zu machen. Doch genau das ist es, wonach ich, wonach wir uns schon so lange sehnen.

„Ich habe vor Kurzem etwas gelesen, das ihr euch unbedingt ansehen müsst“, sagt Michaela und legt ein Buch auf den Tisch. Julie lacht. „Das wollte ich euch auch gerade vorschlagen!“ Rena und ich sehen uns an. Vier Frauen und ein Buch. Ein Buch, das verspricht, unser Leben für immer zu verändern. Wir glauben das nicht. Und doch scheint uns das Thema regelrecht anzuziehen: Dankbarkeit. Wer aus unserer Runde kämpft nicht täglich mit Unzufriedenheit, mit Undankbarkeit? „Wie können wir dankbar sein, mitten in unserem Alltag?“, fragen wir uns. Als Berufstätige oder Vollzeitmamas. Als Mütter von drei oder vier Kindern. Als Pastorenehefrauen oder Alleinerziehende. Wie kann es gelingen,

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das volle Leben? Ein Leben, das nicht nur uns selbst satt macht, sondern auch Gott Ehre bringt? Uns ist klar: Die Autorin ist eine von uns. Eine Mutter von sechs Kindern, noch dazu mit einer großen Farm und grenzenloser Arbeit. Sie weiß, was es heißt, Dankbarkeit im turbulenten Alltag durchzubuchstabieren. Wir brauchen etwas, das mitten im Leben Bestand hat, das auch dann noch gilt, wenn die Teller fliegen und jeder gute Vorsatz unter einem Berg Schmutzwäsche begraben liegt. Eine Frau, die Fragen stellt wie „Ist die Tiefe meiner Dankbarkeit abhängig von der Höhe meiner Freude?“ nehmen wir gern in unsere Frauenrunde auf. Und sehr schnell merken wir: Das

Lesen und Miteinander-Reden lässt uns schmunzeln, staunen, nachdenken, weinen und führt uns zur Buße. Die Herausforderung Eine Liste zu schreiben mit 1000 kleinen oder großen Dingen, für die wir dankbar sind – das ist die Herausforderung, zu der uns die Autorin einlädt. Im Moment leben. Gott in seiner Güte wahrnehmen. Mit dem Hier und Jetzt zufrieden sein. Das alles kann mit ein paar einfachen Sätzen beginnen: „Danke für die Sonne am Morgen.“ „Danke für klebrige Kleinkinderküsse.“ „Danke für die blühenden Bäume auf dem Weg zur Arbeit.“


Wie kostbare Perlen an einer Kette reiht sich Dank an Dank und wird zu etwas Wunderschönem. Wir staunen, wie viel Gutes es in unserem Alltag gibt, an dem wir bisher achtlos vorbeigegangen sind. „Danke, Gott, für mein weiches Bett. Danke, dass ich Freundinnen habe, die mit mir unterwegs sind. Danke für dich, Jesus.“ „Etwas zu benennen, gibt dieser Sache einen Wert und zeigt, dass sie von Gott kommt“, schreibt Ann Voskamp. „Im Benennen begegne ich Gott, der in jedem Detail, jedem Moment ist.“ Und es stimmt: Danken schenkt mir nicht nur einen klareren, schärferen Blick auf die Welt, es lässt mich auch Gott tiefer begegnen. Ich schaue auf ihn, auf das, was er mir in seiner Großzügigkeit gibt. Ich werde mir bewusst, dass ich täglich, stündlich auf seine Gnade angewiesen bin. Ich lebe in der Beziehung zu ihm. Höhenflüge und Hindernisse Nach unserem ersten Treffen sind meine Freundinnen und ich ermutigt und gestärkt.

„Wie geht es dir mit dem Danken?“, fragen wir einander. Wir freuen uns auf unser gemeinsames Abenteuer. Uns scheint, dass gerade etwas ganz Neues begonnen hat. Doch nach dem ersten Höhenflug landen wir bald unsanft auf dem Boden der Tatsachen. Eine von uns erwischt es schwer: Kinder mit Kopfläusen, Wurmbefall und angekündigte Gäste – alles in nur einer Woche. Genug, um die Dankesliste in den Hintergrund rücken zu lassen. Bei der anderen kommt ein aufgeschobener Streit mit ihrem Mann hervor, und „auf einmal wollte ich nicht mehr dankbar sein“. Die Kinder müssen zum Arzt, die Nächte sind kurz, die Anforderungen im Job zehren an den Nerven. „Und dann liegt da noch diese Liste. Sie macht mir ein schlechtes Gewissen!“ Wie, fragen wir uns, können wir in all dem, was jeden Tag auf uns einprasselt, den Blick auf Gott bewahren? Zum Schauen brauchen wir Zeit. Zum Nachdenken brauchen wir Ruhe. Wie schaffen wir das? Das Danken fällt uns nicht leicht. Es fühlt

Dankbarkeit heißt, inspiriert zu sein vom schönsten Lied des Himmels. Ihre Frucht ist

Freude in Zeiten der Trauer, Mut an Tagen der Niedergeschlagenheit, SIcher-

heit in Stunden der Einsamkeit, Frieden mitten im Kampf und Zufrieden-

heit in Zeiten geistlichen oder körperlichen Hungers.

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König Gastfreundschaft

Patricia Kelly

„Der Gast ist

“ Konig!

Vagabunden, Waisenkinder und ein Herz voller Liebe: Wenn Fremde zur Familie gehören

„So, wir sind fertig“, sagte mein Vater und

legte den Pinsel auf den Farbtopf. Seine Stimme klang fröhlich und zufrieden. Er stieg von dem Stuhl herab, auf den er gestiegen war, um etwas über die Tür unseres Gästezimmers zu schreiben: „Der Gast ist König.“ Noch ahnte ich nicht, wie sehr dieser Satz mich prägen und segnen würde ...

„Der Gast ist König.“ In großen, farbigen Buchstaben erstrahlte dieses Motto über dem Türrahmen – ein Motto, das er uns Kindern beibringen wollte. Er hatte mehrere dieser Art, aber dieses gehörte für ihn zu den allerwichtigsten. Und es waren keine leeren Worte. Er lebte uns vor, wie man einen Gast willkommen heißt, und erinnerte uns immer wieder daran: Der Kelly-Clan war in Irland für seine Gastfreundschaft bekannt. Diese gute Tradition sollte von Generation zu Generation weitergetragen werden.

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Ein Zuhause für Arme Soweit ich mich erinnern kann, lebte immer irgendjemand bei uns, der kein Familienmitglied war. Jederzeit hatten meine Eltern für Gäste ein Bett frei und ein paar Kartoffeln im Topf. Über die Jahre wohnten mehr als eine Handvoll Leute bei uns und gehörten schon bald zur Familie. Manche blieben ein Jahr, andere gar vier, fünf oder sechs. Zu uns kam zum Beispiel dieses Kind aus der Stadt, mit dem niemand spielen wollte, weil seine Mutter eine Prostituierte war. Oder der junge Arzt, der versucht hatte, sich das Leben zu nehmen, weil er sein Examen nicht bestanden hatte. Und viele, viele mehr. Papa und Mama hatten immer einen Platz für die Armen, Schwachen und Kranken. Und sie brachten uns bei, genau diese Menschen zu lieben und für sie zu sorgen. Echte Gastfreundschaft, so lehrten sie uns, schaut nicht auf dein Äußeres, sondern blickt dir direkt ins Herz.

einem alten Landhaus in Spanien. Jedes Jahr im Herbst zog dort ein Mann mit dem Spitznamen „Vagabundo“ von Stadt zu Stadt. Seine ganze Habe trug er immer bei sich, eingewickelt in ein Tuch, das er an einem Stock befestigte und über seine Schultern schwang. Er bot seine Dienste als Rosenbeschneider an, um ein bisschen Geld zu verdienen. Seine Arbeit machte er sehr gut, doch von seinem Lohn kaufte er sich nichts als roten Vino. Für gewöhnlich schlief er im Waschhaus der Stadt. Das war zwar überdacht, hatte aber keine geschlossenen Wände. Nur von einem dünnen Laken bedeckt, trank er sich dort in den Schlaf. „Was?“, fragte mein Vater, als er davon erfuhr. „Das geht auf keinen Fall! Macht dem armen Mann unten in der Scheune ein Bett fertig. Gebt ihm eine alte Matratze und eine Decke. Oh, und du“, wies er einen meiner älteren Brüder an, „du verschaffst ihm eine ordentliche Dusche und sorgst dafür, dass seine Kleidung gewaschen wird.“

Der Vagabund in Spanien Eine Geschichte ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Ich war damals erst acht oder neun. Zu der Zeit lebten wir in

Ein Konzert für einen Bettler Gesagt, getan. Vater lud ihn zu uns ein. Nach einem harten Arbeitstag hatte der Vagabund die wunderschönen riesigen


Echte Gastfreundschaft schaut nicht auf dein Äußeres, sondern blickt

F o t o : T h o m a s S ta c h e l h a u s

dir direkt ins Herz.

Rosensträucher unter dem Balkon meiner Mutter beschnitten. Frisch gewaschen trat er abends an unseren Tisch und bekam den Ehrenplatz: neben meinem Vater. Gewärmt vom offenen Kamin in der Küche schaute er meiner Mutter dabei zu, wie sie ihm Chistorra zubereitete, eine baskische Spezialität. Er speiste wie ein König und schließlich sprach mein Vater die Worte, die jeder unserer Gäste zu hören bekam: „Holt das Akkordeon!“ Der arme Bettler traute seinen Augen und Ohren nicht: Eine wunderschöne Großfamilie sang da tatsächlich ein Konzert ganz allein für ihn!

Nach einigen Tagen, an denen er bei uns zu Hause wie ein König behandelt worden war, verabschiedete er sich mit Tränen in den Augen. Heute, viele Jahre später, fällt mir dazu die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn ein, und ich denke an die berühmten Worte von Jesus: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Mamas kleine Gäste Alle reden immer von meinem Vater – auch ich! Denn ein Mann mit einer so

beeindruckenden Persönlichkeit hinterlässt überall einen bleibenden Eindruck. Doch meine Mutter, die Stille, Liebevolle und Sorgende, sie war die eigentliche Kraft hinter meiner Familie. Sie sprach nicht viel, sondern tat die Dinge einfach. Für jeden Gast fand sie einen Platz, sogar, als wir in einem Bus wohnten. Im Winter 1979 bekamen wir eine Einladung: Wir durften mit unserem Doppeldeckerbus, unserem damaligen Zuhause, auf dem Gelände des Don-Bosco-Heims in Berlin wohnen. Es war ein Waisenhaus mit acht Gebäuden, in denen je zehn Waisenjungen lebten. Wir bekamen Strom über ein langes Kabel und konnten die Duschen und die Waschküche in einem benachbarten Gebäude nutzen. Ein ganzes Jahr lang blieben wir dort. „Klopf, klopf “, hörte man es oft an unserer Bustür. „Ich mach auf “, sagte mein Vater dann. Als der Frühling kam, war die untere Etage unseres Busses voller Waisenjungen, die mit Mama Kelly Tee tranken und Plätzchen aßen. „Möchtest du noch ein paar Plätzchen?“, fragte meine Mutter jeden der Waisenjungen und hielt ihm ein Tablett mit Keksen hin. Wie sollte irgendjemand zu einer so liebevollen und sanften Stimme Nein sagen? Nach und nach hatte sie praktisch alle Kinder aus dem Heim eingeladen. Überwältigt von der großen Zahl der kleinen Gäste, legte mein Vater eine eingeschränkte Besuchszeit fest: „Zwischen 17 und 18.30 Uhr könnt ihr alle kommen.“ Doch ob meine Mutter sich daran hielt? Keinesfalls. Fortsetzung auf Seite 19

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GirlTalk Elisabeth Koch

Ist Weihnachten noch normal? Von der Intensivstation nach Hause: Wie Samuel Kochs Familie Weihnachten feiert Gemütlich, fröhlich und wie immer – so wünschen es sich die meisten zur Weihnachtszeit. Doch was, wenn kurz vor Weihnachten etwas Schlimmes geschieht? Wenn Menschen sich trennen, ein Unfall passiert oder sogar jemand stirbt? Nichts scheint mehr normal. 2010 feierte Samuel Kochs Familie nicht „wie immer“, sondern auf der Intensivstation. Wenige Wochen zuvor war er in einer „Wetten, dass …?“-Sendung gestürzt und lag nun gelähmt im Krankenhaus. Seine Schwester, Elisabeth Koch (23), erzählt, wie sie Weihnachten damals erlebt hat, wie die Familie seitdem feiert und was sie sich dieses Jahr wünscht. Ihre Gedanken machen Mut: Zwar lässt sich die Uhr nach Tragischem nicht zurückdrehen, aber das heißt noch lange nicht, dass Weihnachten nie wieder schön und „normal“ sein kann. Vielleicht wird in harten Zeiten sogar erst richtig klar, was wirklich wichtig ist ...

Elisabeth Koch

Seit Samuels Unfall gehen wir bewusster miteinander um. Wir kommunizieren durchdachter.

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Liebe Elisabeth, Samuels Unfall bei „Wetten, dass …?“ passierte kurz vor Weihnachten 2010. Konntet ihr in dem Jahr überhaupt Weihnachten feiern?

An was für eine Stimmung erinnerst du dich? Habt ihr gelacht, geweint …?

Ja. Mama und Papa haben einfach entschieden: Wir machen es wie immer! Wir wollten so viel Normalität wie möglich in dieser schweren Zeit. Also hat Mama das Weihnachtsessen gekocht, was aber nicht so köstlich war wie sonst. Da Samuel auf der Intensivstation lag, konnten wir natürlich nicht alle zusammen zu Hause feiern. Also sind wir zu ihm gefahren. In seinem Zimmer haben wir irgendwelche provisorischen Tischchen zusammengerückt und eine goldene Glitzerdecke drübergelegt. Dort haben wir zusammen gesessen. Ich glaube, es gab auch ein paar Geschenke, aber nur von Freunden für Samuel.

Es war eine zwiespältige Stimmung. Einerseits war Weihnachten, und das ist ein Grund zur Freude. Andererseits saßen wir natürlich auf der Intensivstation und haben gesehen, wie schlecht es Samuel geht. Er konnte sich nicht bewegen, überhaupt nichts machen. Deshalb war die Stimmung eher traurig und gedrückt. Wir haben zwar versucht, fröhlich zu sein, aber in Wirklichkeit kam es mir eher beklemmend vor. Ich weiß noch, dass wir zu der Zeit richtig viel Abendmahl gefeiert haben, also wohl auch an diesem Tag. Und wir haben viel zusammen gesungen – wir saßen alle

Geschenke waren auch nicht wichtig, nur, dass wir zusammen waren ...


um Samuels Bett und haben Weihnachtslieder gesungen. Wie feiert ihr Weihnachten sonst?

Bei uns ist viel los! Schon die Wochen vorher üben wir – Rebecca, Mama und ich – das Krippenspiel mit den Kindern im Dorf ein. Das heißt, wir sind schon lange vorher richtig in Weihnachtsstimmung. An Weihnachten selbst haben wir eine Routine: Morgens machen wir noch ein bisschen Ordnung und dann haben wir eine kurze Krippenspielprobe. Abends wird das Krippenspiel aufgeführt. Oft ist die ganze Kirche voll und jeder von uns hilft beim Gottesdienst mit: Jonny macht Musik, ein anderer liest einen Text vor und Papa hält Außer leckerem Essen und einem großen die Predigt oder eine kurze Andacht. Wie verbringt ihr den Abend zu Hause?

Zuerst einmal wird gegessen – wie bei einer ganz normalen Familie! (lacht) An Weihnachten gibt es bei uns immer Ragout fin, das meine Mama selbst kocht. Meistens riecht es schon den ganzen Tag danach! Nach dem Essen geht es bei uns besinnlich zu: Wir singen zusammen Lieder. Und dann packen wir Geschenke aus. Letztes Jahr war das besonders spannend und schön. Sammy kann ja keine normalen Geschenke auspacken. Deshalb haben wir uns ein paar Tricks überlegt, wie er mit langen Schnüren und dem Rollstuhl seine Geschenke auspacken kann. Ihm dabei zuzuschauen, war spannend. Habt ihr öfter Gäste zu Weihnachten, oder feiert ihr allein?

F o t o s : S i m o n e F i s c h e r -T r e f z e r

Heiligabend feiern wir allein als Familie. Aber abends um zwölf ist immer vom Jugendkreis ein Lobpreisabend. Da gehen wir Kinder hin. Jonny macht Musik und wir anderen singen bis spät in die Nacht hinein. Gibt es auch eine besondere Weihnachtsdeko?

Oh ja! Einen riesengroßen Weihnachtsstern! Den habe ich mit Papa zusammen ans Haus genagelt. Er leuchtet einem schon von Weitem entgegen, wenn man ins Dorf reinfährt.

Stern am Haus – was bedeutet dir Weihnachten?

Also, auf jeden Fall Familie und Verwandtschaft wiedersehen. Gerade jetzt, wo wir studieren, ist Weihnachten die einzige Gelegenheit, alle zusammen zu treffen. Familie ist schon etwas Besonderes: das Miteinander und dass man sich auf die anderen verlassen kann. Aber natürlich geht es an Weihnachten um Gott – sich bewusst zu werden, wie klein sich Gott gemacht hat, als er zu uns auf diese Welt gekommen ist. Jesus hat sein himmlisches Zuhause verlassen, um uns zu retten. Was hat sich in dir seit Samuels Unfall verändert?

Mein Gottvertrauen hat sich nach dem Unfall stark verändert. Früher fiel es mir leicht, auf sein gutes Handeln zu hoffen. Zum Beispiel, als ich mich nach meinem Realschulabschluss für eine Schule beworben habe: Da habe ich Gott einfach vertraut und mich nur bei einer einzigen Schule beworben. Und ich wurde angenommen. Als ich mich nun für einen Universitätsplatz bewerben musste, fiel mir das um einiges schwerer. Ich habe mich für nahezu jeden Studiengang beworben, der sich interessant anhörte: Statistik in Konstanz, Sozialwissenschaften in Koblenz, Medienmanagement in Calw ... Alles aus Angst, ich könnte nirgends einen Platz bekommen.

Letztlich hat Gott es so gut gemacht: Kommunikationswissenschaften passt perfekt zu mir, und das wusste er. Und als es mir immer noch schwerfiel, zu vertrauen, dass ich auch eine Wohnung finde – bis einen Tag vor Studienbeginn war noch nichts in Aussicht –, hat er mir eine wunderschöne geschenkt, mit Blick auf den Fernsehturm! Durch den sagt Gott mir jetzt immer: „Vertrau mir.“ Wie hat Samuels Unfall euch als Familie verändert?

Seit dem Unfall gehen wir bewusster miteinander um. Wir kommunizieren durchdachter. Seit wir in ganz Deutschland verstreut sind, schreiben wir auch viele SMS: wie es uns geht, was es Neues gibt, aber oft auch einfach nur Belangloses oder Lustiges. Hast du dieses Jahr einen besonderen Wunsch zu Weihnachten?

Wir kommen von überall her zu Weihnachten nach Hause. Auf diese Zeit mit Plätzchen-Essen, Musizieren und gemeinsamem Spielen freue ich mich sehr. Alle haben unterschiedliche Erwartungen. Ich wünsche mir die Weihnachtstage ohne Streit, sondern in Harmonie. Mehr über die Familie Koch lesen Sie in dem Buch „Samuel Koch – Zwei Leben“ (adeo Verlag).

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Mutter

„Ich kämpfe für

Familien

Birgit Kelle konnte schon als Jugendliche gut diskutieren. Mit 14 legte sie sich mit dem Pfarrer an, der nicht auf ihre Fragen und Zweifel eingehen wollte. Heute streitet die Journalistin und Mutter von vier Kindern in Talkshows für eine andere Familien- und Frauenpolitik. Und muss dabei einiges einstecken.

D

er Zeitpunkt war nicht günstig. Sie war gerade 23 Jahre alt, als sie merkte, dass sie schwanger war. Endlich hatte sie eine Stelle in ihrem Traumberuf als Journalistin gefunden. Die lebhafte Frau hatte viele Pläne. Ein Kind gehörte nicht dazu – noch nicht. Aber während der Schwangerschaft wuchs ihre Liebe zu dem kleinen Wesen in ihrem Bauch. Die Kollegen fragten: „Du kommst doch bald nach der Geburt wieder, oder?“ Ihre Antwort, dass sie drei Jahre „Erziehungsurlaub“ nehmen wolle, traf auf Kritik und Kopfschütteln: „Das muss doch heute nicht mehr sein.“ Sie fühlte sich als Außenseiterin – eine Rolle, die sie nicht kannte. Plötzlich fand sie sich in der „Heimchen-am-Herd“Ecke wieder und musste sich überall für ihre Entscheidung rechtfertigen. „Naiv.“ „Blöd.“ „Leichtsinnig.“ „Wer heute als Frau den Beruf und damit die finanzielle Selbstständigkeit aufgibt, um sich Kindern und Familie zu widmen, den kann man nicht ernst nehmen.“ Solche und ähnliche Kommentare hört Birgit Kelle seit 14 Jahren. „Sie sprechen mir aus der Seele“ Birgit Kelle kehrte nicht in die Redaktion zurück. Der Tochter Emma folgten später Paul, Emil und Martha. Nach Emmas Geburt arbeitete sie freiberuflich und

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begann über ihre Erfahrungen als Mutter und die Familienpolitik zu schreiben. Bald trudelten die ersten Leserbriefe ein. „Es hat mich gefreut, dass ich als Autorin bei einer anderen Frau genau den Nerv getroffen habe“, verrät sie. Inzwischen hat sie Hunderte Briefe oder E-Mails bekommen. „Alle enthalten diesen einen Satz: ‚Sie sprechen mir aus der Seele!‘“, erzählt sie. Die Absenderinnen kommen aus allen Altersgruppen und politischen Richtungen. Manche sind kirchlich engagiert, andere überzeugte Atheistinnen. „Manchmal sagten sie einfach Danke, dass ich über die Freude am Muttersein schrieb.“ Je mehr sie las, desto stärker stieg Wut in ihr auf. Wenn Frauen schreiben, sie seien „nur“ Hausfrau und Mutter, arbeiteten „nur“ halbtags oder stundenweise und kleinlaut dazusagen, dass sie damit glücklich seien, bringt sie das in Rage. „Sie machen sich damit selbst so klein. Das regt mich auf. Viele Frauen verzichten zuguns­ ten der Kinder auf Geld, Karriere und Konsum und sind zufrieden mit dem, was sie haben. Diese antikapitalistische Haltung ist doch etwas Tolles.“ Mit ihren Artikeln will sie dagegen an-­ gehen, dass Hunderttausende von Frauen in Deutschland, die zu Hause ihre Kinder großziehen, zu hören bekommen, dass

ihre Arbeit nichts wert sei. Dass sie unterdrückt, unglücklich oder unemanzipiert seien. Wirkliche Freiheit haben Frauen ihrer Ansicht nach nämlich nicht: „Gesellschaft und Politik fördern nur einen Weg: die Entscheidung, möglichst schnell wieder in den Beruf zurückzukehren und das Kind in Fremdbetreuung zu geben.“ Birgit Kelle kämpft dafür, dass jede Frau und jede Familie so leben kann, wie sie gerne möchte. Frauen, die Kinder und Karriere haben wollen, und Frauen, die Hausfrau und Mutter sein wollen: Beide Lebensentwürfe sollten unterstützt werden – durch eine andere Familienpolitik. Die temperamentvolle 38-Jährige bleibt erstaunlich ruhig, als sie das alles erzählt. Aber die braunen Augen blitzen, und sie sprudelt geradezu heraus, was sie seit Jahren umtreibt. Kein Platz für Zweifel und Fragen Dabei kennt Birgit Kelle aus ihrer Kindheit nur berufstätige Eltern. In Siebenbürgen, in Rumänien, wo sie geboren wurde, war es normal, dass Mütter arbeiten gehen und die Kinder in die Krippe bringen. Die kleine Birgit und ihr Bruder wurden bis zum dritten Geburtstag von einer Tagesmutter betreut. Als sie neun Jahre war, siedelte die Familie nach Deutschland um. Auch hier arbeiteten beide Eltern ganztags. Birgit


Foto: Ellen Nieswiodek-Mar tin

Birgit Kelle mit drei ihrer Kinder: Paul (li), Martha und Emil. Die älteste Tochter, Emma, war bei dem Fototermin leider nicht zu Hause. und ihr Bruder waren nachmittags alleine. Als Teenager wollte sie im Konfirmandenunterricht mit dem Pfarrer über ihre Zweifel am Glauben diskutieren. Das ließ dieser nicht zu. „Ich war mit meinen Fragen nicht willkommen“, sagt sie. So kam es, dass die 14-Jährige nach der Konfirmation der Kirche den Rücken zukehrte. Nach dem Abitur studierte sie einige Semester Jura, entschied sich dann aber für den Journalismus. Bei einer Wochenzeitung in Süddeutschland lernte sie ihren späteren Mann, den damaligen Chefredakteur, kennen. „Als wir uns das erste Mal in einer Redaktionssitzung sahen, fragte er: ,Wer hat diesen grauenhaften Text geschrieben?‘ – Das war mein Artikel“, verrät sie. Eine solche Bemerkung würde heute niemand mehr machen. Sie schreibt pointiert, mit spitzer Feder und einem Schuss Humor.

Den Chefredakteur hat sie mittlerweile geheiratet. Mit ihm, dem katholischen Christen, konnte sie dann über ihre Zweifel am christlichen Glauben reden. „Wir haben viel diskutiert über kirchliche Themen“, erinnert sie sich und lacht. „Ich hatte keine Ahnung vom Glauben, nur Klischees im Kopf.“ Suche nach dem Schöpfer Die Geburt der ersten Tochter, Emma, stellte nicht nur ihr politisches Weltbild auf den Kopf: „Das perfekte Zusammenspiel zwischen meinem Körper und dem Baby in der Schwangerschaft und beim Stillen faszinierte mich. Ich begann mich zu fragen, ob das wirklich alles Zufall sein kann“, beschreibt sie. Birgit Kelle begleitete ihren Mann in den Gottesdienst, suchte Anschluss an die Frauengruppe der Kir-

chengemeinde. „Ich lernte dort tiefgläubige Frauen kennen. Mit welcher Überzeugung sie ihren Glauben fröhlich im Alltag umsetzten – das hat mich als ewige Zweiflerin fasziniert.“ Schließlich konvertiert sie zur katholischen Kirche. Neben der freiberuflichen Arbeit als Journalistin hält sie Vorträge über Familienpolitik oder Gender Mainstream. Mehrfach war sie zu Gast in Talkshows von Günter Jauch, Maybrit Illner und anderen. Auf die Diskussionsrunden muss sie sich kaum noch inhaltlich vorbereiten. Sie beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Familien- und Frauenpolitik, hat Zahlen, Studienergebnisse und Fakten parat. Der Verlauf einer Talkshow ist nicht planbar, weiß sie: „Man weiß nie, welche Wendung das Gespräch nimmt.“ Sie hat einiges einstecken müssen: Nach einer Sendung, in der sie ihre Meinung zum

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Susanna Bigger

..

Starker als meine Angst Lange kämpfte ich mit Unsicherheit, Angst und Ablehnung. Doch Schritt für Schritt entfalte ich mich zu der Frau, wie Gott mich gemeint hat.

„Eines Tages wirst du auf der Bühne stehen und predigen“, sagte mein Mann einmal zu mir, als wir gerade mit dem Auto unterwegs waren. ‚Alles andere, nur das nicht!‘, dachte ich im Stillen. Aufgaben hinter, neben, ja sogar unter der Bühne konnte ich mir viel besser vorstellen. Aber auf der Bühne? Nein, ich hatte panische Angst, vor Menschen zu sprechen. Ich kämpfte mit Minderwertigkeitsgefühlen und Unsicherheit. Und bisher hatte ich in meinem Leben nur einmal einen Vortrag gehalten, was eine Katastrophe war. Da müsste schon ein Wunder geschehen ...

A

ußerdem: Was hatte ich schon zu sagen? Mein Leben als Christ schien zu „normal“. Nie hatte ich etwas Spektakuläres mit Gott erlebt. Ich war in einem christlichen Elternhaus aufge­ wachsen. Jeden Tag lasen meine Eltern mit uns drei Geschwistern in der Bibel und beteten. Zu meinem sechsten Geburtstag bekam ich eine eigene Bibel geschenkt: eine grüne SchlachterBibel mit Ledereinband. Natürlich konnte ich sie noch nicht selbst lesen. Meine Eltern lasen mir daraus vor. Manche Kinder hätten das viel­ leicht langweilig gefunden, doch ich nicht. Ich hörte diese Geschichten gerne. Und vor allem wollte ich gerne zu Jesus gehören. Deshalb habe ich ihn eines Tages eingeladen, in mein Herz zu kommen.

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Als ich 14 Jahre alt war, sagte meine Mutter: „So, jetzt bist du alt genug. Von nun an darfst du deine Bibel selbst lesen.“ Da wurde mir also etwas sehr Kostbares anvertraut. Ich wusste: Das Bibellesen und Beten ist die einzige Verbindung, die ich zu Gott habe, und die kann ich nicht los­ lassen. Also habe ich fleißig weitergelesen, dabei aber oft nur wenig verstanden. Christ ohne „Vorher-Nachher“? Später besuchte ich die Jugendgruppe unserer Gemeinde. Dort bewunderte ich die Leute, die Jesus so richtig praktisch und sichtbar in ihrem Leben erfahren haben. Was sie erzählten, faszinierte mich: wie sie ohne Gott gelebt hat­ ten, Jesus begegnet sind und wie sich in ihrem Leben alles radikal veränderte! Ich staunte, wie


F o t o s : P r ivat

Meine Geschichte

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D 1 2 0 1 3 / Post ver triebsstück/Gebühr bezahlt/Lydia Verlag/Ger th Medien GmbH/Dillerberg 1/D -35614 Asslar-Berghausen

Lass die Tautropfen deiner Stille fallen, bis all unser Streben erlischt. Nimm Last und Lärm von unsrer Seele, bis unser geordnetes Leben spricht von der Schönheit deines Friedens.

A u s : „M ei n J a h r

als biblische

Fr au“

von

R a c h e l E va n s (G e r t h M e d ie n )


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