Bob Diamond
William White
Der frühere Barclays-Chef steigt über Fonds in Schwarzafrikas Wirtschaft ein, vielversprechend, doch hochriskant. 19
Der ehemalige Chefökonom der BIZ warnt im Interview vor den Folgen der ultralockeren Geldpolitik. 21
Fabian Picardo
Der Regierungschef von Gibraltar rollt unabhängigen Schweizer Vermögensverwaltern den roten Teppich aus. 15
www.fuw.ch
Samstag, 12. April 2014 Nr. 28 / 87. Jahrgang AZ 8021 Zürich
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Gerade mal zehn Tage ist her, da sagte Fabio Cannavale: «Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, an die Börse zu gehen.» Ob sich der Mitgründer und Verwaltungsratspräsident des Börsenaspiranten Bravofly da mal nicht verspekuliert hat. Die Online-Reiseagentur hat nun Mitte der Woche erklärt, die Erstnotiz werde einen Tag vorverlegt, auf nächsten Dienstag. Ein Grund dafür, ist zu hören, sei das gestiegene Marktrisiko. Schneller als geplant – aber nicht schnell genug: Nach dem jüngsten Kursrutsch an der Tech-Börse Nasdaq (vgl. S. 8) vom Donnerstag und Freitag ist Investoren der Risikoappetit vergangen – mit Folgen für den Einstandspreis von Bravofly. Vor Ausübung einer Mehrzuteilungsoption will das Unternehmen durch den Gang an die Börse am 15. April 105 Mio. Fr. einnehmen. Das Geld soll in Zukäufe gesteckt werden. Kommt der Greenshoe voll zum Tragen und liegt der Ausgabepreis am oberen Ende, nimmt Bravofly gar 330 Mio. Fr. auf. Vom Überschuss würden Altaktionäre profitieren, allen voran die Gründer Cannavale und Marco Corradino. Die beiden werden sich mit weniger bescheiden müssen. Offiziell teilt Bravofly zwar mit: «Das öffentliche Angebot ist über die gesamte Preisspanne von 40 bis 52 Fr. bereits mehrfach überzeichnet.» Hinter den Kulissen heisst es aber, der Preis für Bravofly dürfte in der Mitte der Spanne liegen. Und das würde bereits als Erfolg gewertet. Denn Rivale eDreams Odigeo hatte diese Woche einen holprigen Start an die Börse. Die Spanier, die auch Reisen im Internet vermitteln, sind seit Dienstag notiert. Am Ende des ersten Handelstages lag der Kurs fünf Prozent unter dem Ausgabepreis von 10.25 €. Die Titel haben sich dann zwar erholt, sackten am Freitag nach der Schwäche in den USA aber mehr als 6% ab. In den Staaten fielen zuvor schon Expedia, Priceline und Tripadvisor. Bravofly verdient durchaus eine Prämie gegenüber Odigeo. Die Schweizer wachsen schneller und profitabel – mit einer Marge auf den Betriebsgewinn vor Amortisationen und Abschreibungen (Ebitda) von 18,5% im vergangenen Jahr. Die erhoffte Bewertung allerdings ist ambitioniert, angetrieben von den überzogenen Vorstellungen der Altaktionäre. In den ersten Wochen werden die BravoflyPapiere schwanken. Selbst risikofähige Anleger sollten sich zurücklehnen, bis die Turbulenzen ausgestanden sind. RK/TR
Derivatus
Stelldichein der Derivatbranche Seite 25
Monitor
Ein bisschen Risk off Seite 29
Börse Schweiz
UBS und CS zurückgestuft Seite 31
Favoritenwechsel
Die Werbevermarkterin verKurs: 127.50 Fr. fügt über beSPI-Gesamtindex angegl. trächtliche Substanz und 150 will damit etwas Sinnvol100 les machen – 70 angesichts 2013 2014 bisheriger Quelle: Thomson Reuters / FuW Misserfolge ist aber zu fragen, ob die Gruppenführung auch Mehrwert für die Aktionäre schaffen kann. SEITE 11
PubliGroupe N
Mit der Drosselung der Anleihenkäufe durch das Fed schlägt die Stunde der Nachzügler.
Mode-Imperium Der japanische Textilkonzern Fast Retailing strebt nach Europa. Expansionskosten lasten auf dem Gewinn und alamieren die Anleger. Mittelfristig sind die Wachstumspläne aber eine Kursstütze. SEITE 10 BILDER: AP PHTO/RICHARD DREW, IRIS C. RIT TER
Bravofly kommt einen Tag früher – und doch zu spät?
PubliGroupe will
Die Nervosität an der New Yorker Börse steigt. Besondere Vorsicht ist in den heissgelaufenen Segmenten angebracht.
M
anch ein Investor hat sich den Start ins neue Jahr wohl anders vorgestellt. Während sich die Prognostiker in ihren Jahresausblicken mit positiven Börsenkommentaren überboten, begann 2014 für die Aktienmärkte eher holprig. Höchste Zeit also für eine Bestandesaufnahme. Den Aktienkursen droht von der Geldpolitik her zwar nach wie vor kaum Ungemach, doch die schwache Gewinnentwicklung sowie die hohe Bewertung sprechen derzeit gegen amerikanische Di-
videndentitel. Positiv zu werten ist hingegen die jüngst aufgetretene Sektorrotation. Heissgelaufene Segmente wie Biotech- oder gewisse Technologiewerte haben korrigiert, Nachzügler wie Versorger-, Energie- und Rohstofftitel holen auf. Das ist ein gutes Zeichen, weil diese Sektoren aus Bewertungssicht noch Aufwertungspotenzial aufweisen, was die Lebensdauer der Hausse verlängern sollte. Eine Verbesserung der Marktbreite lässt sich auf Länderebene beobachten. Trotz negativer Schlagzeilen aus Emerging
Markets haben die dortigen Börsen zur Trendwende angesetzt. Vorsicht ist hingegen in den Segmenten angebracht, die am meisten von der Geldschwemme profitiert haben und die unter der EntwöhSEITE 23 nungskur des Fed leiden.
Griechenland feiert Rückkehr
Flaute im Bankensektor
Nach vier Jahren Abschottung kehrt Athen zurück an den Kapitalmarkt. Und wie: Die fünfjährigen Anleihen wurden dem Schatzamt förmlich aus den Händen gerissen. Die Emission war mehrfach überzeichnet, die Rendite betrug mit 4,95% weniger als erwartet. Noch vor kurzem wäre eine solches Comeback unvorstellbar gewesen. 2012 schien der Austritt Hellas aus der Eurozone nur eine Frage der Zeit zu sein. Nun profitiert es vom Anlagenotstand auf dem Bondmarkt; für ein wenig Zusatzrendite gehen Anleger riskante Wetten ein. Wirtschaftlich geht es in Griechenland nur langsam bergauf. SEITE 22
J.P. Morgan Chase Im amerikanischen Bankensektor kehrt Kurs: 57.40 $ Ernüchterung ein. S&P 500 angeglichen Fünf Jahre nach der Krise haben Finanz60 kolosse wie J. P. Morgan Chase nach 55 wie vor Mühe, sich 53 an das neue Umfeld 1. Jan.–11. April 14 anzupassen. Das Quelle: Thomson Reuters / FuW zeigt das enttäuschende Resultat des US-Branchenleaders für das erste Quartal. Harzig lief es J. P. Morgan vor allem im Investment Banking, wo im Geschäft mit festverzinslichen
Erst vor kurzem top, erleiden Biotechnologieaktien nun massenweise Kursverluste. Die Korrektur ist noch nicht ausgestanden. Aus Schweizer Sicht sind Anleger gut beraten, die Titel von Actelion genau SEITE 8 im Auge zu behalten.
Schwache Zahlen von J. P. Morgan sorgen für Ernüchterung. Anlagen Flaute herrscht. Die schwachen Zahlen geben einen Vorgeschmack auf die anstehenden Abschlüsse im Finanzsektor. Gerade im Fall von Credit Suisse dürfte der global schwache Geschäftsgang im Anleihenmarkt das Ergebnis belastet haben. Keine Entspannung gibt es zudem im regulatorischen Bereich. Wie die drei wichtigsten US-Aufsichtsbehörden diese Woche beschlossen haben, müssen J. P. Morgan und andere US-Grossbanken ihre Eigenkapitalquote bis 2018 auf mindestens 5% ausbauen. Feudale Gewinnausschüttungen wie vor der Krise können SEITE 5 Investoren damit vergessen.
Repower sagt nein Dem projektierten Wasserkraftwerk Chlus spricht das Bundesamt für Energie «nationale Bedeutung» zu. Doch Repower will es angesichts der gegenwärtigen Marktbedingungen vorerst nicht bauen. SEITE 13
Gibraltar lockt Der Kleinstaat an der Südspitze Spaniens will verunsicherten Schweizer Vermögensverwaltern eine neue Heimat bieten. Unversteuerte Kundengelder sind aber auch hier nicht mehr willkommen. SEITE 15
Vorsorge getrübt Die bundesrätliche Reform der Altersvorsorge sieht weitere Transferzahlungen vor. Wer seine berufliche Vorsorge bislang selbst reichlich genährt hat, müsste nun die weniger Sparenden unterstützen. SEITE 18
Unternehmen Actelion ................... 8 Inditex.....................10 Alpiq.........................31 J. P. Morgan ....... 5, 33 Bank of America ... 5 Kudelski .................16
Basilea........................ 8 Bankia ......................33 Bravofly ..................... 1 Carrefour ...............33 Citigroup .................. 5 Clariant ...................... 7 CS Group ....5, 15, 31 Daimler ..................33 Ems-Chemie........... 7 Fast Retailing .......10 Gap ..........................10 Gategroup..............11 Givaudan .................. 7 Goldcorp.................16 Gurit .........................13 H & M .......................10 Hochdorf ................11 Holcim .....................31
Kühne + Nagel ......31 Laird ........................16 LVMH........................33 Mobilezone..........31 Nationale Suisse ... 8 Novartis...................16 Osisko Mining .....16 PubliGroupe ........11 Repower ................13 Richemont .............31 Roche .......................31 RBS ............................33 Scania .....................33 Swatch Group .......31 UBS ..................... 5, 31 Vodafone ..............33 Wells Fargo ..... 5, 33 Züblin .....................10
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1. Quelle: Man. Frühere Wertentwicklungen sind kein Indikator für die zukünftige Wertentwicklung. Der Fond ist zum Vertrieb in der Schweiz zugelassen. Der Schweizer Vertreter ist Man Investments (CH) AG, Huobstrasse 3, 8808 Pfäffikon SZ. Die Funktion der Zahlstelle in der Schweiz erfüllt RBC Dexia Investor Services Bank S.A., Zweigniederlassung Zürich, Zürich. Der Prospekt, das Key Investor Information Document (‘KIID’), die Gründungsurkunde, die Statuten sowie der Jahres- und Halbjahresbericht sind beim Schweizer Vertreter kostenlos erhältlich. Erfüllungsort und Gerichtsstand in Bezug auf Anteile, die in oder von der Schweiz aus vertrieben werden, ist Pfäffikon SZ, Schweiz. CH/14/0071-P
Finanz
Samstag, 12. April 2014 · Nr. 28
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Gibraltar buhlt um Vermögensverwalter INTERNATIONAL Der Kleinstaat an der Südspitze Spaniens will verunsicherten unabhängigen Schweizer Investmentmanagern eine neue Heimat offerieren. DOMINIK FELDGES, Gibraltar
tes, mit vielen Kollegen geteiltes Problem ist jedoch, dass auch Gibraltar keine unversteuerten Kundenvermögen mehr akzeptieren will. Mit 27 Staaten wurden bereits Abkommen zum Austausch von Steuerdaten abgeschlossen. Gibraltar bekennt sich auch zum automatischen Informationsaustausch. Vor allem am Rande der Konferenz zu reden gab die Frage, was passiert, falls sich die Mehrheit der Briten in der 2017 geplanten Referendumsabstimmung zum Austritt aus der EU entschliesst. Gibraltar, das die Aussenpolitik mit Grossbritannien teilt, wäre dann in Europa auf einen Schlag isoliert. Das heute allseits als grosser Vorteil für einheimische Finanzunternehmen propagierte Passporting würde ungültig.
D
er Frust sitzt tief. «Die Schweiz will uns unabhängige Vermögensverwalter nicht mehr haben», sagt ein Vertreter aus Zürich mit jahrelanger Erfahrung. Was tun, auswandern oder in der Schweiz ausharren? Konkurrenten des Schweizer Finanzplatzes haben das Dilemma, in dem viele der Investmentmanager stecken, erkannt. Ausser Dubai oder Singapur bemüht sich auch Gibraltar um die Gunst der gut 2000 in der Schweiz aktiven unabhängigen Vermögensverwalter. Die Regierung von Gibraltar rollte vor einer Woche einer Delegation von über fünfzig Branchenvertretern den roten Teppich aus. Sie informierte während der zweitägigen Visite, zu der auch «Finanz und Wirtschaft» eingeladen war, ausführlich über die Vorzüge des aussenpolitisch von Grossbritannien abhängigen, innenpolitisch aber autonomen Kleinstaats an der Südspitze Europas.
BILD: ROBERT HARDING/KEYSTONE
Schikanen am Zoll
«Schweiz bietet nur Peitsche» Mit der Einführung des revidierten Kollektivanlagengesetzes im März 2013 wurden erstmals sämtliche in der Schweiz aktiven Vermögensverwalter der Finanzaufsichtsbehörde Finma unterstellt. Die FinmaRegeln würden gleich schwer wie die neue EU-Richtlinie über die Verwaltung alternativer Investmentfonds (AIFMDirektive) wiegen, wurde an der Konferenz mehrfach betont. Doch die Finma offeriere nur die Peitsche, aber kein Zuckerbrot, sagte Peter Montegriffo, Partner der Anwaltskanzlei Hassans International Law Firm, die in Gibraltar eine führende Stellung hat. Gibraltar, das lediglich 30 000 Einwohner zählt (vgl. Kennzahlen), aber über eine boomende, im vergangenen Jahr fast 8% gewachsene Wirtschaft verfügt, will von der Unsicherheit und Unzufriedenheit unter vielen unabhängigen Schweizer Vermögensverwaltern profitieren. Als Haupttrumpf oder Zuckerbrot preisen Regierungsvertreter wie der Chief Minister Fabian Picardo (vgl. untenstehendes Interview) die EU-Mitgliedschaft Gibraltars an. Sie erlaubt in Gibraltar ansässigen Vermögensverwaltern via die AIFM-Richtlinie, ihre Produkte in sämtlichen 28 Mitgliedstaaten der EU zu vermarkten. Investmentmanager mit Sitz in der Schweiz geniessen dieses als Passporting bekannte Privileg nicht (vgl. Seite 16). Zwar versucht der Bundesrat durch Ge-
Der Platz in Gibraltar ist eng begrenzt, doch die Einwohner zahlen weder Kapitalgewinn- noch Vermögens- und Erbschaftssteuern.
gen ist, fügte hinzu, dass zwischen dem Antrag auf den Status eines EU-kompatiblen alternativen Investmentfonds und der Bewilligung für das Passporting nur zwanzig Tage verstreichen würden. Gibraltar, das traditionell vor allem Dienstleistungen im Tourismus und für die Schifffahrt erbracht hat, ist als Finanzplatz sei Mitte der Neunzigerjahre kontinuierlich gewachsen. Per Ende 2013 beliefen sich die in Gibraltar verwalteten Vermögen auf 7,2 Mrd. £ (10,7 Mrd. Fr.). Ausser vierzehn Banken, darunter die Schweizer Institute Credit Suisse und Lombard Odier, und mehreren Versicherern sind 27 Investmentgesellschaften und gegen 100 lizenzierte Fonds für erfahrene Anleger (sogenannte Experienced Investor Funds, EIF) von Gibraltar aus aktiv. Dank der breit gefächerten Struktur des Finanzplatzes können Vermögensverwalter auf einen grösseren Pool von qualifizierten Mitarbeitern sowie auf ein Netzwerk von Anbietern verwandter Dienstleistungen im rechtlichen und administrativen Bereich zurückgreifen. Um Investmentspezialisten in den engen, am
spräche mit der EU schon länger, für gleich lange Spiesse zu sorgen, doch können Schweizer Asset-Manager im besten Fall Ende 2015 auf ein Passporting hoffen. Wie Joey Garcia, Partner bei der Rechtskanzlei Isolas, gegenüber FuW präzisierte, müssten aber selbst dann die Regulatoren in den einzelnen EU-Mitgliedländern bestätigen, dass die Schweizer Aufsichtsregeln den europäischen ebenbürtig sind. Der Anwalt erwartet keine Welle von Domizilwechseln, rechnet aber damit, dass einzelne Schweizer Vermögensverwalter den Schritt nach Gibraltar wagen.
Passporting in zwanzig Tagen In dem nur sieben Quadratkilometer oder gut ein Fünftel des Kantons Basel-Stadt messenden Ministaat erwartet die AssetManager eine «leicht zugängliche und im geschäftlichen Umgang einfache» Aufsichtsbehörde, unterstrich die neue Leiterin der Financial Services Commission (FSC), Samantha Barrass. Die gebürtige Neuseeländerin, die erst vor zwei Monaten von London nach Gibraltar umgezo-
äussersten Rand Europas gelegenen Kleinstaat zu locken, braucht es aber mehr. Gibraltar hat auch das früh erkannt und versucht seit längerem, mit fiskalischen Anreizen Unternehmen und vermögende Privatpersonen anzuziehen. Anfang 2011 wurde die Körperschaftssteuer für sämtliche in Gibraltar ansässigen Firmen auf 10% gesenkt. Einzelpersonen mit Nettovermögen von mindestens 2 Mio. £ sowie Führungskräfte mit besonderen Fähigkeiten profitieren von Sondersteuersätzen, die die fiskalische Belastung für beide Gruppen auf knapp 30 000 £ pro Jahr begrenzen. Gibraltar kennt obendrein keine Mehrwert-, Kapitalgewinn-, Vermögens-, Erbschafts- oder Schenkungssteuer. «In Zürich zahle ich einschliesslich der nach oben unbegrenzten Beiträge an die AHV 60% Steuern», konstatiert der desillusionierte Vermögensverwalter aus der Limmatstadt. An einen Umzug nach Gibraltar will er trotzdem nicht denken. Als Negativeindrücke nennt er unter anderem den schlechten Zustand der Strassen («erinnert mich an Spanien») und das fast inexistente kulturelle Angebot. Sein gröss-
Regierungschef Fabian Picardo hegt die Hoffnung, dass Gibraltar bei Bedarf bilateral mit Brüssel über einen Verbleib in der EU verhandeln kann. Ob das Nachbarland Spanien dazu Hand bieten würde, ist indes eine andere Frage. Spanien hat bis heute nicht akzeptiert, dass Gibraltar im Vertrag von Utrecht 1707 Grossbritannien zugeschlagen wurde. Seit der Wahl der konservativen spanischen Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy Ende 2011 herrscht zwischen dem Kleinstaat und seinem übermächtigen Nachbarn beinahe Eiszeit. Auch eingefleischte Gibraltarfans bezeugen, dass sich die Schikanen bei der Ein- und Ausreise verschlimmert haben. Je nach Tages- und Wochenzeit bis zu zwei Stunden in einer Warteschlange zu verbringen, wirkt nicht nur auf vielbeschäftigte Investmentspezialisten abschreckend. Ein Genfer Vermögensverwalter, der ebenfalls der Einladung nach Gibraltar gefolgt ist, will es trotzdem versuchen. Er plant als Nächstes, ein bis zwei Wochen probeweise im Ministaat zu arbeiten, um herauszufinden, ob Gibraltar eine echte Alternative zur Schweiz ist. Kennziffern Gibraltar Bevölkerung Bewohner pro Quadrat.-km Beschäftigte BIP pro Kopf in £ 1 Inflation in % Geburten 2 Todesfälle 2 Eheschliessungen 2 Fahrzeuge 2 1
per Ende März
2
2010 29 441 4529 20 975 33 919 3,5 16,7 7,8 6,7 90,4
2011 29 752 4577 22 247 35 589 3,7 14,9 8,1 5,9 85,6
2012 30 001 4616 21 519 38 548 2,1 15,4 8,8 6,9 87,0
je 1000 Bewohner 1 £ = 1.4776 Fr.
Quelle: Statistikamt Gibraltar
«Spanien schneidet sich ins eigene Fleisch» Fabian Picardo, der Chief Minister von Gibraltar, verurteilt die Feindseligkeiten der spanischen Regierung und hofft auf den Verbleib Grossbritanniens in der EU. Gibraltar verfolgt das Ziel, sich als ein Finanzplatz erster Wahl innerhalb der EU zu positionieren. Was bietet es im Gegensatz zu London, Frankfurt oder Paris? Einer unserer Hauptvorteile ist der rasche Marktzugang. Manager alternativer Investmentfonds beispielsweise können mit einer speditiven Behandlung ihrer Gesuche für das EU-weite Passporting rechnen. Wir sind ein strenger, aber auch ein rasch mobilisierbarer Regulator.
Herr Minister, das Bruttoinlandprodukt von Gibraltar ist 2013 um 7,8% gewachsen. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Es ist nicht Aufgabe Gibraltars, anderen Ländern Nachhilfeunterricht zu erteilen. Wir haben eine kleine Volkswirtschaft, die sich einfacher als Grossbritannien, Frankreich oder Deutschland repositionieren lässt, falls etwas schiefläuft. Gibraltar ist es gelungen, Wirtschaftszweige aufzubauen, die nun sehr erfolgreich sind und wachsendes Vertrauen von Investoren geniessen. Dazu gehören der Finanzdienstleistungs- und der Versicherungsbereich wie auch der Glücksspielsektor.
Gibraltar bietet im Vergleich mit anderen EU-Standorten ausgesprochen attraktive Steuersätze sowohl für Unternehmen als auch für vermögende Privatpersonen. Wollen Sie der Schweiz Konkurrenz machen? Ich sehe hier keinen Schnee. Wir haben auch kein Öl und keinen Platz, um Orangen anzupflanzen. Insofern sind wir froh, wenn sich Leute aus steuerlichen Überlegungen bei uns ansiedeln und damit auch Dienstleistungen unseres Finanzsektors in Anspruch nehmen.
Drücken Sie in der Regulierung ein Auge zu, um Investoren anzulocken? Im Gegenteil. Investoren kommen nach Gibraltar gerade wegen der hohen Standards unserer Regulierung. Das gilt be-
BILD: KEYSTONE
Fabian Picardo leitet seit Ende 2011 die Regierungsgeschäfte von Gibraltar. Der Chief Minister, der auch der – gemässigten – lokalen sozialistischen Arbeiterpartei vorsteht, rühmt sich damit, dass Gibraltar erstmals seit dem Beitritt zur EU 1973 alle Regeln aus Brüssel erfülle. Im Gespräch äussert er sich zur Initiative, Gibraltar zu einem europäischen Finanzplatz erster Wahl zu machen, und zum verschärften Konflikt mit dem Nachbarland Spanien.
Fabian Picardo schliesst in der EU-Frage für Gibraltar einen Sonderweg nicht aus.
sonders für die Glücksspielaktivitäten im Internet. Ich verbreite gerne die Botschaft, dass wir diesen aufstrebenden Wirtschaftszweig weltweit wohl am schärfsten regulieren. Das Resultat davon ist, dass die Anzahl der hier Beschäftigten seit meiner Wahl zum Chief Minister im Dezember 2011 von 2000 auf 3175 gestiegen ist.
Das Raumangebot in Gibraltar ist eng begrenzt. Was sagen Sie Kritikern, die von klaustrophobischen Zuständen sprechen? Gibraltar hat sich in den letzten 25 bis 30 Jahren stark gemacht, was das Wohnund das Unterhaltungsangebot angeht. Ehemalige Militärzonen wurden in attraktive Wohngebiete verwandelt. Hinzu
kommt unsere günstige geografische Lage. Wir befinden uns auf dem Seeweg nur vierzehn Kilometer entfernt vom wirtschaftlich aufstrebenden Nordafrika und doch im sicheren Europa. Marbella ist eine knappe Autostunde entfernt, die Skigebiete von Granada sind in drei Stunden erreichbar.
«Wir sind froh, wenn sich Leute aus steuerlichen Überlegungen bei uns ansiedeln.» Wegen der jüngst wieder verschärften Grenzkontrollen durch Spanien verlieren Reisende teilweise viel Zeit bei der Ein- und Ausreise. Was unternehmen Sie dagegen? Ich wünsche mir, dass wir dieses Problem bald in den Griff bekommen. Spanien schneidet sich durch die Feindseligkeiten ins eigene Fleisch. Viele Leute aus Gibraltar verbringen inzwischen den Abend lieber in einem einheimischen Lokal als in einem Restaurant im benachbarten Spanien. Das kulinarische Angebot Gibraltars ist auch als Folge davon in den letzten Jahren deutlich reichhaltiger geworden.
Woran krankt das Verhältnis zwischen Gibraltar und Spanien? Die Beziehungen zwischen den Menschen aus Gibraltar und Spanien sind exzellent. Es werden weiterhin binationale Ehen geschlossen und Geschäfte zwischen Unternehmen gemacht. Etwas anderes ist das politische Verhältnis. Wir sind in die Zustände von 1997 bis 2003 zurückgefallen, als Spanien ebenfalls eine konservative Regierung hatte und mit seiner obstruktiven Politik gegenüber Gibraltar nichts erreichte. Die Bürger von Gibraltar sprachen sich damals zu 98,5% für den Verbleib im Vereinigten Königreich aus. Wir können dieses Referendum gerne wiederholen. Am Resultat wird sich nichts ändern. In Grossbritannien nimmt die Skepsis gegenüber der Europäischen Union zu. Was geschieht mit Gibraltar, falls die Briten die EU verlassen? Ich hoffe, dass diese Frage hypothetisch bleibt. Die Chefs aller drei grossen im britischen Parlament vertretenen Parteien sprechen sich für den Verbleib in der EU aus. Falls es trotzdem zum Austritt käme, bestünde für Gibraltar immer noch die Option, einen Sonderweg zu beschreiten. Ich schliesse nichts aus, obschon Spanien sich auch hier querstellen könnte. INTERVIEW: DF