Weltkunst No 156

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Das Kunstmagazin der

Seit 1927

Stoff für Ideen: wie sich Kunst und Mode beflügeln

€ 11,80 (D) SFR 20,– (CH) € 13,– (A, I, LUX, NL)

Nº156 April 2019


TITELBILD und Bild rechts: Aurore de la Morinerie/2015 Maison Margiela Couture, Series of drawings for Maison Margiela Couture, John Galliano; Bild ganz rechts: © Yves Saint Laurent/Foto: Sophie Carre

UNSER TITELBILD

Aurore de la Morinerie interpretierte 2015 den roten Hosenanzug von Martin Margiela (links). Yves Saint Laurent kreierte im Herbst 1965 für seine Haute-Couture-Kollektion Cocktailkleider im Stil von Serge Poliakoff und Piet Mondrian

Modeillustration war lange eine verkannte Gattung der Kunstgeschichte, doch mittlerweile ist sie im Museum angekommen. Völlig zu Recht, denn gute Illustratoren bilden Kleidung nicht ab, sondern übersetzen sie in ihre eigene künstlerische Sprache. Sie bilden ästhetische Kommentare zu den Kreationen der Designer, und auch wenn sie im Auftrag eines großen Modehauses entstehen, sind es autonome Kunstwerke. Unser Sammlerseminar (ab Seite 34) zeigt, wie faszinierend und bereichernd es ist, eine Kollektion von Modeillustrationen aufzubauen. Ein Genie des Genres ist die Französin Aurore de la Morinerie. In den frühen Neunzigern erregte sie erstmals Aufsehen mit ih-

ren Tuschkalligrafien, Aquarellen und Monotypien. Heute ist sie ein Star der Szene und arbeitet für die großen Modemagazine ebenso wie für Chanel, Hermès, Cartier oder Tiffany. Unser Titelbild entstand 2015 für Maison Margiela. In blutroter Aquarellfarbe lässt die Künstlerin das luftige Kleid auf dem Blatt zerfließen. Der Körper und das Gesicht des Models sind ebenfalls nur angedeutet. Alles wirkt lässig und zufällig, zugleich in traumwandlerischer Weise auf das Wesentliche konzentriert. Es ist große Kunst. Bis zum 19. Mai sind Originalzeichnungen und Aquarelle von Aurore de la Morinerie, darunter auch unser Cover-Bild, im Museo ABC in Madrid zu bewundern. Die dortige Schau

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»#Finaestampa« versammelt die besten Modeillustratoren unserer Zeit, bis hin zur jüngsten Generation, die sich mit ihren Bildern auf Instagram austobt. Überhaupt ist Mode derzeit ein Thema in den Museen, das zeigt unsere Auswahl der schönsten Fashion-Austellungen dieser Saison (Seite 54). Wer nach Paris reist, sollte die neue Sammlungspräsentation im Musée Yves Saint Laurent nicht versäumen. Zu den spektakulären Schaustücken gehören die Cocktailkleider, mit denen der große Yves Saint Laurent den Malern Serge Poliakoff und Piet Mondrian Reverenz erwies. Prägnante Beispiele für die Inspiration der Mode durch die Kunst. SEBASTIAN PREUSS


WELTKUNST N° 156

Kolumnen 12 Zeitmaschine

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Was bewegt die Kunst? Junge Designer im Museum: Funktioniert die Frischzellenkur?

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Drei Wünsche

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Hand des Meisters

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Heimliche Zwillinge Frans Hals’ »Fröhlicher Zecher« und Ronald Zehrfeld

19 Kritikerfrage Welches Kunstwerk ist eine eigene Reise wert?

98 Obrist

Die Supergraphics von Barbara Stauffacher Solomon in San Francisco

Geschichten 20

THE FASHION OF ART

Schon seit der Renaissance setzen Künstler ihre Kleidung zur Selbstinszenierung ein. Eine Typologie von der »Pionierin« bis zur »New Working Class«

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Der Stoff, aus dem die Künstler sind Frida Kahlo posierte für den Fotografen Nickolas Muray 1939 als madonnenhaftes und wild gemustertes Gesamtkunstwerk

34 SAMMLERSEMINAR Nach 1900 begannen Illustratoren, die Werke der Modeschöpfer in Zeichnungen zu übersetzen. Heute sind diese beliebte Sammelobjekte 46 LA DIORISSIMA Ein Gespräch mit Maria Grazia Chiuri, Diors Chefdesignerin, über Kunstgeschichte, das Paris um 1900 und die Welt des Zirkus 54

Von Pierre Cardin im Kunstpalast bis Camp in New York – FashionAusstellungen sind im Trend

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Am Gallery Weekend zeigt Deutschlands Kunsthauptstadt, was sie kann. Eine Tour zu den spannendsten Galerien – und den schönsten Hutläden der Stadt

WO MUSEEN MODE FEIERN

DREI TAGE IN BERLIN

16 Wunsch frei! Erhabene Blumen, ein Sitzklassiker und eine Aphrodite aus Myrina

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Lady in Red Otto Pienes Rauchbilder und barockes Goldrubin heizen die Lust der Sammler in Salzburg an

Bilder: Courtesy of Nickolas Muray Photo Archives/© Nickolas Muray Photo Archives/Aus der aktuelle Ausstellung „Frida Kahlo“ im Brooklyn Museum, New York; Kovacek, Wien; Stefan Hoederath

INHALT


Bilder: The Kenneth Paul Block Foundation/Gray M.C.A.; MCHStiftung, Sammlung Hammonds, Fulvio Zanettini/Staatliche Museen zu Berlin, Museum für Asiatische Kunst; Oliver Mark

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Agenda

Mehr als ein Entwurf Kenneth Paul Blocks kongeniale Studie eines Outfits von Bill Blass aus den 1980ern

66 KUNSTWELT

Christo im Kino, mehr Raubkunst bei Gurlitt, Macke in Münster

68 STILLE SCHÖNHEIT

Eine Schau in Florenz entdeckt Verrocchio aufs Neue

72 AUSSTELLUNGEN

Ilna Ewers-Wunderwald im Bröhan-Museum, Miriam Cahn in Bern, El Anatsui im Haus der Kunst, Farah Al Qasimi in Dubai

80 MESSEN

58 Laufsteg Berlin Zum Gallery Weekend heißt es alljährlich: Kunst sehen und gesehen werden. Wir blicken voraus

Paper Positions in Berlin, Art & Antique in Salzburg

82 KUNSTHANDEL

Die Galerie Zink eröffnet große Räume im kleinen Waldkirchen

84 STILKUNDE

Heilig-Grab-Modelle 86 SPEKTAKULÄRES ENDE

Thomas Rusche verkauft seine riesige Sammlung alter Meister und bedeutender Gegenwartskunst

90 AUKTIONEN

Bücher und Grafik bei Bassenge, 19. Jahrhundert im Dorotheum, Stahl ruft Kunst und Design auf

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Editorial

MARGIT J. MAYER Wer begreift wie sie Ästhetik als Lebens­ elixier? Wer ordnet wie sie mit so viel Kennt­ nis und Esprit heutige Tendenzen in Design und Mode in die Sozialgeschichte vergangener Jahrhunderte ein? Die gebürtige Wie­nerin und langjährige Chefredakteurin von AD und Harper’s Bazaar (re. mit Mops Arthur) ist eine Ikone im deutschen Magazinjournalis­ mus. Als Editor-at-Large für die aktuelle Mode-Ausgabe der weltkunst flog sie nach Paris, um mit der Chefdesignerin von Dior über Picasso und Handtaschen zu ­ sprechen (S. 46) – und schuf ein Lookbook der Künstlertypen (S. 20).

96 Termine 97 Impressum 97

Vorschau

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W E LT K U N S T

SAMMLER SEMINAR Nº 55

Modeillustration

Nach 1900 begannen Illustratoren, die Kreationen der Modeschöpfer in eigene Bildsprachen zu übersetzen. Das Genre erlebte Höhen und Tiefen, heute steht es in neuer Blüte. Ein reizvolles Sammelgebiet über bewegte Zeiten hinweg

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Bild links: Richard Kilroy; rechts: Gray M.C.A

VON A L E X A N DR A G ON Z Á L E Z

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Für die Modefotografie gab es zuletzt keinen Ort mehr, an dem sie sich hätte neu erfinden können. So war es nur eine Frage der Zeit, bis eine alte Rivalin wieder in Erscheinung treten würde, um mit der ihr eigenen Farbigkeit, Allure und Eleganz aktuelle Trends zu visualisieren: die Modeillustration. Nie ganz verschwunden, aber seit der Nachkriegszeit von der Fotografie aus der Vorreiterrolle gedrängt, feiert sie gerade ein erstaunliches Comeback. Keinesfalls darf man sie mit den Entwurfsskizzen der Designer verwechseln, die als Arbeitsschritte im Entstehungsprozess der Kollektionen zu verstehen sind. Die Illustration übersetzt die Kreationen in eine eigene, subjektive Bildsprache. Traditionell geschieht dies am Rande der Schauen, in Couture-Salons oder der Abgeschiedenheit des Künstlerateliers. Heute kann es auch im produktiven Irgendwo passieren, denn die Defilees werden live gestreamt. Schließlich erscheinen die Illustrationen in Modestrecken der Magazine oder Werbekampagnen der Fashionbrands, um über die neuesten Looks zu informieren, Emotionen hervorzurufen und das Kaufbegehren zu stimulieren. Blütezeit und Niedergang der Modezeichnung waren immer eng Cover-Entwurf von René Bouët-Willaumez für die amerikanische Vogue, 1937 (o.), für 10 000 Pfund bei Gray M.C.A. Richard Kilroys Jil-Sander-Zeichnung, 2010 (li.), im Victoria & Albert Museum, limitierte Drucke rangieren von 215 bis 400 Pfund

an das gedruckte Medium gebunden. Und seit Fashionblogger und Influencer ihre Botschaften über das Internet verbreiten und damit die Macht der Zeitschriften erschüttern, besinnt man sich auf die Stärke der Illustration: Dem digitalen Aufmerksamkeitsinferno trotzt sie mit Bildern, die nicht geglättet, sondern unverfälscht und originell sind. Sobald das neueste Cover der britischen Vogue auf Instagram erscheint, greift ein Flashmob zu Tuschfeder, Stift und Aquarellfarben, um selbst eigenwillige Versionen des Titelfotos zu posten. Unter #GucciGram toben sich Stars der Illustratorenszene wie Gill Button, Ignasi Monreal oder Artaksiniya an den Blumen-Prints des Hauses aus. Bei Dior hat man sich in Richard Kilroys Spiel mit dem Unvollendeten, einem Amalgam aus Fotorealismus und suggestiven Konturlinien verliebt. Und wenn Prada für die Präsentati-

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on eines Dufts François Berthoud mit einer barbarellahaften Graphic Novel beauftragt, vertraut man der Sinnlichkeit des gezeichneten Bildes eben mehr als der Fotografie. Als Speerspitze dieser Bewegung dürfen die 22 Gegenwartskünstler gelten, darunter Berthoud, Button und Kilroy, die noch bis 19. Mai in der Ausstellung »#Finaestampa« des Madrider Museo ABC präsentiert werden. Auf dottergelben Wänden paradieren Nymphen, Hipster, Blumenkinder, Traumwesen, und der Modekontext leitet als roter Faden durch das Panoptikum der Techniken und Stile, von kratzbürstiger Extravaganz bis zu farbsatter Coolness. Es herrscht Goldgräberstimmung wie in den Zwanziger- bis Sechzigerjahren, als das Genre florierte. Man fragt sich, warum niemand zuvor auf die Idee kam, mit den schwindenden Grenzen zwischen Kunst, Design und Kommerz sowie dem Er-


wachen einer neuen Hybridkultur auch der Fashionillustration von heute den Weg ins Museum zu ebnen. Liegt es am Begriff ? Illustration klingt ein wenig nach Belehrung, nach einer Idee aus zweiter Hand. Doch die Künstler erlauben sich eigenständige, freie Interpretationen zu den Looks der Saison. Zeichnungen erfassen wie Haikus den Zauber des Moments. Auf einem guten Blatt teilt sich die Essenz des Kleidungsstücks unmittelbar mit. Es besticht durch das, was nicht gezeigt wird und dennoch vorhanden ist. Die künstlerisch anspruchsvollen Illustrationen haben als autonome Kunstwerke überlebt, weil sie stärker sind als der Zeitgeist, den sie abbilden. Das macht dieses lange vernachlässigte Gebiet für den Sammler so reizvoll. »Als künstlerische Interpretation des Stils einer Zeit«, schreibt uns Adelheid Rasche, Sammlungsleiterin für Textilien am Germanischen Nationalmuseum in Nürn-

berg, »kann die Illustration sogar besser als Kleidung Stimmungen, Körperbilder, typische Posen und gesellschaftliche Kontexte darstellen«. Sie hat noch mehr zu bieten: Glamour, budgetschonende Preise, die Aura der Handzeichnung. Wir konzentrieren uns hier auf Originale und Monotypien mit Unikatcharakter. Für die kolorierten, in hoher Zahl reproduzierten Modetafeln aus den Zeitschriften gelten andere Marktgesetze. Begehrte Cover-Entwürfe Die kommerzielle Modeillustration ist so alt wie die ersten Modejournale aus dem 18. Jahrhundert. Noch im ausgehenden 19. Jahrhundert besaß sie das dokumentarische Flair einer technischen Zeichnung. Alles änderte sich mit Paul Poiret. Als der erste Couturier 1908 und 1911 in den vielbeachteten Alben »Les robes de Paul Poiret racontées par Paul Iribe« beziehungsweise »Les choses de Paul

Poiret vues par Georges Lepape« Mode und Kunst kurzschloss, war der Blick auf eine neue Generation von Grafikern gelenkt. In einer Fülle von Magazinen, die das prosperierende Bürgertum in Luxus und Lebensart schulten, war die 1912 gegründete Pariser Gazette du Bon Ton die Stilbibel. Auf schwerem, handgeschöpftem Papier wurden die oft aufwendig kolorierten Modebilder wie Kunstwerke präsentiert. Die Zeichner, darunter Léon Bakst, Pierre Brissaud, Bernard Boutet de Monvel, André-Édouard Marty huldigten den Fauves ebenso wie persischen und indischen Miniaturen. Zudem beherrschten sie bestes Storytelling: Auf jeder Abbildung ist eine Dame in eine Szenerie eingebettet, die den Anlass zum vorgeführten Kleid preisgibt, darunter eine knappe Textzeile. »Sagen Sie nichts ...«, legt etwa George Barbier der Beauté im Nachmittagskleid von Paquin in den Mund, während ihr ein Arm einen Briefumschlag durch das Balkongitter reicht. Georges Lepape, Poirets Entdeckung, glänzte in der Gazette als Primus inter pares. Seine märchenhaft gestimmte Welt war mit giraffenhaft gelängten Couture-Prinzessinnen bevölkert und sollte Dekaden später Karl Lagerfelds Sammlerherz im Sturm erobern. Der amerikanische Verleger Condé Montrose Nast lotste Lepape schließlich zur Vogue. Von 1916 bis 1939 entwarf er dort 114 Titelseiten. Heute erzielen seine Cover-Entwürfe Rekordpreise, so wurde die Originalzeichnung »Le Miroir« für die US-November-Ausgabe von 1927 bei Swann 2016 mit Aufgeld für 52 500 Dollar versteigert. Aber auch diesen Namen aus dem goldenen Zeitalter sollte man sich merken: Erté! Mehr als 240 Cover für Harper’s Bazaar, psychedelische Farben, akribische Details wie getupfte Schneeflocken oder Perlenkaskaden auf den Roben. Schönheiten mit Puppengesichtern, die sich katzenhaft vor Opernkulissen strecken. Nie sah Art-déco-Grafik spektakulärer aus. Im Berlin der Zwanziger weckte ein üppiges Angebot an luxuriösen Modejournalen, etwa Die Dame oder Styl, die Begehrlichkeiten. »Es gibt hier höchst spannende Grafikerinnen und Grafiker mit unterschiedlicher Stilistik, vom Malerischen bis zum Bauhausstil, vom Humor bis zur Gesellschaftskritik«, weiß Adelheid Rasche. »Diese meist vergessenen Künstler, darunter viele Frauen wie etwa Gerda Bunzel, Petra Fiedler, Helen Ernst sind heute noch wiederzuentdecken.« Zwei Furios zeichnete Antonio 1975 den selbst entworfenen Mantel (li.) für ein japanisches Magazin, Zuschlag 1000 Dollar bei Stair. Rechts: Mats Gustafson ließ 2015 ein Kleid von Alexander McQueen in Aquarell zerfließen, verkauft von CF Hill in Stockholm

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Bild links: Courtesy of the Estate of Antonio Lopez and Juan Ramos; rechts: CFHill Art Space, Stockholm

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Bilder: Erté/Grosvenor Gallery, London/VG Bild-Kunst, Bonn 2019; François Berthoud; Dodo/Kunkel Fine Art/VG Bild-Kunst, Bonn 2019; Courtesy of Swann Auction Galleries/VG Bild-Kunst, Bonn 2019; Gray M.C.A./The Kenneth Paul Block Foundation; rechts: Artaksiniya

S A M M L E R SE M I N A R junge Talente stiegen wie Leuchtfeuer aus der Masse auf: Dodo und Jeanne Mammen. Zunächst fassten sie in Berlins aufblühender Modeindustrie als Grafikerinnen Fuß, doch bald machten sie sich mit scharfen Gesellschaftsstudien für die Satireblätter Ulk und Simplicissimus einen Namen. Den Bezug zur Mode verloren sie nie. Sie zelebrierten ein urbanes Lebensgefühl und den neuen androgynen Frauentypus. »Das war damals schon aufregend, heute ist es vor dem Hintergrund der Gender Fluidity hochaktuell«, erklärt der Münchner Kunsthändler Alexander Kunkel und zeigt uns Dodos Zeitgeist-Gouachen. Ihre pelzverbrämten Mäntel tragen die Dodo-Girls auf dem roten Teppich so selbstverständlich wie am Strand: nicht nur als Vehikel der Koketterie, sondern als Schutzpanzer gegen die frostige Stimmung zwischen den Geschlechtern. Dodos und Mammens Zeichnungen sind viel tiefschürfender als es ihr kommerzieller Zweck verlangt hätte. Von der Fotografie verdrängt Ab 1930 entwarf Carl »Eric« Erickson Titelseiten für die Vogue und leitete eine Abkehr von der überfeinerten Grafik und den hyperstilisierten Frauendarstellungen seiner Vorgänger ein. Die Modeillustration entspannte sich und betrat auf Pferderennbahnen oder in Nachtclubs das Terrain der Bildreportage. Es dominierte ein lebhafter, freier, urwüchsiger Pinselstrich, und durch Erics expressionistischen Stil schimmerten Einflüsse von Matisse und Kees van Dongen. Die Kollegen Christian Bérard und René Bouët-Willaumez betörten ebenfalls mit locker hingeworfenen Aquarellskizzen. Unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise propagierten Pariser Zeitschriften wie Femina, Marie Claire oder L’Officiel einen neuen Realismus. Marcel Vertès und Tom Keogh zeichneten jetzt Frauen mit Kurven und sichtbarer Knochenstruktur, im ungezwungenen Habitus selbstgewisser Weiblichkeit. Als Gesellschaftsporträtist und Mitarbeiter der amerikanischen Vogue schwebte René Bouché auf Wolken. Nach dem Krieg reiste er an die Seine und übersetzte mit pointierter Linienführung das Beste aus den französischen Haute-Couture-Schauen. Doch ein Deutscher, Gerd Laufsteg der Illustratoren: 1 Erté, NerzCape, 1921, 7500 Pfund, Grosvenor Gallery 2 François Berthoud, Versace-Weste, 2013, 9500 Euro beim Künstler 3 Kenneth Paul Block, Schuh von Manolo Blahnik, 1980er, 6000 Pfund bei Gray M.C.A 4 Georges Lepapes Vogue-Cover von 1927 erzielte 2016 bei Swann 52 500 Dollar 5 Dodo, »Glamourous«, um 1926, 22 000 Euro bei Kunkel. Rechts: Artaksiniya für Réel Shanghai, 2014

Grimm, bewegte sich mit federleichter Eleganz auf dem internationalen Parkett. Zeitgleich übernahm die Fotografie das Zepter; bereits 1932 hatte Edward Steichen das erste Vogue-Cover in Farbe geschossen, mit großem Erfolg. Die Zukunft gehörte der Fotografie, obwohl sie die Mode noch mit steifer Förmlichkeit präsentierte. Mögen die Blätter der Meister-Illustratoren vor Emotionalität, Esprit und Individualität bersten, sie verschwanden allmählich von der Bildfläche. »Auch wenn ein passables Foto besser ist als eine passable Zeichnung, so wird eine gute Zeichnung doch immer den Vorrang vor einer guten Fotografie haben«, tröstete sich René Gruau, der berühmteste Modegrafiker des 20. Jahrhunderts. Diors »New Look«, die schwingenden Tellerröcke, Wespentaillen, schmalen Schultern: Das schlug 1947 ein wie ein Blitz, und Gruau, Diors Komplize, illu-

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mininierte die Werbeflächen und Editorials der Magazine. Eine Zeit fand ihren Künstler! Gruaus Fashion-Paraphrasen traumwandeln zwischen japanischem Farbholzschnitt, den Plakaten Toulouse-Lautrecs und dem Comic. Die Andeutung durch getuschte Konturen trieb er auf die Spitze. Lange Handschuhe, große Hüte, feurig rote Kussmünder, blasierte Blicke aus schräg gestellten Augen. Frauenkörper als Hohlformen, umschrieben von überschwänglichen Pinselstrichen. Den Rest erledigt das Kino im Kopf. Bis in die Neunziger blieb das Haus Dior dem 1909 geborenen Schlüsselkünstler treu. 2004 starb Gruau. Obwohl es ihm möglich war, über so lange Zeit relevant zu bleiben, wurden Gruaus Arbeiten erst spät für den Kunstmarkt entdeckt. Inzwischen zahlen Kenner auf Auktionen bis zu 70 000 Euro für seine Werke. Doch trotz einiger preislicher Highlights



Bild links: Christian Bérard/Christie’s Images Ltd. 2014/VG Bild-Kunst, Bonn 2019; rechts: Galerie d’Art Alexis Pentcheff, Marseille/© Société René Gruau

S A M M L E R SE M I N A R ist die Modeillustration ein Mauerblümchen des Handels. Lange war Joëlle Chariaus 1980 eröffnete Galerie in den Münchner Hofgartenarkaden die einzige relevante Adresse für das Nischenprodukt. Die Französin bewegte Gruau erst dazu, seine Originale aus den verborgenen Winkeln verschiedener Wohnsitze zu kramen. »Er hat sich für die Vermarktung seines Werks nie interessiert, weil er immerzu mit Neuem beschäftigt war«, erinnert sich Chariau an den Weggefährten bei einem Tee in ihrer Wohnung über der ehemaligen Galerie. Eigenhändig habe sie das Genre dem Vergessen entrissen, jedoch mit strengem Blick für Qualität, erzählt sie stolz. Vieles, was in einer Magazinstrecke toll aussehe, habe als Einzelblatt nicht genug Eigenleben. Profane Dinge als serielle Wiederholung toll aussehen zu lassen, darauf verstand sich niemand so gut wie Andy Warhol. Mit Zeichnungen schicker Pantöffelchen, Pumps, Stiefeletten legte er 1949 in New York den Grundstein für eine Weltkarriere. Zunächst für die Zeitschrift Glamour, später als ChefWerbegrafiker der I. Miller Shoe Company lebte er seine Schuh-Obsession aus, die 1956 in der »Golden Slipper Show« der Bodley Gallery gipfelte. Warhol löste ein Massenprodukt aus dem Konsumkontext und machte seinen Anspruch auf Kunststatus geltend. Es wurde sein künstlerischer Durchbruch. Nun griff er nach der Krone des Pop. Schon als Werbegrafiker entwickelte Warhol die Kopiertechnik der »blotted line«, ein Monotypie-Verfahren mit hohem Wiedererkennungswert, an dessen Ende die Vorlage fast vollständig verschwindet und eine wie abgetupfte, zart durchbrochene filigrane Konturlinie übrig bleibt. In seinem Masterplan, als Urheber aus dem kreativen Prozess zu verschwinden, war das Blotting ein erster, wichtiger Schritt. Warhol und andere Fixsterne der bildenden Kunst wie Fortunato Depero, Raoul Dufy, Sonia Delaunay, Jean Cocteau, Dalí haben mit ihren Modeillustrationen systematisch die Grenzen zwischen den Disziplinen verwischt – und seien es die zwischen Kunst und Kommerz. Ab den Sechzigern befand sich das Metier in der Duldungsstarre. Nur in New York regte sich in den Seventies eine frische Brise. Mit der geradlinigen Modernität ihres Ready-to-wear fütterten die Designer Bill Blass, Oscar de la Renta und Halston die nächste Illustratorengeneration. Ihre Plattform war René Gruau zauberte 1985 in Gouache und Tusche für die Zeitschrift International Textiles, verkauft bei Pentcheff, wo Blätter für 5000 bis 50 000 Euro zu haben sind. Links: Christian Bérards Skizze stieg 2014 bei Christie’s Paris von 600 auf 4400 Euro

das maßgebliche Branchenblatt Women’s Wear Daily. Erstmals wurden die Grafiker konsequent namentlich genannt, darunter Robert Passantino, Joel Resnicoff, Pedro Barrios und der herausragende Kenneth Paul Block, ein Chronist des New Yorker Hedonismus, den man in den Bars nie ohne sein Skizzenheft hinter einem Martini-Glas sah. Seine Figuren haben den Groove von Showgirls. Block lieferte präzise Bewegungsstudien wie für einen Zeichentrickfilm. Neue Freiheiten Schließlich küsste ein Derwisch mit rauschhaftem Strich und heißen Posen das Genre wach. Antonio, der junge Puerto-Ricaner aus East Harlem, führte die Modezeichnung ins Reich der Fantasie. So weit enfernt von jeglichem Realismus, derart kreativ enthemmt, dass sich Designer wie Karl Lagerfeld oder Yves Saint Laurent gerne von Antonios Apotheosen der multikulturellen Disco-Ära inspirieren ließen. Ein wahres Feuerwerk unbekannter Bilder aus dem Nachlass ist auf Instagram zu erleben (the_antonio_archives).

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Regelmäßig arbeitete Antonio für Vogue oder Harper’s Bazaar, natürlich für Warhols Interview, gestaltete Kampagnen für YSL, Valentino, Versace und landete in Mailand beim Avantgarde-Magazin Vanity. 1987 starb Antonio mit 44 Jahren an Aids. Mit dieser Krankheit, die sich in der Fashionszene zur Pandemie ausweitete, änderte sich in den Neunzigern das Verständnis von Sexualität und Körper radikal. Das ließ die Designer nicht unberührt. Der Körper ging verloren, verschwand hinter Giorgio Armanis fluiden Silhouetten, den verkopften Konzepten Martin Margielas, oder er versteckte sich hinter den bizarren Masken und Rüstungen von Alexander McQueen. Parallel zu diesem Stilwandel hat sich in der Modeillustration ein Knoten gelöst. Nie war sie freier, abstrakter, künstlerischer. Jetzt verliert sie sogar das Illustrative. Geisterhaft verschwimmen die Frauen auf den Monotypien der Französin Aurore de la Morinerie oder den zarten Aquarellen von Mats Gustafson. Alle Details der Kleidung, die sie tragen, haben sich in Luft aufgelöst. Gustafson trat als


Hauskünstler bei Dior in Gruaus Fußstapfen, doch während der Klassiker immer an der Oberfläche blieb, kann man sich bei dem Schweden, Jahrgang 1951, in vielschichtige Lavuren unendlich vertiefen. Unter den Vertretern dieser Zunft ist François Berthoud der Alchemist. In einem Münchner Café bringt er uns seine Philosophie näher. Seine stilprägenden, expressiven Arbeiten für Vanity haben den Schweizer international bekannt gemacht. Er beherrscht eine Vielfalt raffinierter druckgrafischer Techniken, markante Holz- oder Linolschnitte, Lack-Drippings, er manipuliert, decodiert, präzisiert, bis er zur Kernaussage vorgedrungen ist. »Ich habe einen eigenen Weg gefunden, Dinge wegzunehmen, nur das Wesentliche zu bewahren.« Vom Körper bleiben manchmal bloß die Beine oder ein Torso zurück, so betont Berthoud seine Zeichenhaftigkeit. Ob er bestimmte Designer favorisiert? »Jean-Paul Gaultier in den Achtzigern war perfekt! Ironisch, sexy und kontrovers. Damit konnte ich gut arbeiten.« Um sich eine Vorstellung von Berthouds reaktionsfreudiger Ästhetik zu machen, muss man sich eine Versace-Pelzweste als Pflanze ausmalen, deren haarige, absinthgrüne Tentakel ein Mark aus Goldnuggets umschließt. Instaglamour unter #GucciGram: Ignasi Monreal übersetzte 2018 im Gucci-Auftrag die Kollektion in surreale iPad-Malerei

Berthoud bedauert, dass sich bis heute kein breiter Sammlermarkt entwickelt hat. Es fehle eine klare, zutreffende Bezeichnung. Begriffe wie Skizze, Figurine, Croquis, selbst Illustration brächten das Metier nicht auf den Punkt. »Modezeichnungen wurden immer als kommerziell verschmäht. Gebrauchsgrafik, die sich erledigt hatte, sobald der Job getan, das Bild gedruckt war«, beschreibt Connie Gray, die in Bath eine der wenigen Fachgalerien führt, das Dilemma. »Wir wollen diese unterschätzte Kunstform aus der Defensive holen.« Viel zu lange wurden die in den Zeitschriften veröffentlichten Originalzeichnungen achtlos behandelt, weggeworfen oder an Mitarbeiter verschenkt. Oder sie verblieben bis heute in den Verlagsarchiven wie dem von Condé Nast. Moderate Preise Gewiss mangelt es an spezialisierten Händlern und Auktionen. Man muss bereit sein, sich auf allen Kanälen umzusehen und auf Trüffelsuche zu gehen, doch am Ende wird man mit einer grandiosen Zeitkapsel zu einem bislang vernünftigen Preis belohnt. Antizyklisches Sammeln, noch ist es möglich. »Seit zehn Jahren steigt allerdings das Niveau«, beobachtet Connie Gray. Die Zeiten, als Enthusiasten bei Beträgen von 100 oder 200 Dollar selbst für Spitzenblätter in Kaufrausch gerieten, sind vorbei. Natürlich hängt der Marktwert vom Bekanntheitsgrad des je-

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weiligen Künstlers ab. Eine Originalzeichnung von Kenneth Paul Block gibt es ab 1700 Euro, Antonios Unikate kosten zwischen 3000 und 20 000 Euro, das Top-Level für Bouché und Eric liegt bei 7000 Euro. Sogar Lepapes Blätter rangieren im unteren vierstelligen Bereich, sofern es sich nicht um ein VogueCover handelt. Was gilt es bezüglich der Konservierung zu beachten? »Modeillustrationen sind zumeist Arbeiten auf Papier, insofern alles, was auch für Grafik im Allgemeinen gilt: Lichtschutz, geregelte Temperatur, kurze Ausstellungszeiten«, rät die erfahrene Kustodin Adelheid Rasche und erwähnt Probleme mit Zeichnungen der Sechzigerjahre, die mit Filzstiften ausgeführt waren: Die Farben verbleichen selbst bei dunkler Lagerung. Ähnlich schwierig seien Collagen wegen der verwendeten Klebstoffe und Arbeiten, für die Letraset-Folien benutzt wurden. Doch haben es diese Schätze, die so lange verkannt und verborgen gelagert wurden, nicht verdient, ins beste Licht gerückt zu werden? Joëlle Chariau jedenfalls präsentiert ihre verbliebenen Lieblinge mit französischer Nonchalance. Dicke alte Bodendielen aus Burgund ließ sie als Boards an der Wand befestigen. Darauf die Blätter von Bérard, Antonio, Pierre Le-Tan, Gruau, Aurore de la Morinerie in unterschiedlichen historischen Rahmen, locker angelehnt. Ein wahres Defilee der Modeschönheit. ×

Bild: Ignasi Monreal/Courtesy Gucci

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Das Musée d’Art moderne de la Ville de Paris zu Gast in der Kunsthalle Würth Schwäbisch Hall 15. 4. – 15. 9. 2019 Täglich 10 – 18 Uhr Eintritt frei

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Gut zu wissen GLOSSAR

SCHAUEN

Cover

Bislang existiert kein einziges Museum, das sich ausschließlich der Modeillustration widmet. Noch, denn die ehemalige Galeristin Joëlle Chariau hat an den Verkauf ihrer Kollektion eine Bedingung geknüpft: Der neue Besitzer Kiyoshi Yasuno ist verpflichtet, für die 600 Zeichnungen und das große Achiv in Japan ein Museum zu bauen. Manche Häuser pflegen seit Langem die Gattung innerhalb ihrer grafischen Sammlungen. Etwa das Victoria & Albert Museum in London, das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg oder die Von-Parish-Kostümbibliothek im Münchner Stadtmuseum. Weltweit an vorderster Stelle rangiert die Lipperheidesche Kostümbibliothek in der Berliner Kunstbibliothek. Die einzigartige Sammlung beherbergt sowohl historische wie zeitgenössische Zeitschriften, aber auch Modekupferstiche bis um 1890 und zahllose bedeutende Zeichnungen der Moderne, darunter ein üppiger Bestand an Originalen für das Berliner Journal Die Dame. Auch einige Nachlässe von Modeillustratoren werden hier verwahrt. In Paris besitzt das Palais Galliera eine vorzügliche Sammlung vor allem französischer Künstler, darunter Iribe, Lepape, Gruau, Bérard, Bouët-Willaumez und viele andere. Nach Beendigung der Umbauarbeiten öffnet das Museum Ende dieses Jahres wieder mit doppelter Ausstellungsfläche. Einen Blick auf die gesamte Bandbreite von Antonios Schaffen bietet das Museo del Barrio in New York. Ebenfalls in Manhattan angesiedelt ist die Francis Neady Collection des Fashion Institute of Technology. Diese Sammlung umfasst rund 300 Illustrationen von mehr als 50 Künstlern wie Eric, René Bouché, Ruben Toledo und Mats Gustafson.

Wichtigstes Verkaufsargument jedes Magazins. Im goldenen Zeitalter der Modeillustration (bis ihr die Fotografie das Heft aus der Hand nahm) wurden die Titelseiten von Vogue und Harper’s Bazaar von den besten Künstlern wie Georges Lepape, Erté, Eric oder René Bouché gestaltet. Coverentwürfe dieser Meister erzielen auf Auktionen Rekordpreise.

Croquis

Entwurfszeichnung des Modedesigners, die am Anfang jeder Kollektion steht. Basis ist meist die Skizze einer Figur, auf der die erste Couture-Idee wie auf einer weißen Leinwand Gestalt annimmt. Auch verwendet als Fachausdruck für eine technische Zeichnung, die exakte Informationen parat hält, um eine Kollektion herzustellen, etwa zu den Seitensäumen.

Das Modemuseum der Stadt Paris im Palais Galliera besitzt eine exzellente Sammlung französischer Illustratoren. Ende 2019 wird es wiedereröffnet

Gazette du Bon Ton

Tonangebendes Pariser Modejournal, von 1912 bis 1925 von Lucien Vogel, dem späteren Vogue-Art-Director, verlegt. Prächtig aufgemacht, witzig und voller geistreicher Artikel zu allen Lebenslagen der Bourgeoisie. In jeder Ausgabe waren Modetafeln im PochoirDruck eingelegt, die für CoutureHäuser warben oder Kleiderfantasien der Illustrationskünstler selbst präsentierten.

Lack-Dripping

Experimentelle Drucktechnik, bei der dicker Lack etwa auf eine Acetatplatte getropft oder gegossen wird, ohne diesen mit dem Pinsel weiterzubearbeiten. Die Linien und Formen entziehen sich weitgehend der Kontrolle des Künstlers, was zu aufregenden Resultaten führt.

Monotypie

Das Aquarell von Carl »Eric« Erickson für die US-Vogue, 1930er-Jahre, kostet bei Gray M.C.A 2500 Pfund

Druckgrafik, die durch Malen oder Zeichnen auf einer Glas-, Acryloder Metallplatte entsteht. Das Bild wird entweder durch manuellen Druck oder eine Druckpresse auf ein Trägerpapier übertragen. Nach

dem ersten Andruck verschwindet ein Großteil der Farbe von der Oberfläche. Der Rest reicht meist nicht für einen weiteren Abzug, daher ist jedes Bild ein Unikat.

Pochoir-Druck

Das aufwendige Druckverfahren ermöglichte die lebhaften, extravaganten Farben in den Lifestylejournalen des Art déco. Mit Hilfe von Schablonen wurden einzelne Farbschichten per Hand auf den Bildträger gebracht. Zuweilen waren bis zu 40 Schablonen nötig, um das Original des Künstlers zu drucken. Lose Pochoir-Bilder haben durchaus ihren Liebhaberwert.

Vanity

Das legendäre Mailänder Avantgarde-Magazin, Anfang 1982 von der Exzentrikerin Anna Piaggi bei Condé Nast ins Leben gerufen, gab der zur Ader gelassenen Modeillustration ihre Daseinsberechtigung zurück. Vor allem Antonio und nach dessen frühem Tod François Berthoud prägten die Bildsprache der Style-Zeitschrift. Die letzte Ausgabe erschien im Oktober 1989.

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Bilder links: Joe deSousa/Wikimedia; Gray M.C.A; rechts: Bukowski, Stockholm

Was bedeutet Pochoir-Druck, warum haben Monotypien Unikat-Charakter? Wo kann man Originalzeichnungen der Modeillustration kaufen? Unsere Übersicht gibt Auskunft


S A M M L E R SE M I N A R

KAUFEN Mehr als dreißig Jahre war die Galerie Bartsch & Chariau in München das Epizentrum der Modeillustration. Beerbt wurde Joëlle Chariau von Connie Gray, auch als unermüdliche Fürsprecherin. Im englischen Bath betreibt sie die Galerie Gray M.C.A und kuratiert regelmäßig Ausstellungen in London und New York. Gray hat sich auf Zeichnungen von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart spezialisiert, u.a. vertritt sie den Nachlass von Antonio. Die Londoner Fashion Illustration Gallery offeriert Unikate Sowie Drucke in kleiner Auflage von Gegenwartskünstlern wie Richard Kilroy. Eine hervorragende Auswahl von René Gruau bietet die Galerie Alexis Pentcheff in Marseille. Maßgeblicher Ansprechpartner für den epochalen Illustrator ist die Societé René Gruau (contact@ renégruau.paris). Mit Dodo hat sich Kunkel Fine Art in München profiliert. Einige Stars der heutigen Szene werden von Kunstgalerien

repräsentiert, etwa Gill Button von James Freeman in London, bei anderen wie Mats Gustafson muss man über ihre Agenturen den Kontakt aufnehmen. Aurore de la Morinerie, François Berthoud, Richard Kilroy, Ignasi Monreal, Artaksiniya und viele andere jüngere Illustratoren vermarkten ihre Werke auch selbst. Ein Blick auf die Webseiten lohnt sich immer.

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BIETEN Regelmäßige Spezialauktionen für Modegrafik gibt es bisher nicht. Einen expliziten Schwerpunkt auf »Illustration Art« und Originalentwürfe für Magazin-Cover bietet Swann in New York. Stair in Hudson (Upstate New York) hat 2018 Antonio sogar eine eigene Auktion gewidmet, aber auch für Kenneth Paul Block kann man hier fündig werden. Sammler von Jeanne Mammen gehen bei Bassenge und Grisebach in Berlin auf die Pirsch. Ketterer in München hat sich als Adresse für Arbeiten von Dodo etabliert, doch zuweilen

Die Chanel-Robe, Pastell mit Collage von Mats Gustafson, 1980er, brachte bei Bukowskis mit Aufgeld 2600 Euro

tauchen ihre Gouachen auch in britischen Auktionshäusern wie Woolley & Wallis in Salisbury auf. Zweimal jährlich versteigert Cambi in Genua »The Masters of Comics and Illustrations«; da ist einiges zu entdecken. In Paris sollte man vor allem Artcurial und Ader verfolgen, hier kommen immer wieder kostbare Originale zum Aufruf.

Ein populärwissenschaftliches Standardwerk ist Cally Blackmans Buch »Modezeichnungen« (2009). Sie resümiert 100 Jahre Modegrafik, garniert mit 400 kommentierten Bildern. David Downton, selbst Illustrator, trifft in »Meister der Modezeichnung« (2010) eine subjektive, aber bestechende und sehr gut recherchierte Auswahl. Seine Götter heißen Erté, Vertès, Warhol, Antonio. Den opulenten, mit klugen Essays versehenen Band »Bilder der Mode« (2011) hat Joëlle Chariau zur Museumstournee ihrer Sammlung herausgegeben. Das Porträt einer Epoche entwirft Adelheid Rasche in »Pailletten, Posen, Puderdosen. Modezeichnungen und Objekte der Zwanzigerjahre« (2009). Zudem ist sie Ko-Autorin der Monografie »Dodo. Leben und Werk 1907–1998« (2012). Auch die Bildbände »Dior by Mats Gustafson« (2017) und »François Berthoud Studio. Die Kunst der Modeillustration« (2011) sollten in keiner Sammlerbibliothek fehlen.

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