Die Wirtschaft_12/2020

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Fest oder Alltag?

Mittelstand vor demAus?

VW in Osnabrück

So hat sich die Kaffeetafel mit der Zeit verändert.

Reeder an der Ems malen ein düsteres Bild der Zukunft.

Interview mit Standort-Chef Jörn Hasenfuß – so soll es weitergehen.

Leben & Leidenschaft – Seite 23

Wasser & Wirtschaft – Seite 20

Geld & Geschäft – Seite 9

K Z ACer da iss

www.maler-schulte.de DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020 AUSGABE 06/20 | EINZELPREIS 1,90 €

OSNABRÜCK | EMSLAND | GRAFSCHAFT BENTHEIM

Volle Kraft voraus – oder?

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Von Meyer Werft bis zu Reedern und Wasserwegen: Maritime Wirtschaft ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor Schifffahrt ist das Rückgrat des Außenhandels.

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20006

In dieser Ausgabe:

STANDORTPORTRÄT SAMTGEMEINDE HERZLAKE

W&H geht mit neuem Vorstand ins Jahr 2021

Die Finanzkrise belastet die Branche bis heute.

Neues Jahr, neuer Vorstand: Zum 1. Januar wird Peter Steinbeck, geschäftsführender Gesellschafter und bislang Vertriebsvorstand bei Windmöller & Hölscher (W&H), die Nachfolge von Vorstandsvorsitzendem Jürgen Vutz antreten. Vutz wechselt in den Aufsichtsrat des Lengericher Maschinenbauers. Steinbeck ist bereits seit 1999 im Vorstand des Familienunternehmens. Das Unternehmen sieht in der Entscheidung eine Gewährleistung in der Führung des Unternehmens, das im vergangenen Jahr 150 Jahre alt geworden ist. Der Wechsel sei langfristig vorbereitet worden, unter anderem mit der Berufung von Falco Paepenmüller aus der eigenen Führungsmannschaft 2019 und der Komplettierung des Vorstandes mit Martin Schulteis Mitte dieses Jahres. Auch strategisch werde der eingeschlagene Weg weiter fortgeführt. „Wir verfolgen eine langfristige Unternehmensstrategie, die weiter Bestand hat. Dazu gehören ein starker Hauptsitz mit Fokus auf Technologie in Lengerich, ein leistungsfähiges Komponentenwerk in Tschechien und unsere weltweiten Töchter als regionale Ansprechpartner nah beim Kunden“, so Peter Steinbeck. Er freue sich auf die erweiterten Aufgaben. nika LENGERICH

Gibt es eine Zukunft für mittelständische Reeder? VON NINA KALLMEIER Ohne Schiffe keine Waren: Rund 90 Prozent der Güter weltweit werden auf dem Wasserweg transportiert. „Man muss ehrlich sagen: Ohne die maritime Wirtschaft ginge es nicht, sie ist das Rückgrat des Warenhandels“, sagt selbst Sönke Diesener, Verkehrsreferent beim Umweltverband Nabu. Und gerade für Niedersachsen als Küstenland spielt laut Wirtschaftsminister Bernd Althusmann die Reederwirtschaft als elementarer Bestandteil logistischer Ketten des Welthandels und der Infrastruktur eine entscheidende Rolle. „Sie ist maßgeblich für die wirtschaftliche Entwicklung. Niedersachsen ist mit 115 Schifffahrtsunternehmen und etwa 750 Schiffen einer der größten Reedereistandorte Deutschlands“, betont Althusmann. Und doch steht die Branche, die laut jüngster Reeder-Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) die erste Corona-Welle gut überstanden hat, vor großen Herausforderungen – nicht erst seit der Pandemie. „Seit der Lehman-BrotherPleite mit all ihren Folgen ist die Schifffahrt nicht zur Ruhe gekommen“, sagt Bernd Sibum, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Harener Reeder – familiengeführte Betriebe an der Ems, die zwischen zwei und mehr als 40 kleine bis mittelgroße Container-, Multipurposeoder Schwergutschiffe bereedern. „Bis heute ist der Schiffsmarkt unter Druck, da die Banken die Schiffe zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen haben“, kritisiert Sibum. Und auch die Frachtraten seien in den vergangenen Jahren schlecht gewesen. „Das hat sich durch die Corona-Pandemie sogar noch einmal verstärkt.“ Und laut PwC-Studie geht etwa jeder siebte Reeder davon aus, dass die Frachtraten in den kommenden Monaten weiter sinken werden. „Wer es geschafft hat, seine Schiffe teilweise zu retten, der ist optimistisch, dass es wieder aufwärts geht. Aber wir laufen in eine ungewisse Zukunft“, zeichnet Sibum ein düsteres Bild für die mittelständische Reederei. Es sind jedoch nicht nur die Reeder, die die maritime Wirtschaft in Niedersachsen stützen, sie beauftragen die Werften, wie Sibum betont. Laut Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) haben deutsche Werften ab 50 Beschäftigten im Binnen- und Seeschiffbau im vergangenen Jahr zuletzt einen Umsatz in Höhe von 5,7 Milliarden Euro erwirtschaftet. Alleine sie be-

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OSNABRÜCK/HANNOVER

schäftigten im Jahresschnitt 20 335 Mitarbeiter – hinzu kommen Zulieferbetriebe (12,8 Milliarden Euro Umsatz) und all jene, die indirekt vom Schiffbau in Deutschland profitieren. Alleine am Bau eines Kreuzfahrtschiffes sind insgesamt 25 000 Menschen und 750 Firmen beteiligt, wie Meyer-WerftChef Bernard Meyer erst jüngst im Interview betonte. Doch das bedeutet auch: Die durch die Corona-Pandemie ausgelöste Krise in der Kreuzfahrtbranche, wenn die Meyer Werft ihre Aufträge streckt, trifft auch die Zulieferer hart. Wie es aktuell ist, für die

„Unsere Schiffe nachzurüsten können wir uns wirtschaftlich zurzeit nicht leisten.“ Bernd Sibum, Vorsitzender Interessengemeinschaft Harener Reeder

OZ e: N g ta on ,M e d . ox rb lou o e: C tiv Mo

die Werft aus Papenburg und die MV-Werften in Mecklenburg Vorpommern zu arbeiten, berichtet ein Zulieferer aus dem Emsland in dieser Ausgabe. Neben den produzierenden Unternehmen sind auch die Seeund Binnenhäfen ein Wirtschaftsfaktor in der Region. Das wird auch im niedersächsischen Wirtschaftsministerium gesehen. „Mit über 45 000 Beschäftigten und dem damit verbundenen Steueraufkommen hat die Seehafenwirtschaft in Niedersachsen eine große wirtschaftliche Bedeutung“, sagt Bernd Althusmann. Zumal die niedersächsischen Seehäfen laut Wirtschaftsminister mit einem Umschlagsvolumen von weit mehr als 50 Millionen Tonnen pro Jahr zu den größten Hafengruppen in Deutschland zählten. Zu dieser Gruppe gehört der Standort Papenburg, der südlichste Seehafen Deutschlands, den wir in dieser Ausgabe etwas genauer vorstellen. „Sie tragen zu unserem Erfolg als Exportnation bei und sind elementar wichtig für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen“, betont Althusmann mit Blick auf die Häfen insgesamt. Das gilt nicht nur für die See-, sondern auch für Binnenhäfen wie Bramsche. Die Wasserwege sind für Unternehmen wie Deuker, August Eilers, Bergschneider oder Dall-

mann Lebensadern der Logistik. Und dennoch: Trotz ihrer wirtschaftlichen Bedeutung steht die maritime Wirtschaft auch in der Kritik – denn die Schifffahrt ist für 2,9 Prozent des weltweiten CO2Ausstoßes verantwortlich, Tendenz steigend, wie Nabu-Referent Diesener mit Blick auf die steigenden Zahlen im Welthandel betont. „Würde man die Schifffahrt in ein Länder-Ranking einsortieren, würde sie auf Platz 6 vor Deutschland stehen“, sagt er. Aus seiner Sicht ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig getan worden, damit die Schifffahrt grüner wird: „Nicht nur die Reedereien und damit auch Werften und Zulieferer haben geschlafen, sondern auch die Politik, die die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht gesetzt hat“, kritisiert Diesener. Im niedersächsischen Wirtschaftsministerium betont man indes die Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet umweltfreundlicher Techniken, die das Land fördere. Und: „Die Landesregierung plant hier mit dem Kompetenzzentrum ,GreenShipping‘ in Elsfleth und Leer, den Hafenumschlag und die Schifffahrt umweltfreundlicher zu gestalten“, heißt es. Reeder Bernd Sibum hingegen hat eine klare Antwort auf den Vorwurf des Nabu: „Man muss das mal deutlich sagen: Unsere Schiffe nachzurüsten können wir uns wirt-

schaftlich zurzeit nicht leisten. Da haben wir keinen Spielraum.“ So geht es nicht nur den Harener Reedern. Laut PwC-Studie sehen 82 Prozent der Reeder die Umrüstung der Flotten, um Klimaschutz und Umweltauflagen gerecht zu werden, als größte Herausforderung. Noch etwas öfter wird ein Problem genannt, das laut Sibum schon die vergangenen Jahre geprägt hat: die Finanzierung von Schiffen. Mehr ab Seite 15

PeterSteinbeck

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Foto:W&H


DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

MACHER & MÄRKTE MACHER & MÄRKTE

2 E D I TO R I A L

GELD & GESCHÄFT

MARITIME WIRTSCHAFT

Zwischen Skepsis, Hoffnung und Goldgräberstimmung

3 | Gegensätze?

9 | Perspektive

Wirtschaftsförderung und Verein zur Förderung der Wirtschaft suchen nach „beständig innovativen“ Konzepten. In der Pandemie trinkt jeder Dritte zu Hause mehr Alkohol. Profitieren Brauer und Brenner in der Region?

Die Auslastung bei VW in Osnabrück sinkt im kommenden Jahr weiter. Ein Gespräch mit StandortLeiter Jörn Hasenfuß zur Zukunft des Werks.

6 | Wachstum

10 | Börsenporträt

Vom kleinen Eisenhandel hat Arnold Lammering seinen Betrieb zu einer Firmengruppe mit 21 Standorten entwickelt.

Die Corona-Pandemie hat in der Wirtschaft tiefe Spuren hinterlassen. Ein Rückblick auf das Börsenjahr 2020 – und ein Ausblick auf 2021.

7 | Logistik

11 | Textilien

E-Mobilität beim Lkw auf langer Strecke? Meyer & Meyer hat Pilotprojekt mit Wechselakkus gestartet.

Die Fehler anderer sind das Geschäft der Firma RieTex in Neuenkirchen-Vörden. Sie macht Ware aus Fernost markttauglich.

8 | Virtuelle Realität

14 | Nachwuchs

Mithilfe des Software-Start-ups Halocline wird die Produktionsplanung digital – auch beim Büromöbelhersteller Assmann.

Die „Freunde des Steuerrechts“ wollen dabei helfen, junge Leute in der Region zu halten. Bald beginnt ein neuer „Taxmaster“.

SPEZIAL

WASSER & WIRTSCHAFT

Foto: Jörn Martens

4/5 | Alkohol

VON BERTHOLD HAMELMANN

LEBEN & LEIDENSCHAFT 23 | Kaffeetafel

Was macht den südlichsten Seehafen 60,6 Seemeilen von der Nordsee entfernt aus? Ein Blick auf den Standort Papenburg.

Der Trend zur bewussten Ernährung und Single-Haushalten spiegelt sich auch im Sortiment von Coppenrath & Wiese wider.

16 | Binnenschifffahrt

24 | Digitalisierung

Wie nutzen Firmen die Wasserstraßen? Das Beispiel Bramsche zeigt die Bedeutung des Mittellandkanals für die Region.

Gesundheits-Apps boomen seit Anfang des Jahres. Davon profitiert auch das Start-up Herodikos.

18/19 | Grafik Was schlagen Binnen- und Seehäfen in der Region um? Ein Überblick über Standorte unserer Region.

20 | Reeder Finanzkrise wirkt bis heute nach, und mittelständische Reeder stehen vor einer ungewissen Zukunft, sagt Bernd Sibum im Interview.

25 | Ausland Nicht nur Studierende, auch Auszubildende zieht es ins Ausland. Zwei Purplan-Azubis waren gerade in den USA.

Foto: Jörn Martens

15 | Investition

21 | Umweltschutz

26 | Start-up-Spirit

Beim Thema Umweltschutz haben Reeder und Werften, aber auch die Politik geschlafen, sagt Nabu-Referent Sönke Diesener im Interview.

Werden Unternehmen immer älter? Die Start-up-Zentren in der Region haben einen hohen Zulauf.

22 | Zulieferer

27 | Bundesbester

Wenn die Kreuzfahrtbranche in der Krise steckt, trifft das nicht nur die Meyer Werft, sondern auch Zulieferer. Einer berichtet über die aktuelle Situation.

Johannes Groll ist Verfahrensmechaniker in der Hütten- und Halbzeugindustrie und als Bester in seinem Beruf ausgezeichnet.

Maritime Wirtschaft in Corona-Zeiten – was für Gegensätze, Unterschiede und Herausforderungen! Im emsländischen Haren gibt es einen der größten maritimen Zusammenschlüsse in Deutschland. Bernd Sibum, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Harener Reeder, sieht die Zukunft dieser mittelständischen Betriebe eher skeptisch. Man leide noch unter den Folgen der Finanzkrise und dem Verkauf von Schiffen in den vergangenen zehn Jahren. Knapp 50 Kilometer nördlich liegt Papenburg, Heimat der Meyer Werft. Dieses Traditionsunternehmen, seit 225 Jahren in Familienbesitz, besetzt mit Know-how und unternehmerischem Weitblick eine Nische, gilt vielen als Weltmarktführer. Drei Kreuzfahrtschiffe pro Jahr – die im Einzelfall schon mal am Auftragswert von einer Milliarde Euro kratzten – sicherten dem größten Arbeitgeber der Region eine sehr gute Basis im heiß umkämpften Marktsegment. 25 000 Menschen und 750 Firmen seien am Bau eines Schiffes beteiligt, verdeutlichte jüngst die Geschäftsführung, die nach dem zwischenzeitlichen coronabedingten Zusammenbruch des Kreuzfahrtmarktes wieder mit vorsichtigem Optimismus und einer klaren Strategie inklusive eines Stellenabbaus in die Zukunft schaut. Die wirtschaftliche Dimension ist klar: Stirbt die Werft, steht für Teile des Emslandes und Ostfrieslands ein jahrzehntelanges wirtschaftliches Siechtum bevor. Maritime Wirtschaft: 90 Prozent des Welthandels werden über See abgewickelt. Sieben der größten Containerhäfen liegen in China. Aus dem Land kommen neben Konsumgütern viele Grundstoffe für die Pharmaindustrie sowie den Autobau. Während der Rest der Welt eine Rezession erlebt, boomt derzeit die chinesische Exportwirtschaft. Im November legten die Ausfuhren um 21,1 Prozent im Vergleich zum Vormonat zu. Von der Pandemie, die im Land der aufgehenden Sonne ihren Anfang nahm, spricht dort niemand mehr. Die Auswirkungen von Covid19 sind dennoch spürbar: Ein limitierender Faktor im Welthandel ist der derzeit fehlende (See-)Frachtraum. Augenblicklich sind Frachtcontainer nicht mehr verfügbar und wenn, dann nur zu astronomischen Preisen. Mitte Oktober war ein 40-FußContainer noch für etwa 1300 Euro buchbar. Jetzt werden Preise für

Foto:JörnMartens

6000 Euro bis 7000 Euro aufgerufen. Logistikunternehmen berichten von Kunden, die inzwischen fast jeden Preis zahlen würden, um zugesagte Waren überhaupt nach Deutschland transportieren zu können. Denn erfüllen diese Zwischenhändler ihre vertraglichen Zusagen nicht, brechen Lieferketten zusammen, werfen die großen Handelskonzerne säumige Partner kurzerhand aus dem Sortiment. Und das kann schnell das Aus bedeuten. Zur Einordnung ein Beispiel: In einen zwölf Meter langen 40-FußContainer passen etwa 10 000 Jeans. Der Preis für den Seetransport von Asien nach Hamburg lag im Durchschnitt bei 1500 Euro. Hinzu kommen Transportkosten von der Herstellerfirma sowie der Weg zum Verbraucher, zusammen etwa 3000 Euro. Bei jeder Jeans lag der Transportkostenanteil bei 30 Cent, wie der Containerumschlagplatz Hamburg vorrechnet. Die augenblickliche Marktsituation („Es herrscht nackte Panik“) schreddert jeden Businessplan. Des einen Freud, des anderen Leid: Derzeitiger Gewinner ist die internationale Containerschifffahrt, die nach einem Einbruch als Folge der ersten Corona-Welle zwar 2020 mit einem negativen Branchenergebnis rechnet, zum Jahresende aber goldene Zeiten bei den Frachtraten erlebt. Im Wechselspiel von Angebot und Nachfrage explodieren die Frachtraten in einem nie gekannten Ausmaß. Gleiches gilt für den Bereich Luftfracht und den weiten Bereich des Projekts „Neue Seidenstraße“. Das bekannteste dürfte die chinesische Belt and Road Initiative sein. China baut hier eine Verkehrsinfrastruktur zu über 60 Ländern Afrikas, Asiens und Europas aus. Auch hier ist das Frachtvolumen ausgebucht. Auf der Eisenbahnstrecke nach Europa sei die Hölle los, titelte eine Fachzeitung.

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MACHER & MÄRKTE

Beständig innovativ – Ergänzung oder Gegensatz? Aus einer spontanen Sammlung von Konzepten ist das Motto für den Wirtschaftspreis 2021 geworden VON NINA KALLMEIER Eine große Feier hätte es eigentlich in diesem Jahr geben sollen, wenn der Verein für Wirtschaftsförderung Osnabrück (VWO) turnusgemäß den Osnabrücker Wirtschaftspreis verleiht. Dem hat die Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Auszeichnung wurde kurzerhand verschoben – auf 2021, sagt der VWO-Vorsitzende Niklas Sievert. Ganz untätig war der Verein aber nicht: Zusammen mit der Wirtschaftsförderung Osnabrück (WFO) hat er unter dem Motto „beständig innovativ“ nach Unternehmen gesucht, die in der Corona-Krise innovative Wege gegangen sind, um die wirtschaftliche Lage zu meistern. Eigentlich sei es eine ehr spontane Idee gewesen, sagt Ingmar Bojes von der Wirtschaftsförderung Osnabrück (WFO). Beständig und innovativ ist für ihn auch kein Widerspruch. „Die Osnabrücker Wirtschaft ist geprägt von einem starken, traditionsreichen Mittelstand. Wer mehrere Jahrzehnte erfolgreich am Markt bestehen will, der muss beweglich bleiben – beständig innovativ eben“, sagt er. Gerade dieser anfängliche Gegensatz mache vielleicht neugierig, ergänzt der VWO-Vorsitzende Niklas Sievert. „Darin kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass man als Unternehmen nie aufhören darf, nach neuen und innovativen Lösungen zu suchen.“ Gerade in Zeiten wie diesen, in denen der (digitale) Wandel sich enorm beschleunigt, gelte: „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.“ Laut Bojes haben die Osnabrücker Unternehmen in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie genau das sind – beständig und innovativ. Und Sievert ergänzt: „Die Pandemie stellt uns vor HerausforOSNABRÜCK

IstnochPlatzim Büro?DerOsnabrücker SoftwaredienstleisterBasecomhat eineApp entwickelt,mitder Mitarbeitersich einenArbeitsplatz buchen können. DasSystemberücksichtigtauch die Corona-Bedingungen. Foto:Basecom

StattKundenin dievirtuelleWelteintauchen zulassen, habeninder E-Sports-FactorydigitaleVeranstaltungenstattgefunden.

derungen, auf die niemand vorbereitet war. Nur wer ,beständig innovativ‘ ist, betrachtet eine solche unvorhersehbare Situation als Herausforderung – und nicht als Gefahr.“ Mit der Resonanz auf die Aktion waren Bojes und Sievert so weit zufrieden, dass nun auch der Osnabrücker Wirtschaftspreis im kommenden Jahr unter dieses Motto gestellt wird. „Wir erhoffen uns davon auch, von noch mehr innovativen Ansätzen und Ideen zu erfahren,

die wichtige Impulse auch für andere Unternehmen geben können“, sagt Wirtschaftsförderer Bojes. Mit der Aktion in diesem Jahr haben die Wirtschaftsförderung und der Verein für Wirtschaftsförderung einen Anfang gemacht und schon einmal angetestet, welche Ideen die Wirtschaft durch die Krise gebracht haben. Unter anderem der Automobilzulieferer Zender, dessen Kerngeschäft normalerweise Spiegelkappen, Türverkleidungen, Armaturenbretter oder Front Spoiler, vorzugsweise aus Carbon, sind, hat sich gemeldet. Die Automobilbranche kriselt, und so ist Geschäftsführer Marco Dei Vecchi im Zuge der Pandemie dazu übergegangen, eine Produktion von FFP2-Masken aufzubauen. Auch Jens Köhne hat umdisponiert. Statt mit seinem Unternehmen Köhne Veranstaltungen & Technik unter anderem Tagungen, Konzerten oder Messen ein gutes Klangbild zu geben, hat sich der Osnabrücker Unternehmer auf digitale Events spezialisiert – komplett in einer virtuellen Umgebung. Ein Konzept eingereicht hat auch das Bergmann Boardinghouse. Statt Hotelzimmer mit vollausgestatteter Küchenzeile an Geschäftsreisende zu vermieten, wurden aus

einem Teil in der Pandemie Büroräume. Die nämlich fehlten, wie das Unternehmen im Austausch mit der regionalen Wirtschaft feststellte. Ebenfalls mit dem Thema Büro beschäftigt hat sich der Osnabrücker Softwaredienstleister Basecom. Dabei geht es um das coronakonforme Management von Arbeitsplätzen im eigenen Unternehmen. Um planen zu können, wer wann wo arbeitet, hat das Unternehmen ein Buchungssystem entwickelt, das die Möglichkeit eröffnen soll, die verfügbare Bürofläche unter der Maßgabe geltender Sicherheitsbestimmungen effektiv zu nutzen. Mittlerweile steht das System „1.50 Office“ der breiten Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung. Und die Resonanz ist groß. Inzwischen wird das System von mehr als 130 Unternehmen ganz unterschiedlicher Branchen in Deutschland eingesetzt. Wirtschaftsförderer Ingmar Bojes besonders gefreut haben Lösunge, die durch Kooperation entstanden sind, sagt er. „Davon hat es eine ganze Reihe in den vergangenen Monaten gegeben, oftmals auch gewerkeübergreifend und überraschend. Ich denke da zum Beispiel an die Kooperation zwischen L&T

Foto:E-Sports-Factory

und der Esport Factory“, so Bojes. Da die Hasewelle im Sporthaus aufgrund der Corona-Restriktionen geschlossen war, gab es eine große freie Fläche. Auf dieser entstand die L&T E-Sports-Arena, auf der Kunden des Modehauses den Racing Simulator testen und verschiedene Virtual Reality Formate erleben

„Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.“ Niklas Sievert, Vorsitzender Verein für Wirtschaftsförderung Osnabrück

konnten. Eine Verknüfung des Analogen und Digitalen. Beständig innovative Kooperationen hat es aber nicht nur für digitale Angebote gegeben, sondern auch ganz analog. Den Zusammenschluss in der Osnabrücker Gastronomie vom Sonnendeck und dem Anyways zum SunnyWay nennt Bojes als Beispiel. „Das zeigt, dass in einer Krise manchmal auch Chancen liegen können. Besonders aber zeigt es, dass wir in Osnabrück dann am stärksten sind, wenn wir zusammenhalten und gemeinsam nach Lösungen suchen.“ Wonach gesucht wird, ist für Niklas Sievert ganz klar: Unternehmen in Stadt und Landkreis Osnabrück, die sich durch eine echte Innovation hervortun und die entsprechend ins Rampenlicht gestellt werden. „Innovation muss sich bezahlt machen, auch in der öffentlichen Wahrnehmung des Unternehmens. Wir möchten somit einen kleinen Beitrag dazu leisten, zu beständig innovativem Denken in Unternehmen aus der Region zu motivieren, indem wir es auszeichnen“, so Sievert. Bislang habe man beim Osnabrücker Wirtschaftspreis ein gutes Händchen gehabt, die ausgezeichneten Unternehmen würden sich erfolgreich am Markt entwickeln.

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MACHER & MÄRKTE

MACHER & MÄRKTE

Mehr Alkohol in der Pandemie

Spirituosen in Zahlen

528 Mio. Flaschen Produktion von Spirituosen in Deutschland

5,3 Liter Pro-Kopf-Konsum von Spirituosen in Deutschland

203 Mio. Euro

Umsatz mit Gin/Genever im Einzelhandel in Deutschland

Mehr Flaschenbier – aber Verlust aus Gastro macht das nicht wett. Auch der Absatz von Spirituosen liegt höher als im Jahr zuvor. VON NINA KALLMEIER UND BASTIAN KLENKE OSNABRÜCK/HASELÜNNE Kein Bier oder Glas Wein zum Essen im Restaurant, keinen Cocktail mit Freunden am Freitagabend, keinen Kurzen in der Diskothek – während in Restaurants nun zum zweiten Mal in der Corona-Pandemie die Lichter ausgegangen sind, waren sie in Diskotheken seit Mitte März erst gar nicht an. Das spiegelt sich auch im Alkoholkonsum der Deutschen wider: Für viele scheint kein Alkohol auch keine Lösung zu sein, wie es schon die Toten Hosen sangen, und so gibt einer Umfrage zufolge jeder Dritte an, während der Pandemie mehr Alkohol zu trinken als vorher. Profitieren davon auch die Brenner und Brauer der Region, die aufgrund der Schließungen der Gastronomie in dem Bereich deutlich weniger absetzen? Und wie hat sich das Jahr entwickelt? Ein Rundruf. „Es ist recht einfach: Wenn der Zapfhahn geschlossen ist, fließt kein Bier“, fasst Ulrich Biene, Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Brauerei Veltins, zusammen. „Der ,Lockdown light‘ trifft vor allem die Gastro ,hard‘“, sagt er. Und auch die Brauwirtschaft leide heftig, so der Pressesprecher der sauerländischen Großbrauerei. Die Zahlen geben ihm recht: Insgesamt mehr als eine Million Hektoliter weniger als im Jahr zuvor betrug der Ausstoß der Brauer alleine in den Monaten April und Mai. Und auch wenn im Spätsom-

Quelle: Statista

ZapfhähneundFlaschenbleiben zu: DerLockdownin derGastronomie trifftauchdie Brauerund Brennerin derRegion.

mer, im August und September, immerhin knapp 400 000 Hektoliter mehr produziert wurden, setzte die deutsche Brauwirtschaft bis Ende September letztlich rund drei Millionen Hektoliter weniger um als noch im Jahr zuvor. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Seit dem 13. März gibt es nahezu keine Veranstaltungen mehr – keine Stadtfeste, keine Weihnachtsmärkte – alles ist abgesagt. „Nach einem anfänglich guten Start in das Jahr 2020 brach das Fassbiergeschäft der Herforder Brauerei aufgrund der Corona-Pandemie ab März nahezu komplett ein“, erklärt Sinje Vogelsang, Leiterin Unternehmenskommunikation der Warsteiner Unternehmensgruppe, zu der die ostwestfälische Brauerei seit 2007 gehört. Die Brauerei Veltins hat dabei noch Glück im Unglück: In den 1950er-Jahren sei man noch zu 80 Prozent vom Fassbiergeschäft abhängig gewesen, so Pressesprecher Biene. Heute sind es nur noch 19 Prozent. „Das trifft kleinere, lokale Brauereien, die mehr auf das Fassbier- und Eventgeschäft angewiesen sind, viel härter.“ Zum Beispiel die Privatbrauerei Ernst Barre aus Lübbecke. Zumal die Zapfhähne derzeit zum zweiten Mal in

NO Z

Umsatz der Spirituosenindustrie in Deutschland

Drei Millionen Hektoliter Bier weniger als 2019.

Mo tive : Co lou rbo x.d e, M on tag e:

2,2 Mrd. Euro

Restaurants und Kneipen sind geschlossen, dafür steigt einer Umfrage zufolge der Konsum von Bier & Co zu Hause / So profitieren Hersteller in der Region

Foto:dpa/BrittaPedersen

diesem Jahr geschlossen sind. „Man darf nicht vergessen, dass der Dezember – insbesondere beim Fassbier – bei uns zu den mit Abstand umsatzstärksten Monaten zählt“, sagt Geschäftsführer Christoph Barre, und kritisiert: „Es werden einige Wirtschaftszweige lahmgelegt, damit andere weiterarbeiten können.“ Wie die Brauerei dies verkraften wird, ist für den Geschäftsführer noch nicht abzusehen. Gemeinsam im Kreis der Freien Brauer hat Barre sich daher mit einem offenen Brief an die Politik gewandt und appelliert, auch die mittelbar durch den Lockdown betroffenen Wirtschaftszweige bei den Hilfspaketen adäquat zu berücksichtigen. „Denn ein Bier, das nicht gekauft beziehungsweise getrunken wird, ist für

Bier in Zahlen

76,1 Mio. Hektoliter

alle Zeit weg – da gibt es keinerlei Nachholeffekt“, betont der Geschäftsführer. Laut Veltins-Pressesprecher Biene hilft zumindest temporär die Stundung der Biersteuer durch das Bundesfinanzministerium. Die Branche begrüßte diese Entscheidung. Der Deutsche Brauer-Bund nannte die Stundungsmöglichkeit ein wichtiges Signal für die Branche, die stark unter Druck stehe. Der Wegfall der Gastronomie ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist der Alkoholkonsum im Privaten. Und hier zeigen sich für die Bierbranche durchaus erfreuliche Entwicklungen, wie unter anderen Warsteiner-Pressesprecherin Sinje Vogelsang erklärt: „Einzig das Flaschenbiergeschäft zeigt sich stabil und liegt im ersten Halbjahr sogar

Bierabsatz in Deutschland

99,7 Liter Pro-Kopf-Konsum von Bier in Deutschland

8,3 Mrd. Euro leicht über dem Vorjahresniveau.“ Von ähnlichen Erfahrungen berichtet Peter Lemm, Leiter der Unternehmenskommunikation der Krombacher Brauerei: „Generell ist es so, dass auch wir leichte Zuwächse in den Abverkäufen von Flaschenbier haben.“ Doch im Ergebnis bleibt für beide: Die Zuwächse kompensieren nicht die Ausfälle beim Fassbier in der Gastronomie sowie im Event- und Festgeschäft. Das unterstreicht auch Marcus Strobl vom Marktforschungsinstitut Nielsen aus Frankfurt. „Wir erkennen ein deutliches Wachstum mit 5,2 Prozent von Januar bis September 2020 für Bier und Biermixgetränke im Lebensmitteleinzelhandel“, so Strobl. „Das lässt einen

„Unser breites Portfolio kommt uns zugute.“ Oliver Schwegmann, Vorstandsvorsitzender Berentzen Gruppe

Rückschluss von einer Verlagerung von ,out of home‘ zu ,in home‘ zu.“ Das gilt allerdings nicht nur für den Bierkonsum, sondern auch für Spirituosen, wie Berentzen-Chef Oliver Schwegmann bestätigt. Allerdings müsse man differenzieren: Marken wie Berentzen oder Puschkin, die vor allem junge Erwachsene ansprechen und für Feiern gekauft werden, blieben weiter unter Druck. Gin, Whiskey, Rum und Liköre zum Mixen hingegen gingen öfter über die Ladentheke. „Der Wachstumstreiber für uns ist unser Handelsund Zweitmarkengeschäft, das fast ausschließlich im Lebensmittelhandel stattfindet. Hier kommt uns unser breites Portfolio zugute“, so Schwegmann. Einfach sei das Geschäft jedoch nicht, betont der Berentzen-Chef. Während des ersten Lockdowns hatte der Lebensmittelhandel Aktionen zurückgefahren – auch damit die Kundenfrequenz in den Geschäften nicht zu stark steige. „Darunter hat aber natürlich auch der Absatz gelitten“, so Schwegmann. Der Kunde bleibe nach wie vor preissensibel. Das zeigt sich jetzt im zweiten Lockdown. „Der Handel hat gelernt, und wir erleben mittlerweile einen starken Aktionswettbewerb. Viele Unternehmen versuchen so Verluste aus der Gastronomie zu kompensieren und das Geschäftsjahr noch zu retten“, beschreibt Oliver Schwegmann die aktuelle Situation. Das gelte insbesondere für große, global aufgestellte Unternehmen mit einem hohen Gastronomieanteil. „Sie arbeiten mit einem deutlich größeren Budget als mittelständische Unternehmen wie wir, sodass dieser Aktions-

und Preiskampf auch zu unserem Nachteil ist.“ Wie das Geschäftsjahr ausgehen wird, hänge vor allem auch jetzt am vierten, traditionell umsatzstärksten Quartal, so der Berentzen-Chef. Mit einem riesigen Geschäft zu Silvester rechnet er aktuell nicht. Eins allerdings stimmt Schwegmann positiv: „Gruppenweit ist der Anteil des Gastro-Geschäfts mit 15 bis 20 Prozent verhältnismäßig klein.“ Die Lockdowns schlügen entsprechend nicht so stark durch wie bei anderen Unternehmen. Von der Schließung der Gastronomie vor allem betroffen sei der Bereich der alkoholfreien Getränke, in dem ein im Vergleich zu den anderen Geschäftsbereichen überproportionaler Anteil an Gastronomen verkauft würde. Insgesamt sieht Veltins-Sprecher Ulrich Biene einen „Cocooning-Effekt“ im Lockdown. „Die Menschen wollen es sich zu Hause möglichst schön machen.“ Für Veltins bedeutet das aktuell, dass die Flaschenbierabfüllung an der Kapazitätsgrenze läuft. Sogar Leergut musste nachgekauft werden. Dabei zeigen die Verkäufe auch, dass Kunden facettenreicher auswählen. Statt zum Pils greifen jetzt mehr Menschen zum Landbier oder zum Hellen, die vorher eher in der Gastronomie verkauft wurden. Ein Gewinner, komplett gegen den Trend der vergangenen Jahre, ist das Weißbier. Diese Tendenz erkennt auch Friederike Köhl, Brauerin und Geschäftsführerin der LandhausBrauerei Borchert aus Lünne. „Definitiv kann man feststellen, dass der Flaschenbierkonsum steigt, sehr stark sogar steigt“, sagt sie. „Die

Leute wollen regional essen und trinken und sind auch bereit, für hochwertige Produkte mehr auszugeben.“ Ähnlich ergeht es der Brauerei Finne aus Münster. „Das Flaschenbiergeschäft ist bis jetzt im November deutlich stärker als im vergangenen Jahr“, erklärt Geschäftsführer Florian Böckermann. Doch auch er sagt, das könne den Umsatzverlust aus Gastronomie und Veranstaltungen nur sehr bedingt auffangen. „Jetzt zählt nur noch: Irgendwie durchkommen und dann bei Normalisierung wieder voll da zu sein.“ Auch die Barre-Brauerei profitiert vom Trend in Richtung Heimkonsum und der stetig wachsenden Wertschätzung für regional produzierte Lebensmittel – allerdings nur etwas. „Da aber rund 30 Prozent

„Die Menschen wollen es sich zu Hause möglichst schön machen.“ Ulrich Biene, Leiter Unternehmenskommunikation bei Veltins

unseres Flaschenbieres in der Gastronomie verkauft werden, wird dieser positive Effekt überkompensiert“, sagt Brauerei-Chef Barre. Die Folge ist, dass das Unternehmen auch beim Flaschenbier eine negative Entwicklung verzeichne. Dazu kommt – ähnlich wie Berentzen-Chef Oliver Schwegmann es für das Spirituosen-Geschäft berichtet – eine aggressive Preispolitik der internationalen und nationalen Braukonzerne beziehungsweise Großbrauereien. „Aufgrund ihres sehr geringen Fassbieranteils kommen diese derzeit sehr gut durch die Corona-Krise“, sagt Barre. Dieser Wettbewerbsvorteil feuert laut Geschäftsführer die Konzentration in der deutschen Brauwirtschaft weiter an. Das sei eine gefährliche Entwicklung für die deutsche Biervielfalt. „Wir gehen davon aus, dass viele Regionalbrauereien die Corona-Krise nicht überleben werden.“ Veltins startet daher auch mit einer restriktiven Budgetplanung in das Jahr 2021. Zwar wird es durch die weggefallenen und wegfallende Promotion-Aktionen Einspareffekte geben, aber dennoch soll die Kostenstruktur analysiert und geschaut werden, welches Projekt erst einmal „on hold“ gesetzt werden kann. Definitiv festhalten will die Brauerei aber an langfristigen Investitionen. Insgesamt sieht Biene bis Ostern keine Normalitätseffekte. Sind die ersten Monate eines Jahres generell eher umsatzschwach, sind bei den Sauerländern alle Blicke auf Mai und Juni gerichtet, mit der Hoffnung auf eine gewisse Normalität. Diesen vorsichtigen Optimismus in Richtung Sommer teilt auch Krombacher. Zwar fällt für die Brauerei aus NRW mit dem heimischen Karnevalsgeschäft ein wichtiger Baustein weg, aber mit der Hoffnung auf einen baldigen Impfstoff steigt auch die Hoffnung auf einen halbwegs „normalen Sommer“, so Peter Lemm. Und in Herford? „Wir haben die Zeit genutzt, um intensiv am Markenprofil von Herforder zu

Umsatz der Brauwirtschaft in Deutschland

arbeiten“, erklärt Vogelsang. Neben der ersten Werbekampagne seit fünf Jahren wird es Anfang des kommenden Jahres neue Etiketten geben und das Sortiment um ein neues Produkt erweitert werden. Auch Oliver Schwegmann ist für das Jahr 2021 vorsichtig optimistisch. „Der Wunsch nach Geselligkeit wird wieder zurückkommen“, sagt er. Nachhaltige Veränderungen im Spirituosen-Markt sieht er aufgrund der Pandemie nicht. Dennoch geht der Berentzen-Chef davon aus, dass auch das Jahr 2021 von der Corona-Pandemie geprägt sein wird – denn noch traue sich kein Veranstalter, ein größeres Event zu planen.

Ein Lichtblick:DieProduktionvonFlaschenbierläuftaufHochtouren.

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Beliebteste Biermarke in Deutschland Quelle: Statista

Foto:dpa/BerndThissen


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DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

MACHER & MÄRKTE

Vom kleinen Eisenhandel zur großen Firmengruppe Vor 75 Jahren gründete Arnold Lammering seinen Betrieb in Schüttorf – Heute beschäftigt er 800 Mitarbeiter an 21 Standorten VON SEBASTIAN HAMEL Laut geht es zu in den Nordhorner Betriebshallen der Firma Arnold Lammering: Durchschnittlich 120 Tonnen Stahl werden auf dem 17 000 Quadratmeter großen Werksgelände an der Westfalenstraße täglich verarbeitet. Das Herzstück dieses Standorts ist eine vollautomatische Säge-Bohr-Straße, welche die Möglichkeit bietet, die Stahlträger unter anderem mit Langlöchern oder Ausklinkungen zu versehen oder Markierungen aufzubringen. „Sägen kann jeder, anarbeiten aber nicht“, sagt Niederlassungsleiter Thomas Kerk stolz. Neben den Trägern wird in Nordhorn auch Betonstahl hergerichtet. 70 Prozent des Materials, das sowohl direkt von Stahlwerken als auch von Zwischenhändlern bezogen wird, kommt per Bahn. Dafür verfügt der Nordhorner Standort über einen eigenen Gleisanschluss, der durch die Bentheimer Eisenbahn bedient wird. Auf diese Weise kann auch Langgut mit einer Länge von bis zu 22 Metern geliefert werden, was bei der Beauftragung von Speditionen zu Mehrkosten führen würde, erklärt Thomas Kerk. Die mit zwei Hallenschiffen 1981 eröffnete Niederlassung umfasst mittlerweile sechs Hallen, was sinnbildlich steht für das Wachstum des seit nunmehr 75 Jahren bestehenden Unternehmens. SCHÜTTORF

EinegeräumigeHallefürlangeLadung:Lammering-Mitarbeiter beladeneinenLkwmitStahlträgern.

und den angrenzenden Niederlanden entwickelt – Jahresumsatz: insgesamt 200 Millionen Euro. Neben dem Stahlbereich macht die Sparte Sanitär/Heizung/Fliesen

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Was 1945 mit einem kleinen Eisenhandel in Schüttorf begann, hat sich über die Jahrzehnte zu einer Firmengruppe mit 21 Standorten in Nordwestdeutschland

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das zweite stabile Standbein aus. Durch die zur Gruppe gehörenden Firmen Flintermann in Salzbergen und BSH in Bad Bentheim ist Lammering zudem auf den Gebieten der Glasveredelung sowie des Stahl- und Hallenbaus unterwegs. Der gesamte Unternehmenskomplex zählt rund 800 Mitarbeiter. Dabei erfolgte die Gründung des Betriebs seinerzeit eigentlich aus der Not heraus: Arnold Lammering war zu diesem Zeitpunkt schon 50 Jahre alt und hatte kurz zuvor seine Arbeit verloren. In der unmittelbaren Nachkriegszeit wagte er den mutigen Schritt in die Selbstständigkeit, wobei ihm seine ländliche Herkunft zugutekam: So wurden Lieferanten auch schon mal mit Speck oder Eiern vergütet. Der Firmengründer hatte im Laufe seines Lebens mehrere persönliche Schicksalsschläge zu bewältigen: Er selbst verlor als junger Mann während einer Kampfhandlung im Ersten Weltkrieg das Augenlicht, sein Sohn August kehrte aus dem Zweiten Weltkrieg nicht zurück, und seine Tochter Elisabeth starb im Alter von 25 Jahren an Tuberkulose. So stieg schließlich das jüngste seiner drei Kinder – der 1928 geborene Karl-Heinz Lammering – ins Unternehmen ein und übernahm nach dem Tod des Vaters 1973 die Geschäftsleitung. Bis dahin hatte sich schon einiges getan: War der Betrieb zuerst nur in Schüttorf angesiedelt, wurde 1963 die erste Zweigstelle in Meppen eröffnet und das Stahlsortiment um den Sanitär- und Heizungsbereich ergänzt. Der Verkauf von Bädern geschieht dabei bis heute allein über das Fachhandwerk. Karl-Heinz Lammering war in jener Zeit häufig in Meppen und hatte für die Kommunikation vor Ort eigens die plattdeutsche Sprache gelernt. Zu den vielen weiteren Meilensteinen zählen die 1972 erfolgte Gründung der „Arnold Lammering Stahlbau GmbH“, die später in Bentheimer Stahl- und Hallenbau (BSH) umbenannt wurde, die Übernahme der Firma Flintermann im Jahr 1981 sowie der Schritt über die Grenze, der 1995 mit der Eröffnung einer Niederlassung mit großer Badausstellung im niederländischen Hengelo vollzogen wurde. Bereits zwei Jahre zuvor war hierfür die „Arnold Lammering Sanitair & Verwarming B.V.“ gegründet worden. Ebenfalls 1995 – im Jahr des „goldenen Fir-

Foto: Sebastian Hamel

menjubiäums“ – entstand im Heimatort Schüttorf ein großer, moderner Neubau an der Industriestraße, der bis heute mehrfach erweitert wurde. Auch kuriose Situationen blieben in all den Jahren nicht aus: Schmunzelnd denkt man in der Belegschaft etwa an das Kind zurück, das ein AusstellungsWC für eine angeschlossene Toilette hielt – und es dann auch entsprechend nutzte... Der Name Lammering ist nicht nur an den jeweiligen Standorten, sondern auch auf der Straße prä-

„Es ist gut, wichtige Entscheidungen mit jemandem besprechen zu können.“ Philipp Lammering, Vertreter der vierten Generation in dem Familienbetrieb

sent: Nachdem bereits 1950 ein erster Lkw – einen der Marke Magirus-Deutz mit offener Pritsche und 85 PS – beschafft wurde, besteht die Flotte heute aus 70 Lastwagen. Entsprechend viele Berufskraftfahrer sind bei dem Schüttorfer Unternehmen beschäftigt, um die in Dunkelblau mit dem markanten Firmennamen in weißer Schrift lackierten Fahrzeuge zu bewegen und die insgesamt 5000 Kunden mit den bestellten Waren zu versorgen. Wie in so vielen Branchen macht sich auch bei Lammering der Fachkräftemangel bemerkbar, und es wird immer schwerer, geeignete Mitarbeiter zu finden. Die Firma baut deshalb auf eine gute Nachwuchsförderung: „Wir bilden für uns selbst aus. Viele der Azubis werden übernommen“, sagt Birgit Wessels, Assistentin der Geschäftsführung. Sie selbst hat ihre Ausbildung bei Lammering absolviert und gehört dem Betrieb seit nunmehr 28 Jahren an. Generell hielten viele Beschäftigte dem Unternehmen die Treue und knackten bisweilen auch die 40-Jahr-Marke, berichtet sie: „Die Liste der Jubilare wird immer länger.“ Aktuell legen 45 angehende Fachkräfte in acht Ausbildungsberufen in der Arnold-LammeringGruppe den Grundstein für ihr berufliches Leben. Das Rad der Zeit dreht sich auch mit Blick auf die Führungsebene immer weiter: Nachdem Diedrich Lammering 1987 in die Geschäftsleitung eingetreten war und diese nach dem Tod seines Vater KarlHeinz im November 2013 komplett übernahm, ist seit Dezember 2019 auch Diedrichs Sohn Philipp Lammering in vierter Generation mit an Bord. Der 32-Jährige konnte in den Jahren zuvor schon viel Erfahrung im Unternehmen sammeln: „Das Interesse war immer da, und mit der Zeit hat sich der Entschluss gefestigt“, erinnert er sich. Über die Zusammenarbeit mit seinem Vater sagt er: „Es ist gut, wichtige Entscheidungen mit jemandem besprechen zu können.“ Von großer Bedeutung sei es, dass beide eine ähnliche Philosophie in puncto Unternehmensführung verfolgen. Sein jüngerer Bruder Jakob ist ebenfalls schon im Betrieb tätig und schließt aktuell noch sein Masterstudium ab. Insgesamt strebt Lammering auch künftig ein „gesundes und organisches Wachstum“ an. Als nächste Projekte stehen unter anderem die Umstellung auf ein neues Warenwirtschaftssystem sowie der Bau eines Hafenanlegers in Papenburg an. Von negativen Auswirkungen durch die Corona-Pandemie blieb das Unternehmen bislang weitgehend verschont. Die große 75-Jahr-Feier musste aufgrund der aktuellen Situation allerdings ausfallen. Sie soll – so es dann möglich ist – im kommenden Jahr nachgeholt werden.

Der Nachwuchs steht bereit: Diedrich Lammering (Mitte) mit seinen Söhnen Jakob (links) und Philipp,der heuteschon mit inder Geschäftsführungsitzt. Foto: Firmengruppe Lammering


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MACHER & MÄRKTE

ZweiTonnen wiegtjederderbeidenBatterieblocks, die anderSeitedes E-Truckseingehängtwerden.

Foto:AnnetteHornischer

500 Kilometer unter Strom für den Klimaschutz Osnabrücker Spedition Meyer & Meyer testet E-Truck mit Wechselakkus VON RAINER LAHMANN-LAMMERT OSNABRÜCK Lkw-Verkehr und Klimaneutralität – das ist noch ein weiter Weg. Aber auch in der Logistikbranche arbeiten Pioniere an neuen Konzepten. Die Spedition Meyer & Meyer aus Osnabrück lässt einen E-Truck mit Wechsel-Akkus zwischen Peine und Berlin pendeln. Man muss schon sehr genau hinsehen, um zu erkennen, dass der 19-Tonner elektrisch angetrieben wird. Die beiden Seitentanks sehen kaum anders aus als die von einem Diesel-Brummi, aber sie wiegen jeweils zwei Tonnen. Ihr Innenleben besteht aus Lithium-Ionen-Zellen, wie beim Handy-Akku, nur viel größer. Das reicht für 200 Kilometer. Route Charge heißt das Projekt, das vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert wird. Beteiligt sind die MC Management GmbH, ein Tochterunternehmen des Modelogistikers Meyer & Meyer, das Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik, weitere wissenschaftliche Einrichtungen und ein Energieversorgungsunternehmen. Initiator von Route Charge ist der Osnabrücker Spediteur Rolf Meyer, der sich aus dem operativen Geschäft bei Meyer & Meyer zurückgezogen hat und jetzt nachhaltige Logistikkonzepte entwickelt. „Wir wollen ausprobieren, was geht und was nicht geht“, sagt Meyer. Kleinere Elektro-Lkw für den Auslieferungsverkehr gibt es ja schon in etlichen Städten, auch in Osnabrück. Aber schon auf mittleren Entfernungen scheiterte der Einsatz von E-Trucks bislang an der Batteriekapazität. Ein Handicap, das wegen der langen Ladezeiten mit fest eingebauten Akkus nicht so einfach aus der Welt zu schaffen wäre. Meyer hat deshalb einen Modellversuch initiiert, bei dem die Akku-

blöcke unterwegs ausgetauscht werden. Für Route Charge wurde eine festgelegte Strecke mit drei Wechselstationen ausgestattet. Sie stehen in Peine, wo Meyer & Meyer sein Logistikzentrum für Textilien betreibt, am Westhafen in Berlin und auf halber Strecke in Burg bei Magdeburg. Nicht nur beim Batteriewechsel, auch beim Fahrzeug musste Pionierarbeit geleistet werden. Rolf Meyer hatte von den LkwHerstellern erwartet, dass sie schon etwas einzubringen hätten in Sachen Elektromobilität. Doch er wurde enttäuscht. Am Ende blieb nichts anderes übrig, als selbst einen Prototyp bauen zu lassen – auf der Basis eines MAN TGS „von der Stange“. Der 19-Tonner mit Anhänger ist äußerlich noch als solcher zu erkennen, aber unter der Haube dieselt es nicht mehr. Motor und Getriebe wurden von der Thüringer LkwWerkstatt Framo entfernt und gegen ein elektrisches Aggregat eingetauscht, die seitlichen Tanks

„Wir wollen ausprobieren, was geht und was nicht geht.“ Spediteur Rolf Meyer

durch mächtige Batteriespeicher ersetzt. 4000 Kilo wiegen die beiden Lithium-Ionen-Akkus zusammen. Mit 318 Kilowattstunden können sie siebenmal mehr Energie bunkern als ein VW ID.3 in der Standardversion. In weniger als 15 Minuten lassen sich die verbrauchten Stromspeicher ausklinken und durch frisch geladene Exemplare ersetzen. Nichts wird von Hand gewuchtet, dafür gibt es Gabelstapler. Mit ihrer üppigen Kapazität sind die Seitentanks nicht nur für den Vortrieb des Speditionsfahrzeugs nützlich. Solange sie in der Ladestation hängen, können sie überschüssigen Windund Solarstrom speichern und bei steigendem Bedarf ins Netz einspeisen. Deshalb soll das Projekt Route Charge auch Erkenntnisse liefern, ob sich mit dieser Pufferfunktion Geld verdienen lässt. Der Elektro-Lkw von Meyer & Meyer hat inzwischen 10 000 Kilometer auf dem Tacho, wie Projektleiter Bijan Abdolrahimi von MC Management berichtet. In der ersten Testphase wurden die überwiegend im Stadtverkehr zurückgelegt. In diesen Wochen startet der eigentliche Feldversuch auf der 500 Kilometer langen Teststrecke von Peine nach Berlin und retour. Wenn alles so klappt wie berechnet, wird der E-Truck gegenüber einem konventionellen Dieseltransporter jährlich 82 Tonnen CO2 einsparen. Rolf Meyer ist zuversichtlich, dass Wechselbatteriesysteme die EMobilität auf dem Nutzfahrzeugsektor voranbringen könnten. Hohe Anfangsinvestitionen ließen sich vermeiden, wenn die Akkus geleast würden. Die Fahrer, die mit dem 19Tonner unterwegs sind, müssen nicht mehr von den Vorteilen des Elektroantriebs überzeugt werden. Projektleiter Abdolrahimi drückt es so aus: „Diese Fahrer kriegen Sie nur schwer wieder auf ein Dieselfahrzeug.“

ALTERNATIVE ANTRIEBE

Hellmann setzt auf LNG-Antrieb statt Elektro

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uch der Osnabrücker Logistikdienstleister Hellmann Worldwide Logistics hatte in der Vergangenheit bereits einen 7,5-Tonner mit E-Antrieb getestet. Allerdings: „Für unsere Anwendung hat er sich, Stand heute, nicht bewährt“, sagt Fuhrparkmanager Florian Stille. Der eigene Fuhrpark, den Hellmann am Standort Osnabrück betreibe, habe sehr niedrige Standzeiten. „Für einen solchen Einsatz ist ein Elektroantrieb mit dem aktuellen Entwicklungsstand nicht geeignet.“ Stattdessen setzt der Logistiker jetzt auf LNG. Rund 30 40-Tonner mit LNG-Antrieb, etwa 20 von ihnen im Einsatz rund um Osnabrück, habe man bislang angeschafft, so Stille. Das Investitionsvolumen liege bei mehreren Millionen Euro. Derzeit würden die Fahrzeuge von der Bundesregierung gefördert, sodass zwar Mehrkosten im Vergleich zum konventionellen Dieselfahrzeug enstünden, diese sich aber entsprechend reduzierten. Zum wirtschaftlichen Betrieb trägt laut Stille noch etwas bei: „Die Lkw

Linienverkehr auf festen Routen. So kämen täglich mehr als 1000 Kilometer zusammen. „Wir gehen jedoch davon aus, dass auch in der Region in Kürze weitere LNG-Tankstellen hinzukommen werden. Das macht auch den Einsatz der Fahrzeuge flexibler.“ Für Stille ist der Einsatz der Fahrzeuge auch ein Beitrag im Sinne der Nachhaltigkeit. Andere Alternativen zum Diesel, die für die Bedürfnisse des Osnabrücker Unternehmens geeignet sei-

en, gäbe es derzeit nicht. Bei der Frage nach Wasserstoff – aktuell in aller Munde – winkt der Fuhrparkmanager ab. „Es gibt im Moment weder serienreife Fahrzeuge noch die entsprechenden Tankstellen.“ Für Stille ist der LNG-Antrieb eine Übergangstechnologie. „Der Lebenszyklus unserer Fahrzeuge liegt bei vier Jahren. Bis dahin wird es sicherlich weitere Alternativen geben, die für unsere Bedürfnisse nika passen.“

Mitrund 20LNG-Lkw istHellmannrund um Osnabrückunterwegs.

Foto:Hellmann

sind, Stand heute, bis Ende 2023 von der Maut befreit. Das rechnet sich.“ Allerdings: Auf allen Strecken können die Fahrzeuge nicht zum Einsatz kommen. „Die Tankinfrastruktur ist aktuell noch sehr lückenhaft. Daher müssen wir unsere Routen sehr gut planen.“ Das mache den Einsatz der alternativen Antriebstechnologie unflexibler, so der Fuhrparkmanager. Tagsüber seien die Fahrzeuge im regionalen Verkehr unterwegs, nachts im


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Wenn die Planung digital wird Assmann Büromöbel greift auf Know-how des Osnabrücker Software-Start-ups Halocline zurück VON NINA KALLMEIER Mit der VRBrille im Gesicht und den beiden Controllern in der Hand sieht Jannik Bartels aus wie einer der Spieler in Steven Spielbergs Science-Fiction-Thriller „Ready Player One“. Der 26-jährige Industrieingenieur will jedoch keinem düsteren Alltag in eine virtuelle Welt entfliehen. Er befindet sich in einer nachgebauten Produktionsumgebung des Büromöbelherstellers Assmann. Mithilfe der Controller in der Hand kann er dort unter anderem Regale aufbauen und Boxen von A nach B verschieben. „Das ist keine Spielerei“, wie Bartels betont. Ganz im Gegenteil: Statt wie früher zweidimensional neue Arbeitsumgebungen zu planen, nutzt das Unternehmen heute genau diese virtuelle Plattform, die den zur Verfügung stehenden Platz exakt abbildet. Möglich wird dies mithilfe des Know-hows des Osnabrücker Software-Start-ups Halocline, das Anfang des Jahres als eine von zwei Firmen aus der früheren Salt and Pepper Software GmbH hervorgegangen ist. Einer der Geschäftsführer ist Thomas Schüler. Anfang 2015 ist er zu Salt and Pepper gekommen. „Ich hatte damals schon die Überlegung, mir etwas eigenes aufzubauen“, sagt er. Anfang des Jahres bot sich die Chance: Die Salt and Pepper OSNABRÜCK/MELLE

DieVR-BrilleversetztIndustrieingenieurJannikBartels ineinevirtuelleUmgebung.MithilfederControllerkanner dortArbeitsplätzeund -abläufeplanen.

Gruppe wollte sich neu ausrichten, und so wurde im Mai unter anderem Halocline im Zuge eines Management Buy-Outs als Nachfolgegesellschaft der Salt and Pepper Software GmbH gegründet.

Mit der entwickelten Software Boxplan gehe es darum, Informationen zu digitalisieren und erlebbar zu machen, beschreibt Schüler den Nutzen. „Muss eine Arbeitsfläche höher oder niedriger? Braucht

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es zwischen den Arbeitsplätzen mehr Platz? Und kann ein Arbeitsplatz dort überhaupt geplant werden, oder wird dann ein Sicherheitsabstand unterschritten? All das kann man in dem Programm direkt ausprobieren“, so der Halocline-Geschäftsführer, dessen Team zuvor als Produktentwicklungsabteilung unter der Flagge der Salt and Pepper Software gearbeitet hatte. Der Büromöbelhersteller Assmann war einer der ersten Kunden. Die Meller sind aber nicht die einzigen: Auch der Automobilhersteller Daimler hat bereits ein Montagewerk mit Boxplan geplant, der Landmaschinenhersteller Claas gehört ebenfalls zum Kundenkreis. In mehr als 20 Unternehmen sei die Software mittlerweile zum Einsatz gekommen, so Schüler. Zusammen mit dem HaloclineEntwicklungsteam habe man zunächst die Hallenumgebung erstellt, in der dann die neue Produktionsanlage geplant wurde, blickt Jannik Bartels auf die Zusammenarbeit zurück. Zwei Monate habe es insgesamt gedauert – und damit etwas länger, als wenn Assmann auf ein 2-D-Modell zurückgegriffen hätte, gesteht der 26-jährige Industrieingenieur, der nach seiner Tischlerausbildung zunächst Holztechnik in Rosenheim studiert hat und jetzt das Programm Boxplan bei Assmann betreut. Oftmals sei es um Höhen gegangen, zum Beispiel die der Monitore, die heute überall in der Produktion hängen. Aber auch Arbeitsabläufe ließen sich durchspielen, die Höhe

von Arbeitsplätzen könne unkompliziert angepasst werden. „Das bedeutet, dass wir am Ende, wenn alles steht, weniger nachjustieren müssen“, sagt Bartels. Eine Planung in der virtuellen Realität erlaube den Mitarbeitern, sich besser in die Situation reinzudenken. Prozesse würden im wahrsten Sinne des Wortes greifbar. So habe man direkt auf die Erfahrungen der Mitarbeiter – der jüngeren wie älteren – zurückgreifen können. Das ist auch für Halocline-Geschäftsführer Thomas Schüler ein

„Muss eine Arbeitsfläche höher oder niedriger? All das kann man in dem Programm direkt ausprobieren.“ Thomas Schüler, Geschäftsführer Halocline

Fotos:ThomasOsterfeld

entscheidender Vorteil an einer Planung mithilfe von VR. Und noch etwas kommt für ihn hinzu: „Einige Unternehmen planen heute zum Beispiel mit Papp-Boxen als Hilfsmittel. Eine Produktionsumgebung so 1:1 nachzubauen kostet aber Platz und Zeit.“ Zwei Jahre hat es laut Schüler gedauert, die Software zur Marktreife zu bringen. Das Interesse seitens der Industrie sei groß. „Es braucht jedoch auch Investitionsbudgets“, gibt der Geschäftsführer zu bedenken. Und daran hapere es bei dem einen oder anderen. Ein Hemmschuh für die weitere Entwicklung des Osnabrücker Start-ups – gerade in der Corona-Pandemie. Zumal Halocline sein Ziel klar gesetzt hat. „Wir wollen das Produkt internationalisieren“, so Schüler. Dafür braucht es jedoch auch bei Halocline mit seinen heute mehr als 30 Mitarbeitern Kapital. Eine neue Finanzierungsrunde läuft gerade. Mit dem Abschluss rechnet Halocline etwa Mitte kommenden Jahres. Ziel ist ein mittlerer einstelliger Millionenbetrag, um das Unternehmen weiterentwickeln zu können. Einen Schritt hat das Unternehmen bereits gemacht: Boxplan sowie ein weiteres Produkt des Unternehmens, Forestage, sind zu einem verschmolzen – und das nennt sich nun so wie das Unternehmen selbst. Während Halocline an seinem Wachstum arbeitet, wird bei Assmann schon das nächste Projekt mit Unterstützung der virtuellen Realität geplant: Die Tischmontage soll umgebaut werden.

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GELD & GESCHÄFT

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Wie steht es um die Zukunft? Jörn Hasenfuß will in den nächsten Jahren bei VW in Osnabrück Akzente setzen und dem Werk eine Perspektive geben Mehr Kommunikation nach außen soll das Werk präsenter machen.

den Hartnäckigkeit werden wir etwas erreichen. Wie lange wird die Durststrecke in Osnabrück anhalten? Dazu zählt in jedem Fall das Jahr 2021. Daher ist die arbeitsorganisatorische Maßnahme – Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, nach Emden zu gehen – genau richtig. Natürlich kamen daraufhin kritische Fragen zur Zukunft des Standorts Osnabrück. Die Mitarbeiter behalten ihren Tarifvertrag von VW-Osnabrück und gehen als sogenannte Konzernleihe nach Emden. Sollte hier am Standort überraschenderweise frühzeitig Bedarf sein, können wir sie zurückholen. Realistisch gesehen, werden wir jedoch auch 2022 für sie keine Beschäftigung haben. Ein Ausbluten dieses Standorts sehe ich aber nicht, dann wären auch die Zeichen aus der Politik andere.

Überlaufproduktion soll Durststrecke überbrücken. Bringt ein modular aufgebautes Fahrzeug eine Zukunft? VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK Gerade als im VW-Werk Osnabrück nach dem coronabedingten Shutdown die Bänder wieder angelaufen sind, hat auch Jörn Hasenfuß seine neue Aufgabe angetreten: Der 57-Jährige leitet seither das Werk. Kurz vor Jahresende blickt er auf seine ersten Monate zurück – und zeigt nach der für Osnabrück ernüchternden Planungsrunde des Konzerns in diesem Jahr eine Perspektive auf den Standort auf.

Herr Hasenfuß, ein Jobwechsel in der Corona-Pandemie – kannten Sie Osnabrück? Ich war zuletzt in Hannover Mitglied des Vorstandes für den Bereich Beschaffung bei Volkswagen Nutzfahrzeuge und bin in der Region Gifhorn aufgewachsen, insofern ist mir Osnabrück nicht fremd. Wobei ich mehr Karmann und VW in Osnabrück kannte, weniger die Stadt selbst. Die habe ich allerdings – trotz der coronabedingten Einschränkungen in den vergangenen Monaten – schätzen gelernt. Ich bin gerne in Restaurants unterwegs, was momentan leider nicht geht. Ihren ersten Arbeitstag hatten Sie kurz bevor das Werk nach dem Shutdown wieder angelaufen ist. Was hat sich seither getan? Das war eine sehr anstrengende, aber auch effiziente Zeit. Wir haben unter anderem die Berichtsstruktur neu organisiert und ineffiziente Schnittstellen abgeschafft. Damit laufen wir vom Informations- und Arbeitsfluss jetzt schneller – wobei der Standort schon flexibel aufgestellt ist. Insgesamt war die Kommunikation ein Fokus. Ich bin es gewohnt, direkt und vor vielen Menschen zu sprechen und mit ihnen direkt zu kommunizieren. Hier haben wir aus der Not der Corona-Krise eine Tugend gemacht und digitale Formate eingeführt – auch, um den Austausch zwischen mir und den Mitarbeitern sowie unter den Mitarbeitern zu fördern. Aber auch die Kommunikation nach außen ist eine Schwäche des Standorts. VW Osnabrück ist sowohl im VW-Konzern als auch in der Region nicht bekannt genug. Das liegt

AlsJörnHasenfußinOsnabrückseinenPostenangetretenhat,istdieProduktiondesT-Roc-Cabriosgeradewiederangelaufen.MitSonderfarbenwiediesersollderVerkaufdesFahrzeugsangekurbelt werden. Fotos:JörnMartens

auch etwas an uns, da wir im Werk in den vergangenen Jahren sehr verschlossen waren. Das werden wir ändern. Sie werden mit Erwartungen nach Osnabrück und damit an einen der kleinsten VW-Standorte gekommen sein. Wurden diese positiv erfüllt? Was insbesondere positiv war: Ich habe eine Mannschaft vorgefunden, die hochmotiviert ist. Sie möchte etwas reißen. Sie ist flexibel und schnell, wenn es darauf ankommt. Ein Beispiel: Wir haben uns ein Schrottfahrzeug aus dem Konzern besorgt, und zusätzlich haben die Kollegen in der Entwicklung und aus den anderen Gewerken ein T-Roc Cabrio bekommen. Aufgabe war es, aus beiden Autos eins zu machen, einen Demonstrator. Das hat eine Gruppe von rund 30 Mitarbeitern innerhalb von vier Wochen umgesetzt. Das hätte ich an anderen Standorten so nicht realisieren können. Trotz dieser Vorzüge hat der Standort seit Jahren ein Problem – seine Auslastung. Zum Jahreswechsel wird diese noch einmal geringer. Trotz intensiver Bemühungen unsererseits hat Porsche den Vertrag für

EinenDreijahresvertraghatJörnHasenfußbeiVWOsnabrück.SeinZielistes,denStandortwiederbesserauszulasten.

die Produktion des Porsche Cayman vorzeitig gekündigt. Das müssen wir akzeptieren. Diese Überlaufproduktion war sicherlich nicht ideal, sie hätte in Osnabrück aber die Beschäftigung gesichert. 8500 Fahrzeuge von Porsche sollten im kommenden Jahr hier gefertigt werden. Allein die Tatsache, dass wir das nicht machen, bedeutet Verluste im Ergebnis von über 50 Millionen Euro. Die stehen uns nun auch für Investitionen am Standort nicht mehr zur Verfügung. Die betroffenen Mitarbeiter versuchen wir nun in Emden zu beschäftigen. Vor dem Hintergrund der niedrigen Auslastung war die Planungsrunde in diesem Jahr ernüchternd. Es hat kein grünes Licht für ein erhofftes Fahrzeug gegeben, um die Unterauslastung aufzufangen. Wenn man die Situation von außen betrachtet und die Investitionen sieht, die an anderen Standorten getätigt werden, dann ist das in der Tat ernüchternd. Mir war allerdings klar, dass wir in dieser Runde nicht berücksichtigt werden können, da es zurzeit kein genehmigtes Projekt gibt. Insofern war ich auf die schlechten Nachrichten vorbereitet – auch wenn ich mir natürlich etwas anderes gewünscht hätte. Wir arbeiten daran, dass die Auslastung wieder steigt. Was heißt das konkret? Ich habe in der Zeit seit Mai rund 100 Gespräche geführt mit dem Konzernvorstand, allen Markenvorständen von VW-Pkw über Nutzfahrzeuge, Porsche, Audi, Seat und Skoda und mit den Verantwortlichen des Vertriebes. Aber auch mit der Politik in Niedersachsen und Osnabrück, mit der Hochschule, der IHK, der Wirtschaftsförderung und der IG Metall – alle mit dem Ziel, die aktuelle Situation klarzumachen und unsere Strategie aufzuzeigen. Und die ist eindeutig: Wir wollen in Osnabrück selbst Produkte entwickeln und diese in Kleinserien produzieren. Diese Strategie –

selbst entwickelte Autos zu produzieren – ist in den vergangenen zehn Jahren nicht konsequent genug verfolgt worden. Das hat man beim Golf-Cabrio gut gemacht und auch beim T-Roc Cabriolet. Zwischendurch gab es noch das Ein-Liter-Auto und den Pluto für das Moia-Projekt– alles andere, ob von Skoda oder Porsche, ist immer Endmontage oder Lackierung gewesen. Es gibt eine ganze Reihe an Ideen. Können Sie da schon etwas Konkreter werden? Ja, aber die Projekte sind noch nicht genehmigt. Ein Beispiel wäre aber ein modular aufgebautes Fahrzeug, sodass, aufbauend auf einem Basis-Baukasten, für mehrere Marken unterschiedliche Derivate (Coupé, Roadster etc.) produziert werden können. Klar ist, dass in Zeiten einer Pandemie auf die Ausgaben und Liquidität geschaut wird, auch VW hat Projekte

„Wir wollen in Osnabrück selbst Produkte entwickeln und diese in Kleinserien produzieren.“ Jörn Hasenfuß, Leiter VW-Standort Osnabrück

verschoben oder gestrichen. Ein Cabrio – also ein Spaß-Auto – zu bauen mag da nicht die erste Wahl sein. Autofahren ist jedoch auch Emotion und Spaß. Wir haben in Osnabrück immer Cabrios gebaut, vom Käfer, Golf, Audi oder Porsche bis jetzt zum T-Roc. Das ist das Erbe dieses Standorts, und das wollen und werden wir fortsetzen, davon bin ich überzeugt. Das hört sich gut an – bis jedoch ein neues Fahrzeug in Osnabrück anlaufen könnte, wird Zeit vergehen. Was ist bis dahin? Die Auslastung wird ja nicht besser. Richtig – frühestens 2023 wird ein wirklich neues Fahrzeug in Osnabrück in Serie gehen können. Das heißt, wir haben bis dahin eine schwierige Zeit vor uns, die wir gestalten müssen. Aufgrund der Anzahl der Möglichkeiten für diesen Standort ist mir um die Zukunft aber nicht bange. Wir kämpfen zudem darum, eine der auch von uns nicht immer geliebten Überlaufproduktionen oder Sonderserien zu holen. Solche Projekte müssen nicht erst entwickelt werden. Hier bin ich positiv, dass wir kurzfristig – vielleicht schon 2021 oder 2022 – ein Projekt nach Osnabrück holen. Die Auslastung sinkt jedoch insgesamt in der Automobilindustrie – auch beim Porsche war das ein Grund, warum er zurückgeholt wurde. Gibt es da wirklich Chancen? Es ist sicherlich richtig: Auch durch das Schieben und Streichen von Projekten im Konzern in allen Marken sind Überhangproduktionen nicht per se da. Porsche ist da das beste Beispiel. Es ist aber deutlich zu merken, dass an Standorten, an denen schon E-Fahrzeuge produziert werden, die Arbeit anzieht und sowohl mehr Mitarbeiter als auch mehr Kapazitäten benötigt werden. Hier zeichnen sich Projekte ab, die für die Effizienz größerer Werke nicht ideal sind. Da liegt unsere Chance. Mit der entsprechen-

Erst einmal bleibt es aber dabei: Ab Januar wird nur noch das T-RocCabrio produziert. Wie ist das angelaufen? Das T-Roc-Cabrio ist zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt auf den Markt gekommen. Aufgrund von Corona fand keine klassische Markteinführung statt, die das Fahrzeug bekannt machen würde. Man hat dann leider auch seitens des Vertriebes die Marketing-Budgets zusammengestrichen und die Aktivitäten auf den Golf, den ID.3 und andere Fahrzeuge gelegt. Das ist nachvollziehbar, hilft uns aber nicht. Kurz gesagt: Das Fahrzeug hat gelitten. Die Verkaufszahlen liegen in Deutschland bei etwas über 10 000. Im europäischen Ausland findet das Auto fast nicht statt. Wir haben die Sache jetzt selbst in die Hand genommen. Wir sind zum Beispiel mit Händlern direkt im Gespräch, um über Sondermodelle die Verkäufe zu erhöhen. Diese Gespräche werden wir fortsetzen. Das hört sich nach viel Eigeninitiative, losgelöst von Volkswagen in Wolfsburg, an. Ja, wir müssen sicher aus der Not eine Tugend machen und permanent versuchen insbesondere die Vertriebsorganisation, aber auch andere Bereiche für uns zu gewinnen. War Ihnen bewusst, wie viel Klinkenputzen ein Wechsel in dieses Werk sein würde? Mir war klar, dass zum Erfolg des Standorts viel Klinkenputzen gehört. In der Intensität hätte ich damit allerdings nicht gerechnet. Aber die Corona-Krise hat uns sogar ein bisschen in die Hände gespielt. Wir haben viel digital gemacht und konnten somit viel Zeit einsparen, die ansonsten durch viele Reisen zu den entsprechenden Standorten im Konzern weg gewesen wäre. Ohne Corona hätte niemand Videokonferenzen akzeptiert. Ein großes Netzwerk ist sicherlich eine meiner Stärken, und das kommt uns zugute. Bleiben Sie dem Standort etwas länger erhalten als Ihre Vorgänger? Ich habe einen Vertrag über drei Jahre, die will ich auch hier in Osnabrück bleiben. Ich bin auch nicht der Typ, der gleich abbricht, wenn etwas nicht läuft. Ich wollte eine Komplettverantwortung, und die habe ich hier bei VW Osnabrück. Ich bin zwar nicht mehr der Jüngste, aber auf unserer Cabriofahrt über das Werksgelände hat Ministerpräsident Stephan Weil etwas Interessantes zu mir gesagt: 60 ist das neue 40. Die Herausforderung hier in Osnabrück zu meistern ist mein Ziel.


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GELD & GESCHÄFT

Auf Corona folgt die Zuversicht 2021 wird eine Herausforderung für die Exportnation Deutschland / Experten sehen Joe Biden als Hoffnungsträger VON STEFAN WOLFF OSNABRÜCK An den Finanzmärkten herrscht Einigkeit: 2020 ist ein Jahr, das in die Geschichte eingehen wird. Einigkeit besteht auch weitgehend darüber, wie es weitergehen wird: 2021 soll das Jahr der Erholung werden – ein Jahr, in dem es in der Wirtschaft und an den Aktienmärkten steil aufwärtsgehen soll. Am Ende dieses Jahres sieht es fast so aus, als wäre gar nichts gewesen. Der Deutsche Aktienindex (Dax) bewegt sich auf dem höchsten Stand seit über neun Monaten. Dass zusätzlich die Krisenwährung Gold auf ein Viermonatstief gefallen ist, verstärkt den Eindruck: Alles in Ordnung. Dabei war es (nicht nur) an den Finanzmärkten ein Annus horribilis. Die rasante Ausbreitung des Coronavirus, der Stillstand fast der gesamten Weltwirtschaft, abgerissene Lieferketten und geschlossene Geschäfte haben tiefe Spuren hinterlassen. Mitte März standen die Aktienkurse gut 40 Prozent unter dem Vorkrisenstand. „Die Weltwirtschaft erlebte in diesem Jahr die schwerste Rezession seit fast 100 Jahren“, fasst Carsten Klude, Chefvolkswirt der Hamburger Privatbank MM Warburg, zusammen. Notenbanken und Staaten reagierten umgehend. Die Geldpolitik senkte entweder die Zinsen oder

öffnete weiter die Schleusen, um die Märkte und die Wirtschaft mit billigem Geld zu versorgen. Die Politik machte Nothilfen frei, ermöglichte Überbrückungskredite, übernahm Bürgschaften. In Deutschland wurde vor allem das Kurzarbeitergeld, das Mittel der Wahl gegen Massenentlassungen, aufgestockt und seine Zahlung mehrmals verlängert. Zwischenzeitlich gab es mehr als zehn Millionen Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter in Deutschland, für die der Staat einen Löwenanteil des Lohns übernahm. Hinzu kamen Steuererleichterungen und steuerlich geförderte Kaufanreize, vor allem für E-Autos und die sogenannten Plug-in-Hybride. In den verschiedenen Ländern fielen die Maßnahmen unterschiedlich aus. Doch eines einte fast alle. „Die einzelnen Staaten wollen also das Verhalten ihrer Bürger lenken und gleichzeitig mit unterstützenden Maßnahmen zur Seite stehen“, sagt Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Landesbank HessenThüringen (Helaba). „Diese Strategie wird üblicherweise als erzieherische Arbeit bezeichnet.“ Wie erfolgreich diese “Erziehung“ ist, ist noch offen. Die Helaba hat dieses Bild dazu inspiriert, die Prognosen für das kommende Börsenjahr als „Nanny“-Szenario zu beschreiben. Staatliche Eingriffe bestimmen demnach auch 2021 Wirtschaft und Börse, doch haben diese

Bleiben Sie Kurz notiert immer informiert Auszeichnung: Laut einer Studie Über unseren Wirtschaftsnewsletter erhalten Sie auch zwischen den Ausgaben von „Die Wirtschaft“ dreimal die Woche einen Einblick in die regionale Wirtschaft sowie Wissenswertes zu allgemeinen Wirtschaftstrends direkt per Mail. Die Anmeldung ist kostenfrei über www.noz.de/newsletter. Die nächste „Die Wirtschaft“ erscheint am Donnerstag, 25. Februar 2021. Anzeigenschluss für diese Ausgabe ist Freitag, 5. Februar 2021. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter der Adresse www.noz.de/wirtschaft.

GESCHÄFTSFÜHRER: Axel Gleie und Jens Wegmann CHEFREDAKTION: Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur), Dr. Berthold Hamelmann (Vertreter des Chefredakteurs), Burkhard Ewert (Stellvertretender Chefredakteur) KOORDINATION: Nina Kallmeier AUTOREN DIESER AUSGABE: Marcus Alwes, Christoph Assies, Sebastian Hamel, Bertold Hamelmann, Nina Kallmeier, Bastian Klenke, Rainer Lahmann-Lammert, Thomas Ludwig, Christoph Lützenkirchen, André Pottebaum, Elke Schröder, Jürgen Wallenhorst, Stefan Wolff REDAKTION V.i.S.d.P.: Ralf Geisenhanslüke FOTOGRAFEN: Marcus Alwes, Christoph Assies, Tobias Böckermann, Michael Gründel, Sebastian Hamel, Annette Hornischer, Nina Kallmeier, Jörn Martens, Jan Neumann, Thomas Osterfeld VERLAG: Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, Postfach 42 60, 49032 Osnabrück; Breiter Gang 10–16, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Telefon 0541 310-330, Telefax 0541 310-266; Internet: www.diewirtschaft.noz.de; E-Mail: diewirtschaft@ noz.de ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF: MSO Medien-Service GmbH & Co. KG, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Postfach 29 80, 49019 Osnabrück, Telefon 0541 310-500, Geschäftsführer: Sven Balzer, Anzeigen-/ Werbeverkauf: Sven Balzer, Ansgar Hulsmeier, Dirk Riedesel, Marvin Waldrich ANZEIGENANNAHME: Geschäftskunden: Telefon 0541 310-510, Telefax 0541 310-790; E-Mail: auftragsservice@mso-medien.de ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF für Ausgabe Grafschaft Bentheim: Grafschafter Nachrichten GmbH & Co. KG, Coesfelder Hof 2, 48527 Nordhorn, Telefon 05921 707410, Verlagsleiter: Matthias Richter (V.i.S.d.P.) ANZEIGENANNAHME für Ausgabe Grafschaft Bentheim: Grafschafter Nachrichten GmbH & Co. KG, Telefon 05921 707-410; E-Mail: gn.media@gn-online.de, Leitung Mediaverkauf: Jens Hartert TECHNISCHE HERSTELLUNG: Druckzentrum Osnabrück, Weiße Breite 4, Osnabrück (Ausgabe Osnabrück/Emsland); Grafschafter Nachrichten, Coesfelder Hof 2, Nordhorn (Ausgabe Grafschaft Bentheim)

von Financial Times und Statista gehört EWE zu den 850 Unternehmen in Europa, die nicht nur über Diversity reden, sondern auch etwas dafür tun und in den letzten Jahren klare Fortschritte gemacht haben. Folge: Das Oldenburger Unternehmen wurde zu einem der europäischen Diversity Leaders 2021 ernannt. In einer Befragung wurden 15 000 europäische Firmen hinsichtlich ihres Diversity- und Inklusions-Engagements auf einer Skala von 0 bis 10 eingestuft.

Gratulation: Statt einer Feierstunde haben 145 Meisterinnen und Meister aus dem Kammerbezirk Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, die vor 50 Jahren ihre Meisterprüfung absolviert haben, ihren „Goldenen Meisterbrief “ zugeschickt bekommen. 1970 legten die damaligen Jungmeister*innen mit ihrer Prüfung vor der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim ihren persönlicher Grundstein für die Karriere im Handwerk. Zusammenarbeit: Der weltweit agierende Full-Service-Dienstleister Hellmann Worldwide Logistics und die Siemens AG bauen ihre seit 2013 bestehende Zusammenarbeit in der Kontraktlogistik weiter aus: Seit November verwaltet Hellmann im tschechischen Bor für den Bereich Electrical Products bei Siemens Smart Infrastructure rund 26 000 aktive Artikel – von der Lagerverwaltung über die Kommissionierung und Verpackung bis hin zum weltweiten Versand. Dies entspricht einer Erweiterung des Vertragsvolumens um rund 50 Prozent. Sonderzahlung: Die Höcker Polytechnik GmbH aus dem niedersächsischen Hilter a.T.W. setzt ein positives Signal im CoronaJahr 2020 und zahlt ihren mehr als 220 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Deutschland zusätzlich

VerbreitetOptimismus:derkünftigeUS-PräsidentJoe Biden.

Eingriffe nicht nur positive Effekte. „Deutschland ist in der Krise bislang besser gefahren als viele seiner Nachbarn“, erklärt Traud. „Das exportabhängige Land ist aber darauf angewiesen, wie es künftig um die Prinzipien der internationalen Arbeitsteilung und des freien Wettbewerbs bestellt sein wird.“ Hier türmen sich nicht nur die Probleme auf, die der Austritt Großbritanniens (Brexit) mit sich bringt. Auch stehen die Handelskonflikte in fast allen Ecken der Welt einem freien Warenverkehr im Weg. Als Reaktion auf die Abschottungspolitik der USA haben China, Australi-

Foto: AndrewHarnik/AP/dpa

en und Neuseeland sowie die Asean-Staaten kürzlich das Freihandelsabkommen RCEP ins Leben gerufen. Ursprünglich sollte ein solches Abkommen mit den USA und ohne China abgeschlossen werden. Für die Exportnation Deutschland ist das eine Herausforderung. Auf der einen Seite setzt das Land gemeinsam mit der EU auf weitere Handelsbündnisse, auf der anderen Seite aber auch auf den kommenden US-Präsidenten Joe Biden, der die Trump’sche „America First“Politik zumindest relativieren soll. Als Reaktion auf diese Erwartungen ist der Preis für Kupfer zuletzt

auf den höchsten Stand seit sieben Jahren gestiegen. Das Industriemetall gilt als zuverlässiger Konjunkturindikator. Ein steigender Preis deutet darauf hin, dass die Unternehmen ihre Lager allmählich wieder auffüllen. Die Branche setzt große Hoffnungen in die von Joe Biden angekündigte Energiewende in den USA. Ein Neuanfang im Verhältnis zu den USA ist einer der Hoffnungsträger für das kommende Börsenjahr, die Hoffnung auf eine deutliche Erholung der Weltwirtschaft ein weiterer. „Im nächsten Jahr wird es zu einem synchron verlaufenden Aufschwung in den Industrie- und Schwellenländern kommen“, ist sich MM-Warburg-Mann Carsten Klude sicher. Ein Grund liegt natürlich in der Schwere des Absturzes der Wirtschaft in diesem Jahr, ein anderer in den getroffenen CoronaMaßnahmen und den großen Hoffnungen auf einen Impfstoff. Ein weiterer Grund liegt in den Unternehmen selbst. „Die Unternehmensgewinne dürften 2021 und 2022 deutlich wachsen; die starken Unternehmen setzen in der Krise schwache Konkurrenten unter Druck und werden profitabler“, sagt Carsten Kahler, Analyst bei der DZ Bank. „Überproportionale Gewinnsteigerungen bei einzelnen Konzernen sind denkbar, weil 2020 die Kosten gesenkt wurden.“ Es ist also auch eine Frage der Effizienz

und Beweglichkeit der Firmen. Hierbei stehen deutsche Unternehmen vor großen Herausforderungen. Der Umbau zur Elektromobilität und die Digitalisierung schreiben ihnen die Hausaufgabenhefte voll. Viele Herausforderungen sind schon lange da – Corona hat die Probleme lediglich verstärkt. Allein in den 30 Dax-Konzernen stehen Schätzungen zufolge 120 000 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Nach der zweiten Corona-Welle rechnen viele Beobachter mit einer Entlassungswelle und einer Pleitewelle. Für diese Fälle hat die Helaba das „Poltergeist“-Szenario entwickelt, in dem ständige und wiederholte Lockdowns das Wachstum zum Erliegen bringen. „Eine längere Schwächephase wird zudem die unschönen politischen Strömungen der vergangenen Jahre verstärken“, erklärt Gertrud Traud. „Eine nachhaltige und ausgeprägte Tendenz zur Abschottung, sei es nun aus Gründen des Nationalismus („Buy American!“) oder zur Förderung der regionalen Wirtschaft („Kauft regional!“), wäre Gift für die globale Konjunktur.“ Einem solchen Szenario misst die Chefökonomin der Helaba allerdings nur eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 20 Prozent zu. Ansonsten herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Dax das Zeug dazu hat, im Jahr 2021 an der Marke von 14 000 Punkten zu kratzen.

Gerry Weber International ist wieder da zum Weihnachtsgeld eine Sonderprämie von bis zu 1000 Euro – und honoriert damit die coronabedingten Anstrengungen. Vorstandswahl: Die Wirtschaftsjunioren der Industrieund Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg haben im November einen neuen Vorstand gewählt. Auf der erstmals vollständig digitalen Jahreshauptversammlung wählten die Mitglieder Jens van Mark (Ostfriesische Landschaftliche Brandkasse, Aurich) einstimmig zu ihrem neuen Vorsitzenden. Er tritt damit die Nachfolge von Ingo Schmidt (Neemann OHG, Leer) an, der diese Funktion – wie bei den Wirtschaftsjunioren üblich – nach einem Jahr wieder abgibt. Zertifizierung: Die IHK Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim hat für weitere drei Jahre das Qualitätssiegel „Familienfreundlicher Arbeitgeber“ der Bertelsmann-Stiftung erhalten und ist nunmehr bis 2023 zertifiziert. Erstmals hatte sich die IHK im Jahr 2014 dem Prüfverfahren gestellt. Mit dem Qualitätssiegel zeichnet die Stiftung Arbeitgeber aus, die eine familienfreundliche und mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur und Personalpolitik leben. Verkauf: EWE verkauft seine auf Offshore-Windparks spezialisierte Tochter EWE Offshore Service & Solutions GmbH (EWE OSS), an die VINCI Energies, die ihren Sitz in Frankfurt am Main hat. Das Kartellamt hat Mitte November der Transaktion zugestimmt. EWE OSS in Oldenburg ist nach eigenen Angaben als Spezialist für die Planung von OffshoreWindparks und insbesondere für deren Instandhaltung in der Nordsee Marktführer und erwirtschaftet einen Jahresumsatz von rund 30 Millionen Euro mit 160 Mitarbeitern, die VINCI Energies ebenso wie alle Standorte übernimmt.

KWS Saat hat eigentlich Potenzial für mehr

VON JÜRGEN WALLENHORST HALLE/EINBECK Die Gerry Weber International AG (GWI) mit Sitz in Halle/Westfalen ist wieder im Rennen: Seit dem 19. Oktober 2020 werden mit Zustimmung der Frankfurter sowie der Düsseldorfer Börse wieder alle Aktien des internationalen Textilunternehmens gehandelt. Rückblick: Seit April 2019 befand sich GWI in einem regulären Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung. Das Verfahren wurde zum 31. Dezember 2019 erfolgreich beendet. Während und nach Abschluss des Verfahrens hat GWI ihr Geschäft deutlich restrukturiert. Zum neuen Börsenstart hat der Konzern rund 1,25 Millionen neue Aktien sowie 40000 Aktien, die ehemalige Gläubiger von Gerry Weber aus vorherigen Wandelschuldverschreibungen nun umwandeln können, auf den Markt gebracht. Auch die Eigentümerstruktur des Konzerns hat sich grundlegend geändert. Alle Altaktionäre hattenihreAnteileaufgebenmüssen.Derzeit halten nach GWI-Angaben die beiden Investoren Whitebox Advisors und Robus Capital Management jeweils 42 Prozent der Anteile; die restlichen 16 Prozent sind im Besitz der J.P. Morgan Securities plc. Innerhalb einer Woche schnellte der Aktienwert von etwas über 2 Euro auf knapp 20 Euro hoch und pendelt sich seitdem mit leichten Schwankungen über 15 Euro ein. Im der Quartalsmitteilung für die ersten neun Monate 2020 fasste GWI am 30. November die Situation so zusammen: positives Konzernergebnis im 3. Quartal, Rohertragsmarge nach neun Monaten weiter verbessert, massiver Einfluss von Covid-19 auf Geschäftsentwicklung, Konzernumsatz gibt auf 227,1 Millionen Euro (Vorjahr: 367,5) nach, Umsatzerwartung für 2020 unverändert bei 260 bis 280 Millionen Euro. Die KWS Saat SE & Co. KGaA mit Sitz in Einbeck (Niedersachsen) ist ein

Gerry Weber AG

Angaben in Euro 23 21 19 15 13 11 9 7 5 3 1

September

November

Oktober

KWS Saat AG

Dez. Angaben in Euro

74 72 70 68 66

62 60

September

Oktober

international agierendes Pflanzenzüchtungs-undBiotechnologie-Unternehmen. Der Konzern ist weltweit der viertgrößte Saatguthersteller nach Umsatz aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen. In mehr als 70 Ländern der Welt ist er mit Tochter- und Beteiligungsgesellschaften, VersuchsstationenundVermehrungsflächenpräsent. Ende November meldete das Unternehmen die Zahlen für das erste Quartal des Geschäftsjahres 2020/21 (1. Juli bis 1. September 2020). Wenig überraschend ist das Geschäft von KWS Saat sehr von Saisonalitäten geprägt. Der Umsatz ging von 191,0 auf 184,1 Millionen Euro zurück. Das EBITDA ver-

November

Dez.

schlechterte sich von –21,8 auf –27,3 Millionen Euro. Der operative Verlust lag bei 50,5 Millionen Euro nach 42,3 Millionen Euro in der Vorjahresperiode. Vor allen Dingen Währungseffekte machten dem Unternehmen zu schaffen. Auf Gesamtjahressicht erwartet der Vorstand einen Umsatz auf dem Niveau des Vorjahres. Die EBIT-Marge dürfte zwischen 11 und 13 Prozent betragen. Aus Anleger-Sicht dürfte die Aktie kurzfristig interessant sein, so Analysten. Seit Oktober bildete sie höhere Tiefs aus, nun nehme sie Anlauf auf das Zwischenhoch bei 65,20 Euro. Und man erwarte noch mehr.


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DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

GELD & GESCHÄFT

Auf der Jagd nach Fehlern Firma RieTex in Neuenkirchen-Vörden macht Textilien aus Fernost markttauglich / Auch ein Beitrag zur Nachhaltigkeit VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN NEUENKIRCHEN-VÖRDEN Wenn in China ein Sack Reis umfällt, muss Hans-Jürgen Riehemann sich keine Sorgen machen. Wohl aber, wenn dort die Nähmaschinen stillstehen. Riehemann ist Geschäftsführer und Besitzer der Firma RieTex im Niedersachsenpark in Neuenkirchen-Vörden. Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, Transportschäden und Produktionsfehler an Textilien zu beheben, die im Ausland gefertigt wurden. Durch die Globalisierung der textilen Produktionskette und die gewachsene räumliche Trennung von Beschaffungs- und Absatzmärkten gebe es hier immer mehr Probleme, so Riehemann. „Wir beheben diese Mängel, damit die Ware trotzdem auf dem europäischen Absatzmarkt verkauft werden kann.“ Mit dem coronabedingten Lockdown in China war die globale Produktionskette von Textilien laut dem 55-Jährigen bereits im Januar unterbrochen: „Ab März waren dann zeitweise sowohl die Textilbeschaffungsmärkte in Fernost als auch die europäischen Absatzmärkte wegen der Pandemie geschlossen.“ Das hat Folgen. Bei RieTex werden die Umsatzerlöse im Geschäftsjahr 2020 voraussichtlich auf 1,25 Millionen Euro sinken. In einem normalen Jahr beläuft sich der Jahresumsatz des Unternehmens auf circa 2,5 Millionen Euro. Trotz des Einbruchs ist Riehemann zuversichtlich, dass sein Unternehmen das Jahr durch Rücklagen und Soforthilfen überstehen wird. Glücklicherweise verkaufe der gute Kunde Ernsting’s Family auch Kinderkleidung, so der RieTex-Geschäftsführer weiter, dafür bestehe immer Bedarf. Im Bereich Damen- und Herrenoberbekleidung habe sich der Textilmarkt nach dem Einbruch im Frühjahr aber noch nicht erholt, den Kunden fehle das Einkaufserlebnis. Hans-Jürgen Riehemann führt das Familienunternehmen in vierter Generation; begründet wurde es Ende der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts in Bersenbrück durch seine Urgroßmutter Anna Thye. Seit zwei Jahren arbeitet mit Riehemanns Tochter Marie – sie ist gelernte Industriekauffrau – bereits die fünfte Generation mit. Jahrzehntelang war die chemische Reinigung von Kleidungsstücken aus Privathaushalten das Kerngeschäft des Unternehmens. Heute macht der Geschäftsbereich nur noch circa zehn Prozent vom Umsatz aus. Dennoch gibt es im Umkreis von RieTex zahlreiche Annahmestellen für Privatkunden. Der Bedarf ist noch da. Die Annahme erfolgt auf Provisionsbasis, Partner sind meist lokale Textilgeschäfte. Schon Riehemanns Vater Johannes hatte Kontakte in die Textilindustrie aufgebaut. Unter seiner Leitung begann man – damals noch unter dem Firmennamen „Textilaufbereitung Riehemann“ – fabrikneue Jeans zu waschen, die anschließend eine Used- Optik haben sollten. Das heutige Hauptgeschäftsfeld erschloss sein Sohn Hans-Jürgen, der seit 2011 die alleinige Verantwortung für das Unternehmen trägt. Er ist gelernter Textilreiniger und Diplom-Kaufmann, außerdem hat der vierfache Vater bis zum Vordiplom Chemie studiert. Erster Kunde für die neue Dienstleistung war der Textilfilialist Ernsting’s Family. Heute nehmen zahlreiche weitere Textilimporteure aus dem In- und Ausland den Service in Anspruch, darunter bekannte Unternehmen wie Jeans Fritz, Jack Wolfskin und Clinton mit den Marken Camp David und Socks. Bei der Aufbereitung durch RieTex geht es unter anderem um Probleme

Textiliensindihr Spezialgebiet:EineMitarbeiterin derFirma RieTex kontrolliertdie QualitätvonKleidungsstückenund stelltgemeinsam mit ihrenKollegen eventuelleMängel ab.

mit ausfärbenden Textilien, schlechte Abriebwerte, toxische Belastungen der Stoffe, die Nachfixierung von Drucken, die Maßkontrolle oder die Griffveränderung. Bei ausblutenden und abfärbenden Textilien setzt das Unternehmen spezielle Fixiermittel ein. „Hier kommt es entscheidend darauf an, um welche Ausgangsfaser es sich handelt“, erklärt Riehemann. Beispielsweise würden die Mittel abhängig vom Einzelfall basisch oder sauer eingestellt. Wenn es sich um ein Mischgewebe handelt, muss der Fachmann vorab testen, welche Faser im Gewebe ausblutet. Außerdem gilt es, auf die Applikationen eines Stoffes zu achten. Das sind zum Beispiel Knöpfe, Druckverschlüsse und Ähnliches. Das Ergebnis wird nach einem DIN-zertifizierten Verfahren geprüft. „Das alles müssen wir unter Zeitdruck erledigen“, sagt der RieTex-Geschäftsführer: „Die Ware muss in der

„Den Erfolg der Behandlung lassen wir uns durch akkreditierte Prüfinstitute bestätigen.“ Hans-Jürgen Riehemann, RieTex-Geschäftsführer

Regel zu einem festen Termin im Laden sein.“ Die Problemprodukte kommen verkaufsfertig verpackt nach Vörden. Sie werden also ausgepackt und nach erfolgreicher Behandlung originalgetreu wieder eingepackt. „Wir müssen flexibel sein, was das Personal angeht“, so Riehemann: „Deshalb arbeiten wir viel mit 450-Euro-Kräften zusammen, bei Bedarf auch mit Zeitarbeitsunternehmen.“ RieTex beschäftigt circa 25 Mitarbeiter in Vollzeit, weitere elf arbeiten in der sogenannten „Gleitzone“. Sie verdienen zwischen 450 und 900 Euro im Monat, auch die Sozialversicherungsbeiträge werden flexibel, entsprechend dem jeweiligen Arbeitsvolumen, berechnet. Hinzu kommen 20 bis 25 reine 450-EuroKräfte. Die Abriebwerte von Textilien werden als „Kontaktechtheit“ oder „Reibechtheit“ bezeichnet. „Darunter versteht man die Widerstandsfähigkeit von Färbungen und Drucken gegenüber mechanischen Einwirkungen, denen die Textilien im späteren Gebrauch ausgesetzt sind“, erklärt der Fachmann. Der Abriebwert werde numerisch auf einer Skala bewertet, die von „Eins“ (sehr schlecht) bis „Fünf“ (sehr gut) reiche. Bei einem Baumwollstoff, der mit Direktfarbstoff eingefärbt wurde, lasse er sich beispielsweise von Eins auf Zwei bis Drei verbessern. Den Arbeitsbereich rund um die toxische Belastung von Stoffen bezeichnet man bei RieTex als „Detox“. Bestimmte Chemikalien, aber auch Schimmel, dürften in Textilien gar nicht oder nur grenzwertunterschreitend vorkommen, so Riehemann: „Hier bieten wir Dekontaminationsverfahren an. Den Erfolg der Behandlung lassen wir uns durch akkreditierte Prüfinstitute bestätigen. Erst dann geht die Ware an den Hersteller zurück.“ Der Geschäftsbereich Detox macht etwa fünf bis zehn Prozent der Umsätze von RieTex aus, davon entfallen 80 Prozent auf Probleme mit Schimmelkontaminationen. Das liegt laut Riehemann auch daran, dass die Ware häufig in Fernost hergestellt wird. Dort herrsche ein feuchtes, tropisches Klima. Besonders aufwendig und komplex ist die Fixierung von Textildrucken. Hans-Jürgen Riehemann zeigt dies am Beispiel einer Regenjacke für Kinder, bei der sich aufgedruckte Schmetterlinge ablösten. Es gelang, die Schmetterlinge nachhaltig zu fixieren, die Jacke konnte in den Verkauf gehen. „Andernfalls wäre sie

nicht vermarktungsfähig gewesen“, sagt der RieTex-Geschäftsführer: „Wir leisten damit auch einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Häufig würde die Ware ohne unsere Aufberei-

Foto: RieTex

tung vernichtet.“ Für seine Kunden aus der Textilindustrie übernimmt RieTex auch die Maßkontrolle von Produkten. Anhand einer Maßtabelle des Kunden werden die Kleidungs-

stücke hierfür einzeln mit dem Maßband überprüft. Ein weiterer Arbeitsbereich betrifft die Griffveränderung von Textilien. Davon spricht man, wenn Kleidungsstücke beispielsweise zu hart sind, weil sie möglicherweise nicht richtig gewaschen wurden. Auch die Entfernung von unerwünschten Gerüchen gehört zu den Services des Unternehmens. Ein wachsendes Geschäft erhofft man sich in Neuenkirchen-Vörden aus der Aufbereitung von Retourware. Sie kommt beispielsweise vom Online-Versandhaus Zalando. Es handelt sich um Kleidungsstücke, die von den Kunden anprobiert und zurückgeschickt wurden. Riehemann will RieTex in Zukunft als Kompetenzzentrum in Sachen Textil an der A 1 etablieren. Das Dienstleistungsangebot soll wachsen und auch die Beratung der Kunden über Schulungen und Seminare umfassen. Dabei könne es beispielsweise um Präventivmaßnahmen in den Produktionsländern gehen. „Viele Textilimporteure aus dem Großund Einzelhandel wissen gar nicht, wie umfangreich die Möglichkeiten zur Nachbesserung sind“, glaubt Riehemann: „Deswegen wollen wir unsere Dienstleistung im In- und Ausland aktiver bekannt machen.“ Langfristig sei es denkbar, Zweigbüros in den wichtigsten Produktionsländern einzurichten, um die dort ansässigen Textilproduzenten direkt vor Ort zu unterstützen.

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DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

RUND UMS BÜRO

Das Büro ist tot, es lebe das Büro! Wie Investoren, Ausstatter und Planer die Arbeitswelt Büro neu interpretieren

VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN Digitale Transformation, Wohlfühlatmosphäre, flexible Arbeitsumgebung – das gute, alte Büro ist kaum noch wiederzuerkennen. Es ist unterwegs in die Zukunft. Ein anspruchsvolles Unterfangen, aber spannend. „Noch vor zehn Jahren war es einfach, ein Büro einzurichten“, sagt Barbara Schwaibold, Pressesprecherin des Industrieverbands Büro und Arbeitswelt IBA in Wiesbaden: „Man brauchte gute Möbel, ausreichend Stauraum, einen Raum für Besprechungen und eine Kaffeeecke. Außerdem ausreichend viele Desktop-PCs, Faxgeräte, Drucker und große Schreibtische. Räume für soziale Begegnung waren meist klar von den Büros abgetrennt.“ Die digitale Transformation vollzieht sich nach ihrem Verständnis zum einen in der Arbeit selbst. Versicherungsunternehmen würden beispielsweise mit Algorithmen arbeiten, ähnlich sei es mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz in der Kundenbetreuung. Zum anderen habe die Digitalisierung auch in die Arbeitsumgebung Einzug gehalten, so Schwaibold: „Nehmen Sie zum Beispiel die Raumbuchungssysteme. Besprechungsund Konferenzräume sind besonders in der Corona-Krise ein knappes Gut. Mithilfe der Raumbuchungssysteme lässt sich schnell ermitteln, ob ein Raum frei ist und ob ich ihn nutzen kann.“ Auch Andreas Ruthemeyer vom Osnabrücker Büroausstatter Hofmann Mein Büro ist überzeugt davon, dass das herkömmliche Büro immer mehr an Bedeutung verliert. Vielmehr werde es vom mobilen Arbeitsplatz abgelöst. Zudem hätten viele in der Pandemie das Homeoffice genutzt. Als Ort des gemeinschaftlichen Arbeitens bleibe das Büro aber bedeutsam. „Die Arbeit im Homeoffice macht auf Dauer unkreativ“, glaubt Ruthemeyer, „das gemeinsame Brainstorming gelingt über virtuelle Meetings nicht. Der direkte Kontakt ist unersetzlich.“ Die Unternehmen müssten sich etwas einfallen lassen, OSNABRÜCK

um die Attraktivität der Arbeitsplätze in den Büros zu steigern. Beispielsweise würden Teamarbeitsplätze benötigt. Ruthemeyer: „Das können Creative Spaces mit großen Tischen und fantasievollen Sitzgelegenheiten sein, Räume für Ad-hoc-Meetings, einladende Kaffeeküchen. Letztlich geht es darum, Nischen für Gesprächssituationen zu schaffen.“ Büromöbel sind seinen Angaben zufolge heute nicht mehr wuchtig und massiv, sondern lebhaft, modular und vielseitig kombinierbar. Möbel eben, wie sie Traditionshersteller Assmann Möbel aus Melle baut. „Der Trend in der Büroausstattung geht in Richtung Hybridisierung“, sagt Günter Osterhaus vom Vertrieb des Unternehmens: „Der Arbeitsplatz soll ein bisschen an zu Hause erinnern und ein wenig Wohnzimmeratmosphäre in die Arbeitswelt bringen.“ Als ein typisches Element moderner Bürowelten nennt er Steh-Sitz-Schreibtische mit motorischer Verstellung, die sich jeder Körpergröße und Aufgabe leicht anpassen können. Die früher allgegenwärtigen Schranksysteme seien im Zuge der Digitalisierung eher rückläufig. Heute setze man auf kleine, mobile Container, die auf Rollen bewegt werden können. „Bei Assmann gibt es auch schon Arbeitsplätze, die völlig

„Moderne Büros sollten so angelegt sein, dass das Unvorhergesehene genutzt werden kann.“ Barbara Schwaibold, Industrieverband Büro und Arbeitswelt (IBA)

ActivityBasedWorking:ModernausgestatteteBürosbemühensich,mehrdieBeziehungenderMitarbeiterabzubildenundsichandenjeweiligenAufgabenzuorientieren. Foto:AssmannBüromöbel

autark von Stromanschlüssen eingesetzt werden können“, so Osterhaus weiter, „bei voller Funktionsmöglichkeit der Tischverstellung, einer Stehleuchte mit Präsenzmelder und der kompletten IT-Ausstattung. Das funktioniert mit einem leistungsfähigen Akku der acht bis zehn Stunden Strom für den Arbeitsplatz liefert.“ Nachdem Büros über Generationen penibel die Hierarchien in einem Unternehmen abgebildet haben, sind jetzt neue Konzepte gefragt. Nach Überzeugung von Thomas Postert, Director Strategie und Marketing der Fachmesse für Objektausstattungen Orgatec in Köln, werden sich Arbeitgeber, die gute Fachkräfte gewinnen und halten wollen, um Büros bemühen, die mehr die Beziehungen der Mitarbeiter abbilden und sich an den jeweiligen Aufgaben orientieren. Im Fachjargon nenne man das Activity Based Working. „Das Miteinander, der Flurfunk, die Interaktion zwischen den Mitarbeitern sind leistungs- und effizienzsteigernd“, sagt Postert, „das kann man durch eine passende Raumausstattung fördern.“

Bereiche für die Arbeit in Gruppen seien ebenso wichtig wie die für individuelles Arbeiten. IBA-Sprecherin Barbara Schwaibold geht noch einen Schritt weiter. Sie wünscht sich für moderne Büros mehr Bewegung in der Kommunikation. Offene Bereiche sollen zu zufälligen Begegnungen führen. Schwaibold: „Moderne Büros sollten so angelegt sein, dass das Unvorhergesehene genutzt werden kann. Dafür braucht es die physische Begegnung. Digital trifft man sich nur, wenn man verabredet ist. Das ist im Moment unser größter Verlust, man verliert die Zufälligkeit. Dies gilt es ganz stark zu fördern, wenn das wieder möglich ist.“ Beim Neubau von Büro Immobilien sei der variable Multi-Space heute die herrschende Leitlinie, erklärt die IBA- Sprecherin, dabei handele es sich um eine Mischung aus Raumstrukturen. Echte Großraumbüros seien selten geworden, Flexibilität oberstes Gebot. „Wenn man ehrlich ist, haben wir heute keine Ahnung, wie wir in zehn Jahren arbeiten werden. Es kann sich viel verändern, aber

auch wenig. Deshalb müssen wir jetzt möglichst wandlungsfähige Arbeitsumgebungen schaffen“, so Schwaibold. Die vielleicht konsequenteste Antwort auf die Forderung nach mehr Flexibilität sind Coworking-Spaces. „Sie geben Unternehmen die Möglichkeit, flexibel auf Büroraumbedarf zu reagieren“, sagt Thomas Postert. Im Juni 2019 hat die Firma Bürowerk aus Nordhorn ein solches Coworking-Space eröffnet, in dem Menschen auf Zeit Arbeitsplätze mieten können. Die Diplom-Kauffrau Silke Olbrich zeichnet für das Projektmanagement von Bürowerk verantwortlich, die Erwartungen der Nutzer an das Space beschreibt sie so: „Es muss ein Ort sein, der ihre Arbeit optimal unterstützt. Dazu gehören vor allem das Wohlfühlen, das Raumambiente, die Ergonomie und schließlich auch die technische Infrastruktur. Na ja, und guter Kaffee oder Tee ist auch nicht zu unterschätzen.“ Die Coworker hätten berichtet, dass das Arbeiten im Space viel effizienter sei als zu Hause. Der Mensch sei eben ein so-

ziales Wesen, so Olbrich, er brauche Austausch und Kontakte. Ein Bürokomplex mit besonderer Strahlkraft ist in den letzten Monaten am Osnabrücker Hafen entstanden. Benedictus Lingens gehört zu den Investoren des sogenannten „Leisen Speichers“. Das Gebäude sei ursprünglich als Flächenspeicher errichtet worden, sagt er, entsprechend hoch sei die Belastbarkeit der Böden. „Dadurch konnten wir fast jeden Zuschnitt umsetzen“, so Lingens, „wichtig waren uns die ordentliche technische Infrastruktur und einladende Aufenthaltsräume, der Arbeitsplatz ist heute ein Stück weit auch Wohnplatz. Und wir wollten gezielt die Kreativszene ansprechen. Daraus entstand eine eigene Dynamik.“ Das Obergeschoss des Speichers wird seinen Angaben zufolge aktuell für die EDV-Abteilung eines bedeutenden Logistikers aus der Region ausgebaut. Der Kunde habe sich für den Leisen Speicher entschieden, weil er überzeugt davon sei, dass er mit dem Kreativ-Standort anspruchsvolle Mitarbeiter anlocken könne.

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DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

RUND UMS BÜRO

Office vs. Homeoffice „Teams müssen Sollbruchstellen vermeiden“ meint der Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie Hannes Zacher

VON AMELIE BREITENHUBER LEIPZIG „Gehst du schon wieder ins Büro?“ Seit dem Corona-Virus gehört diese Frage zum Alltag. Teams müssen sich aufgrund neuer Hygieneregeln verstärkt mit der Entscheidung auseinandersetzen: Wer arbeitet wann von wo?OftmalskönnennichtalleBeschäftigten gleichzeitig ins Büro oder an den Arbeitsplatz zurückkommen. Was das für die Teamarbeit bedeutet und wie sich schwierige Gruppendynamiken verhindern lassen, erklärt Hannes Zacher im Gespräch. Er ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologie der Universität Leipzig.

Herr Zacher, welche Effekte hat die räumliche Trennung von Teams auf die Zusammenarbeit? Das kann durchaus negative Konsequenzen haben. Es entstehen räumliche Barrieren beim Austausch über Aufgaben. Das kann etwa dazu führen, dass die Beschäftigten im Homeoffice eher eigenbrötlerische Aufgaben machen, während die Kolleginnen und Kollegen im Büro an größeren Projekten zusammenarbeiten. Die Identität dieser Subgruppen bildet sich durch die Trennung dann immer stärker heraus. Es kann vorkommen, dass sie in Wettstreit miteinander treten. Das ist kontraproduktiv. Je stärker ein Team zerfällt, desto eher leidet die Kreativi-

Teammitglieder zu Geburtstagen von einem Kollegen oder einer Kollegin einen Blumenstrauß vorbeigebracht bekommen. Auch ein spontaner Anruf, ein kurzer Check mit einzelnen Mitarbeitern kann hilfreich sein. Solche Initiativen können am Ende dazu beitragen, dass sich ganz neue Beziehungen entwickeln.

tät, die Motivation und Leistungsfähigkeit. In der Forschung sprechen wir da von „Sollbruchstellen“, an denen Teams zerbrechen. Besonders problematisch ist das, wenn ein bestimmter Arbeitsort sich mit einer Funktion oder Identität paart. Beispielsweise, wenn an Universitäten nur noch Hausmeisterinnen oder Assistenten vor Ort sind und die Wissenschaftler von zu Hause aus arbeiten. Welche Kriterien sollten also berücksichtigt werden, wenn Unternehmen entscheiden müssen, wer an den Arbeitsplatz zurückkehren darf? Es gibt nicht die eine perfekte Lösung. Es gibt aber verschiedene Ansätze, die zum Teamzusammenhalt beitragen können: Geht man aufgabenorientiert vor,findenZusammenarbeit undkollaborative Tätigkeiten vor Ort am Arbeitsplatz statt, aufgrund von Corona idealweiser in großen Räumen mit ausreichend Abstand. Aufgaben, die viel Konzentration erfordern, können Beschäftigte dagegen im Homeoffice erledigen. Denkbar ist auch ein mitarbeiterorientierter Ansatz. Da spielen die Präferenzen der Beschäftigten eine Rolle. Etwa, wie wohl sich jemand bei der Arbeit im Büro fühlt oder wie produktiv jemand im Homeoffice arbeiten kann.NichtzuletztsolltedasKriterium Gerechtigkeit berücksichtigt werden. Den Mitarbeitenden sollte klar sein, wie entschieden wird, wer wann im

Dr. Hannes Zacher ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie am Institut für Psychologieder Universität Leipzig. Foto:SwenReichhold/UniversitätLeipzig/dpa-tmn

Homeoffice arbeitet. Das trägt zur Akzeptanz bei. Nicht alle Hygienekonzepte berücksichtigen diese Kriterien. Wie lässt sich verhindern, dass Mitarbeiter im Homeoffice „abgehängt“ werden? Wir wissen aus Studien tatsächlich, dass viele sich als „professionell isoliert“ sehen, wenn sie dauerhaft von zu Hause aus arbeiten. Sie verpassen die informellen Dinge, die Gespräche in der Küche oder auf dem Flur. Die Forschung würde daher sagen, dass Homeoffice kein Dauerzustand sein sollte. Empfohlen wird eine hybride Lösung, so dass niemand vergessen wird und sich die Mitarbeitenden zumindest zeitweise vor Ort austauschen können.

Entsprechend sollte auch während der Coronazeit idealerweise rotiert werden,sodassalleMitgliedereinesTeams Zeiten im Büro und Zeiten im Homeoffice haben. Was kann der oder die Einzelne bzw. die Führungskraft darüber hinaus tun, um den Teamgeist aufrecht zu erhalten? Natürlich ist die Kommunikation noch mal wichtiger, wenn Teams räumlich getrennt arbeiten. Chatprogramme lassen zu, dass sich Beschäftigte auch informell austauschen können. Das hilft aber alles nicht so wirklich, den sozialen Austausch herzustellen. Vorgesetzte spielen deshalb eine große Rolle. Sie können etwa anregen, dass

Haben Sie auch einen Rat an diejenigen, die sich vergessen fühlen? EsisteineTypenfrage,wieMitarbeitende auf sich aufmerksam machen. Das ist für einige leichter, für Introvertierte eher schwieriger. Es gilt aber: Netzwerken ist auch aus dem Homeoffice heraus wichtig. Deshalb sollte man sich bemerkbar machen und dabei kreativ sein: sei es, indem man selbst ein Meeting einberuft oder zur Geburtstagsfeier über Videocall einlädt. Das lässt sich mit der Laufbahnentwicklung vergleichen: Wer sich weiterentwickeln will und den nächsten Karriereschritt anstrebt, muss ebenfalls eine Extraportion Initiative zeigen. Wer muss eingreifen, wenn die Stimmung zu kippen droht? In größeren Unternehmen ist das vor allem Aufgabe der Führungsebene oder der Personalentwicklung. Sie müssen sich Feedback von Mitarbeitenden einholen, wie etwa die Arbeit im hybriden Modell läuft und gegensteuern, sollte es nötig sein. Bei kleine-

ren Betrieben kommt das eher aus den Teams selbst heraus. Hier könnte es ein Ansatz sein, aus dem Alltagsgeschäft herauszutreten und zum Beispiel außer der Reihe ein Team-Treffen im Park zu organisieren. Das Corona-Virus macht Langzeitplanungen nahezu unmöglich. Wie bekommen Teams dennoch sowas wie eine „Perspektive“ für die kommenden Monate? Eine der Hauptaufgaben von Führung ist das Managen von Unsicherheiten, egal, ob das ökonomische Unsicherheiten sind oder etwa eine geschäftliche Neuausrichtung. In Zeiten von Corona geht es um die Frage: Wann ist alles wieder so wie vorher? Die Erwartung musswohlsein,dasswirniewieder alle so arbeiten werden wie vor Corona. Führungskräfte sollten das kommunizieren und versuchen, die Mitarbeitenden in kleinen Schritten auf die neue Normalität einzustellen. Wenn das Team den Mut verliert, sollten Führungskräfte gucken: Was sind denn Quellen des Optimismus? Daskannsoweitführen,dassAufgaben neu verteilt werden. Wenn Unternehmen aktiv reflektieren, wie sie sich auf die neue Situation einstellen können, kann das sogar eine Riesenchance sein. Da muss man die große Offenheit nutzen, die der Moment mit sich dpa/tmn bringt.

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GELD & GESCHÄFT

„Wir brauchen selbstständig denkende junge Leute“ „Freunde des Steuerrechts“ wollen Studierende in Region halten

VON NINA KALLMEIER OSNABRÜCK Jede Branche braucht Fachkräfte – auch die Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in der Region. Diese Ausbildung zu fördern hat sich der neu gegründete Verein „Freunde des Steuerrechts“ auf die Fahne geschrieben. „Osnabrück ist traditionell ein starker Steuer-Standort“, betont Uwe Goebel, Präsident der Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim und im Hauptberuf Steuerberater. Hintergrund der Vereinsgründung ist nun der Start eines neuen Steuerrechts-Studiengangs an der Hochschule Osnabrück.

Zum Wintersemester soll der „Taxmaster“ an den Start gehen, stellt Norbert Tonner, Professor für Steuerrecht und Wirtschaftsprivatrecht an der Hochschule Osnabrück, in Aussicht. Derzeit sei der Studiengang noch in der Akkreditierung. „Es wird ein Studiengang über drei Semester sein, je nach Studiendauer des vorherigen Bachelorstudiums gegebenenfalls ergänzt um einen dreimonatigen Basiskurs“, sagt er. Damit soll in der Region auch eine Weiterbildungslücke geschlossen werden: Für ihren Master müssten Bachelor-Studenten aus der Region sonst zwangsläufig zum Beispiel nach Münster, denn der Taxmaster

MIT DABEI SIND Vorstand: Magnus Hindersmann; Matthias Hopster (Gehring und Partner aus Lingen); Ulf Braun (PricewaterhouseCoopers Osnabrück); Stefan Esders (Steu-Dat Steuerberatungsgesellschaft Osnabrück)

Kuratorium: Uwe Goebel, IHK Präsident, Steuerberater; Steffen Lampert, Professor für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, Leiter des Instituts für Finanzund Steuerrecht; Norbert Tonner, Professor für

Steuerrecht und Wirtschaftsprivatrecht; Carl-Ludwig Thiele, ehemaliger Bundesbankvorstand, Finanz- und Steuerexperte; Gregor Nöcker, Honorarprofessor Hochschule Osnabrück, Richter am Bundesfinanzhof.

an der Universität Osnabrück ist zum Wintersemester 2019/20 eingestellt worden. „Wenn die jungen Menschen dann fertig sind, sind sie in den Region so verwurzelt, dass sie nicht nach Osnabrück zurückgekommen sind“, macht Gregor Nöcker, Honorarprofessor an der Hochschule Osnabrück und Richter am Bundesfinanzhof, das Problem deutlich. Als Fachkräfte wären sie für die Region also verloren. Es müsse darum gehen, den Wissenschaftsstandort Osnabrück attraktiver zu machen. „Unsere Bachelor-Absolventen sind stark nachgefragt“, betont Norbert Tonner. Insofern ist er zuversichtlich, dass auch der neue Masterstudiengang voll wird. Die Möglichkeit, in der Region zu studieren, sieht Nöcker auch unter einem anderen Gesichtspunkt als eine gute Entwicklung: Es fördere Frauen. „Wir haben zu wenig Steuerberaterinnen“, sagt der Finanzrichter. Und das, obwohl sie als Steuerfachangestellte überproportional repräsentiert sind. Nun sei gesagt: Wer den „Taxmaster“ durchläuft, ist am Ende kein Steuerberater, wie der Osnabrücker Notar und Fachanwalt für Steuerrecht, Magnus Hindersmann, betont. Er ist neuer Vorstandsvorsitzender der Steuer-Freunde. Der klassische

Insgesamt siebenKanzleienausder erweitertenRegionhaben zusammendenVerein„Freunde desSteuerrechts“ gegründet.

Weg bleibt: Am Anfang steht eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten, anschließend werden in einem Steuerbüro Praxiserfahrungen gesammelt, und dann folgt die Prüfung zum Steuerberater. Was der Studiengang biete, so Tonner, sei Fachwissen. „Viele wollen auch zusätzlich zur beruflichen Ausbildung einen Hochschulabschluss“, so der Professor. Im Studiengang stünden Themen im Fokus, die insbesondere den Mittelstand betreffen. „Unternehmensteuerrecht natürlich, aber auch Gesellschafts- und Insolvenzrecht“, sagt

Norbert Tonner. „Steuerberater sind betriebliche Helfer. Was uns vorschwebt, ist, junge Menschen so fit zu machen, dass sie auch ein Coach für Unternehmen sind“, ergänzt Gregor Nöcker. Man wolle keine Absolventen, die gebetsmühlenartig der Auffassung der Finanzverwaltung folgen, sondern kritisch und selbstständig denkende junge Steuer-Leute, so das Credo der Vereinsgründer. Auch das Thema Digitalisierung werde eine Rolle spielen. „Hier stellt sich auch die Frage, wie digitale Geschäftsmodelle künftig besteuert werden – und wie

digitale Betriebsprüfungen, Bilanzen, Buchführungen und Ähnliches stattfinden. All das gehört zur Ausbildung der nächsten Generation“, so Nöcker. Was der Verein leisten will, ist Unterstützung – unter anderem bei der Bereitstellung von Praktika. Aber auch herausragende Abschlussarbeiten sollen prämiert sowie steuerwissenschaftliche Bibliotheken gefördert werden. Weitere Mitstreiter sind willkommen. „Letztlich könnte der Verein auch zu einer Art Ehemaligen-Verein werden“, sagt Magnus Hindersmann.

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SPEZIAL WASSER & WIRTSCHAFT

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Millionen für den Papenburger Hafen Drei Bauabschnitte für die Neuerrichtung der Seeschleuse / Im Frühjahr kommt ein neues Außentor Torf-Umschlagplatz Nummer eins in Deutschland. Anlage ein gutes Pflaster für Unternehmen. Schon 1638 gab es ein hölzernes Siel. VON CHRISTOPH ASSIES Neun Seehäfen gibt es in Niedersachsen. Der südlichste ist der in Papenburg. Wie sind die Perspektiven für den Standort? Wir haben mit einem Investor, einem ansässigen Reeder und der Stadt gesprochen. Der Hafen war für die Stadt im nördlichen Emsland schon immer die Hauptschlagader. Als Papenburg gegründet wurde, wurde 1638 das erste hölzerne Siel unweit der heutigen Seeschleuse gebaut. Mit dem Anschluss an die ausgebauten Kanäle, die der Entwässerung des Moores dienten, war das Siel die Verbindung vom Moor zum Meer. Heute ist Papenburg ein wichtiger Seehafen für den internationalen Umschlag – auch wenn er 60,6 Seemeilen von der Nordsee entfernt ist. Das entspricht 112 Kilometern. Umgeschlagen werden in Papenburg verschiedene Hölzer, Baustoffe, Futtermittel, Getreide, Mehl, Maschinen und Eisen- und Konstruktionsteile für die Meyer Werft sowie Düngemittel und Torf. Kurios: Wurde in der Anfangszeit der Stadt der Torf vor allem von Papenburg aus verschifft, kommt er heute in Papenburg an. Die Fehnstadt ist Niedersachsens Torf-Umschlagplatz Nummer eins. Das Material kommt vor allem aus dem Baltikum, Russland und in einigen Fällen auch aus Irland. Umgeschlagen werden verschiedene Torfsorten und Torferden – unter anderem für die Champignon-Zucht. Dafür muss das Material einen speziellen Feuchtigkeitsgrad haben und befindet sich im Übergang von Weiß- zu Schwarztorf. Die guten Rahmenbedingungen tragen für Papenburgs Wirtschaftsförderin Sabrina Wendt entscheidend dazu bei, dass der Seehafen für viele Unternehmen ein guter und attraktiver Standort ist. „In erster Linie sind hier die verkehrsgünstigen Anbindungen über den Wasserweg, die Schiene sowie die Straße zu nennen.“ Darüber hinaus sei die Hafenwirtschaft von kleinen, mittleren PAPENBURG

AktuelllaufendieArbeitendeserstenBauabschnittes zumNeubauder Seeschleusemit derErneuerungdesAußentores.

und großen Unternehmen unterschiedlicher Branchen wie des Metall- und Maschinenbaus, der Kreislaufwirtschaft sowie der Logistik geprägt, so Wendt. „Dieses Umfeld mit den Möglichkeiten zu übergreifenden Kooperationen hält das Interesse am Seehafen hoch, und der Standort bleibt für die Unternehmen interessant“, findet die Wirtschaftsförderin. Ersten Statistiken der niedersächsischen Seehafengruppe Seaports Niedersachsen zufolge wirkte sich die angespannte Wirtschaftslage durch Corona im ersten Halbjahr nicht auf den Umschlag in Papenburg aus. Dennoch beinhalten die Zahlen Rückgänge. Zwar ging der Umschlag über Binnenschiffe um 29 Prozent von 98 655 Tonnen im Jahr 2019 auf nun 69 650 Tonnen zurück, im Seegüterverkehr verzeichnet Papenburg jedoch einen Zuwachs um acht Prozent und kommt auf 415 274 Tonnen. Die Entfernung von der offenen See scheint somit kein Nachteil zu sein. Das bestätigt auch der Papenburger Unternehmer Wilhelm

Papenburgist dersüdlichsteHafenin Deutschland,dervonSeeschiffenangelaufenwird.

Schulte. Seit rund 40 Jahren ist Schulte im Immobiliengeschäft tätig, mittlerweile in nahezu allen norddeutschen Bundesländern sowie im nördlichen Nordrhein-Westfalen. In Papenburg hat Schulte vor einigen Jahren auf den Flächen des ehemaligen Spanplattenwerkes der Firma Glunz einen Gewerbepark mit einem Gründerzentrum ins Leben gerufen. Dort hat er Teilbereiche des früheren Holzwerkes bis heute an 15 Parteien vermietet und bietet immer noch Jungunternehmen ihre ersten Flächen. „Papenburg und speziell der Hafen ist ein gutes Pflaster, auf dem Unternehmen viel entwickeln können. Firmen werden unterstützt, und die gute Anbindung für See- und Binnenschiffe, über die Schiene und eben durch die Autobahnnähe ist ein großer Vorteil“, sagt Schulte, in dessen Unternehmen mittlerweile auch Schwiegersohn André Schulte-Pinkhaus tätig ist. Die Rahmenbedingungen für eine funktionierende Logistik sind Schulte zufolge in Papenburg gut, wenngleich ein interkommunales

Gewerbegebiet an der Grenze zur ostfriesischen Gemeinde Westoverledingen vor einigen Jahren „auch eine große Chance“ gewesen wäre. Für die Zukunft setzt Schulte, wie auch die Stadt, auf den „Bokeler Bogen“. Es wird die größte Erweiterungsfläche im Hafen in direkter Nachbarschaft zur Meyer Werft werden. Dafür wird die Kreisstraße 158, der Zubringer zur Autobahn 31, verlegt. Der Bokeler Bogen war im Vorfeld immer wieder Mittelpunkt kontroverser Debatten und auch von Protesten begleitet, eröffnet jedoch nach Ansicht von Wirtschaftsförderin Sabrina Wendt „für die Zukunft erhebliche Entwicklungspotenziale“. Wilhelm Schulte will dort nach eigenen Angaben „auf jeden Fall investieren“. Er hält den Bokeler Bogen im Vergleich für die bessere Wahl und trauert der Erweiterung in Richtung Ostfriesland nicht nach. Papenburgs Bürgermeister Jan Peter Bechtluft betont, die Pläne für ein gemeinsames interkommunales Gewerbegebiet lägen zwar aktuell nicht mehr auf dem Tisch, aber zumindest noch in der Schublade. „Momentan konzentriert sich die Stadt Papenburg mit aller Kraft auf die Entwicklung des Bokeler Bogens. Das liegt in der genau entgegengesetzten Himmelsrichtung auf der anderen Seite des Sielkanals.“ Gleichwohl werde die Entwicklung eines gemeinsamen Hafenanschlusses mit den ostfriesischen Nachbarn immer ein interessantes Thema bleiben, gerade auch in Abhängigkeit von der jeweils gültigen Förderkulisse für interkommunale Großprojekte. „Ich würde also sagen: Sag niemals nie“, so Bechtluft. Aktuell macht sich die Stadt mit dem ersten von drei Bauabschnitten zur Neuerrichtung der Seeschleuse bereit für die nächsten Jahre. Das Bauwerk ist die Zufahrt für Seeschiffe mit maximal 5,50 Me-

Fotos: ChristophAssies

ter Tiefgang, einer Länge von 145 Metern und einer Breite von 24 Metern. Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren technische Probleme und dadurch unvorhergesehene Schleusensperrungen wegen Reparaturen. Der Neubau der Seeschleuse ist mit einem Volumen von 21,5 Millionen Euro allein für das äußere Tor das größte Bauprojekt in der Fehnstadt seit rund 25 Jahren. Die Arbeiten sind nach Angaben der Verantwortlichen von der Stadt Papenburg gut im Zeitplan. Im Mai 2022 soll das neue Außentor betriebsbereit sein. Im Februar kommenden

„Alle wissen, wie wichtig eine funktionierende Seeschleuse für den Hafen ist“ Holger Stell, Leiter des Tiefbauamtes Papenburg

Jahres soll ein sogenannter Drempel eingesetzt werden. Das 1400 Tonnen schwere Betonfertigteil entsteht derzeit in Emden. Auf dem Drempel wird später das neue Außenhaupttor der Schleuse fahren. Für das Einsetzen des Drempels ist dann die erste von insgesamt fünf Schleusensperrungen für die Bauarbeiten notwendig. „Die Termine haben wir sehr eng mit der Hafenwirtschaft abgestimmt. Diese Abstimmungen laufen auch sehr gut. Alle wissen, wie wichtig eine funktionierende Seeschleuse für den Hafen ist“, sagt der städtische Tiefbauamtsleiter Holger Stell. Das bestätigt auch Bengt Fischer, Geschäftsführer des Hafenumschlagunternehmens und der Reederei Schulte und Bruns. Das Unternehmen wurde 1882 in Papenburg gegründet. Seitdem ist Schulte und Bruns weltweit mit einer Flotte von Seeschiffen unterwegs und unterhält mit dem Papenburger Hafenumschlagsbetrieb insgesamt 42 Hektar Betriebs- und Lagergrundstücke sowie Schiffsliegeplätze für einen Tiefgang von bis zu 5,50 Metern auf einer Länge von insgesamt einem Kilometer. Zusätzlich verfügt Schulte und Bruns in Papenburg über Hallenlagerfläche von mehr als 40 500 Quadratmetern. Bezogen auf die Fläche, ist das Unternehmen damit der größte Arbeitgeber im Papenburger Hafen. „Der Neubau der Seeschleuse ist jetzt ein wichtiger Schritt zur weiteren Entwicklung des Hafens und für alle Betriebe hier, damit wir im internationalen Wettbewerb auch in Zukunft bestehen können“, betont Fischer. „Nach der Fertigstellung des Außentores ist die Fortsetzung mit dem zweiten und dritten Bauabschnitt mit dem Binnenhaupt und der Schleusenkammer auf der Tagesordnung und damit eine Herausforderung der Zukunft“, betont Wirtschaftsförderin Wendt.


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Mittellandkanal: „So etwas wie die sechsspurige Autobahn“ Deutschlands längste künstlich angelegte Wasserstraße ist für Bramscher Firmen und deren Hafenanlagen von großer Bedeutung VON MARCUS ALWES Für Klaus Sandhaus steht fest: „Der Mittellandkanal mit seiner Klassifizierung als zweithöchste Wasserstraße ist so etwas wie die sechsspurige Autobahn“. Der Wirtschaftsförderer der 31 000Einwohner-Stadt Bramsche erinnert Gesprächspartner immer wieder daran, die Bedeutung und die Wichtigkeit der Wege auf dem Wasser nicht zu vergessen und nicht zu unterschätzen. Auch sie seien entscheidende Versorgungslinien, gehören zur Infrastruktur dazu und seien ein attraktiver Standortfaktor für zahlreiche Unternehmen, erläutert Sandhaus geduldig. Schüttgüter, aber auch Stahl und Schrott sowie Produkte für die Landwirtschaft werden in den ausschließlich privat betriebenen Hafenanlagen im Bramscher Stadtgebiet umgeschlagen. Die Kräne stehen in Achmer sowie an der Straße Am Hafen an der B 218 (Eilers) und in Engter. „Sie haben eine wichtige Versorgungsfunktion für weiterverarbeitende Betriebe im Umland“, hebt Klaus Sandhaus hervor. Stefan Kohl würde an dieser Stelle wohl zustimmend nicken, säße er in jenem Moment dem Wirtschaftsförderer gegenüber. Im Hafen in Achmer am Mittellandkanal verfüge sein Unternehmen über eine Anlage, durch die „wir umweltschonend große Mengen Schrott in kurBRAMSCHE

ImBramscherHafenwirdanden traditionsreichenEilers-AnlageneineSchiffsladung mittels Krangelöscht und umgesetzt.

zer Zeit umschlagen können“, so Kohl. So sei es „möglich, Stahlwerke flexibel und bedarfsgerecht mit verschiedenen Schrottsorten zu versorgen“. Ferner sei die Instandhal-

tung von Wasserstraßen sowie Schleusen „für uns unabdingbar, um auch in Zukunft zuverlässig auf diesen Transportweg setzen zu können“, sagt der Geschäftsführer der

„Nachrichten in der Zeitung sind für mich wichtigste Informationsquelle zur Covid19-Situation in meinem Wohnort.“ (92% der Befragten)

„Die Zeitung ist eine feste Größe in der Region.“ (90% der Befragten)

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in vielen Branchen aktiven KohlUnternehmensgruppe (u. a. Recycling und Abfallhandel). Kunden aus der Beton- und Betonteileindustrie sowie Betreiber von Asphaltmischanlagen und Verantwortliche für Tiefbaustellen hat unterdessen die Albert Bergschneider GmbH im Blick. Sie liefert unter anderem über die Wasserstraße von und nach Engter mineralische Rohstoffe an und aus. „In unserer relativ rohstoffarmen Region gibt es einen erheblichen Bedarf an mineralischen Rohstoffen, welche wir über den Wasserweg zu unseren Binnenhäfen transportieren, umschlagen und von dort mit relativ kurzen Nachläufen zu den Verbrauchern liefern“, erläutert Geschäftsführer Berthold Grotemeier die Vorgehensweise. Die Bergschneider GmbH nutzt neben dem Hafenbereich in Bramsche-Engter auch vier weitere Anlagen am Dortmund-Ems-Kanal sowie am Mittellandkanal. „Volle Straßen, steigende Maut und knappes Fahrpersonal verteuern Lkw-Verkehre und bieten der Binnenschifffahrt und dem Bahnverkehr zusätzliche Chancen“, sagt Geschäftsführer Grotemeier. Ein randvoll beladenes Schiff bei Bergschneider entspricht übrgens – laut dem Geschäftsführers – rund 110 Lkw-Ladungen. Der städtische Wirtschaftsförderer Sandhaus greift übrigens genau diesen Gedanken von Grotemeier auf und blickt voraus: „Aufgrund der Mobilitätswende kann ich mir gut vorstellen, dass weitere Branchen die Vorteile des Binnenschiffs nutzen.“ Der Transport von Waren auf diesem Weg sei schließlich aus ökologischen Gesichtspunkten sinnvoll und ersetze eine Menge Transporte per Lastkraftwagen. Nur 500 Meter weit entfernt von Bergschneider liegt in Engter am Kanal die Hafenanlage der Hermann Dallmann Straßen- und Tiefbau GmbH. Auch der Kran dort wird privat betrieben, auch dieser Sektor ist für Großmotorschiffe geeignet. Mehr als sieben Hektar Fläche stehen hier für den Umschlag der Waren von Binnenschiffen auf Lastkraftwagen zur Verfügung. Sogenannte staubende und nichtstaubende Schüttgüter werden dabei umgesetzt. „Einen solchen Schiffsanleger zu entwickeln erfordert immense Anstrengungen“, sagt Dallmann-Geschäftsführer Thorsten Goerke. Und der gewohnt emsige Manager formuliert einen Wunsch an die

Foto: MarcusAlwes

Entscheidungsträger in der Politik und in den Verwaltungen. „Es wäre schön, wenn die öffentliche Seite ehrlich und vorurteilsfrei an die Infrastrukturprojekte herangehen würde. Nachhaltiges Wirtschaften darf nicht durch ideologische Vorbehalte und wahltaktische Manöver verhindert werden“, so Goerke. Eines wird deutlich: Die Dallmann-Leitung will offenbar am Hafen-Standort Engter nicht nur einfach festhalten, sie will mehr. „Eine Ausweitung der Art der Nutzung wird angestrebt“, teilt Geschäftsführer Goerke mit. Ähnlich klingt es auch bei der Firma Bergschneider. Berthold Grotemeier kündigt generell an, er wolle die eigenen Binnenhäfen „weiter ausbauen“. Sie stehen in Ibbenbüren-Uffeln, Osnabrück, Engter, Dörenthe und Recke. In Achmer – hier insbesondere durch das dort ansässige Unternehmen Deuka – sowie in Engter und auf dem Gelände der traditionsreichen August Eilers GmbH an der Bundesstraße 218 spielen unterdessen auch Futtermittel eine große Rolle. Viele der entsprechenden Produzenten und Veredelungsbetriebe sind in der Region WeserEms angesiedelt und hier ein durchaus bedeutender Wirtschaftsfaktor. Sojaschrot aus Argentinien oder Nordamerika wird beispielsweise

„Einen solchen Schiffsanleger zu entwickeln erfordert immense Anstrengungen“ Thorsten Goerke, Geschäftsführer Dallmann

per Schiff bei Eilers angeliefert. Neben Rohfutter wird dort aber vor allem Getreide umgeschlagen, einige Zeit gelagert und anschließend im Bramscher Umland auf die Kunden verteilt. „Immer hat sich die Firma Eilers auch als Partner der Landwirtschaft verstanden“, verdeutlichte Firmenchef Gerd Eilers bereits anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Unternehmens. Das ist zwar einige Jahre her, doch die Aussage habe weiter unverändert ihre Gültigkeit, bestätigt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Noch nicht lange zurück liegt auch die Investition in einen neuen Kran. Seit Mai 2020 wird die Ladung der Kanalschiffe bei Eilers mit einem Fuchs-Bagger MHL 875 F gelöscht. Der Kran ermöglicht ein noch präziseres Arbeiten und ist für noch größere Schiffe geeignet als das in die Jahre gekommene Vorgängermodell. Eilers bietet in seinem Hafensektor seit geraumer Zeit ferner ein SBLadesystem für Lkw an. Täglich kann dieser Bereich 24 Stunden lang von den Transportern angefahren und genutzt werden. Moderne Technik und ein Kartensystem machen es möglich. Das Beladen der Lastkraftwagen kann so zeitnah erfolgen. Die eine oder andere Wartezeit wird somit reduziert oder fällt sogar ganz weg. „Aus Sicht der städtischen Wirtschaftsförderung würde ich mir wünschen, dass man die Entwicklung der Hafenstandorte hier genau anschaut und den Rahmen für weitere Entwicklungen schafft“, sagt Klaus Sandhaus. Die Bramscher Kommunalpolitiker aller Farben und Lager lädt er damit ein, sich intensiv entsprechende Gedanken zu machen, wenn sie in den nächsten Monaten zum Beispiel über den Flächennutzungsplan der Stadt beraten und diesen neu aufstellen. Der Mittellandkanal jedenfalls bleibt mit seinen mehr als 320 Kilometern die längste künstlich angelegte Wasserstraße in Deutschland. Zwischen dessen Endpunkten bei Bergeshövede (Übergang zum Dortmund-Ems-Kanal) und bei Hohenwarthe am Elbe-Havel-Kanal in Sachsen-Anhalt ist Bramsche dabei mit mehreren Hafenanlagen für die Schiffe ein wichtiger Anlaufpunkt im Großraum Osnabrück geworden. „Der Mittellandkanal ist für uns eine wichtige und unabdingbare Verkehrsader“, bilanziert der Unternehmer Stefan Kohl.


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Gut verbunden – aber nicht gut genug für die Zukunft? Klagen und Ingenieurmangel bremsen den zügigen Ausbau der Hinterlandanbindung norddeutscher Häfen VON THOMAS LUDWIG OSNABRÜCK Die verbesserte logisti-

sche Anbindung der niedersächsischen Häfen ins Hinterland für die Zukunft geht voran – allerdings nicht so schnell, wie es sich manch einer wünscht. „Das Ziel, alle relevanten Projekte des Bundesverkehrswegeplans bis 2030 umzusetzen, ist ambitioniert. Denn Klageverfahren und Ingenieurmangel machen derzeit belastbare Aussagen zur Fertigstellung großer Infrastrukturvorhaben sehr schwer“, heißt es im niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Lediglich die Fertigstellung der durchgehenden Elektrifizierung des Schienenverkehrs zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven habe mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom Oktober gegen die Klage der Stadt Oldenburg gute Aussichten, bis Ende 2022 fertig zu werden, sagte ein Sprecher auf Anfrage unserer Redaktion. Die Kläger hatten eine Umgehungstrasse zum Tiefwasserhafen Jade-Weser-Port gefordert, waren damit aber nicht durchgedrungen. Tatsächlich sind leistungsfähige Straßen-, Schienen und Binnenwasserstraßennetze wesentliche Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der niedersächsischen und weiterer norddeutscher Seehäfen. „Die Leistungsfähigkeit der Seehäfen ist aber unmittelbar an die Leistungsfähigkeit der Hinterlandanbindungen gekoppelt. Daher ist es auch zukünftig wichtig, diese sicherzustellen und weiterzuentwickeln, um die Wettbewerbsfähigkeit der niedersächsischen Hafenstandorte nachhaltig zu steigern“, sagte André Heim, Geschäftsführer der Marketinggesellschaft Seaports of Niedersachsen, im Gespräch mit unserer Redaktion. Rund 90 Prozent des weltweiten Güterverkehrs werden per Schiff abgewickelt – eine Vervierfachung gegenüber den 1970er-Jahren. In Europa gehen rund 80 Prozent des Im- und Exports über die Häfen der sogenannten Nordrange, zu denen auch die drei großen norddeutschen Seehäfen in Hamburg, Bremen und Wilhelmshaven gehören. Mit der Aufstellung des Bundesverkehrswegeplans (BVWP) 2030 wurden zahlreiche für Norddeutschland wichtige Projekte erfolgreich platziert, um Güter von den Seehäfen ins Land zu transportieren. Das sind bei den Straßen insbesondere der Bau der A20, der A26 und der A39. Für den Schienenverkehr sind eine Verbesserung durch die Streckenelektrifizierung zwischen Oldenburg und Wilhelmshaven, der Ausbau der Strecken zwischen Hannover, Hamburg und Bremen unter dem Namen „AlphaE“ und die Knotenprojekte für die großen Ballungsräume Hamburg,

InEuropa gehen rund80ProzentdesIm-und Exportsüberdie HäfendersogenanntenNordrange, zudenenauchdie dreigroßen norddeutschenSeehäfen inHamburg, BremenundWilhelmshavengehören.

Hannover und Bremen besonders wichtig. „Die Achillesferse für schnelles Bauen beziehungsweise für die Umsetzbarkeit großer Infrastrukturprojekte bleibt das Erreichen einer größtmöglichen Akzeptanz“, so der Ministeriumssprecher. Oft vergehen drei bis sechs Jahre bis zum Planfeststellungsbeschluss – bei wenigen Einsprüchen. Die Möglichkeiten, Dinge zu beschleunigen sind jedoch begrenzt. Das Land hat nach eigener Aussage keinen wesentlichen Einfluss auf die konkrete Bearbeitung der BVWP-Projekte mehr, „da bereits jetzt die Projekte für den Schienenund Binnenwasserverkehr und ab Anfang 2021 auch für das Autobahnnetz durch den Bund umgesetzt werden“. Zwar hat die Bundesregierung im März dieses Jahres eine gesetzliche Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren als einen „weiteren Beitrag zur Gestaltung eines klimagerechten Mobilitätssystems“ auf den Weg gebracht. „Wichtige Projekte zur nachhaltigen Hinterlandanbindung sind aber nicht berücksichtigt, zum Beispiel der Wiederaufbau der Friesenbrücke und damit die Anbindung in

die Niederlande“, wundert sich Meta Janssen-Kucz, Sprecherin für Häfen & Schifffahrt der Grünen im Niedersächsischen Landtag. Ein Schiff hatte die Eisenbahnbrücke über die Ems bei Weener im Landkreis Leer 2015 gerammt und zerstört. Auch nach dem Wirtschaftseinbruch infolge der weltweiten Corona-Pandemie bleibt der Ausbau der Hinterlandanbindung der Häfen von besonderer Bedeutung. Das Bundesamt für den Güterverkehr hat zuletzt einen Wiederanstieg der gesamt- und branchenwirtschaftlichen Leitdaten des Güterverkehrsaufkommens für 2021 erwartet – vorbehaltlich der immer noch bestehenden Risiken infolge von SarsCoV-2. Demnach wird das Umschlagsvolumen in den deutschen Seehäfen nach einem spürbaren Rückgang im laufenden Jahr und einer Belebung ab 2021 dann 2024 wieder den Vorkrisenstand erreichen. Schon im nächsten Jahr werde es im Seegüterverkehr zu einer klaren Aufholbewegung kommen. Die Belebung des Welthandels und des deutschen Außenhandels werde auf den Containerverkehr ausstrahlen,

UmdiedeutschenKlimazielezuerreichen,wirdeszudemerforderlichsein,denAnteilvonZügenundBinnenschiffenimGüterverkehrdeutlichzu erhöhen. imagoimages/GottfriedCzepluch

für den ein Zuwachs um sechs Prozent veranschlagt wird. Für alle Massengutbereiche sei nach teilweise massiven Einbrüchen (zum Beispiel minus 55 Prozent bei Kohle) eine mehr oder weniger große Zunahme zu erwarten. Für den Gesamtumschlag prognostizieren die Marktbeobachter ein Plus in Höhe von 4,2 Prozent fürs Jahr. Das Niveau von 2019 werde so wohl im Jahr 2024 wieder erreicht. Die Aufholbewegung gilt demnach auch für den gesamtmodalen Güterverkehr, für den das Bundesamt bis 2023 einen Anstieg gegenüber 2019 um 4,5 bis knapp fünf Prozent erwartet. Für den Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe (ZDS) zeigen die Prognosedaten, „dass Bund und Länder dauerhaft und mit Nachdruck in die Infrastruktur für Verkehr und Kommunikation investieren und den Seehafenhinterlandverkehr stärken müssen“. Beim Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) sieh man das ähnlich. „Zahlreiche Projekte, die die Anbindung der niedersächsischen Seehäfen verbessern sollen, sind in der Pipeline – mehr aber nicht. Wir mahnen Beschleunigung an“, sagte Landesgeschäftsführer Uwe Garbe im Gespräch mit unserer Redaktion mit Blick auf teilweise langwierige Planungsund Realisierungszeiten. Beispiel Straße: Abschnitte der Küstenautobahn A20 und auch der A26 befinden sich erst in der Planung beziehungsweise noch in der Planfeststellung. Hier werden wohl noch Jahre vergehen. Ähnlich verhält es sich mit Lückenschlüssen der A33, einem perspektivischen sechsstreifigen Ausbau der A30 und dem durchgängigen vierstreifigen Ausbau der E 233 als Verbindung in die Niederlande und nach Rotterdam. Um die deutschen Klimaziele zu erreichen, wird es zudem erforderlich sein, den Anteil von Zügen und Binnenschiffen im Güterverkehr deutlich zu erhöhen – beispielsweise durch die Fahrrinnenanpassung

der Mittelweser, um den Anschluss an das Mitteldeutsche Kanalnetz zu verbessern; davon könnte auch der Stadthafen in Osnabrück profitieren. Zwar ist es aus Sicht des GVN positiv, dass der überwiegende Teil der Brücken inzwischen auf eine Durchfahrtshöhe von 5,25 Meter angehoben wurde. Die verbleibenden Brücken mit Durchfahrtshöhen zwischen vier und 4,40 Metern bildeten aber immer noch den Flaschenhals, sodass manches Potenzial nicht gehoben werden könne. Zudem werde die Realisierung von Schleusenneubauprojekten der DEK-Nordstrecke für den Einsatz von Großmotorgüterschiffen noch viele Jahre in Anspruch nehmen. „Viele Ankündigungen werden jährlich wiederholt, ich kann aber keine echte Trendumkehr zu mehr Nachhaltigkeit im Güterverkehr erkennen“, sagt die Grünen-Land-

„Eine echte Trendumkehr zu mehr Nachhaltigkeit im Güterverkehr ist ein sehr mühseliges Geschäft.“ Meta Janssen-Kucz, Grünen-Landtagsabgeordnete

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tagsabgeordnete Meta JanssenKucz: „Das ist ein sehr mühseliges Geschäft – sowohl beim Thema Schiene und auch bei der Binnenschifffahrt. Immer noch transportieren wir zu viele Güter auf der Straße.“ Tatsächlich will Deutschland den Anteil des Schienengüterverkehrs am gesamten Güterverkehrsaufkommen bis 2030 auf mindestens 25 Prozent steigern. Einfach ist das nicht. Beim GVN verweist man beim Thema Schiene exemplarisch auch auf die zweigleisige Anbindung und Elektrifizierung von Wilhelmshaven. „Hier sind längst, wie auch bei den Varianten um die Alpha-Trassen, nicht alle Hürden überwunden“, heißt es. Die WestOst-Achse (Bielefeld–Hannover) befinde sich an der Kapazitätsgrenze. Der Trassenverlauf sei noch nicht bestimmt. Entwicklungspotenziale für den Hinterlandverkehr sieht man beim GVN auch in dem sich im Bau befindlichen Kombi-Terminal in Osnabrück. Und: „Zur notwendigen Anpassung der Infrastruktur gehört für uns weiter der Ausbau des deutschen Schienennetzes für Güterzüge mit 740 Meter Länge.“ Im Container-Transport bedeutet das: Ein 740-Meter-Güterzug ersetzt 52 Lkw. Die Verkehrsministerkonferenz sieht trotz der erfreulichen Umsetzung einer Vielzahl von Einzelprojekten weiterhin einen erheblichen Bedarf zur punktuellen Erweiterung der Kapazitäten im Bahnnetz von und zu den deutschen Seehäfen. Soeben haben die Verkehrsminister der Länder das Bundesverkehrsministerium deshalb aufgefordert ein „Seehafenhinterlandverkehr-Sofortprogramm III“ aufzulegen und sich dazu eng mit der DB Netz AG, der Güterverkehrsbranche und den Ländern abzustimmen. Mit den SHHV-Programmen I und II hat der Bund in der Vergangenheit mehrere Hundert Millionen Euro für Bau- und Planungsmaßnahmen im Eisenbahnnetz zur Verfügung gestellt.


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SPEZIAL WASSER & WIRTSCHAFT

SPEZIAL WASSER & WIRTSCHAFT

Wirtschaftsfaktor Wasserweg

PAPENBURG

Die Häfen in Niedersachsen haben für die Warenwirtschaft eine entscheidende Bedeutung. Ein Blick auf Häfen in der Region und was dort umgeschlagen wird.

RAFFINERIE-HAFEN LINGEN-HOLTHAUSEN l

na nka e t s Kü

PAPENBURG

DÖRPEN

• Umschlag: 846 357 Tonnen, zwei Drittel davon Seeschiffsverkehr • Güter: Schiffs- und Maschinenteile, Torf, Düngemittel, Holz, Asche, Baustoffe

• Umschlag: 4 880 500 Tonnen • Güter: Container, Zellstoffe, Flüssigkreide, Nahrungs- und Futtermittel, Maschinenteile, Schwergut, Komponenten für Windanlagen, Gefahrgut

DÖRPEN s Em

• Abfertigung von rund 1200 Schiffen pro Jahr • Umschlag: zwischen 1300 und 1500 Tonnen Flüssigprodukte und rund 500 Tonnen Feststoffe

BENTELER WERKSHAFEN • Umschlag: Zwischen 150 000 und 280 000 Tonnen • Benteler nutzt den stahlwerkseigenen Hafen zur Versorgung des Elektrostahlwerkes mit dem Haupteinsatzstoff Schrott

Rüte Harennbro ck-K anal

EUROHAFEN EMSLAND EUROHAFEN EMSLAND

• Umschlag: 636 285 Tonnen • Gütereingang: Schüttgut, Massengut, Futtermittel, Getreide, Düngemittel, Baustoffe, Chemieprodukte für das Tanklager • Güterausgang: Schrott, Schwergut

BRAMSCHE

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• Drei Umschlagstellen: Achmer, Umschlagstelle Eilers, Engter • Güter: Schrott, Futter- und Düngemittel, Baustoffe, Agrarerzeugnisse wie Getreide

BOHMTE (IN PLANUNG)

RAFFINERIEHAFEN LINGEN-HOLTHAUSEN

BENTELER WERKSHAFEN

und

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Ems

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SPELLE-VENHAUS

BOHMTE SPELLEVENHAUS

BRAMSCHE

Mittellandkanal

• Umschlag: 1 436 447 Tonnen • Güter: landwirtschaftliche Erzeugnisse, Futtermittel, Mineralölprodukte, Steine, Erden, Schwergut u.a. von Windkraftanlagen

OSNABRÜCK • Umschlag: 1 226 371 Tonnen, davon 447 597 Tonnen Schiffsgüter, 778 774 Tonnen Bahn • Güter: Eisenschrott, Mineralölprodukte, Steine, Erden, Zellstoffe, Schwergut

OSNABRÜCK

Fotos: Christoph Assies, Michael Gründel · Illustration: Colourbox.de · Gestaltung: Matthias Michel

• Güter: Futter- und Düngemittel, Schüttgut, Schwergut


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„Schiffe nachzurüsten können wir uns nicht leisten“ Branche in der Krise: Reeder Bernd Sibum sieht den Mittelstand vor einer ungewissen Zukunft VON NINA KALLMEIER HAREN In der Stadt Haren gibt es eines der größten maritmen Cluster in Deutschland. Die Finanzkrise wirke jedoch – nicht nur an der Ems – bis heute nach, sagt Bernd Sibum, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Harener Reeder. Die Zukunft mittelständischer Betriebe wie jene in der Region sieht er kritisch.

Herr Sibum, welche Bedeutung hat der Reeders-Standort Haren? Es ist nach wie vor so, dass der Reeder-Standort an der Ems nach Hamburg der zweitgrößte in Deutschland ist. Und auch im internationalen Vergleich gehören wir zu den Top-Ten. So viele Reedereien an einem Standort gebündelt findet man nicht oft. Insofern haben wir eine große Bedeutung und verstehen uns als Reeder von der Emsachse. Zusammen mit den Kollegen aus Leer, vom Alten Land oder von der unteren Ems sprechen wir mit einer Stimme, wenn es um die Vertretung unserer Interessen geht. Wie viele Schiffe gehören zur „Flotte“ der Ems-Reeder? Diese Frage ist nicht so leicht zu beantworten. Wir übernehmen nach wie vor die Bereederungsleistung vieler Schiffe, doch nicht immer hat die Gesellschaft, der das Schiff gehört, ihren Sitz hier vor Ort. Das ist eine Nachwirkung der Finanzkrise und dem massiven Verkauf von Schiffen in den vergangenen zehn Jahren geschuldet. Damit sind wir auch schon bei dem größten Problem unserer Branche. Inwiefern? Seit der Lehman-Brother-Pleite mit all ihren Folgen ist die Schifffahrt nicht zur Ruhe gekommen. Die Finanzkrise hat alle deutschen schifffinanzierenden Banken in Mitleidenschaft gezogen, angefangen mit der HSH Nordbank über die Comerzbank und zuletzt die NordLB – das glich einer Enthauptung der maritimen Wirtschaft in Niedersachsen. Das Resultat war ein Ausverkauf der Schiffe ohne Rücksicht auf Verluste. Bis heute ist der Schiffsmarkt unter Druck, da die Banken die Schiffe zu Dumpingpreisen auf den Markt geworfen haben. Und auch die Frachtraten waren in den vergangenen Jahren schlecht. Das hat sich durch die Corona-Pandemie sogar noch einmal verstärkt. In der Corona-Krise hat sich noch einmal gezeigt, wie wichtig die Logistik – auch auf See – ist. Da müsste bei Ihnen das Geschäft doch brummen? Der Frachtraum ist in den vergangenen Jahren ja nicht weniger geworden, auch wenn einige Schiffe verschrottet wurden. Der Markt geht davon aus: Wenn mit günstigen Schiffen gefahren wird, reichen auch niedrige Preise bei der Fracht. Zumal in den vergangenen Jahren irrsinnig große Frachtschiffe gebaut wurden, die den Transport auf langer Strecke günstiger machen. In der Konsequenz drücken mittelgroße Schiffe in unsere Märkte, die europäischen Verkehre, hinein. Das ist ein Verdrängungswettbewerb. Um was für Schiffe und Strecken handelt es sich bei Ihnen? Wir in Haren sind familiengeführte Betriebe, die zwischen zwei und mehr als 40 kleine bis mittelgroße Container-, Multipurpose- oder Schwergutschiffe bereedern. In

Tonnage gesprochen haben die Schiffe eine Tragfähigkeit zwischen 3000 und mehr als 20 000 Tonnen. Mit den Schiffen decken wir alle Verkehre – sowohl regional hier in Europa als auch weltweit – ab. Einer meiner Dampfer ist gerade durch den Panamakanal gefahren, eins liegt in Nigeria, andere fahren auf der Ostsee. Inwieweit hat die CoronaPandemie Ihre Situation verschärft? Wir haben in den vergangenen zehn Jahren schon so gelitten, da kann uns eigentlich nichts mehr erschüttern. Wie haben lange auf echte Hilfe gewartet und gehofft, doch wirklich geholfen hat uns niemand. Auch die Corona-Hilfen kommen für uns meist nicht infrage, da jedes Schiff als Projektgesellschaft zählt, die nicht gefördert wird. Zumal einige Charterverträge bis in den Juni hinein liefen, sodass das Loch für uns erst später kam. Für Investitionen können wir Zuschüsse bekommen, das nehmen auch einige Kollegen in Anspruch. Was das Thema CrewChange angeht, haben wir an der Ems alles dafür getan, unsere Seeleute trotz Lockdowns nach Hause zu bringen. Sie zeichnen ein düsteres Bild der letzten zehn Jahre. Warum gibt es Sie noch? Die Reeder aus Haren und auch Leer haben der Ostfriesischen Volksbank viel zu verdanken. Mit ihr konnten wir einige Schiffe neu finanzieren, bevor sie verramscht wurden, oder auch neue anschaffen. Wie bei mir: Ich habe fünf Schiffe durch die HSH-Nordbank verloren, in diesem Jahr konnte ich allerdings zwei erwerben, die von der NordLB verschleudert werden sollten. Kapital und Interesse ist da, bei den niedrigen Preisen zuzuschlagen. Mittlerweile haben auch andere Banken wieder vorsichtig angefangen, aber auch das sind kleinere Regionalbanken. Die Auswirkungen der Krise sind jedoch deutlich zu sehen: In deutschen Registern waren vor der Krise 3750 Schiffe registriert. Davon waren im vergangenen Jahr noch 2140 übrig geblieben. Wie hat sich das auf die maritime Wirtschaft in der Region ausgewirkt? Als erstes haben nach Beginn der Krise unsere deutschen Werften dicht gemacht. Natürlich haben auch wir mal in China Schiffe bauen lassen, jedoch haben wir vor allem bei unseren deutschen Werften Schiffe bestellt. Auf die Wertschöpfung und die Arbeitsplätze, die die Reeder damit auch in Deutschland gesichert haben, war die Politik einst stolz. Heute sind wir schwarze Schafe. Wenn ein Industriebetrieb für eine Million Euro eine neue Halle baut, wird er von der Politik & Co. beglückwünscht. Davon, dass allein mein Betrieb in den letzten Jahren jeweils zweimal im Jahr mindestens 800.000 Euro in die Instandhaltung unserer Schiffe auf deutschen Werften in unserer Region gesteckt hat, davon redet keiner. Aber gerade das sichert auf den niedersächsischen Werften und in den kleinen Reparaturbetrieben im Emsland Arbeitsplätze. Gleichwohl machen es alle anderen Harener Reeder. Wenn Kapital und Interesse da ist, ist mit der Schifffahrt aber auch weiterhin gutes Geld zu verdienen.

Bei den aktuellen niedrigen Schiffspreisen schon. Nach zehn Jahren war ein Schiff zu normalen Zeiten noch rund 70 Prozent des Neupreises wert. Heute ist das nicht mehr zu erzielen. Das bedeutet auch: Die Belastungen bei der Bank sind niedrig. Somit rechnet sich das Geschäft für die Gesellschafter und die Bank, die ein geringes Risiko eingeht. Klassischerweise wird die Hälfte eines Schiffes mit Eigenkapital und die Hälfte von der Bank finanziert. Heutzutage liegt der Anteil der Bank etwa beim Schrottpreis. Damit ist es ein kontrolliertes Risiko für alle Finanzierungspartner. Umweltverbände kritisieren, dass die Umweltziele in der Schifffahrtbranche nicht ambitioniert genug sind. Ist das aus Ihrer Sicht gerechtfertigt? Man muss das mal deutlich sagen: Unsere Schiffe nachzurüsten, können wir uns wirtschaftlich zurzeit nicht leisten. Da haben wir keinen Spielraum. Nehmen wir ein Beispiel: Ein Frachtschiff, das 1000 Container laden kann, mit einem LNG-Antrieb nachzurüsten, kostet rund acht Millionen Euro. Dafür gibt es eine Förderung – doch wenn die eigenen finanziellen Aufwendungen genau so hoch sind wie der Wert des Schiffes, welche Bank finanziert eine solche Umrüstung? Und welche Gesellschafter sind dazu bereit? Das Kapital sitzt oft nicht mehr in Deutschland, sondern auch im Ausland. Dem entgegen stehen z.B. mit LNG-Antrieb günstigere Reisekosten – Sie könnten deutlich günstiger tanken... Im Moment schon, das war aber nicht immer so. Und letztlich muss man bei einem Bau eines LNGSchiffes über eine nahezu unmöglich große Hürde der Finanzierung springen. Ein LNG-Neubau würde viel zu teuer werden. Das ist bei den heutigen Frachtpreisen nicht darstellbar. Es sieht momentan auch nicht danach aus, als würden die Konsumenten – also wir alle – diesen Aufpreis zahlen wollen. Deswegen ist aktuell ein Neubau mit LNG-Antrieb für die breite Masse des weltweiten Warenverkehrs aktuell nicht finanzierbar. Um eine Modernisierung werden Sie jedoch langfristig nicht herumkommen. Die Ziele der Europäischen Union sind klar. Eine emissionsfreie Schifffahrt ist ein Traum, der wahrscheinlich nie in Erfüllung gehen wird. Um sie auf den Weg zu bringen, fehlt zurzeit nicht nur das Geld, sondern auch der Antrieb. Man hofft auf die Brennstoffzelle, aber das ist Zukunftsmusik. Bis es so weit ist, müssen Schiffe weiterbetrieben werden, und da wird es beim Dieselmotor bleiben. Die Motorleistung muss ja irgendwo herkommen. Wird die Schifffahrt in den Emissionshandel aufgenommen, ist eins klar: Dieser Preis muss

Lautder StadtHarenistderReeder-Standort nichtnur derzweitgrößteinDeutschland nachHamburg,sondernauch dieRegion „Ems-Achse“ist auch dasachtgrößte maritimeClusterweltweit.SeitderFinanzkrise vorzehnJahrenist die Branchejedoch nichtzurRuhegekommen,sagt BerndSibum, VorsitzenderderInteressengemeinschaft HarenerReeder. Foto:Colourbox.de,Montage:NOZ

über die Fracht wieder reinkommen. Wir müssen unseren CO2Ausstoß schon heute melden. Da wird noch viel passieren. Was heißt das für die maritime Wirtschaft in der Region? Ich würde mich freuen, wenn es nicht so wäre. Schon mein Vater war Reeder, ich habe vor 25 Jahren einen eigenen Betrieb gegründet und in Bremerhaven das erste Containerschiff bauen lassen. Damals hat man geglüht, man hatte Visionen, man war begeistert. Jetzt heißt es bei vielen: Retten, was zu retten ist. Gerade diejenigen, die vor der Finanzkrise eigene Schiffe haben bauen lassen, haben in den vergangenen zehn Jahren viel verloren. So ein Risiko wird keiner mehr eingehen. Früher war die Schifffahrt ein stetiges Geschäft, in schlechten Zeiten sind die Frachtraten vielleicht um 20 Prozent gesunken. Bei uns waren es in den letzten Jahren bis zu 70 Prozent und einige Schiffe mussten teilweise für den Zeitraum eines Jahres bei weiterhin laufenden Betriebsund Kapitalkosten stillgelegt werden. Das hat jedoch Konsequenzen. Es bedeutet: Es wird weniger investiert, denn wer sichert mir heute Aufträge für ein bis zwei Jahre, wie das früher der Fall war? Das wiederum hat Auswirkungen auf die Werften, Zulieferer und alle Arbeitsplätze in der maritimen Wertschöpfungskette. Ausbildung und Know-how geht verloren. Wir Reeder haben in der Vergangenheit Impulse gesetzt, wir alten Hasen können noch zusammen mit einer Werft ein Schiff planen. Die vielen Seiteneinsteiger, Kaufleute, können das nicht. Nach wie vor liebe ich die Schifffahrt, ich bin mit ihr verwurzelt. Ich kenne mittlerweile aber auch die Kehrseite. Was heißt das für die Zukunft der mittelständischen Reeder? Stehen sie vor dem Aus? Wer es geschafft hat, seine Schiffe teilweise zu retten, der ist optimistisch, dass es wieder aufwärts geht. Aber wir laufen in eine ungewisse Zukunft. Fakt ist: Immer mehr Reedereien müssen den Betrieb aufgebent. Die Reedereien, die nach erfolgreicher Restrukturierung jetzt noch da sind, haben im Moment ihre Arbeit. Doch was passiert, wenn die Schiffswerte wieder auf ein normales Niveau steigen? Dann wird verkauft. Davon profitieren weniger die Reeder selbst, sondern in erster Linie das Kapital fremder Investoren, und das sitzt mittlerweile oft im Ausland. Durch den Ausverkauf, mit dem die Banken vor zehn Jahren begonnen haben, wurde bis jetzt viel Volksvermögen und Know-how ins Ausland transferiert. Und die Konsequenz? Es ist zu befürchten, dass unser Land beim Im- und Export zukünftig von anderen Nationen abhängig wird. Wir sind auf dem besten Wege, die Waren- und Güterversorgung unseres Landes und auch das maritime Know-how in fremde Hände zu geben. Vor dieser Situation mit allen Konsequenzen haben wir bereits vor zehn Jahren eindringlich gewarnt und diese Warnungen wurden stillschweigend hingenommen. Die Konsequenzen haben somit nicht nur die Reedereien, sondern unser ganzes Land zu tragen, wenn ein unbestritten systemrelevanter Wirtschaftszweig von der Bildfläche verschwinden wird.


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„Reeder haben beim Thema Umweltschutz geschlafen“ Nabu-Referent Sönke Diesener im Interview VON NINA KALLMEIER

Wann sehen Sie Schiffe mit alternativen Kraftstoffen nicht nur vereinzelt, sondern in großen Mengen über die Meere und Kanäle fahren? Spätestens 2030 müssen Reedereien so weit sein – hier wurden übrigens auch die Proteste von Fridays for Future durchaus gehört. In Richtung Ammoniak gibt es aktuell mehrere Projekte. Es gibt die ersten Methanol-Schiffe. Im Teststadium sind wir längst so weit. Wie lange es dauert, bis eine solche Technologie ausgerollt wird, hängt maßgeblich mit einer Bepreisung maritimer Kraftstoffe oder einer CO2-Steuer oder anderen gesetzlichen Vorgaben zusammen.

Maritime Wirtschaft und der Umweltschutz – das geht nicht immer Hand in Hand. Ein Gespräch mit Nabu-Referent Sönke Diesener über die Bedeutung der maritimen Wirtschaft, Versäumnisse beim Umweltschutz und wie die Schifffahrt grüner werden kann. OSNABRÜCK

Herr Diesener, welche Bedeutung hat die maritime Wirtschaft heute? Man muss ehrlich sagen: Ohne die maritime Wirtschaft ginge es nicht, sie ist das Rückgrat des Warenhandels. Rund 90 Prozent der weltweiten Güter werden per Schiff transportiert. Natürlich gilt das für einige Warengruppen wie Energiestoffe und Getreide, die fast ausschließlich auf dem Seeweg transportiert werden, mehr als für andere. Auch wenn die Schifffahrt immer mal wieder in der Kritik steht, die Klimaschutzdebatte fokussiert sich stark auf die Themen Kohleausstieg, Flugscham und Verkehrswende. Wie steht es um die Klimabilanz der Schifffahrt? Die Klimabilanz – also der CO2-Ausstoß pro Ware – ist im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern gar nicht so schlecht. Das liegt an der schieren Masse, die auf einem Schiff transportiert wird. Insofern ist das Schiff an sich schon der klimaschonendere Verkehrsträger, und das nicht nur im Vergleich zum Flugzeug, sondern sogar zur Bahn. Nichtsdestotrotz ist die Schifffahrt für 2,9 Prozent des weltweiten CO2Ausstoßes verantwortlich – Tendenz steigend, da der Welthandel wächst. Würde man die Schifffahrt in ein Länder-Ranking einsortieren, würde die Schifffahrt auf Platz 6 vor Deutschland stehen. Also ist auch in der Seefahrt drängender Handlungsbedarf in Sachen Klimaschutz angezeigt. Aus Sicht des Umweltschutzes müssten Sie aktuell jubeln: Seit Monaten steht die Kreuzfahrtbranche still, und so schnell wird sich das auch nicht ändern. Ist dem so? Natürlich freuen wir uns darüber, dass aktuell Emissionen ausbleiben und die Luft in Hafenstädten besser ist, aber das ist ein teuer erkauftes Glück. Lockdown kann kein Weg zum Umweltschutz sein. Es ist auch nicht unser Ziel, sämtliche Aktivitäten einzustellen. Sie müssen umgestellt werden auf eine bessere Basis, eine bessere Energieversorgung und einen umweltfreundlicheren Umgang mit Ressourcen. In dieser

DasContainerschiff„JaquesSaade“istlautderfranzösischenReederei„CMACGM“dasgrößteLNG-betriebeneContainerschiffderWelt,LautNabu-ReferentSönkeDiesenerkönntenReedereien und damitauchWerftenundZulieferer, aberauch diePolitikmehr fürdenAusbaueiner„grünenSchifffahrt“tun Foto: dpa/CMA CGM/YNA

Hinsicht könnte die Corona-Krise sogar hinderlich sein. An einigen Stellen sehen wir durch die CoronaKrise eine Beschleunigung guter Ideen, an anderen sind wir skeptisch, dass die Corona-Krise helfen kann. Wo sehen Sie eine Beschleunigung, wo ein Ausbremsen? Wenn wir in der Kreuzfahrt bleiben: Im Frühjahr, zu Beginn des ersten Lockdowns, haben viele größere Reedereien die Zeit genutzt, um Schiffe in die Werft zu bringen, Landstromanschlüsse nachzurüsten, in Hamburg hat das Schiff „Europa 2“ von Hapag-Lloyd einen Langzeittest an einer Landstromanlage absolviert, was vor Corona zeitlich nicht möglich gewesen wäre. Insofern gab es gute Ansätze. Kreuzfahrtunternehmen haben Schiffe abgewrackt – was auch gut ist, denn es sind gerade alte, umweltschädliche Schiffe, die aus dem Markt gehen. Nun zieht sich die Corona-Krise länger hin, als viele geglaubt haben. Reedereien stehen mit dem Rücken zur Wand. Eine Befürchtung ist natürlich, dass Umweltschutzambitionen zurückgefahren werden, weil das Geld fehlt. Gibt es eine ähnliche Entwicklung bei Container- und Binnenschiffen? Interessanterweise nein. Der Containerschifffahrt geht es in der Corona-Krise sehr, sehr gut, einige Unternehmen rechnen mit Rekord-

In Sachen Umweltschutz könnten Reeder noch deutlich mehr tun, findet Nabu-Referent Sönke Diesener. Foto: NABUHamburg

gewinnen für dieses Jahr. Das liegt vor allem daran, dass viel investiert wird, viele Waren gekauft werden. Der Welthandel brummt trotz Covid. Die Containerschifffahrt hat auch etwas anders reagiert als in der Finanzkrise 2008. Sie hat einige Schiffe aus dem Dienst genommen und konnte entsprechend andere Preise durchsetzen. Die Frage ist: Was ergibt sich in Sachen Regulierung? Die Klimaziele für die Schifffahrt sind absolut unambitioniert. Damit steigen die Emissionen vielleicht bis 2030 ein Prozent weniger als gedacht. Hier hätte man ohne Corona möglicherweise besser für den Klimaschutz verhandeln können. In welchen Bereichen hätte es mehr Ambitionen gebraucht? Es geht um zwei Dinge: zum einen um eine Art Ranking-System für Schiffe, wie man es von Haushaltsgeräten kennt. Schiffe, die in Bereich C und D fallen, dürfen drei Jahre so weiterfahren und müssen erst dann einen Plan vorlegen, wie sie es besser machen. Es dauert also, bis der CO2-Ausstoß tatsächlich gesenkt werden muss. Auch Sanktionsmöglichkeiten gibt es nicht. Das ist ein zahnloser Tiger. Zum anderen geht es darum, dass Schiffe mit weniger Leistung fahren – das tun sie jedoch auch heute schon. Insofern werden die Maßnahmen nicht dazu führen, dass CO2 oder Treibstoff eingespart werden. Es braucht mehr Initiative. Die Europäische Union hat erst jüngst ihre Klimaziele verschärft. Im Green Deal ist die Schifffahrt namentlich adressiert, unter anderem mit der Idee, sie in den Emissionshandel mit aufzunehmen. Oder auch mit einer Landstrom-Pflicht. Das sind geeignete Maßnahmen, und wir setzen uns dafür ein, dass sie zeitnah eingeführt werden. Wie kann die Schifffahrt grüner werden? Als alternativer Antrieb ist unter anderem LNG zurzeit ein Trend. Nicht nur in der Kreuzfahrt, auch in der Containerschifffahrt kommen die ersten Schiffe mit LNG-Antrieb. Allerdings muss man sagen: Auch LNG ist ein fossiler Treibstoff. Er ist eine gute Möglichkeit, die Schadstoffbelastung der Luft zu senken – das ist gerade im Bereich der Kreuzfahrt ein Reizthema. Dem Klima-

schutz ist mit LNG aber im Endeffekt nicht geholfen. Auf welchen Antrieb setzen Sie? Klimaschutz auf See wird bei kleineren Schiffen sicherlich in Richtung E-Antrieb mittels Batterie und/oder Brennstoffzelle gehen. Bei großen Schiffen, die die Ozeane überqueren, werden weiterhin Treibstoffe an Bord gepumpt werden müssen. Das kann Wasserstoff sein, das kann Ammoniak sein. Es gibt aber auch die Möglichkeit, Methanol als Dieselersatz zu nehmen – dafür hat auch die Meyer Werft zum Beispiel lange Zeit Werbung gemacht – oder synthetisches Gas. Für all diese Energieträger gilt: Sie müssen mit regenerativer Energie hergestellt werden. Daran hapert es zurzeit jedoch. Ja, das stimmt. Bei den hohen Strompreisen in Deutschland werden diese Kraftstoffe auch nicht hier hergestellt werden. Die Hoffnung liegt auf den sonnen- und windreichen Regionen dieser Erde wie Australien, Marokko oder Saudi-Arabien. Die Luftfahrt wird uns den Einsatz synthetischer Kraftstoffe in den nächsten Jahren vormachen. All diese Kraftstoffe brauchen aber auch eine Infrastruktur. Auch das kostet Geld. Das wäre nicht so aufwendig, wie man vielleicht denkt. Für Methanol zum Beispiel könnte die bestehende Diesel-Infrastruktur genutzt werden. Ammoniak wird heute schon als Grundstoff für Düngemittel in großen Mengen transportiert. Insofern wären diese Infrastrukturen – auch in kleineren Häfen zum Beispiel in Niedersachsen – vorhanden. Das macht diese Kraftstoffe auch so interessant und lässt LNG etwas in den Hintergrund rücken. Insgesamt wird sich das Thema Kraftstoff mehr ausdifferenzieren. Es wird nicht mehr nur den einen Antrieb geben. Es braucht also LNG-Terminals in Niedersachsen oder Hamburg? Nein, das braucht es nicht. Zumal die großen Schiffe zum Beispiel im Asien-Rundlauf auch heute in Rotterdam oder Singapur tanken und nicht bei uns. Kaum ein großes Schiff tankt heute in Hamburg. Und die Tankschiffe in der Nordsee holen sich das LNG in Rotterdam oder Seebrügge.

Das Thema „grüne Antriebe“ ist nicht neu – passiert ist jedoch wenig. Haben die Reedereien hier geschlafen? Ja, in dieser Hinsicht ist viel zu wenig passiert. Man muss aber auch sagen: Nicht nur die Reedereien und damit auch Werften und Zulieferer haben geschlafen, sondern auch die Politik, die die entsprechenden Rahmenbedingungen nicht gesetzt hat. Und da kann ich verstehen: Kein Unternehmen investiert in die Entwicklung neuer Motoren oder Antriebe insgesamt, wenn nicht sicher ist, dass es sich lohnt. Letztlich brauchen wir aber auch keine Vorgaben in Sachen Technik, sondern einen angemessenen Preis für CO2. Dann wird sich das Thema schnell regeln. Beim CO2-Preis soll sich jetzt was tun. Richtig, aber wir wissen noch nicht, wie hoch der CO2-Preis ausfallen wird, wenn die Schifffahrt in den CO2-Handel aufgenommen wird. International müssen wir festhalten: Alternative Kraftstoffe sind im Vergleich aktuell zu teuer – ausgenommen LNG, das ist billiger als Schweröl. Insofern ist die Motivation für Reedereien, auf LNG zu setzen, auch nicht unbedingt der Umweltgedanke, sondern vor allem, dass es derzeit der billigste Kraftstoff ist, den es weltweit gibt.

„Die Klimaziele für die Schifffahrt sind absolut unambitioniert.“ Sönke Diesener, Nabu-Referent Verkehrspolitik

Sehen Sie die Gefahr, dass aufgrund der Pandemie Geld für Investitionen fehlen wird? Das sehe ich aktuell nicht. Es ist viel Geld im Umlauf, und das wird auch zur Innovationsförderung genutzt. Sowohl das Konjunkturpaket aus Deutschland als auch das der EU setzen darauf, dass die Schifffahrt umweltfreundlicher wird. Daher sieht es im Moment danach aus, dass die Pandemie dem Wandel einen Schwung geben könnte. Wie sehen Sie die Chancen langfristig für die maritime Wirtschaft? Auf den Wandel zu setzen und entsprechend zu investieren kann für Deutschland und für Europa zu einem Wettbewerbsvorteil werden. Je komplexer die Schiffe sind und desto mehr Umweltanforderungen berücksichtigt werden, desto mehr Möglichkeiten haben europäische Zulieferer und europäische Werften – und damit auch eine Sicherung von Arbeitsplätzen. Einfache Schiffe werden schon heute in China und Korea gebaut. Wie alt sind die Flotten heutzutage? Wären Investitionen ohnehin an der Tagesordnung? Das ist sehr unterschiedlich. Die deutschen Binnenschiffe sind furchtbar alt. Hier ließe sich also vieles machen, und es wäre auch einfacher, auf alternative Antriebe umzusteigen, da die Motoren deutlich kleiner sind. Auf See haben deutsche Kreuzfahrtanbieter in den vergangenen Jahren bereits stark investiert, und auch die deutschen Container-Linien fahren bereits eher mit neueren Schiffen. Es wären aber auch nicht unbedingt neue Schiffe nötig. Häufig genügt eine Umrüstung. Wie wird sich die maritime Wirtschaft weiterentwickeln? Ein großes Thema für die maritime Wirtschaft in Zukunft ist der Umbau der Energiewirtschaft. Etwa 30 Prozent der Mengen, die Schiffe heute transportieren, sind Öl, Kohle und Gas. Schaffen wir in den nächsten 20 bis 30 Jahren weltweit eine Energiewende, brauchen wir diese Kapazitäten nicht mehr. Für Binnenschiffe ist der Anteil noch größer. Insofern steht auch hier eine Veränderung bevor. Und hinzu kommt: Unternehmen wie Adidas re-regionalisieren ihre Lieferketten, produzieren mithilfe von 3-D-Druck Schuhe in Deutschland. Welche Auswirkungen das langfristig auf Transportkapazitäten auf See haben wird, steht noch in den Sternen. Es hat aber das Potenzial, eine Zäsur für die maritime Wirtschaft zu werden.


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Die Kreuzfahrtkrise und die Sorgen der Zulieferer Unternehmer berichtet über Zusammenarbeit mit den Werften in Papenburg und Mecklenburg-Vorpommern VON CHRISTOPH ASSIES PAPENBURG/WISMAR Die durch die

Corona-Pandemie ausgelöste Krise im Kreuzfahrtschiffbau erfasst auch die Zulieferer der Werften. Ein Unternehmer aus dem Emsland, der sowohl für die MV Werften in Mecklenburg-Vorpommern als auch für die Papenburger Meyer Werft tätig ist, schilderte unserer Redaktion seine Situation und zieht einen Vergleich zwischen den beiden Auftraggebern. Der Mann, der seinen Namen nicht öffentlich machen möchte, ist mit seinem Unternehmen seit mehreren Jahren ein Partner der Papenburger Schiffbauer bei der Ausrüstung ihrer Kreuzfahrtschiffe. Seit 2018 arbeitet der Unternehmer auch mit den MV Werften zusammen, die an den drei Standorten Wismar, Rostock und Stralsund Kreuzfahrtschiffe bauen. „Wir haben vor rund einem Jahr, als Corona noch kein Thema war, einen Auftrag in Millionenhöhe von MV bekommen“, so der Zulieferer. Aktuell sollten eigentlich das weltweit größte Kreuzfahrtschiff der Welt – die „Global Dream“ mit Platz für 9500 Passagiere – und ein baugleiches Schwesterschiff entstehen. Der Emsländer ist mit seinem Unternehmen an dem Mega-Projekt beteiligt. Durch die CoronaPandemie ist die weltweite Kreuzfahrtbranche jedoch in eine schwe-

re Krise geraten und hat die Werften, die sich auf den Bau dieser hochkomplexen Passagierschiffe spezialisiert haben, mit in den Strudel gezogen. Der Bau der gigantischen „Global Dream“, die eigentlich im kommenden Jahr abgeliefert werden soll, ruht auf der Wismarer Werft des MV-Konzerns, dessen Hauptgesellschafter der Genting-Konzern aus Hongkong ist. Das ebenfalls schon im Bau befindliche Schwesterschiff, das zu etwa 30 Prozent fertiggestellt ist, soll nach Informationen unserer Redaktion und einem Bericht des NDR-Magazins „Panorama 3“ zufolge abgewrackt werden. Kredite für den Bau habe Genting

„Einwandfreie Kommunikation mit der Meyer Werft.“ Schiffs-Zulieferer aus dem Emsland

dem NDR zufolge den Gläubigern zurückgegeben. Für den Rohbau suche MV nun einen Verschrotter. „Die Kommunikation gegenüber den Zulieferern war sehr einseitig. Man hat uns in einem allgemeinen E-Mail-Verteiler standardisiert informiert, genauere Informationen haben wir nur über private Kontakte zu Werftmitarbeitern bekommen“, so der Emsländer. Mittlerweile komme aber wieder Bewegung in die Sache. Der Zulieferer hört wieder regelmäßiger etwas von seinen Geschäftspartnern bei den MV Werften. Das mag auch an der Zusage einer finanziellen Unterstützung aus Mitteln des Rettungsschirmes der Bundesregierung liegen. Anfang Oktober verkündeten die MV Werften, sie würden einen Überbrückungskredit in Höhe von 193 Millionen Euro für die Fertigstellung des Expeditionskreuzfahrtschiffes „Crystal Endeavor“ und für die Weiterführung des Betriebes bis März 2021 erhalten. Alle Mittel aus dem Darlehen würden ausschließlich in Deutschland für die Werften verwendet. Das Schiffbauunternehmen befindet sich nach eigenen Angaben in einem Lockdown-Modus, der überwiegende Teil der Belegschaft sei in Kurzarbeit. In den kommenden Wochen solle in Teilen die Produktion wieder hochgefahren werden, heißt es von MV.

So soll es aussehen,wenndas Kreuzfahrtschiff„Global Dream“ imkommendenJahr dieMV-WerftinWismarverlässt.

Nach Informationen unserer Redaktion soll der Weiterbau der „Global Dream“ vom Erfolg des Weiterbaus der „Crystal Endeavor“ mit der reduzierten Zahl an Werftarbeitern abhängig gemacht werden. Der Emsländer hat Aufträge für beide Schiffe, Rechnungen sind teilweise noch nicht bezahlt. „Uns hat man aber versichert, dass alle bisher geleisteten Arbeiten auch bezahlt werden“, so der Unternehmer. Trotzdem sei er vorsichtig, was kommende Projekte für MV ange-

he. „Ich hatte Investitionspläne für meine Firma auf Grundlage des Auftrages der MV Werften, die ich aber nun erst mal auf Eis gelegt habe.“ Auch neue Mitarbeiter vor Ort will er nun nicht einstellen. „Mein Unternehmen gerät durch den fehlenden zweiten Auftrag von den MV Werften nun nicht in Schieflage, aber die Weiterentwicklung meiner Firma wird damit schon beeinflusst“, betont der Unternehmer. Positiver sieht er hingegen die Zukunft für die Meyer Werft. „Die ak-

Foto: MVWerften

tuellen Projekte werden zwar zeitlich deutlich gestreckt, aber es läuft eine einwandfreie Kommunikation zwischen Werft und Zulieferern. Das ist kein Vergleich zum Ablauf bei MV.“ Wie sich der Kreuzfahrtmarkt – und damit auch seine Arbeit für Werften – in den kommenden Jahren weiterentwickelt, mag der Unternehmer nicht einschätzen. „Das ist sicher stark vom Impfstoff gegen Corona und auch davon abhängig, wie die Reedereien durch die Krise kommen“, meint er.


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

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Kaffeetafel im Wandel der Zeit Wie sich der Trend zur bewussten Ernährung und Single-Haushalten im Sortiment von Coppenrath & Wiese widerspiegelt Geschmacksreise: Wiener Platte oder New York Cheesecake? Entwicklung vom Festtags- zum Alltagskuchen. Junger Kaffeeklatsch: Zusammenarbeit mit Youtuberinnen. VON ELKE SCHRÖDER Der fein geschwungene Schriftzug „Sahne-Schnitte“ auf dem handlichen Kuchenkarton der Conditorei Coppenrath & Wiese wirkt wie zart durch die warme Duftwolke einer Tasse Kaffee geflüstert. Doch vor dem Kauf offenbart die Verpackung hinter dem Glas der Truhe im Supermarkt eiskalt ihre Produktinformationen: ein winziges grünes Dreieck rechts oben verweist darauf, dass der „Kult“-Kuchen „Frei von Konservierungsstoffen“ ist; die Uhr darunter zeigt für gehetzte Berufstätige an, dass die Eierlikörschnitte – aufgeschnitten - bereits in 45 Minuten verzehrt werden kann; die Nährwerttabelle legt dar, wie gehaltvoll der Genuss eines Stücks ist; die Zutatenliste warnt Lebensmittelallergiker vor Spuren von Nüssen; das Facebook-Logo lenkt den Weg zur Firma im Netz; das UTZ-Zertifikat verweist auf die Unterstützung von nachhaltigem Kakaoanbau und der grüne Punkt auf die richtige Müllentsorgung nach der Kaffeetafel. Kurzum: Diese Verpackung des nach eigenen Angaben größten Herstellers tiefgekühlter Torten, Kuchen und Backwaren in Europa steht beispielhaft dafür, wie sich die Ansprüche an Waren in den letzten 45 Jahren seit Gründung der Firma durch Aloys Coppenrath und Josef Wiese verändert haben. Bewusste Ernährung ist heute ein ganz wichtiges Thema beim Verbraucher, bestätigt Peter Schmidt, Geschäftsführer von Coppenrath & Wiese, im Gespräch mit unserer Redaktion: „Die Verbraucher achten vermehrt darauf, was in einem Produkt enthalten ist. Das gilt in zunehmenden Maße auch für Genussprodukte, wie wir sie herstellen.“ Im Sortiment spiegelte sich dieser Trend bereits 2006 mit der Erweiterung um Dinkel- und Bio-Roggenbrötchen wider – zehn Jahre nach Markteinführung der ersten fertig gebackenen, tiefgekühlten Brötchen des Hauses. Täglich produziert die Großkonditorei, die seit 2015 zu Dr. Oetker gehört, allein bis zu 260 000 Torten METTINGEN

Kinohelden als Tortenmotiv: Mitsolchen Kreationenversucht Coppenrath &Wiesegezieltjüngere Verbraucheranzusprechen.Dasgilt auchfürdieaktuelle Kooperationmit denYoutuberinnen Viktoria&Sarina. Foto:Coppenrath & Wiese

Früher:AufdiesemWerbefotoausdenersten Firmenjahren vonCoppenrath&Wiesedurfteauch derLikörzurfestlichenKaffeetafel nebenderSahnetortenichtfehlen.

für den Einzelhandel am Produktionsstandort in Mettingen. Eigentlich wäre die grüne Hinweisecke „Frei von Konservierungsstoffen“ auf den Verpackungen nicht nötig, Coppenrath & Wiese reagiert damit auf die stark gestiegene Relevanz des Themas „free from“, wie Peter Schmidt erklärt: „Wir haben uns ent-

„Wir spüren sehr stark, dass die Verbraucher einerseits die Klassiker lieben, andererseits auch nach neuen Dingen suchen.“ Peter Schmidt, Geschäftsführer Conditorei Coppenrath & Wiese

schieden, obwohl alle unsere Produkte schon immer keine Konservierungsstoffe enthielten, das noch einmal explizit zu kommunizieren, denn einem Großteil der Bevölkerung ist es gar nicht bewusst, dass Tiefkühlprodukte an sich keine Konservierungsstoffe benötigen.“ Marketingleiterin Dorothee ReieringBöggemann verweist auf den Vorteil der Firmen-Homepage: Dort könnten dank Such- und Auswahlkriterien Verbraucher mit unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten oder Bedürfnissen eine Hilfestellung bekommen: „Wer beispielsweise nach einem veganen Produkt sucht, findet hier unsere Strudel.“ Darüber hinaus gibt die hauseigene Webseite „Kuchenkult.de“ im Stil erfolgreicher Food- und Do-it-yourself-Blogs Anleitungen für auffällig gestaltete, moderne Kuchentafeln. Ein fünfköpfiges Team im Bereich digitale Kommunikation kümmert sich und beobachtet die Szene. Wer wäre vor Jahrzehnten schon auf die Idee gekommen, aus drei tiefgekühlten Apfelkuchen eine imposante dreistöckige Torte, einen „Fault Line Cake“, zu kreieren? Mit einer solchen kulinarischen Hochstapelei und anderen kuriosen Dekorationen kann jede Kaffeerunde zum fotogenen Hingucker-Erlebnis werden, das wiederum im Freundeskreis in den sozialen Medien geteilt wird. Einfach nur ein Stück Schwarzwälder-Kirsch-Torte genießen und gemütlich plaudern, ohne das Handy zu zücken – ist das der Kaffeeklatsch von gestern? Das wäre zu kurz gegriffen. Der Aspekt einer attraktiven Optik, angefangen bei den – auch nach dem Auftauen – präzise aufdressierten Sahnetupfern, spielt für die Großkonditorei bei der Produktentwicklung unabhängig von Instagram & Co. eine zeitlos wichtige Rolle, wie auch die Kuppeltorten verdeutlichen: „Wer eine Kaffeetafel ausstatten möchte und Gäste hat, der möchte es schön und perfekt haben. Es muss alles gut aussehen und auch gut schmecken“, betont die Marketingleiterin. Doch heutzutage kann das Netz den Weg zur jüngeren Zielgruppe

ebnen. Dazu gehört die aktuelle Kooperation mit den Youtuberinnen Viktoria und Sarina, mit denen eine eigene Torte entwickelt wurde: „Damit sprechen wir wieder ganz neue Verbraucher an, die vorher nicht an der Tiefkühltruhe waren“, erklärt Dorothee Reiering-Böggemann: „Wir haben drei Alterscluster: die Älteren über 60-Jährigen, die mittlere Generation mit 40- bis 60-Jährigen und die junge Generation unter 40.“ Ein verstärktes Ernährungsbewusstsein und der Aspekt einer ansprechenden Optik sind das eine. Aber haben sich auch die Geschmäcker verändert, seit 1975 die ersten gebackenen und dann schockgefrorenen „Wiener Platten“ der Firmengründer in den Einzelhandel kamen? Geschäftsführer Peter Schmidt will sich da nicht festlegen, „weil es die Produkte noch gibt, die den Ursprung unseres Unternehmens markieren“. Er nennt als Beispiel das Konzept der „Wiener Platte“ mit sechs einzelnen Sahneteilchen, die „mit den damals vorherrschenden Geschmacksrichtungen Schoko, Erdbeere, Schwarzwälder Kirsch und Käse-Sahne“ in die Tiefkühltruhen kamen. Vor 45 Jahren noch hergestellt in einer umgebauten Molkerei in Westerkappeln mit 35 Mitarbeitern. Daran nahtlos angeschlossen habe sich, erzählt Peter Schmidt weiter, „unsere Range ,Festtagstorten‘. Das sind im Prinzip die gleichen Geschmacksrichtungen als festliche Sahnetorte.“ Mit der steigenden Nachfrage nach tiefgekühlten Backwaren seit 1976 wuchs mit dem Unternehmen auch das Sortiment von zu Beginn bis zu zehn Produkten auf inzwischen über hundert Markenartikel. Anfang der 80erJahre erweiterte sich das Angebot noch um Bekanntes wie Apfelstrudel, das erste Produkt, das im Ofen fertig gebacken und warm verzehrt werden konnte, oder den Alt-Böhmischen Kuchen mit Apfel oder Pflaume.

Foto: Coppenrath &Wiese

Doch mit den zunehmenden Fernreisen und mitgebrachten kulinarischen Eindrücken der Verbraucher blickten auch die Produktentwickler bei Coppenrath & Wiese geschmacklich immer weiter über den europäischen Tellerrand hinaus, konnten offenbar neue Geschmacksvarianten mit raffinierten Zutaten gewagt werden. In den letzten Jahren sind diverse Cheesecakes-Varianten oder Brownies zum Sortiment hinzugekommen – und 2012 führte die „Café Lounge“ Sahne-Schnitten unter amerikanischen Begriffen wie „Crunch“ oder „Double-Choc Cookie“ ein. „Wir spüren sehr stark, dass die Verbraucher einerseits die Klassiker lieben, andererseits auch nach neuen Dingen suchen“, sagt Peter Schmidt. Aktuell weise der Trend in Richtung Frucht, Quark beziehungsweise Frischkäse, auch in verschiedenen Cheesecake-Varianten, wie auch die neueste

Kreation „Feinste Sahne – Wild Berry-Joghurt-Torte“ zeigt. Heute beschäftigt das mittelständische Unternehmen 3000 Mitarbeiter. Für 2020 wird ein Jahresumsatz von 440 Millionen Euro erwartet. „Die Bindung zur handwerklichen Fertigung zu halten ist für uns das Entscheidende beim Wachstumsprozess“, betont Schmidt. „Wir bieten im Prinzip für jeden Geschmack eine spezielle Range oder ein spezielles Produkt an“, erklärt der Geschäftsführer weiter und verrät über seine Kunden beispielsweise, „dass Männer den gedeckten Apfelkuchen präferieren und Frauen den vielleicht gesünderen ApfelCranberry. Das spiegelt die Vielfalt wider, mit der wir uns täglich beschäftigen müssen.“ Doch auch gesellschaftliche Veränderungen haben Einfluss auf das Sortiment, weil sich die Anlässe für die große Kaffeetafel verschieben. Die große sonntägliche Kaffeerunde mit üppigen Torten im Kreise der Familie oder Freunden, die Udo Jürgens 1976 in seinem bissigen Ohrwurm „Aber bitte mit Sahne!“ inbrünstig besang oder die opulent zelebrierten großen Familienfeiern sind weniger geworden. „Die Idee bei der Geschäftsgründung war davon getrieben, mit Sahnetorten festliche Anlässe zu bedienen“, erzählt der Geschäftsführer. „Wir hatten damals auch noch eine ganz andere Familien- und Gesellschaftsstruktur. Heute haben wir 75 Prozent Ein- und Zwei-Personen-Haushalte – um diesen auch ein gutes Angebot zu bieten, mussten wir das Sortiment erweitern“, sagt Dorothee ReieringBöggemann. 2001 wurde beispielsweise mit der Produktreihe „Cafeteria fein & sahnig“ mit Minigebäck und geschnittenen Blechkuchen darauf reagiert. Zehn Jahre später kamen die ersten Conditor-Desserts „Kleiner Augenblick“ auf den Markt. Und mit dem „Café Landhaus“ vorwiegend mit Fruchtvarianten wurde die Sehnsucht der Städter nach ländlicher Idylle bedient. „Die Entwicklung geht in Richtung kleinere Produkte und alltäglichere Anlässe“, sagt Peter Schmidt. „Das verfolgen wir sehr konsequent weiter in unserer strategischen Ausrichtung.“ Früher habe man zu den Feiertagen „richtige Absatz-Peaks“ gehabt, dann aber auch Zeiten, „in denen der Absatz auch ein bisschen geringer war“, berichtet die Marketingleiterin: „Durch das heutige breite Portfolio haben wir nun einen sehr gut geglätteten Absatz über das gesamte Jahr.“ So sei man „in Summe“ so durch die Zeit der Corona-Kontaktbeschränkungen durchgegangen „wie ursprünglich in der Geschäftsplanung vorgesehen“, sagt Schmidt. Wenngleich es die großen Festtagstorten für Anlässe wie Ostern oder Konfirmationen in dieser Zeit „schwer“ gehabt hätten. Doch „die kleineren und vorportionierten Produkte, aber auch unsere Brötchen“ hätten davon profitiert, dass viele Menschen vermehrt zu Hause waren und „die Familie wieder häufiger zum gemeinsamen Frühstück zusammengekommen ist.“ Heute:IndieserkulinarischenHochstapelei einesFault LineCakesteckenmehrere Tiefkühl-Apfelkuchen. Foto: kuchenkult.de


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

Der Trainer und Therapeut in der Hosentasche Interesse an Gesundheits-Apps steigt / Start-up Herodikos hat 2019 die „Digital Innovation Challenge“ in Osnabrück gewonnen VON NINA KALLMEIER Wer sich dieser Tage im Lockdown bewegen will, muss die Sache selbst in die Hand nehmen: Fitnessstudios sind geschlossen, Turnhallen, Tennisplätze & Co ebenfalls. Bleibt das Joggen – oder eines der vielen digitalen Angebote, die in Zeiten der Pandemie boomen. Laut „E-Health-Monitor 2020“ der Unternehmensberatung McKinsey lag die Zahl der Downloads von Fitness-Apps im ersten Halbjahr bei mehr als 3,3 Millionen – im ersten Quartal sind die Zahlen demnach doppelt so hoch gewesen wie im Jahr zuvor. Insbesondere für den Boom verantwortlich sind digitale Angebote der Krankenkassen. Auf sie entfallen im ersten und zweiten Quartal 2020 mehr als die Hälfte aller Downloads. Von dem Trend profitiert auch das Vareler Start-up „Herodikos“, das 2019 die niedersächsische „Digital Innovation Challenge“ der Start-up-Konferenz „Innovate“ in Osnabrück für sich entscheiden konnte. „Neben dem Training an den Geräten im Fitnessstudio können auch Reha-Sportgruppen nicht stattfinden“, sagt Eva Schobert, Ärztin und Gründungsmitglied von Herodikos. Zusammen mit einem mittlerweile fünfköpfigen Team hat sie eine App entwickelt, die Patienten mit orthopädischen Beschwerden individuelle Trainingsanleitungen zur Verfügung stellt. Anders als andere Fitness-Apps kann Herodikos somit nicht jeder nutzen. „Die App ist zwar im AppStore verfügbar, kann aber nur mit einem Code genutzt werden, den man von seinem behandelnden Arzt oder Physiotherapeuten bekommt, nachdem dieser den individuellen Therapieplan konfiguriert hat.“, erklärt Eva Schobert. Eine Reha-Klinik, 50 Arztpraxen und Physiotherapeuten und damit rund 1000 Patienten arbeiten mittlerweile mit der Anfang 2019 auf den Markt gekommenen App. Auch im betrieblichen Gesundheitsmanagement wird sie eingesetzt, unter anderem beim Grafschafter Glashersteller Semcoglas. Entstanden ist die Idee in den USA. Dort hat Eva Schobert auf Basis von Bewegungsanalysen Therapiepläne für Athleten entwickelt. Zur Umsetzung kam es dann aber erst, als sie wieder in Deutschland war. „Bewegungstherapie kommt im Gesundheitswesen bei normalen Patienten kaum zum Einsatz. Dabei kann sie viel bewirken – nicht nur bei akuten Schmerzen, sondern auch bei Depressionen oder Krebs“, sagt die Ärztin mit Blick auf Studien. Dem wollte sie Abhilfe schaffen. Zusammen mit den Co-Gründern Lasse Schulte-Güstenberg und Jan Penning hat Schobert für das junge Start-up ab April 2019 im Go!-Startup-Zentrum in Oldenburg eine Heimat gefunden. „Da waren wir noch grün hinter den Ohren“, blickt sie OSNABRÜCK/VAREL

In derAppdesStart-upsHerodikoskanneinArzt oderPhysiotherapeut einenindividuellenTrainingsplaneinrichten.MittenächstenJahres soll es dieApp auchaufRezept geben.

zurück. „Bis August 2019 waren wir da, das war eine spannende Zeit. Und wir haben dort auch ein neues Teammitglied kennengelernt.“ Das Ziel von Herodikos ist und bleibt, das Analoge mit dem Digitalen zu verbinden, Arzt und Therapeuten zu unterstützen. Diese navigieren durch einzelne App-Module, testen und hinterlegen dort Daten zu Verhärtungen, Verkürzungen oder muskulären Dysbalancen der Patienten. Die App bewertet die Ergebnisse mithilfe künstlicher Intelligenz und stellt aus derzeit rund 250 Übungen in der Bibliothek einen individuellen Trainingsvorschlag zusammen. Damit der Patient diesen für das Training zu Hause abrufen kann, bekommt er einen Code, den er in die App eingibt. „So sieht der Patient auch nur Informationen, die für ihn wichtig sind“, sagt Eva Schobert sowohl mit Blick auf den Datenschutz als auch auf die Informationsflut, mit der Nutzer in Fitness-Apps überfrachtet würden. Video- und Audio-Anleitungen sollen dazu beitragen, Fehler in der Ausführung der Übungen zu vermeiden. Die Entwicklung der App übernimmt das Start-up selbst. „Darüber sind wir auch froh, so können wir Feedback von Ärzten und Patienten direkt berücksichtigen.“ Es seien nicht immer große Veränderungen, die gewünscht wür-

MithilfeeinerVideo-undAudio-Anleitungkönnendie Patientenzu Hausetrainieren.

den, sagt Eva Schobert. „Eine Rückmeldung, die wir oft bekommen haben, war zum Beispiel zur Stimme beim Audio der Entspannungsübungen.“ Hier habe doch jeder ein sehr individuelles Empfinden, was als angenehm gesehen werde und was nicht. „Mittlerweile haben wir mehrere Varianten.“ Die App des Start-ups ist mittlerweile als Medizinprodukt zertifiziert – zumindest für die Bereiche

„Wir wollen eine App, die langfristig einen Nutzen bringt.“ Eva Schobert, Gründungsmitglied Herodikos

Knie und Rücken. Mitte des kommenden Jahres soll eine zweite Zertifizierung hinzukommen: als sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs). Apps, die im DiGA-Verzeichnis aufgenommen sind, können von Ärzten auf Rezept verschrieben werden – und das bedeutet, die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Im Oktober ist das Verzeichnis an den Start gegangen, laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist Deutschland das erste Land, in dem es Apps auf Rezept gibt. Von der aktuell bestehenden Zusammenarbeit mit Ärzten erhofft sich Herodikos, bekannt genug zu sein, dass Ärzte die App der Vareler später auch verschreiben. Mit der Techniker-Krankenkasse hat das Unternehmen bereits einen Vertrag geschlossen. Warum es Herodikos nicht als Fitness-App für alle gibt? „Wir haben viel darüber nachgedacht. Letztlich wollen wir jedoch eine App entwickeln, die langfristig einen Nutzen bringt“, sagt Eva Schobert. Das sei bei der Vielzahl an Fitness-Apps auf dem Markt oft nicht der Fall. „Die Leute laden sie sich runter, testen einmal und nutzen sie oft nicht weiter. Die Anbindung an den Arzt sorgt an dieser Stelle für die Nachhaltigkeit der Behandlung.“ Für diesen Ansatz, Ärzte und Therapeuten einzubinden, habe das Unternehmen viel Gegenwind bekommen, blickt Eva Schobert zurück. „Der Gewinn des Awards auf der Innovate kam genau zur richtigen Zeit. Er hat uns motiviert und in unserer Strategie bestärkt.“ Und das Preisgeld habe ebenfalls geholfen. Man müsse jeden Cent zweimal umdrehen, sagt die Unternehmerin. Finanziell rechnet sich die App bislang nicht, doch das Team verspricht sich einiges für die Zukunft. „Wer eine Gesundheits-App entwickelt, muss in Vorleistung gehen.“ Und so eine Entwicklung sei nie abgeschlossen. Sensoren sollen künftig zeigen, ob der Patient die Übungen richtig ausführt oder nicht. Hier arbeitet das Unternehmen unter anderem mit der Hochschule Osnabrück zusammen.

Fotos: Herodikos

ZUR SACHE

Gesundheits-App auf Rezept?

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b zur Behandlung von Migräne, Schlafstörungen oder Tinnitus: Seit Oktober können sich Versicherte Gesundheits-Apps für das Tablet oder Smartphone auf Rezept verschreiben lassen. Laut einer Umfrage, die der Digitalverband Bitkom zusammen mit dem Ärzteverband Hartmannbund im November 2020 durchgeführt hat, stößt diese Möglichkeit bei den Ärzten in Deutschland auf großes Interesse. Demnach sagt jeder vierte Arzt, digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) verordnen zu wollen. Allerdings haben das erst 2 Prozent der Mediziner bereits getan. Laut Umfrageergebnis hält ein Großteil der Ärzte, die bereits eine Gesundheits-App verschrieben haben oder dies tun werden, diese für eine sinnvolle Ergänzung zum medizinischen Standardangebot (68 Prozent). 29 Prozent sind der Meinung, dass digitale GesundheitsApps in bestimmten Fällen sogar konventionelle Therapien ersetzen werden. Ebenfalls fast drei von zehn Ärzten (29 Prozent) for-

Foto: imagoimages/photothek

dern, das Angebot an GesundheitsApps schnell auszubauen. Dabei sind jüngere Ärzte zwischen 25 und 44 Jahren aufgeschlossener als ihre Kollegen ab 45 Jahren. Auch der Digitalverband sieht in Gesundheits-Apps auf Rezept eine Ergänzung des medizinischen Angebots, das die Digitalisierung des Gesundheitssystems einen großen Schritt voranbringt. „Bislang sind erst sechs digitale Gesundheitsanwendungen zugelassen – die Prüfung weiterer Angebote muss jetzt schnell fortgeführt und abgeschlossen werden“, wird Bitkom-Präsident Achim Berg in einer Mitteilung zitiert. Insgesamt gibt es unter den Ärzten in Deutschland noch

einen großen Informationsbedarf, was Nutzen und Indikation der Gesundheits-Apps betrifft. Jeder zehnte Mediziner (10 Prozent) weiß laut Umfrage nicht, was eine digitale Gesundheitsanwendung überhaupt ist. „Wir müssen die Ärzte noch besser über die Möglichkeiten digitaler Gesundheitsanwendungen informieren“, sagt Klaus Reinhardt, Bundesvorsitzender des Hartmannbundes. 28 Prozent der Ärzte wollen auch künftig ihren Patienten keine Gesundheits-App verschreiben. Die Mehrheit aus dieser Gruppe (57 Prozent) führt Datenschutzbedenken als Grund an, weitere 41 Prozent mangelndes Vertrauen in die Technologie (41 Prozent).


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

Lehre im Ausland: „Wer kriegt schon diese Möglichkeit?“ Junge Auszubildende beim Wallenhorster Anlagenbauer Purplan sollen künftig auch in den USA ihr Handwerk erlernen VON MARCUS ALWES WALLENHORST Wer Anlagenmechaniker oder -elektroniker werden will, der stellt sich in der Regel auf eine Ausbildung in heimischen Gefilden ein. Dass ein Teil der Lehrzeit jedoch im Ausland – beispielsweise in den USA – verbracht werden kann, ist dagegen wohl eher die Ausnahme. Doch das Unternehmen Purplan hat inzwischen begonnen, das zu ändern. Geschäftsführer Andreas Sandmann hatte die Idee. Beim Anlagenbauer aus Wallenhorst soll die mehrwöchige Ausbildungsreise, in deren Genuss Michel Strößner und Sven Janßen zuletzt kamen, somit zur Regel werden. „Die Sprache, die Leute, die Art zu arbeiten – das war anders. Jeder macht da alles“, erinnert sich der 19-jährige Janßen an die ersten Tage in der Niederlassung in Charlotte im Bundesstaat North Carolina. Zusammen mit dem 18-jährigen Strößner kümmerte sich der Auszubildende in den USA um die Montage größerer Behälter, die zuvor am Firmenhauptsitz in Wallenhorst vorgefertigt, lackiert und verpackt worden waren. „Wer kriegt schon diese Möglichkeit“, fragt Strößner. Ihm ist der Stolz anzumerken, bei Purplan zum Premieren-Duo gehört zu haben, das bereits während der Lehre im Ausland im Einsatz war – und dort ausgebildet wurde. Es galt dabei auch, sich mit mancher Besonderheit zu arrangieren. „Wenn es hier in Deutschland bei der Fertigung auf den Millimeter ankommt, dann stellst du auf einmal fest, dass es dort in Charlotte den Millimeter gar nicht als Maßeinheit gibt. Was machst du dann in diesem Moment?“, will Strößner wissen. Es galt also, in Inch zu rechnen. Doch die kleinen und großen Hürden, die sich vor den Auszubildenden auftaten, haben die beiden gemeistert. Hanna Schlarmann –

MichelStrößner(l.)undSvenJanßen–hieran einemKessel–bildetendasPremieren-Duo,daseinigeWochenseinerAusbildung in Charlotte/USAverbringen durfte.

sie ist Prokuristin und Personalleiterin bei Purplan – hatte genau darauf gehofft. „Es macht die jungen Leute stark. Es ist eine Chance für sie, eine wichtige Auslandserfahrung zu machen“, sagt Schlarmann. Das Unternehmen biete den Azubis zudem „eine interessante, attraktive Perspektive“, so die Prokuristin. Das sorge für Bindung. Allerdings auch Purplan selbst – 30 Mio. Euro Jahresumsatz; rund

Hauptsitz des Anlagenbauers Purplan ist Wallenhorst. Weitere Niederlassungen gibt es aber auchindenVereinigtenStaaten sowiein China. Foto: MarcusAlwes

200 Beschäftigte in Deutschland, China und den USA – hat Interessen. „Wir können so dauerhaft gute Nachwuchskräfte für unsere Projekte und Baustellen in den USA aufbauen“, erläutert Schlarmann. Wachse der Markt für den Anlagenbauer in Amerika weiter, sei entsprechender Bedarf an Fachkräften auch gegeben. Die Personalleiterin geht davon aus, dass möglicherweise schon im Frühjahr oder Frühsommer 2021 die nächsten Auszubildenden aus Wallenhorst Erfahrung im US-Werk sammeln könnten. Wer dann die Nachfolger von Janßen und Strößner sein werden? Alter und Kenntnisstand seien entscheidend, sagt Hanna Schlarmann über die Auswahl. Auch seien Absprachen mit der Berufsschule notwendig. Die Lehrer dort müssten einverstanden sein, wenn der Azubi einige Zeit im Unterricht fehle oder den Lernstoff nur online verfolge. Gezwungen werde übrigens niemand, fügt Schlarmann hinzu. Einen Teil der Lehre im Ausland zu absolvieren sei absolut freiwillig und kein Muss bei der Einstellung „Wir schauen in Gesprächen, ob die Azubis das wollen“, so die Prokuris-

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tin. Gegebenenfalls solle es dann möglich gemacht werden. Überregional haben zuletzt übrigens die Europäische Union mit „Erasmus+“ und das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit „Ausbildung-Weltweit“ Programme für praxisorientierte Auslandsaufenthalte während der Berufsausbildung angeboten. Auf der Internetseite des Ministeriums heißt es dazu unter anderem, Ausbildungsbetriebe, Kammern und andere Einrichtungen der Berufsausbildung könnten Zuschüsse für ihre Auszubildenden und für betriebliches Ausbildungspersonal beantragen. Und weiter: „Seit 2020 können auch berufliche Schulen Förderanträge stellen und Aufenthalte von Personen in schulischer Berufsausbildung bezuschusst werden. Berücksichtigt werden dabei alle Zielländer, die nicht durch das europäische Förderprogramm ,Erasmus+‘ abgedeckt werden.“ Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) verweist unterdessen auf seine Mobilitätsberatung im Rahmen des Bundesprogramms „Berufsbildung ohne Grenzen“. Betrieben soll auf diesem Weg „Unterstützung bei der Or-

Foto:JörnMartens

ganisation und Umsetzung von Auslandspraktika in der Berufsbildung“ gewährt werden. Ansprechpartner seien die lokalen Industrieund Handelskammern vor Ort, teilt der DIHK mit.

„Es macht die jungen Leute stark.“ Hanna Schlarmann, Prokuristin Purplan GmbH

Silvia Masuch als Teamleiterin der Ausbildungsberatung bei der Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim stehe im Fall der Fälle bei Anfragen von Firmen Gewehr bei Fuß, betont sie. Denn die IHK freue sich, wenn „die Unternehmen davon profitieren, dass ihre späteren Mitarbeiter bereits während ihrer Ausbildung auch solche Erfahrungen sammeln“, stellt Masuch fest. Was für Industrie und Handel gilt, trifft aber offenbar (noch) nicht auf das Handwerk zu. Der Pressesprecher der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim, Andreas Lehr, äußert sich zurückhaltender. „In den regionalen Handwerksbetrieben gibt es unseres Wissens nach solche Aktivitäten nicht“, sagt er mit Blick auf Ausbildungsphasen im Ausland. Sicherlich möge es Ausnahmen – wie Purplan – geben, aber diese seien „doch sehr vereinzelt“, stellt Lehr fest. Er erwarte angesichts der derzeitigen Lage in absehbarer Zeit auch keine solchen Angebote in den Handwerksunternehmen, sagt der Pressesprecher mit Blick auf die schwere Corona-Pandemie. In Wallenhorst geht Prokuristin Hanna Schlarmann unterdessen davon aus, dass das Purplan-Beispiel möglicherweise Schule macht. Die Konkurrenz in der Branche schaue schließlich genau hin, wer seinen Auszubildenden was bietet, vermutet sie. „Unser Vorteil ist aber die Niederlassung in den Staaten“, sagt Schlarmann. Andere Anlagenbauer könnten das nicht unbedingt bieten. Bei den Jugendlichen wirbt Purplan nicht nur mittels seiner Internetseite oder mit Info-Ständen auf Ausbildungsmessen um Bewerberinnen und Bewerber. Vor allem Social-Media-Kanäle dienen zur Kontaktanbahnung. Auf Facebook oder bei Instagram werden zum Beispiel Videos oder Bilder von der USADienstreise von Michel Strößner und Sven Janßen eingestellt. Im Ausland den Beruf zu erlernen – das sorgt für „Klicks“ und Aufmerksamkeit. Vier bis sechs Wochen soll ein Aufenthalt der Purplan-Azubis übrigens demnächst in den Vereinigten Staaten dauern. Strößner und Janßen haben jedoch – mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln im Gesicht – eine Gefahr in den USA ausgemacht, die im wahrsten Sinne des Wortes schwer wiegt. „Zu viel Fastfood“, stellt Janßen beim Blick auf die Ernährung fest. „Vier Kilo in drei Wochen zugenommen“, fügt Strößner trocken hinzu. Doch am Ende dürfte die Auslandserfahrung in jungen Jahren diesen Preis wert gewesen sein.

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Wo bleibt der Gründer-Spirit? Doreen Hessels aus Uelsen träumte schon immer von der Selbstständigkeit / Gründerzentren in der Region erfahren großen Zuspruch VON SEBASTIAN HAMEL Der deutschen Unternehmenslandschaft geht es so wie der Bevölkerung: Sie altert. Folglich werden tendenziell weniger neue Firmen gegründet, die bestehenden werden älter und sind größer. Dies erklärte jüngst Volker Ulbricht, Hauptgeschäftsführer im Verband der Vereine Creditreform. Grund genug also, sich einmal in der hiesigen Gründerszene umzuschauen und mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die kürzlich den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben. Eine von ihnen ist Doreen Hessels aus Uelsen in der Grafschaft Bentheim. Zum 1. März 2020 setzte sie einen lange gehegten Plan in die Tat um und ging mit ihrem eigenen Bauunternehmen an den Start – im Alter von 22 Jahren. Mit an Bord: ihr Vater Gerhard, der als Maurer bereits über jahrzehntelange Berufserfahrung verfügt. „Irgendwas wurde bei uns immer gebaut“, sagt Doreen Hessels, die mit dem Handwerk groß geworden ist und schon als Kind zusammen mit ihrer Mutter den Vater auf umliegenden Baustellen besuchte. Ihr Studium des Baumanagements an der HAWK Holzminden brachte die junge Ingenieurin in rekordverdächtiger Zeit hinter sich – und konnte sich anschließend sogar über ein Gründerstipendium der NBank freuen. Ihr Abitur legte die Geschäftsführerin im Jahr 2016 ab. Der zwischenzeitliche Wunsch, Tierärztin oder Osteopathin für Tiere zu werden, wurde alsbald wieder verworfen. Und spätestens nach einem Praktikum auf dem Bau bei einem großen Unternehmen, wo sie auch während der Semesterferien arbeitete, war für sie klar, in welche Richtung sich ihr beruflicher Werdegang bewegen sollte. Vor der Gründung war die Uelserin natürlich gespannt, ob die Menschen einer so jungen Baufirma ihr Vertrauen schenken würden. Doch der Erfolg stellte sich schnell ein, wie sie nun rückblickend berichtet. Ihr sei zwar bewusst gewesen, dass die Baubranche boome, doch dieses Ausmaß habe sie doch überrascht. In-

UELSEN

zwischen betreut der Betrieb zwölf komplette Projekte, der Einzug der ersten Kunden ins neue Heim steht kurz bevor. Zum Portfolio zählen Einfamilienhäuser ebenso wie landwirtschaftliche Gebäude oder Gewerbebauten. Neben Doreen und Gerhard Hessels zählen fünf weitere Handwerker zur Belegschaft – und sogar ein erster Maurer-Azubi ist seit Sommer dabei. Den Ausbilderschein machte die Firmengründerin schon während ihres Studiums. In den vergangenen Monaten mussten sie und ihr Vater feststellen, dass die Floskel „selbstständig bedeutet selbst und ständig“ nicht von ungefähr kommt: „Wenn jemand nicht mehr als acht Stunden am Tag arbeiten möchte, sollte er das nicht machen“, sagt Gerhard Hessels. Nicht selten wird auch nach Feierabend der Computer noch einmal gestartet. Neben der eigentlichen Arbeit müssen auch etliche bürokratische Herausforderungen gemeistert werden, vielfach ist zudem Spontaneität gefragt. „Der Preis ist hoch“, sagt die mittlerweile 23-jährige Doreen Hessels. „Aber dafür habe ich genau das bekommen, was ich wollte.“ Die Rohbauten fertigt die Firma Hessels aus eigener Hand, die übrigen Arbeiten werden an weitere Unternehmen vergeben. Bei der Planung besteht eine enge Zusam-

„Der Preis ist hoch – aber dafür habe ich genau das bekommen, was ich wollte.“ Doreen Hessels, Bauunternehmerin

Stolz aufihreigenesUnternehmen:Doreen Hessels,die inUelseneineeigeneBaufirmaaufgemacht hat.Neben ihrVaterGerhard Hessels,der sieunterstützt.

menarbeit mit einer Architektin. Und die Entwicklung schreitet voran: Seit November besitzt die Firma auch eine eigene Lagerhalle. Was der Bauunternehmerin am meisten Freude bereitet? „Es ist immer ein Highlight, wenn die Häuser Form annehmen“, sagt sie. Bei aller Anstrengung gab es natürlich auch schon Situationen zum Schmunzeln – als etwa Kunden den Entwurf ihres Traumhauses vorlegten, den sie mit dem Computerspiel „Die Sims“ angefertigt hatten. Dies sei aber immer noch deutlich besser, als wenn gar keine Vorstellung bestehe. Wie aber reagierte das Umfeld darauf, dass Doreen Hessels sich so früh selbstständig machte? „Wenn es nach meinen Eltern gegangen wäre, hätte ich eine Ausbildung bei der Bank gemacht“, sagt sie augenzwinkernd. Ihr Vater Gerhard lenkt an dieser Stelle ein und bekräftigt, man habe immer hinter den Plänen der Tochter gestanden. Beide unterstreichen: „Wir ergän-

zen uns sehr gut und kommen prima miteinander klar.“ Und vielleicht finde man gerade dadurch, dass die eine 23 Jahre alt ist und der andere 52, den richtigen Mittelweg. Ein Blick auf die Gründungszahlen zeigt: Laut IHK wurden im Jahr 2019 in der Region Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim 7178 Gewerbe angemeldet. Während über die vergangenen zehn Jahre hinweg insgesamt ein Abwärtstrend zu verzeichnen ist, bedeutet die Zahl von 2019 eine Steigerung um 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (6809). In der Grafschaft liegt der Wert sogar bei 14 Prozent, gefolgt vom Landkreis Osnabrück mit 6,7 Prozent, der Stadt Osnabrück mit 3 Prozent und dem Landkreis Emsland mit 2,2 Prozent. Für 2020 wird angesichts Corona allerdings ein Rückgang erwartet: In der ersten Hälfte dieses Jahres lag die Zahl der Anmeldungen bei 3401. Der aktuelle Gründerreport des Deutschen Industrie- und Han-

delskammertags konstatiert: „Mitte August gaben mehr als die Hälfte der IHKs an, dass sie für das Jahr 2020 weniger oder sogar deutlich weniger Unternehmensgründungen in ihren Regionen erwarten. Nur acht Prozent rechnen mit mehr neuen Firmen.“ Demnach zählen zu den Hauptgründen für diese Entwicklung neben der Corona-Krise auch bürokratische Hemmnisse. Nach Angaben der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim hat sich bei Gründungen und Unternehmensschließungen in den vergangenen Jahrzehnten innerhalb der Berufsfelder viel getan: Die Gesamtzahl der registrierten Betriebe ist von 7879 im Jahr 1984 auf aktuell rund 11 000 gestiegen. Gab es damals allerdings noch 225 Schuhmacher, sind es heute nur noch 24, die Zahl der Bäcker sank von 445 auf 117 und die der Fleischer von 355 auf 97. Demgegenüber waren damals nur 21 Gebäudereiniger verzeichnet, heute

Foto: SebastianHamel

sind es 323, die Zahl der Fotografen stieg von 38 auf 371, und aus damals 84 Schönheitspflegern wurden 668 Kosmetiker. Fragt man Heike Dorenz, Geschäftsführerin des Grafschafter Technologiezentrums (GTZ) in Nordhorn, das als Teil des TOPstartNetzwerks in der Grafschaft innovative Existenzgründungen und junge Unternehmen fördert, so hatte sie auch im Corona-Jahr 2020 alle Hände voll zu tun und konnte nichts von einem rückläufigen Gründungswillen spüren. Auch das Osnabrücker Start-upZentrum „Seedhouse“ vermeldet großes Interesse. Anfang November lagen laut Florian Stöhr, Geschäftsführer der Seedhouse-Beteiligungs GmbH, bereits 53 Bewerbungen für den 1. Januar 2021 vor. Es scheint sie also noch zu geben: junge Leute wie Doreen Hessels, die mit Mut und Engagement der Alterung der deutschen Unternehmenslandschaft entgegenwirken.

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DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

LEBEN & LEIDENSCHAFT

Wie ein KME-Azubi der beste in Deutschland wurde Johannes Groll ist jetzt Verfahrensmechaniker in der Hütten- und Halbzeugindustrie und fühlt sich wohl in Osnabrück VON ANDRÉ POTTEBAUM Als Maschinenbaustudent war Johannes Groll einst gestartet. Doch wirklich wohl fühlte er sich nicht. Beim Osnabrücker Kupferverarbeiter KME machte er anschließend seine Ausbildung – als Bester in ganz Deutschland. Verfahrensmechaniker in der Hütten- und Halbzeugindustrie – genauso darf sich Johannes Groll seit Juni dieses Jahres nennen. Mit der Note „sehr gut“ schloss der 25Jährige seine Ausbildung Mitte des Jahres ab. „Es ist einfach eine schöne Anerkennung und zeigt auch, wie viel man in der Ausbildung gelernt hat“, sagt Groll fast schon ein wenig bescheiden. Ursprünglich hatte der Rheiner geplant, weniger an der Werkbank zu stehen, um zu lernen, als vielmehr im Hörsaal zu sitzen. Angefangen hatte Groll vor einigen Jahren als Maschinenbaustudent. Zum Studium war er deswegen nach Osnabrück gezogen. Doch wirklich zufrieden war er mit dieser Art Ausbildung nicht. „Mir hat die Praxis gefehlt, das Theoretische war nicht so meins“, sagt er. Aus der Hasestadt wieder wegzuziehen kam für ihn jedoch nicht mehr infrage. Da Groll für sein Studium bereits ein Praktikum absolviert hatte, entschloss er sich für eine Ausbildung in der Industrie, die ihn zu einem der größten Kupferverarbeiter der Welt führte. OSNABRÜCK

Während der dreijährigen Ausbildung bei KME war der junge Mann vor allem an einer der Walzanlagen im Einsatz. Kupferrollen auf das Maß bringen, das benötigt wird – so beschreibt er selbst die Tätigkeit, die er dort ausübte. Bei der Prüfung musste Groll neben einem theoretischen Teil auch zeigen, wie gut er mit der Walzanlage umgehen kann. Am Ende stand das Ergebnis „sehr gut“. „Man muss alles ein wenig können: Werkstofftechnik, Schweißen, Instandhaltung und Elektrotechnik“, sagt der junge Mann über seinen Aufgabenbereich. Lars Schönball, Ausbildungsleiter bei KME, freut sich vor allem über das gute Ergebnis seines Schützlings. „Das ist natürlich eine schöne Sache – auch für uns als Unternehmen, aber auch im Unternehmen selbst“, erklärt er. Zum einen, weil bei KME viele Jahre kein Verfahrensmechaniker in der Hütten- und Halbzeugindustrie ausgebildet worden sei. Ein sehr spezieller Beruf, wie Schönball zugibt. „Für uns ist das aber genau der richtige Beruf. Er entspricht den Anforderungen, die wir haben“, sagt er. Zum anderen würde es auch den einzelnen Betrieben und den Kollegen zeigen, wie gut die Ausbildung beim Kupferverarbeiter sei, so Schönball. Die Ausbildungszeit beträgt je nach fachlicher Ausrichtung in der Regel rund dreieinhalb Jahre. Zurzeit, so der Ausbildungs-

PfiffigerjungerMann:JohannesGroll.Er bestand beiKME inOsnabrückseineAusbildungmit Bravour.

leiter, hat das Unternehmen rund 130 Azubis. 18 Monate davon lernen die angehenden Facharbeiter, die meist zwischen 15 und 35 Jahre alt sind, in der Ausbildungswerkstatt, den Rest der Zeit verbringen sie in den Betrieben. Seit Juli arbeitet Johannes Groll nun an einer riesigen Verzinnungsanlage, gemeinsam mit zwei weiteren Verfahrensmechanikern, die im

Juni fertig geworden sind. Dort werden vorbereitete Kupferrollen verzinnt, um sie später besser verarbeiten zu können. Die Mechaniker überwachen und steuern dabei die automatische Anlage. Am Ende findet sich das bearbeitete Metall – das verzinnt wird, um es vor Korrosion zu schützen und es weicher zu machen – in Automobilen oder in der Elektroindustrie wieder.

Foto: Jörn Martens

Dass Groll als Bundesbester abschneiden würde, sei ihm erst zum Ende seiner Ausbildung bewusst geworden. Ansporn sei die mögliche Auszeichnung nur bedingt gewesen. Eher habe sich ein Wettstreit mit einem seiner Azubi-Kollegen entwickelt. „Ich wollte dann einfach besser sein als er“, so Groll. Daran konnte im Endeffekt auch die Corona-Pandemie nur wenig

ändern. Zu spüren bekommen habe er die Auswirkungen nur in der Berufsschule. Zum Schluss habe er von zu Hause lernen und sich vorbereiten müssen. Auch wurde die theoretische Prüfung um eine Woche verschoben. Doch das sei nicht wirklich schlimm gewesen. Verewigt wurde er nun auch auf dem „Azubi-Walk of Fame“ vor der Geschäftsstelle der Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim. Dort erhalten die bundesbesten Azubis einen personalisierten Stern für ihre Leistung. „Der Start in das Berufsleben mit einer Berufsausbildung hat bei Ihnen perfekt begonnen. Sie können sehr stolz auf die Auszeichnung als Bundesbester sein“, lobte IHK-Präsident Uwe Goebel den Prüfungsbesten. „Dieser Stern soll auch andere junge Menschen motivieren, den Schritt in eine „Karriere mit Lehre“ zu wagen. Mit einer Ausbildung ergeben sich beste berufliche Perspektiven“, so Goebel. Die Auszeichnung und der Abschluss als deutschlandweit bester Azubi unter rund 80 weiteren Auszubildenden soll jedoch noch nicht zwangsläufig alles gewesen sein. „Ich bin hier ziemlich zufrieden. Aber mal schauen, was die Zeit bringt“, sagt Groll, „vielleicht mache ich irgendwann noch mal den Techniker.“ Doch auch dafür müsste er wohl ein wenig unliebsame Theorie büffeln.

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DONNERSTAG, 17. DEZEMBER 2020

LEBEN & LEIDENSCHAFT

TERMINE

28.01.2021 | 13.00 UHR Selbstführung (Chef-Seminar im Kreishaus Osnabrück)

DER WIRTSCHAFT

WIGOS OSNABRÜCKER LAND MBH, AM SCHÖLERBERG 1 (MIT ANMELDUNG)

07.01.2021 | 17.00 UHR

10.02.2021 | 19.00 UHR

Einstieg in die Existenzgründung (Online-Seminar)

Henning Allmers: Mücken lieben Wärme (Online-Vortrag)

GRÜNDERHAUS OSNABRÜCK/OSNABRÜCKER LAND (MIT ANMELDUNG)

11.01.2021 | 17.00 UHR

In Bissendorf entsteht vis-à-vis der Autobahn A30 der neue „ithub“, ein Bürokomplex für IT- und Technologieunternehmen in der Region. Zur Grundsteinlegung begrüßte die THO Immobilien GmbH gemeinsam mit dem

Marketing 1 – Markterkundung (Seminar in Osnabrück) GRÜNDERHAUS, ICO OSNABRÜCK, ALBERT-EINSTEIN-STR. 1 (ANMELDUNG)

12.01.2021 | 17.00 UHR Businessplan (GründerhausSeminar in Osnabrück) IHK OSNABRÜCK-EMSLAND-GRAFSCHAFT BENTHEIM, NEUER GRABEN 38

UNIVERSITÄT OS, LIVESTREAM: WWW.UOS.DE/LIVE/KLIMAWANDEL

mittelständischenBauunternehmenMBNVertreter aus PolitikundWirtschaft.

11.02.2021 | 14.00 UHR

Foto:Jan Neumann

DIE GESICHTER DER WIRTSCHAFT

Chef ärgere Dich nicht (Zoom-Online-Webinar) Im ehemaligen Elektroniklabor im Werk Diepholz produziert der Technologiekonzern ZF jetzt Atemschutzmasken. Wöchentlichverlassenrund500 000MaskendasWerk. Foto:ZF

18.02.2021 | 14.00 UHR Stressfrei im Rampenlicht (Kompakt-Seminar in Osnabrück) WIGOS, KREISHAUS OSNABRÜCK, AM SCHÖLERBERG 1 (MIT ANMELDUNG)

13.01.2021 | 19.00 UHR

24.02.2021 | 19.00 UHR

Marco Beeken: Stickoxide in der Umwelt (Online-Vortrag)

Klimabildungslandschaft der Region Osnabrück (Online-Vortrag)

UNIVERSITÄT OS, LIVESTREAM: WWW.UOS.DE/LIVE/KLIMAWANDEL

UNIVERSITÄT OS, LIVESTREAM: WWW.UOS.DE/LIVE/KLIMAWANDEL

14.01.2021 | 14.00 UHR

27.02.2021 | 10.00 UHR

XING aber richtig (Zoom-Online-Webinar mit Anmeldung) WIGOS OSNABRÜCKER LAND MBH, AM SCHÖLERBERG 1, OSNABRÜCK

18.01.2021 | 17.00 UHR

1. Jobmesse Münster/Osnabrück (auch am 28.02., ab 11 Uhr) Für Top-Ausbildung geehrt: Wolfgang Paus, Geschäftsführender Gesellschafter der Paus Maschinenfabrik in Emsbüren(4.v.l.),nahmdieUrkundevonIHK-HauptgeschäftsführerMarcoGraf(3.v.l.)imBeiseindesweiteren GeschäftsführendenGesellschaftersFranz-Josef Paus(links)undMitarbeitern entgegen. Foto:IHK

JudithWilliams,Jury-Mitglied bei „Die Höhle der Löwen“, besuchte den Küchenmöbelhersteller Häcker (Rödinghausen) und warbeeindruckt vonden Traumküchen. Foto:Häcker

5. Immobilienmesse Bielefeld (auch am 07.03., ab 10.30 Uhr)

ICO OSNABRÜCK, ALBERT-EINSTEINSTR. 1, OSNABRÜCK (MIT ANMELDUNG)

MESSEAGENTUR BARLAG, STADTHALLE BIELEFELD, WILLY-BRANDT-PLATZ 1

21.01.2021 | 14.00 UHR

13.04.2021 | 20.00 UHR

Dead by meeting – effektive Besprechungen (Kompakt-Seminar)

Biyon Kattilathu: Weil jeder Tag besondersist(Motivations-Vortrag)

WIGOS, KREISHAUS OSNABRÜCK, AM SCHÖLERBERG 1 (MIT ANMELDUNG)

Einstieg in die Existenzgründung (Gründerhaus-Seminar in Melle)

BARLAG JOBMESSEN, FLUGHAFEN FMO, GREVEN, AIRPORTALLEE 1

06.03.2021 | 10.30 UHR

Social Media – Marketing (Gründerhaus-Seminar in Osnabrück)

21.01.2021 | 17.00 UHR

WIGOS OSNABRÜCKER LAND MBH, AM SCHÖLERBERG 1 (MIT ANMELDUNG)

25 Jahre Nutzfahrzeugoptimierung im Logistikbereich: Die Hatcher GmbH mit Geschäftsführer Fritz Terjung (vorne) ist seit2017in Osnabrück-Sutthausenansässig. Foto:Hatcher

Als gemeinsames Projekt zum Einstieg in die Schifffahrt realisieren zurzeit die Lux-Werft (Niederkassel/Bonn) und Boge Rubber & Plastics (Damme) ein Kupplungssystem, das hier (von links) Freddy Vermaerke (Boge) sowieChristoferNöthen undHans-Peter Lux(beideLux-Werft)begutachten. Foto:Jung/Boge

NACHHOLTERMIN, OSNABRÜCKHALLE, SCHLOSSWALL 1–9

17.04.2021 | 10.00 UHR 16. Jobmesse Bielefeld (auch am 18.11., ab 11 Uhr)

LANDESTURNSCHULE MELLE – HAUS HANNOVER, MELLE (MIT ANMELDUNG)

MESSEAGENTUR BARLAG, STADTHALLE BIELEFELD, WILLY-BRANDT-PLATZ 1

27.01.2021 | 17.00 UHR

17.04.2021 | 10.00 UHR

Finanzplan (Gründerhaus-Seminar in Osnabrück, Anmeldung)

Osnabrücker Energiemesse (auch am 18.04., ab 10 Uhr)

HWK OSNABRÜCK-EMSLAND-GRAFSCHAFT BENTHEIM, BRAMSCHER STR.

DBU ZENTRUM FÜR UMWELTKOMMUNIKATION, AN DER BORNAU 2

27.01.2021 | 19.00 UHR

21.04.2021 | 10.00 UHR

Regenerative Energien in Osnabrück (Online-Vortrag) UNIVERSITÄT OS, LIVESTREAM: WWW.UOS.DE/LIVE/KLIMAWANDEL

GußmannVersicherungsmaklerausgezeichnet(v.l.):GeschäftsführerBodoGußmann und Ausbildungsleiterin Silvia Stammermann erhielten jetzt die Urkunde „Top Ausbildung“ausdenHändenvon IHK-HauptgeschäftsführerMarco Graf. Foto:IHK

DerNiedersächsischeAußenwirtschaftspreisehrtjährlichUnternehmen,diebesondere Erfolge im Export verzeichnen. 2020 freuen sich Frank Suelmann (l.) und Felix Knoll vomHarener SpezialmaschinenbauerBerkyüberdenPreis. Foto:TobiasBöckermann

Jobmedi Niedersachsen digital (täglich bis zum 26.04.) JF MESSEKONZEPT, BERUFSINFORMATIONSMESSE: WWW.JOBMEDI.DE

Wir wissen mehr über besseres Klima Zu jeder Jahreszeit für Sie da als „Wünsche-Erfülle er“! Frohe Weihnachten und viele kleine Glückssterne für das neue Jahrr! Oeseder Feld 9–15 49124 Georgsmarienhütte Telefon: 05401/8606-0 E-Mail: info@poetter-klima.de www.poetter-klima.de

Gesellschaft für Lüftungsund Klimatechnik mbH

Gesellschaft für Anlagen und Apparatebau mbH

Gesellschaft für Nano-Heiztechnologie mbH

Gesellschaft für Service ervice und Regelsysteme mbH

Planung und Installation von Lüftungs- und Klimaanlagen seit 1977

Arbeitstische, Windleitflächenlüfter, Klimakammern und Sonderbau

Hocheffizientes Heizsystem auf CNT-Basis

Über 3500 Wartungsverträge für Lüftungs- und Klimaanlagen


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