Die Wirtschaft Juli 2019

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SEITEN 20/21

MIT HELLMANN NACH CHINA

SEITE 9

DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

AUSGABE 03/19

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Radtourismus boomt Mehr als 6000 Kilometer Wege in der Region stehen Radlern für Tagesausflüge und längere Touren zur Verfügung. Wie nicht nur der Radtourist, sondern auch die Wirtschaft davon profitiert, lesen Sie auf den Seiten 4 und 5.

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In dieser Ausgabe:

STANDORTPORTRÄTS GEMEINDE EMSBÜREN UND SAMTGEMEINDE EMLICHHEIM

PAPENBURG

MACHER & MÄRKTE GMH Gruppe blickt nach Restrukturierung nach vorne. Seite 6

SPEZIAL

MEPPEN

REGION & CHINA Welche Chancen bietet der chinesische Markt für die Region?

BERSENBRÜCK NORDHORN

Seiten 12 und 13

Foto: GertWestdörp

OSNABRÜCK

GELD & GESCHÄFT Frauen investieren anders als Männer – aber wie? Seite 22

LEBEN & LEIDENSCHAFT Wie eine US-Serie eine Nordhorner Firma zum Erfolg führte. Seite 25

Fotos: Colourbox.de, imago images/blickwinkel

„Die Themen ändern sich nicht“ Andrea Henning ist die erste Frau an der Spitze der Niedersachsenmetall-Bezirksgruppe VON NINA KALLMEIER

OSNABRÜCK/LEMFÖRDE Dass sie die erste Frau an der Spitze der Niedersachsenmetall-Bezirksgruppe ist, darum macht Andrea Henning selbst wenig Aufsehen. „Nach sechs Jahren als Mitglied des Vorstandes bin ich nun als Vorsitzende gewählt worden. Die inhaltlichen Themen bleiben gleich“, sagt sie. Eine Veränderung sieht sie dann doch: „ Aber jetzt stehe ich als Person eher im Fokus der Wahrnehmung dieser Themen, die Repräsentations- und Kommunikationsaufgabe rückt etwas mehr in den Vordergrund. “ Es ist ein Ehrenamt, das Andrea Henning nun übernommen hat. Beruflich ist die 59-Jährige Leiterin

des Personalressorts am Multidivisionsstandort Lemförde der ZF Friedrichshafen AG, eines der größten Automobilzulieferer Deutschlands. Bei ZF hat sie bereits 2001 angefangen. Damals war sie in der Konzernzentrale für die oberen Führungskräfte zuständig. Weltweit hat die Fahrwerkssparte von ZF rund 16 000 Mitarbeiter. Rund um den Dümmer sind in fünf ZFStandorten rund 3400 Mitarbeiter beschäftigt. Das neue Ehrenamt zeichnet für Andrea Henning vor allem die Begegnungen und Perspektivenwechsel aus, die bereichern. Hinzu kommt für die neue Bezirksgruppen-Chefin: „Eine gute Vernetzung der Firmen untereinander und von Haupt- und Ehrenamt im Verband

Andrea Henning

Foto: JörnMartens

sowie auch mit Blick auf den Sozialpartner IG Metall ein hoffentlich konstruktives Miteinander. “ Thematisch gibt es für die aus dem Hamm stammende Henning genug zu tun. „Wir sind derzeit mehrfach herausgefordert: Neben den geopolitischen Entwicklungen, die uns als exportstarke Industrie sehr beschäftigen, erleben wir mit der zunehmenden Digitalisierung,

dass ganz neue Produkte und Geschäftsmodelle möglich werden und gefragt sind“, sagt sie. Hinzu kommt eine Konjunkturdelle. „Es ist also ein komplexes Umfeld mit hoher Volatilität, in dem wir uns strategisch so aufstellen müssen, dass wir im Wettbewerb erfolgreich bleiben.“ Um zu diesem Ziel zu kommen, sticht für Henning ein Thema besonders heraus: die digitale Transformation. Diese gilt es für die 59Jährige verbandlich zu flankieren. Hinzu kommt die Gestaltung rechtlicher und tariflicher Rahmenbedingungen. Da sind es zwei Aspekte, die für sie wichtig sind: die Finanzierbarkeit und die Vermeidung von zu viel Komplexität und Bürokratie.

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

MACHER & MÄRKTE

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SPEZIAL

MACHER & MÄRKTE

GELD & GESCHÄFT

REGION & CHINA

LEBEN & LEIDENSCHAFT

2 | Editorial

9 | Logistik

17 | Zahnmedizin

25 | Rudern

Chefredakteur Dr. Berthold Hamelmann über Chancen und Herausforderungen in China.

Hellmann Worldwide Logistics baut auf die Seidenstraße nach China.

Investor Colosseum Dentel Deutschland schließt Praxen zu Netzwerken zusammen.

Wie eine US-Serie einem Nordhorner Unternehmen Erfolg brachte.

3 | Science-Fiction

10 | Landtechnik

18 | Börsenporträt

26 | Bouldern

Commonplace Robotics fertigt Greifarme für die Industrie.

Die Suche nach einem Produktionsstandort war für Grimme eine Herausforderung.

Unter den größten Kapitalvernichtern finden sich einige Unternehmen aus dem Nordwesten.

Das Osnabrücker Zenit hat seine Besucherzahl verdoppelt.

4/5 | Radfahren

11 | Großhandel

19 | Weiterbildung

27 | Walz

Wie die Region Radtouristen als Zielgruppe entdeckt hat.

Die Franz Joseph Schütte GmbH lässt seit 20 Jahren in China fertigen.

Ein neues Gesetz erweitert Fördermöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit.

Zwei junge Berater sind mit Seminaren zur „Neuen Arbeit“ auf Welttour.

6 | Stahlbranche

12/13 | Wirtschaftstalk

20/21 | Erben

28/29 | Trend

GMH Gruppe hat nach Restrukturierung Zukäufe wieder im Blick.

Unternehmer diskutieren über Potenziale und Risiken des chinesischen Marktes.

In Zahlen: So erben und vererben die Deutschen.

Warum sich eine Konditormeisterin selbstständig gemacht hat.

7 | Cloud

14 | Hinterland

22 | Gendergap

30 | Personalwechsel

ES Eurosystems entwickelt Lösungen auf Microsoft-Basis.

Neben China spielen auch andere ostasiatische Staaten und Zonen eine Rolle.

So unterschiedlich legen Männer und Frauen Geld an.

Der Geschäftsführer der Alfsee GmbH Toni Harms geht in den Ruhestand.

8 | Büromöbel

16 | Automobilindustrie

23 | Urlaub

31 | Musik

Rosink fertigt Möbel für das Büro der Zukunft.

Seit fünf Jahren ist Boge Rubber & Plastics in chinesischer Hand.

Ein Fachanwalt erklärt, welche Ansprüche Arbeitnehmer haben.

Wie Bands und Manager im digitalen Musikmarkt unter Zugzwang geraten.

Unternehmens- und Personenindex UNTERNEHMEN Ahlers........................................................... 18 Airbnb.......................................................... 27 Alfsee-GmbH..............................................30 Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club e.V. (ADFC)..................... 4/5 Amazon .........................................................8 Assmann Büromöbel..........................18, 32 Außenhandelskammer ............................ 10 Automotive Nordwest e.V........................ 12 Axa................................................................22 Bahntechnik Gruppe..................................6 Bewatrek .....................................................26 Blanco Professional .................................. 18 Boge Rubbers & Plastics Group............. 16 Brimato Catering Automation Technology GmbH .................................... 18 Bundesagentur für Arbeit....................... 19 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ................. 7 Bundesverband für Campingwirtschaft ...................................30 Bundesverband Musikindustrie ............ 31 Butlers .........................................................29 Ceconomy ................................................... 18 CEZ a s Prag ...............................................32 Citroën.........................................................25 Colosseum Dental Deutschland .............17 Comdirect ...................................................22 Commonplace Robotics.............................3 Council of European Dentists.................17 CRRC............................................................ 16 D/DOCK-Architekten.................................8 Deka Bank ..................................................22 Delticom AG............................................... 18 Depot ...........................................................29 Der Spiegel .................................................22 Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW)................... 18 Deutscher Alpenverein ............................26 Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK)................... 14 Deutsches Aktieninstitut (DAI) .............22 Deutsches Erbenzentrum........................20 Deutsches Institut für Altersvorsorge ....20 Deutsches Institut für Lebensmitteltechnik (DIL) ..................... 18

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW)..................22 Discovery ......................................................8 Drägerwerk ................................................ 18 educatus ...................................................... 19 Emsland Touristik ......................................4 Emsland-RadExpress ................................. 5 Envitec Biogas AG .................................... 18 ErbTeilung .................................................. 21 Erdöl-Erdgas-Museum...............................4 ES Euregio Systems GmbH ...................... 7 Europäische Union (EU) ...............7, 14, 30 Facebook .................................................8, 21 Fidelity.........................................................22 Fleisch-Krone............................................. 18 Flossbach von Storch Research Institut.......................................22 Fosun ........................................................... 18 Franz Joseph Schütte GmbH...................11 Fraunhofer Gesellschaft ............................3 Full Hill Enterprise.....................................6 Gasthaus Knollmeyer.................................4 German Brand Institute.......................... 18 Gerry Weber ............................................... 18 Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ......................... 31 GMH Gruppe ............................................. 16 Google............................................................8 Grafschaft Bentheim ........................ 4/5, 14 Grafschaft Bentheim Tourismus ............. 5 Grimme Gruppe ........................................ 10 H&M ............................................................29 Handwerkskammer Osnabrück.............29 Harting ..................................................18, 32 Hasetal Touristik GmbH ........................... 5 Heidelberg Druck...................................... 18 Heinrich Jockheck ....................................32 Hellmann Worldwide Logistics ...............9 Hochschule Osnabrück............................ 15 Holt Holding ..............................................32 Hornbach.................................................... 18 Hotel Pöker................................................... 5 IAG Magnum ...............................................6 IG Metall..................................................... 16 Igus.................................................................3 IHK-Handelsausschuss............................32 Industrie- und Handelskammer Niedersachsen (IHKN) ............................ 14

Industrie- und Handelskammer Osnabrück-EmslandGrafschaft Bentheim ................................ 14 Instagram.................................................... 21 Institut für Demoskopie Allensbach ....20 Jacobs Holding AG ....................................17 Kassenärztliche Bundesvereinigung (KZVB).....................17 Kikxxl........................................................... 18 Klöckner Edelstahl .....................................6 Koch International ...................................32 Krischke Landschlachterei .....................32 La Vie.............................................................6 Land Niedersachsen............................ 5, 30 Landesamt für Statistik........................... 14 Landkreis Emsland .......................... 4/5, 14 Landkreis Osnabrück................ 4/5, 14, 30 Landwirtschaftsverband ......................... 10 Meyer Werft .................................................4 Microsoft................................................... 7, 8 Mologen ...................................................... 18 Mowomind ................................................. 27 Netflix ..........................................................25 Niedersachsenmetall-Bezirksgruppe...... 1 NINO.............................................................. 7 Nokia.............................................................11 Nordex ......................................................... 18 Observatory of Economic Complexity (OEC) ..................................... 14 Osnabrück-Marketing und Tourismus GmbH........................................4 Paracelsus-Kliniken.................................. 18 Paus Maschinenfabrik ........................12/13 Philips......................................................8, 12 Porsche ..........................................................9 ProSieben......................................................8 Remmers.....................................................32 Restaurant Deichkrone ............................. 5 Rhön-Klinikum.......................................... 18 Rila Feinkost-Importe..............................32 Rosink............................................................8 RTL...............................................................26 RWE ...............................................................6 Salt and Pepper ....................................12/13 Sat.1 ................................................................8 SDM GmbH & Co. KG.............................. 31 Sievert AG........................................12/13, 15 Skype............................................................ 27

Sparkasse ...............................................5, 22 SPD............................................................... 18 Stadt Meppen............................................. 18 Stadt Osnabrück..........................................4 Steinhoff...................................................... 18 Steuerberatungsgesellschaft Klöker & Partner....................................... 19 Telekom ....................................................... 18 Thomas Meyer Bäckerei-Konditorei.....32 TMT.............................................................. 16 Tom Tailor................................................... 18 Ton in Ton...................................................29 United Transport And Logistics Company .....................................9 Universität Bremen .................................. 12 Volkswagen...................................................9 Wall-Street-Journal...................................25 Warner Music............................................. 31 Water Rower GmbH Deutschland ........25 Weller Gruppe............................................32 Weltbank..................................................... 14 Weserwind....................................................6 Wirtschaftsverband Emsland.................32 Youtube ....................................................... 31 Zenit.............................................................26 ZF Friedrichshafen AG .............................. 1 ZF Friedrichshafen AG ............................ 16

PERSONEN Albers, Christin ........................................... 7 Albers, Simone...........................................29 Albrecht, Ernst .......................................... 15 Altmaier, Peter........................................... 12 Baier, Dr. Horst..........................................30 Barasinska, Nataliya.................................22 Bäumer, Thomas ........................................17 Beier, Carsten............................................. 15 Beste, Heinz-Peter.....................................32 Beuckmann-Wübbels, Annette ................ 5 Bohle, Peter ................................................32 Boll, Ulrich .................................................32 Brandt, Dirk .................................................8 Bremer, Torsten......................................... 16 Brill, Marc..................................................... 7 Brinkhege, Heike.......................................32 Brinkmann, Georg .................................... 18

Brunner, Tilman........................................ 14 de Vries, Edgar............................................. 5 de Vries, Edith ............................................. 5 de Vries, Margitta........................................ 5 de Vries, Wilfried ........................................ 5 Duke, John..................................................25 Erichsen, Simon ........................................ 31 Eßer, Wolfgang ...........................................17 Feld, Jürgen................................................ 10 Fieselmann, Uwe.......................................32 Glasmeyer, Sonja.......................................30 Großmann, Jürgen......................................6 Guetta, David ............................................. 31 Günther, Jens............................................. 15 Harms, Toni................................................30 Harting, Philipp ........................................32 Hegemann, Frauke ...................................22 Hellmann, Klaus .........................................9 Henkel, Annegret........................................ 5 Henkel, Claas .............................................23 Henle, Dominik ......................................... 19 Henning, Andrea......................................... 1 Henning, Angelika....................................29 Hessel, Johannes....................................... 18 Hofer, Thomas ...........................................26 Hüsing, Klaus .............................................. 5 Ickerott, Ingmar ........................................32 Jacobsen, Edmund...................................... 5 Jaeger, Susanne ......................................... 19 Jander, Manuela.......................................... 5 Jinping, Xi .................................................. 15 Jockheck, Christian ..................................32 Juncker, Jean-Claude ............................... 14 King, Peter..................................................25 Klein, Frank................................................ 31 Kleyböker, Louisa .....................................28 Klöckner, Julia........................................... 12 Koch, Frank ..................................................6 Koch, Heinrich...........................................32 Kockmeyer, Johanna ................................ 19 Koormann, Wilhelm................................... 5 Kremer, Andreas ....................................... 18 Kreutz, Matthias........................................ 19 Krischke, Heinz .........................................32 Kruthaup, Franz-Bernd ........................... 10 Kuprecht, Dominik...................................25 Kurz, Jürgen............................................... 18 Kurze, Jana.................................................29

Kurze, Jutta ................................................29 Lampe, Katja................................................4 Liere, Lena..................................................28 Lüger, Anita.................................................. 5 Magnor, Matthias........................................9 Meyer, Christian..........................................3 Meyer, Thomas ..........................................32 Moore, Bodo aus dem .............................32 Nottbeck, Stefan........................................32 Paus, Franz-Josef..................................12/13 Pazzini, Michael ........................................26 Philippi, Prof. Dr. Michael ...................... 18 Rauschen, Mark ........................................32 Rayker, Cornelia ........................................ 19 Richter, Bernd............................................32 Richter, Helmut.........................................32 Rosenbach, Petra..................................... 4/5 Rosin, Dirk .................................................25 Scherder, Sonja............................................ 5 Schirmbeck, Georg ...................................30 Schluroff, Marko ................................. 12/13 Schnell, Nils ............................................... 27 Schulz, Robin ............................................. 31 Schumann, Marc ....................................... 18 Schütte, Björn .............................................11 Schvarc, Andrej .........................................32 Schweda, Anke...........................................32 Serries, Thomas.........................................32 Siebert Dr. med. jur., Martin .................. 18 Sievert, Hans-Wolf .........................12/13, 15 Spacey, Kevin .............................................25 Spiekermann, Peter ....................................6 Stania, Anna............................................... 27 Sucharda, Marek .......................................32 Süß, Michael ................................................6 Tammen, Andrea......................................... 5 Taurorus, Monika......................................22 Tostmann, Andreas.....................................9 Tse-tung, Mao ...................................... 12, 15 Tüchter, Jörn................................................ 7 Underwood, Frank....................................25 von Elsner, Maximilian...................... 20/21 Wankelmann, Holger ...............................32 Wegelin, Natascha ....................................22 Widman, Gabriele.....................................22 Witthaut, Andrea ........................................ 5 Wübbels, Heiner.......................................... 5 Yildirim, Erden.......................................... 18

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E D I TO R I A L ENGAGEMENT IN CHINA

Chancen und Risiken VON BERTHOLD HAMELMANN

M

anche Sätze hören sich einfach nur gut an: „Da lacht das Herz des Unternehmers...“ Gefallen am Rande des aktuellen Wirtschaftstalks (Seite 12/13), verraten die wenigen Worte viel von der Hoffnung und den Erwartungen, die niedersächsische Unternehmen an ihr China-Engagement knüpfen. Mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern zieht das bevölkerungsreichste Land der Erde ausländische Investoren seit vielen Jahren geradezu magisch an. Das gilt auch für Deutschland, einen 82-Millionen-EinwohnerStaat. Dieser (in Bezug auf geografische Größe und Einwohnerzahl) Winzling im Vergleich zu China exportierte 2018 vor allem Maschinen, Autos und Kfz-Teile, Elektrotechnik und Chemie im Wert von etwa 93 Milliarden Euro. Von wegen Goldgrube! Die über Jahre andauernde China-Euphorie ist längst einer sehr nüchternen Betrachtungsweise gewichen. Da prallen zum einen unterschiedliche politische Systeme aufeinander, die aber Wirtschaftsbosse (hingewiesen sei hier zum Beispiel auch auf deutsche Waffenexporte in den Nahen Osten) stets nur bedingt bändigen. Diskriminierungen und Einschränkungen im Vergleich zu chinesischen Unternehmen wiegen für deutsche Mittelständler viel schwerer, verfügen sie doch nicht über den langen finanziellen Atem weltweit agierender Konzerne, um längere Durststrecken im „Reich der Mitte“ zu überstehen. Engagement in China hat heute immer noch etwas mit echtem Unternehmertum zu tun. Persönlicher Kontakt, Verlässlichkeit und das Akzeptieren kultureller Unterschiede sind Grundvoraussetzungen für Erfolge, die möglich sind. Auch dazu passt ein Zitat aus dem Wirtschaftstalk: „Nicht der Größere, sondern der Schnellere gewinnt.“ Gewinnen können auch Sie, wenn Ihnen an aktuellen Wirtschaftsnachrichten gelegen ist. Testen Sie doch mal unseren neuen kostenlosen Wirtschafts-Newsletter (www.noz.de/newsletter).


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

MACHER & MÄRKTE

Wo Science-Fiction um sich greift Commonplace Robotics fertigt Greifarme für die Industrie – und träumt von Saugrobotern, die Teddys aus dem Weg räumen VON CONSTANTIN BINDER

BISSENDORF Aus allen Richtungen surrt es mechanisch. Auf einem Tisch schwenkt ein einsamer weißer Arm hin und her, seine Finger greifen ins Nichts und lösen sich wieder, immer und immer wieder, aber da ist nichts zu fassen. Weiter hinten folgt ein anderer Greifer einem unsichtbaren Koordinatensystem, vom Rand einer Arbeitsfläche in die Mitte und wieder zurück. Auch er greift unbeirrt ins Leere, seit zwei Wochen schon und noch zwei weitere. „Ein Testlauf“, erläutert Christian Meyer, doch was der Greifer eines Tages greifen soll, das darf er nicht verraten: Sein Auftraggeber will das Betriebsgeheimnis gewahrt wissen. Meyer ist Gründer und Geschäftsführer von Commonplace Robotics, einer kleinen GmbH aus Bissendorf. Im dortigen Innovationsforum hat die Firma eine Halle gemietet, in der Science-Fiction greifbar wird – und um sich greift. Denn Commonplace Robotics hat sich auf Roboterarme spezialisiert: Was an den Fließbändern der Automobilindustrie in groß im Einsatz ist, baut Meyers Team im Kleinen. Wofür das gut ist, demonstriert der Informatiker an einem Kasten aus Plexiglas, der auf den ersten Blick aussieht wie ein Greifautomat an der Autobahnraststätte. Aber statt Plüschtieren liegen kleine Pappkartons in seinem Inneren, und Meyer muss auch keine Münze einwerfen. Stattdessen nimmt er Maus und Tatstatur zur Hand und wählt am Bildschirm den passenden Befehl aus einer Kolonne komplizierter Kodes. Umgehend ruckelt der Greifarm sich in Position und langt in die Kartons. Ein Saugnapf hebt den obersten an und legt ihn behutsam an den Rand, dann wird die nächste Box anvisiert. „Eine 3-D-Kamera erfasst die Kartons, dann berechnet der Computer, welchen der Greifarm am besten erreicht“, erläutert Meyer. Der „Griff in die Kiste“ sei in der Industrie eine häufige Anwendung: Teile würden in einer Box gesammelt, für den nächsten Prozessschritt müssten sie dann wieder voneinander getrennt werden. Die Roboterzelle erledigt das automatisch – wenngleich der für Messen entwickelte Dummy nach jeweils drei Pappkartons wieder von vorne beginnen muss, weil ein kleiner Schieber die säuberlich aussortierten Boxen kompromisslos zurück in die Kiste schubst. Wie vieles hier ist auch der „Griff in die Kiste“ eine ständige Wiederholung, zumindest bis Meyer den Vorführmodus beendet. Meyer, promovierter Ingenieur, studierte Mathematik und Informatik und arbeitete mehrere Jahre bei

Der„Griff indie Kiste“ istinder Industrieeineweit verbreiteAnwendung.BeimSystem vonCommonplace Robotocserfasst eine3-D-Kamera die Kartons,so kannderComputer berechnen,wohin derRoboterarm greifensoll,wie Geschäftsführer ChristianMeyererläutert. Fotos:JörnMartens

der Fraunhofer Gesellschaft in Stuttgart. Dann zog es den Georgsmarienhütter zurück in die Heimat: zunächst nach Wellingholzhausen, wo Commonplace Robotics 2011 seinen Anfang nahm; vor anderthalb Jahren wechselten Meyer und sein mittlerweile sechsköpfiges Team dann nach Bissendorf. Dort bot sich mehr Platz, und die Gemeinde im Landkreis Osnabrück liegt noch näher an Meyers Heimatstadt. Angefangen hat Commonplace Robotics mit der Entwicklung von Robotern für die Ausbildung. Zielgruppe sind Meyer zufolge Fachhochschulen und Berufskollegs, aber auch Unternehmen, die ihre Mitarbeiter innerbetrieblich weiterbilden wollten. „Die Menschen, die später in der Automobilindustrie die Schweißroboter programmieren, können an unseren Robotern lernen“, erklärt der Geschäftsführer. Nächste Produktgruppe im Portfolio wurden Roboterarme für die einfache industrielle Fertigung – wie beispielsweise der Greifroboter, der die kleinen Kästen voneinander trennt. Insgesamt 300 Roboter und Steuerungen will Meyer in diesem Jahr fertigen und vertreiben. Abnehmer seien zumeist mittelständische herstellende Betriebe, die mit überschaubaren Kosten kalkulieren woll-

„Wir sind relativ breit aufgestellt, deshalb haben wir die Preise in der Hand.“ Geschäftsführer Christian Meyer

ten, sagt Meyer. Sie setzten die Greifarme zum Beispiel zur Qualitätssicherung ein: Der Roboter nimmt ein Teil, legt es in einen Sensor und sortiert es bei etwaigen Mängeln automatisch aus. Auch bei einfachen Arbeiten wie dem Bekleben oder Bedrucken von Verpackungen kämen die Arme zum Einsatz, sagt der Firmenchef. Die „nackten“ Greifarme bezieht die Firma vom Kölner Hersteller Igus, die Werkzeuge und die Steuerungsoftware entwickelt Commonplace Robotics selbst. Meyers Zukunftsvision aber sind Serviceroboter – „also beispielsweise der Staubsaugerroboter, der den Teddy, der ihm im Weg liegt, ins Regal räumt“, sagt er. Derlei Ideen gebe es seit den 1960ern, die Technologie allerdings noch nicht – und daran feilt das Bissendorfer Unternehmen. Allerdings, schränkt Meyer ein, werde Commonplace Robotics diese Roboter nicht direkt an die Kunden vertreiben, sondern „versuchen, Interesse bei einem der Großen zu wecken“. Aus diesen Worten spricht Ehrgeiz, und Meyer selbst gibt die Devise aus: „Unser Ziel ist Wachstum.“ Auch deshalb ist in der 500-

Quadratmeter-Halle, in der ein geschäftiges, aber konzentriertes Treiben herrscht, noch Platz zur Weiterentwicklung. Um für den Mittelstand attraktiv zu sein, müsse das Unternehmen günstiger sein als die Mitbewerber, sagt Meyer. Das erreiche man durch zwei Ansätze: „Zum einen setzen wir auf Massenmarkttechnologie, das heißt, wir beziehen unsere Teile als Spritzguss“, erläutert der Geschäftsführer. Die Schablonen für die erforderlichen Komponenten habe die Firma selbst erstellt, die Produktion dann aber ausgelagert. Vor Ort erfolge dann der Feinschliff in einer Drei-Achs-CNCFräse – so werden etwa Lüftungsschlitze oder Schraublöcher hinzugefügt. Das sei günstiger, als beispielsweise Teile aus Aluminium zu fräsen, sagt Meyer. „Zum anderen streben wir eine hohe Fertigungstiefe an, das heißt, wir wollen möglichst viel selber machen.“ Die Platinen für die Chips fertige Commonplace Robotics beispielsweise selbst – mit einem SMD-Bestückungsautomaten, der selbst kleinste Bauteile automatisiert verlöte, die von Hand gar nicht verarbeitet werden könnten. „Wir sind deshalb relativ breit aufgestellt, was auch nicht immer gut ist“, sagt Meyer, „aber dafür haben wir die Preise in der Hand.“

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

MACHER & MÄRKTE Mehr als 6000 Kilometer Radweg in der Region.

MACHER & MÄRKTE

Radeln und Gesundheitskurse kombiniert

Mit dem Rad durch die Region

Koffertaxis bringen das Gepäck von einer Unterkunft zur anderen.

Unternehmen bieten Gesamtpakete an – Nachfrage steigt

Wie die Landkreise Osnabrück, Emsland und die Grafschaft Bentheim Touristen anlocken

Osnabrück sieht Rennradfahrer als neue Zielgruppe.

VON HERMANN-JOSEF MAMMES

VON KATHARINA PREUTH

OSNABRÜCK/MEPPEN/ NORDHORN Auf einer Schotterfläche gegenüber der Knollmeyers Mühle im Osnabrücker Nettetal stehen an diesem Samstagnachmittag etwa ein Duzend Fahrräder. Die Sonne scheint, die Wetter-App zeigt 21 Grad Celsius an: perfektes RadtourWetter. Die Radbesitzer haben es sich auf den Holzbänken im Biergarten des Gasthauses Knollmeyer gemütlich gemacht. Das Nettetal ist bei Touristen beliebt. Doch nicht nur an den Bach mit dem rauschenden Wasser und der historischen Mühle zieht es die Radler. Die Stadt Osnabrück, die Landkreise Osnabrück, Emsland und die Grafschaft Bentheim profitieren von dem Freizeit-Trend. Der ist nicht neu, aber er boomt. „Selbst eigentlich typische Wanderregionen wie der Osnabrücker Südkreis werden vermehrt von Radfahrern genutzt. Steile Anstiege sind dank der E-Bikes keine Hürde mehr“, erklärt Petra Rosenbach, Geschäftsführerin der Osnabrück-Marketing und Tourismus GmbH. Im ganzen Bundesland haben die Kommunen die Touristen für sich entdeckt. Eine Radverkehrsanalyse Niedersachsens aus dem Jahr 2015 hat ergeben, dass die Radtouristen, die in der Region übernachten, zwischen 75 und 80 Euro am Tag im Osnabrücker Land lassen. Tagestouristen geben im Durchschnitt 14 Euro pro Tag aus. Dieselbe Analyse hat gezeigt, dass im Zählzeitraum 2015 285 000 Freizeit- und Urlaubsradfahrer unterwegs waren. 75 Prozent von

Radfahren istbeliebtundfür dieRegioneinWirtschaftsfaktor:Biszu 80Euro gebenradelndeÜbernachtungsgästeim Durchschnitt proTaginOsnabrückaus.

ihnen unternehmen einen Tagesausflug, 17 Prozent sind Radwanderer mit wechselnden Unterkünften, und acht Prozent haben ein Zimmer oder ein Ferienhaus gemietet und brechen von dort zu Sternfahrten auf. 30 Pro-

Fahrrad und E-Bike als Wirtschaftsfaktor 80 Prozent Marktanteil: stationärer Facheinzelhandel dominiert. 70 Millionen Fahrräder und 3,5 Millionen

Pedelecs: Deutschland ist der größte Markt für Fahrräder in Europa.

4 Millionen Fahrräder 2017 verkauft, darunter 720 000 Pedelecs. 167 Millionen Tagesreisen und 22 Millionen Übernach-

tungen jährlich werden in Deutschland pro Jahr durch Fahrradtourismus generiert.

278 000 Arbeitsplätze und 16 Milliarden Euro Umsatz:

Dafür steht die deutsche Fahrradwirtschaft.

Quellen: ADFC, ZIV, KBA, VSF

zent der Touristen fahren ein E-Bike. „Wir versuchen die Anzahl der Freizeitradfahrer in den kommenden Jahren deutlich zu steigern“, sagt Rosenbach. Bei der Attraktivität der Touren spiele laut Analyse das ausgeschriebene Routennetz eine wichtige Rolle. Zu den Vorzeigerouten zählen die Hase-Ems-Tour, der Brückenradweg oder der Mühlenradweg, der auch an Knollmeyers Mühle im Nettetal vorbeiführt. Schilder an den Kreuzungen weisen den Weg, zudem gibt es Karten und Apps, die bei der Wegführung helfen. „Die Radverkehrsanalyse hat gezeigt, dass sich immer noch die meisten an den Schildern orientieren“, sagt die Osnabrücker Tourismus-Chefin. Insgesamt führen 2700 Radwegekilometer mit fünf Fernradwegen, zehn mehrtägigen Thementouren und etwa 40 Tagestouren durch Landkreis und Stadt Osnabrück. Damit die Touristen auf das Angebot aufmerksam werden, haben die Marketing-Manager den Onlineauftritt modernisiert, sind auf Messen unterwegs und in den sozialen Medien vertreten.

Den Fahrrad-Tourismus hat sich auch eine weitere Region groß auf die Fahne geschrieben: das Emsland. Seit Jahren rangiert der Landkreis laut einer ADFC-Umfrage unter den zehn beliebtesten Radregionen Deutschlands. Besonders attraktiv sind dabei die Wege entlang der Ems. Der Emsradweg führt 379 Kilometer von den Flussquellen bei Hövelhof in der Nähe von Paderborn bis zur Mündung in die Nordsee bei Emden. Die Radfahrer erleben, wie aus einem kleinen Bach ein schiffbarer Strom wird, auf dem die Kreuzfahrt-Riesen der Papenburger Meyer Werft Kurs in Richtung Nordsee nehmen. Neben dem Emsradweg sei es die Emsland-Route, die die Touristen anlocke, erklärt Katja Lampe, stellvertretende Geschäftsführerin der Emsland Touristik. Der 400 Kilometer lange Rundweg führt von Rheine im Süden über Meppen im Westen und die östliche Kornbrenner-Stadt Haselünne bis zur Werftstadt Papenburg im Norden. Insgesamt bietet die Region ein Radwegenetz von 3500 Kilometern an. Dabei sind es nicht nur Mehrtagestouren, für die sich die Touristen

interessieren, sondern auch Sternfahrten, bei denen man, von einem Startpunkt ausgehend, in Tagestouren das Emsland entdecken kann. Dazu zählt beispielsweise die 47 Kilometer lange Erdöl-Tour, die zum Erdöl-Erdgas-Museum in Twist und zum Moor-Energie-Erlebnispfad führt. Wer als Tourist im Emsland mit dem Rad unterwegs ist, kann auch ein besonderes Angebot in Anspruch nehmen: das Koffer-Taxi, das den Gepäcktransfer zwischen den Hotels übernimmt. Im Jahr 2018 nutzten 22 000 Menschen diesen Service. Außerdem verleihen mehr als 20 Betriebe in der Region Tourenräder und E-Bikes. Wie viele Radtouristen den Landkreis pro Jahr besuchen, ist nicht festzustellen, sagt Lampe. Eine Zählung sei sehr aufwendig und müsse zudem regelmäßig vorgenommen werden, um Vergleichszahlen zu bekommen. Die Emsland-Touristik geht von rund einer Million Urlaubern pro Jahr aus. „Es kommen vor allem Radwanderer und Familien“, erklärt die stellvertretende Tourismus-Chefin.

Foto:GertWestdörp

Auch für die Grafschaft Bentheim liegen keine konkreten Zahlen zu den Touristen vor, die mit dem Fahrrad durch den Landkreis fahren. Doch auch der Grafschafter Tourismus hat sich auf die Radler eingestellt. 1000

„Wir versuchen die Anzahl der Freizeitradfahrer in den kommenden Jahren deutlich zu steigern“ Petra Rosenbach, Geschäftsführerin Osnabrück-Marketing und Tourismus GmbH

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Kilometer ausgeschilderte Radwege führen durch die Region. Die Hauptroute ist dabei die Fietsentour, die an der Grenze der Grafschaft verläuft und mit 230 Kilometern zu den längeren Touren zählt. Es gibt 25 Tagestouren von 30 bis 60 Kilometern, die thematisch zu kommunalen Themen erschlossen sind. „Die längeren Routen nutzen vermehrt Touristen. Die Tagestouren sind auch bei den Einheimischen beliebt“, erläutert Sonja Scherder, Geschäftsführerin der Grafschaft Bentheim Tourismus. Besonders stolz sei der Landkreis jedoch auf die mit drei Sternen vom ADFC ausgezeichnete Vechtetalroute, erklärt Scherder. „Durch die drei Sterne werden Touristen und Fachpublikum auf die Route aufmerksam. Das freut uns natürlich“, sagt sie. Das Gütesiegel „ADFC-Qualitätsroute“ gibt es für gut ausgebaute Radwege, ausreichend fahrradfreundliche Unterkünfte auf dem Weg und eine Anbindung an das ÖPNV-Netz. Zudem hat das Land Niedersachsen die Grafschaft für im Jahr 2017 als fahrradfreundliche Kommune ausgezeichnet. Gültig ist dieses Zertifikat bis 2021. Laut einer Erklärung

des Landes sind in dem Landkreis alle Bundesstraßen mit Radwegen ausgestattet, ebenso wie fast alle Landesstraßen. Außerdem gebe es mit dem Fietsenbus einen Gepäcktransfer, der zudem an das Netz des EmslandRadExpress angeschlossen sei. Eine Verbindung der Landkreise Osnabrück, Emsland und Grafschaft Bentheim ist bislang nur auf eigene Faust möglich. Der Hase-Ems-Weg führt zwar von Osnabrück über Meppen nach Rheine, schließt aber die Grafschaft nicht mit ein. Den Schlenker in den benachbarten Landkreis müssen die Radler eigenständig organisieren. Als Zukunftsprojekt hat die Osnabrücker Tourismuschefin Petra Rosenbach auch eine neue Zielgruppe erspäht: die Rennradfahrer. Aus Holland kämen immer mal wieder Gruppen in die Region. Eine Idee sei, spezielle Routen für die Sportler auszuschreiben. Auch Mountainbiker, die das Gelände des Umkreises nutzen, gibt es einige. Für sie sei jedoch nicht geplant, ein besonderes Gebiet anzubieten. „Da gibt es Interessenkonflikte mit den Forstwirten“, sagt Rosenbach.

MEPPEN Nicht nur als Erholungsurlaub ist das Radfahren im Trend. Im Emsland hat sich in den vergangenen Jahren auch ein anderer Trend durchgesetzt: der „Radurlaub auf Rezept“ – Radeln inklusive Gesundheitskursen – der Hasetal Touristik. An diesem Morgen haben die acht Radtouristen im Hotel Pöker in Meppen bereits gut gefrühstückt, als sie von Annegret Henkel im Seminarraum mit einem freundlichen „Hallo“ begrüßt werden. Alle haben sie das Gesundheitspaket gebucht. Bevor sie später auf ihres E-Bikes steigen, heißt es erst einmal „Progressive Muskelentspannung“. Die Meppenerin Annegret Henkel ist von Haus aus Sozialpädagogin. Gemeinsam mit anderen Physiotherapeuten und Pädagogen führt sie die Gesundheitskurse durch. In einem mehrtätigen Seminar erlernte sie die „Progressive Muskelentspannung“ nach Edmund Jacobsen. Ziel ist es, Spannungszustände einzelner Muskelpartien zu lösen, aber auch für eine psychische Entspannung zu sorgen. „Ein entspannter Körper und Geist tun uns einfach gut“, sagt die 65-Jährige. In der 60-minütigen Übung gehen die Teilnehmer die 17 unterschiedlichen Muskelgruppen ihrer insgesamt über 600 Muskeln durch. Die Körperreise beginnt beim „Anspannen und Lösen“ bei den Zehen und Füßen und endet im „Stirnrunzeln“ mit Zitronengesicht. Die acht Teilnehmer sind ganz bei der Sache. Sie folgen der angenehmen Stimme der Meppenerin. „Anspannen und lösen.“ Es gelingt allen sehr gut, „störende Außengeräusche auszublenden und in sich hineinzuhorchen“. Jeden Morgen wird der Kurs des fünftägigen Programms der Hasetal Touristik wiederholt. Die Erfolge sind verblüffend: „Mir geht es von Mal zu Mal besser“, sagt die 77-jährige Edith de Vries aus Hooksiel. Ihr gleichaltriger Ehemann Edgar ist voll des Lobes: „Ich kann dem Emsland zu diesem Angebot nur gratulieren.“ Die beiden wissen, wovon sie reden. Sie haben bereits diverse Gesundheitskurse deutschlandweit besucht. Andrea Tammen nimmt mit ihrer Freundin Anita Lüger am Miniurlaub teil: Für die Ostfriesin aus Westoverledingen war es „sehr entspannend und beruhigend“. Speziell die Nackenübungen würden ihr jetzt beim Radfahren helfen. Zu Hause musste sie schon nach wenigen Kilometern vom Fahrrad steigen. Hier schafft sie selbst Tagestouren bis zu 45 Kilometern schmerzfrei. Der Meppener Klaus Hüsing wartet um 11 Uhr bereits vor dem Hotel

ZUR SACHE

Krankenkassen bezuschussen Gesundheitsradeln Der Radtourismus verzeichnet deutschlandweit steigende Zahlen. Dabei erfreut sich gerade die Region Emsland/Osnabrück wachsender Beliebtheit. Die Hasetal Touristik GmbH hat ein einzigartiges Gesundheitspaket entwickelt, das sogar viele Krankenkassen überzeugt. So finanzieren viele Kassen die Mini-Urlaube mit 150 Euro. Unter dem Siegel „Radurlaub auf Rezept“ nehmen acht bis 15 Teil-

nehmer an den geführten Radausflügen im Hasetal teil. Dank des Zuschusses kostet die fünftägige Radreise im Artland oder im Emsland in Drei-Sterne-Hotels mit Halbpension nur noch 245 Euro. Startpunkte sind an vier verschiedenen Standorten: Meppen, Haselünne, Ankum oder Alfsee. 2014 wurde die Region am Hasetal mit dem deutschen Tourismuspreis ausgezeichnet. Tatsächlich erfreut

auf die Gruppe. Auch wenn das Wetter nicht gerade „eitel Sonnenschein“ ist, begrüßt man sich schon am zweiten Tag wie gute alte Bekannte. Man duzt sich durch die Bank. Das erste große Ausflugsziel an diesem Tag ist das Speicherbecken bei Geeste. Die Kommandos während der Fahrt sind eingeübt. „Vorsichtig, Radfahrer von

Neben Radfahren gehört auch progressive Entspannung zum Programm.

sie sich großer Beliebtheit. „Im ersten Jahr hatten wir für unseren Radurlaub auf Rezept 700 Anmeldungen“, sagt Geschäftsführer Wilhelm Koormann. 2018 seien es bereits 1400 Teilnehmer gewesen , und „allein für dieses Jahr liegen uns schon 1500 Anmeldungen“ vor. Aufgrund der Bettenkapazitäten kann die Nachfrage kaum noch gestillt werden. So gibt es bereits Überlegungen, die vier unter-

hinten!“, ruft Wilfried de Vries, der wie sein Bruder ebenfalls mit Ehefrau Margitta mitradelt. Wie Pädagogin Annegret Henkel ist auch der 63-jährige Rentner Klaus Hüsing gerade in den Sommermonaten oft für die Hasetal Touristik im Einsatz. Der frühere Sparkassenkaufmann führt die Gruppe am Dortmund-Ems-Kanal entlang. Der Premium-Radweg gehört zu den zehn beliebtesten in Deutschland. Komplettiert wird die Gruppe von den beiden Versicherungsfrauen Andrea Witthaut und Manuela Jander aus Castrop-Rauxel. Anders als die passionierten Radler Edith und Edgar de Vries aus dem hohen Norden, die im Jahr schnell mal 5000 Kilometer zusammenradeln und auf ihren eigenen E-Bikes unterwegs sind, haben sich die beiden Frauen aus Nordrhein-Westfalen E-Bikes von der Hasetal Touristik ausgeliehen. Unterwegs werden immer mal wieder kleine Pausen eingelegt. Hüsing erweist sich als versierter Reiseführer, der Land und Leute kennt. So erfahren die Touristen, dass das Spei-

GemeinsamhabensichdieTeilnehmerdesGesundheitsradelnsnachdemFrühstückundprogressiverEntspannungaufdenWeggemacht. Foto:Hermann-JosefMammes

schiedlichen Routen um weitere Strecken zu erweitern. Als neuestes Angebot bietet die Hasetal Touristik GmbH „Wandern auf Rezept“ an. Auch hier wird das Gesamtangebot in zertifizierte Kurse wie „Gesundheitswandern an Ems und Hase“ sowie „Autogenes Training“ eingebunden. Auch dieses Paket bezuschussen viele Krankenkassen mit durchschnittlich 150 Euro pro Teilnehmer.

cherbecken eine Größe von 2,3 Quadratkilometern besitzt und bis zu 16 Meter tief ist. Da die Gruppe an diesem Tag flott unterwegs ist, wird noch vor dem Mittagessen eine kleine Ehrenrunde von fünf Kilometern rund um den See eingelegt. Dabei weht ihnen am Ostufer eine steife Brise entgegen. Anschließend schmeckt der Stramme Max im Restaurant Deichkrone besonders lecker. „Das Essen ist einfach gut“, sagt Ostfriesin Anita Lüger. Gut gestärkt geht es weiter in Richtung Clusorth-Bramhar. Auf gut ausgebauten Radwegen fährt die Gruppen meistens zu zweit nebeneinander. Dabei wechseln fast wie von allein die Gesprächspartner, und schnell kommen die Radler untereinander ins Plaudern. Ziel in dem emsländischen Dorf ist der Ilex-Hof. Landwirt Heiner Wübbels lebt hier in fünfter Generation. Er betreibt mit Ehefrau Annette Beuckmann-Wübbels eine Pferdepension und Tierheilpraxis. Die Neuankömmlinge sind von der Atmosphäre angetan. Hier wacht noch der uralte Hofhund, und neugierige Pferde lugen aus dem Stalltor. Während Heiner Wübbels genüsslich seine Pfeife raucht, begrüßt Annette jeden mit Handschlag. Danach gibt es einen Begrüßungstrunk, natürlich mit Kräutern aus ihrem Kräutergarten, heute sind es Minze, Zitronenmelisse und Salbei. Nach einem Vortrag über gesunde Ernährung legen die Radler die Kochschürze um. Das Menü reicht von der Selleriecremesuppe mit kleinen Lachsstreifen über bayrischen Brezelsalat mit Radieschen auf frischem Blattspinat bis zum Dessert aus Quark mit Erdbeeren und weißer Schokolade. Das Resümee aller Teilnehmer ist eindeutig. „Selbstgemachtes mit frischen Kräutern aus dem Garten schmeckt immer noch am besten.“


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„Wir wollen tiefer in die Wertschöpfung“ CEO Frank Koch sieht GMH Gruppe auf einem guten Weg in die Zukunft VON NINA KALLMEIER GeGEORGSMARIENHÜTTE sundgeschrumpft? Rund 50 Einzelunternehmen haben zu Hochzeiten zur GMH Gruppe gehört – heute sind es nur noch gut 20. Durch Verkäufe wie die Bahntechnik-Gruppe an eine chinesische Investorengruppe und Insolvenzen wie die der Offshore-Tochter Weserwind in Bremerhaven oder des Stahlverarbeiters IAG Magnum in Osnabrück hat die Unternehmensgruppe Federn gelassen. Das Resultat: Mitarbeiterzahl, Umsatz und Gewinn sind zwischenzeitlich stark zurückgegangen. Derzeit sei man jedoch auf einem guten Weg, sagt Frank Koch, der vor gut zwei Jahren den Vorsitz der Geschäftsführung übernommen hat. Das ist in der Vergangenheit nicht immer so gewesen. Verlustreiche Töchter haben das Ergebnis belastet – wie die insolvente Weserwind, die der GMH Gruppe 2014 alleine schon ein Minus von rund 90 Millionen Euro eingebracht hatte. 2015 vermeldete die Unternehmensgruppe bei einem Umsatz von 2,3 Milliarden Euro erstmals wieder einen Jahresüberschuss von 43 Millionen Euro. Im zurückliegenden Geschäftsjahr lag der Umsatz bei 2,1 Milliarden. Unterm Strich steht laut jüngster Konzernbilanz im Bundesanzeiger für 2017 ein Konzernjahresergebnis von 38,3 Millionen Euro. „Wenn wir uns die Unternehmensgruppe anschauen, haben wir im gesamten Kernbereich die schwierigen Jahre hinter uns gebracht. In der Guss-Gruppe haben wir noch einige Hausaufgaben zu Ende zu bringen“, resümiert Koch. Das Schrumpfen der Gruppe in den vergangenen Jahren hatte laut Koch auch zum Hintergrund, das Unternehmensportfolio zu überarbeiten und das Profil zu schärfen. „Die Gruppe ist kleiner geworden, aber auch wesentlich fokussierter.“ Diese Fokussierung auf das Kerngeschäft nannte die GMH Gruppe auch als Grund dafür, warum sie sich im vergangenen Jahr vom Osnabrücker Sternerestaurant „La Vie“ getrennt hat. Es galt zuvor als Steckenpferd Jürgen Großmanns, der das Stahlwerk Georgsmarienhütte, um das er die Unternehmensgruppe aufgebaut hat, für einen symbolischen Betrag von zwei Mark in den 1990ern in marodem Zustand erwarb und rettete. Denn in Summe sind die Unternehmen der GMH Gruppe in der Elektrostahlherstellung, -weiterverarbeitung sowie der nachfolgenden Wertschöpfungskette tätig. „In

Vorrundzwei Jahrenhat Frank Koch denChefposten derGMH Holding übernommen.Er siehtdie Unternehmensgruppeaufeinem gutenWeg. Foto:Michael Gründel

den letzten Jahren war entscheidend wichtig, in der GMH Gruppe stärkere Synergien zu erzeugen. Das heißt auch, sich deutlich mehr zu vernetzen“, blickt Koch zurück, der zuvor Mitglied der Geschäftsführung und verantwortlich für den Bereich Stahl war. Die fehlende Vernetzung war in der Vergangenheit ein Aspekt, den Branchenkenner als ein Problem ausmachten. „Innerhalb der Gruppe nutzen wir unsere eigene Wertschöpfungskette heute viel stärker als früher. Von der Schrottaufbereitung und der Stahlherstellung über die Verarbeitung bis zur Komponentenherstellung haben wir viele Möglichkeiten, das Geschäft selbst zu gestalten und dem Kunden qualitativ hochwertige Produkte aus einer Hand zu liefern“, betont Koch. Doch nicht nur die innerbetrieblichen Synergien sind eine Herausforderung, hinzu kommt das schwierige Marktumfeld, in dem die GMH Gruppe agiert. „Auf unsere Unternehmensgruppe haben die US-Zölle auf Stahlimporte keinen direkten Einfluss. Der zu Komponenten verarbeitete Stahl, den wir direkt in die USA liefern, wird von den US-Behörden nach aktuellem Stand nicht als bedenklich eingestuft. Allerdings treffen uns die USZölle indirekt: Durch den Protektionismus der USA steigt der Importdruck aus Ländern wie der Türkei. Hinzu kommt, dass es in China immer noch deutliche Überproduktion gibt“, erklärt Koch. Zudem sinken die Absatzzahlen in der Automobilindustrie. Da die Unternehmensgruppe rund 60 Prozent ihres Umsatzes in diesem Sektor generiert, davon noch mal einen ganz erheblichen Teil mit der Pkw-

„Die US-Zölle treffen uns indirekt: Durch den Protektionismus der USA steigt der Importdruck aus Ländern wie der Türkei.“ Frank Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung

Mehrals 70MillionenEurohat dieGMH GruppeindenvergangenenJahren indie neueStranggießanlageamStandortGeorgsmarienhütteinvestiert.

Industrie, schlägt sich das ebenfalls in der Bilanz nieder. „Entsprechend bekommen wir die Marktschwäche im Moment natürlich zu spüren und müssen die Produktion anpassen. Getrieben durch das Thema Abgastests, haben wir im letzten Quartal 2018 einen Vorholeffekt in der Automobilindustrie gesehen. Das hat dazu geführt, dass Bestände an Pkw aufgebaut wurden, entsprechend weniger wird aktuell produziert“, so Koch. Er stellt sich mit Blick auf das Thema Mobilität auf langfristige Veränderungen im Stahlbedarf ein. „Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, daher machen wir uns keine Sorgen.“ Den Veränderungen in Deutschland begegne man auch mit einer Internationalisierung des Geschäfts. Dennoch sei die Unternehmensgruppe darauf vorbereitet, mit weniger Mengen und Umsätzen aus dem Automobilsektor umzugehen, betont Koch. „Auch in anderen Branchen wird Stahl gebraucht, nehmen wir nur mal den Bereich Energieerzeugung. Auch hier sind wir mit unserem Stahl gut im Markt vertreten.“ Diese 40 Prozent, die die Gruppe außerhalb des Automobilsektors umsetze – sei es im Maschinenbau, Energiemaschinenbau, Rohrleitungsbau oder der Öl- und Gasexploration – sieht der Geschäftsführer als eine Chance für Wachstum. „Der wachsende Hunger nach Energie in der Welt braucht Stahl – auch aus unserer Gruppe. Der kommt neben unserem Stahlwerk in Georgsmarienhütte vor allem aus unseren Betrieben in Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen.“ Trotz der positiven Entwicklung, die die GMH Gruppe in den vergangenen Jahren genommen hat – abgeschlossen ist der Restrukturie-

rungsprozess noch nicht. „Es bleiben ein paar Restaufgaben innerhalb der Gruppe. Bei einigen Unternehmen arbeiten wir noch an der strategischen Ausrichtung. Aber die Zahl der Restrukturierungsaufgaben ist deutlich geringer geworden“, betont Koch. Damit gemeint ist vor allem die Guss-Sparte. „Die Kollegen haben schwere Zeiten hinter sich gebracht. Es gibt bei ihnen aber positive Anzeichen, die uns ermutigen, den eingeschlagenen Weg der Restrukturierung aus eigener Kraft weiter fortzusetzen – auch wenn es nicht immer leicht ist.“ Aufgrund der Wettbewerbsbedingungen in Deutschland wie Europa habe man einen eigenen, passgemauen Weg für die Gruppe beschritten, der Perspektiven schaffe, den Kollegen in den Betrieben aber auch viel abverlange. Die ersten Monate des Jahres

zeigten jedoch, dass die Maßnahmen Früchte tragen würden und es in der Produktivität und der Leistung der Unternehmen deutliche Verbesserungen zu verzeichnen gebe. „Die Gießereien sind auf einem ordentlichen Weg. Klar ist aber auch, dass am Ende jeder Betrieb mit eigenständigen Geschäftsmodellen Erträge erwirtschaften können muss, die ihn befähigen, in die eigene Zukunft zu investieren. Das gilt übrigens für jeden, der das rote Logo unserer Gruppe trägt.“ Nachdem die Unternehmensgruppe in den vergangenen Jahren einigen Ballast abgeworfen und sich neu aufgestellt hat, stehen die Zeichen in Georgsmarienhütte auch schon wieder auf Investition: „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, jedes Jahr in einem deutlich zweistelligen Millionenbereich zu investieren. Einerseits gibt es aus der Ver-

Foto: Jörn Martens

gangenheit noch viel zu tun, andererseits müssen wir investieren, wenn wir Schritt halten und unserem Anspruch der Technologieführerschaft gerecht werden wollen“, so Koch. In gleicher Höhe würden Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Und auch die Expansion hat der Geschäftsführer schon wieder im Blick. „Wir werden uns im konjunkturellen Abschwung viel stärker damit beschäftigen, ob neue Unternehmen unsere Gruppe sinnvoll ergänzen können“, stellt Koch in Aussicht. Insbesondere die vergangenen drei bis fünf Jahre seien nicht dafür geeignet, Unternehmen zu adäquaten Preisen zu kaufen. „Wir prüfen immer wieder Ideen, wie wir organisch und anorganisch wachsen können. Denn eins ist klar: In der Größe, wie wir jetzt stehen, werden und wollen wir nicht bleiben.“

ZUR SACHE

Mehr als 20 Unternehmen bilden heute die GMH Gruppe Die Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe, kurz GMH Gruppe, besteht heute aus gut 20 Unternehmen unter dem Dach der Georgsmarienhütte Holding GmbH. Sie wurde 1997 von dem damaligen geschäftsführenden Gesellschafter Jürgen Großmann gegründet, der 1993 die ehemalige Klöckner Edelstahl GmbH für einen symbolischen Preis von zwei Mark kaufte, das Stahlwerk rettete und in den

Folgejahren durch Zukäufe den Grundstein für die heutige GMH Gruppe legte. Großmann war zunächst Alleingesellschafter und -geschäftsführer der Holding. Erst 2003 wurde die Geschäftsführung auf vier Geschäftsführer erweitert. Ende 2006 gab Großmann die Geschäftsführung ab und war von 2007 bis 2012 Chef des Energiekonzerns RWE. Ihm folgte im Vorsitz der Ge-

orgsmarienhütte Holding Peter van Hüllen, seit 1. Januar 2017 ist Frank Koch Vorsitzender der Geschäftsführung. Heute arbeiten mehr als 7000 Mitarbeiter an 54 Standorten der Gruppe auf fünf Kontinenten. Der Umsatz belief sich 2018 auf 2,12 Milliarden Euro. Den größten Anteil daran hat die Stahlerzeugung mit 61 Prozent. Der heutige Elektroofen in Georgsmarienhütte war

1994 der erste Gleichstrom-Elektro-Lichtbogen-Ofen Deutschlands. Der Bereich Guss trägt aktuell 15 Prozent zum Umsatz bei, Schmiedetechnik 13 Prozent, Stahlverarbeitung 8 Prozent und Lenkungstechnik 3 Prozent. In vier von fünf Autos aus deutscher Produktion ist Stahl der GMH Gruppe verbaut, jeder zweite Turbo-Generator weltweit läuft mit Stahl der GMH Gruppe. nika


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Das Geschäft mit der Cloud Die Nordhorner Firma ES Euregio Systems GmbH hat sich auf die Weiterentwicklung von Microsoft-Cloud-Lösungen spezialisiert VON SEBASTIAN HAMEL

NORDHORN „Wir möchten Firmen in die Microsoft Cloud bringen, ihre Arbeit effizienter und durch künstliche Intelligenz noch innovativer machen.“ Dies ist die Philosophie der Nordhorner ES Euregio Systems GmbH. 2003 als klassischer IT-Dienstleister gestartet, ist das 15 Mitarbeiter zählende Unternehmen als MicrosoftGold-Partner längst deutschlandweit unterwegs, um Wirtschaftsunternehmen fit für die Zukunft zu machen. Gemeinsam mit Partnern werden mittlerweile auch Projekte in Frankreich, Griechenland und weiteren Ländern Europas in Angriff genommen. Seine Ursprünge hat das Unternehmen in Neuenhaus, zu den Gründern zählt Marc Brill, der heute kaufmännischer Geschäftsführer und Inhaber ist. Im Jahr 2010 hat Euregio Systems seinen Sitz in den Nordhorner NINOHochbau verlegt und war somit einer der ersten Mieter im damals neu eröffneten Wirtschaftskompetenzzentrum. Seit 2012 ist Jörn Tüchter mit an Bord, der seit 2016 auch technischer Geschäftsführer ist. Zum Kerngeschäft zählen heute sämtliche Cloudservices und Anwendungsentwicklungen auf Basis von Microsoft-Produkten wie Azure und Office 365, zudem werden Strategie-Workshops veranstaltet – stets vor dem Hintergrund der Fragen: Was ist das Ziel des Kunden? Was möchte er erreichen? Begonnen als Hardware- und Software-Anbieter, bestand für Euregio Systems die Kundschaft anfangs zu 70 Prozent aus Schulen. Hinzu kamen bald kleine und mittelständische Unternehmen aus ganz Nordwestdeutschland, von Nordrhein-Westfalen bis Schleswig-Holstein. Heute liegt der Fokus auf Unternehmen aus den Bereichen Industrie, Handel, Produktion und Dienstleistung. „Wir denken aber auch an die Kleinstunternehmen und werden nie den Einmannbetrieb oder die Startups aus den Augen verlieren, denn gerade hier bieten sich von Anfang an Microsoft-Cloud-Lösungen an“, so Marc Brill. Binnen einem Jahr stieg die Zahl der aktiven Nutzer auf rund 140 000 an. Standen dabei zunächst Microsoft Exchange EMail-Accounts im Vordergrund, rückte als „Nebenprodukt“ der Microsoft SharePoint Online in den Fokus: Hier einwickelte Euregio Systems eine Oberfläche, die sowohl Kommunikation als auch Verwaltung und Management er-

AuchkünstlicheIntelligenzspieltbeimNordhornerUnternehmenES EuregioSystemseineRolle.MarcBrill (von links),ChristinAlbersundJörnTüchter zeigendie eingesetzteDatenbrille. Foto: Sebastian Hamel

laubt. 2014 präsentierte das Nordhorner Unternehmen seine Lösungen auf einem Cebit-Stand. Mittlerweile werden solche Plattformen für Unternehmen, die einen neunstelligen Umsatz generieren, entwickelt. Inzwischen machen Wirtschaftsunternehmen den Großteil der Kunden aus. „Die Microsoft

„Auch nach über 15 Jahren sind wir immer noch ein Start-up.“ Jörn Tüchter, technischer Geschäftsführer

ZUR SACHE

Bedeutung des Datenschutzes Seit Beginn der Cloud Services sind dem Nordhorner Unternehmen die Themen Datenschutz und Datensicherheit enorm wichtig, betont Geschäftsführer und Gründer Marc Brill. Durch die DSGVO ist beides noch präsenter geworden. „Wie kein anderer Anbieter legt Microsoft großen Wert darauf, transparent über die Themen Datenschutz und Datensicherheit aufzuklären, und gewährt Kunden

zahlreiche und detaillierte Informationen zu den Zertifizierungen“, beteuert Brill. Dazu zählten etwa die DSGVO-Konformität; Freigabe der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht; EUStandardvertragsklauseln; Bestimmungen zur Auftragsdatenverarbeitung (ADV), die den Kunden zusätzliche, vertragliche Sicherheiten bieten; ISO 27001, die als eine der besten Sicherheitsbench-

marks der Welt gilt mit strengen physischen und logischen Kontrollanforderungen zum Schutz von Prozessen und Verwaltung; sowie ISO 27018: „Microsoft wurde als erster großer Anbieter von Cloudlösungen von unabhängiger Stelle nach Standard ISO 27018 verifiziert. In diesem Standard wird ein einheitlicher, internationaler Ansatz für den Schutz personenbezogener Daten in der Cloud festgelegt“, erklärt Brill.

Cloud ist vorangeschritten, und wir haben uns weiter spezialisiert“, so Tüchter. Wichtig für das gesamte Team ist daher ein hoher Bildungsgrad, um immer „up to date“ zu bleiben. Dies wird durch ständige Weiterbildungen gewährleistet, in die der Betrieb viel Zeit und Geld investiert. „Einen jungen Kollegen etwa haben wir sogar während seiner Ausbildung eine Woche in die USA nach Redmond geschickt“, berichtet Tüchter. Stets sei der Blick auf aktuelle Trends gerichtet, verbunden mit der Frage, ob man mitgeht oder nicht. „Auch nach über 15 Jahren sind wir immer noch ein Start-up“, sagt er schmunzelnd angesichts des fortwährenden Weiterbildungsprozesses. Im Laufe der Zeit haben mehrere junge Leute bei Euregio Systems ihren Berufseinstieg gemeistert: Das Unternehmen bildet zum Fachinformatiker für Systemintegration aus sowie zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung, auch kaufmännische Berufe sind möglich. Auf letzterem Wege ist auch Christin Albers hinzugekommen, die heute mit ihren 26 Jahren als Prokuristin tätig ist. Insgesamt ist der Altersdurchschnitt unter den Kollegen niedrig: „Mit 34 bin ich unter den Technikern schon der Älteste“, sagt Jörn Tüchter. Das Tagesgeschäft ist geprägt von flexiblen Arbeitszeiten, auch Homeoffice ist kein Problem, erklärt der technische Geschäftsführer: „Das einzige, was man braucht, ist Internet.“ Wichtige Schritte in Richtung Zukunft hat das Nordhorner Unternehmen 2016 und 2017 unternommen, als durch den Einstieg in den Vertrieb der Microsoft HoloLens und das Leistungsspektrum um künstliche Intelligenz erweitert wurde. Die HoloLens ist ein eigenständiger Computer, der auf dem Prinzip der Mixed Reality arbeitet und somit physische und virtuelle Realität vereint, erklären die Unternehmer. Das Gerät wird auf dem Kopf getragen, der Nutzer schaut durch ein Sichtfenster. Ausgestattet mit einer Vielzahl an Sensoren und Kameras, scannt die HoloLens die Umgebung und ermöglicht es, virtuelle Gegenstände darin zu platzieren. Die so ermöglichte Darstellung von Produkten durch das Gerät kann in den unterschiedlichsten Branchen zum Einsatz kommen, von der Architektur bis zur Medizin. Gemein-

sam mit den Kunden entwickelt Euregio Systems die dafür notwendigen Programme. Durch die Verwendung von künstlicher Intelligenz erfahren

die Medien und Anwendungen eine neue Dimension der Möglichkeiten. Auch hier sind hinsichtlich der Nutzer kaum Grenzen gesetzt: Da ist etwa das Bauunternehmen

mit einem Projektverwaltungstool, das eingehende Dokumente erfasst und zuordnet; der Ausbildungsbot für Maschinenbauer, der als „virtueller Dozent“ die Mitarbeiter durch Fragen und Antworten im Umgang mit den Maschinen schult; das Dokumentenmanagementsystem (DMS), welches kein klassisches DMS mehr ist, sondern chaotisch-intelligent sämtliche Zuordnungen und Archivierungen organisiert und bei Bedarf den kompletten Schriftverkehr von Angeboten über Aufträge, Rechnungen, Lieferscheine und die Ablage liefert; oder der Elektro-Wartungsbetrieb, dessen intelligentes System Störungen in Trafostationen voraussagt und dadurch proaktive Wartungen ermöglicht – wobei auch die HoloLens zum Einsatz kommen kann, die alle nötigen Dokumente und Infos für die Anlage und Wartung bereitstellt. Durch die Arbeit mit der Cloud hat es auch bei Euregio Systems selbst Veränderungen gegeben: Der frühere Serverraum etwa wird nicht mehr benötigt und dient heute als Abstelllager, und Jörn Tüchter muss nicht mehr – wie früher – 50 000 Kilometer im Jahr mit dem Auto zurücklegen. Er unterstreicht deshalb den Mehrwert der neuen Technologien: „Sie sparen Zeit, Geld und Ressourcen.“

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Eigene Montage ist ein Trumpf Rosink fertigt maßgeschneiderte Einrichtungen für das Büro der Zukunft

VON WERNER STRAUKAMP

NORDHORN Im heraufziehenden digitalen Zeitalter unterliegt die Arbeitswelt einem durchgreifenden Wandel. Das gilt auch für die Ausgestaltung der Unternehmensverwaltungen. Ganze Bürolandschaften, klassische Büroetagen mit langen Zimmerfluchten oder auch die althergebrachten Großraumbüros mit ihrem im Wesentlichen aus Schreibtischen, Stellwänden, Topfpflanzen und Besprechungsecken bestehenden Mobiliar weichen „Break-out Areas“, „Chill-out Zones“, flexibel gestalteten Kommunikationsräumen, integrierten Café- und Kantinenbereichen sowie frei wählbaren digita-

len Arbeitsplätzen. Das soll die Produktivität, die Kommunikation und den Teamspirit der Mitarbeiter fördern. Es ist ein Zukunftstrend, der zunächst in den Firmenzentralen der großen Digitalkonzerne wie Google, Facebook, Amazon und Microsoft Einzug hielt – und sowohl die auf Büro- und Unternehmensgestaltung spezialisierten Innenarchitekten wie auch das klassische Tischlerhandwerk vor ganz neue Herausforderungen stellt. Statt einer Büromöblierung von der Stange sind speziell gefertigte, auf die besonderen Ausgestaltungswünsche der jeweiligen Firmen reagierende, Objekteinrichtungen gefragt. Ein Markt, auf dem sich

Die Endfertigung allerProduktefindetbeiRosinkin Nordhornstatt. Foto:Werner Westdörp

ThematischgestalteteFirmenetagen:Auch fürdenPhilips-Firmensitzin HamburghatRosinkgefertigt.

in der gesamten Bundesrepublik derzeit nur wenige mittelständische Spezialisten so erfolgreich tummeln wie das Nordhorner Unternehmen Rosink Objekteinrichtungen. Das im Gewerbegebiet BlankeNord ansässige Unternehmen zählt aktuell 60 Mitarbeiter, 40 in der reinen Produktion und 20 in den Bereichen Geschäftsführung, Vertrieb, Zeichnung und Projektabwicklung. Die Sonderanfertigungen von Rosink dominieren unter anderem die Bürolandschaft einer international tätigen Wirtschafts- und Unternehmensberatung im Chilehaus in Hamburg ebenso wie einzelne Etagen der Philips Firmenzentrale im Hamburger Stadtteil Fuhlsbüttel, die unter dem Motto „Hamburg und seine schönsten Ecken“ jeweils thematisch

gestaltet sind. Der Besucher betritt unter anderem eine Tropen-, Hafenund Speicherstadt-Etage. Alle nötigen Sonder- und Einzelanfertigungen wie eingebaute Speicherhäuschen, „Break-out-Areas“, die „Cafeteria Philistro“ und nicht zuletzt eine 15 Meter lange, weiß geschichtete Empfangstheke im Erdgeschoss wurden bei Rosink in Nordhorn gefertigt. Vergleichbare Elemente finden sich im Chilehaus: eine Coffeebar mit Bartresen sowie eine mit Beamer-Installation ausgerüstete, an Sportstadien erinnernde Sitzpodest-Tribüne, die nach Dienstschluss zum gemeinschaftlichen Fußballgucken einlädt. Aktuell arbeiten die Nordhorner mit den Amsterdamer „D/DOCK-Architekten“ an der Ausgestaltung der

Foto:Rosink Objekteinrichtungen

neuen Mediathek der Fernsehsender ProSiebenSat.1 und Discovery in München. Aus einer großen Vielfalt von Materialien wie Farben, Blechen, Metallen, Acrylglas, Stoffpolster, Akustikelementen und Massivholz werden all die flexiblen Arbeitsräume, Medienstationen, Verweilzonen, Pantryküchen, Kaffee- und Bartheken erstellt, mit deren Einrichtung die Rosink-Leute beauftragt sind. Ein besonderer Clou ist eine Art analoge Playstation, ein unter anderem mit Dartscheibe und Fußballkicker ausgestatteter Spielsalon. Die Frage, wie man als vergleichsweise kleiner Mittelständler aus der nordwestdeutschen Provinz überhaupt an derartige Aufträge gerate, beantwortet Rosink-Geschäftsführer Dirk Brandt mit Verweis auf die

über Jahre ausgebauten Kontakte zu den für derartige Bürobauten zuständigen Projektsteuerern und Innenarchitekten. „Wer überhaupt in den jeweils kleinen Bieterkreis für derartige Projekte aufgenommen werden möchte, muss neben der Qualität der produzierten Objekte insbesondere eine zeitnahe Umsetzung und finanzielle Solidität garantieren“, sagt Brandt. Dabei sei es für Rosink ein Vorteil, dass die gesamte Abwicklung der Aufträge in Nordhorn und durch eigene Montage vor Ort erfolge – und eben nicht durch Beauftragung weiterer Subunternehmer. „Alles Weitere ist eine Gratwanderung zwischen der kreativen Umsetzung der architektonischen Vorgaben und den Einrichtungsbudgets der von den jeweiligen Bauherren beauftragten Projektsteuerung.“ So ende derzeit jede der wöchentlichen Videokonferenzen mit den Amsterdamer Architekten in einer Vielzahl überarbeiteter Entwurfszeichnungen und begleitender Kostenpläne. Ein besonderes Problem stellten Bauverzögerungen dar. „Als Inneneinrichter gehört man naturgemäß zu den letzten Handwerkern in neuund umgebauten Bürohäusern. Zuweilen schiebt man Auftragsvolumina von einigen Tausend Montagestunden vor sich her“, sagt der Rosink-Geschäftsführer. Unabhängig von derartigen Alltagssorgen ist man bei Rosink sicher, dass der Markt für spezielle Objekteinrichtungen mittel- und langfristig wächst. Eine optimistische Einschätzung, die im firmeneigenen Konferenzraum speziellen Widerhall findet: Eine komplette Längswand ist bereits mit Planzeichnungen für eine neue, erheblich vergrößerte Betriebsstätte in Nordhorn zugehängt.

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SPEZIAL REGION & CHINA

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Porsche-Auftrag mit Strahlkraft? Für das Osnabrücker Unternehmen Hellmann Worldwide Logistics ist die Seidenstraße ein Wachstumsfaktor 8000 Porsche bringt Hellmann pro Jahr über die Seidenstraße. Bedeutung der Schienenverbindung nach Fernost steigt. Potenzial für weitere Automobilhersteller und andere Industrien ist da. VON NINA KALLMEIER

OSNABRÜCK Für den Logistiker Hellmann ist es ein Projekt mit Strahlkraft, da ist sich Matthias Magnor, der im international tätigen Konzern für die Bereiche Rail & Road zuständig ist, sicher. Seit Kurzem bringt das Osnabrücker Familienunternehmen standardmäßig Sportwagen von Porsche auf der Schiene in Richtung China. Damit ist der Stuttgarter Automobilkonzern der erste deutsche Hersteller, der die sogenannte „Neue Seidenstraße“ nicht nur für Pilotprojekte in Richtung Osten nutzt. Die ersten der jährlich 160 ausschließlich mit Porsche-Fahrzeugen beladenen Züge sind bereits in Chongquing angekommen und haben damit die rund 11 000 Kilometer lange Reise von Bremerhaven über Polen, Weißrussland, Russland und Kasachstan nach Chongqing hinter sich gebracht. 18 Tage dauert die Fahrt – anstatt gut 50 per Schiff – vom Werk zu den Porsche Zentren in China, heißt es seitens des Automobilherstellers. Die Zeitersparnis ist somit groß – trotz mehrerer Landesgrenzen, die der Zug passieren muss, verschiedener Spurweiten und mehrfachen Umsetzens der Container. Schon seit 2013 bietet Hellmann Worldwide Logistics eine Transportverbindung zwischen China (Chengdu, Provinz Sichuan) und Europa (Lodz, Polen) an, seither sind viele weitere Verbindungsstrecken hinzugekommen. „Das China-Geschäft spielt bei Hellmann eine immer größere Rolle, auch wenn die Geschwindigkeit des Marktwachstums abnimmt. Da klagen wir auf hohem Niveau, die Wachstumsraten sind immer noch jedes Jahr zweistellig“, so Magnor. Dazu trägt mit Blick auf den Osnabrücker Logistiker auch der aktuelle Großauftrag von Porsche bei. Zwei der Luxus-Sportwagen

passen – auf Paletten gesetzt – in einen der Standard-Container, die am Bremerhavener Terminal belanden werden. Aus maximal 44 der Stahlkolosse setzt sich dann ein Zug zusammen, der von der niedersächsischen Nordseeküste den Weg in Richtung Chongqing im Westen Chinas antritt. Da Bremerhaven bereits ein Dreh- und Angelpunkt für Logistikströme war, bot es sich für Hellmann an, die in unterschiedlichen Werken produzierten Fahrzeuge dort zu übernehmen. Insgesamt 8000 Sportwagen pro Jahr – rund 11 Prozent des ChinaExports – plant Porsche über die „Neue Seidenstraße“ ins Reich der Mitte zu bringen. Für den Stuttgarter Automobilhersteller, der anders als andere keine Produktion in China hat, ist der Exportmarkt nach eigenen Angaben mit einem Anteil von 31 Prozent der volumenstärkste Einzelmarkt. „Das zeigt das Vertrauen, das Porsche in die Verbindung, aber auch in Hellmann hat“, sagt Matthias Magnor. Für Hellmann hat sich das Volumen auf der eisernen Seidenstraße durch den Auftrag maßgeblich erhöht. Doch was sind die Vorteile der gegenüber dem Schiff teureren Schienenlogistik nach China? Im Vordergrund steht meist die Zeitersparnis von rund drei Wochen gegenüber dem Seeweg. „Chinesische Kunden wollen ihre Fahrzeuge in der Regel sehr schnell auf dem Hof stehen haben. Wenn sie ein Fahrzeug bestellt haben, wollen sie es am liebsten sofort mitnehmen“, so die Erfahrung Magnors auch mit Blick auf den Porsche-Auftrag. Insofern sei der schnellere Transport ein Beitrag, den Hellmann als Logistiker zur Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Industrie leiste. Und nach Ansicht von Gesellschafter Klaus Hellmann hat die Strecke sogar das Potenzial, noch schneller zu werden. „Die Geschwindigkeit kann sicherlich auf zehn Tage reduziert werden. Dadurch wird auch der Markt noch einmal größer, weil es dann weniger Sinn macht zu fliegen.“ Jedes Angebot kann einen neuen Markt schaffen – diesen Effekt erhofft man sich bei Hellmann auch durch den Porsche-Auftrag. Für andere Automobilhersteller hat der Osnabrücker Logistiker bereits – in geringem Umfang – Erfahrungen auf der Strecke gesammelt. Zu konkreten Aufträgen, die Logistik standardmäßig über die eiserne

In Bremerhavenwerdendie Luxus-AutosinContainerverladen unddann überdieSchienenach Chinageschickt.

Seidenstraße abzuwickeln, hat das bislang jedoch noch nicht geführt. Auch nicht mit weiteren Marken der Volkswagen AG. Bei Volkswagen selbst schaue man sich alle Alternativen an, auch gemeinsam mit anderen Marken unter dem Dach der Volkswagen AG, sagte Markenvorstand Andreas Tostmann erst jüngst bei einem Besuch im Osnabrücker VW-Werk. Die Seidenstraße werde man prüfen. Trotz der derzeitigen Zurückhaltung, andere Hersteller werden nachziehen und im wahrsten Sinne des Wortes auf den Zug aufspringen, ist sich Magnor sicher. „Es gibt ein reges Interesse. Da geht bestimmt noch eine ganze Menge.“ Andere Industriezweige sieht er durchaus ebenfalls als potenzielle Kunden. Wenn die Automobilindustrie einen ersten Schritt mache, habe das eine Folgewirkung. Entsprechend plant der Logistiker, Geld in die Hand zu nehmen.

ZUR SACHE

Das Projekt Seidenstraße in Kürze Mindestens 900 Milliarden Dollar sollen unter dem Dach der „Neue Seidenstraße“ investiert werden, so die Ankündigung Chinas. Mit der 2013 verkündeten Initiative knüpft das Reich der Mitte an die historische Handelsroute an. Mit Kamelkarawanen oder den antiken Handelsrouten zwischen China und Europa hat das geostrategische Vorhaben aber nur noch wenig zu tun. Mit dem Geld baut China Straßen, Bahngleise, Pipelines, Kraftwerke,

Telekommunikationsnetze, Häfen und Flughäfen von Asien bis nach Europa und Afrika. Aber auch in bestehende Infrastruktur investiert China. Der griechische Hafen Piräus gehört seit 2016 größtenteils der Reederei COSCO – an ihr hält der chinesische Staat 51 Prozent. Beteiligungen gibt es mittlerweile aber auch in den Häfen Genua, Porto und Rotterdam. Nach chinesischen Angaben sind bislang mehr als 100 Länder in

das Projekt „Neue Seidenstraße“ eingebunden. Bereits jetzt sind Bahnstrecken von Ostasien bis Westeuropa vorhanden. Von Peking aus können Güter auf der Schiene über Moskau bis nach Hamburg, London oder Madrid gelangen. In Zukunft soll der Weg nach Europa auch über eine südliche Schienenstrecke führen. Vorgesehen ist eine Route, über die auch Irans Hauptstadt Teheran und das türkische Istanbul angeschlossen sind.

Vom südlichen China aus sollen Warenströme außerdem auch bis zu Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur gelangen. Auch in Deutschland sieht man seine Chancen. Allein die DB Cargo will ihre Transportkapazität auf der transkontinentalen Verbindung bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent erhöhen. Bisher werden rund 80 000 StandardContainer im Jahr befördert, für 2020 seien 100 000 geplant. nika

„Wir gehen davon aus, dass wir in Zukunft – auch für andere OEMs – weitere Investitionen tätigen werden. Dabei geht es neben dem Personal und Know-how vor allem um das nötige Equipment, um die Fahrzeuge in den Containern zu transportieren.“ Bei kleineren Fahrzeugen als dem Porsche könnten durchaus mehr als zwei in einen Container passen. „Dafür brauchen wir ein Rack-System aus Metall. Wir glauben daran, dass diese Dienstleistung künftig eine noch größere Rolle spielen wird.“ Und nicht nur für die Strecke in Richtung Osten. Auch seitens chinesischer Unternehmer gibt es Anfragen, die Seidenstraße in umgekehrte Richtung zu nutzen. „Das ist ein sehr spannender Markt. Hier stehen wir aber noch ziemlich am Anfang“, so Hellmann-Manager Magnor. Insgesamt überwiegen aktuell die Exporte von China nach Deutschland auf der Seidenstraße. „Mit jedem Auftrag, den wir von deutschen Fahrzeugherstellern bekommen, gleicht sich das Verhältnis weiter an.“ Magnor ist sich aber sicher: In Zukunft wird die Vergabe von Logistikleistungen stärker noch in China getroffen. Auf diese Entwicklung hat das Unternehmen bereits reagiert und baut in Chongqing – dem Tor zum Westen Chinas und dem asiatischen Hinterland – ein Team auf. „Es ist gut, in der Region einen breiteren Fußabdruck zu haben. In der Verlängerung der Seidenstraße und der Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmodi ist noch eine Menge Potenzial“, ist sich Magnor sicher. Damit steigere sich auch die Komplexität der Verkehre. „Diese Lieferketten abbilden zu können sehen wir als großen Vorteil.“ Ist die Seidenstraße also nur etwas für größere Konzerne? Nein, findet der Hellmann-Manager. „80 Prozent unserer Order kommt aus dem deutschen Mittelstand. Das

zeigt: Die Berührungsängste nehmen deutlich ab.“ Als mittelständisch geprägtes Unternehmen sehe man sich nicht nur den Großkonzernen wie Porsche verpflichtet, sondern auch dem Mittelstand und kleinen Unternehmen, betont Magnor. Stößt die Schienenverbindung irgendwann an ihre Grenzen? „Wir

„Wir gehen davon aus, dass wir in Zukunft – auch für andere OEMs – weitere Investitionen tätigen werden.“ Matthias Magnor Chief Operating Officer (COO) Road & Rail

merken, dass die Volumina steigen. Da, wo die Spurbreite wechselt und umgespurt werden muss, wie in Malaszewicze in Polen, gibt es Nadelöhre. Wir gehen aber davon aus, dass die Infrastruktur mit der Nachfrage wächst.“ Bereits jetzt würden andere Terminals aufrüsten. Auch bei Hellmann selbst werden Vorkehrungen getroffen, um zusätzliche Volumina erfolgreich transportieren zu können. Dafür baut der Logistiker seine strategische Zusammenarbeit mit der United Transport and Logistics Company – Eurasian Rail Alliance (UTLC ERA) aus. Eine entsprechende Absichtserklärung haben beide Unternehmen auf der Fachmesse transport logistic in München unterschrieben. Ziel ist laut Hellmann, die Weiterentwicklung effektiver Containertransporte zwischen Europa und China gemeinsam voranzutreiben und die Kapazitäten im Schienengüterverkehr in den kommenden Jahren nachhaltig zu steigern. UTLC ERA ist ein Logistik-Joint-Venture, an dem zu gleichen Anteilen die Staatsbahnen von Kasachstan, Weißrussland und Russland beteiligt sind.

Zuständig fürdenBereich Rail&Road: MatthiasMagnor.


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

SPEZIAL REGION & CHINA

Landtechnik für das weltweit größte Kartoffelanbaugebiet Über die Standortsuche der Grimme-Gruppe und die Herausforderungen beim Bau eines Produktionswerkes in Tianjin

AufdenFeldernin Chinawerden weltweitdie meistenKartoffeln angebautundgeerntet.

VON MARCUS ALWES DAMME/RIESTE Für Franz-Bernd Kruthaup steht fest: „Als ein Weltmarktführer im Bereich der Kartoffeltechnik können wir es uns nicht erlauben, auf dem größten Einzelmarkt der Erde nicht mit einem starken Standbein vertreten zu sein.“ Der Landmaschinenhersteller Grimme aus Damme/Rieste geht sein Engagement in Fernost damit immer offensiver an. Das Unternehmen will dort wachsen. Basis dafür ist die unlängst eröffnete Produktionsstätte im Stadtbezirk Wuqing (Region Tianjin), rund 140 Kilometer südlich von Peking. So habe Grimme „die Möglichkeiten, mit annähernd den gleichen Waffen zu kämpfen wie die lokalen Hersteller dort. Die haben vielleicht noch den Vorteil, über ein historisch länger gewachsenes Netzwerk zu verfügen – in die Politik oder in die Institute“, sagt Geschäftsführer Kruthaup. Aber auch da sei Grimme dabei, den eigenen Einflussbereich weiter aufzubauen und voranzutreiben. Seit mehr als 20 Jahren ist das Traditionsunternehmen aus dem Südoldenburgischen bereits in China aktiv und hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung hinter sich gebracht. Die chinesische Regierung erklärte die Kartoffel zu einem den vier wichtigsten Grundnahrungsmittel überhaupt und will deren Anbau massiv ausweiten. Franz-Bernd

Geschäftsführer Franz-BerndKruthaup (r.) imGesprächmitUnternehmenssprecher JürgenFeld. Foto: Marcus Alwes

Kruthaup macht in einem Vergleich unterdessen die Dimension deutlich. „Es werden gute fünf Millionen Hektar Kartoffeln angebaut in China. In Deutschland sind wir bei 250 000 Hektar.“ Durch das eigene Werk spare Grimme jetzt Transportkosten und müsse in Zeiten international aufkeimender Handelsstreitigkeiten keine Importzölle zahlen. Der Weg bis zur Fertigstellung des Produktionswerkes sei aber durchaus steinig gewesen, unterstreicht der Geschäftsführer. Da war zum einen die Standortsuche. Ursprungsziel der Grimme-Verantwortlichen war eine Niederlassung beziehungsweise ein Werk direkt in Peking, aber in der Metall verarbeitenden Industrie gab es dort keine entsprechenden Zulassungen mehr. Die Suche nach Alternativen begann. Irgendwann sei die Region Tianjin in den Fokus gerückt, so Kruthaup. Diese liege mit einem mächtigen Hafen und einem Anschluss an die Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke nach Peking logistisch sehr günstig. Im Herbst soll zudem in rund 40 Kilometer Entfernung ein neuer Großflughafen eröffnet werden. „Wir sind immer noch in der Nähe der größeren Städte. Und die Rechtssicherheit ist hier viel, viel höher, als wenn man weiter auf das Land gehen würde“, sagt Kruthaup. Die Verfügbarkeit von Personal spiele ebenso „eine extrem wichtige Rolle“ bei der Standortentschei-

Fotos:GrimmeUnternehmensgruppe/JürgenFeld

dung. Gerade Beschäftigte, die gut Englisch sprächen, seien auf dem Lande weniger einfach zu bekommen als im Umfeld der großen Städte. Landwirtschaftsverband, Außenhandelskammer, aber auch chinesische Behörden waren bei der Standortsuche behilflich. Grimme fragte ferner andere deutsche Firmen nach deren China-Erfahrungen. Dann stand die Teilnahme an einem Bieterwettbewerb um die besagte, circa 2,5 Hektar große Fläche in einem Industriepark in der Region Tianjin fest. „Wir haben ein Nutzungsrecht für 50 Jahre gekauft. Man kauft also in China nicht den Boden, man kauft ein Nutzungsrecht“, verdeutlicht Kruthaup. Grimme hatte im Vorfeld auch viele Anfragen asiatischer Firmen für ein Joint Venture, „aber der chinesische Partner wollte immer 51 Prozent haben. Mit einer derartigen Lösung konnten wir uns jedoch nicht anfreunden“, blickt Kruthaup zurück. Wissend, dass der Weg alleine deutlich steiniger und schwieriger ist, wurde das Millionenprojekt dennoch eigenständig aufgebaut. „Für den langfristigen Erfolg ist das schon der richtige Weg gewesen“, so der Grimme-CEO heute. Produktionshallen und ein Bürotrakt entstanden. Rund 1,3 Hektar wurden bebaut. Doch es gab in jener Zeit auch Hürden, erinnert sich

DerBlickaufdasProduktionswerk inWuqingin derProvinzTianjin –140km südlich vonPeking.

der Geschäftsführer und nennt ein Beispiel: „Irgendwann hieß es, die Luftverschmutzung ist zu hoch, und alle Firmen dort mussten ihre Produktion einstellen. Das bedeutete, auch unsere Bauarbeiten mussten gestoppt werden.“ Sechs, sieben Wochen Stillstand, staatlich verordnet – bis die Werte wieder passten. Erst dann ging es weiter. Wie reagiert da ein Global Player wie Grimme? „Wir haben auch einen sehr guten Geschäftsführer vor Ort, der mit vielen Wassern gewaschen ist. Und er hat es immer hingekriegt, halbwegs akzeptable Lösungen zu finden“, sagt Kruthaup. Rund 15 Millionen Euro hat der Landmaschinenhersteller bislang in das neue Werk bei Tianjin investiert. Vor einem Jahr ging es an den Start. Landtechnik für Kartoffeln, Rüben und Gemüse wird seitdem dort gefertigt. 65 Mitarbeiter arbeiten schon in der Niederlassung. In den kommenden vier, fünf Jahren soll diese Zahl auf 120 Beschäftigte ansteigen. Neben der Produktion von Maschinen für das Legen, Pflegen, Ernten und Lagern sind auch eine eigene Entwicklungsabteilung und ein eigenes Produktmanagement im Aufbau. „Dadurch stellen wir sicher, dass wir die besonderen Bedürfnisse, die in China vorherrschen, mit einer eigenen Entwicklungsmannschaft vor Ort optimal aufnehmen und auch in den Produkten umsetzen können“, erklärt Kruthaup. Kein Farmer besitze übrigens Eigentum an Grund und Boden. Es gebe unterschiedliche Pachtsyste-

me und Laufzeiten. Das habe Folgen. Der Bezug des Landwirts zu seiner Scholle sei nicht besonders ausgeprägt, schildert der GrimmeMann seine Eindrücke. „Es wird irgendwo Grund und Boden gepachtet, und dann werden Kartoffeln angebaut. Es wird dabei natürlich versucht, diese Ressource Boden maximal auszubeuten.“ Fragen der Bodenhygiene und mögliche

„Wir haben ein Nutzungsrecht für 50 Jahre gekauft. Man kauft also in China nicht den Boden, man kauft ein Nutzungsrecht.“ Grimme-Geschäftsführer Franz-Bernd Kruthaup

Krankheiten spielten da offenbar kaum eine Rolle. Bemerkenswert, so Kruthaup, seien auch die weiten Wege, die frisch geerntete Kartoffeln in China zurücklegten. Vom Feld bis zur Lagerhalle werden sie im Durchschnitt 500 bis 600 Kilometer transportiert. Das bedürfe ganz anderer Anforderungen an die Logistik, aber auch an die Qualität der Kartoffel, so der CEO. Ein Landtechnikhersteller wie Grimme müsse auch das berücksichtigen, sagt Kruthaup. Auch das jährliche Anbaufenster, das es im Norden Chinas gebe, sei kurz. Die Kartoffeln könnten erst relativ spät gepflanzt werden, Anfang bis Mitte Mai. Sie müssten aber spätestens Ende September geerntet sein, weil sonst das Risiko der Nachtfröste zu hoch sei. „Und die Kartoffelbauern in China wollen die maximale Wachstumsperiode nutzen“, fügt der Manager hinzu. Mit dem Verkauf ihrer Maschinen will die international agierende Grimme-Gruppe ihr Geschäft in China auf 20 bis 25 Millionen Euro Umsatz per anno ausbauen. Weltweit macht das Unternehmen mit seinen insgesamt mehr als 2400 Mitarbeitern einen Jahresumsatz von 459 Millionen Euro. Ziel sei es, in China im höheren Segment Marktführer zu werden, sagt Kruthaup. „Und wir wollen ein bisschen verhindern, dass dort extrem starke Wettbewerber heranwachsen, die uns dann auch Wettbewerb in allen anderen Märkten auf dem Globus machen.“


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SPEZIAL REGION & CHINA

„China ist das kapitalistischste Land, das ich kenne“ Seit fast 20 Jahren arbeitet die Franz Joseph Schütte GmbH mit chinesischen Lieferanten zusammen VON NINA KALLMEIER

WALLENHORST Seit dem Jahr 2000 bezieht die Franz Joseph Schütte GmbH ihre Produkte – 5000 Artikel vom Installationszubehör bis zu Armaturen – aus China. Am Hauptsitz in Wallenhorst beschäftigt das Familienunternehmen knapp 200 Mitarbeiter. Ein Gespräch mit Geschäftsführer Björn Schütte über die Entscheidung, in China produzieren zu lassen, die Erfahrungen als Mittelständler in Asien und die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen vor Ort. Herr Schütte, was hat Sie vor knapp 20 Jahren dazu bewogen, von „made in Italy“ abzurücken? Von knapp 20 Jahren waren wir noch ein reiner Handelsbetrieb. In Europa hergestellte Ware zu beziehen war von den Kosten her nicht mehr tragbar. Wir brauchten also alternative Produktionsstandorte für unsere Produkte. Wir sind nach China gegangen, weil es das einzige Land war, in dem es einen echten Preis-Leistungs-Vorteil gab. Und es erfüllte sämtliche Anforderungen, die wir an Infrastruktur hatten. Um eine Armatur zu bauen, braucht es nicht nur einen Betrieb, der gießt und poliert, man braucht auch die Zulieferer. Das Ganze muss verchromt werden, man braucht die Zubehörteile etc. China war das einzige Land, wo es diese Dinge gab. Mobilfunkhersteller wie Nokia haben Ende der 2000er-Jahre ihre Produktion in Richtung Osteuropa verlagert. Wäre das geografisch nicht naheliegender gewesen? Als wir den Schritt gegangen sind, waren diese Länder noch nicht so weit. Die Öffnung war zu frisch. Heute wäre es eine Alternative, und es gibt Marktbegleiter, die dorthin gegangen sind. Hatten Sie bei der Suche nach chinesischen Partnern Unterstützung? Nein, die hatten wir nicht. Es hat aber dennoch irgendwie geklappt. Als wir Italien den Rücken gekehrt haben, war ein Großteil unserer weltweiten Branche noch dort mit einer Produktion vertreten. Davon ist die Mehrheit heute vom Markt verschwunden. Das Lohnniveau und die mangelnde Flexibilität sind zwei Gründe dafür. Wie war für Sie die erste Zeit als Mittelständler in China? Die erste Zeit war sehr spannend, da wir auch nicht so genau wussten, was auf uns zukommt. Das hatte etwas von Abenteuer. Als die ersten Container mit Ware in Deutschland ankamen, war ich schon etwas unruhig, ob auch wirklich das drin ist, was wir bestellt hatten. Wir waren damals in der Tournaround-Phase. Geld zu verlieren, konnten wir uns nicht leisten. Heute läuft das Geschäft gut – und chinesische Unternehmen investieren gerne in den deutschen Mittelstand. Hat man Ihnen auch schon ein Übernahmeangebot gemacht? Sicher, das bekommt fast jeder irgendwann, wenn es gut läuft. Es ist aber schon etwas länger her. Ein Verkauf ist für mich aber keine Option. Arbeiten Sie immer noch mit den gleichen Partnern zusammen? Zum Teil. Leider ist unser ursprünglicher Partner vor sechs Jahren in die Insolvenz gegangen. Das war für uns eine große Herausforderung, aber seitdem haben wir unser Volumen auf drei Hauptlieferanten auf-

geteilt, um das Risiko und die Abhängigkeit zu streuen. Für uns ist Lieferantentreue ein wichtiges Gut – auch weil es eine Zeit lang dauert, bis die Prozesse stimmen. Wir verkaufen keine chinesischen Produkte, sondern deutsche, die in China produziert werden. Das ist ein Unterschied. Unser Anspruch ist, dass sich die Qualität nicht von einer Produktion in Deutschland unterscheidet. Das geht. What you pay is what you get. Auch Premiummarken lassen in China herstellen. Unsere Partner sind vor allem an der Ostküste, zum Teil auch ganz im Süden. Auch innerhalb Chinas gibt es unterschiedliche industrielle Schwerpunkte sowie Lohn- und Qualitätsniveaus. Wie viele Armaturen produzieren Sie pro Jahr in China? Etwa zwei Millionen. Rund zwei Drittel davon liefern wir nach Deutschland, ein Drittel im Großen und Ganzen in die EU. In China selbst bleiben die Produkte nicht. Spielt für Sie der Transport über die neue „eiserne Seidenstraße“ eine Rolle? Die Seidenstraße nutzen wir weniger, da wir deutlich mehr aus China importieren als dorthin exportieren. In aller Regel, für rund 95 Prozent der Waren, nutzen wir Seefracht. Schnelle Schiffe schaffen den Weg mittlerweile auch in dreieinhalb Wochen, langsame brauchen etwa fünf. Für unsere Ware ist die Zeit nicht kritisch, weil sie nicht verdirbt. Wenn es Aktionen bei Discountern oder Ähnliches gibt, muss die Ware natürlich pünktlich da sein. Die Bahn ist immer dann relevant, wenn ein Termin eng wird – aber auch diese Strecke braucht aufgrund der zahlreichen Grenzübergänge ihre Zeit. Die Art des Transports wird sich sicherlich auch im Preis widerspiegeln. Richtig, der Bahntransport ist etwa doppelt so teuer wie die Seefracht. Luftfracht ist noch einmal deutlich mehr. Das hängt aber auch etwas vom Vorlauf und dem Volumen ab. Insgesamt verschicken wir 1200 Container pro Jahr. Die Chinesen investieren insgesamt stark in die Infrastruktur. Inwieweit kommen Ihnen diese Investitionen zugute? Wir profitieren davon, ohne Frage. China hat eine gut ausgebaute ITInfrastruktur. Die Automatisierung der Fabriken schreitet voran. Hinzu kommt die große Investition in das Schienennetz. Das hat schon dazu beigetragen, dass sich die Fabriken in China gut entwickeln konnten – und damit auch wir. Dennoch sind die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen oft in der Kritik. Wie erleben Sie das vor Ort? Die Arbeitsbedingungen waren schon vor knapp 20 Jahren mehr als annehmbar und haben sich in den letzten Jahren noch einmal deutlich verbessert. China ist ein formal kommunistisches Land, sodass damals schon auf Arbeitsstandards geachtet wurde. Und entgegen manchen Berichten ist es heute das kapitalistischste Land, das ich kenne. China ist ertragsgesteuert, solange es nicht auf Kosten des Volkes geht. Auch im Umweltschutz hat sich einiges getan. Wir haben schon mehrfach Fabrikschließungen von Sublieferanten gesehen, die die Standards nicht eingehalten haben. Die Chinesen achten da deutlich mehr drauf, als man in Deutschland glaubt. Ich finde, dass China vielfach unterschätzt wird. Das Land hat eine klare Strategie.

SeinenHauptsitzhat derSanitärgroßhändlerSchütteinWallenhorst.ProduziertwirdvonPartnernin China,sagtGeschäftsführerBjörnSchütte.

Sie wird mitunter rigoros durchgesetzt, aber es kommt am Ende ein Ergebnis dabei heraus. Anders als bei uns, wenn Infrastrukturprojekte mehrere Jahrzehnte Zeit brauchen. Es ist eine andere Kultur, aber ein Land, das man im Auge behalten sollte.

Das hatten wir natürlich im Hinterkopf, es war aber kein Hinderungsgrund. Es hat allerdings dazu geführt, dass wir seither viel mehr Geschmacksmuster in Europa und weltweit zum Patent anmelden. Das hat zu unserer Verteidigungsstrategie beigetragen.

Würden Sie heute die Entscheidung noch einmal so treffen? Unbedingt! Das Land hat sich in den letzten 20 Jahren rasant entwickelt. Wir waren die Ersten in unserer Branche, die den Schritt gegangen sind, das hat uns mit Blick auf die Lieferanten einen kleinen Vorteil verschafft. Mittlerweile haben andere nachgezogen. Heute verstehen wir uns auch als Hersteller, weil wir die komplette Prozesskette kontrollieren können. Wir geben zum Teil auch Zulieferer aus Europa vor, die ihre Komponenten nach Asien liefern. Wir entwickeln unsere eigenen Designs, die dort umgesetzt werden.

Ist China heute noch der einzige Produktionsstandort von Schütte? Es gibt inzwischen wieder ganz leichte Ansätze, in Italien und Europa zu produzieren. China hat den Vorsprung jedoch gehalten, weil sich das Land sehr entwickelt hat. Die Fabriken werden immer automatisierter, die Löhne sind wahnsinnig gestiegen. Vor knapp 20 Jahren lag der Lohn eines Fabrikarbeiters irgendwo bei 100 Dollar. Heute verdienen gute Mitarbeiter bis zu 1300 Dollar im Monat. Daran sieht man aber auch, dass das Lohnniveau insgesamt in China stark gestiegen ist. Im Vergleich zu Osteuropa ist die Produktion in China nicht mehr unbedingt günstiger.

Gerade beim Thema Design und Know-how klingeln bei dem einen oder anderen jedoch die Alarmglocken. Haben Sie Probleme mit Nachahmerprodukten? Ja, die haben wir durchaus. Auf dem chinesischen Markt ist es schwierig und sehr aufwendig, dagegen vorzugehen, gerade für einen Mittelständler wie uns. Bei einem Konzern ist das anders. Entsprechend sind Rechtsstreitigkeiten in China für uns bislang selten positiv ausgegangen. Wir hatten aber auch in Europa schon mehrfach Abmahnungen gegen Marktbegleiter. Besonders kritisch sehe ich den Bereich Internet. Auf Plattformen gibt es viele Anbieter aus China, deren Produkte die vorgegebenen hygienischen Vorschriften in Deutschland nicht einhalten. Gegen sie wurde noch kein Mittel gefunden, und das tut uns und unseren Kunden weh. Gegen Unternehmen mit Niederlassungen in Europa sind wir schon häufiger und auch sehr erfolgreich mit Abmahnungen vorgegangen. An die Spielregeln muss sich jeder halten. War die Gefahr von Produktpiraterie für Sie ein Thema, als Sie die Entscheidung für den Produktionsstandort China getroffen haben?

Eine eigene Fabrik hat Schütte bis heute in China aber nicht? Nein, dafür sollte man noch eine Nummer größer sein als wir. Das

hat dann auch ein Stück weit mit Politik zu tun, und da halten wir uns komplett raus. Wir kaufen die Ware auch erst, wenn unsere chinesischen Partner sie durch den Zoll gebracht haben. Wir wurden schon mehrfach von der Lokalregierung eingeladen, auch direkt im Land zu investieren. Wir gehen aber lieber enge partnerschaftliche Wege. Das ist eine andere Kultur, und dann bräuchten wir ein lokales Management vor Ort. Wir spielen aber mit dem Gedanken, ob es an einem anderen Standort Möglichkeiten es für eine eigene Produktion geben kann. Da haben wir eine Projektgruppe. Sprechen Sie Chinesisch? Nur ein paar Worte, mehr nicht. Damit könnte ich aber nicht einmal eine Aufsichtsratsfunktion übernehmen. Ich wäre auch dafür, Chinesisch an Schulen hier in Deutschland anzubieten. Dass man die Sprache nicht auf dem Schirm hat, ist ein Fehler. Wir reden über mehr als eine Milliarde Menschen in China und zwei Milliarden, deren Muttersprache Chinesisch ist. Und China ist unser größter Handelspartner.

Foto:David Ebener

Sind Sie auf der Suche nach weiteren Standorten? Wir halten in Europa sicherlich die Augen offen, denn man muss auch immer die politischen Rahmenbedingungen mit im Blick haben. Wenn man sich den aktuellen Handelsstreit zwischen den USA und China anschaut, würden uns Zölle hart treffen. Wir haben direkt zwar nur marginale Kontakte zum US-Markt, aber unsere chinesischen Partner produzieren auch für US-Firmen. In dem Moment, in dem die Fabriken weniger in die USA absetzen oder von Kunden in den USA unter Druck gesetzt werden, schlägt das auch auf uns durch. Zum Glück sind unsere Lieferanten nicht direkt vom US-Markt abhängig. Wenn Sie nach knapp 20 Jahren Bilanz ziehen, was haben Sie aus dem Schritt nach China gelernt? Uns würde es ohne diesen Schritt heute definitiv nicht mehr geben. Wer von unseren Marktbegleitern heute noch da ist, ist ebenfalls den Schritt nach Asien gegangen. Das zeigt mir, dass es keine Alternative gab.

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SPEZIAL REGION & CHINA

SPEZIAL REGION & CHINA

„Da lacht das Unternehmerherz“ NOZ-Wirtschaftstalk: Unternehmer diskutieren über Potenziale und Risiken des chinesischen Marktes

Trotz langsameren Wirtschaftswachstums bleibt China interessant. VON NINA KALLMEIER UND BERTHOLD HAMELMANN

OSNABRÜCK Mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner sind jüngst gleich zwei Bundesminister nach China gereist, um die Wirtschaftsbeziehungen zum wichtigsten Handelspartner deutscher Unternehmen weiter zu verbessern. Doch nicht nur im Bund, auch in der Region spielt China eine Rolle – wie für die Sievert AG. Die Hälfte seiner 100jährigen Firmengeschichte ist das Osnabrücker Familienunternehmen mit Fernost wirtschaftlich verbunden. „Die ersten 40 Jahre waren wir ein Import-Export-Unternehmen für Baustoffe, seit zehn Jahren haben wir eine eigene Produktion“, so Gesellschafter Hans-Wolf Sievert. Produziert wird aktuell in vier Werken, dabei soll es aber nicht bleiben. „Das fünfte Werk ist schon angedacht.“ Auch für die Paus Maschinenfabrik ist China ein Markt. „Das Land ist ein weltweiter Treiber in allem, was mit Bergbauprodukten zu tun hat. Auch wenn die chinesische Wirtschaft ein paar Prozentpunkte verliert, Rohstoffe werden immer gebraucht. Insofern ist China ein großer Abnehmermarkt für Maschinen wie unsere“, machte Geschäftsführer Franz-Josef Paus deutlich. Das heißt in diesem Fall Maschinen für den Kohlebergbau. „Den Markt bearbeiten wir zusammen mit einem chinesischen Partner in einem Joint-Venture“, so Paus. Das wurde 2005 gestartet. „Bis 1988 gingen Investitionen in China nur über ein Joint-Venture, seither können auch 100-prozentige Tochterunternehmen gegründet werden“, erinnerte sich Hans-Wolf Sievert. Allerdings gilt das nicht für alle Branchen gleichermaßen. Für die Automobilindustrie öffnet sich das Land gerade erst weiter, indem schrittweise Beteiligungsgrenzen fallen. Zum ersten Mal in China war Sievert 1966. „Da war Mao noch am Ruder. Er hatte sich allerdings weniger für Wirtschaft interessiert, ihm ging es um Ideologie, eine Kulturrevolution. Entsprechend schlecht entwi-

„Auch wenn die chinesische Wirtschaft ein paar Prozentpunkte verliert, Rohstoffe werden immer gebraucht.“ Franz-Josef Paus

Foto:imagoimages/View Stock

STECKBRIEF

Marko Schluroff, Geschäftsführer Salt & Pepper

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ls einer von vier Geschäftspartner hat Marko Schluroff 2008 die Salt and Pepper Holding GmbH & Co. KG gegründet. Zuvor hatte der 49-Jährige verschiedene Führungspositionen bei zwei Ingenieurdienstleistern inne. Sein Studium der Produktionstechnik absolvierte er an der Universität Bremen – nachdem er eine Ausbildung zum Geräte- und Feinwerktechniker bei Philips in Bremen absolviert hatte. Innerhalb der Salt and

Foto:GertWestdörp

Kooperationen und Geschäfte auf Augenhöhe sind von Vorteil.

ckelte sich in der Zeit die Industrie. Als Mao starb, lag der Bereich am Boden.“ Mit seinem Tod habe dann die Öffnung Chinas in Richtung Westen begonnen. „Seither entwickelt sich die Wirtschaft rasant, bis zum heutigen Tag“, so der Gesellschafter. Ähnlich hat es Franz-Josef Paus erlebt – obwohl sein Unternehmen erst seit rund 14 Jahren mit China verbunden ist. „Das Land ist selbst in dieser Zeit wesentlich dynamischer und weltoffener geworden. Als wir angefangen haben, hat sich China selbst als eine Art Entwicklungsland gesehen. Auch wenn das natürlich schon damals nicht der Fall gewesen ist.“ Seither sei die Infrastruktur deutlich ausgebaut worden. „Man bewegt sich da genauso wie hier. Es ist nur alles wesentlich kribbeliger – und es gibt keine Privatsphäre.“ „Das stört sie gar nicht“, ergänzt Sievert. Mit dem Grad der Überwachung würden die Chinesen selbst erstaunlich gelassen umgehen, sagt auch Marko Schluroff, Gründer und Geschäftsführer von Salt and Pepper. Das Bremer Unternehmen ist in Osnabrück mit seinen Geschäftsbereichen Technology und Software vertreten. In China ist Salt and Pepper nicht mit einer Produktion oder einem Produkt, sondern als eine Art „Mittelsmann“ tätig. Es berät Unternehmen aus China, vor allem Zulieferer – aber auch Firmen aus Deutschland. „Für uns war es ein Zufall und eine mutige Entscheidung, dass wir den Schritt nach China gegangen sind“, sagt Schluroff. Auf einer Messe seien sie von einem chinesischen Unternehmer, der für einen großen deutschen Automobilhersteller fertigt, angesprochen worden. „Er fragte, ob wir ihm nicht mit der Qualität seiner Produkte, dem Management und der Logistik helfen könnten.“ Kurz vor Weihnachten 2014 flogen drei Ingenieure nach China und schauten sich das Werk an. Dann wurde über einen Zeitraum von gut zwei Jahren das Werk optimiert. Daraus hat sich mehr entwickelt. „Irgendwann kamen dann deutsche Firmen auf uns zu, ob wir nicht Stanzwerkzeuge von China nach Deutschland liefern könnten. Viele hatten es selbst probiert und haben dann am Ende nicht die Qualität bekommen, die sie gewollt haben“, so Schluroff. „Wir übernehmen die Methodenplanung und Konstruktion in Deutschland, lassen anschließend mit unseren chinesischen Partnern fertigen und kümmern uns um die Versendung per Bahn oder Schiff zurück nach Deutschland.“ Geschäftsanbahnungen sind in China schwierig, weiß Hans-Wolf Sievert aus Erfahrung. Es sei ein sehr arbeitsintensiver Markt, der sehr viel persönlichen Kontakt verlange. „Das liegt auch in der Unterschiedlichkeit der Kulturen. Man muss sich sehr gut darauf vorbereiten, wenn man erfolgreich sein will“, so der Unternehmer. Dazu zählt auch die Sprache. Sievert spricht Chinesisch – wenn auch nach so vielen Jahren noch immer nicht perfekt, wie er selbst sagt. Die Sprachkenntnisse würden jedoch wertgeschätzt. Diese Wertschätzung gibt es auch für Technologie „made in Germany“. „Die Maschinen, die wir produzieren, haben in China den Stempel ,Hochtechnologie‘bekommen. Das hat einen anderen Stellenwert im System“, sagt Paus. Diese Auszeichnung sei auch Motivation für chinesische Unternehmen gewesen, mit den Emsländern zusammenzuarbeiten. „Aber man muss sich auch ernst nehmen und auf Augenhöhe kommunizieren.“ Die Kommunikation auf Augenhöhe ist es auch, die für Franz-Josef Paus eine erfolgreiche Zusammenarbeit ausmacht, ebenso wie eine realisti-

Pepper Holding verantwortet Marko Schluroff das China Geschäft und betreut die Key Accounts Deutschland. Elf Jahre nach der Gründung beschäftigt die Bremer Unternehmensgruppe in Deutschland und China zusammen 750 Mitarbeiter, rund 100 von ihnen in Osnabrück. Seit 2017 ist er auch in leitender Funktion im Verband Automotive Nordwest aktiv – als stellvertretender Vorsitzender und Schatzmeister.

STECKBRIEF

Hans-Wolf Sievert, Gesellschafter Sievert AG

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ach dem Studium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie der Sinologie war HansWolf Sievert im Außenhandel in Hongkong tätig. Anschließend promovierte er in Sozialund Wirtschaftspsychologie an der Universität Linz, bevor er für die Deutsche Bank tätig wurde, in deren Beirat er auch fast 20 Jahre lang saß. 1980 kehrte Sievert nach Osnabrück zurück und übernahm die Ge-

Foto:GertWestdörp

schäftsführung der Sievert Baustoffgruppe, von 1986 bis 2005 war er Vorstandsvorsitzender der Sievert AG, bevor er bis 2018 deren Aufsichtsratsvorsitz übernahm. Seither ist er Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats. Zusätzlich ist Sievert auch lehrend tätig. Seit 1997 ist er Honorarprofessor für Internationales und Interkulturelles Management im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Osnabrück.

STECKBRIEF

Franz-Josef Paus, Geschäftsführer Paus Maschinenfabrik

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n zweiter Generation leitet der Diplom-Ingenieur Franz-Josef Paus heute zusammen mit seinem Bruder Wolfgang Paus die Geschicke des Emsbürener Familienunternehmens. Die Geschäftsführung hat Paus 2002 von Unternehmensgründer Hermann Paus übernommen. Die Paus Maschinenfabrik hat sich insbesondere als Hersteller von Fahrzeugen für den Berg- und Tunnelbau weltweit einen Namen gemacht. Rund 90 Pro-

zent der Maschinen gehen in den Export. Innerhalb von gut 50 Jahren sind aus der Handvoll Mitarbeiter mehr als 250 geworden. Vor zwei Jahren ist Franz-Josef Paus von den Mitgliedern des VDMA-Fachverbandes Bau- und Baustoffmaschinen zum Vorsitzenden gewählt worden. In dieser Funktion spricht Paus für 330 meist mittelständische Unternehmen der Bau-, Baustoff-, Glas- und Keramikmaschinenindustrie.

Foto:GertWestdörp

China ist ein arbeitsintensiver Markt für Unternehmen.

sche Markteinschätzung. „Man darf die eigenen Erwartungen nicht so hoch hängen. Die eigenen Produkte sind nicht für alle 1,3 Milliarden Chinesen relevant. Wenn man davon ausgeht, wird man Schiffbruch erleiden“, ist sich der Unternehmer sicher. Und noch etwas ist für Hans-Wolf Sievert wichtig: Es müsse immer das Risiko im Verhältnis zu den nötigen Investitionen abgewogen werden. „Ich werde öfter mal gefragt: Soll man in China investieren?“, sagt Sievert. Eine eindeutige Antwort darauf geben kann er nicht. „Die Chancen sind groß, viele Unternehmen scheitern jedoch auch.“ Und es gebe jene, die es versuchen und sich aus China zurückziehen, weil der Markt letzt-

lich doch zu schwierig ist. „Man muss sich das gut überlegen. Gerade für den Mittelstand bin ich aber geneigt zu sagen: Schaut es euch genau an“, so der Unternehmer. Sowohl die Entfernung als auch die unterschiedlichen Kulturen sollten aber nicht unterschätzt werden. Neben der Kultur gibt es jedoch auch andere, ganz praktische Schwierigkeiten, die Marko Schluroff anspricht – wie Finanztransaktionen. „Das ist für uns eine Herausforderung“, sagt der Unternehmer. „Man kann Gewinne nicht einfach so transferieren.“ Das kann Hans-Wolf Sievert unterstreichen, doch für ihn bleibt der größte Unterschied die Kultur. „Die unternehmerischen

Chancen sind da, aber die Umsetzung ist mit großem Einsatz und langem Atem verbunden“, ist er sich sicher. „Das ist wie immer: Wenn zwei das Gleiche wollen, ist es ganz einfach. Und China will sich weiterentwickeln“, ist sich Franz-Josef Paus sicher. Unternehmen aus Deutschland würden gerne als Partner genommen. „So war das auch bei uns. Man hat Lösungen gesucht und uns angesprochen.“ Ähnlich verlief der Einstieg der Sievert AG produktionsseitig in den chinesischen Markt. „Wir sind aufgefordert worden zu investieren. Die Bauwirtschaft war marode, Häuser wurden nach 10 bis 20 Jahren wieder abgerissen und neu gebaut.“ So sei

das Unternehmen gefragt worden, ob es den Aufbau der Bauwirtschaft unterstützen würde. Bis heute geht die Sievert AG auch ganz bewusst den Weg des Joint Ventures, ebenso wie die Paus Maschinenfabrik. „Ohne Joint Venture wäre es wahrscheinlich deutlich schwieriger“, sagt Franz-Josef Paus. „Wenn man niemanden kennt, ist es immer schwieriger, Fuß zu fassen. Das gilt nicht nur für China, sondern auch für Osnabrück oder das Emsland“, betont der Unternehmer. Auch das Unternehmen Salt and Pepper geht den Weg der Partnerschaft seit vier Jahren – in der Zusammensetzung interkultureller Teams. „Wir haben gelernt, dass eine Zusammenarbeit sehr gut funktioniert. Wir haben Teams mit chinesischen und deutschen Mitarbeitern zusammengestellt und die Projekte gemeinsam realisiert.“ Den praktischen Nutzen einer Partnerschaft erklärt Hans-Wolf Sievert so: „Der Partner kennt den Markt und das Land besser. Wir bringen also praktisch die Technologie ein, der Partner den Markt.“ Da stellt sich die Frage nach einem der größten Vorurteile gegenüber chinesischen Geschäftspartnern: Design und Produkte werden gerne kopiert. Franz-Josef Paus sind seine Maschinen noch kein zweites Mal auf einer Messe oder Ähnlichem begegnet. „Man kann aber auch sagen, dass unsere Maschinen sehr speziell und nur für einen relativ kleinen Markt von Interesse sind“, so Paus. Entsprechend gering sei der Vorteil, den man aus Kopien ziehen kann. Das mache andere Märkte wesentlich interessanter. Es gebe jedoch auch Kollegen, die mit Produktpiraterie mehr Probleme hätten. „Was man auch nicht vergessen darf: Diebstahl von geistigem Eigentum gibt es nicht nur in China“, ergänzt Sievert. Dem kann Franz-Josef Paus nur zustimmen – auch wenn die Produktpiraterie in China eine andere Dimension habe als anderswo. „Zu Beginn ist das Problem sicherlich größer gewesen als heute“, ist sich Sievert sicher. Nicht umsonst habe es bis 1988 die Pflicht zum Joint Venture gegeben. Marko Schluroff bringt erneut die unterschiedlichen Kulturen ins Spiel. „In China ist es eine Ehre, wenn ein Produkt kopiert wird. Eine Art Anerkennung.“ „Eine Ehrung des Meisters“, wirft Sievert ein. Der Gedanke lasse sich historisch bis zu Konfuzius zurückverfolgen. Für die Partner, mit denen Salt and Pepper zusammenarbeitet, ist es sogar wichtig, von einem Know-howAustausch zu profitieren. „Chinesische Firmen dürfen für deutsche OEMs nur Komponenten fertigen, wenn sie gewisse Fertigkeiten und Standards erfüllen“, erklärt Marko Schluroff. Entsprechend wurden sie von den Konzernen „aufgeschlaut“ – eine Win-win-Situation für beide Seiten, findet der Geschäftsmann. Auch gesellschaftlich hat sich für Hans-Wolf-Sievert eine Menge getan. „Der chinesische Staat erlässt immer mehr Gesetze, die geistiges Eigentum und Investitionen schützen“, so der Unternehmer. Das hat ganz praktische Gründe: „Die chinesische Regierung muss auch versuchen, ihre eigene Industrie zu schützen. Mittlerweile haben chinesische Firmen mehr Patente als jedes andere Land.“ Entsprechend gebe es auch viel chinesisches Know-how, das geschützt werden muss. Forschung und Entwicklung seien stark, in einigen Bereichen seien chinesische Unternehmen anderen mittlerweile deutlich voraus – nicht nur in der Kommunikations- oder Biotechnologie. Ansätze sieht HansWolf Sievert auch im Bereich Bau-

stofftechnologie. „Da sind wir in einigen Bereichen von der chinesischen Konkurrenz überholt worden.“ Und was tun die Osnabrücker dagegen? „Man studiert und analysiert das Konkurrenz-Produkt – und versucht anhand der Daten, die Zusammensetzung des Produkts noch zu übertreffen“, sagt Sievert mit einem Augenzwinkern. Ein zweites Vorurteil gegenüber China ist für Sievert völlig aus der Luft gegriffen. „Der Vorwurf, es gebe einen Ausverkauf von deutschem Know-how, ist vollkommene Hysterie.“ Investitionen in Deutschland hätten einen Anteil von 0,5 Prozent an den gesamten Auslandsinvestitionen Chinas. „Von einem Ausverkauf des deutschen Mittelstands kann also keine Rede sein“, betont der Unternehmer. Und wie wird sich der Markt künftig für Mittelständler entwickeln? Trüben sich die Chancen ein? Nein, findet Franz-Josef Paus. „Das Wachstum ist immer noch deutlich höher als in Deutschland und Europa, und das wird sich so schnell auch nicht ändern.“ Auch den für den Maschinenbauer aus dem Emsland wichtigen Kohleabbau sieht Paus nicht auf dem absteigenden Ast. „China ist stark auf Kohle und andere fossile Brennstoffe angewiesen, insofern investiert das Land weiterhin viel in den Kohlebergbau. Unsere Märkte flauen nicht ab.“ Eine Konsolidierung im Markt begrüßt Paus sogar. „Das bedeutet höhere Standards in den Bergwerken – was wiederum für uns eher mehr als weniger Chancen eröffnet.“ Nichtsdestotrotz, alles auf die chinesische Karte setzt der Unternehmer nicht. „Wir entwickeln parallel. Unser größter Markt ist Russland, gefolgt von Süd- und Nordamerika, und wir expandieren in allen Teilen der Welt“, so Paus. Für Salt and Pepper entwickelt sich das Geschäft in China mit deutschen Auftraggebern gerade erst. Allerdings sieht Schluroff hier langfristig Herausforderungen. „Der Werkzeugbau ist in den vergangenen Jahren stark verlagert worden, und die Produktionen werden irgendwann wieder weiterziehen, denn die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Produktion in China verändern sich“, betont er Die Bauindustrie indes boomt – zur Freude von Hans-Wolf Sievert. „Für uns und unsere Branche sehe ich in China sehr viele Möglichkeiten. Größere als hier in Europa. Es wird unglaublich viel gebaut. Da lacht das Herz eines Mittelständlers.“ Wird China somit ein größerer Markt als Deutschland werden? „Das werde ich nicht mehr erleben. Aber vielleicht mein Sohn. Denkbar ist das.“ Doch so oder so, für Hans-Wolf Sievert bleibt die Sievert AG ein Osnabrücker Unternehmen.

„Dass ein Ausverkauf von deutschem Know-how stattfindet, ist nicht nachvollziehbar.“ Hans-Wolf Sievert

Foto:imagoimages/View Stock


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

SPEZIAL REGION & CHINA

Von Tigern und Panthern Für niedersächsische Unternehmen bietet der gesamte südostasiatische Wirtschaftsraum Chancen VON NINA KALLMEIER

OSNABRÜCK/MEPPEN/ NORDHORN Alleine in China sind aus dem Bezirk der Industrie- und Handelskammer (IHK) OsnabrückEmsland-Grafschaft Bentheim 248 Unternehmen aktiv, 49 von ihnen haben eine Vertriebs- oder Produktionsstätte in Fernost. Niedersachsenweit haben Firmen im vergangenen Jahr Waren im Wert von gut 4,2 Milliarden Euro exportiert – das waren allerdings, vor allem aufgrund der Automobilindustrie, rund 14 Prozent weniger als noch 2017. Importe aus China nach Niedersachsen sind im gleichen Zeitraum lediglich um gut ein Prozent auf einen Wert von 6,7 Milliarden Euro gestiegen. Einen Grund für den Rückgang im Handelsvolumen zeigt die aktuelle Umfrage „Going International“ des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) auf: Erstmals überhaupt haben mehr als die Hälfte der niedersächsischen Unternehmen angegeben, dass sie im Jahr 2018 konkret von einer Zunahme an Handelshemmnissen betroffen waren. Dazu zählen auch die Zolleinführungen aufgrund des Handelsstreits zwischen den USA und China, bei dem kein Ende in Sicht ist. Entsprechend sind die Geschäftserwartungen niedersächsischer Unternehmen in China im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen. Sind die Nationen in Südostasien die lachenden Dritten? Anfangs waren es vor allem die vier „Tigerstaaten – Südkorea, Taiwan, Singapur und Hongkong –, die das Interesse hiesiger Unternehmen auf sich zogen. Jene Staaten beziehungsweise Zonen, die in Anlehnung an die kraftvolle Energie des Tigers in den 1980er-Jahren mit rasantem Wirtschaftswachstum den Sprung vom Entwicklungsland zum Industriestaat wagten. Später folgten die vier sogenannten Pantherstaaten – Indonesien, Malaysia, Thailand und die Philippinen –, die eine ähnliche Entwicklung anstrebten, deren Aufstreben jedoch durch die Asienkrise 1997 gebremst wurde. Erste Berechnungen, wonach gerade Südostasien von den Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China profitieren könnte, gibt es be-

reits. Sie kommen unter anderem von der Weltbank und geben einen Eindruck von der Größenordnung der Summen, die durch den Zoll-Streit weltweit neu verteilt werden könnten. Ein Überblick über die wichtigsten Staaten und Zonen in Ostasien: Vietnam: Eine Berechnung der Weltbank zeigt, dass vor allem Vietnam mit seinen mehr als 95 Millionen Einwohnen vom Zoll-Streit profitieren könnte. Mit einem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von fast sieben Prozent im Jahr 2018 ist das Land einer der dynamischsten Märkte der Welt. Laut Industrie- und Handelskammer (IHK) Osnabrück-EmslandGrafschaft Bentheim bietet Vietnam im Zuge des Aufholprozesses der vergangenen Jahre auch Unternehmen aus der Region viele Chancen. Zudem habe Vietnam das Ziel, mittelfristig Freihandelsabkommen mit 58 Ländern abzuschließen. Mit der EU könnte es noch in diesem Jahr zu einem Abkommen kommen, wodurch sich auch für regionale Unternehmen neue Möglichkeiten bieten würden. Aktuell exportieren laut IHK 42 Unternehmen aus den Landkreisen Osnabrück und Emsland sowie aus der Grafschaft Bentheim nach Vietnam, elf Firmen importieren, immerhin zwei Unternehmen haben dort eine Niederlassung, drei eine Produktionsstätte. Ähnlich sieht die Lage mit Blick auf Niedersachsen aus. Unternehmen schickten laut Landesamt für Statistik 2018 Waren im Wert von rund 209 Millionen Euro nach Vietnam – das sind zwei Prozent an den Gesamtausfuhren und Platz 50 im Ländervergleich. Der Wert der nach Niedersachsen eingeführten Waren belief sich auf 690 Millionen Euro – 0,8 Prozent der gesamten Einfuhrmenge. Philippinen: Auch die Philippinen könnten laut Berechnung der Weltbank zu den Profiteuren umgelenkter Handelsströme gehören: Demnach

gut 500 Millionen Euro, im vergangenen Jahr lag der Wert mit 1,1 Milliarden wurden mehr als doppelt so hoch. Der Wert der Importe belief sich im vergangenen Jahr auf rund 752,9 Millionen Euro. Nach koreanischen Angaben sind im Land etwa 500 deutsche Unternehmen oder Firmen mit Kapitalbeteiligung aus Deutschland vertreten und beschäftigen rund 100 000 koreanische Arbeitnehmer.

Montage:MatthiasMichel

könnten sie ihre Wirtschaftsleistung auf diese Weise um bis zu 4,1 Prozent steigern. Laut Observatory of Economic Complexity (OEC) ist neben China (20 Milliarden US-Dollar) Deutschland (5,3 Milliarden US-Dollar) eines der größten Exportziele. Singapur: Erst im Februar hat das Europäische Parlament seine Zustimmung für das ausgehandelte Handelsabkommen der EU mit Singapur gegeben. Es ist das erste bilaterale Abkommen der EU mit einem südostasiatischen Land. Kommissionspräsident JeanClaude Juncker bezeichnete es als einen wichtigen Baustein „beim Aufbau engerer Verbindungen zwischen Europa und einer der dynamischsten Regionen der Welt“. Niedersächsische Unternehmen exportierten laut Statistikern im vergangenen Jahr Waren im Wert von 313 Millionen Euro nach Singapur – ein Anteil von 0,4 Prozent an den Gesamtausfuhren. Europaweit haben mehr als 10 000 Unternehmen eine Niederlassung in dem

Stadtstaat und nutzen das Land als Drehscheibe, um die gesamte Pazifikregion zu bedienen. Thailand: Vor allem touristisch macht Thailand von sich reden – allerdings ist das Land auch einer der wichtigsten Standorte für die Automobilproduktion in Asien. Fast alle weltweit führenden Automobilhersteller, Monteure und Komponentenhersteller sind in dem Land präsent – und es gibt ehrgeizige Ziele: Bis 2020 will Thailand mehr als 3,5 Millionen Fahrzeuge produzieren. Betriebe aus Niedersachsen exportierten im vergangenen Jahr Waren im Wert von 233 Millionen Euro in das Land – ein Anteil von 0,3 Prozent an den Gesamtausfuhren. Der Wert der Einfuhren belief sich 2018 auf 361 Millionen Euro – 0,4 Prozent der Gesamteinfuhren. Indonesien: Nach China ist Indonesien das bevölkerungsreichste Land und verfügt über Rohstoffe – von Ölreserven über Bauxit bis hin zu Holz und Palmöl. Der Wert der aus Indonesien nach Niedersachsen importierten Waren belief sich im vergangenen Jahr auf 276 Millionen Euro – ein Anteil von 0,3 Prozent an den Gesamteinfuhren.

Malaysia: Der aus zwei getrennten Landesteilen bestehende Staat gilt ökonomisch und politisch als einer der stabilsten in Südostasien. Für Unternehmen in Niedersachsen gehört das Land zu einem der wichtigere Handelspartner. Der Wert der aus Niedersachsen nach Malaysia exportierten Waren belief sich 2018 auf 269 Millionen Euro – ein Anteil von 0,3 Prozent an den Gesamtausfuhren. Importe hatten im Gegenzug einen Wert von 470 Millionen Euro – ein Anteil von 0,5 Prozent der Gesamteinfuhren. Südkorea: Das Freihandelsabkommen zwischen Südkorea und der Europäischen Union hat Importe und Exporte florieren lassen. Das gilt auch für die 109 Firmen im Bezirk der IHK Osnabrück-EmslandGrafschaft Bentheim, die Handelsbeziehungen mit dem Land auf der Koreanischen Halbinsel unterhalten. „Das Abkommen zeigt, was ein freier Handel bewirken kann“, ist Tilman Brunner, Außenhandelsexperte der Industrie- und Handelskammer Niedersachsen (IHKN), überzeugt. Die Zahlen geben ihm recht. 2010 lag der Wert aus Niedersachsen exportierter Waren noch bei

Taiwan: Anfang des Jahres hat Taiwan ein Programm aufgelegt, um lokale Auslandsinvestoren wieder zurück ins Land zu holen – für einige Beobachter mit größerem Erfolg, als zu erwarten war. Für einige Unternehmer scheint die Rückkehr in den Heimatmarkt ein „Plan B“ für Investitionen angesichts des sich verschärfenden Handelskonflikts zwischen den USA und China zu sein. Niedersächsische Firmen haben im vergangenen Jahr Waren im Wert von 436 Millionen Euro nach Taiwan exportiert – ein Anteil von 0,5 Prozent an den Gesamtausfuhren. Der Wert der Einfuhren nach Niedersachsen betrug im Gegenzug rund 423 Millionen Euro – ein Anteil von 0,5 Prozent an den Gesamteinfuhren. Hongkong: Die chinesische Sonderverwaltungszone zählt zu den am weitesten entwickelten und reichsten Volkswirtschaften weltweit – auch wenn der Reichtum ungleich verteilt ist. Hongkong ist stark vom Handel geprägt zu zählt zu den Finanzzentren und ist eine der wichtigsten Tourismusdestinationen Asiens. Auch im Handelsstreit zwischen China und den USA könnte die Sonderverwaltungszone eine Möglichkeit sein, um Chinas Zölle zu umgehen, wenn Logistikzentren für Konsumgüter vom chinesischen Festland in die Sonderverwaltungszone Hongkong verlegt werden, sodass für Produkte, die aus den USA kommen, keine Strafzölle fällig werden. Niedersächsische Unternehmen exportierten laut Landesamt für Statistik im vergangenen Jahr Waren im Wert von 307 Millionen Euro nach Hongkong – ein Anteil von 0,4 Prozent an den Gesamtausfuhren.

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SPEZIAL REGION & CHINA

GroßesBrimboriumzurInbetriebnahmedesQuick-Mix-Werkes in Shaoxingbei Schanghai.GuteBeziehungenzur politischen FührungsindfürUnternehmenwichtig,umin ChinaFußzufassen.

Foto:SievertAG

Der schmale Grat zwischen Vitamin B und Korruption Warum sich die Sievert AG lange nicht nach China wagte – Heute mit drei Werken auf Erfolgskurs VON WILFRIED HINRICHS

OSNABRÜCK Vor fünf Jahren zog die Osnabrücker Sievert-Gruppe in China den größten Auftrag ihrer hundertjährigen Firmengeschichte an Land. Für 55 Hochhäuser in Osnabrücks Freundschaftsstadt Hefei, jedes 33 Stockwerke hoch, lieferte die Baustoffgruppe den Fassadenputz. „China steht für einen schier unermesslich scheinenden Baumarkt“, sagte damals Sievert-Vorstandsmitglied Carsten Beier. Trotz der „unermesslichen“ Aussichten hatte das Osnabrücker Familienunternehmen sich lange geziert, nach China zu gehen. Aus gutem Grund. Hans-Wolf Sievert, Gesellschafter der Sievert AG und heute Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates, ist in Deutschland einer der besten Kenner der chinesischen Wirtschaftsseele – vielleicht sogar der beste. In den Sechzigerjahren lernte der heute 77-Jährige Chinesisch. Wer machte das damals schon – in einer Zeit, als Mao Tse-tung sein Land mit der Kulturrevolution terrorisierte und die Menschen vom Rest der Welt abschottete? 1968 bereiste Sievert erstmals im Dienst des Baustoffunternehmens das Reich der Mitte. 1984 begleitete er eine niedersächsische Delegation unter der Leitung des damaligen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht in die Provinz Anhui mit der Hauptstadt Hefei. Damals hatte Hefei 350 000 Einwohner. Heute sind es weit über sieben Millionen. Weil Hans-Wolf Sievert China so gut kennt, mied sein Unternehmen lange Zeit den chinesischen Markt. Peking ließ bis vor zwei Jahren ausländische Firmen nur in Gemeinschaftsunternehmen mit einem chinesischen Partner ins Land. Sievert wusste um die Probleme, die sich europäischen Unternehmen stellen, die sich auf ein Joint Venture in China einlassen. Er konnte die Gefahren einschätzen, die sich aus einer grundlegend anderen Managementkultur ergeben. Er wusste, dass es nicht leicht ist, in China Geld zu verdienen. Auf der anderen Seite die Chancen: der große Bedarf an Neubauten und Renovierungen in China sowie die hohe Nachfrage nach moderner Bautechnologie. Außerdem konnte die Sievert-Gruppe ihre Abhängigkeit vom damals schwächelnden deutschen Markt reduzieren. Erst 2006 gab Hans-Wolf Sievert dem massiven Drängen der chinesischen Behörden in der Provinz Anhui nach. Als eine politische Delegation aus Osnabrück in Hefei einen Freundschaftsvertrag unterzeichnete, besiegelte Sievert mit einem chinesischen Partner den Bau des ersten Werkes für Trockenmörtel und Bauelemente in Hefei. Die Sievert-Gruppe habe sich nicht aufge-

drängt, sondern sei „gefragt worden“, sagte Sievert bei der Inbetriebnahme zwei Jahre später. China braucht Wohnungen ohne Ende. Die Städte wachsen in atemberaubender Geschwindigkeit, auch weil Peking die Menschen vom strukturschwachen Land in die Städte lockt. Dass Sievert dem Lockruf der Chinesen folgte, hat seinen Grund auch in einer Qualitätsoffensive. Chinesischer Wohnungsbau, das hieß lange Zeit: billig, schnell, einfach. Das änderte sich nach der Jahrtausendwende. Peking wollte mehr Qualität im Wohnungsbau – und dabei konnte Sievert helfen. Im März dieses Jahres nahm die Sievert-Gruppe ihr drittes chinesisches Werk in Betrieb. In Shaoxing bei Schanghai produziert Sievert unter der Marke quick-mix Baustoffe für den chinesischen Markt. In Feidong betreibt die Sievert-Marke fdu ein Werk für Bauelemente (Decken, Wände. Fertigkeller). In Schanghai und Nanjing unterhält die Gruppe Vertriebsbüros. Darüber hinaus produziert das Unternehmen in Hefei unter der Marke Hahne Material für Boden- und Deckenbeschichtungen. Die Geschäfte laufen gut, wie Hans-Wolf Sievert und der Sprecher der Geschäftsführung, Jens Günther, bestätigen. Auch wenn Chinas Wirtschaft nicht mehr in dem Tempo der vergangenen Jahrzehnte wächst, dreht sich die Bauwirtschaft weiter auf Hochtouren, nicht nur auf dem Neubausektor. Auch China hat den Sinn der energetischen Ertüchtigung erkannt und lässt Hochhäuser im großen Stil mit Fassadendämmung nachrüsten.

„Ich bin alle zwei Monate in China, um die Beziehungen zu pflegen.“ Hans-Wolf Sievert, Gesellschafter der Sievert AG

Auch Dach- und Bodenbeschichtungen – etwa in Parkhäusern – sind sehr gefragt. „Es war 2006 eine gute Entscheidung, nach China zu gehen“, sagt Hans-Wolf Sievert heute. Der Hochschulprofessor und Ex-Manager rät aber jedem, der mit China liebäugelt, sich sehr gut vorzubereiten. Sievert ist erfolgreich in China, weil Hans-Wolf Sievert exzellente Kontakte zu der politischen Führung auf fast allen Ebenen pflegt. Die Beziehung ist über Jahrzehnte gewachsen. Sievert genießt drüben hohes Ansehen – er wurde 2013 zum Ehrenbürger von Hefei ernannt und 2014 mit dem Xihu-Freundschaftspreis der Provinz Zhejiang ausgezeichnet, das ist die höchste Ehrung, die ein Ausländer dort bekommen kann. Sievert sagt ganz klar: Wer als deutsches Unternehmen in China Erfolg haben will, muss die politische Führung an seiner Seite haben. „Ich bin alle zwei Monate in China, um die Beziehungen zu pflegen.“ Die Bedeutung dieser besonderen Form der Beziehungspflege zeigt sich auch darin, dass es im Chinesischen ein eigenes Wort dafür gibt: Guanxi. Damit ist das persönliche Netzwerk gemeint, die zwischenmenschliche Beziehung. „Vitamin B“ würden wir vielleicht im Deutschen sagen, wobei es das auch nicht genau trifft. Guanxi meint: sich gegenseitig unterstützen, indem man Beziehungen zu Partnern, Kollegen, Freunden oder Familienangehörigen pflegt und nutzt. Guanxi ist aber kein schlichter Austausch von Gefälligkeiten und kann nicht eingefordert werden. Guanxi muss sich langsam entwickeln. Und da liegt das Problem: Wo hört Guanxi auf und fängt Korruption an? Ministerpräsident Xi Jinping treibt die Korruptionsbekämpfung mit Nachdruck voran und lässt ganz schnell Köpfe rollen. Üppige Geschenke – das war einmal, sagt Hans-Wolf Sievert. Mehr denn je sei Fingerspitzengefühl im Umgang mit chinesischen Parteifunktionären und Wirtschaftsführern gefordert. Sievert versucht, Wirtschaftsstudenten dieses Fingerspitzengefühl zu vermitteln. Er lehrt an der Hochschule Osnabrück Interkulturelles Management, wo es auch darum geht, die unterschiedlichen Mentalitäten im Umgang mit Abmachungen und Verträgen zu verstehen. Verträge sind bei uns bindend, in China gelten sie eher als formale Voraussetzung für eine Kooperation und sind jederzeit verhandelbar. Verhandlungen und Entscheidungsfindungen folgen in der europäischen Managementkultur gern direkten, logischen Schritten. Chinesische Manager umkreisen die Probleme lieber und kommen indirekt über ei-

ne ganzheitliche Gesprächsführung irgendwann zum Ziel. Die innerbetriebliche Planung ist oft ungenau und vage, dafür die Risikobereitschaft deutlich höher als in europäischen Führungszirkeln. Nach Sieverts Erfahrungen kommt es in deutsch-chinesischen Gemeinschaftsunternehmen zu einer „Hybridisierung“. Deutsche Standards setzen sich in den Bereichen Technik, Qualität, Rechnungswesen und Finanzen durch, chinesische Standards beim Personalwesen,

Osnabrück, Oslo, Osaka … Damit Hidden Champions auch auswärts punkten

im Marketing und den Sozialleistungen. Auch die Führungskultur ist sehr unterschiedlich. Ältere Kader genießen in China hohes Ansehen. Das Kollektiv wird höher geschätzt als Individualität. Die Strukturen sind streng hierarisch, wie Sievert an einem chinesischen Sprichwort erläutert: „Auf der Spitze des Berges haben nicht zwei Tiger Platz.“ Die Sievert AG ist an 60 Standorten in Deutschland, China, Russland, Polen, der Schweiz, der Slowakei,

Tschechien, den Niederlanden und Luxemburg aktiv. 1700 Mitarbeiter erwirtschaften einen Jahresumsatz von etwas über 400 Millionen Euro (2018). Am Stammsitz in Osnabrück sind 190 Mitarbeiter beschäftigt. Sievert will sein China-Engagement noch weiter verstärken. „Sicherlich ist dies nicht die letzte Werkseröffnung, die wir feierlich in China begehen“, sagte Hans-Wolf Sievert im März. Die nächsten Etappenziele seien schon ins Visier genommen.

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SPEZIAL REGION & CHINA

Fünf Jahre in chinesischer Hand Die Boge Rubber & Plastics Group generiert heute fast ein Viertel des weltweiten Umsatzes in China VON NINA KALLMEIER

DAMME Wenn es um chinesischen Firmenübernahmen in Deutschland geht, schrillen schnell die Alarmglocken – aus Angst vor einem Ausverkauf des mittelständischen Know-hows. Auch in der niedersächsischen Stadt Damme, gut eine halbe Stunde von Osnabrück entfernt, stießen die Pläne des Automobilzulieferers ZF, sein Geschäftsfeld Gummi-Kunststoff an den chinesischen Industriekonzern TMT zu verkaufen, zunächst nicht auf Begeisterung. Zumal das Geschäft die bis dahin größte chinesische Übernahme in der deutschen Automobilindustrie war. Entsprechend hoch war die politische Aufmerksamkeit – in China wie in Deutschland. Das war vor rund fünf Jahren. Von dieser anfänglichen Skepsis ist heute wenig zu spüren. Das ist sicherlich mit der Tatsache geschuldet, dass die Boge-Gruppe in den vergangenen Jahren dynamisch gewachsen ist. Auch am Standort Damme hat es keine Einschnitte gegeben, immerhin gaben die Chinesen den damals 1800 Mitarbeitern an drei deutschen Standorten eine fünfjährige Beschäftigungsgarantie. Nachdem diese Ende 2018 ausgelaufen ist, laufen aktuell – allerdings vor dem Hintergrund eines schwierigen Marktumfelds – die Verhandlungen zwischen den Tarifpartnern. „Um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Standorte zu verbessern, sind Einsparungen nötig“, sagt Torsten Bremer, Geschäftsführer von Boge Rubber & Plastic und zum Zeitpunkt des Verkaufs unter ZF-Regie bereits Bereichsleiter der Sparte. Das liegt jedoch nicht am Eigentümer. Der erste Kontakt Boges mit China war der Verkauf nicht. Schon rund sechs Jahre länger wird in einem eigenen Werk in Schanghai, dem heute zweitgrößten der Gruppe, produziert. Bis 2007 war der Automobilzulieferer zudem im Rahmen eines Mehrheits-Joint-Ventures in China tätig. Der Schritt zur eigenen Produktion 2008 war klassisch: Boge wurde von einem seiner internationalen Kunden gebeten, in China mit einer eigenen Produktion vor Ort zu sein. Seither ist das Dammer Unternehmen in Fernost gewachsen und beschäftigt heute in China mehr als 1200 Mitarbeiter. Eine direkte Überschneidung in der Produktpalette der Dammer und der Chinesen gibt es nicht. „CRRC, die Muttergesellschaft unseres Eigentümers TMT, ist der größte Bahntechnikkonzern der Welt. Aber wir haben ähnliche Themen“, fasst es Bremer zusammen. In Bahn wie Auto gäbe es diverse Komponenten mit Gummi, Kunststoff und Metall. Somit ergänze man sich im Produktportfolio – und in den Märkten. Daraus ergaben sich neue Entwicklungsmöglichkeiten, erläu-

Leitetdas in Dammeansässige Unternehmen BogeRuber & Plastics: TorstenBremer. Foto:Boge

In ChinaproduziertBogeRuber&Plasticaktuellin zweiWerken.DerProduktionsstart inWuxi,einemdritten Standort,ist noch fürdiesesJahr vorgesehen.

tert der Boge-Chef. Heute boomt nicht nur das Kerngeschäft mit Gummi- und Metallprodukten sowie Kunststoff. Boge Rubber & Plastics ist auch Spezialist etwa für Schwingungstechnik oder den Leichtbau von etwa Pedalerien und Airbag-Gehäusen. Leichtbau sei auch in China angesagt. Mit Blick auf die Elektromobilität nicht verwunderlich: Immerhin wiegt eine Batterie bereits 600 bis 700 Kilogramm. Immer einfach war der Eigentümerwechsel aber dennoch nicht, blickt Bremer zurück. An die unterschiedlichen Arbeitskulturen hat man sich aber herangetastet. „Gerade am Anfang waren natürlich viele Absprachen notwendig. Wir mussten und müssen noch immer viel lernen“, so Geschäftsführer. Auf beiden Seiten – und manches könne man sich in Deutschland auch von den Chinesen abschauen: „Wenn sie ein Thema haben, dann geben die Chinesen Gas.“ Konsequent und mit Kapital, ein Beispiel ist die E-Mobilität. „Es wird etwas entschieden und dann auch umgesetzt. So wird Fortschritt gemacht.“ Etwas von der Entscheidungsfreude würde auch Deutschland manchmal guttun. Insgesamt überwiegen für Tors-

Foto:Boge

ZUR SACHE

CRRC Corporation auf einen Blick Seit rund fünf Jahren ist Boge Rubber & Plastics chinesisch. Eigentümer ist Zhuzhou Times New Material Technology Co., Ltd, (TMT), ein führender Anbieter von NVH-Komponenten (Noise, Vibration, Harshness = Geräusch, Vibration, Rauigkeit) und von Polymerverbundwerkstoffen für die Eisenbahn-, Auto-

mobil-, Bau- und Windkraftindustrie. TMT ist über China hinaus mit Vertretungen beziehungsweise Logistikzentren in Amerika, Europa, Südostasien und Australien präsent. Mit mehr als 7300 Mitarbeitern hat das Unternehmen zuletzt etwa 1,5 Milliarden Euro Umsatz gemacht. TMT ist eine Tochter-

ten Bremer die Vorteile, die sich durch die chinesische Muttergesellschaft ergeben. Dazu zählt der Zugang zum lokalen Markt. „Ein chinesischer Eigentümer öffnet Türen und hilft Kontakte aufzubauen. Es ist einfacher, Entscheider zu erreichen und Vertrauen zu gewinnen“, weiß Bremer aus Erfahrung. Allerdings: Durch die geöffnete Tür durchgehen müsse Boge alleine, betont er. Man schaue sich den Markt aber ganz genau an, denn die Zusammenarbeit mit lokalen Marken birgt auch ein Risiko. „Auf welchen Partner soll man setzen? Es gibt so viele neue Automarken, einige von ihnen schaffen es sich zu behaupten, andere nicht. Wir wollen nachhaltige Geschäftsmodelle“, so Bremer. Derweil nimmt die Bedeutung Chinas als Produktionsstandort weiter zu: Die nächste Kapazitätserweiterung steht schon bevor. Noch in diesem Jahr wird die Produktion im dritten Boge-Werk Chinas in Wuxi starten. Dadurch erhöht sich der Umsatzanteil des Landes innerhalb der Gruppe um weitere 100 Millionen Euro, stellt Bremer in Aussicht. Schon heute

gesellschaft der China Rail Rolling Stock Corporation Ltd. (CRRC), dem größten Schienenfahrzeughersteller der Welt und einem der größten Industriekonzerne. Nach Unternehmensangaben gehören 46 Tochtergesellschaften zum Konzern, die zusammen mehr als 180 000 Mitarbeiter beschäftigen.

generieren das Werk in Schanghai sowie der von TMT übernommene Standort in Zhuzhou, an dem dieser eine vergleichsweise kleine Lkw-Sparte aufgebaut hatte, mehr als 200 Millionen Euro und damit etwa ein Viertel des Gesamtumsatzes. „Wir sind am Standort Schanghai deutlich schneller gewachsen, als wir es uns vor zehn Jahren vorgestellt haben.“ Bremer sieht den chinesischen Eigentümer auch nicht als kurzes Zwischenspiel bis zu einem erneuten Eigentümerwechsel. „TMT hat in uns strategisch und mit einem langfristigen Ziel investiert. Sie wollen uns in ihrem Portfolio.“ Innerhalb des riesigen Konzerns hat Boge ein Alleinstellungsmerkmal. „Wir sind die Einzigen, die Automotive machen“, so Bremer. Für den chinesischen Mutterkonzern war die Akquise in Deutschland somit zum einen ein Schritt zur Internationalisierung, aber auch zur Diversifizierung des Portfolios. Das hatte auch Investitionen zur Folge. „Wir konnten sicherlich offensiver in neue Märkte gehen und mehr investieren, als wir es ohne TMT gekonnt hätten“, ist der Boge-Chef überzeugt. Das neue Werk

2017 betrug der Umsatz rund 27,6 Milliarden Euro. Auch bei der Deutschen Bahn werden künftig CRRC-Züge zum Einsatz kommen: Im Juni vergangenen Jahres bestellte auch die Deutsche Bahn vier Rangierlokomotiven, die einen kombinierten Diesel- und Elektromotor haben. nika

in Wuxi ist nicht die einzige Kapazitätserweiterung unter dem chinesischen Eigentümer. Erst 2017 hat die Unternehmensgruppe ihr neues Werk in Mexiko eröffnet, auch in der Slowakei wurden die

„Wir konnten sicherlich offensiver in neue Märkte gehen und mehr investieren.“ Boge-Geschäftsführer Torsten Bremer

Kapazitäten erhöht. Diese Investitionen schlagen sich auch im Umsatzwachstum nieder, das seit dem Geschäftsjahr der Übernahme nur eine Richtung kannte: nach oben. 2014 startete Boge mit einem Umsatz in Höhe von 687 Millionen Euro. Zuletzt waren es 2018 gruppenweit 836,3 Millionen. „Wir haben uns dynamischer entwickelt, als wir es ohne TMT gekonnt hätten.“ Das Wachstum der vergangenen Jahre bekommt jedoch aktuell einen Dämpfer. „Die Grundeuphorie – auch in China – weicht der Realität.“ Nach fünf Jahren rücken Finanzkennzahlen stärker in den Fokus. Und auch wenn diese bislang gut waren, schlügen sich doch die Probleme der Automobilbranche nieder. „Das wäre unter einem Eigentümer wie ZF aber auch nicht anders“, betont Bremer. Konsequenzen ziehen die Chinesen aktuell nicht – vielleicht auch, weil sie durch den hohen China-Anteil am Gesamtumsatz sehen, dass der Umsatzrückgang kein Boge-spezifisches Problem ist. „Zum ersten Mal seit 2008 sind die Märkte in China, der EU und der NAFTA-Region gleichzeitig rückläufig“, erklärt Bremer einen Teil des Problems. Die Investitionen, die China aktuell in Infrastruktur tätigt, sieht der Boge-Chef aber auch als Chance für einen steigenden Automobilabsatz. Um das Portfolio etwas zu diversifizieren, kommt einem neuen Standort, nicht weit von der Dammer Zentrale in Osnabrück, eine Rolle zu. Dort wird allerdings nicht produziert, sondern geforscht und entwickelt. In unmittelbarer Nähe zur Hochschule baut Boge ein Innovationszentrum auf – um neue Chancen auszuloten und zu ergründen. In dieser Hinsicht sei man heute freier als früher unter der Führung von ZF. „Automotive ist und bleibt unser Kern, das muss aber nicht alles sein“, so Bremer.


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GELD & GESCHÄFT

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Milliardenmarkt Zahnmedizin Was passiert, wenn Investoren Zahnarztpraxen aufkaufen Colosseum Dental Deutschland ist einer von sieben Investoren. Übernommene Praxen werden zu Netzwerk zusammengeschlossen. Kassenärzte sehen freie Zahnarztwahl in Gefahr. VON FREDERIK TEBBE

MÜNSTER Wer künftig zum Zahnarzt geht, dem könnte ein Zusatz auf dessen Namensschild auffallen: Aus der exemplarischen „Praxis Dr. Müller“ könnte die „Praxis Dr. Müller MVZ-GmbH“ werden. Das Anhängsel steht für „Medizinisches Versorgungszentrum“ – und dahinter können als Eigentümer auch Investoren stehen. Einer dieser potenziellen Geldgeber heißt Colosseum Dental Deutschland mit Sitz in Münster. Seit etwa eineinhalb Jahren besteht die Firma. Sie ist eine Finanz-Holding, die zur familiengeführten Jacobs Holding AG gehört und sich bundesweit mehrheitlich an Zahnarztpraxen beteiligt. Diese schließt sie als Netzwerk zusammen. Das hat Vorteile: Zahnärzte, die den Aufwand der Selbstständigkeit scheuen, finden als Partner der Investoren eine sichere Anstellung. Laut der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) lag die Zahl der angestellten Zahnärzte bei MVZs 2017 bei 1350. Die KZBV zählt in Deutschland insgesamt sieben Investoren, darunter ist Colosseum Dental. Den Aufbau solcher ZahnarztNetzwerke sieht die KZBV jedoch kritisch. Vorstandschef Wolfgang Eßer äußerte im November 2018 Bedenken, dass sich die privaten Anbieter auf renditestarke Bereiche wie etwa den Zahnersatz konzentrieren und dies zulasten des restlichen Angebots gehe. Die Vereinigung sieht auch die freie Zahnarzt-

AufdenZahn gefühlt:ColosseumDental Deutschlandbaut ein bundesweites NetzwerkanZahnarztpraxenauf.Die Kassenärztliche Bundesvereinigung sieht dasskeptisch. Foto:dpa/ HansWiedl

wahl durch die Investoren gefährdet. Für Versicherte, so Eßer, werde es schwerer, eine unabhängige Zweitmeinung in Wohnortnähe zu finden. „Patienten und Ärzte werden also in ihrem Lebensumfeld unter Umständen abhängig von einem einzigen Konzern, der die Versorgung nach Belieben kontrolliert“, sagt Eßer. Thomas Bäumer, Geschäftsführer des deutschen Ablegers von Colosseum Dental, entgegnet jedoch: „Das Gegenteil ist der Fall.“ Bäumer betont, dass Colosseum Dental sich nicht in die medizinische Hoheit der Ärzte einmischt. „Wir verstehen uns als langfristiger Investor und agieren unterstützend im Hintergrund. Unsere Zahnärzte sind weiterhin eigenverantwortlich und weisungsunabhängig in der Diagnose und Therapie.“ Es gehe

Immer weniger niedergelassene Zahnärzte So haben sich die Zahlen in den vergangenen Jahren entwickelt

Gesamt ohne zahnärztliche Tätigkeit außerhalb von Praxen angestellt 1 in Praxen angestellt niedergelassene Zahnärzte

83 401 17559

85 563 18 396

87539 19 037

89 920 20 034

92678

94 098

95 189

21 137

22 172

23 067

2 855 7209

2 876 9356

3 000 11 216

3 164 13 263

3 163 15 615

3 255 16715

3 352 17 712

55778

54935

54 286

53459

52763

51956

51058

2007

2009

2011

1) in Praxen tätige Assistenten, Praxisvertreter und angestellte Zahnärzte

2013

2015

2016

2017

Quelle: BZÄK/Statistisches Jahrbuch 2017/2018 · Grafik: Matthias Michel

nicht um Muskelspiele, wer die meisten Anteile und somit das Sagen habe. De Firma übernimmt eine Praxis zwar mehrheitlich, aber nicht zu 100 Prozent. „Wir wollen die bestehenden Inhaber als Partner mit im Boot lassen und ihnen die Chance geben, mit uns zu wachsen.“ Der Investor bringt das kaufmännische Know-how mit, leistet Hilfe im Marketing und Personalwesen. Bäumer spricht auch davon, eine „Academy“ ins Leben rufen zu wollen, wo die Colosseum-Zahnärzte mit Referenten und Spezialisten weitergebildet werden können. Der Investor nimmt laut Bäumer ebenso wenig Einfluss auf die Patienten wie auf die Mediziner. „Der Patient entscheidet sich, zu welchem Arzt er geht. Ob hinter diesem Schild eine Colosseum-Struktur ist oder nicht, ist für ihn nicht entscheidend. Er wird weiterhin von dem Zahnarzt seines Vertrauens behandelt“, sagt er. „Wenn der Patient etwas bemerkt, wird er es im Positiven merken“, findet der Geschäftsführer. Weil der Praxis mehr Leistungen zur Verfügung stünden und diese bezahlbarer werden – also Implantate bei gleichbleibender Qualität dort günstiger sein können. „Das liegt natürlich daran, dass wir in einem großen Konglomerat viel mehr Synergien haben. Wir haben im Einkauf beispielsweise ganz andere Hebeleffekte – und davon wird am Ende des Tages auch der Patient profitieren.“ Auch insofern, als die Praxen modernisiert werden und zum Beispiel neue Röntgengeräte angeschafft werden können. Das sieht Wolfgang Eßer von der KZBV jedoch auch kritisch: Es könne nicht sein, dass im Wettbewerb „eine Praxisform Vorteile genießt, die der anderen vorenthalten bleiben“. Praxen, an denen sich Colosseum Dental beteiligt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllen. „Wir suchen keine Ein-Behandler-Praxis, sondern welche, bei denen neben dem Inhaber noch weitere Zahnärzte aktiv sind“, erklärt Bäumer. „Bei denen etwa neben Implantologie, Paradontologie und Prophylaxe, vielleicht auch Kieferorthopädie dabei ist. Wir suchen sie nach ihren

Disziplinen, der Größe und ihrer Qualität aus.“ Colosseum Dental wolle Zahnärzte gewinnen, die im hohen Maße selbstständig sind, sich weiterentwickeln und innovativ sein wollen. Dass dieses Geschäftsmodell in Deutschland skeptisch gesehen wird, führt Bäumer darauf zurück, dass es hierzulande einfach noch neu ist: „In anderen Ländern, gerade in Skandinavien oder in Amerika, ist es schon gang und gäbe, mit Dentalnetzwerken zu arbeiten“, sagt er. „Da ist Deutschland noch am Anfang und muss zunächst noch verarbeiten, was da stattfindet: Dass eben Nicht-Mediziner in den Medizinbereich ,eindringen‘.“ Er verweist auf Krankenhäuser, die ebenfalls von Investoren und Trägergesellschaften geführt werden. „Ohne private Investitionen in das Gesundheitswesen wäre diese Versorgung nicht möglich.“ Doch im Ausland läuft es auch nicht immer gut, erklärt Eßer. Er berichtet von einer Zahnarztkette in Spanien, die insolvent gegangen ist. „Zurück blieben Patienten, deren Behandlung teils nicht begonnen wurde oder nicht beendet war.“ Deshalb werde laut dem Council of European Dentists, dem Dachverband europäischer Zahnärzte, vor der Kommerzialisierung zahnärzt-

„Wir wollen die bestehenden Inhaber als Partner mit im Boot lassen und ihnen die Chance geben, mit uns zu wachsen.“ Thomas Bäumer, Geschäftsführer Colosseum Dental Deutschland

ZUR SACHE

Jacobs Holding Die Jacobs Holding AG ist eine weltweit tätige Investmentgesellschaft mit Sitz in Zürich. Die AG investiert in langfristiges Wachstum. Die Erlöse spendet die Jacobs Holding AG an

die gemeinnützige Jacobs Foundation. Diese setzt sich weltweit für Kinderund Jugendentwicklung ein. Dazu fördert sie unter anderem Wissenschaftler in Forschungsdiszipli-

licher Leistungen durch Investoren und deren Ketten gewarnt. Denn davon gehe eine Gefahr in Form von mangelndem Patientenschutz und drohender Unterversorgung aus. Die von Kritikern oft ausgesprochene Befürchtung, mit den Käufen der Praxen seien die Investoren bloß auf schnelle Rendite aus, schließt Thomas Bäumer für Colosseum Dental aus. Die Jacobs-Familie habe das Konzept auf die nächsten 20 bis 25 Jahre angelegt. „Es ist also langfristig und von innen heraus geprägt. Keine Buy-and-buildStrategie, bei der schnell unter wirtschaftlichen Aspekten etwas aufgebaut und verkauft wird. Und damit unterscheiden wir uns auch von allen anderen Mitstreitern am deutschen Markt.“ Thomas Bäumer erklärt das Colosseum-Geschäftsmodell so, dass die Firma in Städten größere Praxen kauft und sogenannte „Flagships“ errichtet. Drumherum, in ländlichen Regionen, gibt es kleinere „Satelliten“-Praxen. So kann auch die Versorgung auf dem Land verbessert werden. Laut Wolfgang Eßer befinden sich Versorgungszentren jedoch vorrangig in Großstädten, Ballungsräumen und einkommensstarken, ländlichen Regionen. Also „dort, wo Versorgung längst bedarfsgerecht sichergestellt ist“. In ländlichen und strukturschwachen Gebieten, etwa in Teilen Mecklenburg-Vorpommerns oder von Rheinland-Pfalz, gibt es laut Eßer kein einziges investorenbetriebenes Versorgungszentrum. Nach Angaben der KZBV gibt es we-

nen, die für diese Entwicklung wichtig sind – etwa Psychologie, Erziehungs- und Wirtschaftswissenschaften, Medienwissenschaften oder die Familienforschung.

der welche im Osnabrücker Land noch im Emsland. Doch Bäumer hat für solche Gebiete Ideen: Er überlegt, Shuttle einzusetzen, um die Versorgung für Menschen, die nicht mobil sind, zu gewährleisten. Mobile Zahnarztpraxen zieht er ebenfalls in Erwägung, mit denen man in Gegenden fährt, in denen es keine Zahnärzte oder viele Altersheime gibt, und die Leute dort somit behandeln kann. „Wir werden diese Ideen verfolgen, nachdem wir unsere Basis gelegt haben“, sagt der Geschäftsführer. Colosseum Dental ist heute in acht Ländern tätig. Bäumer hat in Deutschland viel vor: „Wir wollen organisch und anorganisch weiter wachsen und die Dentalbranche weiterentwickeln“, sagt er. Noch befindet sich die Firma im Aufbau. Doch in ein bis zwei Jahren, glaubt der Geschäftsführer, könne Deutschland „in der europäischen Colosseum-Welt eines der größeren, wenn nicht das größte Land“ sein. Dass durch Netzwerke wie Colosseum Dental die regulär niedergelassenen Ärzte vom Markt gedrängt werden könnten, denkt Bäumer nicht. „Bei der Vielzahl von Zahnärzten wäre das schon eine Mammutaufgabe“, sagt er. Mehr als zehn Prozent der bestehenden Praxen werden von Investoren nicht gekauft, vermutet er. Stattdessen sei es eher das Gegenteil: „Wir schaffen hier ein partnerschaftliches Netzwerk. Da wird es weiterhin eine Vielfalt und ein Nebeneinander verschiedener Praxisstrukturen geben.“


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

GELD & GESCHÄFT

Augen auf beim Aktienkauf Gerry Weber, Steinhoff, Ahlers: Unter den größten Wertvernichtern finden sich einige Unternehmen aus dem Nordwesten VON MANUEL GLASFORT Welche Aktien setzen zu Höhenflügen an, welche werden das Vermögen der Anleger pulverisieren? Ganze Heerscharen von Analysten in Banken und anderen Finanzinstituten beschäftigen sich rund um die Uhr mit diesen Fragen, dazu noch unzählige Finanzjournalisten, Fondsmanager und Vermögensberater. Doch wie ein schönes Bonmot besagt: Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. So manche Kursprognose wurde von der Wirklichkeit eingeholt. Einfacher ist da schon der Blick in die Vergangenheit – und auch wenn an der Börse die Zukunft gehandelt wird, kann der Blick zurück Anlegern als Warnsignal dienen. Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) veröffentlicht jedes Jahr ihre berüchtigte Watchlist, ein Ranking der größten Wertvernichter. Die Aktionärsschützer schauen sich dafür an, wie der Kurs eines Unternehmens sich im vergangenen Jahr sowie in den vergangenen drei und fünf Jahren entwickelt hat. Daraus errechnen sie einen Punktestand. Und wo wurde zuletzt am meisten Kapital in den Sand gesetzt? An der Spitze der aktuellen Liste steht ein Unternehmen, von dem die wenigsten Bürger schon etwas gehört haben dürften: Mologen. Wer vor OSNABRÜCK/FRANKFURT

fünf Jahren Geld in das Berliner Biotechnologieunternehmen investierte, verlor bis Jahresende 2018 rund 97 Prozent seines Einsatzes. Ein besonders eindrückliches Beispiel für die Gefahren, die an der Börse lauern. Gleich hinter Mologen folgen zwei bekannte Namen aus dem Nordwesten: Der Möbelhändler Steinhoff mit Wurzeln in Westerstede und der Modehersteller Gerry Weber aus Halle. Der SteinhoffKonzern mit Sitz in Amsterdam befindet sich seit Jahren in der Krise, der Kurs ist allein im vergangenen Jahr um fast 70 Prozent eingebrochen. Viele Anleger wollten die Papiere des Konzerns nur noch loswerden – und sie hatten dafür gute Gründe, wie sich erst vor einigen Tagen zeigte, als Steinhoff mit Verspätung seinen Jahresabschlussbericht vorlegte. Demnach lag der Nettoverlust für das Geschäftsjahr zum 30. September 2018 bei 1,2 Milliarden Euro. Im Vorjahr hatte der im S-Dax notierte Konzern ein Minus von rund vier Milliarden Euro verbucht. Damals gab Steinhoff auch sein Debüt in der DSW-Watchlist: In der 2018 veröffentlichten Liste sprang der Konzern aus dem Nichts an die Spitze des Rankings. Auslöser der Krise des Möbelkonzerns war ein Bilanzfälschungsskandal. Gewöhnlicher sind die Gründe für den Abstieg des Modekonzerns

Bleiben Sie Kurz notiert immer informiert Wachstum: Der Osnabrücker Über unseren Wirtschaftsnewsletter erhalten Sie auch zwischen den Ausgaben von „Die Wirtschaft“ dreimal die Woche einen Einblick in die regionale Wirtschaft sowie Wissenswertes zu allgemeinen Wirtschaftstrends direkt per Mail. Die Anmeldung ist kostenfrei über www.noz.de/newsletter. Die nächste „Die Wirtschaft“ erscheint am Donnerstag, 29. August 2019. Anzeigenschluss für diese Ausgabe ist Freitag, 9. August 2019. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter der Adresse www.noz.de/wirtschaft.

GESCHÄFTSFÜHRER: Joachim Liebler und Axel Gleie CHEFREDAKTION: Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur), Dr. Berthold Hamelmann (Vertreter des Chefredakteurs), Burkhard Ewert (Stellvertretender Chefredakteur) KOORDINATION: Nina Kallmeier AUTOREN DIESER AUSGABE: Marcus Alwes, Constantin Binder, Manuel Glasfort, Sebastian Hamel, Berthold Hamelmann, Lothar Hausfeld, Wilfried Hinrichs, Nina Kallmeier, Christoph Lützenkirchen, Hermann-Josef Mammes, André Pottebaum, Katharina Preuth, Axel Rothkehl, Melanie Heike Schmidt, Anja Steinbuch, Nina Strakeljahn, Werner Straukamp, Frederik Tebbe, Sabrina Wendt REDAKTION V.i.S.d.P.: Ralf Geisenhanslüke FOTOGRAFEN: Marcus Alwes, David Ebener, Manuel Glasfort, Michael Gründel, Sebastian Hamel, Hermann-Josef Mammes, Jörn Martens, Katharina Preuth, Nina Strakeljahn, Gert Westdörp, Werner Westdörp VERLAG: Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. KG, Postfach 42 60, 49032 Osnabrück; Breiter Gang 10–16, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Telefon 0541 310-330, Telefax 0541 310-266; Internet: www.diewirtschaft.noz.de; E-Mail: diewirtschaft@ noz.de ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF: MSO Medien-Service GmbH & Co. KG, Große Straße 17–19, 49074 Osnabrück, Postfach 29 80, 49019 Osnabrück, Telefon 0541 310-500, Geschäftsführer: Sven Balzer, Anzeigen-/ Werbeverkauf: Sven Balzer, Hubert Bosse, Ansgar Hulsmeier, Dirk Riedesel, Marvin Waldrich ANZEIGENANNAHME: Geschäftskunden: Telefon 0541 310-510, Telefax 0541 310-790; E-Mail: auftragsservice@mso-medien.de ANZEIGEN-/WERBEVERKAUF für Ausgabe Grafschaft Bentheim: Grafschafter Nachrichten GmbH & Co. KG, Coesfelder Hof 2, 48527 Nordhorn, Telefon 05921 707410, Verlagsleiter: Matthias Richter (V.i.S.d.P.) ANZEIGENANNAHME für Ausgabe Grafschaft Bentheim: Grafschafter Nachrichten GmbH & Co. KG, Telefon 05921 707-410; E-Mail: gn.media@gn-online.de, Leitung Mediaverkauf: Jens Hartert TECHNISCHE HERSTELLUNG: Druckzentrum Osnabrück, Weiße Breite 4, Osnabrück (Ausgabe Osnabrück/Emsland); Grafschafter Nachrichten, Coesfelder Hof 2, Nordhorn (Ausgabe Grafschaft Bentheim)

Kommunikationsdienstleister Kikxxl expandiert weiter. Die geschäftsführenden Gesellschafter Andreas Kremer und Erden Yildirim begrüßten jetzt den 2000. Mitarbeiter. Angepeilt ist im kommenden Geschäftsjahr ein Umsatz in Höhe von 66 Millionen Euro. Zusätzlich ist in diesem Jahr die Eröffnung eines weiteren Standortes geplant. Bislang betreibt das Unternehmen Standorte in Osnabrück, Bremen, Dortmund, Bochum und Prishtina (Kosovo).

Vorsitz: Dr. med. Dr. jur. Martin Siebert wird zum 1. August den Vorsitz der Geschäftsführung der Paracelsus-Kliniken übernehmen. Er folgt damit Prof. Dr. Michael Philippi, der im September vergangenen Jahres unerwartet verstorben war. Siebert wechselt vom Rhön-Klinikum in die Hasestadt und soll dafür sorgen, dass das Unternehmen, zu dem bundesweit 34 Einrichtungen zählen, wieder Anschluss an die Liga der führenden Gesundheitsunternehmen in Deutschland findet. Auszeichnung: Dem Meller Familienunternehmen Assmann Büromöbel wurde der German Brand Award in der Kategorie Brand Communication – Storytelling & Content Marketing verliehen. Marketingleiter Marc Schumann nahm den Preis bei einer feierlichen Preisverleihungs-Gala in der TelekomHauptstadtrepräsentanz in Berlin entgegen. Der internationale Preis wird jedes Jahr von der Stiftung German Brand Institute verliehen. Übernahme: Die Brimato Catering Automation Technology GmbH ist von Blanco Professional aus Oberderdingen bei Karlsruhe übernommen worden. Blanco Professional steht mit drei Geschäftseinheiten für Lösungen im B2B-Bereich von Großküchen sowie als Zulieferer für die Industrie. Brimato wird ein eigenständiges, 100-prozentiges Tochterunternehmen von Blanco Professional. Alle

EinensteilenAbstieg hatGerryWeberhintersich.DerKonzernbefindetsichim Insolvenzverfahren.

Gerry Weber – und den Aufstieg in der Liste der größten Kapitalvernichter. Binnen drei Jahren kletterte der Konzern vom 19. auf den vierten und schließlich dritten Platz. Managementfehler und ein sich schnell wandelnder Modemarkt führten den Konzern aus Ostwestfalen in die Krise und schließlich in die Insolvenz. „Der Kurs ist nichts anderes als der Versuch, zukünftige Gewinne

vorherzusagen“, erklärt Jürgen Kurz, Sprecher der DSW. Wenn der Kurs abschmiere, dann seien entweder die Gewinnsteigerungen überschätzt worden, oder die Gewinne seien massiv eingebrochen. „Im letzteren Fall gibt es ein grundsätzliches Problem mit dem Geschäftsmodell. Entweder es funktioniert nicht, oder das Management hat massive Fehler gemacht“, so der Aktionärsschützer.

Foto:dpa

Kurz weist darauf hin, dass die Watchlist auch Rückschlüsse auf die Lage von ganzen Branchen erlaube. Tatsächlich finden sich auf der aktuellen Liste neben Gerry Weber noch weitere Firmen aus der Textilbranche, die mit einer zunehmenden Online-Konkurrenz und einem veränderten Kundengeschmack zu kämpfen haben. So zum Beispiel der Hamburger Bekleidungsriese Tom Tailor (Platz 5),

dessen Aktienkurs seit Jahren nur eine Richtung kennt: nach unten. Nur dank einer Geldspritze seines chinesischen Großaktionärs Fosun konnte Tom Tailor sich zuletzt etwas Luft verschaffen. Etwas weiter unten auf der Liste auf Platz 14 findet sich der Modehersteller Ahlers, der Marken wie Pierre Cardin zu seinem Portfolio zählt. Das Unternehmen aus Ostwestfalen hat den Anlegern in den vergangenen Jahren ebenfalls wenig Freude bereitet und wird bereits als Pleitekandidat gehandelt. Mit den Adler Modemärkten hat es ein weiteres Sorgenkind der Branche in die Top 20 der DSW-Watchlist geschafft. Auffallend ist, dass sich vor allem kleinere Konzerne auf der DSW Watchlist finden. So sind viele S-Dax-Mitglieder vertreten, etwa Ceconomy, das Medizintechnikunternehmen Drägerwerk oder der Druckmaschinenbauer Heidelberg Druck. Auch die Baumarktkette Hornbach findet sich auf der Liste, ebenso wie Nordex. Der Windanlagenbauer mit Sitz in Rostock belegt Platz 37 und könnte im kommenden Jahr von der Liste gestrichen werden: Der Aktienkurs hat sich seit dem Jahreswechsel deutlich erholt. Die beruhigende Botschaft für Anleger: Nur weil ein Titel auf der Liste der größten Kapitalvernichter auftaucht, heißt das nicht zwangsläufig „Finger weg!“. So mancher Konzern hat noch die Kurve gekriegt.

Online-Reifenhandel läuft nicht rund 20 Mitarbeiter von Brimato werden am Standort Hilter übernommen. Georg Brinkmann, Geschäftsführer von Brimato: „Blanco Professional ist durch die zahlreichen Synergieeffekte der ideale Partner, um unseren bisherigen Erfolgsweg fortzusetzen.“ Verbunden: Die Harting Technologiegruppe mit Sitz in Espelkamp hat neue Verkabelungssysteme entwickelt, mit denen eine stabile Dateninfrastruktur in Zügen gewährleistet werden soll. Mit speziell für die Bahnanforderungen ausgelegten Kabeln sollen die Datennetzwerke in der Bahntechnik zukunftssicher aufgebaut werden können. Kooperation: Das Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik mit Sitz in Quakenbrück (DIL) und das in Essen/Oldenburg beheimatete Feinkost-Unternehmen FleischKrone haben eine gemeinsame Absichtserklärung unterzeichnet. Fleisch-Krone möchte die Unterstützung des DIL aufgrund der positiven Entwicklung und des geplanten Studiengangs „Food Process and Product Engineering“ am DIL weiter ausbauen. Die Partner verbindet eine langjährige Zusammenarbeit: Neben regelmäßigen Aufträgen für Lebensmittelsicherheit und Analytik konnten schon in der Vergangenheit gemeinsame Projekte, wie im Bereich der Prozessoptimierung, realisiert werden. Initiative: Die Stadt Meppen soll ein Gründerzentrum für junge Start-ups errichten. Diesen Auftrag hat der Ausschuss für Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung und Kultur der Verwaltung jetzt erteilt. Stadtratsmitglied Johannes Hessel begründete den SPD-Antrag damit, dass es auf dem „hiesigen Immobilienmarkt für junge Betriebe sehr schwierig ist, geeignete Räumlichkeiten zu bekommen“. Mit einem „Haus der Gründer“ könnten die Jungunternehmer die Räume „günstig oder sogar kostenfrei“ für eine bestimmte Zeit nutzen.

Delticom verliert deutlich, Biogas-Experte Envitec legt zu

VON LOTHAR HAUSFELD

HANNOVER/LOHNE Während der Online-Reifenhändler Delticom mit Sitz in Hannover Kurseinbußen von knapp einem Viertel verkraften muss, schießen die börsennotierten Papiere des Biogas-Unternehmens Envitec aus Lohne (Kreis Vechta) in die Höhe. Die Delticom AG wurde vor 20 Jahren von zwei ehemaligen Continental-Mitarbeitern gegründet; der Vertrieb von Reifen im Internet ist auch heute noch der Hauptbestandtteil des Geschäftes. Darüber hinaus bietet das Unternehmen in Europa und den USA Internet-Kundenakquise, Internetvermarktung, den Aufbau von Partnernetzwerken oder Logistikdienstleistungen an. Auch im Bereich des Online-Lebensmittelgeschäfts ist man aktiv. Bis vor einigen Jahren galt Delticom als das deutsche Vorzeigeunternehmen in Sachen E-Commerce. Zeitweise kletterten die Aktienwerte auf mehr als 60 Euro. Davon ist heute nicht einmal mehr ein Zehntel übrig geblieben. Starker Konkurrenzkampf im Online-Reifenhandel und hohe Investitionen lassen den Kurs der Papiere seit Jahren fallen. Auch aktuell nimmt das Unternehmen viel Geld in die Hand: Für 150 Millionen Euro entsteht im elsässischen Ensisheim ein neues Distributionszentrum. Die Anleger bleiben indes ausgesprochen skeptisch: Der Kurs der letzten drei Monate sank um mehr als 23 Prozent auf 5,25 Euro. Die entgegengesetzte Richtung nehmen dagegen die Aktien der Lohner Envitec Biogas AG. Die Papiere legten im letzten Quartal um 34,41 Prozent zu und sprangen damit auf über zwölf Euro je Aktie – Höhepunkt eines seit einigen Monaten anhaltenden Höhenflugs. Im Geschäftsjahr 2018 hatte das Unternehmen, das nach eigenen

Envitec Biogas AG

Angaben in Euro 12,5 12,0 11,5 11,0 10,5 10,0 9,5 9,0

März

April

Mai

Delticom AG

Juni Angaben in Euro

7,0 6,8 6,6 6,4 6,0 5,8 5,6 5,4 5,2 5,0

März

April

Angaben „als Biogas-Allrounder die gesamte Wertschöpfungskette für die Herstellung und Aufbereitung von Biogas abdeckt“, zwar einen leicht verringerten Umsatz bilanziert, dafür aber dank einer deutlich reduzierten Kostenbasis die Profabilität erneut erhöht. Insbesondere das Auslagern der Bereiche Genehmigung und Statik sorgte für einen Rückgang der Zahl der Beschäftigten. Das größte Segment des Konzerns, der Eigenbetrieb von BiogasAnlagen, legte im Umsatz um drei Prozent auf 114,5 Millionen Euro zu. Insgesamt betreibt Envitec 74 eigene Anlagen.

Mai

Juni

Neben den Zahlen für das Geschäftsjahr 2018 beflügelt auch die Aussicht auf die nahe Zukunft die Kursentwicklung: Weltweit steigende Energienachfrage und die Herausforderungen des Klimawandels sorgen für glänzende Branchenaussichten. Auch in Sachen Biomethan will Envitec weiter zulegen und erhofft sich durch einen stärkeren Einsatz des Alleskönners einen signifikanten Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes, vor allem in Bereichen, in denen dies bislang nicht möglich war. Der Umsatz im Jahr 2019 soll daher auf dem Niveau des Vorjahres liegen.


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

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Fit für die digitale Zukunft Neues Gesetz erweitert Fördermöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit – Betriebe und Beschäftigte profitieren VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN

OSNABRÜCK. Als Johanna Kockmeyer 1979 ihre Ausbildung beim Steuerberater begann, waren Personal Computer noch Stoff für Science-Fiction. Da war ihr Chef Dominik Henle, Steuerberater und Partner bei der Steuerberatungsgesellschaft Klöker & Partner in Osnabrück, noch gar nicht geboren. Der Alltag im Büro basierte damals auf handfesten Akten, Papierbergen und Schreibmaschinen. Heute lernt die 56-jährige Steuerfachangestellte und Mitarbeiterin der Steuerberatungsgesellschaft das papierarme Büro. Denn die Zeiten ändern sich, und das schnell. Damit Kockmeyer ihren Beruf noch bis zur Rente ausüben kann, muss sie sich auf die rasant voranschreitende Digitalisierung vorbereiten. In Kooperation mit dem Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit Osnabrück und dem Bildungsträger educatus aus Aschaffenburg hat Henle eine innerbetriebliche Fortbildung für Johanna Kockmeyer, ihre Kollegin Cornelia Rayker und weitere neun Mitarbeiter organisiert. Er will sie fit für das Büro der Zukunft machen. Dabei profitiert Henle von einem Gesetz, das erst Anfang 2019 in Kraft trat. „Die Förderung über das neue Qualifizierungschancengesetz deckt die Raumkosten ab, die Auf-

wendungen für Referenten, Lehrmittel, zusätzliche Fahrten, zusätzliche Kinderbetreuung, Verpflegung und gegebenenfalls die auswärtige Unterbringung“, sagt Dominik Henle. Das Antragsverfahren für die Förderung sei absolut kundenfreundlich. Im Wesentlichen teile man den Namen des Mitarbeiters, sein Geburtsdatum und seine Ausbildung mit. Außerdem ist eine Frist von vier Jahren einzuhalten: Die muss der Berufsabschluss des Betreffenden mindestens zurückliegen. Und in diesem Zeitraum darf er nicht an einer nach dem Gesetz geförderten Fortbildung teilgenommen haben. Vonseiten der Arbeitsagentur bemühe man sich, die bürokratischen Hürden niedrig zu halten, bestätigt Susanne Jaeger, Arbeitsvermittlerin im Arbeitgeberservice der Agentur für Arbeit. „Durch das neue Gesetz haben wir jetzt noch mehr Möglichkeiten zu unterstützen“, so Jaeger. „Wir beraten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dazu gehören auch Gespräche im Nachgang zu einer Qualifizierungsmaßnahme und Vor-Ort-Termine.“ Auch Matthias Kreutz, Geschäftsführer educatus, lobt das neue Gesetz. Die Arbeitsagenturen könnten seitdem eine höhere Förderung für Fortbildungsmaßnahmen gewähren. In der Vergangenheit seien für Teilnehmer ab einem Alter von 45 Jahren maximal 75 Prozent der Kosten

Die Steuerfachangestellten Cornelia Rayker und Johanna Kockmeyer der Firma Klöker & Partner machen eine Weiterbildung im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes. Foto:MichaelGründel

der Maßnahme durch die Förderung abgedeckt gewesen. „Mit dem neuen Gesetz sind es bis zu 100 Prozent. Das macht die Förderung für Arbeitgeber noch attraktiver“, erklärt Kreutz. Mit seinem Institut für Erwachsenenbildung hat er sich auf die Steuerberatungsbranche spezialisiert. Regelmäßige Fortbildungen seien hier unabdingbar, so

Kreutz: „Von den Mitarbeitern in den Kanzleien wird immer mehr erwartet, der Lernbedarf ist konstant hoch.“ Im Rahmen des Qualifizierungschancengesetzes wird die Fortbildung von Beschäftigten unabhängig von ihrer Ausbildung, dem Lebensalter und der Größe des Betriebes, in dem sie tätig sind, gefördert.

Ziel ist es, Beschäftigte einzubeziehen, deren Arbeit künftig technologisch ersetzt werden könnte oder die in sonstiger Weise vom Strukturwandel betroffen sind. Allein für die Qualifizierung Beschäftigter wurden 1,1 Milliarden Euro in den Finanzhaushalt 2019 der Bundesagentur für Arbeit eingestellt. Zur Orientierung: Im Vorjahr gab die

Bundesagentur für die gesamte berufliche Weiterbildung etwa 1,3 Milliarden Euro aus. Gefördert werden allerdings nur Maßnahmen, deren Qualität durch fachkundige Stellen nach der „Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung“ (AZAV) zertifiziert ist. Nicht förderfähig sind Weiterbildungen nach dem „Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz“, wie etwa Meister- und Technikerausbildungen. „Außerdem muss die Qualifizierung so angelegt sein, dass sie nicht nur auf den aktuellen Arbeitsplatz des jeweiligen Mitarbeiters gemünzt ist, sondern ihm auch auf künftigen Stellen nützt“, erläutert Susanne Jaeger. „Schließlich muss der zeitliche Umfang der Maßnahme mehr als 160 Stunden betragen.“ educatus-Geschäftsführer Kreutz bezeichnet die Qualitätsanforderungen des Gesetzgebers an zertifizierte Bildungsträger als „bewusst hoch“. Für die Maßnahmen müsse ein messbarer Nutzenfaktor nachgewiesen und nachhaltig umgesetzt werden. Bei Klöker & Partner hat das offenbar geklappt. Jedenfalls blickt Johanna Kockmeyer zufrieden auf die Fortbildung durch educatus zurück. Im kleinen Kreis unter vertrauten Kollegen habe man sehr aktiv miteinander gearbeitet, berichtet sie. Das papierarme Büro kann kommen, Kockmeyer ist vorbereitet.


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GELD & GESCHÄFT

GELD & GESCHÄFT

Wenn die Immobilie zum Streitfall wird

Jeder Fünfte will mindestens eine Viertelmillion Euro vererben In Bayern und Hamburg ist es sogar jeder Vierte, in Sachsen nur jeder 17te.

Künftige Erben erwarten häufiger Immobilien, Wertpapiere und Gold „Ich habe geerbt bzw. plane, etwas zu vererben“

75%

Verschiedene Stellen bieten Beratung an – Erbteilverkauf an Dritte kann ein Weg aus der Krise sein 20% 20%

29 %

unter 50000 Euro Welchen Wert wird das, was Sie zu vererben planen, ungefähr haben?

50000 bis 99999 Euro

11%

100000 bis 249999 Euro mindestens 250000 Euro keine Angabe

20 %

20%

62%

20%

VON ANJA STEINBUCH

Eine relative Mehrheit fühlt sich nicht ausreichend zum Thema Erben und Vererben informiert. Zwischen West- und Ostdeutschland gibt es dabei keine Unterschiede. Fühlen Sie sich insgesamt ausreichend zum Thema Erben und Vererben informiert? Niedersachsen

46 %

Mecklenburg-Vorpommern

46 %

Brandenburg

45 %

Saarland

45% 42%

Bundesschnitt

39%

Hamburg

38%

Sachsen

Auch um Facebook, Instagram & Co. muss sich gekümmert werden Digitales Erbe wird bislang vernachlässigt

1% 7%

Ja Nein Weiß nicht/keine Angabe

92 %

Quellen: Quirin Privatbank, YouGov · Grafik: NOZ

Ob Opas Jagdflinte vom Dachboden oder Relikte der Kriegsgeneration: 2 Prozent der Befragten vermuten, dass sie einmal Waffen erben werden. Zwei von drei Kandidaten würden die Stücke behalten und nicht verkaufen.

Immobilien in der Erbmasse sind anfällig für Streitigkeiten. Fachleute empfehlen, frühzeitig ein Testament aufzusetzen.

Die meisten sind nicht ausreichend informiert

Haben Sie Ihr „digitales Erbe“ schon geregelt bzw. sich um Ihren digitalen Nachlass gekümmert?

In neun Jahren werden Vermögen in Höhe von 3,1 Billionen vererbt.

OSNABRÜCK/MEPPEN/ NORDHORN Grundstücke, Häuser, Wohnungen, Wertpapiere, Schmuck Bargeld – jedes Jahr werden in Deutschland Vermögen in Höhe von insgesamt rund 100 Milliarden Euro vererbt. Laut dem Deutschen Institut für Altersvorsorge summieren sich die Volumina, die zwischen 2015 und 2024 weitergegeben werden, auf rund 3,1 Billionen Euro. Jede sechste Immobilie bekommt demnach einen neuen Eigentümer – rund 50 Prozent sind Einfamilienhäuser, etwa 25 Prozent Zweifamilienhäusern. Aber auch Eigentumswohnungen und unbebaute Grundstücke gehen als Nachlass in die Hände neuer Besitzer. Handelt es sich um Erbengemeinschaften, geht das nicht immer ohne Streit ab. Der eine Erbe will die Immobilie verkaufen, der zweite möchte sie vermieten, der dritte möglicherweise selbst einziehen. Jeder fünfte Erbfall landet, wie das Institut für Demoskopie Allensbach ermittelt hat, vor Gericht. Das muss nicht sein. Eine Immobilie lässt sich vererben und verschenken. Bei Schenkungen zu Lebzeiten gilt für Kinder ein steuerlicher Freibetrag von 400 000 Euro, für Enkel von 200 000 Euro. Dieser Freibetrag kann alle zehn Jahre genutzt werden. Schenkt ein Ehemann seiner Frau – oder umgekehrt – mit „warmer Hand“ die selbst genutzte Immobilie, fällt kein Cent Steuern an. Das gilt auch bei Erbschaften, allerdings muss der begünstigte Ehepartner dann mindestens zehn Jahre in der Immobilie wohnen bleiben. Fällt einer Gruppe von Personen gemeinschaftlich der Nachlass zu, handelt es sich um eine sogenannte Erbengemeinschaft. Hier ist Stress programmiert. Ein Beispiel: Eine Frau hat sich eineinhalb Jahre lang

Auf Gemälde und Skulpturen können sich nur 6 Prozent der Erben freuen. Die Mehrheit würde Kunstwerke behalten und nicht zu Geld machen.

Foto:imagoimages/Eibner

mit ihrem Bruder gestritten. Die Mutter der beiden hatte über ein „Berliner Testament“ ihrem Ehemann eine Eigentumswohnung und ein Grundstück vererbt. Als der Vater starb, konnten sich die Geschwister nicht ei-

Armbanduhren und Taschenuhren zählen zu den klassischen Familienerbstücken. 11 Prozent der Deutschen erwarten, dass sie mal eine erben. Und zwei Drittel würden die Uhr auch behalten.

nigen, was mit dem Erbe geschehen sollte. Der Streit belastete die Frau. Sie ließ gerichtlich feststellen, dass 50 Prozent des Erbes ihr gehören, und wandte sich an das Deutsche Erbenzentrum.

Geschäftsführer Maximilian von Elsner ließ den Wert der Immobilien schätzen und riet der Erbin, ihren Anteil an einen Investor zu verkaufen. Abzüglich der Kosten für Gutachter und Notar sowie des marktüblichen

Eine Ming-Vase haben die wenigsten zu Hause stehen, aber vielleicht wenigstens ein bisschen Meißner Porzellan? 17 Prozent erben wohl mal Porzellan – wenn es denn bis zum Tag X heile bleibt. Nur knapp die Hälfte würde es behalten.

Abschlags, wenn ein Investor einen Eigentumsanteil erwirbt, erhält die Frau nun 25 000 Euro. Sie ist zufrieden: Kein Streit mehr mit dem Bruder, von dem Geld will sie sich nun einen Wintergarten bauen lassen.

19 Prozent erwarten, dass mal Möbel und Antiquitäten in ihren Besitz übergehen. Nur vier von zehn wollen die Stücke behalten.

Der Käufer ihres Erbteils aber muss sich noch gedulden, denn der Bruder hat als Miterbe nach Paragraf 2034 BGB ein zweimonatiges Vorkaufsrecht. Von Elsner: „Ein Risiko für den Investor, nicht für unsere Mandanten,

die die festgelegte Summe dann eben von ihren Miterben bekommen.“ Von Elsner betont, dass in zerrütteten Erbengemeinschaften der Verkauf des Erbteils an einen Dritten oft der schnellste und emotional einfachste Weg ist: „Den meisten geht es in erster Linie darum, zur Ruhe zu kommen.“ Der Experte muss allerdings häufig Erben bremsen, die allzu optimistische Vorstellungen vom zu erzielenden Preis für ihren Immobilienanteil haben: „Ein Grundstück oder Häuschen, das Streitobjekt von Erben ist, ist wie ein Ruderboot mit einem Leck. Das ist weniger wert als ein heiles Boot zum heutigen Marktpreis, weil es erst aufwendig repariert werden muss.“ Gerichtliche Auseinandersetzungen zwischen Erben verursachen erhebliche Anwalts- und Gerichtskosten. „Und die sind vorab zu leisten“, betont von Elsner. Außerdem gehe die oft lange Verfahrenszeit ins Geld: „Da die Kosten für die Immobilie weiterlaufen, bleibt dann unter Umständen vom Erbe nicht viel übrig.“ Neben dem Deutschen Erbenzentrum gibt es weitere Anbieter, die Erbteile gerne erwerben, wie den Internet-Marktplatz ErbTeilung.de. Er hilft beim Auflösen von Erbengemeinschaften und kauft auf eigene oder fremde Rechnung Erbteile. Zudem tummeln sich am Markt einige meist lokal agierende Player, häufig Projektentwickler, die sich durch den Kauf eines Anteils an einer Immobilie Zugriff auf diese erhoffen, um sie umoder auszubauen und so Wertschöpfungspotenziale zu realisieren. Unabhängig vom Erbteilverkauf empfehlen alle Fachleute, sich frühzeitig rechtlich beraten zu lassen, wenn es um den Letzten Willen geht. Denn oft steckt die Tücke im Detail. Und allzu häufig wird die Vermögensübertragung auf die lange Bank geschoben. Wenn dann plötzlich eine lebensbedrohende Krankheit festgestellt wird oder ein Unfall geschieht, ist Not am Mann. Dabei muss man wissen: Wenn nichts geregelt ist, gilt die gesetzliche Erbfolge. Nicht immer ist das im Sinne des Verstorbenen. Der Ratschlag von Experten: Ein notarielles Testament aufsetzen. Alternative: ein handschriftlich und unmissverständlich formuliertes Testament mit Datum und Unterschrift. Übrigens: Keiner muss eine Immobilie erben, wenn er nicht will. Der Erbe hat sechs Wochen Zeit, einen Nachlass auszuschlagen.

Bücher stehen bei 21 Prozent auf der Liste der Dinge, die sie einmal erben werden.

54% Bisherige Erben Potenzielle Erblasser

33 %

14% 16%

+64%

Geld

Immobilien (selbst genutzt)

12%

+175%

17%

11% 4%

+14%

+42%

Immobilien (vermietet)

Wertpapiere

Gold (Barren/Münzen)

Reden ist Gold, Schweigen gibt Streit Es wird seltener über das Erben gesprochen „Es wurde offen vor dem Erbfall über die Erbschaft gesprochen.“

41%

35%

35%

19%

17%

15 %

„Es gab Streit um das Erbe.“ 2013

2015

2018

Nur gut ein Drittel befasst sich gerne damit Deutsche beschäftigen sich nur widerwillig mit dem Thema Erbschaft

12% 26 %

24%

voll und ganz

„Ich beschäftige mich nur ungern mit dem Thema Erbschaften.“

22 Prozent können sich auf Schmuck freuen. Die Quote derjenigen, die die Erbstücke behalten würden, ist mit fast zwei Drittel hoch.

Stimme zu eher eher nicht überhaupt nicht

34% Quellen: IfD Allensbach · Grafik: NOZ

Und 29 Prozent geben an, dass sie wohl einmal ein Haus, Grundstück oder eine Eigentumswohnung erben werden.

Quelle: YouGov


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

GELD & GESCHÄFT

Der kleine Unterschied beim Geldanlegen Frauen investieren deutlich seltener in renditestarke Anlageformen – aber wenn sie es tun, sind sie erfolgreicher VON MANUEL GLASFORT Typisch Mann, typisch Frau – Klischees über die Geschlechter gibt es viele. Frauen sind risikoscheuer und vorsichtiger, so die landläufige Meinung. Die Unfallstatistik scheint das zu bestätigen: Im Straßenverkehr verursachen Frauen viel weniger schwere Unfälle als Männer. Auch auf einem anderen Gebiet bestätigt sich das Klischee von den risikoscheuen Frauen: beim Thema Geldanlage. „Es stimmt: Frauen legen sicherheitsorientierter an“, sagt Gabriele Widmann, Volkswirtin bei der Deka-Bank, dem Wertpapierhaus der Sparkassen. Die Expertin glaubt auch, die Ursache dafür zu kennen: „Am Ende ist das Sicherheitsbedürfnis der Frauen vor allem darauf zurückzuführen, dass sie einkommensschwächer sind als Männer.“ Tatsächlich wird diese Vermutung durch diverse Studien belegt. Beispielsweise kam eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2009 zu dem Ergebnis, dass deutlich weniger Frauen als Männer riskante Geldanlagen wie Aktien, Anleihen oder Investmentfonds in ihren Portfolios halten. Die Forscher führten das allerdings auf die Tatsache zurück, dass Frauen über deutlich geringere Geldvermögen verfügten. Ihr Befund: Wer beispielsweise 100 000 Euro auf der hohen Kante hat, wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 64 Prozent in risikoreiche Anlageklassen investieren. Das Resümee von Studienautorin Nataliya Barasinska: „Bei gleichen finanziellen Grundvoraussetzungen zeigen Männer und Frauen die gleiche Neigung zu riskanten Anlageprodukten. Voraussetzung sind gleiches Bildungsniveau, gleiches Alter und gleiche berufliche Situation.“ Unabhängig von den Ursachen gibt es auch zehn Jahre nach Veröffentlichung der DIW-Studie handfeste Unterschiede zwischen Männern und Frauen beim Thema Geldanlage. Vor allem um Aktien machen Frauen nach wie vor einen großen Bogen. In einer Untersuchung des Flossbach von Storch Research Institutes gaben doppelt so viele Männer wie Frauen an, Geld in Aktien oder Aktienfonds investiert zu haben. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Anleihen und Anleihefonds. Zahlen des Deutschen Aktieninstituts (DAI) ergeben ein ähnliches Bild: Rund 6,4 Millionen Männer in Deutschland hatten im vergangenen Jahr Geld in Aktien oder Aktienfonds investiert, bei den OSNABRÜCK

Wiemachtsich der M-Dax? DieFragestellensichdeutlichmehrMänneralsFrauen.Dabei habenFraueneingutesHändchen, wenn siesich andieBörsetrauen.

Frauen waren es 3,9 Millionen. Die mageren Zinsen treiben beide Geschlechter vermehrt in Aktieninvestments, allerdings hat sich das Verhältnis in den vergangenen Jahren nicht angenähert, sondern sogar leicht auseinanderentwickelt. Die Flossbach-Studie bestätigt: Bei „sicheren“ Anlageformen wie Sparbüchern und Girokonten haben Frauen die Nase vorn. Es sind just die Anlageformen, die in der Nullzinsphase nichts abwerfen. Das Festhalten an klassischen Sparformen wirft Fragen auf, vor allem deshalb, weil Frauen mit Blick auf die weitere Entwicklung der Zinsen realistischer sind. Das hat der Versicherer Axa in seinem „Deutschland-Report“ herausgefunden, für den 2083 Bürger online befragt wurden. Während ein Drittel der Männer erwartet, dass die Zinsen in den kommenden zwei Jahren wieder steigen werden, waren es unter den Frauen nur 20 Pro-

zent. Monika Taurorus, Leiterin Produktservices Vorsorge bei der Axa, fasst die Ergebnisse so zusammen: „Viele Männer hoffen immer noch auf eine Rückkehr der Zinsen. Da sind Frauen realistischer in ihrer Einschätzung. Weil sie aber auch weniger risikobereit sind, tun sie sich schwerer mit den Anlageformen, die überhaupt noch Rendite versprechen.“ Die geringe Risikoneigung wird spätestens bei Rentenbeginn zum Problem, und hier schließt sich der Kreis: Frauen verdienen im Schnitt weniger als Männer, nicht zuletzt wegen Verdienstausfällen durch Erziehungszeiten und Unterschiede in der Berufswahl. Im Ergebnis liegt die unbereinigte Lohnlücke zwischen den Geschlechtern bei 21 Prozent. Im Klartext: Frauen verdienen im Schnitt rund ein Fünftel weniger als Männer – mit entsprechenden Folgen für die Rentenansprüche. Gerade Frauen wären also darauf ange-

VERTRAUEN VERPFLICHTET Das Team der Werther und Ernst Vermögensverwalter GmbH, gegründet 2015 in Bielefeld, betreut mit einem hohen ethischen und moralischen Anspruch das Vermögen seiner Kunden langfristig und kompetent – bankenunabhängig, individuell, auf höchstem Niveau, allein dem Kunden verpflichtet und in der Region verwurzelt. Mit diesen Werten haben wir in den letzten vier Jahren das Vertrauen vieler Menschen gewonnen und wurden bereits viermal in Folge vom Fachmagazin „Elite-Report“ in Kooperation mit dem Handelsblatt ausgezeichnet. Wir freuen uns auf Sie im Lieneschweg 54 in Osnabrück!

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wiesen, ihr Geld möglichst in renditestarke Anlagen zu investieren. Das dürfte sich für sie auszahlen. Denn sobald Frauen sich einmal an den Aktiemarkt trauen, haben sie oft ein besseres Händchen dafür als die Männer. Ihr Sicherheitsdenken, dass sie oft vom Aktienmarkt fernhält, erweist sich dann nämlich als Vorteil. „Das höhere Sicherheitsbedürfnis führt dazu, dass Frauen sich umfassender informieren. Frauen agieren mit mehr Bedacht und fahren nicht so sehr auf den klassischen Geheimtipp ab wie Männer“, sagt Widmann. Außerdem sind Frauen seltener dazu geneigt, ihre Anlagen umzuschichten, wie Frauke Hegemann sagt, Generalbevollmächtigte der Direktbank Comdirect. Gemeinsam mit Arbeitskolleginnen hat Hegemann die Initiative Finanzheldinnen ins Leben gerufen, die mehr Frauen für das Thema interessieren soll. Eine Untersuchung der US-Fondsgesellschaft Fidelity kam 2017 zu dem Ergebnis, dass weibliche Kunden im Schnitt eine 0,4 Prozent höhere Rendite erwirtschaften als Männer. Dass sich bisher vergleichsweise wenige Frauen an die Börse trauen, liegt an einem weiteren, wesentlichen Unterschied. Es gibt nicht nur eine Lohnlücke zwischen Männern und Frauen, sondern auch eine Wissenslücke beim Thema Finanzen. So trauen sich doppelt so viele Frauen (28 Prozent) wie Männer (14 Prozent) keine Antwort darauf zu, mit welchen Geldanlagen man langfristig am besten Vermögen aufbaut. Auch beim Thema Inflation sind es deutlich mehr Frauen als Männer, die keine Schätzung der aktuellen Inflationsrate abgeben wollen. „Wir beobachten, dass die Deutschen insgesamt Wissenslücken in Sachen Geldanlage aufweisen, Frauen hier aber eine besonders extreme Position einnehmen. Doch sind es gerade Frauen, die im Alter häufiger mit einer Vorsorgelücke zu kämpfen haben und sich deshalb eigentlich vermehrt mit ertragreicher Geldanlage auseinandersetzen sollten“, resümiert Tautorus.

Das geringere Interesse von Frauen an Finanzthemen könnte historische Ursachen haben, vermutet Tautorus: „In den Nachkriegsjahren war es normal, dass die Männer sich um die Finanzen kümmern. Die Zeiten sind vorbei, aber es kann sein, dass die Einstellung von Mutter zu Tochter weitergegeben wird.“ Eine andere Erklärung könne sein, dass es mehr Männer in finanznahen Berufen gebe. Was auch immer die Gründe für die Wissenslücke zwischen Männern und Frauen sind, inzwischen deutet sich ein (Bewusstseins-) wandel an. Immer mehr Frauen wollen die Geldanlage nicht ihrem Partner oder dem Bankberater überlassen und nehmen die Angelegenheit selbst in die Hand. Ablesen lässt sich das beispielsweise am Erfolg der Buchautorin und Bloggerin Natascha Wegelin, die unter dem Pseudonym Madame Moneypenny einen Finanzratgeber für Frauen

„Es muss ein Umdenkprozess stattfinden“ Gabriele Widmann, Deka-Volkswirtin

Foto: Manuel Glasfort

verfasst hat. Ihr Buch „Wie Frauen ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können“ schaffte es auf die Spiegel-Bestsellerliste. Wegelin selbst brauchte erst einen 18 000 Euro teuren Aha-Moment, um sich mit dem Thema Finanze zu befassen, wie sie in ihrem Blog schreibt. Eine Versicherungsmaklerin hatte ihr einen Vertrag angedreht, der sich im Nachhinein als äußerst ungünstig für Wegelin erwies. „Von da an wusste ich: Ich muss meine Finanzen selbst in die Hand nehmen. Es führt einfach kein Weg daran vorbei, selbst Bescheid zu wissen“, schreibt die Buchautorin. Ihr Engagement findet viel Anklang. Wegelins Fans treffen sich regelmäßig in zig Städten bundesweit zum Austausch. In Osnabrück beispielsweise finden diese „Meet-ups“ alle zwei Monate statt. Diskutiert wird über das Thema persönliche Finanzen in all seinen Facetten. Wichtig: Nur Frauen dürfen bei diesen Treffen dabei sein. Das Kalkül der Veranstalter: Männer könnten einschüchternd wirken und manche Teilnehmerin zögern lassen, Fragen zu stellen und dabei Wissenslücken zu offenbaren. „Wenn Frauen unter sich sind, dann trauen sie sich eher mal nachzufragen“, bestätigt Deka-Volkswirtin Widmann. Sie spricht aus Erfahrung, hält sie doch selbst regelmäßig Vorträge in Sparkassen, die sich ausschließlich an Frauen richten. Seit fünf Jahren steige das Interesse an solchen Frauenveranstaltungen an, sagt Widmann. „Ich bemerke bei den Teilnehmerinnen zu Beginn eine große Scheu vor diesem Thema.“ Am Ende seien aber viele bereit, regelmäßig einen Fonds zu besparen. Die Ökonomin freut sich über das wachsende Interesse. „Es muss ein Umdenkprozess stattfinden“, fordert sie. „Nur mit höherer Risikobereitschaft und höherer Renditeerwartung gibt es überhaupt eine Chance, fürs Alter finanziell genügend vorzusorgen. Das müssen Frauen einfach lernen“, urteilt die Expertin.


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

GELD & GESCHÄFT

Vier Wochen sind das Mindeste Wie viel Urlaub steht Arbeitnehmern zu? Ein Fachanwalt beantwortet die wichtigsten Fragen VON SABRINA WENDT

OSNABRÜCK/MEPPEN Die Urlaubsplanung ist ein latenter Konfliktherd in Unternehmen. Zwar gibt der Gesetzgeber einen klaren Rahmen vor – doch vieles ist Verhandlungssache zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Claas Henkel ist Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Oldenburg und beantwortet die wesentlichen Fragen. Wie viel Urlaub müssen Arbeitgeber mindestens gewähren? Der Mindestanspruch beträgt vier Wochen – wobei das Gesetz von einer Sechstagewoche, also 24 Tagen ausgeht, erklärt Henkel. Wird – wie meist üblich – nur an fünf Tagen wöchentlich gearbeitet, beläuft sich der Mindestanspruch daher auf 20 Arbeitstage. Ist jemand nur an drei Tagen wöchentlich in Teilzeit tätig, hat er noch mindestens zwölf Urlaubstage jährlich, sagt Henkel. Gibt es einen Anspruch auf zusätzlichen unbezahlten Urlaub? Im Grundsatz nicht. Es gibt aber Ausnahmen, etwa im Fall der Betreuung eines erkrankten Kindes oder zur Pflege naher Angehöriger. Daneben kann sich ein Anspruch auf unbezahlten Urlaub aus einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung ergeben. Allein der Wunsch eines Arbeitnehmers nach einer längeren Auszeit begründet

keinen Anspruch. In solchen Fällen ist eine Einigung mit dem Arbeitgeber nötig. Dürfen Mitarbeiter Urlaubstage mit ins nächste Jahr nehmen? Das Thema führt in der Praxis immer wieder zu Problemen – oft allerdings nicht während des Arbeitsverhältnisses, sondern erst bei seiner Beendigung, erklärt Henkel. Denn die gesetzlichen Regelungen hierzu sind streng. Grundsätzlich muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr kommt nur ausnahmsweise in Betracht, und in diesem Fall muss der Urlaub in den ersten drei Monaten gewährt und genommen werden. In der Praxis hat sich laut Henkel aber vielfach eine wesentlich flexiblere Handhabung durchgesetzt. Gerade im Zusammenhang mit der Beendigung von Arbeitsverhältnissen werde immer wieder darüber gestritten, wie viel Resturlaub dem Arbeitnehmer aus dem Vorjahr noch zusteht. Eine Höchstzahl der in das Folgejahr zu übertragenden Urlaubstage gibt es nicht. Besteht also noch der gesamte Urlaubsanspruch am Jahresende – etwa weil im laufenden Jahr nur Resturlaub aus dem Vorjahr genommen wurde –, überträgt er sich ins Folgejahr, erklärt Henkel. Bei Urlaubsansprüchen, die über einen vollständigen Jahresurlaub hinaus-

men noch zurückzurufen, sagt Henkel. Von diesem Grundsatz könne auch nicht durch vertragliche Regelungen abgewichen werden. Solche Vereinbarungen seien unwirksam. Schon gar nicht sei ein Arbeitgeber berechtigt, einen Arbeitnehmer aus dem Urlaub zur Arbeit zurückzuberufen.

Wasgibtes beimUrlaubzu beachten?Ein Fachanwaltklärtauf.

gehen, weil sie sich über mehrere Jahre hinweg angesammelt haben, dürfte jedoch eine Grenze zu ziehen sein. Darf der Arbeitgeber Angestellte im Urlaub anrufen? Grundsätzlich nicht – wobei es keinen Unterschied macht, ob es sich um bezahlten oder unbezahlten Urlaub handelt, erklärt Henkel. Während des Urlaubs ruht jede Verpflichtung des Arbeitnehmers, Arbeitsleistungen zu erbringen, dazu zählen auch telefonische Auskünfte. Ausnah-

Foto:imagoimages/McPHOTO

men gelten lediglich in besonders dringenden Fällen, wenn andernfalls erhebliche wirtschaftliche Schäden drohen, beispielsweise wenn ein im Urlaub befindlicher Mitarbeiter als einziger ein dringend benötigtes Passwort kennt und dieses erfragt werden soll. Entsprechend ist auch kein Arbeitnehmer verpflichtet, eine Erreichbarkeit während des Urlaubs zu gewährleisten – und wenn er sieht, dass sein Chef ihn telefonisch zu erreichen versucht, ist er weder verpflichtet, das Gespräch anzuneh-

Welchen Urlaubsanspruch haben Mitarbeiter bei Krankheit? Der Anspruch wird durch Krankheit nicht gemindert. Auch längere Krankheitszeiten führen nicht zu einer Reduzierung des Urlaubsanspruchs. Umgekehrt schließt die Arbeitsunfähigkeit jedoch die Urlaubsgewährung aus, sagt Henkel. Wird also während des Urlaubs ein Arbeitnehmer krank, zählen die Tage seiner Arbeitsunfähigkeit nicht mit als Urlaubstage. Er ist allerdings verpflichtet, dies dem Arbeitgeber unverzüglich zu melden und auch wie üblich durch eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachzuweisen. Zu welchen Zeiten dürfen Mitarbeiter Urlaub nehmen? Rechtlich betrachtet, wird Urlaub nicht vom Arbeitnehmer genommen, sondern von ihm beantragt und dann vom Arbeitgeber gewährt, erklärt Henkel. Dieser Unterschied sei insofern wichtig, als selbst dann, wenn ein Arbeitgeber zu Unrecht den Urlaubsantrag ablehnt oder es

einfach unterlässt, über einen Urlaubsantrag zu entscheiden, der Arbeitnehmer keinesfalls berechtigt ist, den Urlaub anzutreten. Notfalls müssten Arbeitnehmer ihren Anspruch per einstweilige Verfügung durchsetzen. Der Arbeitgeber ist laut Henkel in der Gewährung des Urlaubs allerdings keineswegs frei. Das Bundesurlaubsgesetz bestimmt vielmehr, dass er bei der zeitlichen Festlegung des Urlaubs die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers berücksichtigen muss, soweit ihnen nicht dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten vorrangig sind, entgegenstehen. Dadurch sind die Ablehnungsgründe für den Arbeitgeber ganz erheblich eingeschränkt. All dies gilt laut Henkel allerdings nur für den bezahlten, dem Arbeitnehmer also zustehenden Urlaub, während beim unbezahlten Urlaub der Grundsatz gilt, dass regelmäßig kein entsprechender Anspruch besteht. Soweit gesetzliche Ausnahmen bestehen, beispielsweise für die Betreuung eines erkrankten Kindes, handelt es sich laut Henkel rechtlich gar nicht um einen Fall der Urlaubsgewährung, sondern um einen im Sozialrecht geregelten Freistellungsanspruch, der genau und nur dann bestehe, wenn das Kind akut erkrankt sei und die Betreuung nicht anderweitig gewährleistet werden könne.

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Osnabrücker Werbeagentur sec liebt das Besondere

Das Team der Osnabrücker Agentur sec Kommunikation und Gestaltung

W

irtschaft und Wissenschaft, Soziales und Sport, Kultur und Kommerz: Die Agentur sec Kommunikation und Gestaltung arbeitet übergreifend. »Wir haben natürlich Schwerpunkte, die sich aus langjährigen Geschäftsbeziehungen ergeben«, erläutert Geschäftsführerin Manuela Maria Lagemann. »Aber wir legen uns nicht fest. Dazu lassen wir uns zu sehr von neuen Aufgaben begeistern.«

Eine Etage in der Osnabrücker Innenstadt, lichtdurchflutet, mit Blick auf die Hase und mit einem hochmotivierten Team, das vielseitig arbeitet: Strategie, Gestaltung, Grafik, Design, Text, Redaktion, Lektorat, Projekt- und Eventmanagement. Das ist auf den Punkt gebracht, was die Werbeagentur sec ausmacht. sec wurde 1994 gegründet, Manuela Lagemann und Jochen Fritz leiten die Agentur.

Was sec ausmacht

»Der lebendige Erfahrungsaustausch zwischen Kunde und Team ist ein wichtiges Teilstück auf der Zielgeraden zu erfolgreicher Werbung«, davon ist das Team überzeugt, das von sich sagt: »Wir hören unseren Auftraggebern zu und entwickeln dann Ideen, Gestaltung und Kommunikationswege.« Aufmerksamkeitsstarke Flyer, mehrsprachige Kataloge, ansprechende Kundenmagazine im Printbereich oder strukturierte Internetauftritte, Simulationstools und Soziale Medien-Betreuung in der Onlinewelt sowie Gestaltung und Umsetzung von Corporate Design und Messeauftritten und Ausstellungen – die einzelnen Mitarbeiter haben ihre Spezialgebiete, in die sie neben ihrem Fachwissen ihre persönlichen Talente einbringen: Die Leidenschaft für die Fotografie, der prüfende Blick für ein akribisches Lektorat oder die Begeisterung für außergewöhnliches Design. Die Herangehensweise ist jedes Mal individuell, das macht sec aus. »Wir möchten nicht nur für uns und unsere Zusammenarbeit, sondern vor allem auch für unsere Kunden ein festes Team haben, das beständig ist.« So werden auch externe Partner aus den Bereichen Fotografie,

Druck oder Muster- und Modellbau langfristig an die Agentur gebunden. Dass auch ein Tischler mit zum Team gehört, zeigt das Außergewöhnliche des Unternehmens. »Wir lieben das Besondere«, macht die Geschäftsführerin deutlich. »Um unsere Ideen umzusetzen, arbeiten wir deshalb auch mit außergewöhnlichen Mitteln.« Diese hohe Individualität, ob im Bereich des Handwerks, in der grafischen oder der textlichen Umsetzung, prägt die Arbeit von sec. Dies wurde bereits zweimal mit dem Deutschen Exzellenz-Preis ausgezeichnet.

Ausgezeichnete Arbeit

»Unsere Freude ist immer noch riesengroß, insbesondere da wir zwei Jahre in Folge als Preisträger dieses bundesweiten Wettbewerbs gekürt wurden«, berichtet das Team mit strahlenden Augen. Der Deutsche Exzellenz-Preis unter Schirmherrschaft von Wolfgang Clement wurde 2018 eingeführt und 2019 zum zweiten Mal vergeben. Veranstalter sind das Deutsche Institut für Service-Qualität, das DUB Unternehmer Magazin und der Nachrichtensender n-tv. Die Experten-Jury ehrte die Agentur sec als zweifach exzellent: 2018 gab es die Auszeichnung für die Kampagne »Keramik ist Vielfalt« der Ziegelei Hebrok in NatrupHagen. Agentur und Ziegelei haben – beginnend während der Weltwirtschaftskrise 2009 – eine eigene Produktmarke entwickelt, aufgebaut und als Marktführer etabliert. 2019 würdigte die Jury die Entwicklung und Etablierung einer spezifischen Arbeitgebermarke für die Stadt Osnabrück.

»Ich bin bei der Stadt«

»Für die Einführung dieser Marke haben wir das Konzept des persönlichen Mitarbeiterbekenntnisses ›Ich bin bei der Stadt‹ entwickelt und in den Fokus gestellt«, erklärt Manuela Lagemann. »Dieser persönliche Bezug hat uns auf Anhieb überzeugt«, sagt das Team des Fachbereichs Personal und Organisation der Stadt Osnabrück. »Wir sehen gute Chancen, mit der Ausgestaltung dieses Markenkerns bereits Beschäftigte zu binden und qualifizierte Bewerberinnen

und Bewerber einzustellen.« »Es ist eine eindrucksvolle Bestätigung des eingeschlagenen Wegs, dass diese Kampagne einen bundesweiten Wettbewerb gewonnen hat«, betont Michael Klesse, Leiter des Fachbereichs Personal und Organisation. Insbesondere da die Stadt Osnabrück die einzige Kommune ist, deren Arbeitgebermarke den Deutschen Exzellenz-Preis 2019 erhielt. »Doch der Preis gebührt nicht uns allein«, so Jochen Fritz. »Bei uns steht der Kunde im Mittelpunkt. Deshalb ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, die Auszeichnung mit dem Kunden zu teilen. Denn geteilte Freude ist doppelte Freude.«

A wie Ausblick

Und wie geht es weiter? Das Team der Agentur sec arbeitet voller Elan und Kreativität an interessanten Aufträgen, von denen der eine oder andere vielleicht von sich reden machen wird. Für unterschiedlichste Auftraggeber – von B wie Bohnenkamp-Stiftung bis Z wie Ziegelei Hebrok. »Von A bis Z wäre eine runde Sa-

che, doch ganz ehrlich, zurzeit fehlt uns ein Kunde mit A«, verrät Manuela Lagemann schmunzelnd. Das könnte sich leicht ändern. Das Team ist gespannt und würde sich darüber freuen.

sec Kommunikation und Gestaltung GmbH Konrad-Adenauer-Ring 20 49074 Osnabrück Telefon 0541 / 800 494-0 E-Mail: mail@agentur-sec.de www.agentur-sec.de


DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

LEBEN & LEIDENSCHAFT

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Inder firmeneigenenManufaktur werden dieSportgeräteaus Holzin Handarbeithergestellt–darunter Sprossenwände,statischeFahrräder,LaufbänderoderRudergeräte.

Rudern wie Frank Underwood Nordhorner Firma startet mit Fitnessprodukten aus Holz durch – Weltweiter Erfolg dank US-Serie „House of Cards“

VON ANDRÉ POTTEBAUM

NORDHORN Sportgeräte aus Holz sind noch immer eine Rarität. Für das Nordhorner Unternehmen Water Rower ist das Naturmaterial hingegen essenziell. In der hauseigenen Manufaktur werden sie produziert und an Privatleute sowie Fitnessstudios verkauft – aber auch an prominente Abnehmer aus Hollywood. Sie wirken wie elegante Möbel und doch sind sie mehr als reine Hingucker – die Sportgeräte der Nordhorner Firma Water Rower, die unter anderem als Rudergerät, statisches Fahrrad oder Sprossenwand zum Einsatz kommen. Holz ist dabei das prägende Element. Während Ästheten schon beim Anblick der naturbelassenen Produkte auf ihre Kosten kommen, dürften auch Fitnessenthusiasten die Kreationen des Sportgeräteherstellers zu schätzen wissen. Bekannt geworden ist das niedersächsische Unternehmen durch das gleichnamige Rudergerät, den Water Rower, das anders als viele herkömmliche Produkte nicht durch Wind, sondern durch den Widerstand des Wassers angetrieben wird. Je mehr Widerstand erzeugt wird, desto mehr Kraft muss aufgebracht werden, um diesen zu überwinden. Selbst das dabei zutage tretende Geräusch, erinnert an eine Ruderfahrt im Freien. Die Idee dazu entstand 1988, wie Geschäftsführer Dominik Kuprecht, berichtet. John Duke, ehemaliger Ruderer der US-Nationalmannschaft, gründete damals im Bundesstaat Rhode Island das Unternehmen und meldete zeitgleich das Patent auf den Wasserwiderstand an. Ein Jahr später lernten sich Duke und Kuprecht bei einer Ruderregatta in London kennen, wo der gebürtige Schweizer für seinen damaligen Arbeitgeber jobbte. „Wir haben gemeinsam eine Lizenzvereinbarung getroffen, damit wir das Gerät für den englischen Markt produzieren können. Das war der Grundstein“, erinnert sich der Nordhorner an die Anfänge, die er mit seinem Geschäftspartner Peter King initiierte. Doch die anfängliche Euphorie wich schnell der Gewissheit, wie schwierig es werden würde, das Sportgerät an potenzielle Kunden zu verkaufen. „Im ersten Jahr haben wir zahlreiche Fitnessstudios abgeklappert, relativ erfolglos. Die meisten haben ein Konkurrenzprodukt genutzt. So haben wir gerade

Mehr alseinSportgerät: DerWater Rowerist auchoptischein absoluterHingucker.

einmal zwölf Geräte verkauft“, erinnert sich Kuprecht. Einige Jahre später zog es den gebürtigen Schweizer schließlich nach Kassel, wo er die Water Rower GmbH Deutschland gründete. Im gleichen Jahr ging es weiter auf die Sportmesse Fibo, die weltweit größte Messe für Fitness, Wellness und Gesundheit. „Wir haben damals im Citroën von Peter geschlafen, weil wir uns ein Hotel einfach nicht leisten konnten. Immer wenn wir ein paar Geräte verkauft hatten, haben wir uns eine Brat-

„Wir haben damals im Citroën von Peter geschlafen, weil wir uns ein Hotel einfach nicht leisten konnten.“ Dominik Kuprecht, Geschäftsführer WaterRower

wurst gegönnt“, sagt der Unternehmer mit einem Lächeln auf den Lippen. 2005 entschied er sich schließlich für den Schritt in die Selbstständigkeit. In Nordhorn, wo er zuletzt für das Private-Equity-Unternehmen gearbeitet hatte, gründete er die Firmenzentrale und startete mit „drei, vier Mitarbeitern“, wie er selbst sagt. „Ich wollte einfach das machen, was mir Spaß macht. Ich lebe hier meine Leidenschaft“, so der 50-Jährige. Schnell kamen weitere Geräte hinzu: Sprossenwände, Wackelbretter oder ein Ergometer, aus denen schließlich die Marke NOHrD hervorging, die sowohl Bezug zum Standort Nordhorn (NOH) als auch zum deutschen Firmensitz (D) nimmt. „Wir sind mittlerweile in der ganzen Welt tätig, haben elf Vertriebsbüros in Spanien, Neuseeland, Australien, China oder auch Japan. 50 Prozent unserer Produkte gehen in den Export. Nur der Water Rower wird ausschließlich in den USA produziert, auch weil das Holz, das wir verarbeiten, fast ausschließlich dort herkommt“, sagt Kuprecht. Die anderen Geräte des Unternehmens werden in der hauseigenen Manufaktur hergestellt, die gleich neben der Firmenzentrale im Gewerbegebiet an der Otto-HahnStraße liegt, in die das Unternehmen 2012 wechselte. Ein Großteil der rund 100 Mitarbeiter kümmert sich dort um die Fertigung der Sportgeräte. Zunächst werden an einer der sieben Fräsen die Holztei-

Fotos:MichaelGründel

le verarbeitet und zurechtgeschnitten, ehe die Hölzer abgeschliffen und verklebt werden. Auch technische Elemente finden hier ihren Platz, vom Display bis hin zu USBSchnittstellen für die eigene Musik. Zwischen wenigen Stunden und ein paar Tagen dauert es, bis das jeweilige Produkt fertiggestellt wird und an den Kunden ausgeliefert werden kann. „Wir haben festgestellt, dass wir viel flexibler sind, wenn die Produktion vor Ort stattfindet. Zum einen haben wir einen sehr guten Standort gefunden, was auch an der Zusammenarbeit mit der Stadt liegt. Zum anderen finden wir hier sehr gutes Personal“, so der Geschäftsmann. „Wir möchten made in Germany auch wirklich leben.“ Dass sich das Unternehmen von der Konkurrenz abhebt und auf Holzprodukte setzt, hatte zumindest am Anfang einen simplen Grund. „John konnte kein Metall verarbeiten, er hatte nur eine Stichsäge und hat Holz genommen als Rahmen für den Wassertank“, erklärt er. „Das sah gar nicht so schlecht aus. Erst viel später haben wir gemerkt, dass Holz ein zentrales Element unseres Designs und unserer Marke ist“, so Kuprecht. Seinen weltweiten Erfolg verdankt das Unternehmen jedoch einem glücklichen, wenn auch kuriosen Umstand: „Vor sechs oder sieben Jahren hat uns die Produktionsfirma von ,House of Cards‘ kontaktiert und angefragt, ob sie das Rudergerät in der Serie nutzen dürfen“, erzählt Kuprecht. „Wir haben

dann das Gerät kostenlos zur Verfügung gestellt und 2000 Dollar überwiesen. Der Effekt war Wahnsinn. Unser Umsatz hat sich in den darauffolgenden Jahren jedes Jahr verdoppelt. Das war super Marketing für uns“, so der Unternehmensgründer. So stieg der Umsatz allein im vergangenen Jahr auf rund 23 Millionen Euro. Dabei war anfangs längst nicht klar, ob die Serie mit Hollywoodstar Kevin Spacey – auch wenn er vor „Me-too“ noch hoch im Kurs stand – überhaupt ein Erfolg werden würde. „Letztlich war es der Personaltrainer von Spacey, der selbst einen Water Rower hatte. Auch jetzt sind wir gefragt worden, ob wir für die Serie ,Bad Banks‘ Geräte liefern können“, freut sich der ehemalige Eishockeyspieler. Selbst in den USA

sorgte die Präsenz des Water Rower für landesweite Schlagzeilen. Im April 2016 veröffentlichte das WallStreet-Journal einen Bericht, in dem das Rudergerät als heimlicher Star der Netflix-Serie geadelt wurde. Doch auch bei Kunden in Deutschland kommen die Sportgeräte der Nordhorner gut an. „Natürlich sehen die Produkte gut aus. Viel wichtiger ist aber, dass sie einen in der Bewegung nicht einengen, sie wirklich gut und sehr funktional sind“, sagt Dirk Rosin, der in Neubrandenburg ein Fitnessstudio betreibt und gerne auf die „hölzernen“ Produkte zurückgreift. Für das noch junge Nordhorner Unternehmen ist der Erfolg kein Grund, sich auszuruhen, wie Dominik Kuprecht versichert. Erst vor wenigen Wochen wurde ein neues Laufband in die Produktion aufgenommen, das lediglich durch die eigene Muskelkraft angetrieben wird. „Ich hätte noch die eine oder andere Idee“, so Kuprecht. „Aber meine Mitarbeiter müssen mich manchmal ein bisschen bremsen“, so der Nordhorner. Das neue sowie andere Sportgeräte können Kunden seit gut drei Jahren auch im hauseigenen Fitnessstudio unter die Lupe nehmen. Auf einer Fläche von 400 Quadratmetern können sich Nutzer austoben und die Geräte auf Herz und Nieren testen. Über die Webseite des Studios melden sich die Nutzer für eine bestimmte Uhrzeit an und können für umgerechnet fünf Euro eine halbe Stunde trainieren. Wer sich dann entscheidet, kann die Geräte für mehrere Hundert Euro erwerben oder gegen eine Gebühr von 10 Euro im Monat in die eigenen vier Wände holen.

Visionärund Geschäftsführer: Dergebürtige SchweizerDominik Kuprechtleitetdie Geschäftedes SportgeräteherstellersinNordhorn und entwickeltimmer neueIdeenfür sein Unternehmen.


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

LEBEN & LEIDENSCHAFT

VON KATHARINA PREUTH

OSNABRÜCK Die Wände der Boulderhalle „Zenit“ in Osnabrück hängen voller bunter Griffe, auf dem Boden liegen dicke Matten, und laute Musik mischt sich mit den Stimmen der vielen Besucher. Es ist 19 Uhr. Stoßzeit. Einige Sportler versuchen die Routen zu bewältigen, andere stehen in Gruppen davor und diskutieren über den besten Weg nach oben. Das englische Wort „boulder“ bedeutet Felsblock und verweist noch auf den ursprünglichen Sport: das Klettern an Felsblöcken. Anders als beim Klettersport selbst gibt es beim Bouldern kein Seil. Das ist aber auch nicht nötig, denn selbst der oberste Griff, das Ziel einer Route, befindet sich in Absprunghöhe auf etwa vier Meter Höhe. Die Matten federn Stürze ab. Verschiedenfarbige Griffe in der Halle markieren die unterschiedlichen Schwierigkeitsgrade der Routen, sodass sich Anfänger und Fortgeschrittene an der Wand probieren können. Die Besucher der Osnabrücker Halle sind zwischen sechs und über 70 Jahre alt, es sind Frauen und Männer, Extremsportler und Gelegenheitskletterer. Das „Zenit“ scheint zu florieren. „Das muss man jetzt natürlich relativieren“, sagt Geschäftsführer Thomas Hofer. Die meisten Sportler kämen zwischen 17 und 20 Uhr. „Das ist unsere Hauptzeit.“ Doch geöffnet hat die Halle täglich ab 12 beziehungsweise 14 Uhr und am Wochenende ab 11 Uhr. „Am frühen Nachmittag sind in der Regel nicht so viele da“, erklärt Hofer. Dennoch können er und sein Geschäftspartner Michael Pazzini sich nicht beschweren. Seit ihren Anfängen im Jahr 2013 hat sich die Besucherzahl verdoppelt. Insgesamt haben 70 000 Besucher eine Verzichtserklärung unterschrieben. Das ist Pflicht eines jeden neuen Gastes. Dadurch sichern sich die Betreiber gegen Unfälle ab. Die Kletter- und Boulderbranche boomt deutschlandweit. Wie der Deutsche Alpenverein auf seiner Homepage aufführt, gab es zwischen 2000 und 2010 durchschnittlich 18 neue Anlagen pro Jahr, von 2010 bis 2018 waren es sogar 24 jährlich. Die Anzahl hat sich insgesamt von 2000, wo es 180 Hallen gegeben hat, zu Ende 2018 auf 500 Anlagen erhöht. Davon sind etwa zwei Drittel hauptsächlich Seilkletterhallen und ein Drittel reine Boulderhallen. Pazzini und Hofer machten sich vor rund sechs Jahren mit der ersten und bislang einzigen Boulderhalle in der Region selbstständig. Die nächsten Boulder- oder Klettermöglichkeiten gibt es in Münster, Bielefeld, Oldenburg oder Dortmund. Im Sommer können die Sportler noch die Dö-

Die BetreiberThomasHofer(links)undMichaelPazzinikennendie Kletter-Szene.ZusammenhabensiedieZenit Boulderhallein Osnabrückaufgebaut.

Foto:David Ebener

Mit sicherem Handgriff die Wände hoch Das Klettern ohne Seil ist ein Trendsport – auch in Osnabrück renther Klippen bei Ibbenbüren erklimmen oder in den Ith bei Hameln fahren. „Das ist für uns keine Konkurrenz. Im Gegenteil, an den Wochenenden kommen Leute auch aus dem weiteren Umfeld. Sie wollen dann einfach Abwechslung. So wie unsere Stammkunden auch in andere Hallen fahren“, sagt Michael Pazzini. Bevor der erste Boulderer die Wände des „Zenit“ hochkraxeln konnte, lagen viele Steine auf dem Weg der beiden Existenzgründer. Der gelernte Physiotherapeut Pazzini kündigte 2009 seinen Job, um sich seinem großen Traum zu widmen: einer Kletterhalle in Osnabrück. Er ist ebenso wie sein Geschäftspartner Thomas Hofer seit vielen Jahren leidenschaftlicher Hobbykletterer. Nachdem Hofer sein Studium beendet hatte, meldete er sich wie Pazzini arbeitslos. Dank dieses Status kamen die beiden über die Agentur für Arbeit mit einem Unternehmensberater zusammen, den zu 80 Prozent die KfW-Bank finanzierte. „Das war das Beste, was uns in der Situation passieren konnte“, erklärt Hofer. Durch den Berater sind die Unternehmer auf weitere Mittel zur Förderung aufmerksam geworden. Jetzt fehlte nur noch die richtige Immobilie. Auf der Suche nach einem geeigneten Ort verabschiedeten sie sich

von der Ursprungsidee einer Kletterhalle. Kletterrouten sind mindestens zwölf Meter hoch. Eine Immobilie von dieser Größe zu finden stellte sich als zu schwierig heraus. Im April 2013 unterschrieben Pazzini und Hofer dann den Mietvertrag für die Räume an der Dammstraße 2 und gründeten eine GmbH. Nachdem eine Bank den beiden einen Kredit im mittleren sechsstelligen Bereich gewährt hatte, begannen die Umbauarbeiten, und schon Ende 2013 wurde die Boulderhalle eröffnet. „Ich war mir zu keiner Zeit sicher, dass das was wird“, erinnert sich Thomas Hofer. Bei seinem Kollegen hingegen gab es keine Zweifel am Erfolg. „Ich dachte nur, von der Idee bis zur Eröffnung würde alles viel schneller gehen“, erklärt Pazzini. Der Vorteil der beiden war, dass sie durch ihr Hobby in der Boulder- und Kletterszene der Region früh gut vernetzt waren. Viele hatten von der Halle gehört, lange bevor es sie gab. Schon 2010 ließen Hofer und Pazzini Werbe-T-Shirts mit dem späteren Namen drucken. „Dadurch wuchs natürlich auch der Druck, dass das alles klappen muss“, sagte Hofer. Er betont, dass Klettern und Bouldern kein Trend ist, sondern sich zur Freizeitaktivität für die Massen entwickelt hat. Durch die RTL-Show

SPORT, CAFÉ UND OUTDOOR AUF ÜBER 3000 m2

„Ninja Warrier“ hat der Sport noch mal an Aufmerksamkeit gewonnen. Die Teilnehmer müssen dort durch Geschick und Kraft Hindernisse überwinden. Hierbei sind Kletterer

„Ich war mir zu keiner Zeit sicher, dass das was wird.“ Geschäftsführer Thomas Hofer

und Boulderer im Vorteil, da besonders Arme und Hände gefordert werden. „Einige haben die Sendung gesehen und sind dann zu uns gekommen“, sagt Pazzini. Besonders hoffen die Geschäftsführer auf Olympia. Bei den Sommerspielen in Tokio 2020 ist der Sport erstmals olympisch. Auch wenn Experten den deutschen Favoriten höchstens Außenseiterchancen ausrechnen, wird die Fernsehpräsenz der Popularität des Boulderns nicht schaden, im Gegenteil. Die kritischen ersten fünf Jahre der Existenzgründung haben Hofer und Pazzini bereits geschafft. Seit den Anfängen haben sie weitere Räume angebaut und die Boulderfläche von ursprünglich 500 auf 1000 Quadratmeter erweitert. Zum Vergleich: Europas größte Boulderhalle ist die „Boulderwelt“ in Dortmund mit 3200 Quadratmeter Sportfläche. Die Halle hat Mitte April 2019 eröffnet. Im „Zenit“ zieht es die Besucher aber nicht nur an die Wände. Im Vorraum verkaufen die Besitzer an einer Theke Kaffee und Snacks, außerdem gibt es gemütliche Sitzecken und einen Kamin. Etwas Geld verdienen Hofer und Pazzini zudem mit dem Verkauf von Kletterkleidung und -zubehör. Gerade haben sie eine Koope-

ration mit dem Osnabrücker Outdoor-Geschäft Bewatrek abgeschlossen. „Bei uns können die Kunden die Kletterschuhe direkt ausprobieren. Das ist ganz praktisch“, erklärt Hofer. Den Laden halten sie mit mittlerweile 31 Angestellten am Laufen. Elf von ihnen haben eine feste Anstellung, und 20 weitere arbeiten auf 450-Euro-Basis. Für die Zukunft haben die Geschäftsführer noch viele weitere Ideen in der Schublade. Immer noch spukt der Gedanke im Kopf herum, doch eines Tages eine Halle zu besitzen, in der Seilklettern möglich ist. Auch eine Sauna wünscht sich Pazzini. „Wir wissen, dass unsere Umkleiden und die Duschen zu klein sind, da müssen wir was machen.“ Eine weitere Baustelle ist die Parksituation. Zu den Stoßzeiten reichen die PkwPlätze nicht aus. „Es kommt vor, dass die Leute am Hauptbahnhof parken und dann zu Fuß zu uns laufen müssen“, so Hofer. Das sind zwar nur fünf Gehminuten, aber für die Gäste nicht optimal. Auch wenn für vieles zurzeit Geld und Platz fehlen, einige Ideen haben die beiden Unternehmer bereits konkretisiert. Sie rechnen damit, dass sich Ende des Jahres Veränderungen ergeben. Was genau ansteht, wollen sie jedoch noch nicht verraten.

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

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„Was für eine coole Socke“ Zwei junge Berater wagten sich auf eine „moderne Walz“ durch 26 Staaten VON AXEL ROTHKEHL

MELLE Sie hätten es bequemer haben können. Elf Monate lang zogen Anna Stania und Nils Schnell durch Länder wie Albanien, Kasachstan oder die Mongolei. Dort schulten die beiden Coaches in meist jungen Firmen das Konzept des modernen Arbeitens, der „New Work“. Genauso wichtig war ihnen aber, Erfahrungen mitzunehmen. In ihrem Reiseblog sieht alles so lässig und einfach aus: Zwei 34-Jährige hocken in stylischen AirbnbWohnungen vor teuren Laptops. Er wirkt dank üppiger Gesichtsbehaarung wie ein Bilderbuch-Hipster, sie muss schon wegen ihrer optischen Grundausstattung erfolgreich sein. Tatsächlich zogen sie mit vier Rucksäcken los, fuhren viel mit dem Bus und schliefen auch in Zelten. Angekommen planten sie den nächsten Trip, die nächste Schulung und schrieben fleißig AkquiseMails fürs nächste Coaching. Zwischendurch standen immer wieder Beratungen via Skype mit Kunden aus der Heimat an. Die Coaches haben in Bielefeld Erziehungswissenschaften studiert. Stania mit dem Nebenfach Wirtschaftswissenschaft, Schnell hatte noch Soziologie im akademischen Gepäck. Ihre Berufsbezeichnungen sind „Leadership Coach“ und „New Work Expert“. Sie gründeten ihre Beratungsfirma „Mowo-

mind“ und gehen auch privat als Paar durchs Leben. Zielgruppen sind Start-ups und IT-Unternehmen. „Da werden schon fast überall die Klischees vom Kickertisch, Gratisobst und Kaffee-Ecke umgesetzt, aber das allein reicht nicht“, so Schnell. Der Ansatz: Beim Konzept „New Work“ soll jeder „eine sinnstiftende Arbeit finden hin zu mehr Eigenverantwortung“. Stania meint: „Arbeit wird sich in Zukunft stark verändern. Wir können die Leute ein Stück daran gewöhnen. Wichtig ist vor allem, dass das Management mitzieht.“ Ein Hindernis, das haben sie in Kirgisistan und Kasachstan erlebt, sei das Mikromanagement der Führungsebenen. „Das Statusdenken ist wegen der sowjetischen Vergangenheit noch stärker ausgeprägt.“ In Australien und auch in den Niederlanden seien Führungskräfte deutlich weniger auf Hierarchie und Status fixiert. „Dort geht es wesentlich entspannter zu – auch als bei uns ins Deutschland“, beobachtete Stania. „In unseren Trainings stellen wir oft die Frage: Wo siehst du Chancen und Herausforderungen? Worin kannst du dich verbessern? Bei New Work geht es aber längst nicht darum, alles perfekt zu machen“, so Schnell. Die Arbeit dürfe sich vielmehr Stück für Stück weiterentwickeln. Lernfehler seien erlaubt, solange die Mitarbeiter daraus neues Wis-

MitSeminaren zur„NeuenArbeit“sindAnnaStaniaund NilsSchnelldurchdieWeltgetourt.

sen generierten. „Fortschritt ist mit Angst vor dem Scheitern nicht möglich. Auch die Führungskräfte sollen das testen und diese Fehler machen.“ Unterwegs entspricht das Honorar für ihre „Neue Arbeit“-Seminare zuweilen dem Motto der alten Landarztbezahlung mit Eiern und Schinken. Für Stania und Schnell ist das grundsätzlich in Ordnung. Beim neuen Arbeiten gehe es auch darum, andere Vergütungssysteme

zu finden, die der sinnstiftenden Arbeit näherkommen. So genoss in der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator ein Hotelchef zwei Tage Tandemcoaching und ließ die beiden dafür eine Woche lang in seinem Fünf-Sterne-Haus wohnen. In der Stadt kommen Stania und Schnell noch günstig an einen Mietwagen, weil sie eine Drohne im Gepäck haben. Mit der machen sie flotte Filmaufnahmen zu Werbe-

Foto:privat

zwecken für den Ableger einer deutschen Autovermietung. Fast zwei Monate touren sie durch China. Da ist die Bezahlung ihrer Dienste tabu, weil sie im Reisepass kein Arbeitsvisum haben. Und in so einem totalitären Staat wie China wollen Stania und Schnell jedes Risiko vermeiden. „Wir haben trotzdem viele Gespräche geführt. Das war ein Austauschgeschäft: Welche Erfahrungen ma-

chen die chinesischen Start-ups mit New Work?“ Die beiden Deutschen waren auf drei Kontinenten unterwegs, haben 26 Länder bereist, 85 Trainings geleitet und 60 000 Kilometer zurückgelegt. Darunter waren Strecken in weniger sicheren Staaten wie dem Libanon. „Es gibt überall Menschen, die anders arbeiten möchten“, rechtfertigt Stania den Reiseweg. Aus vielen Gesprächen sei sie rausgekommen und dachte: „Boah, was für eine coole Socke.“ Ein Schnäppchen war die Reise nicht, denn sie gönnten sich Forschungstage an Hotspots wie Singapur, Hongkong und Sydney. Auch wenn die beiden oft regulär bezahlt wurden, halten sich Einnahmen und Ausgaben die Waage. „Unser Fokus lag nicht darauf, mit einem finanziellen Plus abzuschließen“, erklärt Stania, „das Plus an Erfahrung zählt. Diese Erfahrungen sind nicht in Geld aufzuwiegen.“ Als sie jetzt in der Resozialisierungsphase durch Anna Stanias Meller Heimat schlenderten, trafen sie viele Bekannte. „Ach, die Urlauber sind zurück“, war eine der häufigsten Ansprachen. „In diesem Jahr haben wir mehr als je zuvor gearbeitet“, wehrt sich Stania. Die Komfortzone wollen Schnell und Stania schon bald wieder verlassen. Gerade planen sie die nächste Modern-Work-Tour. Dann soll es durch Afrika und Südamerika gehen.

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Zeitleiste

1974

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1979

1984

Barack Obama wurde 2009 der Friedensnobelpreis verliehen.

Seit 30 Jahren Fachbeiträge, Tipps & Tricks rund um IT-Themen.

1989

1994

1999

2004

Die Olympischen Winterspiele 2014 finden im russischen Sotschi statt.

2009

2014

2019

JAHRE

digital denken und handeln Ganzheitliche IT-Konzepte für Vitalität im Mittelstand


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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

LEBEN & LEIDENSCHAFT

LEBEN & LEIDENSCHAFT

Zwischen Handyketten, Fußmatten und Zwitscherboxen

Kreativ, jung und selbstständig

Ein Mutter-Tochter-Gespann aus Lingen verkauft Schmuck und Dekoartikel – trotz Konkurrenz durch die großen Ketten

VON KATHARINA PREUTH

Konditormeisterin Lena Liere baut ihr eigenes Unternehmen auf Vor zweieinhalb Jahren hat sich Lena Liere selbstständig gemacht. Auch für Cafés stellt die Konditormeisterin Torten her. Auch Kräuter sind in den Tortenfüllungen nachgefragt. VON NINA STRAKELJAHN

BADBERGEN Während es immer weniger handwerkliche Bäckereien und Fleischerbetriebe gibt, wächst die Zahl der Konditoreien seit Jahren leicht an. Eine derjenigen, die den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben, ist Lena Liere aus Badbergen. In Lenas Tortenzauber backt sie vor allem Hochzeits- und Motivtorten wie die dreistöckige Torte, die sich ein Brautpaar aktuell gewünscht hat. Drei verschiedene Geschmacksvarianten hat die 28-jährige Konditormeisterin dafür bereits vorbereitet, Biskuitböden mit Erdbeer-Vanille-Creme, Bananen-SchokoCreme und Maracuja-MangoCreme. Zwei Stockwerke stehen schon aufeinander. Nun setzt Lena Liere vorsichtig die dritte und kleinste Torte als Krönung auf. Vor mehr als zweieinhalb Jahren hat sich die junge Frau selbstständig gemacht. „Das hatte ich immer schon im Kopf “, sagt sie. Zunächst hatte sie ihre Backstube in der Burgmannschenke in Badbergen eingerichtet. Mittlerweile hat sie eine Garage für ihre Bedürfnisse ausgebaut. Ein Kühlraum soll bald noch folgen. Nach einem Praktikum entschied die heute 28-Jährige, Konditorin zu werden. Den Beruf gelernt hat sie in einer Konditorei in Aachen. „Ich war sehr glücklich mit meiner Ausbildung.“ In dem Betrieb lernte sie auch, Pralinen herzustellen, aber Motiv- und Hochzeitstorten lagen ihr am meisten. Sogar an Wettbe-

Denklassischen Erdbeerkuchen– passendzur Jahreszeit –backt die28-jährige Konditormeisterin füreinCafé.

werben nahm Lena Liere teil. Heute hat sie dafür allerdings keine Zeit mehr. Auch wenn es ihr in Aachen gefiel, zog es die gebürtige Quakenbrückerin letztlich wieder in ihre Heimat. Zunächst arbeitete sie für kurze Zeit in einer kleinen Konditorei. Dann wechselte sie in eine Bäckerei. Doch die Arbeit in der Nacht machte ihr keinen Spaß. „Das war nichts für mich“, sagt Lena Liere. Deshalb nahm sie es in Kauf, bis nach Ostercappeln zu fahren, um in einem Café zu arbeiten. Ihre ehemalige Chefin unterstützt sie dort bis heute. Allerdings schafft Liere das nur noch zweimal in der Woche, denn in ihrer eigenen Konditorei hat sie genug zu tun. „Ich musste an manchen Wochenenden auch schon Anfragen ablehnen“, sagt sie. Für dieses Wochenende muss sie vier

„Ich musste an manchen Wochenenden auch schon Anfragen ablehnen.“ Konditormeisterin Lena Liere

dreistöckige Hochzeitstorten, drei Motivtorten, vier normale Torten für Kunden und fünf normale Torten für ein Café herstellen. Da braucht sie viel Platz und muss im Kühlschrank gut puzzeln können. Die eine Hochzeitstorte ist fast fertig. Die oberste, kleinste Torte hat die Konditormeisterin mittlerweile platziert. Vorsichtig streicht sie sie noch einmal ein, damit keine Lücken mehr zu sehen sind. Sie prüft genau, ob überall genug Creme ist. Streicht an der ein oder anderen Stelle noch ein bisschen hin. Dann werden Erdbeeren geschnitten, auch Himbeeren, Brombeeren und Blaubeeren legt sich Lena Liere zurecht. Sorgfältig platziert sie das Obst immer in der gleichen Reihenfolge: Himbeeren, Blaubeeren, Brombeeren und zum Schluss eine Erdbeere. Das wiederholt sie an mehreren Stellen. Dann betrachtet sie die Torte. Irgendetwas fehlt noch, findet die 28-Jährige, schnappt sich eine Schere und geht nach draußen. Sie schneidet Blüten aus dem Garten. Da weiß sie, dass sie nicht gespritzt sind. Diese platziert sie zum Abschluss noch auf der Torte. Mehrere Alben mit Fotos ihrer Meisterwerke hat die Konditormeisterin. So kann sie ihren Kunden zeigen, was alles möglich ist. Allerdings freut sie sich auch, wenn die Kunden Ideen mitbringen und sie gemeinsam eine Torte entwickeln können. „Viele bringen Bilder mit“, sagt Lena Liere. Dank Internet gebe es heute viele Vorlagen. Ein Trend sei momentan die „Naked Cake“. Die Torte wird also nicht mit Fondant eingedeckt oder einer Creme eingestrichen. So sind die Böden zu erkennen. Vor allem geschmacklich freut sich Liere, wenn die Kunden auch einmal etwas anderes probieren wollen als die klassischen Füllungen, die sie im Angebot hat. Viele würden sich für etwas entscheiden, was jeder möge. Aber gerade Kräuter wie Rosmarin oder Basilikum seien nachgefragt. Für die junge Konditorin ist das kein Problem. „Ich habe ein Gefühl dafür“, erklärt sie. Die Grundrezepte kenne sie und

Konditorin aus Leidenschaft:DieBadbergenerinLenaLieregehtihreneigenenWegundbacktTorten nachdenWünschenderKunden.

schmecke diese dann mit den Kräutern ab. Ganz allein ist es für Liere schon anspruchsvoll, alle Torten fertig zu bekommen. Deshalb erhält sie zum Wochenende oft Unterstützung von ihrer Freundin Louisa Kleyböker. Die bereitet gerade die Torten für die Cafés vor, und das sind, passend zur Jahreszeit, Erdbeertorten. Die Erdbeeren hat sie schon klein geschnitten, die Sahne ist geschlagen. Vorsichtig verteilt sie beides auf dem Boden und setzt anschließend den zweiten drauf. Zum Abschluss kommt noch einmal eine Schicht Sahne darüber. Lena Liere holt sich unterdessen eine weitere Torte und streicht sie ein. Es ist noch viel zu tun. Dabei plant sie ihre Tage genau. Anfang der Woche beginne sie mit der Dekoration, Mitte der Woche backe sie die Böden, und zum Ende der Woche würden die Torten vollendet, erklärt die Badbergenerin. Gerade die Dekoration kann je nach Wunsch viel Zeit in Anspruch nehmen. Um beispielsweise eine Figur wie Winnie Puuh aus Fondant zu formen, braucht sie etwa eine halbe Stunde. Motivtorten mit Minions, der Eiskönigin oder Einhörnern waren lange ein Trend. Derzeit sind für Kindertorten Motive aus der Zeichentrickserie Paw Patrol gefragt, weiß die Konditormeisterin – und auch Lamas und Alpakas wurden schon angefragt. Gerne geht Lena Liere diese Trends mit, weil sie es liebt, die Themen kreativ umzusetzen. „Diese feinen Arbeiten machen mir Spaß“, sagt sie. Das sei auch ein Grund, warum sie sich für den Beruf entschieden habe. Gebacken hat die 28-Jährige auch schon als Jugendliche, damals aber heimlich, um anschließend das Chaos in der Küche noch beseitigen zu können. In ihrer Konditorei herrscht das Chaos nicht. Dort hat alles seinen

Platz, und nach jedem Arbeitsschritt räumt Lena Liere die Sachen auf. Dann geht es an die nächste Hochzeitstorte, die bereits mit Blattgold verziert ist – „ein Trend“, sagt Liere. Ansonsten ist die Torte schlicht. Die 28-Jährige platziert noch weiße Rosen auf der Torte, und schon ist auch sie zum Abholen bereit und soll einem Brautpaar den schönsten Tag des Lebens versüßen.

Fotos: NinaStrakeljahn

Zahl der Feinbäcker sinkt leicht

4489 4414

4389

4531 4291

4192

4196

2012

2013

2014

2015

2016

Konditormeisterinnen überwiegen deutlich 238

244

236

197 140 57

158

160

80

76

gesamt 2013

weiblich 2014

179

2017

2018

260

262

208

211

52

51

2017

2018

65 männlich

2015

2016

Quelle: Deutscher Konditorenbund · Grafik: Matthias Michel

LINGEN An der Ecke mitten in der Lingener Innenstadt haben Mutter Jutta und Tochter Jana Kurze ihren Schmuck- und Kunstladen „Ton in Ton“ eingerichtet. Von außen etwas unscheinbar in die geschäftige Straße eingebettet, lädt die rote Fußmatte mit dem Schriftzug „Emskind“ den Besucher ein, sich im Inneren des Geschäfts umzuschauen. Die Kunden sind größtenteils weiblich, erzählen die beiden Besitzerinnern. „Ich versuche schon, immer wenn ich in der Stadt bin, einen großen Bogen um den Laden zu machen, weil ich wirklich jedes Mal etwas kaufen muss, wenn ich hier bin“, zeigt sich Kundin Angelika Henning begeistert. Bei einem Blick auf das Sortiment wird schnell deutlich, warum es vor allem Frauen in den Laden zieht. Da ist zunächst die Schmuckecke. Ein gläserner Kronleuchter wirft sein Licht auf Ketten, Ohrringe und Armreifen. Mutter und Tochter haben sich für das dänische Design der Marke Pilgrim entschieden. Der Grund, weshalb es hauptsächlich diese Artikel in die Regale ihres 35 Quadratmeter großen Reiches schaffen: einfach weil sie ihnen gefallen. „Wir decken altersmäßig ein breites Kundenspektrum ab, weil meine Mutter andere Schwerpunkte legt als ich in meinem Alter“, erklärt Jana Kurze. Auf ihre Kappe nimmt die 31Jährige darum auch die neueste Errungenschaft des Ladens: Um den Körper von Jana Kurze baumelt eine Kordel, an der ihr Handy befestigt ist. Die Handykette komme aus Berlin und sei im Trend. „Und sie ist praktisch“, sagt die 31-Jährige. Daher haben es hochwertige Exemplare in das Sortiment geschafft. Mutter und Tochter wissen aber auch um die Schnelllebigkeit von Trends. Sobald es die Ketten in den großen Modegeschäften gibt, streichen die Kurzes den Artikel aus ihrem Angebot. Denn preislich könnten sie nicht mit Ketten wie H&M, Butlers oder Depot konkurrieren. Das MutterTochter-Gespann setzt daher mehr auf Individualität, gepaart mit Regionalität. Ein Beispiel für Letzteres ist die Marke „Emskind“. Die Fußmatte im Eingangsbereich dient nicht nur der Dekoration. Den Türvorleger gibt es auch zu kaufen, neben Schlüsselanhängern oder Klingeln aus dem Emsland, gestaltet von der Künstlerin Simone Albers. „Wir wissen von all unseren Produkten, woher sie kommen und was das Besondere daran ist. Das gefällt den Leuten, glaube ich, auch ganz gut“, sagt Jutta Kurze. Durch die ständige Veränderung des Angebots und das Ausprobieren

DerPlatzimLadenvonJutta(rechts)undJanaKurzeistzukleingeworden.InKürzeziehtderFamilienbetriebum. Fotos: KatharinaPreuth

neuer Designer bestehe auch ein gewisses Risiko, geben beide Frauen zu. Vielleicht gefalle ihnen ein junger Designer besonders gut, aber das Produkt verkaufe sich gar nicht. „Das kommt ständig vor“, sagt die Mutter und lacht. Dabei erinnern sich beide an Sporttaschen für Männer, hergestellt aus alten Auto-Airbags. „Die sahen gut aus, waren innovativ. Wir fanden die toll“, erklärt Jana Kurze. Aber von den Taschen haben sie keine zum regulären Preis verkaufen können. „Das ist eingeplant und auch okay“, sagt die Mutter. Seit 2009 betreiben die beiden Kurzes gemeinsam das Geschäft in Lingen. Zuvor hatte Mutter Kurze ei-

„Wir decken altersmäßig ein breites Kundenspektrum ab, weil meine Mutter andere Schwerpunkte legt als ich.“ Inhaberin Jana Kurze

nen ähnlichen Laden in Meppen, bei dem ihre Tochter während ihrer Ausbildung zur Tierarzthelferin in Osnabrück aushalf. Mit dem Umzug nach Lingen in die Marienstraße gründeten sie eine GbR. Jana Kurze absolvierte dann eine weitere Ausbildung: zur Einzelhandelskaufrau. Die Idee zur Gründung hatte Jutta Kurze aus ihrer Erfahrung als Hotelfachfrau. Ihre Arbeit habe sie weltweit in die schönsten Hotels geführt. Nachdem ihr Vater gestorben war, kam sie zurück ins Emsland. Ihr Sinn für die schönen Dinge blieb, und mit denen wollte sich die heute 60-Jährige umgeben. Mutter und Tochter arbeiten beide halbtags. Sie beschäftigen außerdem vier 450-Euro-Kräfte. Für die beiden Geschäftsfrauen steht jetzt allerdings eine Veränderung an. Ton in Ton zieht um. Zwar geht es für den Familienbetrieb nur einige Häuser weiter nach rechts. Dafür verdoppelt sich die Größe des Geschäfts auf mehr als 70 Quadratmeter. Dabei sei nicht geplant, eine breitere Palette an Produkten anzubieten, sondern die Laufwege zu vergrößern. Jana Kurze, die selbst Mutter eines kleinen Kindes ist, wünscht sich Platz, um mit einen Kinderwagen durch den Laden schieben zu können. Dafür ist es jetzt einfach zu eng. Die Inhaberinnen zeigen sich optimistisch, dass ihr Konzept auch in den neuen Räumen weiter von den Lingenern angenommen wird. Um die große Konkurrenz des Onlinehandels sorgen sie sich wenig. „Ich denke, wenn ich online etwas kaufen will, muss ich erst mal wissen, wonach ich suche“, erklärt Jutta Kurze. Und wer kommt schon einfach so auf die Idee, das Internet nach einer Holzbox zu durchforsten, aus der Vogelgezwitscher ertönt?

ZUR SACHE

Konditorhandwerk in Zahlen Das Konditorhandwerk gehört zu den 41 zulassungspflichtigen Handwerken in Deutschland und hat seinen festen Platz im Lebensmittelhandwerk. Der Umsatz wird laut Deutschem Konditorbund zu 73 Prozent mit handwerklich zubereiteten Produkten aus der eigenen Konditorei erzielt. Der Gesamtumsatz der 3184 Fachbetriebe lag im vergangenen Jahr

bei 1,85 Milliarden Euro. In den vergangenen Jahren ist er wie die Zahl der Betriebe stetig gestiegen. Dabei wird der Großteil des Umsatzes von kleinen Betrieben gemacht. Laut Bundesinnung ist das Konditorhandwerk regional und mittelständisch geprägt, wobei Familienunternehmen vorherschen. In der überwiegenden Zahl der Handwerks-

konditoreien sind der Backstube direkt das Ladengeschaft und das Café angegliedert. Im Bezirk der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim gehört die Ausbildung zur Konditorin bei Frauen zu den beliebtesten. Insgesamt ist der Frauenanteil im Handwerk hoch. Fast 35 Prozent der Betriebe werden von Frauen geführt. nika

„Wir wissen,woher unsereProdukte kommenund was das Besonderean ihnenist“,sagt Jutta Kurze. Mit „Emskind“gibtdie Unternehmerin auch demRegionalen einenRaum.


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LEBEN & LEIDENSCHAFT

„Zum Abschluss kann man so eine Ferienanlage nie bringen“ Der scheidende Alfsee-GmbH-Geschäftsführer Toni Harms über Personalsuche, Digitalisierung und E-Mobilität bei Campern VON MARCUS ALWES RIESTE Toni Harms geht in einem halben Jahr in Rente, doch die Weiterentwicklung der Freizeitund Tourismusanlagen in Rieste sieht er noch nicht am Ende angekommen. Mittel- und langfristig hält der scheidende Geschäftsführer der Alfsee GmbH sogar eine Hotelerweiterung, eine hochwertige Neugestaltung der Sanitärgebäude auf dem Campingplatzgelände und eine Vergrößerung der Ferienhausabschnitte für möglich. Zudem steht offenbar in direkter Nachbarschaft ein Investor bereit, der einen Kletterwald errichten will. Erste Schritte der notwendigen Planverfahren sind auf kommunaler Ebene bereits eingeleitet worden. Die Entscheidungen über das Ob und das Wie solcher Neuerungen müssten dann aber gegebenenfalls andere treffen – nach seinem Eintritt in den Ruhestand, sagt Harms. „Zum Abschluss kann man so eine Ferienanlage ohnehin nie bringen, weil die Wünsche und Anforderungen der Gäste steigen und sich letztlich auch stark ändern in einer schnelllebigen Zeit“, sagt Harms. Darauf müssten jeweils zeitnah Antworten gefunden werden. Augenblicklich halte er jedoch eine Investitionspause für richtig, unterstreicht der Geschäftsführer.

Toni Harms(links)–hier nebenCo-GeschäftsführerDr.Horst Baier–gehtin denRuhestand undgibtamJahresendedenSchlüsselinRiesteweiter.

Mehr als zehn Millionen Euro – finanziell unterstützt vom Landkreis Osnabrück, dem Land Niedersachsen und der Europäischen Union – hatte die Alfsee GmbH zu-

letzt in die Hand genommen, um Sauna- und Wellnessanlagen sowie eine große historische Feriensiedlung im Germanen-Stil zu errichten. Zudem wird aktuell der

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Bau eines Umweltbildungszentrums auf dem Alfsee-Deich positiv begleitet. „Das ist hier mittlerweile eine tolle Ferienanlage mit unheimlich vielen Freizeitangeboten geworden“, sagt Harms, „aber wir sind nicht Nord- und Ostsee. Und wir sind auch nicht Mittelmeer. Wir müssen mehr bieten, und das kann man heute nur über bestimmte Themen.“ Zum Beispiel die Germanen. Ansonsten komme „man nur sehr schwer in den Markt hinein“. Eine mittelfristige Erweiterung des Hotels Piazza könne notwendig werden, weil dessen Auslastung schon jetzt häufig an ihre Grenzen stoße, ahnt Harms. Es könne also Sinn machen, über weitere Zimmer für Gäste und einen zusätzlichen großen Tagungsraum nachzudenken. Auch eine Renovierung und Sanierung der Sanitärgebäude auf dem mehrfach preisgekrönten Campingplatzgelände werde wohl zwangsläufig auf dem Plan stehen. Vielleicht sogar in Anlehnung an ein ThemenMotto, so der Noch-Geschäftsführer. Dass ferner der Ferienhaussektor in Rieste langfristig noch einmal wachsen könnte, will Harms auch nicht ausschließen. „Wir haben ja noch einmal sieben Hektar, und dort liegt ein gültiger Bebauungsplan vor.“ Es müsse sich zeigen, ob eine solche Maßnahme tatsächlich notwendig werde, so der Tourismus-Fachmann. Aber auch hier könnte ein spezieller Themenbezug eine sinnvolle Rolle spielen. Rieste hat durch den Alfsee schon seit geraumer Zeit – nach dem Südkreis-Kurort Bad Rothenfelde – die zweithöchsten Übernachtungszahlen im Landkreis Osnabrück zu vermelden. Der frühere Aufsichtsratsvorsitzende der GmbH, Georg Schirmbeck, hatte in kleinerer Runde schon vor Jahren immer wieder angeregt und eingefordert, „das Projekt Alfsee noch viel größer zu denken“. Nur so seien die Tourismus- und Freizeitanlagen in der Nordkreis-Gemeinde auf Dauer wirklich wettbewerbs- und konkurrenzfähig, sagte Schirmbeck damals des Öfteren. Toni Harms erwartet unterdessen, dass neben einer zunehmenden Digitalisierung auch die Elektromobilität künftig den Alltag in der Tourismus- und Campingbranche spürbar prägen werde. „Das ist eine Herausforderung“, erklärt er.

Fotos:MarcusAlwes

„Wo können beispielsweise E-Autos oder gar E-Reisemobile demnächst bei uns aufgeladen werden? Wir müssen schon jetzt nachdenken, wie wir das als Angebot für unsere Gäste geregelt kriegen“, gibt Harms seinen Nachfolgern mit auf den Weg. Als echte Hürde erweise sich ebenso die Personalsuche im Be-

Wir müssen mehr bieten, und das kann man heute nur über bestimmte Themen.“ Toni Harms, Geschäftsführer Alfsee GmbH

reich der Service- und Reinigungskräfte, stellt der Geschäftsführer der Alfsee GmbH heraus. Der Fachkräftemangel mache sich zunehmend in der Branche bemerkbar. „Wo kriegen wir das Personal dafür her?“, fragt Harms mit Blick auf Gastronomie, Hotellerie und Camping. Aktuell gelte, „dass wir ohne ausländische Kollegen überhaupt nicht mehr klarkommen“. Zuletzt habe er immerhin drei Kräfte aus Jakarta in Indonesien für Rieste gewinnen können, bestätigt Harms. Der heimische und regionale Arbeitsmarkt sei dagegen leer gefegt, im Norden des Osnabrücker Landes herrsche quasi Vollbeschäftigung. Die momentane Beschäftigtenzahl am Alfsee liegt bei 120 Vollzeit- beziehungsweise Teilzeitkräften. Das Bemühen um weitere Arbeitnehmer entwickele sich aber eher zu einem Hauen und Stechen. Harms beschreibt zwei Beispiele, nennt aber keine Namen: Vertreter eines regionalen Handelsunternehmens, das auch über eine Gastronomie verfüge, hätten dem Restaurantpersonal der Alfsee GmbH mitten im Piazza-Hotel Wechselangebote gemacht, während dieses gerade noch den Damen und Herren am Tisch das Essen serviert habe. Auch habe er es erlebt, so Harms, dass ein Konkurrent in Zeitungsanzeigen solchen Servicekräften, die rasch zu ihm wechseln würden, stattliche Handgelder in Aussicht gestellt habe. Toni Harms könnte es angesichts des bevorstehenden Eintritts in den Ruhestand fast egal sein – das ist es aber nicht. Eine Vielzahl der Tourismusanlagen am Alfsee hat der 64-Jährige in fast zwei Jahrzehnten als Geschäftsführer konzipiert oder weiterentwickelt, sie sind sein „Baby“. Noch steht er also unter Strom, obwohl seine Nachfolgerin bereits öffentlich vorgestellt worden ist. Sonja Glasmeyer, eine studierte Juristin und Betriebswirtin mit Alfsee-Vergangenheit, die unter anderem zwischenzeitlich auch beim Bundesverband der Campingwirtschaft in Berlin beschäftigt war, übernimmt die Harms-Aufgaben. „Einmal Camping und Tourismus, immer Camping und Tourismus. Das liegt bei mir ein bisschen in den Genen“, sagt Glasmeyer. Es scheint, als habe sie es einst bei Toni Harms gelernt. Denn auch von ihm könnte diese Aussage stammen.

MillionenprojektI:diehistorischeFerienhaussiedlung„Germanenland“.

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

LEBEN & LEIDENSCHAFT

Der Tod der Tonträger NochbringenCD-VerkäufederMusikindustrieMillionenumsätze.Abernichtmehrlange.BandsundManagerstehenunterZugzwang. VON MELANIE HEIKE SCHMIDT OSNABRÜCKWer

die fröhliche Piratencombo Mr. Hurley & Die Pulveraffen, die nach eigenen Angaben „aus dem karibischen Osnabrück“ stammt, live erlebt, kann sich nur schwer vorstellen, dass ausgerechnet diese Truppe sich ernsthaft Gedanken um die Zukunft macht. Und doch ist das so. Denn auch GuteLaune-Musik braucht ein Vermarktungskonzept, das funktioniert. In Zeiten, in denen sich der Musikmarkt so radikal wandelt wie nie zuvor, eine Herausforderung. Das weiß auch Simon Erichsen alias Mr. Hurley, Gitarrist, Mandolinenspieler und Sänger der Band. „Es gibt einen Umschwung, die Verkäufe über physische Tonträger gehen zurück“, sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. „Deshalb ist für uns der digitale Musikmarkt enorm wichtig“, fügt Erichsen hinzu. Damit liegt er goldrichtig. Aktuelle Zahlen belegen: Schon sehr bald werden physische Tonträger, also CDs, Schallplatten oder auch Blu-ray-Discs sowie MusikDVDs nur noch einen geringen Anteil am Gesamtumsatz der Musikindustrie haben. Derzeit machen die Tonträger, die man anfassen kann, 43,3 Prozent der Musikverkäufe aus (Stand 2018), wobei die CD mit allein 36,4 Prozent noch den Löwenanteil innehat. Trotz des Retro-

Booms liegt der Anteil der Vinyl-Alben am Gesamtumsatz bei gerade mal 4,4 Prozent. DVDs, Blu-rays und sonstige physische Tonträger sind mit 2,5 Prozent am Gesamtumsatz ebenfalls keine nennenswerte Größe. Im Gegensatz zu den digitalen Tonträgern: Ihr Anteil am Gesamtumsatz, der sich laut Zahlen des Bundesverbands Musikindustrie im Jahr 2018 auf 1,58 summiert, liegt bei 56,4 Prozent. Mit anderen Worten: Bereits heute haben die digitalen Tonträger, als da wären Downloads à la carte, Audio-Streaming und sonstige digitale Angebote, die guten alten Tonträger überflügelt. Ganz vorn liegt das Streaming, das 46,4 Prozent des Gesamtumsatzes einbringt. Dieser Trend hin zum Digitalen wird sich fortsetzen, und zwar drastisch: Die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) geht in ihrer aktuellen Musikmarktprognose davon aus, dass bereits im Jahr 2021 der Anteil physischer Tonträger am Gesamtumsatz der Branche auf 20 Prozent gesunken sein wird. Damit hätte sich dieser Wert nahezu halbiert. Dafür werden Streamingangebote den Markt vollends dominieren, sie sollen dann 77 Prozent der Umsätze generieren. Auf diese Entwicklung gilt es sich einzustellen. Allerdings geschieht dies auf unterschiedliche Art und Weise. So sind zum Beispiel international bekannte DJs und Produzen-

Sterben CD & Co. aus? Die Verkaufszahlen physischer Tonträger werden sich in den kommenden drei Jahren fast halbieren (Angaben in Mio. Euro) Umsatzanteile des Gesamtmarktes in 2021

1800 1600 1400

Streaming

1200

77 %

1000 800

Download

600 400

3%

Physische Tonträger

200 2016

2017

2018

20% 2019

2020

2021

Quelle: Bundesverband der Musikindustrie e. V. · Grafik: Matthias Michel

ten wie Robin Schulz oder David Guetta von Hause aus elektronisch unterwegs, was eine fast natürliche Nähe zum digitalen Markt mit sich zu bringen scheint. So sagt etwa Frank Klein, General Manager der SDM GmbH & Co. KG mit Sitz in Frankfurt am Main, die unter anderem für das Management von DJ Robin Schulz zuständig ist, auf Nachfrage unserer Redaktion: „Grundsätzlich ist der digitale Markt, in welcher Form auch im-

mer, die Zukunft der kommerziellen Vermarktung.“ Dies birgt nach Klein auch Chancen: „Die rasche, weltweite Verbreitung binnen Sekunden kann man hier absolut als Chance sehen, da man viel schneller den Endkonsumenten erreicht.“ Ein Konzept, das aufgeht: Schulz gilt als einer der erfolgreichsten Musikexporte Deutschlands. Am 12. April meldete Warner Music: „Als erster deutscher Musiker aller Zeiten hat der deutsche DJ und Produ-

cer bei Youtube die Grenze von 2 Milliarden Views in seinem eigenen Kanal durchbrochen.“ Auch Mr. Hurley & Die Pulveraffen haben ansehnliche Zahlen: Ihr Hit „Blau wie das Meer“ wurde auf Youtube mehr als 2,7 Millionen Mal geklickt. Anders als der persönlich eher im Hintergrund bleibende Deep-House-Produzent Robin Schulz stehen die vier Bandmitglieder allerdings viel stärker im Fokus: Mithilfe von schwarz bemalten

Zähnen, Augenklappen und Fetzenklamotten kreieren die vier einen bis ins Detail stimmigen PiratenLook. Diese Optik ist wichtig, und sie schlägt sich auch im CD-Verkauf nieder: „Wir haben das große Glück, dass wir uns mit unserer Band in einem Markt bewegen, wo den Fans ein physisches Produkt noch relativ wichtig ist“, erklärt Simon Erichsen. „Unsere Fans mögen es, wenn eine CD toll gestaltet ist, wenn ein ansprechendes Booklet dabei ist und das Artwork stimmig ist.“ Doch selbst wenn die CD perspektivisch vom Musikmarkt verdrängt wird, bedeutet das nicht, dass sie auch nicht mehr produziert wird. Im Gegenteil: Der schnelllebige Markt verlangt nach neuem Material, allein schon um die Fans in die Konzertsäle zu locken. Denn wie Erichsen erklärt: „Die Miete bezahlen wir dadurch, dass wir Konzerte spielen. Früher machte man eine Tour, um die neue CD zu promoten. Heute macht man eine CD, um die Tour zu promoten.“ Und so haben auch Mr. Hurley & die Pulveraffen ihr neues Album „Leviathan“ so gut wie fertig. Auch Robin Schulz ist laut Manager Klein mit der Produktion seines neuen Albums beschäftigt. Und so bleibt dann irgendwie doch alles beim Alten im Musikmarkt: Ein Album folgt dem nächsten – nur dass die Musik heutzutage andere Wege geht, um zu den Fans zu gelangen.

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

LEBEN & LEIDENSCHAFT

TERMINE

25.07.2019 | 14.00 Uhr Social Media nutzen – Marketing & Vertrieb auf Facebook

DER WIRTSCHAFT

WIGOS. KREISHAUS AM SCHÖLERBERG 1, OSNABRÜCK

28.06.2019 | 08.30 Uhr Lean Expert Workshop: Lean Maintenance, schnelles Rüsten

30.07.2019 | 17.00 Uhr Info-Veranstaltung Existenzgründung in Melle

HOCHSCHULE OSNABRÜCK CAMPUS LINGEN

LANDESTURNSCHULE MELLE, FRIEDRICH-LUDWIG-JAHN-STR. 16, MELLE

28.06.2019 | 10.00 Uhr Carl Heymanns Patenttage Künstliche Intelligenz SCHLOSSAULA DER UNIVERSITÄT OSNABRÜCK, NEUER GRABEN 29

01.07.2019 | 09.00 Uhr Der souveräne Auftritt – Rhetorik für den Arbeitsalltag IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

02.07.2019 | 14.00 Uhr

31.07.2019 | 19.00 Uhr

Traditioneller Törn: Die Weller Gruppe hat rund 100 Mitarbeiter über mehrere Tage nach Kiel eingeladen, um beimMitarbeitersegeln anBordder Segeljacht„Joy“ zuentspannen.

Stromerzeugung/E-Mobilität – Persp. f. CO2-neutrale Welt?

Foto:Weller

DIE GESICHTER DER WIRTSCHAFT

Geschäftsführer (v. l.) U. Fieselmann, H. Koch und H.-P. Beste bei der Eröffnung des neuen Koch-Logistikzentrums am FürstenauerWeginOsnabrück. Foto:Koch

SCIENTISTS FOR FUTURE KOLPINGSTR. 7, OSNABRÜCK

08.08.2019 | 18.30 Uhr Info-Veranstaltung Existenzgründung in Osnabrück

WIGOS. KREISHAUS AM SCHÖLERBERG 1, OSNABRÜCK

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

03.07.2019 | 09.00 Uhr

12.08.2019 – 14.08.2019

Von Konfliktprävention bis zur Klärung

Außenwirtschaft und Exportabwicklung

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

Workshop Marketing: Markterkundung

Remmers ist bester Ausbildungsbetrieb in der Chemieindustrie. In den letzten 10 Jahren fanden mehr als 250

Zehnter ParlamentarischerAbend der Ems-Achse in Hannover. 150 Gäste reisten im Sonderzug mit Unterhaltungspro-

AuszubildendeerfolgreichihrenWegins Berufsleben.

gramman.

Foto:Remmers, Löningen

Foto:Hermann-Josef Mammes

13.08.2019 | 14.00 Uhr

Können Klimaschutzmaßnahmen eingeklagt werden?

IHK-Erfinder- und Patentberatung

SCIENTISTS FOR FUTURE KOLPINGSTR. 7, OSNABRÜCK

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

04.07.2019 | 14.00 Uhr

14.08.2019 | 10.00 Uhr Assmann Büromöbel feiert die einmillionste Schranktür aus vollautomatischer MellerFrontenlinie. Foto:Assmann

Vertreter der Osnabrücker Holt Holding Group bei der Vertragsunterzeichnung des Joint Ventures mit dem tschechischenEnergiekonzernCEZ asPraginFrankfurt. Foto: HoltHolding

20.08.2019 | 13.00 Uhr

Besichtigung des Seedhouses der JU OS-Stadt und OS-Land

Kunden fallen nicht vom Baum: Neukundengewinnung

MARIE-CURIE-STRAßE 3 OSNABRÜCK

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

05.07.2019 | 19.00 Uhr

21.08.2019 | 10.30 Uhr

Erneuerbare Energien: Wo stehen wir heute?

Unternehmenssprechtag digitaler Wandel

SCIENTISTS FOR FUTURE KOLPINGSTR. 7, OSNABRÜCK

Kleines Unternehmerfrühstück, Freelancer Netzwerk OS

Ideen-Tag – Ideen checken und schützen lassen INNOVATIONS CENTRUM OSNABRÜCK, ALBERT-EINSTEIN-STR. 1

04.07.2019 | 18.00 Uhr

08.07.2019 | 10.00 Uhr

12.08.2019 – 21.08.2019

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

03.07.2019 | 19.00 Uhr

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

Bildungswoche Ausbildung der Ausbilder August 2019

INNOVATIONS CENTRUM OSNABRÜCK, ALBERT-EINSTEIN-STR. 1

Rechtsanwalts-Sprechtag, Osnabrück

02.08.2019 | 19.00 Uhr Wie kann klimafreundliches Handeln motiviert werden?

Gesetzliche Grundlagen für das Unternehmensmarketing

03.07.2019 | 17.00 Uhr

SCIENTISTS FOR FUTURE KOLPINGSTR. 7, OSNABRÜCK

Vier Osnabrücker Unternehmen wurden als „Kulinarische Botschafter Niedersachsens“ausgezeichnet(v.l.):B.ausdemMoore(LandschlachtereiKrischke)undC.Jockheck (Heinrich Jockheck) zusammen mit Wirtschaftsförderer T. Serries, H. Brinkhege (Bäckerei Brinkhege), H. Krischke (Landschlachterei Krischke) und T. Meyer (Thomas MeyerBäckerei-Konditorei). Foto:MarketinggesellschaftNds./T.Bräunig

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38 Im Amt bestätigt: Der Vorsitzende des IHK-Handelsausschusses M. Rauschen (Mitte) mit seinem Stellvertreter S. Nottbeck (l.) und IHK-Geschäftsbereichsleiterin A. Schweda. Foto: IHK

STAHLWERKSWEG 14 OSNABRÜCK

22.08.2019 | 13.00 Uhr Chef-Seminar Selbstführung WIGOS. KREISHAUS AM SCHÖLERBERG 1, OSNABRÜCK

09.07.2019 | 09.00 Uhr

23.08.2019 | 09.00 Uhr

Beratertag der IHK-Seniorexperten

Organisation der Zoll- und Exportabteilung

IHK-BÜRO LINGEN, KAISERSTR. 10 B, LINGEN

IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38

11.07.2019 | 14.15 Uhr Existenzgründung – Women in Business BUS GMBH, BRAMSCHER STR. 134-136, OSNABRÜCK

AmFirmenstandortStemwedeentwirftArchitektP.Bohle(2. v. r.) für Rila Feinkost-Importe mit den Geschäftsführern (v. l.) B.Richter,H.Richter(l.)undH.Wankelmann(r.)einenneuen, dreistöckigenVerwaltungsbau. Foto:Rila

Mitgliederversammlung des Wirtschaftsverbandes Emsland: Vorsitzender U. Boll (l.) und Redner I, Ickerott, Dekan des Campus Lingen. Foto:Mammes

26.08.2019 | 09.00 Uhr 25 Jahre am Standort Prag aktiv: Harting-VorstandsvorsitzenderP.Harting(l.)undM.Sucharda(r.),ManagingDirector Harting s.r.o., zogen mit A. Schvarc, Managing Director BlumenbeckerPrags.r.o.,Bilanz. Foto: Harting

Reisesicherheit: Sicheres Reisen kann man trainieren IHK OSNABRÜCK NEUER GRABEN 38


DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

METALL- UND MASCHINENBAU


DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

METALL- UND MASCHINENBAU

Verunsicherung auch in der Metallindustrie Stimmung in den Unternehmen hat sich weiter eingetrübt – Aber noch hohe Kapazitätsauslastung

s.sa. OSNABRÜCK Noch vor Kurzem sprach Bundesbank-Präsident Jens Weidmann von einer lediglich vorübergehenden Schwächephase der Konjunktur in unserem Land, doch jüngste Umfragen zeigen, dass die Stimmung in der deutschen Wirtschaft sich weiter verschlechtert hat. Nach mehreren Jahren mit teilweise mehr als zwei Prozent Wachstum haben Forschungsinstitute und die Bundesregierung ihre Prognosen für 2019 mittlerweile gesenkt. So rechnet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der zum Jahresbeginn für die weltweit viertgrößte Volkswirtschaft von 0,9 Prozent ausgegangen war, nur noch mit einem Plus von 0,6 Prozent. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ist sogar noch pessimistischer, denn er erwartet für 2019 lediglich ein Wachstum von 0,5 Prozent. Der protektionistische Kurs der USA und das Gezerre um den Brexit sind nur zwei Faktoren, die in Deutschland vor allem die stark exportorientierte Industrie nachhaltig verunsichert haben. Gerade die Industrieunternehmen würden die deutlich langsamere Gangart der Weltwirtschaft spüren, betont DIHK-Präsident Eric Schweitzer. Seiner Meinung nach sind die Erwartungen beim Auslandsgeschäft so niedrig wie seit zehn Jahren

Durchwachsene Aussichten: Auch die Metallindustrie blickt – trotz stabiler Auftragslage – nicht mehr ganz sorgenfrei in die Zukunft.

nicht mehr. Das habe viele Firmen veranlasst, ihre Investitionspläne zu stutzen. Zu den positiven Fakten zählt der DIHK, dass binnenorientierte Wirtschaftszweige wie der Bau und der Handel hingegen „weiterhin vergleichsweise solide Geschäfte verspüren“. Die stabile Binnenkonjunktur stütze sich auch auf die anhaltend hohe Kon-

sumnachfrage der privaten Haushalte, die für mehr als 50 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung von fast 3,4 Billionen Euro steht, heißt es in der Analyse. Auch die Metall- und Elektroindustrie verzeichnet eine deutliche Abkühlung der Konjunktur. Nachdem hier im vergangenen Jahr noch ein Wachstum um die 1,5 Prozent zu verzeichnen war, geht

Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger für dieses Jahr von einem plus von nicht mehr als ein Prozent aus, es sei aber auch nur ein halbes Prozent denkbar. Nachdem die Metall- und Elektroindustrie in Deutschland im zweiten Halbjahr 2018 einer Rezession nur knapp entgangen war, hat sich die schwache Entwicklung durch Rückgänge bei

Foto: iStock

Produktion und Auftragseingang im ersten Quartal 2019 fortgesetzt. Dadurch hat sich auch die Stimmung in den Unternehmen weiter spürbar eingetrübt. Vor allem die Erwartungen hätten sich im Laufe der vergangenen Monate stetig verschlechtert und lagen per Saldo im Mai deutlich im Minus, heißt es in einer Branchenanalyse.

15:05 Günter Peters

Moin Günter!

10:54

Sag mal, ich benötige ein spezielles Laserkantteil für eine Baumaschine. Stellt ihr das in Twist auch her? 10:54 Moin!

10:56

Klar, wir liefern nicht nur Lösungen von der Stange, sondern produzieren, was gebraucht wird! 10:57 Zu wann benötigst du es denn?

10:57

Top, damit seid ihr einer der wenigen hier im Emsland. Sehr flexibel!

10:59

Ich brauche es nächste Woche. Das schaffen wir!

10:59

10:59

Hast du eine Skizze o.ä., die du mir zuschicken kannst?

11:00

Ja, schicke ich dir zu! An welche MailAdresse? Super! Am besten an info@maschinenbau-peters.de.

11:02

11:04

Vielen Dank!

11:07

Vor über einhundert Jahren wurde in einer emsländischen Schmiede der Grundstein für das weltumspannende Familienunternehmen KRONE gelegt. Mit über 5000 Mitarbeitern stellen wir für Sie heute exzellente Produkte der Land- und Transportwirtschaft her. Danke für Ihr Vertrauen!

Im ersten Quartal dieses Jahres ist der Auftragseingang gegenüber dem vierten Quartal 2018 saisonbereinigt um fünf Prozent zurückgegangen. Dabei sind sowohl die Inlandsaufträge (minus 2,1 Prozent) als auch die Auslandsaufträge (minus sieben Prozent) unter dem Niveau des vierten Quartals 2018 geblieben. Die Entwicklung in den einzelnen Bereichen verlief allerdings unterschiedlich: Während die Auftragseingänge in der Metallverarbeitung um 1,4 Prozent zulegten, sanken sie im Bereich Elektro, DV-Geräte , Feinmechanik/Optik um 1,0 Prozent, im Fahrzeugbau um 6,9 Prozent und im Maschinenbau um 7,3 Prozent. Die M+E-Produktion lag im ersten Quartal 2019 saisonbereinigt um 0,3 Prozent unter dem Niveau des vierten Quartals 2018. Den rückläufigen Daten bei Produktion und Auftragseingang stehen allerdings weiter eine hohe Kapazitätsauslastung (im April dieses Jahres bei 87 Prozent) und große Auftragsbestände gegenüber. Die Beschäftigung lag im März 2019 in der Metall- und Elektroindustrie mit 4 051 300 Mitarbeitern saisonbereinigt noch um zwei Prozent höher als im Vorjahresmonat. Die Beschäftigungspläne ließen allerdings auf ein Auslaufen des Beschäftigungsaufbaus schließen, heißt es in der Verbandsanalyse.


DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

METALL- UND MASCHINENBAU

„Hervorragende Vernetzung“ Das MEMA-Netzwerk umfasst inzwischen etwa 1000 Partner – Interview mit Netzwerkmanager Holger Feikes

VON KARL BÜRGER

Mehr als 60 Prozent der Unternehmen sehen in dem Mangel an Fachkräften eine Gefahr für Ihre Geschäftsentwicklung. Teilen Sie diese Bedenken? Unsere Netzwerkpartner sind von dem allgemeinen Fachkräftemangel sicherlich genauso betroffen wie zahlreiche andere Branchen auch. Wir sehen jedoch, dass viele Anstrengungen seitens der Unternehmen gemacht werden, um diesem Mangel entgegen zu wirken, sei es durch eine frühzeitige Bindung mittels Dualer Studiengänge, guten Weiterbildungsangeboten aber auch durch weitere Automatisierung. Sicherlich können aufgrund fehlender Fachkräfte nicht alle Betriebe so wachsen, wie sie sich es im Idealfall vorstellen.

OSNABRÜCK/MEPPEN Das Metallund Maschinenbaunetzwerk, das im Jahr 2004 auf Initiative des Landkreises Emsland unter dem Dach der Emsland GmbH gegründet wurde, hat die Erwartungen voll erfüllt. Die Vernetzung sei inzwischen hervorragend gelungen, betont Netzwerkmanager Holger Feikes. Das Netzwerk umfasse aktuell rund 1000 Partner und konzentriere sich außer auf das Emsland und die Region Ostfriesland sowie die Grafschaft Bentheim auch auf Aktivitäten in den Niederlanden.

Herr Feikes, das Metall- und Maschinennetzwerk, kurz MEMA-Netzwerk, wurde 2004 auf Initiative des Landkreises Emsland gegründet. Wo liegen die Schwerpunkte der Netzwerkarbeit? Das MEMA-Netzwerk wurde mit dem Ziel gegründet, die Metallund Maschinenbauer aus der Region stärker miteinander zu vernetzen, also Erfahrungen auszutauschen, Partner für Kooperationen zu gewinnen, Synergien zu suchen, zu finden und zu nutzen, Ideen zu besprechen, Neues kennenzulernen und zukunftsträchtige Projekte anzuschieben. Durch die Summe dieser Aktivitäten soll nicht nur der eigene Betrieb gestärkt werden, sondern auch die gesamte Region. Wie sind die bisherigen Erfahrungen? Die Vernetzung ist inzwischen hervorragend gelungen. Sie gelingt durch vielfältige Angebote von Vortragsveranstaltungen über Betriebsbesichtigungen bis hin zu Messebesuchen. Die Themen zu den Veranstaltungen kommen überwiegend aus der Unternehmerschaft selber, werden vom Netzwerkmanagement aufgegriffen und entsprechende Veranstaltungen werden organisiert. Aufgrund der Vielzahl der Interessen haben sich im Laufe der Jahre eigene Vortragsreihen etabliert, z. B. die Reihe „CHEFSACHE“, der Qualitätsmanagement-Zirkel, die Reihe „NetzwerkING.“ und diverse Arbeitskreise. Welche Bereiche zählen zu den Netzwerkpartnern? Zu den Netzwerkpartnern gehören neben den klassischen Metall- und Maschinenbauern auch Fahrzeugbauer, Schiffsbauer, Hersteller von Windkraftanlagen, Produzenten landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte, sowie deren Zuliefererbetriebe, Dienstleister, Berufsverbände, Hochschulen und Berufsschulen. Und wie viele Firmen gehören dem Netzwerk an? Das Netzwerk umfasst derzeit rund 1000 Netzwerkpartner.

Das Metall- und Maschinenbaunetzwerk ist auf zahlreichen Messen, nicht nur in der Region, aktiv und präsentiert sich Interessenten.

Das Programm für die Mitglieder ist vielfältig: Auch zahlreiche Workshops – hier zum Thema Design – sind im Angebot. Fotos: Mema

Konzentrieren sich die Aktivitäten außer auf das Emsland auch noch auf andere Regionen? Seit der Ausweisung des MEMA-Netzwerkes als Kompetenznetzwerk der Ems-Achse umfasst das MEMA-Gebiet neben dem Emsland seit 2007 auch die Region Ostfriesland und die Grafschaft Bentheim.

mer wieder, dass es hier schwierig ist, genügend Fachkräfte zu finden. Die Situation ist hier wie bei den Auszubildenden: Auch hier

Bestehen Kooperationen mit niederländischen Unternehmen? Bereits seit 2005 werden gemeinsam mit der niederländischen „Koninklijken Metaalunie Noord“, einem Zusammenschluss niederländischer Unternehmen aus dem Metall- und Maschinenbau, Unternehmertage zum gegenseitigen Kennenlernen und zum Austausch organisiert. Begleitet werden diese Veranstaltungen, die im jährlichen Wechsel in den Niederlanden bzw. in Deutschland stattfinden, von Betriebsbesichtigungen, was den Austausch von Know-how in der Grenzregion fördert. Darüber hinaus haben wir mit niederländischen Netzwerken und deren Mitgliedsfirmen gemeinsame Messestände organisiert. Dieses bauen wir zur Zeit mit weiteren grenzüberschreitenden Angeboten weiter aus. Zusätzlich bewerben wir auch passende Veranstaltungen in den Niederländen und besuchen diese stellvertretend und kundschaftend für unser starkes Netzwerk. Aus- und Weiterbildung sind ein entscheidender Wettbewerbsfaktor für Unternehmen. Welche Schützenhilfe leistet hier das Netzwerk?

Das MEMA-Netzwerk bietet hier Unterstützung durch die Teilnahme an Ausbildungsmessen und Jobbörsen, durch eigene Ausbildungsbeilagen, durch die Veröffentlichung von Stellengesuchen im Newsletter und auf der Webseite. Besonders hervorzuheben ist hier die seit 2017 bestehende enge Zusammenarbeit mit dem BTZ des Handwerks in Lingen im Projekt MEMA Fachkraft plus. Aus diesem Projekt ist ein ganzer Werkzeugkasten an Informationen, Hilfsmitteln und Tipps entstanden, auf welchen die Netzwerkunternehmen unterstützend zugreifen können. Weiterhin unterstützen wir aktuell eine Imagekampagne für einen ganz speziellen technischen Ausbildungsberuf, um diesen sichtbarer und interessanter zu machen.

Ist es schwierig, in Ihrem Tätigkeitsgebiet ausreichend Auszubildende zu bekommen? Diese Frage lässt sich nicht ganz eindeutig beantworten. Einige unserer Netzwerkpartner haben keine Schwierigkeiten, genügend Auszubildende zu finden, andere berichten, dass sie nicht alle Ausbildungsplätze besetzen können. Fakt ist, dass die Bewerberzahlen auch im technischen Bereich zurückgehen und die Betriebe heutzutage wesentlich mehr Aufwand treiben und attraktive Randbedingungen offensiv anbieten müssen, um da noch er folgreich wahrgenommen zu werden. Und wie sieht es mit Fachkräften aus? Von einzelnen Berufen, wie Elektronikern, Zerspanern, System-Informatikern, hören wir im-

muss vieles geboten und vermehrt aktiv angegangen werden, um letztendlich überhaupt noch Fachkräfte gewinnen zu können.

Tut die Bundesregierung genug, um ihren Teil zur Bewältigung des Facharbeitermangels beizutragen? Es gibt viele Angebote für Weiterqualifizierung und Teilqualifizierung, um z. B. aus ungelernten Kräften wertvolle Fachkräfte zu machen. Auch die Erleichterungen für ausländische Fachkräfte hier tätig zu werden, sind hier zu nennen. Inwieweit diese Maßnahmen greifen, wird die Zukunft zeigen.

Zertifizierungen, Prozessoptimierung und Lean Management mit Erfolgsgarantie bietet das Ingenieurbüro Holterhus aus Emsbüren. Für die Zertifizierungen nach DIN EN 1090, ISO 3834 und ISO 9001 erarbeitet das praxisorientierte Team eine passgenaue Lösung für jedes Unternehmen. Mit 30 Jahren Erfahrung als Bauingenieur im Stahlbau und als Schweissfachingenieur, Berufung zum Leadauditor 9001 und über 350 Beratungen seit 2014 kennt das Ingenieurbüro Holterhus alle Facetten der Unternehmensberatung.

Kontaktdaten:

Ingenieurbüro Hermann Holterhus Dipl.-Ing. Hermann Holterhus Bauingenieur, Schweißfachingenieur Leitender Inspektor/Auditor ZDH-ZERT Dahlhok 19 48488 Emsbüren T.: M.:

05903/7260 0151/22912984

info@hermann-holterhus.de www.hermann-holterhus.de


DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

METALL- UND MASCHINENBAU

„In Deutschland ist definitiv noch Luft nach oben“ Andrea Henning zur Verbandspolitik und zum Thema Frauen in Führungspositionen dass sich Jugendliche bestmöglich über die vielen Optionen informieren können.

VON SIEGFRID SACHSE OSNABRÜCK Die Fachkräftesicherung wird für die Unternehmen immer wichtiger. Diese Ansicht vertritt Andrea Henning, die neue Vorstandsvorsitzende der NiedersachsenMetall-Bezirksgruppe Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim, die gleichzeitig Leiterin Personalressort Division C der ZF Friedrichshafen AG in Lemförde ist. Darüber hinaus nimmt sie Stellung zum Thema Frauen in Führungspositionen.

Im Öffentlichen Dienst sollen bis zum Jahr 2025 alle Leitungsfunktionen zur Hälfte mit Frauen besetzt sein. Wäre dies auch ein Modell für die Wirtschaft? Ich stehe der Quote kritisch gegenüber, da ich sie nicht als allumfassende Lösung sehe, sondern eher als Hilfestellung, für das Thema zu sensibilisieren. Wir brauchen in den Unternehmen qualifizierte Fachkräfte, unabhängig vom Geschlecht. Um das wirklich zu erreichen, benötigen wir aber auch flexible Arbeitsmodelle. Diese sollten ermöglichen, dass Erwerbsunterbrechungen, wie beispielsweise durch eine Schwangerschaft, kein Karriereknick bedeutet.

Frau Henning, mit Ihrer Person steht erstmals in der 90jährigen Geschichte von NiedersachsenMetall eine Frau an der Spitze der Bezirksgruppe. Werden Sie in der Verbandsarbeit den bisherigen Kurs beibehalten oder wollen Sie neue Akzente setzen? Eine gute Kursbestimmung berücksichtigt immer die aktuellen Bedingungen. Die Ziele ändern sich nicht so schnell: kompetente rechtliche Beratung, zukunftsfähige Tarifpolitik und starke Interessenvertretung. Bei der Frage, wie wir diese Ziele am besten erreichen können, bin ich angesichts der aktuellen Bewegung und Unsicherheiten in vielen Politikfeldern für dynamische Navigation. Wie ist es Ihnen gelungen, in die Führungsebene des Verbands aufzusteigen? In den Gremien der Verbände bin ich seit 2011 aktiv. Ich finde es wichtig, mich zu engagieren und neben der Führungsposition im Unternehmen auch in einem weiteren Sinn sozialpolitische Verantwortung zu übernehmen. Unsere Unternehmenskultur bei ZF gibt dafür auch den notwendigen Freiraum, denn kein Unternehmen agiert für sich allein. Die Verbandsarbeit für die Industrieunternehmen unserer Region ist insofern eine interessante und wichtige Aufgabe. Wo gibt es aus Ihrer Sicht in der Verbandsarbeit vor allem noch Nachholbedarf ? Wir sind schon gut aufgestellt. Aber natürlich ergeben sich

Mit Andrea Henning, der Leiterin des Personalressorts Devision C der ZF Friedrichshafen AG in Lemförde, steht erstmals in der 90-jährigen Geschichte des Verbands eine Frau an der Spitze der NiedersachsenMetall-Bezirksgruppe Osnabrück – Emsland – Grafschaft Bentheim. Foto: NiedersachsenMetall

durch konjunkturelle Schwankungen und die digitale Transformation neue Herausforderungen. Für die Tarifpolitik in der Metall- und Elektroindustrie ist eine entscheidende Frage, wie wir die Komplexität reduzieren können. Tarifabschlüsse dürfen keinen überfordern, insofern ist die Kommunikation mit den Beschäftigten und den Gewerkschaften ein zentrales Thema. Und was Beschäftigung angeht, wird die Fachkräftesicherung für die Unternehmen an Bedeutung zunehmen, da können wir mit unserer Bildungsstiftung gut ansetzen. Im Laufe des Berufslebens müssen viele Frauen immer noch mehr Hürden überwin-

den als Männer. In Deutschland sind nicht einmal ein Drittel der Führungspositionen mit Frauen besetzt: Welche Gründe sind dafür ausschlaggebend? Dass für viele Frauen die Hürden andere sind, hängt oft immer noch mit einem tradierten Rollenverständnis älterer Generationen zusammen. Daraus resultieren andere Erwerbsbiografien als bei Männern. Im harten Wettbewerb von heute müssen die Unternehmen ihre Abläufe permanent optimieren, aber mit gemischten Führungsteams tun sich viele große Firmen noch immer schwer. Warum eigentlich?

Die Geschwindigkeit und Intensität des weltweiten Wettbewerbs haben tatsächlich zugenommen. Unser Erfolg hängt heute maßgeblich von unserer Innovationskraft ab, aber auch von unserer Wettbewerbsfähigkeit im Preis-Leistungsverhältnis. Wenn es darum geht, Chancen früh zu erkennen und Probleme schnell zu lösen, sind gemischte Teams ein wichtiger Pluspunkt. Aber das gilt meiner Meinung nach nicht nur für Führungskräfte, sondern auf allen Ebenen: Diversität ist ein Erfolgsfaktor, weil Teams mit verschiedenen Kompetenzen und Perspektiven agiler sind. Und damit meine ich nicht nur, dass sich Frauen und Männer gut ergänzen, sondern z. B. auch verschiedene Altersgruppen oder kulturell gemixte Teams.

In vielen kleinen und mittleren Betrieben, insbesondere in Familienunternehmen, sind gemischte Teams erheblich mehr zu verzeichnen. Woran liegt das? Ist das so? Mein Eindruck ist eher, dass es immer noch stark von der Branche und den Berufsfeldern abhängt, wofür sich Männer oder Frauen entscheiden. In den sogenannten klassischen Frauen- oder Männerberufen spielen Stereotype und Vorurteile immer noch eine große Rolle. Vielleicht fehlen Mädchen und Frauen manchmal auch berufliche Vorbilder, insbesondere in naturwissenschaftlich-technischen Berufen. Gute Berufsorientierung kann an dieser Stelle einen wichtigen Beitrag leisten, so-

Schweden wird ja gerne als Vorbild in Sachen Gleichberechtigung genannt. Immerhin liegt dort der Frauenanteil in den Vorständen der großen Firmen bereits bei 25 Prozent. Worauf ist dies zurückzuführen? Die skandinavischen Länder investieren seit Jahren in Kinderbetreuung, Bildung und flexible Arbeitsbedingungen. Das kommt dem gesamten Land, aber natürlich auch unmittelbar den Familien zugute. Die Rollenverteilung ist dort auch eine andere, Erwerbs- und Familienarbeit werden partnerschaftlich übernommen. Blicken wir auf junge Familien in Deutschland: Hier ist für viele die Suche nach qualifizierter und verlässlicher Kinderbetreuung eine ziemlich schwierige Odyssee. Im Ergebnis bleiben meist die Frauen zuhause oder reduzieren ihre Arbeitszeit. Wo die Vereinbarkeit von Privatleben, Familie und Beruf gefördert wird, ist es für Frauen auch gleichzeitig leichter, längere Berufserfahrung zu sammeln, sich weiter zu qualifizieren und Führungsaufgaben zu übernehmen. In Deutschland hat sich in den letzten Jahren schon sehr viel getan, aber es ist definitiv auch noch Luft nach oben.

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

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METALL- UND MASCHINENBAU

„Insgesamt fehlen uns mehr als 300 000 Spezialisten“ VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann: Mangel an Fachkräften im MINT-Bereich auf Rekordniveau

VON SIEGFRID SACHSE Der Mangel an Fachkräften in dem für die deutsche Wirtschaft so zentralen MINT-Bereich liegt auf Rekordniveau. Nach Ansicht von Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. fehlen mehr als 300 000 Spezialisten. Besonders betroffen seien dabei die für den Maschinen- und Anlagenbau so wichtigen Elektro- und Mechatronik-Berufe. Auch der Mangel bei den für die Digitalisierung so wichtigen IT-Kräften habe sich in den vergangenen fünf Jahren deutlich verstärkt. Heftige Kritik übte Brodtmann an die große Koalition in Berlin. Statt sich zu überlegen, wie gerade die mittelständische Wirtschaft von bürokratischen und unproduktiven Bürden befreit werden könnte und statt die Digitalisierung oder die Energiewende mit klaren Konzepten vorauszutreiben, drehe sich die Politik der Groko meist um neue soziale Wohltaten und Umverteilung. Das könne nicht gut gehen. OSNABRÜCK/FRANKFURT

Herr Brodtmann, die Wachstumsprognosen für Deutschland in 2019 wurden in den vergangenen Monaten immer weiter nach unten korrigiert. Wie sehen denn die Perspektiven in diesem Jahr für den Maschinenbau aus? Auch der Maschinenbau hat in diesem Jahr einen mühsamen Start hinter sich. Der Auftragseingang lag im ersten Quartal um 10 Prozent unter seinem Vorjahresniveau. Die reale Produktion hat ihr Vorjahresniveau im ersten Quartal um 0,5 Prozent verfehlt. Etwas besser sieht es bei den Umsätzen im Maschinenbau aus, hier konnte der Maschinenbau sein Vorjahresniveau um 1,5 Prozent übertreffen. Wir haben auf der Hannover Messe Anfang April unsere Produktionsprognose für 2019 zurückgenommen, von zuvor real plus 2 auf jetzt noch plus 1 Prozent. Das zeigt schon, dass auch wir mit Vorsicht und einiger Skepsis auf die kommenden Monate schauen. Erfreulich ist immerhin, dass wir weiter-

VDMA-Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann.

hin der größte industrielle Arbeitgeber in Deutschland sind, im März beschäftigte der Maschinenbau in seinen Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten insgesamt 1,068 Millionen Menschen. Das sind 2,6 Prozent oder rund 27 000 mehr Beschäftigte als im März 2018. Das vergangene Jahr verlief für Ihre Branche bis auf das letzte Quartal ja hervorragend. Dadurch war die Schlussbilanz nicht ganz so gut wie zunächst erwartet. Statt dem ursprünglichen prognostizierten realen Produktionsplus von fünf Prozent ergab sich ein Wachstum von etwas mehr als zwei Prozent. Welche Gründe sind für diese Entwicklung ausschlaggebend gewesen? Die Maschinenbaubetriebe haben im vergangenen Jahr in den ersten Quartalen ihre Auftragsbücher gut füllen können. Zum Jahresende hat sich dann aber die Verunsicherung vieler Kunden in den Vordergrund geschoben, sprich: neue Bestellungen und Investitionen wurden vorerst verschoben. Hier spielt natürlich der ungelöste Handels- und Zollstreit zwischen den USA und China eine wesentliche Rolle, ebenso wie der immer noch mögliche Handels-

Foto: VDMA

konflikt zwischen den USA und der EU. Auch die ungewissen Folgen des Brexits sowie andere Störfaktoren im Export wie etwa die Wirtschaftskrise der Türkei haben sich bemerkbar gemacht. Und nicht zu vergessen steht die Automobilindustrie, eine der wichtigsten Kundenbranchen des Maschinenbaus, vor einem tief greifenden Strukturwandel. Es ist derzeit nicht klar, wann und welche Investitionen die Automobilindustrie tätigen wird, um diesen Wandel zu meistern. Befürchten Sie mittelfristig ein Abrutschen in die Rezession? Der Maschinenbau deckt die ganze Breite industrieller Anwendungen ab, von daher gibt es immer einige Fachbereiche, die zyklisch gut laufen, während andere in einer Schwächephase stecken. Für eine Rezession, die unsere Industrie auf breiter Front erfasst, müssten daher sehr viele negative Faktoren zusammenkommen. Das kann man zwar nie gänzlich ausschließen, aber wir prognostizieren das derzeit nicht. Ist die Fachkräftelücke durch die Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63 noch verschärft worden?

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Die Rente mit 63 hat den Fachkräftemangel auf jeden Fall nicht gemindert. Und wir hören von vielen Betrieben, dass ihnen wichtige Fachkräfte nun früher als geplant fehlen. Wie dringend braucht der Maschinenbau Fachkräfte aus dem Ausland? Der Maschinen- und Anlagenbau in Deutschland ist auf qualifizierte Kräfte auch aus dem Ausland angewiesen, um seine führende Stellung in der Welt halten zu können. Deutschland braucht deshalb endlich ein Gesetz, das die Einwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten transparent und möglichst unbürokratisch regelt. Und die Umsetzung muss so erfolgen, dass keine neuen Hürden entstehen, entweder bei der Visavergabe oder der Anerkennung von Berufsabschlüssen. Ein solches Fachkräfteeinwanderungsgesetz wäre auch ein Signal an alle ausländischen Fachkräfte, dass Deutschland sie willkommen heißt. Allerdings kann der Fachkräftebedarf im Maschinenbau durch Einwanderung bestenfalls gelindert, aber nicht behoben werden. Viele Ausbildungsplätze konnten in Deutschland auch in jüngster Zeit nicht besetzt wer-

den. Wie ist die Situation speziell in Ihrer Branche? Laut den jüngsten vorliegenden Statistiken hat der deutsche Maschinenbau eine Ausbildungsquote von gut 6 Prozent. Die offiziellen Zahlen reichen derzeit bis 2017, damals wurden knapp 47 000 Ausbildungsstellen in den Maschinenbauberufen neu besetzt. Auf knapp 2150 unbesetzte Stellen kamen gut 1700 unversorgte Bewerber. Diese Lücke ist im Vergleich zu den Vorjahren spürbar gewachsen. Auch im Maschinenbau fehlt es also vielerorts an einer ausreichenden Zahl von geeigneten Bewerbern, und der demographische Wandel verschärft die Situation weiter. Betroffen davon sind insbesondere die Fertigungsberufe. Den größten Zuwachs bei den angebotenen Ausbildungsplätzen sehen wir auch im Maschinenbau in den technischen IT-Berufen, und hier fällt es vielen Mittelständlern, die ihren Sitz abseits der Ballungsräume haben, immer schwerer, ausreichend Talente zu finden. Setzt die Große Koalition in Berlin die richtigen Akzente, um die Wirtschaft in Schwung zu halten? Nein, das tut sie leider nicht. Statt sich zu überlegen, wie gerade die mittelständische Wirtschaft von bürokratischen und unproduktiven Bürden befreit werden könnte und statt die Digitalisierung oder die Energiewende mit klaren Konzepten voranzutreiben, dreht sich die Politik der GroKo meist um neue soziale Wohltaten und Umverteilung. Das kann nicht gut gehen, denn die Steuerquelle wird künftig deutlich schwächer sprudeln. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat sich vor nicht allzu langer Zeit für die Schaffung nationaler und europäischer Champions ausgesprochen, um mit China und den USA auf Augenhöhe konkurrieren zu können. Außerdem will sich der Staat aktiv an strategischen Projekten wie etwa der Batteriezellenproduktion beteiligen. Wie beurteilen Sie eine solche Industriepolitik? Es war überfällig, dass wir in Deutschland wieder ernsthaft

über Industriepolitik diskutieren. Insofern war das Papier des Wirtschaftsministers ein wertvoller Aufschlag. Und seine Analyse ist korrekt: Die Welt und die globale Wettbewerbslage haben sich spürbar verändert. Einigen Schlussfolgerungen des Ministers widersprechen wir jedoch klar und deutlich. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer! Er sollte sich deshalb auch nicht anmaßen, besser als die Wirtschaft zu wissen, welche Champions in welchem Industriefeld Deutschland oder Europa vielleicht brauchen. Das gilt auch für einen staatlichen Beteiligungsfonds. Für den Wirtschaftsminister sollte vielmehr die Frage im Vordergrund stehen: Was muss die Politik am gesetzlichen Rahmen verändern, um einen starken Industriestandort Deutschland, beziehungsweise EU, zu sichern. Es geht um die Vollendung des EUBinnenmarkts, es geht darum, Innovationen zu fördern und die digitale Infrastruktur rasch auszubauen. Und es geht darum, sich auch im Streit mit den USA und China weiter für multilaterale Lösungen einzusetzen. Der Staat belastet die Unternehmen mit immer mehr Bürokratie. Dadurch ist die Bundesregierung von ihrem Ziel, den Papierkram mit einfachen und verständlichen Gesetzen auf das Nötigste zu reduzieren, noch ein ganzes Stück entfernt. Wie beurteilt die Wirtschaft die aktuelle Bürokratie mit den deutschen Behörden? Die Behörden führen ja nur aus, was ihnen von der deutschen oder auch der europäischen Politik vorgeschrieben wird, insofern trifft die Beamten keine Schuld. Tatsächlich ist von einer Bürokratieentlastung der Unternehmen weit und breit nichts zu sehen – im Gegenteil. Nehmen Sie nur die Entsenderichtlinie als Beispiel. Wer heute einen Techniker nach Italien schicken will, weil eine Maschine dort kurzfristig ausgefallen ist, hätte das eigentlich schon Wochen im Voraus wissen und den italienischen Behörden melden müssen. Das zeigt, wie absurd viele Regeln für die Wirtschaft inzwischen sind.

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DONNERSTAG, 27. JUNI 2019

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METALL- UND MASCHINENBAU Bewerber sind oft Mangelware Fachkräfteproblem bremst Wirtschaft

Der angehende Werkzeugmechaniker Niklas Welsch arbeitet an einer Drehmaschine,an der komplexe Einzelteile hergestellt werden.Der Umgang mit Rundstahl und Metall machen dem Azubi in seinem Beruf bislang am meisten Spaß. Foto: Christoph Schmidt/dpa-tmn

Von wegen Hammer und Meißel Werkzeugbau ist ein Hightech-Beruf – Großer Bedarf im Maschinenbau

VON INGA DREYER PLOCHINGEN Schraubenzieher, Zange, Säge: Ist doch klar, was ein Werkzeugmechaniker den ganzen Tag macht – eben Werkzeug bauen. So einfach ist das aber nicht. „Viele Leute meinen, Werkzeugbau bedeute Hammer und Meißel“, sagt Ralf Dürrwächter, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Werkzeug- und Formenbauer. Werkzeugmechaniker fertigen aber keine Utensilien für den Hausgebrauch, sondern Spritzguss-, Press- und Prägeformen sowie Stanz- und Umformwerkzeuge, wie sie in der industriellen Serienproduktion und im Maschinenbau gebraucht werden. Außerdem stellen sie zum Beispiel feinmechanische und chirurgische Instrumente her.

Niklas Welsch arbeitet am liebsten mit Metall. „Es macht einfach Spaß. Man hat ein Rohmaterial und sieht dann, was man alles daraus machen kann“, erzählt der 19-Jährige, der bei Pfletschinger & Gauch Formenbau in Plochingen (Baden-Württemberg) eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker macht. Für die Ausbildung hat er sich bewusst bei einem eher kleinen Betrieb beworben. „Das ist hier wie eine zweite kleine Familie“, sagt er über seine Ausbildungsstätte. Pfletschinger & Gauch Formenbau stellt Formen für den Kunststoffspritzguss her, die unter anderem in der Medizin- und Pharmabranche, in der Verpackungsindustrie, im Bereich Kosmetik, Elektrotechnik und im Automobilbereich verwendet werden.

In dreieinhalb Jahren lernt der Auszubildende unter anderem zu feilen, bohren und zu fräsen. Nach der Zwischenprüfung wird er die Abteilung wechseln und entweder in den Werkzeugbau, zum Schleifen oder zum CNC-Fräsen kommen. „Ich finde den Werkzeugbau ziemlich interessant“, erzählt der Auszubildende. Dort werden unter anderem Formen repariert und montiert. Aber auch das CNC-Fräsen sei spannend. Am Computer werden die Maschinen programmiert. „Dann gucke ich zu, ob die Fräse das macht, was ich wollte“, sagt Welsch und lacht. Es gibt immer noch Gelegenheiten, sich die Hände schmutzig zu machen, obwohl vieles inzwischen automatisch abläuft und digital gesteuert wird. Früher sei der Werkzeugmechaniker ein reiner Handwerksberuf gewesen, sagt

Rainer Dangel, Lehrbuchautor und Geschäftsführer der Dangel Formentechnik. Inzwischen sei die Digitalisierung im aber voll im Gange. „Werkzeug- und Formenbau ist ein Hightech-Beruf“, betont auch Ralf Dürrwächter. In der Ausbildung verdienen angehende Werkzeugmechaniker nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit monatlich zwischen 980 und knapp 1300 Euro. Der Bedarf auf dem Arbeitsmarkt sei groß, sagt Dürrwächter: „Gute Werkzeugmechaniker bekommen auch gut bezahlte Jobs.“ In vielen Momenten entdecke man die Ergebnisse der eigenen Arbeit im Alltag, sagt Rainer Dangel. Ob zu Hause oder auf der Straße: „Ohne diesen Beruf gäbe es viele Dinge nicht – von der Kaffeemaschine über den Computer bis hin zum Automobil“.

s.sa OSNABRÜCK In diesem Jahr werden in Deutschland mehr als 45 Millionen Menschen erwerbstätig sein – gegenüber dem Tiefstand von 1993 bedeutet das einen Anstieg um 7,4 Millionen. Wahrlich eine erfreuliche Entwicklung, die noch besser ausgefallen wäre, wenn da nicht der Facharbeitermangel sich als Wachstumsbremse erweisen würde. Kein Wunder, das dieses Thema in der Öffentlichkeit immer wieder für lebhafte Diskussionen sorgt. Als Ursachen für den Facharbeitermangel werden verschiedene Gründe angeführt. Einer der Hauptfaktoren ist zum Beispiel die zunehmende Überalterung der deutschen Gesellschaft. Aufgrund der abnehmenden Geburtenraten in den letzten Jahrzehnten stehen dem Arbeitsmarkt immer weniger Fachkräfte zur Verfügung. Aber auch die fehlende Qualifikation vieler Bewerber erweist sich bei der Vermittlung immer wieder als Hemmschuh. Um den Arbeitskräftebedarf der Wirtschaft zu decken, braucht Deutschland nach einer Studie der Bertelsmann-Stiftung in den nächsten 40 Jahren jährlich netto mindestens 260 000 Einwanderer. Das Basler Forschungsinstitut Prognos kommt zu dem Schluss, dass in unserem Land allein bis zum Jahr 2030 insgesamt drei Millionen Fachkräfte fehlen könnten, falls von Wirtschaft und Politik nicht gegengesteuert wird. Für das Jahr 2040 gehen die Forscher sogar von einem Mangel von 3,3 Millionen Fachkräften aus. Die Folgen könnten beträchtlich für den Wirtschaftsstandort Deutschland sein. Denn das Fehlen qualifizierter Arbeitskräfte kann die Wertschöpfung und das künftige Wirtschaftswachstum erheblich ausbremsen. Aktuell haben vor allem kleinere und mittlere Unternehmen nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln fast doppelt so häufig Probleme, freie Stellen zu besetzen, wie große Firmen. Die Gründe für das Rekrutie-

rungsproblem seien allerdings quer durch alle Betriebsgrößenklassen ähnlich, heißt es in der Analyse. Insgesamt sagen 67 Prozent der Unternehmen, dass es für die freien Arbeitsplätze zu wenige Bewerber gibt. Und da, wo Kandidaten vorstellig werden, verfügen diese nach Meinung von gut der Hälfte der Firmen nicht über die erforderlichen Qualifikationen. Die Folgen der Besetzungsprobleme sind wiederum für die kleinen Betrieben besonders gravierend: Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten müßten den Angaben des Kölner Instituts zufolge fast jede dritte Personalsuche erfolglos abbrechen. In den mittleren Betrieben beträgt diese Quote acht Prozent, in den großen Firmen nur drei Prozent. Die kleinen Firmen müssten zudem öfter Kompromisse eingehen, um überhaupt neue Mitarbeiter einstellen zu können, betonen die Experten in der Expertise. So zahlen 17 Prozent am Ende mehr Gehalt als zunächst beabsichtigt, 13 Prozent nehmen mangelnde Qualifikationen der neuen Beschäftigten hin und 12 Prozent deren Mangel an Erfahrung. Von den großen Unternehmen müssten lediglich ein bis fünf Prozent solche Abstriche machen.

Auch im Metall- und Maschinenbau fehlen Fachkräfte.

Foto: iStock

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