Greenpeace-Magazin 04/19

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Greenpeace Member Nr.  04  /  19

Nur noch 3   0 Jahre 2050

Insektennahrung

Wie wir leben werden

Nicht alles grün, was zirpt?

S. 13

S. 12


Editorial

Kamera des Mobiltelefons oder App öffnen

QR-Code scannen

Was hält das Morgen für uns bereit? Diese Frage stellen sich Menschen wahrscheinlich schon, seit es Menschen gibt. Die Babylonier versuchten die Zukunft aus den Sternen zu lesen; die alten Griechen befragten das Orakel von Delphi. Und in der Moderne sind es Science-Fiction-Regisseurinnen und -Regisseure, die uns – mehr oder weniger wissenschaftlich ­ fundierte – Zukunftsszenarien ­aufzeigen. Das Spannende an diesen Szenarien ist, dass sie uns dazu ­anregen können, über unsere eigene Gegenwart nachzudenken. Sie zeigen mögliche ethische Dilemmas auf, die sich dereinst eröffnen könnten durch Dinge wie künstliche Intelligenz, die ja den Bereich der Fiktion heute eigentlich schon verlassen hat. Mit diesem Hintergedanken wagen wir uns in diesem Greenpeace-Magazin selbst ein wenig in Science-FictionGewässer. In unserer Hauptstory entwerfen Illustratorinnen und Experten ihre eigenen Zukunftsszenarien – düster oder bunt, hoffnungsvoll oder nüchtern, immer aber Gedanken anregend (S. 13). Die mögliche Nahrung der Zukunft nehmen wir ebenfalls unter die Lupe – keine Angst, liebe ScienceFiction-Fans, es ist nicht Soylent Green (S. 12) – und widmen uns auch der heiklen Frage nach dem Kinderkriegen in Zeiten der Klimakrise (S. 31). Einen aufschlussreichen Blick in die Kristallkugel wünscht Ihnen Ihre Redaktion.


Zukunft 2050

Inhaltsverzeichnis

Fokus Eine Zukunft, zehn Blickwinkel

S. 13

Rückblick

International

28.09.2019

Alles ist tot

S. 10

S. 24

IMPRESSUM GREENPEACE MEMBER 4/ 2019 Herausgeberin / Redaktionsadresse: Greenpeace Schweiz Badenerstrasse 171 8036 Zürich Telefon 044 447 41 41 redaktion@greenpeace.ch www.greenpeace.ch Redaktionsteam: Danielle Müller (Leitung), Manù Hophan (Bildredaktion) Korrektorat /  Lektorat: Text Control, Marco Morgenthaler AutorInnen: Christian Schmidt, Nina Kunz, Philipp Lichterbeck, Eva-Maria Schleiffenbaum, Danielle Müller Fotos: Isabel Truniger, Anja Wille Schori Illustrationen: Jörn Kaspuhl, Andy Fischli, Alina Günter, Josh Schaub, Paula Troxler, Lika Nüssli, Ruedi Widmer Gestaltung: Raffinerie Druck: Stämpfli AG, Bern Papier, Umschlag und Inhalt: 100 % Recycling

Druckauflage: d 78 000, f 14 000 Erscheinungsweise: viermal jährlich Das Magazin Greenpeace geht an alle Mitglieder (Jahresbeitrag ab Fr. 84.–). Es kann Meinungen enthalten, die nicht mit offiziellen Greenpeace-Positionen übereinstimmen.

Stimmt Ihre Adresse noch? Planen Sie einen Umzug? Wir nehmen Änderungen gerne entgegen: schweiz@greenpeace.org oder 044 447 41 71 Spenden: Postkonto 80-6222-8 Online-Spenden: www.greenpeace.ch/spenden SMS-Spenden: Keyword GP und Betrag in Franken an 488 (Beispiel für Fr. 10.–: «GP 10» an 488)

Aktion

S. 4

Fortschritt

S. 6

Taten statt Worte

S. 7

Engagement

S. 9

Rückblick

S. 10

Zahlen & Fakten

S. 11

Das steckt dahinter

S. 12

Fokus

S. 13

International

S. 24

Ausblick

S. 28

Rezept

S. 30

Debatte

S. 31

Aufgedeckt

S. 33

Mein grüner Wille

S. 33

Rätsel

S. 34

Schlusswort

S. 35


Aktion

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Ein Taucher auf Entdeckungstour vor der Küste von FranzösischGuyana im Nordosten Südamerikas. Das Foto entstand im Rahmen der einjährigen GreenpeaceExpedition vom Nordzum Südpol, die einen globalen Meeresschutzvertrag zum Ziel hat. Französisch-Guyana, 21. September 2019

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Bild: © Greenpeace / Pierre Baelen

Hier geht es zur MeeresschutzPetition


Ade Gletscherschwund

Fortschritt

Es ist geschafft: 126 515 Schweize­ rinnen und Schweizer (Stand Oktober 2019) haben die Gletscher-Initiative unterzeichnet – und das, nur fünf Monate nachdem der Trägerverein Klimaschutz Schweiz gemeinsam mit Greenpeace Schweiz die Unterschriftensammlung gestartet hatte. Damit ist die Schweiz einen Schritt näher an der Verankerung des Klimaschutzes in der Bundesverfassung und somit an der Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null.

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Walgefängnis Zwischen Juli und Oktober 2018 wurden im Ochotskischen Meer 11 Orcas und 87 Belugas in ein illegales russisches Walgefängnis verfrachtet, um an chinesische Aquarien verkauft zu werden. Nach einem Aufschrei in den Medien weltweit und auf Drängen von Tierschützern und Greenpeace hin veranlasste die Regierung Russlands die Freilassung der Säugetiere. Mittlerweile haben alle Orcas und Belugas ihre Freiheit zurück. Immerhin etwas Gutes hatte das Ganze: Künftig soll der Fang von Meeressäugetieren zu Kultur- und Vergnügungszwecken in Russland verboten werden, wie der russische Vizepremier Alexei Gordejew erklärte.

Bild: © Greenpeace / Russian Whale Liberation Campaign / Vyacheslav Kozlov

Servus Glyphosat Österreich soll als erstes Land der EU glyphosatfrei werden. Dies hat der österreichische Nationalrat im Juli beschlossen. Nach langer und hartnäckiger Kampagnenarbeit ist das ein grosser Erfolg für Greenpeace Österreich. Damit der «wahrscheinlich krebserregende» Unkrautvernichter ab dem 1. Januar 2020 aber tatsächlich verboten wird, muss erst noch die EU-Kommission einwilligen – «und daran werden wir sie sicherlich erinnern», so Greenpeace Österreich.

Bild: © Greenpeace / Ex-Press / Markus Forte

Nach drei Jahren intensiver Kampagnenarbeit inklusive neun Aktionen und 250 000 Unterschriften ist Greenpeace Kolumbien endlich am Ziel: Der nationale Kongress hat ein Gesetz unterzeichnet, das das landesweite Verbot von Asbest bestätigt. Zum Vergleich: Die Schweiz hat die krebserregende Gruppe von mineralischen Fasern in Gesteinen bereits 1989 für den Häuserbau verboten. In Kolumbien durfte Asbest ­jedoch bis zum heutigen Tag verwendet werden – und ist für den Tod von jährlich über 700 Menschen verantwortlich.

Bild: © Greenpeace / Camilo Rozo

Adiós Asbest


Taten statt Worte

«Wir verkaufen Zeit»

Markus Schutz, Mitinhaber des Schutz Filisur Alpin Gartencenter

Text: Eva-Maria Schleiffenbaum, Greenpeace Schweiz

Weihnachten 2010, das Festessen wärmt den Magen, Familie Schutz sitzt grübelnd um den Küchentisch. Denn: Es ist ein besonders schöner Tannenbaum, der in ihrer Stube steht. «Ist doch schade, dass wir den abgehauen haben», sind sie sich einig. Wie also kann ein Baum im Topf wachsen, ohne grosse Wurzeln zu schlagen? Selbst für die Familie Schutz, die seit fünf Generationen gärtnert, bedarf es einiger Anläufe. Im folgenden Winter aber hat sie es geschafft, sie vermietet erstmals lebendige Weihnachtsbäume. Zu Beginn schmücken die Topfpflanzen umliegende Ferienwohnungen, liegt doch die Gärtnerei im Dorf Filisur inmitten der Bündner Alpen. Das kam an: «Die Touristen fanden es schade, die Bäume nach ein paar Ferientagen

wieder wegzuschmeissen», sagt Markus Schutz, der die Gärtnerei mit seinem Bruder und dem Vater führt. Inzwischen stehen ihre Mietbäume in der ganzen Schweiz. Sie sorgen sogar für neue Rituale: Wer einen «Familienbaum» mietet, kann jedes Jahr mit derselben Tanne feiern. Macht Sinn, wo doch in der Schweiz jährlich weit über eine Million Christbäume weggeworfen werden – und die meisten aus dem Ausland stammen. Eigentlich wollte Markus Schutz ja Bauer werden. Doch jetzt wohnt er in einem Haus direkt neben der Gärtnerei – immerhin mit zwei Katzen, einem Hund und fünf Meerschweinchen. Alle drei Töchter packen im Betrieb mit an, den sein Urgrossvater gegründet hatte. «Aber nur die mittlere macht es wirklich gerne», erzählt der 48-Jährige schmunzelnd. Sie teile die Freude an der Natur mit ihm. Seine liebste Pflanze?

«Die einheimische Arve. Das ist eine Kiefer, die bis zu 1000 Jahre alt wird», sagt Schutz. Und fügt hinzu: «Wir kultivieren sie 60 Jahre lang. Manche der Arven hat also mein Grossvater angepflanzt.» Die Geschäftsleute unter der Kundschaft glauben es kaum, dass die Gärtnerei so viele Jahre vorausplant und abwartet. Nur wenige andere Betriebe nehmen diesen langsamen Prozess auf sich. Das Luxushotel The Chedi Andermatt weiss das zu schätzen und hat zwei Arven erworben. «Es gibt einen klaren Unterschied zu anderen Branchen wie dem Autohandel: Du kannst nichts tun, damit ein Baum schneller wächst. Du kannst nur warten und zuschauen», sagt Markus Schutz. «Du verkaufst also gewissermassen Zeit.»

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«Man muss schon immer ein wenig ellbögeln»

Taten statt Worte

Schliessen Sie sich hier einem KoviLokalkomitee an

Jo Vergeat, Vizepräsidentin junges grünes bündnis nordwest

Text: Danielle Müller, Greenpeace Schweiz

Eigentlich ist es eher Zufall, dass Jo Vergeat heute politisch aktiv ist. «Es war nicht so, dass ich aufgestanden bin und mich entschlossen habe, in die Politik zu gehen», erinnert sich die 25-Jährige, ­«sondern ich habe mich über das Clubsterben in Basel genervt, eine Facebook-Gruppe gegründet, und so hat sich das dann irgendwie ent­wickelt.» Eigentlich passe sie auch gar nicht so wirklich in diese Szene. «Lustigerweise bin ich kein Mensch, der gerne Konflikte hat», gesteht sie schmunzelnd. Trotzdem sitzt Jo heute für das ­ junge grüne bündnis ­nordwest im Grossen Rat – und man wird im Gespräch mit ihr das ­ Gefühl nicht los, dass sie ­genau da auch hingehört. Denn mit ihrer jungen, lockeren und ­aufgestellten Art bringt sie g ­ enau das mit, was die Schweizer Politik

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heutzutage unbedingt braucht: ­frischen Wind. Als Grossrätin setzt sich Jo vor allem für die Anliegen der Jungen ein. Allen voran für den Klimaschutz – was angesichts des Gegenwinds von 15 mehrheitlich älteren und männlichen SVPMitgliedern im Basler Grossrat besonderen Mut erfordern dürfte. «Man muss sich schon immer wieder mit unangenehmen Situationen konfrontieren und etwas ellbögeln, das stimmt», meint die Politikwissenschaftsstudentin. «Wenn es aber um ein Thema wie den Klimawandel geht, das für mich so sonnenklar ist und eigentlich keiner Diskussion bedarf, fällt es mir nicht schwer, mich dafür starkzumachen.» Konzernverantwortung ist ein weiteres Thema, das für Jo ­sonnenklar ist. «Ich finde es frappierend, dass in der Schweiz, die sich immer wieder mit Humanität

brüstet, Konzerne Menschenrechte verletzen», ärgert sie sich. Die Hinauszögerung der Abstimmung über die Initiative nervt die Baslerin deswegen umso mehr: «Diese Trickserei in der Politik finde ich echt anstrengend. Das ist einer der Gründe, weshalb die Menschen das Vertrauen in sie verlieren.» Um die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) vollends zu unterstützen, hat sie sich deshalb einem der vielen Lokalkomitees angeschlossen. Zusätzlich zu ihrem Posten als Grossrätin, versteht sich. Und ihrer Position als Geschäftsführerin des Vereins «Kulturstadt Jetzt». Zufall hin oder her – Jo Vergeat mischt die Politikszene gehörig auf.

Illustrationen Seite 7 / 8: Jörn Kaspuhl arbeitet meistens mit Papier und Stift und braucht den Computer nur, um die verschiedenen Elemente zusammenzufügen. 2008 schloss er sein Studium an der Universität in Hamburg als Illustrator ab. Er lebt und arbeitet in Berlin.


Engagement

Filmbösewicht mit einem Herzen für den Ozean

Seit 1996 ist Schauspieler Javier Bardem Mitglied bei Greenpeace – und seit nunmehr zwei Jahren setzt er sich mit viel Herzblut für den Schutz der Ozeane ein.

Zürcher Filmpodium ein 15-Jähriger aus dem Publikum dem gebürtigen Spanier eine Frage stellte, zeigte der sich von dessen Begeisterung für den Umweltschutz «Unsere Ozeane stehen kurz vor dem Zusammen- gerührt. «God bless you», bruch, und wir alle tragen die Verantwortung dafür.» meinte er zu dem Jungen Wenn es um den Schutz der Weltmeere geht, legt sich und kämpfte dabei mit den Javier Bardem mit der gleichen Dringlichkeit ins Tränen. Es zeigt sich also: Zeug wie in seinen Rollen als Filmbösewicht – was Auch Leinwandböseihm im Fall von «No Country for Old Men» sogar wichte haben ein einen Oscar einbrachte. Seine Warnung zum schlech- Herz – und zum ten Zustand der Ozeane richtete Bardem im August guten Glück an die Delegierten der Vereinten Nationen in New schlägt das von York, wo über einen globalen Hochseeschutzvertrag Javier Bardem beraten wurde: «Jetzt ist es an der Zeit, dass wir alle für die Ozeane. unseren Teil dazu beitragen, um den Kollaps zu stoppen», appellierte er in seiner Rede eindringlich an die anwesenden UN-Vertreterinnen und -Vertreter, die noch bis zum Frühjahr 2020 über einen rechts5 Tipps, wie auch verbindlichen Vertrag zum Schutz der HochseeSie sich für die Ozeane gewässer verhandeln. Für sein Meeres-Engagement einsetzen können: ziert sich Javier Bardem aber auch nicht, selbst ins kalte Nass zu springen: Im Frühjahr 2018 ging er höchstpersönlich mit Greenpeace an Bord der Arctic Sunrise auf Entdeckungstour im Antarktischen 1 Ozean. Aus der Reise entstand in Zusammenarbeit Unterschreiben Sie die mit dem Regisseur Álvaro Longoria und Javiers Petition für globale Schutzgebiete Bruder Carlos Bardem der Film «Sanctuary», den unter greenpeace.ch/magazin/ der Oscarpreisträger im Oktober am Zurich Film meerespetition. Festival dem Schweizer Publikum gleich selbst vorstellte. 2 Achten Sie auf Ihren Fischkonsum Als zum Schluss der und laden Sie sich im App Store Veranstaltung im den Greenpeace Fischratgeber

Bild: © Greenpeace / Chris J. Ratcliffe

2016 herunter.

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Treten Sie einer Regionalgruppe bei und setzen Sie sich mit lokalen Aktionen für den Ozean ein.

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Übernehmen Sie eine Meerespatenschaft unter greenpeace.ch/magazin/ meerespatenschaft.

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Und fast am wichtigsten: Geben Sie diese Tipps an Ihre Familie und Ihre Freunde weiter.

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Rückblick

28. 09. 2019 bereits zum Bersten voll und es waren noch lange nicht alle dort angekommen. Hoffnung überflutete meinen Körper. Dieser Tag hat mir erneut gezeigt, dass wir es schaffen können, die Klimakrise abzuwenden. Ich glaube daran, dass wir unsere Lebensweise in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen bringen können. Und ich bin fest davon überzeugt, dass wir für unsere Kinder eine lebenswerte Zukunft schaffen können. Danke an alle, die mit mir zusammen für all diese Ziele kämpfen!»

Claudio Kohler, Freiwilliger bei Greenpeace Schweiz und als Peacekeeper an der nationalen Klimademo des Wandels.

Bild: © Greenpeace / Ex-Press / Kathrin Grissemann

«Als die ersten Trommeln, Rufe und Pfeifen aus der Ferne über den stillen Bundesplatz hallten und ich in der Amthausgasse die Wand aus bunten Schildern langsam auf mich zukommen sah, ergriff mich Ehrfurcht. Ich realisierte zum ersten Mal so richtig, welche Kraft von der Klimabewegung ausgeht. Dies ist die Demo, an der die ganze Schweiz dabei ist – die grösste Klimademo, die dieses Land je gesehen hat. Alle, denen das Klima am Herzen liegt, sind heute hier und wollen den Politikerinnen und Politikern zeigen, wie ernst die Klimakrise ist. Ich wurde etwas emotional bei dem Anblick der Menschenmasse, die nicht aufzuhören schien – nach einer Stunde war der Bundesplatz

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Bild: © Greenpeace / Michael Würtenberg

Nestlé bleibt unter den Spitzenreitern der grössten Plastikverschmutzer weltweit. Mit dem zweitplatzierten Schweizer Konsumgüterkonzern auf dem Podest stehen die beiden Getränkeriesen Coca-Cola (Platz 1) und PepsiCo (Platz 3). Die Rangliste wurde bereits zum zweiten Mal von der weltweiten Bewegung Break Free From Plastic erstellt, der auch Greenpeace angehört. Freiwillige der Gruppe haben am «World Cleanup Day» im September in 52 Ländern Plastikmüll eingesammelt. Die 476 423 weggeworfenen Plastik­ gegenstände wurden im Anschluss den verantwortlichen Herstellerfirmen zugeordnet. Hierzulande bot sich ein ähnliches Bild: Bei der Aufräumaktion an der Seepromenade beim Nestlé-Hauptsitz in Vevey haben Freiwillige von Greenpeace Schweiz in zwei Stunden 1124 Plastikteile gefunden. Die meisten stammten von Coca-Cola, dicht gefolgt von Nestlé, Rang 3 belegt Grossverteiler Coop. Der im Anschluss an die Aufräumaktionen verfasste Bericht verdeutlicht, dass Konzerne und Grossverteiler endlich für die von ihnen verursachte Verschmutzung geradestehen müssen. «Wir appellieren an die Konzerne, innovative Lösungen ohne Verschmutzung zu finden», sagt Von Hernandez von Break Free From Plastic.

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Vierhundertsechsundsiebzigtausendvierhundertdreiundzwanzig Gründe für einen Wandel

Rückblick

359 Millionen Tonnen 2018 stieg die weltweite Produktion von Kunststoffen um weitere 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr an – und kletterte somit auf ein Total von 359 Millionen Tonnen. Wird der Plastikflut keinen Einhalt geboten, könnte sich diese Zahl bis 2050 vervierfachen.

189 Kohlekraftwerke Plastik ist nicht nur ein immenser Umweltverschmutzer, sondern auch ein gewaltiger Klimakiller, denn der Kunststoff wird aus Erdöl und Erdgas gewonnen. Schätzungen gehen davon aus, dass bei der Produktion und Verbrennung bis Ende 2019 so viele Klimagase wie von 189 Kohlekraftwerken ausgestossen werden.

10 – 13 Prozent Schlimmer noch: Aktuelle Schätzungen deuten darauf hin, dass bis 2050 die globalen Treibhausgasemissionen durch Kunststoffe bis zu 10 – 13 Prozent des verfügbaren «Budgets» der uns verbleibenden Emissionen ausmachen könnten.

5 Gramm Nicht nur Meerestiere fressen ungewollt Plastik, auch wir Menschen nehmen den Kunststoff in Form von Mikroplastik auf. Dabei isst ein Mensch pro Woche ca. 5 Gramm Plastik, was dem Gewicht einer Kreditkarte entspricht.

3 Scheinlösungen «Bioplastik» ist keine Lösung, denn der Kunststoff aus natürlichem Ausgangsmaterial zersetzt sich viel zu langsam. Ersatzprodukte aus Karton oder Papier entlasten die Natur ebenfalls nicht, denn dafür müssen noch mehr Waldflächen gerodet werden. Und auch Recycling ist keine Lösung, denn weltweit wurden bisher nur 9 Prozent Plastik rezykliert.

Quellen: Greenpeace-Report «Die Zukunft wegwerfen: Scheinlösungen der Unternehmen gegen die Plastikverschmutzung»


Das steckt dahinter

Insektennahrung 2 Milliarden Menschen

1900 Arten 55 – 60 g Proteine

Nicht alles grün, was zirpt?

2 kg Futter

Arten

Proteine

Futter

Menschen

Weltweit sind 1900 Insektenarten als Nahrungsmittel für die Menschen bekannt – von rund einer Million Insektenspezies, die wissenschaftlich beschrieben sind. Insgesamt gibt es schätzungsweise 10 Trillionen Insekten auf der Welt. In der Schweiz sind drei Insektenarten als Nahrungsmittel zugelassen: Grillen, Mehlwürmer und europäische Wanderheuschrecken.

100 g Heuschrecken enthalten gefrier­getrocknet rund 55 g Eiweiss, Mehlwürmer 56 g und Grillen sogar 60 g. Ausserdem sind die meisten Insektenspezies reich an Ballaststoffen und Mikronährstoffen wie z. B. Kupfer, Eisen, Magnesium, Mangan, Phosphor, Selen und Zink.

Rund 2 kg Futter braucht es im Schnitt, um 1 kg Insektenmasse zu produzieren – Rinder benötigen für 1 kg Körpermasse 8 kg Futter. Auch die Produktion von Treibhausgasen durch Insekten ist niedriger als die von konventioneller Viehhaltung und bezüglich Wasser- und Landverbrauch schneiden Insekten ebenfalls deutlich besser ab.

Etwa 2 Milliarden Menschen haben Insekten regelmässig auf ihrem Speiseplan. Weltweit sind die am häufigsten verzehrten Insekten die Käfer (31 %), gefolgt von Raupen (18 %), Bienen, Wespen und Ameisen (14 %) sowie Grashüpfern, Heuschrecken und Grillen (13 %). Weniger häufig werden Termiten, Libellen oder Fliegen gegessen.

Quellen: FAO-Report: Edible Insects; Department of Systematic Biology: Numbers of Insects; Swissveg; Mi Bugs

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Die Organisation Swissveg schreibt auf ihrer Website, dass die Massenproduktion von Insekten unnötig Ressourcen verbrauche, da eine Umwandlung von pflanzlichen in tierische Proteine immer mit Verlusten verbunden sei. Zudem seien tierethische Fragen im Zusammenhang mit der Tötung und Haltung von so vielen Insekten auf engem Raum nicht geklärt. Auch Wilhelm Windisch, Professor für Tierernährung an der TU München, gibt zu bedenken: «Wenn man Insekten im industriellen Massstab züchtet, bedeutet das Abermillionen von Tieren auf engstem Raum – was den Einsatz von Medikamenten sehr wahrscheinlich macht. Wir wissen nicht, von welchen Krankheiten diese Tiere alle befallen werden und welche Hygieneprobleme wir uns bei einer Massenproduktion einfangen.»

Text: Marco Morgenthaler; Bild: Anja Wille Schori


20 50

Fokus

Zehn Szenarien, wie wir in der Schweiz in dreissig Jahren essen, wohnen, arbeiten, leben – und vielleicht sogar ßber wachsende Gletscher reden.


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Ernährung AUS DER SICHT VON ANDY FISCHLI, ILLUSTRATOR Andy Fischli zeichnet das sprechende T-BoneSteak. Von 2003 bis 2010 erschienen seine Cartoons mit den Eiermännchen regelmässig in der WOZ und erlangten Kultstatus. Er lebt und arbeitet in Zürich.

AUS DER SICHT VON FLORIANNE KOECHLIN, BIOLOGIN «Weiter wie bisher ist keine Option. Industrielle Monokulturen tragen massiv zur Bodenerosion bei, zu viele Pestizide und synthetische Dünger schaden der Umwelt und weltweit nimmt die Biodiversität dramatisch ab. Ich bin aber überzeugt, dass wir Tiere und Tierprodukte brauchen – allerdings weniger als bisher und ohne importiertes Kraftfutter. Wichtig scheint mir, dass die herstellende und die konsumierende Seite wieder zusammenkommen und einen Pakt bilden. Es gibt in der Schweiz immer mehr Beispiele solidarischer Landwirtschaft, biologisch und regional, das macht Mut – und es ist erst noch wunderbar, jede Woche einen frischen, vielfältigen Gemüsekorb zu erhalten. In nächster Zeit haben wir ja gute Gelegenheit, uns laut zu melden und zu engagieren: Konzernverantwortungsinitiative, Trinkwasser- und Pestizid-Initiative – es liegt an uns allen! Ein Beispiel: Der einstige NestléChef Maucher sagte einmal an einem Streitgespräch, es sei lächerlich zu meinen, dass in ein paar Jahren nicht die Hälfte des Essens auf unserem Teller genmanipuliert sein werde. «Lächerlich» – ein Wort mit Widerhaken. Heute, lange Zeit nach dieser Aussage, haben wir kein Gentech-Food. Null. Weil wir es nicht wollten und weil wir das politisch durchgesetzt haben. Wie ich mir die Zukunft vorstelle? Vielfältig, regional, biologisch, mit wenigem, einheimischem Fleisch und Fisch. Und ja, gestern habe ich eine Bio-Mango aus Spanien gekauft – auch das gehört dazu.»

Florianne Koechlin ist Autorin verschiedener Bücher, u. a. «Schwatzhafte Tomate, wehrhafter Tabak» und «Was Erbsen hören und wofür Kühe um die Wette laufen».


Gletscherschmelze AUS DER SICHT VON ALINA GÜNTER, ILLUSTRATORIN Alina Günters Gletscherschmelze ist albtraumhaft schön. Sonst illustriert sie u. a. für Sophie Hunger, das Zürcher Stadthaus und die Fondation Beyeler.

AUS DER SICHT VON DANIEL FARINOTTI, GLAZIOLOGE «Gletscher speichern über Jahrhunderte den im Winter fallenden Niederschlag in Form von Schnee, Firn und Eis und lassen diesen im Sommer wieder frei. In Gebieten, die punkto Wasserressourcen stark von der Gletscherschmelze abhängen, könnte das Wasserdargebot deswegen in 30 Jahren merklich kleiner sein. Es ist absehbar, dass 2050 etwa die Hälfte aller Gletschereismassen der Alpen geschmolzen sein wird. Ohne dezidierte Massnahmen zugunsten des Klimaschutzes zeigen unsere Berechnungen, dass bis Ende des Jahrhunderts sogar mehr als 90 Prozent der Gletscher verschwunden sein werden. Mit anderen Worten: Wir entscheiden heute darüber, ob wir 2100 noch von Gletschern reden werden – oder ob sie dann nur noch der Erinnerung angehören. Künstliche Techniken zur Rettung der Gletscher, wie beispielsweise das Abdecken der Gletscher mit Fliesstüchern, sind auf grosser Skala nicht realistisch. GeoengineeringAnsätze – mit denen man z. B. die Reaktivität der Atmosphäre erhöhen könnte, damit weniger Sonneneinstrahlung den Boden erreicht – halte ich sogar für fahrlässig. Deren Auswirkungen sind so wenig erforscht und damit fast nicht vorhersagbar. Ein Experiment mit un­ serem ganzen Planeten anzustellen, halte ich, selbst als Forscher, für irrsinnig. Wenn das schiefgeht, haben wir keinen zweiten Versuch. Ich wünschte, 2050 würden wir den ­Klimawandel als ein weitgehend gelöstes Problem ansehen und nicht mehr von Gletscherschwund, sondern -wachstum reden. Ob dies Realität sein wird? Wir haben jetzt die Wahl!»

Daniel Farinotti ist Leiter der Glaziologiegruppen der ­Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie (VAW) der ETH Zürich sowie der Eidgenössischen F ­ orschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL).


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Die Kinder fahren alleine mit dem Auto zur Schule.

MOBILITÄT

Bequem und sicher! Aus Sicherheitsgründen dürfen Menschen nicht mehr selber fahren.

Langewe

Die Arbeit beginnt im Auto.

SERVICE

Keine Staus

Ethisches Dilemma

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Die KI kennt uns am besten! z.B. Wir kommen gestresst nach Hause ...

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... die KI lässt uns ein Bad ein, spielt beruhigende Musik

... und weiss, auf was wir Lust haben.

Können wir vertrauen?

Zurücklehnen und geniessen

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Perfektion ist langweilig

VO PARTNER GESUNDHEIT

Perfekter Partner

Nie mehr streiten

Wir werden uns unseren perfekten Partner bauen ...

... der genau auf unsere Bedürfnisse zugeschnitten ist.

Unsterblich

Sind wir noch Menschen?

Versagt ein Orga wird es durch ein künstliches erset Oder man ersetz einfach, um zu verbessern.


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Künstliche Intelligenz

Hohe Arbeitslosigkeit Arbeit wird es nur noch für wenige Menschen geben.

Wir vertrauen nur noch Produkten von KI.

ARBEIT

Josh Schaub verdichtet die künstliche Intelligenz zum überschaubaren Bild. Zu Piktogrammen hat er eine enge Beziehung, er formte sogar eine Geheimsprache daraus. Viel Freizeit

Keine langweilige Arbeit mehr

AUS DER SICHT VON YULIA SANDAMIRSKAYA, NEUROINFORMATIKERIN Roboter arbeiten 24/7 und sind nie krank.

Die Polizei weiss vor uns, ob wir eine Straftat begehen werden.

Aber auch Umweltkatastrophen werden viel früher erkannt.

ORHERSAGEN

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AUS DER SICHT VON JOSH SCHAUB, ILLUSTRATOR

Schutz vor Katastrophen Zudem werden all unsere Werte stetig überwacht und automatisch mit Wirkstoffen ausgeglichen.

Ungenauigkeit von Vorhersagen

Wettervorhersagen werden endlich besser!

Die KI erkennt, dass wir das Problem sind!

«2050 werden wir energieeffizientere und schnellere, intelligente Rechensysteme bauen können, die komplexe Abläufe steuern. Mit diesen ‹künstlichen Gehirnen› könnte man Sensoren ausstatten, welche tägliche Abläufe bei uns zu Hause, im Büro, in Krankenhäusern und auf den Strassen automatisieren. So würden im Haus Heizung, Lichtblenden und Lichtquellen automatisch geregelt, Lebensmittel automatisch nachbestellt oder Blumen gegossen. Das alles spart Energie und gewährleistet mehr Komfort – wie auch das autonome Fahren, welches 2050 selbstverständlich sein wird. Ebenso dürften künstlich intelligente Systeme im Krankenhaus Arbeiten übernehmen, indem sie beispielsweise Diagnosen vorschlagen inklusive einer Begründung, welche die Ärzte lediglich noch überprüfen müssen. Roboter könnten auch Operationen ausführen, Räume sauber halten und Medikamente verteilen. Das Personal würde die Abläufe nur noch kontrollieren. Die künstliche Intelligenz beinhaltet aber auch einen weniger positiven Aspekt: Sie stellt eine Gefahr für die Privatsphäre dar. Denn wenn KI in falsche Hände gerät, kann sie mit automatischen Beobachtungssystemen die Kontrolle über das Verhalten der Menschen erleichtern. Wir werden aber 2050 definitiv nicht durch Roboter ersetzt – lediglich Jobs, die mit repetitiver und gesundheitsschädigender Arbeit verbunden sind. So können sich Menschen in Zukunft vermehrt den wissenschaftlichen, künstlerischen oder humanitären Tätigkeiten widmen.» Yulia Sandamirskaya ist Gruppenleiterin am Institut für Neuroinformatik der Universität Zürich und der ETH Zürich und untersucht u. a. Gedächtnisbildung in verkörperten neuronalen Systemen.


Wohnen AUS DER SICHT VON PAULA TROXLER, ILLUSTRATORIN Paula Troxlers schöne neue Wohn-Welt spielt mit dem Genre der Fotocollage aus den 70erJahren. Sie unterhält zusammen mit Kleon Medugorac die Plattform derhund.org.

AUS DER SICHT VON MARIE GLASER, ETHNOLOGIN «Wir müssen heute die Bevölkerung darauf sensibilisieren, dass der Boden eine erschöpfliche Ressource ist. Wir können nicht weiter Flächen aufzonen und niedrig verdichtete Einfamilienhaussiedlungen bauen, sondern müssen über intelligente, passgenaue Verdichtung mit Lebensqualität nachdenken. Der Traum vom Häuschen auf dem Land existiert zwar nach wie vor in der Schweiz, zusehends schreitet aber die Verstädterung voran. Laut Prognosen der UNO ist bis 2050 die globale Urbanisierung so weit fortgeschritten, dass zwei Drittel aller Menschen in Megacitys leben werden. Wir können das nicht stoppen – aber zumindest positiven Einfluss nehmen. Die Aufgabe von hochentwickelten Ländern wie der Schweiz ist es, Know-how zu entwickeln und mit neuen Methoden zu nachhaltigen Bauten beizutragen, damit in grossen Regionen wie China oder Indien der Fortschritt mit CO2 reduzierenden Strategien verändert wird. Die Gebäude- und Infrastrukturmasse, die dort zukünftig erst noch erstellt wird, ist enorm – und beeinflusst den weltweiten CO2-Ausstoss in einem erheblichen Ausmass. Man forscht bereits erfolgreich über neue Formen von Beton und Zement, die viel weniger CO2 emittieren und ohne grossen Aufwand überall lokal herzustellen wären. Wir kennen zudem bereits intelligente Gebäudesysteme, die den Energieverbrauch überwachen und automatisch regulieren. Bis 2050 müssen auch Heizungen mit erneuerbarer Energie Standard sein. Eventuell müsste man aber prinzipiell Komfortansprüche überdenken: Ist es nötig, dass wir im Winter in unserer Wohnung im T-Shirt sitzen können? Und wie viel technische Kühlung brauchen wir tatsächlich im Sommer?»

Marie Glaser lehrt als Europäische Ethnologin am Departement Architektur der ETH Zürich und leitet das ETH Wohnforum – Centre for Research on Architecture, Society & the Built Environment.


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Ökonomie AUS DER SICHT VON LIKA NÜSSLI, ILLUSTRATORIN Lika Nüssli zeigt uns eine Zukunft, in der Alt und Jung sich verstehen. In ihrem Buch «Vergiss dich nicht» hält sie die Demenz­ erkrankung ihrer Mutter zeichnerisch fest.

AUS DER SICHT VON CHRISTIAN FELBER, TANZENDER ÖKONOM «Die Wirtschaft muss allen Menschen dienen, den sozialen Zusammenhalt stärken und das ökologische Gleichgewicht wahren. Heutzutage messen wir aber Erfolg mit Rendite, Profit und BIP – statt mit befriedigten Bedürfnissen, ökologischer Stabilität und Lebensqualität. Bis 2050 soll das Marktdesign so um­ gestaltet werden, dass klima- und umweltfreundliche Investitionen, Unternehmen und Produkte wettbewerbsfähiger werden als klima- und umweltschädliche. Die Menschen geniessen dann höchste Lebensqualität, die Siedlungsstrukturen sind wieder kompakter; in der Bio-Landwirtschaft gibt es Mischkulturen, die Wälder sind artenreich, das Wasser der Flüsse trinkbar. Wir arbeiten bis 25 Stunden pro Woche für Geld, sonst zu Hause, in Kooperationsnetzen oder ehrenamtlich. Der Fokus der Produktion liegt auf dem Lebensnot­ wendigen, Häuser werden wieder wohnlicher und langlebiger. Schon jetzt werden die ersten Investitionen auf ihren Gemeinwohlbeitrag hin evaluiert und immer mehr Unternehmen erstellen Gemeinwohlbilanzen. In zehn bis zwanzig Jahren könnte das flächendeckender Standard sein. Zusammen mit einer nachhaltigen Reform des Steuersystems und ökologischen Menschenrechten ist der ökologische Turnaround zu schaffen. Auch eine Postwachstumsökonomie kann mit Geld funktionieren – der Unterschied ist, dass Geld dann dem Gemeinwohl dient und nicht länger Ziel und Zweck ökonomischer Interessen ist wie heute noch so oft.»

Christian Felber, der «tanzende Ökonom», ist Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie, politischer Aktivist und nebenberuflich zeitgenössischer Tänzer.


ALLES IST TOT

International

Die Fotos zeigen den brennenden Regenwald im Bundesstaat RondĂ´nia (Brasilien) im August 2019.

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Autor: Philipp Lichterbeck, Rio de Janeiro Fotografie: Victor Moriyama / Greenpeace

Die sieben Männer vom Stamm der Tenharim sind unterwegs in ihrem Gebiet im westlichen Amazonasgebiet Brasiliens. Sie tragen Federschmuck und lange Jeans, ihre Oberkörper sind nackt. Mit einem Handy wollen sie die Schäden filmen, die die enormen Wald- und Buschbrände auf ihrem Land angerichtet haben. Seit August wüten die Feuer schon, die an vielen Stellen zwar erloschen, aber an anderen neu aufgelodert sind. Im August wurde auch die Weltöffentlichkeit auf die Brände im Amazonas-Regenwald aufmerksam. Reporter reisten an, danach klang das Medieninteresse wieder ab. Die Feuer brannten dennoch weiter, wenn auch in geringerem Ausmass. Die Gründe für den Rückgang: teils starke Regenfälle und die punktuellen Löschmassnahmen, die Brasi­ liens Regierung nach langem ­Zögern anordnete.

Die Aufnahmen der Tenharim stammen von Ende September. Sie zeigen knisternde Feuer, verkohlte Baumstümpfe und die ­Abdrücke von fliehenden Tieren in der Asche. Die Indigenen finden ein t­ otes Gürteltier, das unter einer Baumwurzel Zuflucht gesucht ­hat. Vor einer verbrannten Buriti-­ Palme halten sie inne. Die Frucht des Baums ist sehr verbreitet im Amazonasbecken. Einer der Männer erklärt, dass die Tapire, Gürteltiere, Wildschweine und Papageien jetzt keine Nahrung mehr fänden. «Hier gibt es nichts mehr, alles ist tot», sagt er. 1000 Tenharim gibt es heute noch, sie leben in einem Gebiet, das etwas kleiner ist als der Kanton Wallis. Für sie ist klar, dass viele Feuer von Kriminellen gelegt wurden, die auf ihr Land vordringen wollten. Von aussen erhalten die Tenharim genauso wenig Hilfe wie andere von Feuern bedrohte Ureinwohner. Deswegen haben sie eine eigene ­Brigade aufgestellt, die die Feuer bekämpft. Bei der Grösse ihres Reservats ist das allerdings schwierig.

Brandstiftungsplanung via Whatsapp Brasiliens indigene Völker sind die grössten Leidtragenden der umweltfeindlichen Politik von Präsident Jair Bolsonaro. Er hatte an­ gekündigt, dass er ihre Reservate, ja die gesamte Amazonasregion zur wirtschaftlichen Ausbeutung freigeben wolle. Von dieser Rhetorik fühlen sich Holzfäller, Gold­ sucher, Grossbauern und Viehzüchter ermutigt, sich illegal Land anzueignen. Ihr Vorgehen ist häufig extrem brutal: Anfang Oktober zerstörten Holzfäller eine Station der Indio-Schutzbehörde Funai im Reservat der Karipuna im Bundesstaat Rondônia. Es ist das am häufigsten von Feuern be­ drohte indigene Land Brasiliens. Bis 2014 war es von Rodungen ­verschont geblieben. Seitdem wurden dort 25 – 30 Prozent Wald ab­ geholzt. Diese Geschichten sind wie Mosaiksteine für das, was seit einigen Monaten im Amazonasbecken Brasiliens passiert. 2019 gilt

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jetzt schon als eines der verheerendsten Jahre für den Amazonas-­ Regenwald. In den ersten neun Monaten des Jahres lag die Zahl der Feuer 41 Prozent höher als 2018. Die Zunahme der Brände ist dabei eine direkte Folge der gestiegenen Rodungen. Hinter diesen stecken vielerorts Mafias, zu denen auch Spe­ kulanten, Urkundenfälscher und Strohmänner zählen. In dem Ort Novo Progresso in Pará verab­ redeten sich beispielsweise rund 70 Grossgrundbesitzer über Whatsapp zu einem «Tag des Feuers», um gemeinsam Brandstiftung zu begehen. Die Staatsanwaltschaft ermittelte zwar, aber Festnahmen hat es bis heute nicht gegeben. Stattdessen wird der Lokaljournalist bedroht, der die Sache öffentlich machte. Adécio Piran denkt nun darüber nach, die Finger von der Umweltberichterstattung zu lassen. «Ich habe Angst zu sterben», sagt er. Die Gesamtzahl der Feuer mag im September zwar zurückgegangen sein, das gilt aber nicht für die südlich des Amazonas-Regenwalds gelegenen Ökosysteme der Cerrado-Savanne und der Panta­ nal-Sümpfe. Dort nahmen sie zu. Ebenso im Bundesstaat Amazonas, Heimat der grössten Regenwaldfläche Brasiliens. Auch die neusten Daten des Weltraumforschungsinstituts INPE sind besorgniserregend: Im September stiegen die Rodungen in Brasilien um fast 100 Prozent im Vergleich zu 2018. Den Abholzungen dürften bald die nächsten Feuer folgen. Der Amazonas-Regenwald mag derzeit aus der Berichterstattung verschwunden sein, aber seine Vernichtung geht ungehindert weiter.

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Fünf Fragen an … Oliver Salge lebt seit vier Jahren in Brasilien und ist internationaler Kampagnenkoordinator für Greenpeace im Amazonas. Interview: Danielle Müller

Oliver Salge, was hat das weltweite Medienecho zu den Amazonasbränden in Brasilien bewirkt? Durch die globale Berichter­ stattung wurde noch einmal deutlich, wie wichtig der Amazo­ nas-Regenwald ist für die Regu­ lierung des weltweiten Klimas. Dies ist gerade in Zeiten, in de­ nen Regierungsvertreter wieder und wieder den menschenge­ machten Klimawandel leugnen und wenige Anstrengungen un­ ternehmen, um den Ausstoss an Treibhausgasen zu verringern, enorm wichtig.

Hat sich seit dem Medienwirbel in Brasilien etwas geändert? Die Regierung unter Präsident Bolsonaro hat zwar ihre Politik gegen den Amazonas-Regen­ wald und seine indigenen Be­ wohner nicht geändert, aber den Imageverlust Brasiliens aufgrund der Feuer und der ­ ­Entwaldung deutlich gespürt. Verschiedene Firmen haben ­beispielsweise angedroht, ihre Kaufverträge mit Brasilien auf­ zukündigen.

Wie sieht die Zukunft des AmazonasRegenwaldes unter Bolsonaro aus?

Düster, denn das erklärte Ziel seiner Regierung ist es, den Re­ genwald für die Produktion von Mineralien, Energie oder land­ wirtschaftlichen Produkten zu opfern.

Was unternimmt Greenpeace Brasilien, um den AmazonasRegenwald zu retten? In den letzten Monaten haben wir in Brasilien vor allem die ne­ gativen Auswirkungen der der­ zeitigen Anti-Umwelt-Politik der Regierung aufgezeigt. Wir kooperieren zudem mit diversen indigenen Völkern und traditio­ nellen Gemeinden und verstär­ ken deren Wald-Monitoring, um Umweltverbrechen zur An­ zeige zu bringen.

Was können wir in Europa tun, um den Regenwald zu bewahren? Einerseits kann jeder und jede weniger Fleisch konsumieren. Denn die Futtermittel für Hüh­ ner und Schweine kommen lei­ der oft aus Regenwaldregionen. Anderseits müssen die Regie­ rungen Europas endlich Geset­ ze schaffen, dass Produkte aus Regenwaldzerstörung nicht mehr importiert werden dürfen.


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Ausblick

Berufe

Leiterin

der

Zukunft Text: Nina Kunz Illustration: Ruedi Widmer

Blicke werfen wir bekanntlich ebenso gerne in die Zukunft wie das Wort «Klimawandel» in die Runde. Deswegen haben auch wir es uns nicht nehmen lassen und «Das Magazin»-Kolumnistin Nina Kunz und Cartoonist Ruedi Widmer gebeten, sich Jobs der Zukunft auszudenken – alle im grünen Bereich.

Professional

URBAN

GARDENER Die Professional Urban Garde­ ners sind damit betraut, sämtliche Grünflächen zu bepflanzen, die auf ehemaligen Parkplätzen entstanden sind. Nachdem sich das Schweizer Stimmvolk nämlich 2032 durchgerungen hatte, alle Autos aus den Städten zu verbannen, wurden 10 673 geteerte Parkfelder aufgerissen und aufgeschüttet. Seither bauen die Professional Urban Gardeners auf diesen Flächen Radieschen, Sonnenblumen, Salat und Koriander für mehr als eine Million Menschen an.

Museum Jede Woche führt die Leiterin des SUV-Museums staunende Schulklassen durch die Hallen ihrer Institution. Denn dort stehen sie, ausgestellt auf Sockeln: die Fahrzeuge der Marken BMW, Audi, Nissan und Co. – so breit wie hoch. Auf die Kinder wirken die Autos wie Dinosaurier aus einer längst vergangenen Zeit. Wenn Gelächter ausbricht, ist es die Aufgabe der Mu­ seumsleiterin, zu erklären, dass diese Fahrzeuge bis 2025 tatsächlich im Einsatz waren und Abgase in die Luft schleuderten. Ganz nach dem Motto: «Die Geschichte darf sich nicht wiederholen, also müssen wir sie zeigen.»

PLANKTON Züchter

Der Plankton-Züchter ist damit ­beauftragt, pflanzliches Plankton zu vermehren und es viermal jährlich auf hoher See zu verteilen. Er ist Teil des globalen John-MartinNetwork – eines Zusammenschlus-

ses von Wissenschaftlern, die früh ­erkannt haben, dass Plankton die Fähigkeit hat, gewaltige Mengen des Treibhausgases CO2 aus der ­Atmosphäre zu saugen und als ­totes orga­nisches Material auf den

Grund sinken zu lassen. Forschende schätzen, dass es noch zehn Jahre dauern wird, bis die Luftqualität wieder auf dem Stand von 1925 ist.


SCHATTENVERKÄUFER*

* in der Schattenwirtschaft

THERAPEUTIN FÜR

Post-InternetTrauma Seit dem Kollaps des Internets sind ­Hunderttausende Menschen mittleren Alters auf psychologische Hilfe ange­ wiesen – insbesondere die sogenannten Millennials leiden unter Entzugserscheinungen. Zu den Symptomen gehören unter anderem wiederholte Versuche, mit der leeren Hand Selfies zu schiessen oder nach dem Aufwachen ins Leere zu blicken, um E-Mails zu checken. Die Post-Internet-Trauma-Therapeutin hilft den Betroffenen, in der Gesellschaft wieder Fuss zu fassen, und bringt ihnen etwa bei, während einer Tramfahrt ­einfach so aus dem Fenster zu schauen.

Coupon VERTEILER

Der staatlich beauftragte Coupon-Verteiler sitzt in einer der vielen lokalen Schalterhallen und vergibt Coupons für Rindfleisch und Flugreisen. Seit dem Parlamentsbeschluss, den CO2 -Aus­ stoss auch auf individueller Ebene zu kontingentieren – und seit dem globalen Konsens, diese Produkte nicht nur zu verteuern, um Weniger-Verdienende nicht zu diskriminieren –, ist er täglich im Einsatz. In seiner grünen Uniform ist der Herr, der die Coupons verteilt, inzwischen fast beliebter als der Pöstler – denn alle sind froh, eine bessere Kontrolle über ihren CO2-Verbrauch zu haben.

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Neujahrsapéro

Rezept

Für 4 Personen

Rebecca Clopath

Hummus

Kürbisketchup

100 g weisse Bohnen, getrocknet, ca. 10 Std. in Wasser einweichen 25 g

Butter oder Öl (nach Belieben)

50 g

Zwiebeln, in 1 cm grosse Stücke schneiden

2 g

Salz

25 g

Hanföl

Gewürze nach Belieben Kinohanf (Hanfnüsse), Minz- und Zitronen­ melisseblätter Kichererbsen und Bohnen im Dampf­ kochtopf gar kochen. Butter oder Öl in einer Pfanne erwärmen. Die Zwiebeln darin ca. 10 Min. auf kleiner Stufe düns­ ten und salzen. Zu den Kichererbsen und den Bohnen geben. Mischen und in ­e inem guten Mixer oder mit dem Stab­ mixer fein pürieren. Das Hanföl wäh­ renddessen im Faden einlaufen lassen. Nach Belieben mehr salzen oder mit ­anderen Gewürzen abschmecken. Zum ­A nrichten Hanfnüsse und Hanföl darü­ ber streuseln bzw. träufeln. Einige Minz­ blätter und Zitronenmelisseblätter fein schneiden und darüber geben.

10 g

Quittenmehl (kann auch durch Nussmehl ersetzt werden)

250 g Einkornmehl 300 g Kürbis 50 g

Zwiebeln

50 g Birnel (Birnendicksaft) 50 g

Essig

Kürbis und Zwiebeln in Würfel schnei­ den, mit Butter oder Öl dünsten. Birnel und Essig hinzufügen und ca. 30 Min. ko­ chen. Pürieren und abschmecken.

Hier geht es zum Neujahrsmenü

250 g Weizen- weissmehl 50 g

Rapsöl

10 g

Salz

10 g

Sauermilch

10 g Birnel (Birnendicksaft) 50 g

Sauerteigstarter

500 g Wasser Alle Zutaten gut 10 Min. kneten. Den Teig 12 Std. ruhen lassen. Danach den Teig teilen (je 150 g) und die Stücke in gleich­ mässige, ca. 20 cm grosse Taler formen. Rund 20 Min. gehen lassen. Derweil den Ofen auf 220 °C vorheizen. Die Brote 7 Min. backen. Danach den Ofen auf 180 °C stellen und 10 – 15 Min. garen. Je nach Ofen etwas länger backen.

Rezept: Rebecca Clopath ist Naturköchin mit Leidenschaft und setzt bei ihren Kreationen auf lokale, biologische und faire Produkte. rebecca-clopath.ch Fotografie: Isabel Truniger ist Fotografin in Zürich und zweitberuflich Gärtnerin.

mit Quittenmehl

30

100 g Kichererbsen, getrocknet, ca. 10 Std. in Wasser einweichen

Pita-Brot

mit Hanf

Die Pita-Brote in ca. 3 × 3 cm grosse Stücke schneiden und den Hummus tupfenweise darauf verteilen. Einen Klacks Kürbisketchup dazu und nach Wunsch ein paar Kräuter darüber streuen.


Alle Beiträge zum Klimaschutz sind wichtig – auch die ganz persönlichen wie etwa, keine Kinder zu kriegen. Entsprechend stört mich sehr, dass Kinder als der wichtigste

Der Verzicht auf ein Kind spare zehnmal so viel CO2 ein wie der Verzicht auf ein Auto, sagt eine Studie. Ist es richtig, die Klimadebatte am Thema Kinder abzuhandeln?

Um das Klima zu schützen, sollen wir keine Kinder mehr haben. Sinnvoll?

Nicht sehr sinnvoll. Die Anti­ natalismus-Bewegung – wir sollen uns nicht vermehren, weil wir eine missratene Spezies sind – ist eine randständige ethische Position einer Minder­ heit. Wenn wir schon Ethik ma­ chen, dann sollten wir sie doch für die Menschen machen.

Verena Brunschweiger, Lehrerin, keine Kinder

Verena Brunschweiger

Nur weil ich Eierstöcke habe, heisst das noch nicht, dass ich sie auch benutzen muss. Ich bin ja keine Kuh.

Catherine Newmark

Sechs Millionen in der Schweiz würden genügen, es müssen nicht acht sein.

Autor: Christian Schmidt

Nein. Für meine Frau und mich gehört ein Kind zum Wichtigsten, was wir uns für unser ­Leben wünschen. Wir glauben nicht, dass es falsch ist, ein Kind zu haben. Deshalb schämen wir uns nicht.

Sie werden bald Vater. Ihr Nachwuchs wird 58 Tonnen CO2 pro Jahr verursachen. Keine Kinderscham?

Stefan Riedener, Philosoph, 1 Kind (unterwegs)

Stimmen die Zahlen denn nicht?

Das ist keine gute Message. Ich bin dagegen, so über das Thema Kinderkriegen zu ­reden.

Eine Studie besagt, dass Kinder viel CO2 erzeugen – viel mehr als Autofahren, Fliegen und Fleischessen. Ihr Kommentar?

Dominic Roser, Ökonom und Philosoph, 2 Kinder

Kinder verursachen weit mehr CO2 als Autofahren, Fliegen und Fleischessen zusammen. Sollen wir also keinen Nachwuchs mehr in die Welt setzen?

Flugscham versus Kinderscham

Catherine Newmark, Philosophin, 2 Kinder

Debatte


Autor: Christian Schmidt, Journalist, Texter für Non-Profit-Organisationen und Buchautor. Freischaffend aus Überzeugung. Diverse Auszeichnungen, u. a. Zürcher Journalistenpreis.

Illustration: Jörn Kaspuhl, www.kaspuhl.com

Eines, vielleicht zwei. Klimatechnisch gesehen wäre es ­super, wenn unsere Gesellschaft schrumpfen würde. Sechs Millionen Menschen in der Schweiz würden genügen, es müssen nicht acht sein. Aber wir haben immer das Gefühl, wachsen zu müssen, um unser Rentensystem zu erhalten.

Wie viele Kinder wären ideal?

Nein. Der Entscheid für oder gegen Kinder geht sehr viel weiter als der Entschluss, nicht mehr zu fliegen. Die sexuelle Fortpflanzung ist ganz spezifisch für uns und hat auch mit der eigenen Identität zu tun. Dass wir darauf verzichten sollten, ist ein absurder Gedanke.

Man kann Flugscham und Kinderscham also nicht gleichsetzen?

Nein, natürlich nicht. Ich finde das übertrieben, aber als PRGag nicht uninteressant. Weil es den Menschen die Augen öffnet und Gedanken in eine ganz andere, ungewohnte Richtung erlaubt.

Der Inder Raphael Samuel hat seine Eltern verklagt, weil sie ihn gezeugt haben. Haben Sie sich das auch überlegt?

Es geht mir nicht um die Men­ schen, die schon da sind. Ich rede von den potenziellen neu­ en Menschen. Oder anders ­gesagt: Nur weil ich Eierstöcke habe, heisst das noch nicht, dass ich sie auch benutzen muss. Ich bin ja keine Milch­ kuh.

Sie sind keine Mutter, aber Lehrerin. Vor die Schul­ kinder treten Sie mit der ­Haltung, dass diese für den Planeten schädlich sind. Ist das die richtige Botschaft?

­ aktor bei der Diskussion aus­ F geklammert werden. Das darf man nicht unter den Tisch keh­ ren, nur weil es nicht ins Gesell­ schaftsbild passt.

Hier geht es zur ausführlichen Debatte

Dominic Roser

Sie lesen in den Zeitungen, dass es der Welt besser ginge, sie würden nicht leben. Was senden wir da für Bot­ schaften?

Stefan Riedener

Wir glauben nicht, dass es falsch ist, ein Kind zu haben. Deshalb schä­ men wir uns nicht.

Die moralische Frage, wie viele Kinder man haben darf, ist ver­ schieden von der Frage, ob der Staat die Kinderzahl beein­ flussen sollte. Da muss man extrem vorsichtig sein. Sicher ist es viel dringender, dass der Staat in anderen Bereichen ak­ tiv wird und etwa Flugreisen oder Fleischkonsum höher be­ steuert oder limitiert.

Das Beispiel China zeigt, dass die Ein-Kind-Politik nicht funktioniert.

Überhaupt nicht. Wie viele Kin­ der wir haben, ist keine Pri­ vatsache. Wir müssen dafür Verantwortung übernehmen. Meine Frau und ich werden ­unseren eigenen Lebensstil deshalb noch mehr auf Nach­ haltigkeit ausrichten und un­ serem Kind entsprechende Werte vermitteln.

Wie es der Umwelt geht, ist also sekundär?

Die Idee finde ich daneben. Wir dürfen nicht ökonomisch dafür belohnt werden, dass wir auf ein uns zustehendes Menschenrecht verzichten. Für ­junge Menschen, die ihren Selbstwert noch nicht gefunden haben, ist das total ver­ unsichernd. Sie lesen in den Zeitungen, dass es der Welt besser ginge, sie würden nicht leben. Was senden wir da für Botschaften?

Der Club of Rome möchte ­jeder Frau, die höchstens ein Kind zur Welt bringt, eine Prämie von 80  000 Dollar zugestehen. Ist das eine gute Idee?

Ein Punkt stimmt trivialerweise: Wir alle rufen Emissionen hervor, und wenn ich jetzt noch zusätzlich Kinder auf die Welt bringe, dann nehmen die Emissionen logischerweise zu. Dennoch ist der Gedankengang problematisch. Die Studie geht etwa davon aus, dass die Pro-Kopf-Emissionen auch in der Zukunft hoch bleiben. Das ist aber eine fragwürdige Annahme.


Auf Youtube sind sie schon nicht mehr wegzudenken: Videos schreiender Omas, die mit Virtual-RealityBrille auf der Nase irgendwo im Nirgendwo einem Dino begegnen und sich zu Tode erschrecken. Virtuelle Realität ist 2019 im Wohnzimmer angekommen. Vom Sofa aus kann man Haie beobachten oder mit dem Helikopter durch New York fliegen. Fast schon wie Ferien. Aber nur fast: Obwohl der Gedanke naheliegt, dass Virtual Reality irgendwann einmal das Reisen ersetzen und somit auch das Fliegen überflüssig machen könnte, gehen Fachleute nicht davon aus. Im Gegenteil: Reise­ veranstalter rüsten gemäss Spiegel Online vermehrt mit Virtual-Reality-Brillen auf, um potenziellen Urlaubern das Reiseziel noch schmackhafter zu machen. So kann man schon im Reisebüro mit dem ersten Caipirinha am Strand von Fuerteventura sitzen. Bleibt nur zu hoffen, dass die Flugscham stärker ist als das virtuelle Heissmachen.

Die gute Seele der Beluga Autorin: Rosanna Clarelli

Das Greenpeace-Schiff Beluga II machte im Frühjahr auf seiner Plastik-Tour durch Europa halt in der Schweiz.

Ilse Vormann wollte ihren Nachlass rechtzeitig regeln und nach dem Tod ihres Mannes selbst vorsorgen. Da das Paar keine Kinder hatte, war es ihr wichtig, ihr Vermögen gezielt an die nächste Generation weiterzugeben – weswegen sie beschloss, mit ihrem Beitrag «der Natur etwas zurückzugeben und der Zerstörung der Umwelt ent­gegenzuwirken». In ihrem Testament bestimmte die Witwe u. a. auch ­Greenpeace zu ihrer Erbin. Nach Ilse Vormanns Tod ermöglichte es ihr Erbe, einen neuen, nach den Bedürfnissen von Greenpeace gebauten Motorsegler namens Beluga II auf Umweltmission zu schicken. Und auch heute noch, fünfzehn Jahre später, ist das Schiff unterwegs und wirkt im Sinne der Verstorbenen weiter. An ­ Bord der Beluga II erinnern ein Foto und eine Gedenktafel an die gross­ zügige Spenderin. Bild: © Greenpeace Deutschland

VIRTUELLE HEISSMACHEREI

rüner Wille – Mein grüner Wille – Mein grüner Wille – Mein grüner Wille – Mein grüner Wille – Mein grüner Wille – Mein grüner

Aufgedeckt

Für eine ökologische Zukunft können Sie sich ein Leben lang einsetzen. Oder auch länger, indem Sie Greenpeace Schweiz in Ihrem Testament berücksichtigen. Bestellung des kostenlosen Testament-Ratgebers: greenpeace.ch/legat, claudia.steiger@greenpeace.org, 044 447 41 79.


Das Rätsel rund um das Greenpeace-Magazin

Rätsel

1

Seit wann ist Asbest in der Schweiz für den Häuserbau verboten?

5

G 1979 V 1999 M 1989

2

3

Was können wir tun, um den AmazonasRegenwald zu schützen? O X U

7

500 g 50 g 5 g

Mehr Fleisch essen Noch mehr Fleisch essen Weniger Fleisch essen

Welches Greenpeace-Schiff konnte dank des Erbes von Ilse Vormann gebaut werden? D Arctic Sunrise R Beluga II A Esperanza

Wie heisst der Film über Javier Bardems Reise an Bord der Arctic Sunrise? R L C

6

Sich einem Lokalkomitee anschliessen PolitikerInnen bestechen Abwarten und Tee trinken

Wie viel Gramm Mikroplastik nimmt ein Mensch pro Woche durch Nahrung auf? P O H

4

W Käfer F Läuse B Gottesanbeterinnen

Was kann man tun, um die Konzernverantwortungsinitiative zu unterstützen? E N Q

Welche Insekten werden weltweit am häufigs­­ten verzehrt?

Pirates of the Caribbean Sanctuary No Country for Old Men

8

Was heisst SUV? (Kleiner Tipp: Spicken Sie auf der rechten Seite) M Sport Utility Vehicle J Super Umweltbewusstes Verkehrsmittel T Super Unnötiges Verkehrsmittel

Lösungswort:

Senden Sie das Lösungswort inklusive Adresse bis zum 14. Februar 2020 per E-Mail an redaktion@greenpeace.ch oder per Post an Greenpeace Schweiz, Redaktion Magazin, Stichwort Ökorätsel, Postfach 8112, 8036 Zürich. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Über die Verlosung wird keine Korrespondenz geführt.

34

Das Lösungswort des Rätsels aus dem Magazin 03/19 war: Easyvote

Bild: © Dmitrij Leltschuk

Wir verlosen zehnmal den Kalender zum Greenpeace Photo Award, der die Fotoarbeiten der Verleihungen der vergangenen sieben Jahre zeigt – von klassischen Dokumentationen bis zu künstlerischen Positionen. Für Ihre Familie und Ihre Freunde können Sie ausserdem weitere Exemplare unter shop.greenpeace.ch/kalender-foto-award bestellen.


Schlusswort

Für meine – und Ihre – Zukunft

Die teils dramatischen Folgen der Klimaerhitzung sind allgegenwärtig. Die Zeit drängt. Wir müssen sehr rasch unseren massiven Verbrauch von fossilen Treib- und Brennstoffen wie Benzin, Heizöl, Erdgas und Kohle reduzieren und damit unsere Treibhausgasemissionen senken, um ein Klimachaos zu verhindern. Trotzdem hat es die Politik bislang verpasst, die Weichen auf Zukunft zu stellen. Ich gebe die Hoffnung auf eine grüne und friedliche Welt aber nicht auf. Ich bin Optimistin. Zudem weiss ich, dass es viele – und immer mehr – Menschen gibt, die für das Gleiche einstehen wie ich. Einen Beweis dafür erhielt ich am 28. September an der nationalen Klima-Demo. Gegen 100 000 Menschen waren nach Bern gereist, um für mehr Klimaschutz einzustehen. Ich war danach tagelang beflügelt – und mir einmal mehr sicher: Der dringend nötige Wandel ist möglich. Wenn wir kämpfen, wenn wir zusammen kämpfen und immer noch mehr werden, können wir die Welt bewegen. Auch die Wissenschaft steht hinter uns. Die jüngsten Berichte des Weltklimarats IPCC sprechen eine deutliche Sprache und unterstreichen die Dringlichkeit für einen ­verstärkten Schutz des Klimas und der Biodiversität. Und nach und nach sind immer mehr Politikerinnen und Politiker gewillt, diese Warnungen ebenfalls ernst zu nehmen. Mich nicht dafür einzusetzen, käme mir zudem vor wie Verrat – an unserem Sohn, an den Kindern meiner Geschwister, an meinen zwei Gotti-Meitli und an all den uns folgenden Generationen. Denn ich will, dass sie alle eine lebenswerte Zukunft haben.

Bild: © Greenpeace / Emanuel Büchler

Für unser Kind und alle anderen Kinder setze ich mich ein. Und für mich – und Sie.

Yvonne Anliker Mediensprecherin Klima Greenpeace Schweiz


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800062228> PLZ/Ort

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Die Annahmestelle L’office de dépôt L’ufficio d’accettazione

202 •

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2020 wird das Jahr, in dem Sie Kunststoff den Rücken kehren. Unterschreiben Sie als ersten Schritt die Petition an die CEOs von Nestlé und Co.:

Greenpeace Schweiz Badenerstrasse 171 8036 Zürich

Mikroplastik? Nein danke!

CHF 50.–

Weniger trinken im neuen Jahr? Diesen Vorsatz werden Sie vermutlich schon beim Neujahrsdinner gebrochen haben. Verzichten Sie doch stattdessen den ganzen Januar auf Fleisch – der AmazonasRegenwald dankt.

Ja, ich spende:

Happy No Meat!

Einzahlung Giro

Alles fahrt Schii, alles fahrt Schii, d Mamme, dr Bappe, dr Sohn – aber im Auto zum Skigebiet rast der Papa, die Mama motzt und der Sohn schreit. Buchen Sie für die anstehenden Skiferien lieber den Zug. Das ist erst noch klimaentspannter.

Einzahlung für / Versement pour / Versamento per

Schii fahrt die ganzi Nation

Empfangsschein / Récépissé / Ricevuta

Anstatt Ihre Zeit damit zu verplempern, Fitnessstudios zu googeln, die Sie eh nie besuchen, schreiben Sie sich doch jetzt gleich die nächste Klimademo vom 15. Mai in Ihr Smartphone. Damit bewegen Sie sowieso viel mehr als nur Ihren Körper.

CHF

Sport ist Mord

Familie

Frau und Herr

04.2019

Same procedure as every year: die ewig nervigen Neujahrsvorsätze, an die man sich eh nicht hält, weil sie, mal ganz ehrlich, einfach zu hoch gegriffen sind. Anstatt dass Sie sich unrealistische Ziele stecken, bieten wir Ihnen hier vier Alternativen an – die erst noch der ganzen Umwelt etwas bringen. In diesem Sinne: frohes grünes Jahr!

Versamento Girata

441.02

Und jetzt?


Das kleine Abc der Zukunftsausgabe

SUV Das Wort SUV stammt aus dem Englischen und be­ deutet «Sport Utility Vehicle», zu Deutsch: «sport­ liches Nutzfahrzeug». Diese Autos ähneln in Aufbau und Ausmassen einem Geländewagen, sind aber nicht unbedingt für das Fahren abseits der Strasse geeignet – und ausserdem wahre Klimakiller: SUVs stossen 25 Prozent mehr CO2 aus als vergleich­bare Pkw-Klassen und haben einen grossen Anteil am weltweiten Anstieg von Treibhausgasen.

Landraub Landraub meint die illegale Aneignung von Land, insbesondere von Agrarflächen. Vor allem indigene Völker weltweit sind von Landraub durch Regie­ rungen oder Grosskonzerne betroffen – so auch die ­Indigenen im Amazonas-Regenwald. In der Regel läuft der Landraub so ab: Zuerst kommen Holzfäller und schlagen die wertvollsten Bäume. Ist der Wald auf diese Art entwertet, wird gerodet. Das entfernte Gehölz verbrennt man, wobei die Brände oft ausser Kontrolle geraten und sich in den Wald hinein­ fressen.

Plankton Als Plankton bezeichnet man die Gesamtheit aller Mikroorganismen, die sich im Wasser nicht selbst fortbewegen, sondern sich von der Strömung treiben lassen. Es gibt pflanzliches Plankton (Phytoplankton) und tierisches Plankton (Zooplankton). Das Phyto­ plankton produziert 50 bis 80 Prozent des Sauer­ stoffs der Erdatmosphäre und speichert eine gigan­ tische Masse an Kohlenstoff – die Mikroorganismen sind sozusagen die Bäume des Meeres.

Glyphosat Glyphosat ist in der Schweiz wie auch weltweit das am häufigsten verwendete Pestizid. Eine Studie des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Vete­ rinärwesen fand 2016 heraus, dass der Unkraut­ vernichter in 40 Prozent unserer Lebensmittel vor­ kommt, vor allem in Teigwaren, Frühstückscerealien und Hülsenfrüchten. Obwohl Glyphosat laut der WHO «wahrscheinlich krebserregend» ist, ist es in Europa weiterhin zugelassen.

Geoengineering Geoengineering bezeichnet gezielte, grossflächige technische Eingriffe in das Klimasystem, um die Kli­ maerhitzung abzubremsen. Es gibt zwei angedachte Massnahmen: Mit «Solar Radiation Management» soll ein Teil der einfallenden Sonneneinstrahlung reflektiert und mit «Carbon Dioxide Removal» dem atmosphärischen Kohlenstoffkreislauf Kohlendioxid entzogen und dauerhaft gespeichert werden. Geoengineering setzt aber nicht an den Ursachen des menschengemachten Treibhauseffektes an, weshalb sich die meisten Untersuchungen einig sind, dass es den Klimaschutz nicht ersetzen kann.


AZB CH-8036 Zürich PP/Journal Post CH AG

Annik Färber, Andri Gigerl und Nico Müller sind Teil von Climatestrike Schweiz. Die weltweite Bewegung setzt sich für mehr Klimaschutz ein und wird vom Engage­ ment Tausender Menschen getragen und geformt – vor allem junger Menschen, die sich um die eigene Zukunft, die ihrer Kinder und die des Planeten sorgen.


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