Vier Frauen und ein Hochzeitskleid - 9783865919045

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Aus dem Englischen von Silvia Lutz



Kapitel 1 Charlotte 14. April

D

er sanfte Windhauch lenkte ihren Blick nach oben, als sie um eine Gruppe Schatten spendender Buchen herumschlenderte. Charlotte blieb auf dem perfekt gepflegten Rasen stehen, der das Ludlow-Anwesen umgab, und atmete die reine Luft tief ein. Sie ließ ihre Umgebung auf sich wirken – den blauen Himmel, die Bäume in ihrer Frühlingspracht, das Sonnenlicht, das von den Windschutzscheiben der geparkten Autos reflektiert wurde. Als sie an diesem Morgen aufgewacht war, hatte sie das Bedürfnis verspürt, in Ruhe nachzudenken. Sie hatte ihre Lieblingsshorts angezogen und war auf den Berg hinaufgefahren. Aber statt Stille und Einsamkeit fand Charlotte ein reges Treiben vor. Auf dem weitläufigen Grün tummelten sich Käufer, Sammler und Schnäppchenjäger. Die jährliche Ludlow-Antiquitätenauktion, mit deren Hilfe Geld für Bedürftige gesammelt wurde, war auf dem eindrucksvollen Gelände in vollem Gang. Charlotte schob ihre Sonnenbrille nach oben. Die Eindringlinge störten sie. Dieses Gelände war ihr persönlicher Zufluchtsort, auch wenn der Rest der Welt das nicht wusste. Mama hatte mit ihr hier oben immer gepicknickt. Sie hatten ihr Auto auf der kleinen Nebenstraße abgestellt, waren dann heimlich am Rand des LudlowAnwesens entlanggeschlichen und hatten gelacht und „pssst“ geflüstert, als stellten sie etwas Verbotenes an. Ihre Mutter hatte ihnen einen schönen Platz auf der Rückseite des Berges gesucht, dort eine Decke ausgebreitet, einen Behälter mit gebratenem Hähnchen oder eine McDonald’s-Tüte aufgemacht 5


und tief eingeatmet, während sie ihren Blick über das Tal und die Stadt schweifen ließ. „Ist das nicht schön?“ „Ja“, hatte Charlotte gesagt, aber ihr Blick war auf Mama und nicht auf die Lichter von Birmingham gerichtet gewesen. Sie war die schönste Frau gewesen, die Charlotte je gesehen hatte. Und auch jetzt, fast achtzehn Jahre nach ihrem Tod, war sie immer noch die schönste Frau, die Charlotte je gesehen hatte. Mama hatte es verstanden, einfach nur zu sein, aber sie war gestorben, bevor sie diese Gabe an Charlotte weitergeben konnte. Laute Stimmen rissen Charlotte aus ihren Erinnerungen. Vor dem Auktionszelt, das auf dem Rasen neben dem Haus errichtet worden war, herrschte ein großer Andrang, als Interessenten und Käufer hineinströmten. Charlotte hielt sich die Hand schützend vor die Augen, da die Sonne noch tief stand. Nachdenklich beobachtete sie das Treiben und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Wieder nach Hause fahren oder hier spazieren gehen? Sie brauchte und wollte nichts von den Dingen, die in diesem Zelt angeboten wurden. Und selbst wenn sie etwas davon interessieren würde, hätte sie nicht das Geld, um es zu erwerben. Sie musste über die angespannte Situation mit Tims Familie nachdenken. Besonders über die Spannungen zwischen ihr und Tims Schwägerin Katherine. Es war so schlimm, dass sie sich noch einmal überlegen musste, ob sie diesen schwerwiegenden Schritt wirklich tun wollte. Als Charlotte sich umwandte, um zu ihrem Auto zurückzugehen, wehte ihr der Wind wieder direkt ins Gesicht, und sie schaute sich erneut um. Durch die Bäume und hinter dem Zelt glänzten die riesigen Fenster im ersten Stockwerk der Ludlow-Villa im goldenen Morgenlicht, und es hatte ganz den Anschein, als wachten sie über das Geschehen auf dem Rasen. Dann trieb der Wind die Wolken weiter und das Licht warf einen Schatten über das Fenster. Jetzt schien das Haus ihr zuzuzwinkern. Komm und sieh! „Hallo!“, rief eine Frauenstimme hinter ihr. Charlotte drehte sich 6


erneut um. „Sie wollen doch hoffentlich nicht schon wieder gehen!“ Sie kam mit einer Schachtel in den Händen schnaufend den Hang herauf. Charlotte wusste gleich, wen sie vor sich hatte. Sie kannte zwar ihren Namen nicht und hatte sie auch noch nie gesehen, aber sie war mit dieser Art Frau vertraut: Sie war eine typische Vertreterin der klassischen Südstaatenfrauen, von denen es in Birmingham nur so wimmelte. Frauen mit gepflegter Haut, Hose mit Bügelfalte, dezent gemusterter Baumwollbluse und einer einfachen Perlenkette. Die Dame blieb atemlos vor Charlotte stehen. „Sie waren noch nicht einmal im Auktionszelt. Ich habe Sie nämlich kommen sehen, Schätzchen. Kommen Sie mit, wir haben schöne Sachen im Angebot. Sind Sie zum ersten Mal hier?“ Sie kramte in ihrer Kiste und zog einen Katalog heraus. „Ich musste zu meinem Auto laufen, um Nachschub zu holen. Dieses Jahr ist wirklich sehr viel los. Das sieht man schon an den vielen Autos. Vergessen Sie nicht: Alle Einnahmen kommen der Ludlow-Stiftung zugute. Wir verteilen mehrere Millionen für Stipendien und Zuschüsse in der Stadt.“ „Ich bewundere die Arbeit der Stiftung schon eine ganze Weile.“ Charlotte blätterte in dem Katalog. „Ich bin Cleo Favorite, die Vorsitzende der Ludlow-Stiftung.“ Die Frau reichte Charlotte die Hand. „Und Sie sind Charlotte Malone.“ Charlotte schaute Cleo einen Moment verblüfft an und schüttelte ihr dann langsam die Hand. „Sollte ich beeindruckt sein, weil Sie mich kennen? Oder sollte ich lieber schreiend zu meinem Auto zurücklaufen?“ Cleo lächelte. Ihre Zähne waren genauso strahlend weiß wie ihre Perlen. „Meine Nichte hat letztes Jahr geheiratet.“ „Verstehe. Und sie hat ihr Brautkleid in meiner Boutique gekauft?“ „Genau. Eine Weile hatte ich den Eindruck, dass es sie mehr faszinierte, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, als ihren Verlobten zu heiraten. Sie haben wirklich eine beeindruckende Boutique.“ 7


„Ich hatte großes Glück.“ Mehr als sich ein armes Mädchen, das keine Eltern hatte, erträumen konnte. „Wer ist Ihre Nichte?“ „Elizabeth Gunter. Sie hat Dylan Huntington geheiratet.“ Cleo bewegte sich auf das Zelt zu. Charlotte folgte ihr, um nicht unhöflich zu sein. „Selbstverständlich erinnere ich mich an Elizabeth. Sie war eine schöne Braut.“ „Und das sollte auch die ganze Welt wissen.“ Cleo hob lachend die Hände. „Sie hat meinen armen Bruder fast an den Bettelstab gebracht. Aber man heiratet schließlich nur ein Mal im Leben, nicht wahr?“ „Ja, ich habe zumindest gehört, dass das so gedacht ist.“ Charlotte strich mit dem Daumen über ihren Verlobungsring. Das war der Grund, warum sie heute hierhergefahren war. Vor dem Zelteingang blieben die beiden stehen. „Also, Charlotte, suchen Sie etwas Bestimmtes? Etwas für Ihre Boutique?“ Cleo ließ die Schachtel mit den Katalogen auf einen Tisch fallen und marschierte durch den Mittelgang los, als erwarte sie, dass Charlotte ihr folgen würde. „Wir haben einige schöne Kleiderschränke im Angebot. Im Katalog finden Sie die Auktionsnummern dazu und wann und wo Sie dafür bieten können. Der Auktionator geht einfach zu dem entsprechenden Gegenstand. Wir haben festgestellt, dass das leichter ist als … Ach, wen interessiert das schon? Es ist eine großartige Auktion und sie läuft gut. Verraten Sie mir, was Sie suchen?“ Cleo neigte leicht Kopf und faltete die Hände. Charlotte trat in den Schatten des Zeltes. „Ehrlich gesagt, Cleo …“ – … bin ich hierhergekommen, um ungestört nachdenken zu können –, „… ist meine Brautmodenboutique bewusst modern eingerichtet.“ Charlotte rollte den Katalog in ihrer Hand zusammen. „Aber sich auf einer Auktion ein wenig umzusehen, macht immer Spaß.“ Sie konnte doch auch durch die Gänge schlendern und nachdenken. „Unbedingt. Sie werden bestimmt etwas finden, das Ihnen gefällt.“ Cleo zwinkerte. „Am besten funktioniert das allerdings, 8


wenn Sie sich von vorneherein vornehmen, etwas von Ihrem schwer verdienten Geld auszugeben.“ „Das werde ich mir merken.“ Cleo verabschiedete sich, und Charlotte schlenderte durch einen Seitengang und betrachtete die Waren, als könnte sie die Antwort, die sie suchte, zwischen den Antiquitäten finden. Vielleicht würde sie ja eine Stimme hören, die „Er ist der Richtige“ sagte, während sie an einer Vitrine aus dem zwanzigsten Jahrhundert oder einem Kleiderschrank aus dem neunzehnten Jahrhundert vorbeischlenderte. Aber wahrscheinlich würde das eher nicht passieren. Der Himmel flüsterte ihr nicht sehr oft Antworten zu, sie fielen ihr nicht einfach so in den Schoß. Sie musste sich die Antworten für ihr Leben erarbeiten. Charlotte krempelte die Ärmel hoch, beleuchtete die Situation von allen Seiten, überschlug die Kosten und traf ihre Entscheidung. Wenn sie dies nicht tat, hätte sie „Malone & Co.“ nie eröffnen können. Charlotte blieb vor einem Dielentisch aus dunklem Holz stehen und strich mit dem Finger über die Oberfläche. In Gertis Diele hatte ein solcher Tisch gestanden. Was wohl daraus geworden war? Charlotte bückte sich, um nachzusehen, ob die Unterseite mit einem roten Filzstift bemalt war. Die Unterseite war sauber. Charlotte ging weiter. Dieser Tisch war nicht Gertis Tisch. Sie war so wütend gewesen, als sie bemerkt hatte, dass ihre Nichte mit einem roten Stift Amok gelaufen war. Am Ende des Gangs blieb Charlotte seufzend stehen. Sie sollte in die Stadt zurückfahren. In zwei Stunden hatte sie einen Friseurtermin. Stattdessen bog sie in den nächsten Gang ein und ihre Gedanken wanderten zu Tim und zu all den Fragen, auf die sie keine Antwort fand. Bis vor vier Monaten hatte sie sich in ihrem geregelten, vorhersehbaren, bequemen Leben vollkommen wohlgefühlt. Dann hatte der Bauunternehmer, der ihre Boutique umgebaut hatte, so lange auf sie eingeredet, bis sie die Einladung zu seiner Weihnachtsfeier 9


angenommen hatte. Er hatte ihr den Platz neben Tim Rose angewiesen und damit Charlottes Leben auf den Kopf gestellt. Ihr Blick blieb an einem unauffälligen, abgenutzten Rollschreibtisch hängen. Charlotte blieb davor stehen und strich mit der Hand über die Oberfläche. Welche Geschichten würde er wohl erzählen, wenn er sprechen könnte? Die Geschichte eines Familienvaters, der sich den Kopf über die Finanzen der Familie zerbrach? Oder die eines Kindes, das mit einer schweren Hausaufgabe kämpfte? Die einer Mutter, die ihren Lieben zu Hause einen Brief schrieb? Wie viele Männer und Frauen hatten schon an diesem Schreibtisch gesessen? Einer oder hundert? Wovon hatten sie geträumt, was erhofft? Ein Möbelstück, das die Zeit überdauerte. Wollte sie das? Überleben, Teil von etwas Wichtigem sein? Sie wollte das Gefühl haben, zur Familie Rose dazuzugehören. Katherine vermittelte Charlotte aber ganz gewiss nicht das Gefühl, Teil des riesigen Netzwerks aus Geschwistern, Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen und lebenslangen Freunden zu sein. Als Tim Charlotte bei ihrem ersten Date erzählt hatte, dass er vier Brüder hatte, hatte sie sich nicht einmal vorstellen können, was für ein Gefühl das sein musste. Es klang so aufregend. Sie löcherte ihn mit Fragen. Charlotte hatte nur Mama gehabt. Und als Mama gestorben war, die alte Gerti. Sie hatte nie mit Geschwistern zusammengelebt, geschweige denn gleich mit vieren. Und ganz gewiss nicht mit einem Bruder. War das der Grund, warum sie Tim Roses Heiratsantrag bereits nach zwei Monaten angenommen hatte? Faszination? Im Moment war sie sich nicht sicher, ob Liebe der Grund gewesen war. Sie war nicht einmal sicher, ob es der Wunsch gewesen war, zu einer großen Familie zu gehören. Charlotte warf einen Blick auf den filigranen Platinverlobungsring mit dem Einkaräter, der Tims Großmutter gehört hatte. Aber der Ring kannte die Antwort nicht. Sie kannte die Antwort nicht. 10


„Charlotte Malone?“ Eine rundliche, freundlich aussehende Frau kam von der anderen Seite eines Tisches auf sie zu. „Ich habe in ,Southern Weddings‘ einen Artikel über Sie gelesen. Sie sehen genauso aus wie auf dem Bild in der Zeitschrift.“ „Ich hoffe, das ist ein Kompliment“, lächelte Charlotte. „Natürlich. Die Beschreibung Ihrer Boutique klingt zauberhaft. Als ich den Artikel las, hätte ich am liebsten noch einmal geheiratet.“ „Dieser Artikel war für unsere Boutique ein echter Glücksfall.“ Als der Redakteur im vergangenen Herbst angerufen hatte, war dieser Anruf einer von vielen Glücksfällen für Charlottes Boutique gewesen. „Ich bin seit zweiunddreißig Jahren verheiratet und lese ,Southern Weddings‘ fast genauso treu wie meine Bibel. Ich liebe Hochzeiten einfach. Geht es Ihnen nicht auch so?“ „Auf jeden Fall liebe ich Hochzeitskleider“, antwortete Charlotte lächelnd. „Das kann ich mir denken.“ Das Lachen der Frau lag noch in der Luft, als sie sich mit einem freundlichen Tätscheln auf Charlottes Arm verabschiedete und weiterging. Sie liebte Hochzeitskleider wirklich. Schon als kleines Mädchen hatten der Satinstoff und der Glanz von weißen Kleidern sie begeistert. Sie liebte es, wie sich das Gesicht einer Braut veränderte, wenn sie in das perfekte Kleid schlüpfte und man ihre Hoffnungen und ihre Träume in ihrem Gesicht ablesen konnte. Charlotte stand kurz davor, diese Verwandlung selbst zu erleben: in das perfekte Kleid zu schlüpfen und voller Hoffnungen und Träume zu sein. Wo lag also das Problem? Warum zögerte sie noch? Sie hatte sich fünfzehn Kleider angesehen, aber kein einziges anprobiert. Der 23. Juni rückte schneller näher, als ihr lieb war. Vor einem Jahr war sie finanziell kaum über die Runden gekommen. Sie hatte alle ihre Ersparnisse in das Inventar gesteckt und ihre Boutique, ein Landhaus aus den 1920er-Jahren, nur mit Mühe und Not zusammengehalten. Dann war eine anonyme Überweisung von hunderttausend 11


Dollar auf ihrem Konto eingegangen. Nachdem sie wochenlang vor Freude und Panik ganz aus dem Häuschen gewesen war und herauszufinden versucht hatte, wer ihr so viel Geld überwiesen hatte, hatte Charlotte irgendwann das Geschenk angenommen und endlich ihre Boutique renoviert. Und alles hatte sich verändert. Tawny Boswell, die amtierende Miss Alabama, wurde ihre Kundin und machte sie auf einen Schlag bekannt. Southern Weddings hatte sich gemeldet. Und zum krönenden Abschluss dieses unglaublichen Jahres war Charlotte zu der Weihnachtsfeier gegangen und hatte neben einem attraktiven Mann gesessen, der mit seinem Charme jeden im Raum im Sturm gewonnen hatte. Noch bevor sie mit dem ersten Gang des Weihnachtsgerichts fertig gewesen war, hatte Tim Rose ihr Herz bereits erobert. Der federleichte Kuss des Schicksals jagte ihr einen Schauer über den Rücken, während der Wind, der über den Berg wehte, ihre Beine berührte. Roch es nach Regen? Charlotte legte den Kopf in den Nacken, um über das Zelt hinaus zu sehen, sie sah aber nichts als den kristallblauen Himmel, der von der strahlenden Sonne beherrscht wurde. Mittlerweile war weit und breit keine einzige Wolke mehr zu sehen. Sie bog gerade in den nächsten Gang ein, als das Handy in ihrer Hosentasche vibrierte. Dixie. „Hallo, Dixie. Läuft in der Boutique alles gut?“ „Es ist ruhig. Aber Tawny hat angerufen. Sie will morgen um drei Uhr mit dir sprechen.“ Am Sonntag? „Ist alles in Ordnung? Klang sie gut gelaunt? Ist sie immer noch mit uns zufrieden?“ Es hatte Charlotte Monate gekostet, für Miss Alabama das perfekte Kleid zu finden. Sie hatte nächtelang wach gelegen und Gott gebeten, ihr zu helfen, Tawnys Träume von einem Brautkleid zu erfüllen. Dann hatte sie einen neuen Designer in der Nähe von Paris entdeckt und gewusst, dass sie ihren Stoff aus seidenweißem Gold gefunden hatte. „Ruf sie bitte zurück, und sag ihr, dass der Termin morgen Nachmittag in Ordnung geht. Haben wir Kräcker und Käse im Kühlschrank? Kaffee, Tee, Wasser und Limonade?“ 12


„Wir haben alles da. Tawny klang begeistert. Ich glaube also nicht, dass sie dir sagen will, dass sie von einer anderen Boutique betreut werden will.“ „Wie lange arbeiten wir schon miteinander, Dixie?“ „Fünf Jahre, seit du diese Boutique eröffnet hast.“ Dixie war wie immer pragmatisch und ruhig. „Und wie oft haben wir eine Kundin in letzter Minute verloren?“ Auch wenn sie schon unzählige Stunden investiert hatten, um auf der Suche nach dem perfekten Kleid einen Modedesigner nach dem anderen abzuklappern. „Damals hatten wir noch keine Ahnung von diesem Geschäft. Jetzt sind wir Experten“, erwiderte Dixie. „Du weißt ganz genau, dass es nichts mit uns zu tun hat. Hör zu, ich rufe Tawny an und sage ihr, dass wir uns morgen sehr gern mit ihr treffen.“ „Das habe ich ihr bereits gesagt. Ich dachte mir schon, dass du sie nicht abweisen würdest.“ In Dixies Stimme schwang immer ein unüberhörbares Selbstvertrauen mit. Sie war ein Geschenk des Himmels, eine große Stütze bei der Verwirklichung ihres Traums. „Wo steckst du überhaupt, Charlotte?“ „Ich bin auf dem Red Mountain, auf dem Ludlow-Anwesen. Ich bin hierhergefahren, um ungestört nachzudenken, aber leider findet hier heute die jährliche Versteigerung der Ludlow-Stiftung statt. Ich gehe gerade zwischen Antiquitäten spazieren.“ „Meinst du alte Leute oder alte Sachen?“ Charlotte ließ ihren Blick grinsend über die grauen Schöpfe in den Verkaufsgängen schweifen. „Beides, würde ich sagen.“ Sie blieb vor einer verschlossenen Glasvitrine mit Edelsteinen stehen. Unikate waren perfekt für ihre Bräute. Charlotte hatte eine Auswahl von einzigartigen Ketten, Ohrringen, Armbändern und Diademen. Solche Kleinigkeiten besiegelten oft den Erfolg. „Da wir gerade von Hochzeiten sprechen …“, begann Dixie leise und langsam. „Tun wir das?“ „Tun wir das nicht immer? Deine Hochzeitseinladungen liegen 13


immer noch auf dem Schreibtisch im Lagerraum, Charlotte. Soll ich sie dir heute zu Hause vorbeibringen?“ Dixie und ihr Mann Jared – sie nannte ihn immer ihren Dr. Märchenprinz – wohnten in Homewood in der Wohnung direkt neben Charlotte. „Wie bitte? Wirklich? Sie sind immer noch im Lagerraum? Ich dachte, ich hätte sie mit nach Hause genommen.“ „Falls du das getan hast, müssen sie wieder zurückgeschlichen sein.“ „Haha, sehr witzig. Ja, klar, nimm sie mit nach Hause. Ich kann morgen nach dem Gottesdienst daran arbeiten. Ich muss unbedingt nachsehen, ob Mrs Rose bereits eine Gästeliste für Tims Seite der Familie –“ „Du hast morgen um drei Uhr einen Termin mit Tawny.“ „Stimmt, du hast recht. Nach meinem Termin mit ihr. Oder ich kann am Montagabend daran arbeiten. Ich glaube, am Montagabend habe ich keine Termine.“ „Charlotte, darf ich dich etwas fragen?“ „Nein.“ „Du heiratest in zwei Monaten und –“ „Ich hatte einfach zu viel um die Ohren, Dixie. Das ist alles.“ Charlotte wusste, worauf ihre Freundin hinauswollte. Dieselbe Frage stellte sich Charlotte schon seit Wochen und die Suche nach einer Antwort auf diese Frage hatte sie heute hierhergeführt. „Ich habe Zeit.“ „Aber nicht mehr viel.“ Das wusste sie. Und wie sie das wusste! „Wir hätten im Herbst heiraten sollen. Schnelle Verlobung, schnelle Hochzeit – vielleicht ging alles zu schnell.“ „Tim ist ein toller Mann, Charlotte.“ Das wusste sie. Und wie sie das wusste! Aber war er der Richtige für sie? „Hör zu, ich muss jetzt auflegen. In ein paar Minuten muss ich los, damit ich nicht zu spät zu meinem Friseurtermin komme. Ich rufe dich später an.“ „Viel Spaß heute Abend, Charlotte! Lass dich von Katherine nicht unterkriegen. Sag ihr, dass sie dich in Ruhe lassen soll. Genieß 14


einfach die Zeit mit Tim. Und denk daran, warum du dich in ihn verliebt hast.“ „Ich versuche es.“ Charlotte legte auf. Dixies Rat hallte in ihren Ohren wider. Denk daran, warum du dich in ihn verliebt hast. Sie hatte Herzklopfen gehabt und es war einfach nur romantisch gewesen. Charlotte war nicht sicher, ob sie überhaupt einen konkreten Grund nennen konnte. Während die junge Frau den Gang in Richtung Ausgang entlangschlenderte, wurde sie von einer immer größer werdenden Menschenmenge auf die Seite gedrängt. Sie lächelte den Mann neben sich an und versuchte, um ihn herumzugehen. „Entschuldigen Sie bitte.“ Doch er rührte sich nicht vom Fleck, sondern blieb wie angewurzelt stehen und ließ den Gegenstand, der als Nächstes versteigert werden sollte, nicht aus den Augen. „Entschuldigen Sie, könnten Sie mich bitte vorbeilassen? Wollen Sie diese … Truhe ersteigern?“ Charlotte schaute sich um. Diese hässliche Truhe? „Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit, meine Damen und Herren.“ Der Auktionator stand neben der Truhe. Die Menge aus fünfzehn oder zwanzig Leuten drängte sich nach vorne und riss Charlotte mit sich. Sie stolperte zurück und verlor dabei einen ihrer Flipflops. „Die Versteigerung kann beginnen.“ Charlotte suchte mit dem Fuß tastend den Boden nach ihrem Schuh ab und beschloss schließlich zu warten, bis die Versteigerung der Truhe vorüber war. Die Interessenten wirkten fest entschlossen. Wie lang konnte die Versteigerung dieses Gegenstands schon dauern? Zehn Minuten? Es könnte Spaß machen, die Versteigerung aus der Nähe zu beobachten. Zwanzig Dollar. Die Truhe sah nicht so aus, als wäre sie mehr als zwanzig Dollar wert. Charlotte schaute sich gespannt um, wer bereit wäre, für eine langweilige, abgestoßene und zerkratzte Holztruhe mit brüchigen Lederriemen Geld auszugeben. Der Auktionator war ein durchschnittlicher Mann. Durchschnittliche Größe und Statur. Haare, die früher vielleicht einmal braun gewesen waren, aber jetzt waren sie grau. Aschgrau. 15


Aber er trug ein lilafarbenes Hemd, das in einer grauen Hose steckte, die mit ledernen Hosenträgern oben gehalten wurde. Er sprang mit seinen sauberen, weißen Turnschuhen aufs Podium. Charlotte grinste. Sie fand ihn gleich sympathisch, obwohl seine durchdringenden blauen Augen sie beunruhigten, als er sie anschaute. Instinktiv wich sie einen Schritt zurück, konnte aber nicht entkommen, da sie an allen Seiten von Interessenten umgeben war. „Das ist Posten Nummer null“, verkündete der Auktionator. Seine tiefe Stimme berührte Charlotte wie ein warmer Windhauch. Posten Nummer null? Die junge Frau blätterte in ihrem Katalog. Es gab keinen Posten Nummer null. Sie schaute auf der Bestandsliste nach, die auf der Rückseite abgedruckt war. Aber auch hier wurde keine Truhe oder Kiste aufgelistet. „Dieser Gegenstand wurde aus einem Haus gerettet, das nur wenige Minuten später abgerissen wurde. Die Truhe wurde 1912 zusammengebaut.“ Er beugte sich zu seinen Zuhörern vor. „Sie wurde für eine Braut gebaut.“ Sein Blick blieb an Charlotte hängen und sie wich keuchend zurück. Warum schaute er sie an? Sie schob ihre Hand mit dem Verlobungsring auf ihren Rücken. „Sie ist hundert Jahre alt. Ein ganzes Jahrhundert. Holz und Leder sind original, und das ganze Stück befindet sich in einem guten, aber pflegebedürftigen Zustand.“ „Was ist mit dem Schloss passiert?“ Der Mann, der links neben Charlotte stand, deutete mit seinem zusammengerollten Katalog auf das entstellte Stück Messing, das den Deckel verschloss. „Das ist eine Geschichte für sich. Das Schloss wurde zugeschweißt, wie Sie sehen.“ Der Auktionator beugte sich noch weiter zu seinen Zuhörern vor. Wieder blieben seine feurigen, blauen Augen an Charlotte hängen. Er wackelte mit seinen buschigen, grauen Augenbrauen. „Von einer Frau mit einem gebrochenen Herzen.“ Die Frauen in der Gruppe stießen ein lautes „Oh“ aus und drehten die Köpfe, um die Truhe besser sehen zu können, während 16


Charlotte einen weiteren Schritt zurückwich. Warum richtete er seine Blicke ständig auf sie? Sie presste sich die Hand auf die Brust, da ihr ganz heiß geworden war. „Aber denjenigen, der sich darauf einlässt, erwartet ein großer Schatz in der Truhe.“ Er ließ seinen Blick über die Menge gleiten, die immer größer zu werden schien, und zwinkerte. Lachen erfüllte das Zelt, und der Auktionator schien sich zu freuen, dass er alle in seinen Bann gezogen hatte. Charlotte hatte begriffen. In dieser Truhe befand sich nicht wirklich ein großer Schatz. Er wollte nur, dass alle glaubten, dass einer darin sein könnte. Er war wirklich ein guter Verkäufer. Hut ab. „Wir beginnen bei fünf“, sagte er. Mehrere Zuhörer entfernten sich, und Charlotte verspürte nicht länger das Gefühl, eingesperrt zu sein. Die kühle Luft, die ihre Beine umwehte, tat gut. „Höre ich fünf?“, fragte der Auktionator wieder. Charlotte blickte in die Gesichter der Menschen, die geblieben waren. Kommt schon, Leute, irgendjemand wird doch fünf Dollar bieten! Jetzt, da die Truhe einen Preis und eine Geschichte hatte, war ihr Mitgefühl geweckt. Das, was sie über diese Truhe wusste, veränderte trotz deren armseligen Aussehens alles. Jeder, alles brauchte Liebe. Die Sekunden vergingen. Jemand musste für diese Truhe bieten! „Ich biete fünf.“ Charlotte hielt ihren zusammengerollten Katalog in die Höhe. Sie konnte die Truhe dem Kinderbereich in der Gemeinde spenden. Die Mitarbeiter waren immer auf der Suche nach Kisten, in denen sie Spielsachen aufbewahren konnten und in die sie die Dinge für ihre Missionsreisen packen konnten. „Ich habe fünfhundert.“ Der Auktionator hob die Hand und wackelte mit den Fingern. „Höre ich fünfhundertfünfzig?“ „Fünfhundert?“ Sie wich zurück. „Nein, nein! Ich habe fünf Dollar geboten.“ „Aber der Preis betrug fünfhundert.“ Der Auktionator nickte ihr zu. „Überschlagen Sie immer die Kosten, junge Dame, bevor Sie 17


etwas tun. Jetzt kennen Sie den Preis. Höre ich fünfhundertfünfzig?“ Bitte, kann nicht jemand fünfhundertfünfzig bieten? Wie hatte sie nur so dumm sein können? Sie hatte sich von diesem auf unschuldigen, alten Mann machenden Auktionator überrumpeln lassen. Der Mann neben Charlotte hob seinen Katalog. „Ich biete fünfhundertfünfzig.“ Charlotte atmete aus und presste ihre Hand auf die Brust. Danke, guter Mann. Sie blätterte wieder in dem Katalog und suchte nach einer Beschreibung, nach irgendeiner Information, irgendetwas über die Truhe. Aber die Truhe war schlicht und ergreifend nicht aufgeführt. „Fünfhundertfünfzig. Höre ich sechs? Sechshundert Dollar?“ Der Blick des Auktionators war lebhaft, durchdringend, und seine Wangen leuchteten rot, obwohl die Luft im Zelt kühl war. Die Frau neben Charlotte hob die Hand. „Sechs.“ Drei weitere Interessenten zogen sich zurück. Charlotte warf mit zusammengekniffenen Augen einen Blick auf die Truhe und überlegte, dass sie diese Gelegenheit ja nutzen könnte, um sich ebenfalls auf den Weg zu machen. Sie hatte für ihren Geschmack bei dieser Versteigerung genug Aufregung erlebt. Außerdem wollte sie vor ihrem Friseurtermin noch eine Kleinigkeit essen. Wenn sie beim Friseur fertig war, hätte sie gerade noch genug Zeit, um nach Hause zu fahren und sich umzuziehen, bevor Tim sie um sechs Uhr abholte. „Sechs. Höre ich sechshundertfünfzig?“ „Sechshundertfünfzig“, sagte der Mann links neben Charlotte. „Ich kann die Einzelteile für einen Dampfer brauchen, den ich restauriere.“ „Siebenhundert“, sprudelte es über Charlottes Lippen. Sie räusperte sich und schaute den Auktionator an. Die Truhe in ihre Einzelteile zerlegen? Niemals! Etwas in ihr rebellierte bei dem Gedanken, dass jemand die Truhe zerlegen würde. „Diese Truhe verdient eine liebevolle Behandlung.“ „Das stimmt, junge Dame. Ich habe sie selbst gerettet. Und das, 18


was ich rette, kann niemand mehr zerstören.“ Die blauen Augen des Auktionators strahlten bei jedem Wort und Charlotte wurde am ganzen Körper heiß und kalt. „Höre ich siebenhundertfünfzig?“ Die Frau neben ihr hob die Hand. „Acht.“ Charlotte wartete nicht einmal, bis der Auktionator das Gebot erhöhte. „Hundert. Achthundert.“ Lauf! Verschwinde von hier! Charlotte versuchte, sich umzudrehen, aber ihre Beine weigerten sich, sich zu bewegen, und ihre Füße blieben wie angewurzelt auf dem Rasen stehen. Ein plötzlicher Windstoß kühlte den Schweiß auf ihrer Stirn. Sie wollte diese Truhe nicht. Sie brauchte diese Truhe nicht. Ihre Dachwohnung war klein und bis jetzt frei von Gerümpel. So, wie es ihr gefiel. „Malone & Co.“ war eine elegante, vornehme, ausgesprochen moderne Boutique. Wohin sollte sie eine alte, restaurierungsbedürftige Truhe stellen? Abgesehen davon hatte sie das Geld, das sie von einem anonymen Geber bekommen hatte, für die Renovierung ihrer Boutique ausgegeben. Jeden Dollar. Und auf ihrem Privatkonto war gerade einmal so viel Geld, dass sie damit die Kosten für eine kleine Hochzeit decken konnte. Achthundert Dollar für eine Truhe waren in ihrem Budget nicht eingeplant. Wenn sie schon so viel Geld sinnlos ausgab, dann würde sie sich dafür ein Paar Schuhe von Christian Louboutin kaufen. „Sie spricht Sie irgendwie an, nicht wahr?“ Der Mann in dem lila Hemd beugte sich zu Charlotte vor und zog seine buschigen Brauen in die Höhe. „Leider ja.“ Tim bekäme einen Anfall, wenn sie dieses Ding mit nach Hause brächte. Charlotte betrachtete die Truhe. Wer war der Mann oder die Frau, die diese Truhe früher besessen hatte? Was war mit der Braut aus dem Jahr 1912, von der der Auktionator gesprochen hatte? Würde sie nicht wollen, dass diese alte Truhe ein gutes Zuhause bekäme? „Achthundertfünfzig.“ Der zweite Mann von links erhöhte das Gebot. 19


„Eintausend Dollar.“ Charlotte hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Aber es war zu spät. Sie hatte soeben tausend Dollar für eine alte Truhe geboten. Es würde nicht leicht werden, Tim das zu erklären. „Verkauft.“ Der Auktionator schlug die Hände zusammen und zog einen Zettel aus seiner Tasche. „Diese Truhe gehört Ihnen.“ Charlotte blickte auf den vorgedruckten Zettel hinab. Freigekauft. 1.000 Dollar. Sie fuhr herum. „Moment bitte, Sir! Entschuldigen Sie, aber woher wussten Sie …“ Aber er war verschwunden. Genauso wie die Menschenmenge und das Stimmengewirr. Charlotte stand völlig allein da. Nur die alte Truhe und ein glitzerndes Funkeln in der Luft waren zu sehen.

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Kapitel 2

C

harlotte lehnte sich an Tim und verfolgte vom Tisch aus die Feierlichkeiten anlässlich des Hochzeitstags seiner Eltern. Ein bläulich-bernsteinfarbenes Licht fiel auf ihre Teller, als die Partylichter durch den Ballsaal tanzten. „Das Essen war gut, nicht wahr?“, sagte sie. Komm schon, Tim. Es ist doch nur Geld. „Es war großartig.“ Charlotte schaute ihn von der Seite an. Er war ihr perfekter Märchenprinz. Seine gerade Nase überragte seine vollen Lippen und sein gleichmäßiges, eckiges Kinn. Seine langen, sandfarbenen Haare fielen mit weichem Glanz auf seine gemeißelten Wangen. Aber im Moment war seine gewöhnlich lebhafte, charmante Miene finster. Warum hatte sie nicht gewartet und es ihm erst auf der Heimfahrt erzählt? Jetzt würde die Familie, oder besser gesagt Katherine, Charlotte die Schuld für Tims Teilnahmslosigkeit bei der Feier geben. „Willst du tanzen? Schau, Jack winkt uns immer wieder auf die Tanzfläche.“ Jack war Tims jüngerer Bruder. Er kam in der Reihe der fünf Brüder gleich nach ihm. David, Tim, Jack, Chase und Rudy. „In einer Minute.“ Tim bedeutete Jack zu warten. Alle Gäste dieser Feier zum vierzigsten Hochzeitstag waren auf der Tanzfläche und tanzten und sangen aus voller Kehle mit. Alle außer Tim und Charlotte. „Komm schon, Tim. So eine große Sache ist das auch wieder nicht. Lass uns tanzen.“ Charlotte erhob sich und strich mit den Händen über ihren Rock. Sie war fest entschlossen, sich an diesem Abend zu amüsieren, ihre fehlgeschlagene Mission auf dem Red Mountain zu vergessen und die extrovertierte Frau herauszulassen, 21


die bestimmt irgendwo in ihr steckte. Mit diesem Mädchen hatte sie am Nachmittag ein ernstes Zwiegespräch geführt, während sie sich im Schönheitssalon Haare und Fingernägel machen ließ. Sie trug ein neues Partykleid mit figurbetontem Oberteil und kurzem, ausgestelltem Rock und dazu ein passendes Paar Mary Janes von „Jimmy Choo“, die sie im Ausverkauf erstanden hatte. Der Abend lief so gut. Tim konnte sich nicht an ihr sattsehen, und zum ersten Mal hatte Charlotte tatsächlich das Gefühl, Teil des Rose-Clans zu sein. Doch vor einer Viertelstunde hatte sich Charlotte an ihren Verlobten gelehnt und gesagt: „Ach, Tim, ich habe ganz vergessen, dir was zu erzählen. Ich bin heute zufällig bei einer Auktion auf dem Red Mountain gelandet und habe eine Truhe gekauft. Für tausend Dollar.“ So, jetzt war es heraus. Es war doch gar nicht so schlimm. Dann sah sie, wie das Leuchten aus seinen Augen verschwand. „Tausend Dollar?“ Tim führte Buch über die Hochzeitsausgaben und rechnete jeden Cent bis zum großen Tag am 23. Juni ab. Danach flüsterten sie während des Essens aufgeregt miteinander, warum und wie sie so viel Geld hatte ausgeben können, ohne mit ihm zu sprechen. Die leise Diskussion ging zu Ende, als die Nachspeise eintraf. „Ich hoffe, du hast dieses Kleid für fünftausend Dollar, das du dir eigentlich zulegen wolltest, noch nicht gekauft, denn das können wir uns jetzt nicht mehr leisten.“ „Nein, ich habe es nicht gekauft“, sagte Charlotte ein wenig schnippisch. „Ich habe mein Hochzeitskleid noch nicht gekauft.“ Dieses Geständnis hing nun zwischen ihnen und vertrieb auch das letzte fröhliche Leuchten aus Tims Augen. „Du hast noch kein Kleid? Wir heiraten in zwei Monaten, Charlotte! Du besitzt eine Brautmodenboutique!“ „Ich weiß, ich weiß.“ Wann würde sie endlich lernen, den Mund zu halten? Oder wenigstens den richtigen Zeitpunkt abzuwarten? Sie aßen fast schweigend ihren Kuchen. „Bist du sicher, dass du nicht tanzen willst?“ Charlotte zupfte an seinem Ellbogen. 22


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