Verschwörung oder Fakt: Freimaurerei

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Schwarzbuch Freimaurerei


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1. Auflage September 2007

Copyright © 2007 bei Kopp Verlag, Pfeiferstraße 52, D-72108 Rottenburg Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Umschlaggestaltung: Angewandte Grafik/Peter Hofstätter Satz und Layout: Agentur Pegasus, Zella-Mehlis Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN: 978-3-938516-55-3

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Guido Grandt

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Schwarzbuch Freimaurerei Geheimpolitik, Staatsterror, Politskandale Von der Franzรถsischen Revolution bis zu Uwe Barschel

KOPP VERLAG


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Inhaltsverzeichnis Vorwort .

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Quellenhinweis

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1. Freimaurerei allgemein . . . . . . . . . . . 1.1 Was ist Freimaurerei? . . . . . . . . . . . 1.2 Freimaurer-Historie . . . . . . . . . . . 1.2.1 Exkurs: Freimaurerlogen als »Vereine« . . . 1.3 Weltanschauung der Freimaurer . . . . . . . . 1.4 Logensysteme und -grade . . . . . . . . . . 1.5 Ritual, Verschwiegenheit und Geheimnis . . . . . 1.5.1 Ritual . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Geheimnis und Verschwiegenheit . . . . . 1.6 Freimaurer und Frauen . . . . . . . . . . 1.7 Freimaurer und Juden . . . . . . . . . . . 1.8 Freimaurer und Behinderte . . . . . . . . . 1.9 »Magische« und »okkultistische« Freimaurerei . . . 1.9.1 Magie . . . . . . . . . . . . . 1.9.2 Okkultismus und Satanismus . . . . . . 1.9.3 »Magische« und »okkultistische« Freimaurerei . 1.10 Verschwörungstheorien: Freimaurer, »Herrscher der Welt«? . . . . . . . 1.10.1 Weltliche Verschwörungshetzer (I) . . . . . 1.10.2 Geistliche Verschwörungshetzer (I) . . . . 1.10.3 Weltliche Verschwörungshetzer (II) . . . . 1.10.4 Geistliche Verschwörungshetzer (II) . . . 1.10.5 »Bruderkette« oder »Weltloge«? . . . . . 1.10.6 »Weltenherrscher« Rothschild . . . . . . 1.10.7 Weltliche Verschwörungshetzer (III) . . . . 1.11 Freimaurer und Illuminaten . . . . . . . . . 1.12 Wie kritikfähig und offen ist die Diskrete Gesellschaft?


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2. Prominente Freimaurer (Auswahl) . . . . 2.1 Künstler: Dichter/Schriftsteller/Philosophen, Komponisten, Maler, Schauspieler, Sänger . 2.2 Unternehmer . . . . . . . . . . 2.3 Wissenschaftler . . . . . . . . . . 2.4 Sonstige . . . . . . . . . . . .

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3. Die Suche nach der Wahrheit – Freimaurerei und Politik 3.1 »Unter Ausschluss der Öffentlichkeit« – freimaurerische Politik . . . . . . . . . . . 3.1.1 Freimaurerei als politische Organisation . . . 3.1.2 Das »wahre« Geheimnis der Freimaurer . . . 3.1.3 Freimaurer und Oppositionspolitik . . . . . 3.1.4 Freimaurerischer »Demokratie-Betrug« . . . 3.1.5 »Freimaurer-Politik« . . . . . . . . . 3.2 Politische Fragen an die Freimaurer-Großlogen . . . 3.3 Freimaurer aus Politik, Adel und Militär weltweit (Auswahl) . . . . . . . . . 3.4 Freimaurer-Politik, die die Welt veränderte . . . . 3.4.1 Weltweite Freimaurer-Politik . . . . . . 3.4.2 Deutsche Freimaurer-Politik . . . . . . . 3.4.3 Österreichische Freimaurer-Politik . . . . . 3.4.4 Schweizer Freimaurer-Politik . . . . . . 3.4.5 Italienische Freimaurer-Politik . . . . . . 3.4.6 Französische Freimaurer-Politik . . . . . . 3.4.7 Englische Freimaurer-Politik . . . . . . . 3.5 »Freimaurer-Politiker-Outing« . . . . . . . . 3.5.1 Deutsche Parteien/Bundestag . . . . . . 3.5.1.1 CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) . . . . . . . 3.5.1.2 CSU (Christlich-Soziale Union) . . . . 3.5.1.3 SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) . . . . . . . . 3.5.1.4 FDP (Freie Demokratische Partei) . . . 3.5.1.5 Bündnis 90/DIE GRÜNEN . . . . . 3.5.1.6 DIE LINKE . . . . . . . . . . 3.5.1.7 Deutscher Bundestag . . . . . . .


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3.5.2 Österreichische Parteien . . . . . . . 3.5.2.1 SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs) . . . . . . . . . 3.5.2.2 ÖVP (Österreichische Volkspartei) . . 3.5.2.3 FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs) . 3.5.2.4 DIE GRÜNEN – Die Grüne Alternative 3.5.3 Schweizer Parteien . . . . . . . . . 3.5.3.1 SVP (Schweizerische Volkspartei) . . 3.5.3.2 FDP (Freisinnig-Demokratische Partei) 3.5.3.3 CVP (Christlichdemokratische Volkspartei) . . . . . . . . 3.5.3.4 SP/PS (Sozialdemokratische Partei der Schweiz) . . . . . . . 3.5.4 Polit-Tabu »Freimaurerei« . . . . . .

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4. »Licht ins Dunkel« – Freimaurer, Revolutionen und Skandale . . . . . 4.1 Freimaurer und »Politaffären« . . . . . . . . 4.1.1 »Politaffäre« Amerikanische Revolution . . . 4.1.2 »Politaffäre« Französische Revolution . . . . 4.1.3 Exkurs: Der »politische« Ritualmord . . . . 4.1.4 »Politaffäre« Propaganda Due (P2) . . . . 4.1.4.1 Drahtzieher der Freimaurerloge Propaganda Due (P2): Gelli, Sindona, Calvi und Ortolani 4.1.4.2 Freimaurerei und Mafia . . . . . . 4.1.4.3 Politische Kontakte der Propaganda Due (P2) . . . . . . . 4.1.4.4 Medienkontakte der Propaganda Due (P2) 4.1.4.5 Freimauer, Tod und Terror . . . . . 4.1.4.6 Propaganda Due (P2) und internationale Geheimdienst- und Terror-Verflechtungen . 4.1.4.7 Politischer Ritualmord Aldo Moro? . . . 4.1.4.8 Politischer Ritualmord Papst Paul I.? . . 4.1.4.9 Die »Heilige Allianz«: Papst, US-Präsident und Freimaurer-Bankier . . 4.1.4.10 »Teuflisches« Triumvirat: Logen-Großmeister, Mafiosi und Erzbischof . . . .


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4.1.4.11 Der Zusammenbruch der Banco Ambrosiano . . . . . . . . 4.1.4.12 »Politischer« Ritualmord Roberto Calvi? . 4.1.4.13 Freimaurer-Großmeister Licio Gelli auf der Flucht . . . . . . . . . 4.1.4.14 Logenbruder Michaele Sindona und seine mächtigen Freunde . . . . . . 4.1.4.15 Die undurchsichtige Rolle des »Meisters der Geheimpolitik« Giulio Andreotti . . 4.1.4.16 »Politischer« Ritualmord Michele Sindona? 4.1.4.17 Der »unantastbare« Erzbischof und die schützende Hand des Papstes . . . . . 4.1.4.18 Ein chancenloser Untersuchungsausschuss 4.1.4.19 Freimaurerloge Propaganda Due (P2) – »regulär« oder »irregulär«? . . . . . 4.1.4.20 Terror-Politik und »reguläre« Freimaurerei 4.1.4.21 Mitglieder der Propaganda Due (P2) . . 4.1.4.22 Mächtiger Logenbruder Silvio Berlusconi . 4.1.4.22.1 Berlusconi, die Propaganda Due (P2), Michele Sindona und Roberto Calvi . 4.1.4.22.2 Logenbruder Berlusconi und die Mafia . . . . . . . . . 4.1.4.22.3 Logenbruder Berlusconi und das weibliche Geschlecht . . . . 4.1.4.22.4 Logenbruder Berlusconis »kriminelle« Karriere und Politskandale . . . . 4.1.4.22.5 Logenbruder Berlusconis mediale Macht . . . . . . . 4.1.4.22.6 Logenbruder Berlusconis blamable politische Bilanz . . . . . . . 4.1.4.22.7 Logenbruder Berlusconis diplomatische Entgleisungen . . . 4.1.4.22.8 Logenbruder Berlusconi und die Ziele der Propaganda Due (P2) . . . . 4.1.4.23 Fazit: Freimaurerloge Propaganda Due (P2) 4.1.5 »Politaffäre« Uwe Barschel . . . . . . . 4.1.5.1 »Waterkantgate« . . . . . . . . 4.1.5.2 Die »Schubladenaffäre« . . . . . .


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4.1.5.3 Selbstmord oder Mord? . . . . . . 4.1.5.3.1 »Politischer« Ritualmord Uwe Barschel? 4.1.5.3.2 Mord-Theorie 1: Auftraggeber Bundesnachrichtendienst (BND)? . . 4.1.5.3.3 Mord-Theorie 2: Auftraggeber Ministerium für Staatssicherheit der DDR (Stasi)?. . . . . . . . . 4.1.5.3.4 Mord-Theorie 4: Auftraggeber Iran? . 4.1.5.3.5 Mord-Theorie 3: Auftraggeber Mossad ? 4.1.5.3.6 Mord-Theorie 4: Auftraggeber Propaganda Due (P2)? . . . . . 4.1.5.3.6.1 P2-Kontakte in die Schweiz . . 4.1.5.3.6.2 Geheimarmee »P26« . . . . 4.1.5.3.6.3 Logenbruder Uwe Barschel (I)? . 4.1.5.3.6.5 Logenbruder Gerhard Stoltenberg? . . . . . . . 4.1.5.3.6.6 Die »deutsche« Propaganda Due (P2)? . . . 4.1.5.3.6.7 Logenbruder Björn Engholm? . 4.1.5.3.6.8 »Maurerisches« Mord-Motiv . . 4.1.5.3.6.9 Noch ein »Maurer-Indiz«: Die Ablage der Leiche . . . . 4.1.5.3.6.10 Logenbruder Uwe Barschel (II) .

5. »Zwielichtige« Freimaurer . . . . . . 5.1 Freimaurer und Pädophiler: Logenbruder Friedrich Wilhelm II. . . 5.2 Freimaurer und Völkermörder: Logenbruder Talaat Pascha . . . . 5.3 Freimaurer und Nazi: Logenbruder Hjalmar Schacht . . . 5.4 Freimaurer und Despoten: Logenbrüder Bongo und Nguesso . . 5.5 Freimaurer und Okkultisten: Logenbrüder Höglhammer und Schorno 5.6 Freimaurer und Judenhasser: Logenbruder Henry Ford . . . . .

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Freimaurer und Konzentrationslager (KZ): Logenbruder Horatio Herbert Kitchener . . . . Freimaurer, Atombomben und Massenmord: Logenbruder Harry Spencer Truman . . . . . Fazit 端ber Freimaurer und unehrenhafte Logenbr端der

Nachwort

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Vorwort »Die Freimaurer sind nur durch ein fürchterliches Geheimnis so mächtig, das so gut gehütet wird, dass es selbst die Eingeweihten des höchsten Grades nicht kennen.« Abbé Louis Constant alias Eliphas Levi, Okkultist und Freimaurer »Es gibt Dinge, die sind so geheim, dass man sie nicht einmal zu sich selber sagen darf.« Giulio Andreotti, siebenfacher Ministerpräsident Italiens »Wer mit dem Teufel essen will, muss einen langen Löffel haben.« Volksweisheit »Die Welt ist in zwei Klassen geteilt, in diejnigen, welche das Unglaubliche glauben, und diejenigen, welche das Unwahrscheinliche tun.« Oscar Wilde, englischer Schrifsteller und Freimaurer »Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, bevor sich die Wahrheit die Schuhe anzieht.« »Sammle erst die Fakten, dann kannst du sie verdrehen, wie es dir passt.« Mark Twain, amerikanischer Schriftsteller und Freimaurer

Freimaurer sind »in«. Zumindest publizistisch gesehen. Denn mit Hochspannung erwarten nach weltweit über 40 Millionen verkauften Sakrileg-Büchern Verschwörungsfans den neuen Thriller des amerikanischen Bestellerautors Dan Brown mit dem (voraussichtlichen) amerikanischen Titel The Solomon Key. Thema des Buches wird die US-Freimaurerei sein und das Geheimnis des Salomonischen Tem-


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pels, verwoben mit der geheimnisvollen Architektur der US-Bundeshauptstadt Washington.1 Dan Brown wird in seiner unnachahmlichen Art Fakten und Fiktionen zu einem neuen Weltbesteller mixen, der das Thema Freimaurerei in einer nie gekannten Weise in den Fokus der Öffentlichkeit rücken wird. In dem vorliegenden Buch geht es ebenfalls um Freimaurei und auch um »Verschwörungen«, jedoch nicht um Theorien, sondern um tatsächlich geschehene und aufgedeckte Verschwörungen und Politaffären. Und vor allen Dingen nicht um Fiktionen, sondern um Fakten. Übrigens haben mich viele gewarnt, dieses Buch überhaupt erst zu schreiben: Diverse (inoffizielle) Geheimdienst- und Ermittlerkreise (wegen meiner erstmals publizierten, völlig neuen Recherchen und Erkenntnisse zum Fall Uwe Barschel), erfahrene Kollegen (die mir den Rat gaben, mich lieber nicht mit den »mächtigen« Freimaurern »anzulegen«, die auch in Schlüsselpositionen der Medien sitzen und meinen weiteren journalistischen Weg »verbauen« könnten), Verwandte, Freunde und Bekannte (die mich fragten, ob es denn nicht noch andere, weniger »heikle« Themen geben würde) und »abtrünnige« Freimaurer selbst, die mich völlig vertraulich mit Informationen versorgten, weil sie zum Teil noch einer Loge angehören (damit endlich »Licht ins Dunkel« kommt, weil »nicht alles Gold ist, was glänzt« und mich gut gemeint warnten: »Passen Sie auf sich auf!«). Von all dem habe ich mich aber nicht beirren lassen. Und um gleich allen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Dies ist kein Verschwörungs-, sondern ein »Enthüllungs«- und »Aufklärungsbuch«! Eine journalistische Auseinandersetzung mit dem Thema Freimaurerei und ihrer politischen Betätigung also. Alles, was hier an Kritik gegen die »Brüder im Geiste« aufkommt, ist belegbar. Vieles aus eigenen, maurerischen, also authentischen Quellen bzw. seriösen Werken. Ich habe keine Quelle aus so genannter »VerschwörungsLiteratur« benutzt, die einen Sachverhalt »gegen« die Freimaurerei stützen oder belegen soll. Wo »Verschwörungsautoren« genannt werden, ist dies für den Leser ersichtlich, weil extra erwähnt. Sie erhalten durch mich auch keine Aufwertung oder Quellenlegitimation (siehe Quellenhinweise). Denn im Laufe meiner über 20-jährigen journalistischen Tätigkeit habe ich eines gelernt: Ein Karpfen, der es wagt,


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im Haifischbecken zu schwimmen, der muss sich mit seriösen und authentischen Quellen schützen, um nicht »gefressen« zu werden. Und dass ich in einem solchen schwamm, wurde mir spätestens dann klar, als ich feststellte, dass ich während meiner Recherchen (vermutlich) zeitweise abgehört wurde. Von wem auch immer. Schließlich ging es ja bei meinen Recherchen auch mit um den größten deutschen Politskandal der Nachkriegszeit, um den Tod des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel. Dabei bin ich nicht den »einfachen« Weg der so genannten »Verschwörungstheoretiker« gegangen, die Freimaurern und Juden ohnehin an allem Übel dieser Welt die Schuld geben (was beispielsweise anhand des früheren Antisemitismus in den Freimaurerlogen schon allein ad absurdum geführt wird; dazu später mehr), sondern habe erstmals versucht »alle« relevanten Themen um die Freimaurerei aufzuzeigen und zu entwirren. Dazu musste ich jeden einzelnen Faden dieses komplexen Gewebes »in die Hand« nehmen und ihm durch Myriaden von Mustern bis zu seinem Ursprung, seiner Quelle folgen – Fehlinformationen so von wahren Fakten trennen. Eine komplizierte, ja geradezu gigantische Aufgabe, die ich mir da gestellt hatte. Mit dem schockierenden Ergebnis, dass »Verschwörungstheoretiker« (leider) nicht immer im Unrecht waren und sind. Im Gegenteil. Michael Kraus, Großmeister der »Großloge von Österreich« erklärte noch im August 2007, dass die Freimaurer »rein gar nichts« mit »jeglicher Art von Verschwörung zu tun« hätten, von »unlauterer Verquickung mit der Politik könne ebenfalls keine Rede sein«.2 Mit meinem Buch, dem jahrelange Recherchen zu Grunde liegen, werde ich nachweisen, dass dies keineswegs immer zutrifft und oftmals nichts anderes als Augenwischerei ist. Eine reine Schutzbehauptung der Freimaurer. Aber um auch dies gleich vorweg zu sagen: Freimaurer haben seit ihrer historischen Gründung 1717 weltweit viel Gutes getan, sich für Völkerverständigung, für Frieden und Gerechtigkeit eingesetzt, der europäischen Aufklärung zum Sieg verholfen und fortschrittliche Ideen und Programme begründet, von denen die meisten auch heute noch gültig sind. Viele der Logenbrüder sind sicher ehrbare und rechtschaffende Männer, die mit ihrer Zugehörigkeit zur so genannten »Diskreten Gesellschaft« für Gleichheit, Brüderlichkeit und Frei-


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heit stehen. Und die viel Gutes tun wollen, viel Gutes getan haben und immer noch tun. Hunderte von »Pro-Freimaurer-Büchern« haben sich damit schon beschäftigt und dies eindrucksvoll belegt. Aber es gibt auch eine Schattenseite der Freimaurerei. So wird der Leser im vorliegenden Buch neben allgemeinen, auch kritischen, Informationen zur Freimaurer-Thematik viel Neues und auch Schokkierendes erfahren. Dinge, über die die Logenbrüder am liebsten schweigen: Über den bedenklichen Umgang mit Frauen, Behinderten und Juden, über okkult-magische Traditionen, über die tatsächliche Verquickung mit dem weltweit bekanntesten politischen Geheimbund, den »Illuminaten«, über die »aktive« weltweite FreimaurerPolitik, über freimaurerische »Politaffären«, wie die Amerikanische oder die Französische Revolution, über die kriminelle Freimaurerloge Propaganda Due (P2) und die Macht des Logenbruders Silvio Berlusconi bis hin zum deutschen Politskandal um den damaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel, der in einem Hotelzimmer in Genf »hingerichtet« wurde. Seinen Tod, dessen Jahrestag sich sich im Oktober 2007 zum 20. Male jährt, bringe ich erstmalig, basierend auf vielen Indizien, mit einem »politischen« Ritualmord krimineller Freimaurer in Verbindung. Ebenso erfährt der Leser über »zwielichtige« Freimaurer, die für Rassenhass und Völkermord, nukleare Katastrophen und Staatsterror, Konzentrationslager und Nazi-Herrschaft (mit)verantwortlich waren. Sie alle stehen freilich nicht im öffentlichen Rampenlicht der Diskreten Gesellschaft, weil das ihrem guten gesellschaftlichen Ruf nachhaltig schaden könnte. Auch das ist ein Tabu, von dem vielleicht viele der »Brüder im Geiste« selbst gar nichts wissen. So kann auch für sie selbst die vorliegende Publikation ein Aufklärungsbuch sein und vielleicht sogar Anstoß dazu geben, den eigenen »Tempel« einmal kritischer zu betrachten. Und ich nenne, im Gegensatz zu den meist anderen Autoren, die sich mit dem Freimaurertum befaßt haben, alle Namen, außer natürlich denen meiner Informanten. Aber ich »enthülle« noch etwas anderes, nämlich das »wahre« Geheimnis der Freimaurerei – über Jahrhunderte hinweg sorgsam in den verschwiegenen Logen und durch geheimgehaltene Mitgliederlisten gehütet –, das unter keinen Umständen nach außen, an die Öffentlichkeit, dringen darf – koste es, was es wolle. Zu viel hängt daran, zu viel steht auf dem Spiel. Meine »Enthüllungen« hinterfra-


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gen unsere parlementarische Demokratie. Und es geht noch um vieles mehr. So habe ich mich daran gemacht, ein neues Buch über die Freimaurerei zu schreiben, das einem anderen Ansatz folgt: dem kritischen nicht-»verschwörerischen«, journalistischen Hinterfragen bestimmter Sachverhalte, ja der Freimaurerei an sich. Schritt für Schritt habe ich mich auch jenen »dunklen Kammern« genähert, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind. Ich musste dabei teilweise mehr als Bedenkliches feststellen, mit dem ich am Anfang meiner Recherche nie und nimmer gerechnet hätte. Bar jeglicher Verschwörungstheorien habe ich mich faktisch diesem zumeist verschwiegenen Bereich der Freimaurerei genähert, um ewiggestrige Schatten zu verdrängen und schließlich Licht in das Dunkel verstaubter Logenwinkel zu bringen. Mir dabei irgendwelche »Verschwörungsgedanken« zu unterstellen, ist schon allein deshalb völlig absurd, weil ich als erster deutscher Journalist alle Freimaurer-Großlogen in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit der Bitte angeschrieben habe, kritische Fragen zu beantworten und Hintergründe zu erklären. Damit habe ich der Freimaurerei die publizistische Möglichkeit eingeräumt, selbst Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen, ihre Sicht der Dinge zu erklären, um ausgewogen berichten zu können. Ganz nach dem Motto des deutschen Aphoristikers Ernst R. Hauschka: »Wer die Wahrheit hören will, den sollte man vorher fragen, ober sie ertragen kann.« Ebenso habe ich erstmals bei allen großen Volksparteien in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Thematik Politik und Freimaurerei nachgefragt, um einen »offenen« Dialog zu führen, ohne dass man mir später »Einseitigkeit« oder »Subjektivität« vorwerfen kann. »Freimaurer haben sich immer für Gedankenfreiheit, in jeder Form eingesetzt«, steht auf der Homepage der »Vereinigten Großlogen von Deutschland«.3 Im Sinne dieser »Gedankenfreiheit« soll auch das vorliegende Buch verstanden werden, denn, so der römische Geschichtsschreiber Livius um 250 v. Chr.: »Die Wahrheit wird oft verdunkelt, aber sie erlischt nie.« Guido Grandt, im Oktober 2007


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Quellenhinweis Im nachfolgenden Text beziehe ich mich, neben vielen anderen Quellen, immer wieder auf das Standardwerk der Freimaurerei, das Internationale Freimauer Lexikon in seiner fünften, überarbeiteten und aktualisierten Auflage von 2006. Diese Quelle hier extra zu erwähnen ist wichtig, weil zwei der Autoren, Oskar Posner und Eugen Lennhoff, selbst Freimaurer waren! Posner (1878–1932), im Jahre 1910 in die Loge »Settegast zur deutschen Treue« in Breslau aufgenommen, wurde Meister vom Stuhl der Loge »Munificentia zur Verbrüderung am Sprudel« und engagierte sich besonders beim Aufbau der Freimaurerei in der damaligen Tschechoslowakei. Er selbst gehörte zu den »führenden Freimaurerhistorikern des deutschen Sprachraumes«. Lennhoff (1891–1944), seit 1920 Mitglied der Loge »Zukunft« in Wien, zählt bis heute zu den »Begründern der Hochgradmaurerei in Österreich«. 1923 übernahm er die Redaktion der Wiener Freimaurer und wurde »Großbeamter« in der »Großloge von Wien«. Von 1926 bis 1930 leitete er die Zentralstelle der »Allgemeinen Freimaurerliga« und war von 1925 bis 1930 der erste »Großkommandeur« des »Obersten Rates des Schottischen Ritus von Österreich«. Der dritte Autor, Dieter A. Binder, Nicht-Freimaurer, überarbeitete das Lexikon lediglich.4 Somit stellt das Internationale Freimaurer Lexikon eine erstklassige, authentische, maurerische »Insider«-Quelle dar, verfasst von zwei Hochgrad-Freimaurern. Sonstige benutzte Quellen sind weitere Freimaurer- oder seriöse Kritiker-Literatur und Nachrichtenmagazine.


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1. Freimaurerei allgemein 1.1 W as ist Freimaurerei?5 Was Die Freimaurerei (engl. »Freemasonry«, frz. »Franc-Maconnerie«) hat im Laufe der Zeit zahlreiche verschiedene Deutungen und Wertungen erfahren, so dass eine allgemeine Definition nicht ganz einfach erscheint. Freimaurerei ist die »Königliche Kunst«, die »Kunst harmonischer Lebensgestaltung«, die »Kunst, sich selbst in das richtige Verhältnis zum Nebenmenschen zu setzen. »Freimaurerei ist Lebenskunst«, heißt es im Internationalen Freimaurer Lexikon. Der Freimaurerverbund und damit die Freimaurerlogen wollen eine Gemeinschaft von »weltweit brüderlich verbundenen Menschen« sein, eine weltbürgerliche Bewegung mit dem »humanitären Ideal des nach Vervollkommnung strebenden Menschen«. Doktor der Philosophie, Magister der freien Künste und Freimaurer Ferdinand Runkel meint in seinem dreibändigen Werk Geschichte der Freimaurerei dazu: »Wollen wir versuchen, das freimaurerische Ziel auf einen allgemeinen Ausdruck zu bringen, so tun wir das am Besten in der ihr eigenen Kunstsprache: Freimaurerei will den Menschen durch Tugend zum Licht führen … Und Licht ist der Gegensatz von Finsternis, das Gute im Gegensatz zum Bösen, das Göttliche im Gegensatz zum Menschlichen, ja schlechthin Gott selbst.« Und weiter erstrebt die Freimaurerei »die Entwicklung eines sittlich wertvollen Menschentums, das sich willig in die Gesellschaftsordnung einfügt, sich bemüht, jedem Mitmenschen mit Wohlwollen zu begegnen, seine Ehre wie die eigene zu achten und ihm nichts zuzufügen, was ihm selbst unangenehm ist«. Laut der Großloge von England ist Freimaurerei ein System der »Sittlichkeit, eingehüllt in Allegorien und erleuchtet durch Sinnbilder. Die Freimaurerei lehrt Wohltätigkeit und Wohlwollen üben, die Reinheit schützen, die Bande des Blutes und der Freundschaft achten, die Grundregeln der Religion annehmen, und ihre Gebote achten, dem Schwachen beistehen, den Blinden leiten, die Waisen beschüt-


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zen, den Niedergetretenen erheben, die Regierung unterstützen, Sittlichkeit verbreiten und Wissen vermehren, die Menschen lieben, Gott fürchten, seine Gebote ausführen und auf Glückseligkeit hoffen.« Die Großloge von Frankreich erklärt, dass Freimaurerei eine »universelle Vereinigung« ist, gegründet auf Solidarität. »In allen Lagen sollen die Freimaurer einander unterstützen, selbst im Fall der Lebensgefahr. Die Freimaurerei hat zum Zweck die moralische Vollendung der Menschheit, als Mittel hierzu die ständige Verbesserung der geistigen und materiellen Lage der Menschen. Sie hat als Devise die Worte: ›Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit‹ …« Die deutschen Großlogen sprechen vom Zweck der Freimaurerei als eine »Veredelung des Menschen und menschliche Glückseligkeit überhaupt zu fördern. Indem sie von ihren Mitgliedern den Glauben an Gott als den obersten Baumeister aller Welten, an eine höhere sittliche Weltordnung und an die Unsterblichkeit der Seele voraussetzt, verlangt sie von ihnen Betätigung des höchsten Sittengesetzes: ›Liebe Gott über alles, und Deinen Nächsten wie Dich selbst‹.« Und im Allgemeinen Handbuch der Freimaurerei steht zu lesen: »Freimaurerei ist die Tätigkeit eng verbundener Männer, die unter Anwendung sinnbildlicher, größtenteils dem Maurerhandwerk und der Baukunst entlehnter Formen für das Wohl der Menschheit wirken, in dem sie sich und andere sittlich zu veredeln versuchen, um dadurch einen allgemeinen Menschheitsbund herbeizuführen, den sie unter sich im kleinen bereits darstellen wollen.« Soweit die Definition aus Freimaurer-Quellen. Für viele Kritiker ist die Freimaurerei jedoch ein Geheimbund, der nur bedingt öffentlich agiert, eigene Erkennungszeichen hat und oft nur Mitgliedern, sprich »Eingeweihten« bekannte, Rituale pflegt. Dagegen wehren sich natürlich die Freimaurer, die lieber von einer »in sich geschlossenen oder Diskreten Gesellschaft« sprechen und argumentieren: Ihre Versammlungsorte könnten allen Orts polizeilich nachgewiesen werden, die Verfassung würden den Behörden zur Genehmigung vorgelegt, ihre Tätigkeiten seien aus Wohlfahrtseinrichtungen bekannt, genauso ginge sie aus der freimaurerischen Literatur hervor, aus denen auch die Ziele ersichtlich wären, die Mitgliederlisten würden zumindest in Staaten mit Zensur zur Kenntnis gelangen, die Vorstände müssten den Behörden bekannt gegeben werden und nur die Kulthandlungen, Zeremonien und Rituale würden geheimgehal-


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ten. Die Freimaurerei, so ist beispielsweise bei der »Großen National-Mutterloge ›Zu den drei Weltkugeln‹« nachzulesen, wäre niemals ein Geheimbund gewesen, allerdings eine »geschlossene Gesellschaft«, die Außenstehenden nicht ungehemmt Einblick in ihre internen Angelegenheiten gewährt.6 Maurer der »Vereinigten Großlogen von Deutschland« sprechen nicht von einer »geheimen Verbindung«, sondern von einer »gedeckten Vereinigung von Männern, die in der Vertrautheit des brüderlichen Umgangs miteinander ihren Lebenszielen von Toleranz, Humanismus und Menschenwürde näher kommen wollen«.7 Und Michael Kraus, Großmeister der »Großloge von Österreich«, erklärt dazu: »Die Freimaurerei ist kein Geheimbund. Auch in Österreich sind die Logen als Vereine konstituiert und offiziell registriert. Die Funktionäre dieser Vereine sind dem Vereinsgesetz entsprechend auch im Vereinsregister genannt. Das, was die Freimaurer in den Logen tun, sollte man eher als privat und nicht als geheim bezeichnen, denn die Abläufe und Rituale sind oft publiziert worden. Dennoch hat sie einige willkürlich gewählte Geheimnisse, die aber in erster Linie den Zweck verfolgen, die innere Zusammengehörigkeit zu fördern. Mit dem ich ein Geheimnis habe, der ist mir besonders nahe und vertraut. Es ist eine historische Tradition, die Namen der lebenden Mitglieder nicht preiszugeben, was vor allem damit zu tun hat, dass die Freimaurerei auch heute noch in vielen Ländern, überall dort, wo Diktaturen herrschen, verboten ist. Auch in demokratischen Ländern wie Österreich werden Freimaurer aufgrund historischer Missverständnisse und Voreingenommenheiten gelegentlich diskreditiert und in ihrem beruflichen Fortkommen gehindert. Auch die Interpretation von Ritualen und Symbolen hat insofern keinen geheimen Charakter, weil damit keine verschlüsselten Botschaften oder versteckte Absichten verfolgt werden, sie dienen der Unterstützung des für die Freimaurer wichtigen Prozesses der Selbsterkenntnis und allgemeinen Wissensfindung. Sie dienen ausschließlich dazu, die Lektionen der Bruderschaft besser im Gedächtnis und im Denken zu verankern. Die Deutung ist unverbindlich und subjektiv und eben nicht botschaftsorientiert.«8 Doch viele Experten und Kritiker sehen das anders. In seinem Lexikon des Geheimwissens zählt Horst E. Miers die Freimaurer, und dabei speziell ihre Hochgrade, zu den Geheimgesellschaften, zu den »Initiatorischen Gesellschaften«, deren Mittel analog zu den Alten


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Mysterien, Ritual und zeremonielle Einweihung sind.9 Auch schon der Archivrat am Königlich-Preußischen Hausarchiv, Georg Schuster, bezeichnet in seinem zweibändigen Werk Geheime Gesellschaften, Verbindungen und Orden, die Freimaurer als »geheime Gesellschaft«.10 Karl-Heinz Zunnek resümiert in Die geheimen Zeichen und Rituale der Freimaurer: »Eine der geheimen Vereinigungen, die insbesondere in den letzten dreihundert Jahren von sich Reden gemacht hat, ist die Freimaurerei.«11 In Karl-Heinz Locks Stichwort Geheimbünde taucht die Freimaurerei als einer der »Geheimbünde aus dem 18. Jahrhundert« auf.12 In seinem Standardwerk Geheimkulte schreibt Will-Erich Peuckert klar und deutlich: »Die Freimaurerei stellt den vollkommensten Typus jener neuen Art geheimer Bünde dar, die sich im nördlichen Europa in der bürgerlichen Welt entwickelt haben.«13 Winfried Dotzauer erklärt in der vierten und neuesten Auflage des Lexikons Religion in Geschichte und Gegenwart: »Die Freimaurer bilden in ihrer Gesamtheit die weltweit ausgedehnteste Bewegung vom Typus einer Geheimgesellschaft.«14 Und auch der Heidelberger Forscher Jan Snoek bezeichnet die Freimaurerei als »Geheimgesellschaft«, weil sie ein Geheimnis bewahren möchte.15 Am Besten erklärt aber der Freimaurer Zink, einst Mitglied der »Großen National-Mutterloge ›Zu den drei Weltkugeln‹« in Deutschland, in seinem Kleinen Katechismus für den Gesellengrad die Frage, inwiefern die Freimaurerei ein Geheimbund sei16: »Einmal, weil er seine Mitglieder abgeschlossen von der Außenwelt versammelt; sodann weil er sie mit einer Lehrart bekannt macht, welche für Profane ein Geheimnis ist und bleiben soll. Auch die Symbole sind Träger geheimer Ideen, sind Hieroglyphensprache der Freimaurerei. Und selbst wenn sie der Welt bekannt gegeben würden, bliebe ihr maurerischer Inhalt dennoch ein Geheimnis für jeden Uneingeweihten. Mag also noch so viel Geschriebenes oder Gedrucktes über den Freimaurerbund in der Welt die Geister irreführen, das, was echt freimaurerisch ist, lässt sich graphisch nicht darstellen, solches will in der Stille des Gemüts erkannt und empfunden sein. Also bleibt die Freimaurerei bis auf weiteres ein Geheimbund!« Auch die englischen Freimaurer und Autoren Christopher Knight und Robert Lomas17 erklären den Logenbund zu einer Geheimgesellschaft. In ihrem Besteller Unter den Tempeln Jerusalems schreiben sie: »Anfang des siebzehnten Jahrhunderts herrschten für die


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Geheimgesellschaft der Maurer ideale Bedingungen, um an die Öffentlichkeit zu treten.«18 Somit sprechen namhafte Experten von der Freimaurerei als »Geheimbund«, dem auch Logenbrüder selbst zustimmen.

1.1 Freimaurer -Historie19 Freimaurer-Historie Über die Vorgeschichte und den Ursprung der Freimaurerei gibt es keine einheitliche Darstellung, dafür viele Legenden und Mythen. Manche sprechen auch von »Tradition«. Demnach sollen Adam, Noah, Jesus oder Zeus der erste Freimaurer gewesen sein. Je nach »sagenhafter« Entstehungsgeschichte soll sich die Freimaurerei bereits aus dem Isis-und-Osiris-Kult des Alten Ägypten entwickelt haben oder aus den Essäern, Pythagoräern, gar den Druiden, oder – noch fantastischer – vor Erschaffung der Welt auf einem anderen Planeten entstanden sein. Auch der berüchtigte Templerorden des Mittelalters soll dabei eine Rolle gespielt haben. Die sogenannte »Hirams-Legende« besagt, dass Hiram, der im Zweiten Buch der Chronik des Alten Testaments erwähnt wird, als Baumeister beim Salomonischen Tempelbau 34 000 Mann befehligt haben soll, darunter Meister, Gesellen und Lehrlinge. Den jeweiligen Gruppen teilte er zur Erleichterung bei der Lohnauszahlung geheime Losungsworte aus. Um letztlich an das Meisterwort heranzukommen, wurde Hiram das Opfer von drei Gesellen, die ihn, ohne dass dieser etwas verraten hatte, schließlich töten. So lebt diese Legende auch in der Johannismaurerei bis heute rituell fort. Nach eigenen »offiziellen« Angaben geht die Freimaurerei auf die mittelalterlichen Dombauhütten und baumeisterlichen Gilden- und Steinmetzbruderschaften zurück. Hier wurde von »frei geborenen« Bauleuten, also frei von Leibeigenschaft und feudaler Abhängigkeit, in Bruderschaften die königliche Kunst von Architektur und Bauhandwerk von Kirchen, Domen und Kathedralen gepflegt. Die Freimaurer20 [»Free(stone)masons«], Maurer und Steinmetze, Bildhauer und Bauplaner (Architekten) hüteten sorgsam gegenüber Außenstehenden die Geheimnisse ihrer Baukunst, genauso mathematisches und geometrisches Wissen. Untereinander sicherten sie sich Arbeit und Entlohnung und ihr Erkennen durch Zeichen, Worte oder Hand-


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griffe. Hiermit konnte beispielsweise auch ein fremder Steinmetzmeister den »Reifegrad« des Kollegen erkennen, also ob er ein Lehrling, Geselle oder gar selbst ein Meister war. Freimaurer besaßen höchstes Ansehen und, für jene Zeit, bemerkenswerte Privilegien, wie beispielsweise das ungehinderte Reisen während der Kriegszeiten. Papst und König hielten ihre schützende Hand über die Logenbrüder, die von allen politischen Regimen umworben wurden. Weil im Laufe der Zeit die großen Dombauten nach und nach ein Ende fanden, die »materielle« Arbeit also ausblieb, die »geistige« dafür zunahm, öffneten sich die Logen immer mehr intellektuellen, nichthandwerklichen Berufen, so genannten »angenommenen Maurern«, wie beispielsweise Adligen, Offizieren, Ärzten und Schriftstellern. So vollzog sich eine Umwandlung des Charakters einer reinen Handwerkerinnung zur geistigen oder spekulativen, als nur mehr symbolisch bauenden, Freimaurerei, die am 24. Juni 1717 ihren Abschluß fand. An diesem Tag schlossen sich vier solcher Bauhütten, sogenannte »Lodges«, die den Bauhandwerkern als Werkstatt, Aufenthalts- und Versammlungsraum dienten, in London zur ersten weltweiten freimaurerischen Großloge zusammen. Damit war die moderne, die spekulative Freimaurerei als Organisation geboren. Von England aus verbreitete sich dann das Gedankengut in die ganze Welt. 1721 wurde Herzog von Montagu zum Großmeister gewählt; erstmals ein Adliger. Zwei Jahre später spielte für die Freimaurerei James Anderson eine wichtige Rolle. Sein Geburtsjahr ist nicht genau bekannt, wird aber um 1680 angegeben (gestorben ist er 1739). Anderson war nicht nur Reverend und Prediger der Presbyterianer, sondern auch ein Freimaurer (unter anderem Mitglied in den Londoner Logen Horne Tavern, Westminster und der Lodge at Alomon’s Temple, Hemmings Row). Ihm fiel eine ganz besondere Rolle zu: Im Auftrag des Großmeisters Herzog von Montagu arbeitete er ein Manuskript aus, das als die Alten Pflichten (»Old Charges«), die Constitutions, also die Satzungen der Bruderschaft, in die Geschichte der Freimaurerei eingehen würde. Das Manuskript war nichts anderes als die »Großlogenverfassung«, die 1723 von der Großloge auch genehmigt wurde (1739 verfasste Anderson eine zweite, überarbeitete Auflage). Das Regelwerk bestimmte das Verhältnis der Logenbrüder untereinander, zu den Nicht-Maurern und zu Religion und Politik. Es gilt mit


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einigen Veränderungen bis heute und alle Logen, die von der United Grand Lodge of England, der »Muttergroßloge der Welt« und Hüterin des Regelprinzips, in London anerkannt werden wollen, müssen sich dazu bekennen, diese Alten Pflichten einzuhalten. In jüngster Zeit, nämlich 1989, wurde diese Konstitution sogar durch die Basic Principles bestätigt. Großlogen, die nicht nach den Alten Regeln der Gründer arbeiten, werden als »irregulär« angesehen und von den »regulären« Großlogen nicht anerkannt. In Deutschland gründete Charles Sarry, der gemeinhin als der »Vater« der deutschen Freimaurerei gilt, am 6. Dezember 1737 die erste Loge, die Loge d’ Hambourg, die sich später »Absalom zu den drei Nesseln« nannte. Sie nahm auch den Kronprinzen von Preußen und späteren König Friedrich den Großen auf. In der Folge wurden in Deutschland weitere Logen, auch Provinzial- und Mutterlogen, gegründet. Heute existieren in Deutschland folgende Großlogen: »Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (GLA. F. u. A. M. v. D.)«, »Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLLF. v. D.)«, »Große National-Mutterloge ›Zu den drei Weltkugeln‹ (GNML3WK)«, American-Canadian Grand Lodge A. F.+A. M. (ACGL) und die Grand Lodge of British Freemasons in Germany (GLBFG). Die Gesamtvertretung aller deutschen Freimaurer liegt ausschließlich bei den »Vereinigten Großlogen von Deutschland – Bruderschaft der Freimaurer«. Nach eigenen Angaben gibt es rund 14 000 Freimaurer in 470 Logen in Deutschland, die unter den oben erwähnten fünf Großlogen arbeiten. In Deutschland tragen Freimaurer am Revers ein »Vergissmeinnicht«, in den angelsächsischen Ländern wird der vergoldete »Akazienzweig« bevorzugt und ansonsten auch »Winkelmaß und Zirkel«. Die Mitgliedschaft dauert zumeist ein Leben lang und verpflichtet damit, Logen-Ideale im Alltag zu leben. Interessierte erhalten Zutritt nur auf Empfehlung eines Freimaurers. Aufgenommen werden zumeist Männer »gesetzten« Alters, von »untadeligem Ruf« und mit »gehobenem Einkommen«. Interessierte müssen sich monatelang bei Gästeabenden mit Vorgesprächen bewähren. Erst dann, wenn dieser Interessent und die Loge zueinander passen, wird ein dementsprechendes Aufnahmeverfahren eingeleitet. Bei den Hochgradvereinigungen sieht es anders aus. Generell bewirbt man sich hier nicht, sondern die Mitgliedschaft wird einem »angetragen«. Es ist jedem Logenbruder selbst


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überlassen, ob er sich öffentlich zum Freimaurerbund bekennt oder nicht. Doch keiner darf über die Mitgliedschaft eines anderen »Bruders« berichten, wenn dieser sich nicht selbst dazu bekannt hat. Erwartet wird vom Freimaurer, dass er seiner Loge etwa zwei Prozent seines Jahreseinkommens zukommen lässt, wobei die Mitgliedsbeiträge unterschiedlich sind und von Loge zu Loge selbstständig festgelegt werden. Der Großmeister der »Großloge in Österreich« nannte mir einen fixen Jahresbeitrag zwischen 500 und 700 Euro.21 Dazu kommen noch finanzielle Hilfen zu Spendenaktionen und den Galadiners, den »Festmahlen« der Bruderschaft, die »freiwillig« sind. Freimaurerlogen engagieren sich auch auf sozialkaritativem und kulturellem Gebiet und unterstützen wohltätige Projekte. Zur Zeit Maria Theresias wurde in Wien 1742 die erste österreichische Loge Aux trois canons gegründet, zu der unter anderen der Prinz von Hessen-Rheinfels gehörte. Auch der Gemahl von Maria Theresia, Franz I. Stephan (1708–1765), seit 1745 deutscher Kaiser, war Freimaurer. In der Josephinischen Epoche gehörten der österreichischen Freimaurerei die bedeutendsten Männer an. Heute gibt es eine »Großloge von Österreich« sowie weitere Logen, die den »Großorient von Österreich« bilden und die Forschungsloge Quatuor Coronati. In der Schweiz wurde Anfang 1736 die Loge Sociéte des Macons libres oder Francs-Macons du Parfait Contentement gegründet. 1844 bildete sich die schweizerische Großloge Alpina. 1967 folgte die Grande Loge de Suisse, die sich 1996 in Grand Orient de Suisse umbenannte. In der Folge strömten weltweit der »Aufklärung aufgeschlossene Männer« in die Logen, um am »sozialen Gerüst einer moralischen Internationale« zu arbeiten. Verschwiegenheit sollte vor dem Zugriff absolutistischer Staaten schützen, die Mitglieder zur brüderlichen Gemeinsamkeit zusammenschweißen und ihr Brauchtum sollte ihr Gedankengut sichern. Schon seit ihrer Entstehung hatten Freimaurer mit Exkommunikation, Verfolgung und Verboten zu rechnen, wie im 20. Jahrhundert durch die Nazis. Doch Ulrich Rausch fragt zu recht in seinem Werk Die verborgene Welt der Geheimbünde: »Schließlich müssen sich die Freimaurer – wie andere auch – fragen lassen, wie sinnvoll es ist, einfach eine Tradition über Hunderte von Jahren von jeglichen Einflüssen fernzu-


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halten. Die Erde dreht sich seit den Alten Pflichten von 1723 schneller, die Menschen sind inzwischen andere Menschen geworden, die Welt hat sich verwandelt, aber die Freimaurer halten unverändert an dem ›Wortlaut‹ der Alten Pflichten fest. Besteht damit nicht die Gefahr, dass die Freimaurerei zu einem reinen Sandkastenspiel wird, das mit unserer Wirklichkeit nur noch wenig zu tun hat?«22 Die Freimaurerei ist wohl die älteste und angesehenste Organisation weltweit. Rund acht Millionen »Brüder« (davon allein in den USA vier Millionen) in etwa 50 000 Logen gehören dem Bund an.

1.2.1 W as Eskurs: Freimaurerlogen als »V ereine« Was »Vereine« Zumeist sind Freimaurerlogen eingetragene Vereine, damit bürgerlich-rechtlich organisiert und verpflichtet, Satzung, organisatorischen Aufbau und Besetzung der Ämter öffentlich zu machen. Freimaurerlogen gelten aufgrund ihrer »Frauen-ausgrenzenden« Vereinssatzungen jedoch nicht nicht als »gemeinnützig« und sind damit auch nicht als steuerbegünstigt anerkannt. Ich versuchte über eine willkürlich gewählte Freimaurerloge, die »Glocke am Fusse der Alb e. V.« in Reutlingen, Näheres über deren Organisationsstrukturen herauszufinden. Dazu wandte ich mich an das zuständige Amtsgericht, das auch als »Registergericht« die jeweiligen Vereinsregister der Stadt bearbeitet. Nachdem ich dem Amtsgerichtsdirektor meine Akkreditierung als Journalist, meinen Presseausweis, zukommen ließ, erhielt ich umgehend den Vereinsregister-Auszug23 der Reutlinger Freimaurerloge. Daraus ist nicht nur der Name und Sitz des Vereins (der Loge) ersichtlich, sondern auch der Vorstand (Vorsitzender, der »Meister vom Stuhl«, der »1. Aufseher«, der »Schatzmeister« und der »Schriftführer«), sondern auch die Rechtsverhältnisse. Je zwei Vorstandsmitglieder vertreten die Loge gerichtlich und außergerichtlich, wovon jeweils ein Mitglied der »Meister vom Stuhl« oder der »1. Aufseher« sein muß. Die Namen der Vereinsmitglieder sind jedoch daraus nicht ersichtlich. Ich war überrascht, als ich die Namen der Vorstandsmitglieder24 erfuhr. Einige von ihnen kannte ich vom Hörensagen und hätte nie gedacht, dass es sich dabei um »Logenbrüder« handelt. Interessant


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sind auch die Berufe, denen die Vorstandsmitglieder nachgehen, die im Laufe der Zeit häufig wechselten. Die Loge selbst ist am 15. Juli 1946 errichtet und am 13. Januar 1955 neu gefasst worden. Unter den Vorständen der Freimaurerloge in Reutlingen befinden sich folgende Berufe: Wirtschaftsprüfer, Architekt, Diplom-Ingenieur, Keramiker, Notar, Volkshochschulleiter, Vertriebsleiter, Versicherungskaufmann, Ingenieur, akademischer Landwirt, Kaufmann, Zahnarzt, technischer Angestellter, Friseurmeister, Rektor, Verkaufsleiter, Bankkaufmann, Diplom-Mathematiker, Dozent, Industriekaufmann, Rechtsanwalt und Steuerberater. Daraus ist ersichtlich, dass es sich zumeist um gutbürgerliche bis akademische Kreise in den Vorständen der Freimaurerloge handelt. Arbeiter oder gar Arbeitslose kommen nicht vor. Stellt sich die Frage: warum nicht? Sind nicht alle »Brüder« gleich? Ich empfehle an dieser Stelle dem interessierten Leser den Gang zum lokalen Registergericht, um Einblick in die Organisationsstrukturen der Logen als eingetragene Vereine vor Ort und die Namen der Vorstände zu bekommen. Viele werden überrascht sein, welche Personen darunter Freimaurer sind. Das bringt wenigstens etwas »Licht ins Dunkel«.

1.3 W eltanschauung der Freimaurer?25 Weltanschauung Statt Materialismus verfolgt die Freimaurerei den Gedanken der Bruderschaft und der Toleranz. Als Lebensgrundlage ist dies allerdings nur denkbar, wenn die Geisteshaltung und Handlungsantriebe des Einzelnen vervollkommnet, oder, wie die Freimaurer sagen, »veredelt« werden – und zwar geistig und sittlich. Anstatt materieller Interessen soll Freigiebigkeit, Uneigennützigkeit und Wohltätigkeit treten. Darauf zielt die Freimaurerei mit ihrer symbolischen Arbeitsweise ab. Der »Alltagsmensch« soll ersterben zu Gunsten eines »neuen« Menschen. Eine »Höherentwicklung«, eine »Vergöttlichung«, soll erreicht werden. Wissen und Verstehen wird durch Erfahrung, durch »Erleben«, Zuhören und Symbolik ersetzt, die zuerst das Unterbewusstsein und dann den Menschen umformen soll. Freimaurerei als moralisch-geistige Selbstfindung mit dem Erlernen und Praktizieren einer Symbolsprache. Das Symbol selbst wird als Werk-


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zeug zur praktischen Lebenshilfe und »Brücke zum Irrationalen« angesehen und verbindet die Freimaurer in allen Ländern der Erde. Eines der erklärten Ziele ist die der »reinen Humanität«, und ein Grundsatz ist der Glaube an Gott, der als »Allmächtiger« oder »Großer Baumeister aller Welten« beziehungsweise als »höchstes Wesen« verehrt wird. Die Logen sehen sich als »Träger der Verheißung einer besseren, menschlicheren Welt«. In den »freimaurerischen Grundsätzen« der »Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (GLA. F. u. A. M. v. D.)« heißt es dazu: »(Freimaurer) … sehen im Weltenbau, in allem Lebendigen und im sittlichen Bewußtsein des Menschen ein göttliches Wirken voll Weisheit, Stärke und Schönheit. Dies alles verehren sie unter dem Sinnbild des Großen Baumeisters aller Welten.«26 Und in den Satzungen für die holländischen Brüder, einer grundlegenden Schrift der Freimaurerei, heißt es: »Zweck der Freimaurerei ist zunächst die Vervollkommnung des Einzelnen und die Leitung der Menschheit auf dem Wege zu vollkommener und harmonischer Entwicklung …«2 Sinnbild dieser Vervollkommnung, dieser Entwicklung des Freimaurers, ist der »raue Stein«. In der Loge soll er sich in einen »würfelförmigen Stein« verwandeln, »veredeln«, »geschliffen« werden, der sich dann nahtlos in den »Tempelbau der Menschheit« einfügen soll. Die »besonders festen« Steine sind für das Fundament bestimmt, die »weichen Sandsteine« lassen sich für Verzierungen oder Figuren verwenden. Die Arbeit am »rauhen Stein« ist das »Erkennen der eigenen Möglichkeiten und das Beginnen, am eigenen Stein die störenden Unebenheiten und Ecken abzuschlagen, damit sich der Baustein in den Tempelbau einfügen lässt«.28 »Freimaurerei … ist ein Zusammenschluß von Menschen, die nach irdischer Vervollkommung streben«, erklärt ein Logenbruder der »Vereinigten Großlogen von Deutschland«.29 Ferner soll die Freimaurerloge eine brüderliche Solidargemeinschaft bieten, eine »Ethikschule« sein, die geistige Anregungen bietet, genauso wie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit durch Harmonisierung zwischen Geist und Gemüt, Ausgeglichenheit durch innere Erlebnisse, Rückzugsraum von der Zerrissenheit des Alltags, gehobene Geselligkeit, karitatives, humanitäres Wirken, Vermenschlichung des Umfeldes und »letztlich der ganzen Welt« (»Große National-Mutterloge ›Zu den drei Weltkugeln‹«).30


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Soweit die Theorie. Dass nicht alles glänzt, was Gold ist, werden wir im Laufe dieses Buches noch sehen. Es gibt auch Kritiker innerhalb der Freimaurerreihen, wie etwa der esoterische Freimaurer Martin Erler, der schon 1954 in seinem Buch Der moderne Mensch und das Ritual festgehalten hat: »Es muß schon jemand ein reichlich kindliches Gemüt haben, damit man ihm weismachen kann, es bedürfe eines wohlorganisierten Bruderbundes und eindrucksvoller Rituale, nur um dem Einzelnen, dazu noch unter dem Siegel des strengsten Geheimnisses, die Zehn Gebote oder eine Version davon beizubringen, was jeder schon in der ersten Volksschulklasse gelernt hat.«31 Der Autor Peter Wendling stellt zu Recht die Frage: »Streben nach menschlicher Vervollkommnung ist wohl ein heimlicher Wunsch vieler Zeitgenossen, doch ein ganzes Leben lang, ständig kontrolliert durch eine gestrenge Loge?« Und weiter: »Nun stellt sich die Frage, ob es tatsächlich ethisches Verhalten fördert, wenn es sich, wie bei der freimaurerischen Ethik, um eine reine, auf bloß positiven Geboten beruhende Moraltheologie handelt. Des weiteren könnten die Abgeschlossenheit der Bewegung und der konsequent lebenslänglich geschlossene Bund als ausgesprochen egoistisch betrachtet werden … Zwar hätte der so genannte moderne Mensch … mehr als nur einen Schnellkurs in Sachen Wertbewußtsein nötig, doch es ist nur schwer fassbar, weshalb sich diese Erziehung nur hinter verschlossenen Mauern und unter Zuhilfenahme Jahrhunderte alter Rituale vollziehen lassen soll … Die auf den ersten Blick so angenehm empfundene Weltanschauung der Freimaurer als die Form überschätzende und darüber den Inhalt vernachlässigende Falle? Doch wem nützt es, außer den erleuchteten Meistern, die es wie jeden König nur durch die Anbetung ihrer Untertanen auf dem Thron hält?« In den Alten Pflichten ist zu lesen: »Wenn Ihr … einen echten wirklichen Bruder entdeckt, so ehrt ihn als einen solchen. Ist er dürftig, so helft ihm, wenn Ihr könnt …, nur sollt Ihr einen armen Bruder, welcher ein guter und treuer Mann ist, unter gleichen Umständen jedem andern armen Menschen vorziehen.«32 Soviel also zu der so hoch gehaltenen Gleichheit, Brüderlichkeit und Toleranz der Freimaurer.


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1.4 Logensysteme und -grade33 Lehrarten oder Systeme in der Freimaurerei werden auch unter dem Begriff »Ritus« erfasst, die wiederum in sogenannte »ErkenntnisLehr- oder Einweihungsstufen« oder »Grade« eingeteilt werden. Die jeweilige Einweihung, sprich Initiation, führt zum jeweils nächst höheren Grad. Die ersten drei maurerischen Stufen oder Grade, die den gesamten Lehrinhalt der echten Freimaurerei beinhalten, sind: Lehring, Geselle und Meister. In ihnen wird der Maurer vom »unbehauenen« Stein zum »behauenen« Stein. Sie stehen zu ihrer Entsprechung zu den drei Lebensaltern Jüngling, Mann und Greis oder aber Geburt, Leben und Tod. Diese drei Grade werden auch »Johannisgrade«, »symbolische« oder »blaue Grade« (nach der Farbe auf dem Schurz) genannt und bilden die klassische und ursprüngliche »Johannis-Maurerei« (benannt nach Johannes dem Täufer). Hierauf bauen weitere Grade, die so genannten »Hochgrade« oder die »roten Grade« auf, die im »Alten und Angenommenen Schottischen Ritus (A. A. S. R.)« oder im »York Ritus (YR)« erworben werden können. Die »Hochgrade« oder »Fortbildungs- und Philosophische Grade« der »Hochgrad- oder Andreas-Maurerei« (benannt nach dem Heiligen Andreas) sind die »Hochschule der Maurerei« und bilden eine Weiterführung und Vertiefung des freimaurerischen Konzepts. Hier gibt es beispielsweise sieben- (»Französischer Ritus«), elf- (»Schwedischer- oder Swedenborg-Ritus«) und 33-gradige Systeme (»Schottischer Ritus«). (In der irregulären Freimaurerei sogar 90 beziehungsweise 95, 97 oder gar 99 Grade, wie in der »Ägyptischen Maurerei« im »Memphis- und Misram-Ritus«.) Die »geheimnisumwitterten«, immer wieder von Freimaurergegnern kritisierten Hochgrade, sind »mystischer« und »sprechen viel intensiver Gefühl und Geist gleichermaßen an und können dadurch (Selbst-) Erkenntnisse, die in den drei blauen Graden oftmals nicht in der gleichen Intensität erreicht werden, hervorbringen« (Goeller).


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1.5 Ritual, VVerschwiegenheit erschwiegenheit und Geheimnis34 1.5.1 Ritual Die Tempelarbeit beschreibt die »Große National-Mutterloge ›Zu den drei Weltkugeln‹« so: »In der freimaurerischen Arbeit lassen die Brüder den Alltag möglichst weit hinter sich, um sich in Kontemplation (Gedankenversunkenheit, Anm. d. Autors), fast schon in Meditation einzustimmen. Bereits die altertümliche Sprache des Rituals nimmt die Brüder aus dem Alltag heraus. Die einheitliche Kleidung, die Aufhebung der profanen Zeitrechnung, die besondere Orientierung des Tempels nach den Himmelsrichtungen, die Dunkelheit und der Kerzenschein hebt die Brüder aus dem Geschehen des Alltäglichen heraus. Durch den Ablauf des Rituals werden die Brüder in eine ›andere Welt‹ versetzt, in ihrem Innern angerührt und schöpfen neue Kraft, die ihnen im Alltag weiter hilft.«35 Das Ritual ist eine logische und psychologische Zusammenstellung feierlicher Handlungen, Symbole und (magisch wirksamer) Worte zur Durchführung einer Zeremonie, der ordnungsgemäße Ablauf einer kultischen Handlung. Es ist nur wirksam, wenn es in jeder Hinsicht mit peinlicher Akribie durchgeführt wird. In der Freimaurerei wird das Ritual, eine besondere Form der freimaurerischen Arbeit und »geistig- und seelisches Band«, auch »Gebrauchtum« genannt und in der Tempelarbeit verwendet. Es spiegelt eine sinnbildliche Handlung wieder und lehnt sich an die alten Gebräuche der Steinmetzbruderschaften an, die später weiterentwickelt und ausgebaut wurden (vor allem in den Hochgradsystemen), um Traditionswerte zu wahren und dem Gegenwartsleben anzupassen. Als Bestandteile des ursprünglichen freimaurerischen Gebrauchtums gelten: das Gebet oder die Anrufung (Invokation) Gottes, Verlesung der Geschichte, »Angelobung« auf die Bibel, Verlesung der »Charges« und die »Gelöbnisformel« zur Annahme dieser Verpflichtungen. Das Ritual spricht das Unbewußtsein durch »Erleben« an und soll neue Erkenntnisbereiche erschließen oder wie Dieter A. Binder es in Die Freimaurer formuliert: »Rituale können als Mechanismen zur Reduktion sozialer Komplexität interpretiert werden.« Alfried Lehner ergänzt in Die Esoterik der Freimaurer: »Und noch eine


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Wirkung des Rituals wird häufig genannt: Es ist der sich öffnende Weg zur Selbsterkenntnis, der Prozeß der Individuation (Selbstfindung, Anm. d. Autors) … Und mancher fühlt im Geschehen des Rituals vielleicht eine Annäherung an das Göttliche.« Dieses rituelle »Erleben« soll auch das eigentliche Geheimnis der Freimaurerei bergen. »Die einzelnen Großlogen verhalten sich bezüglich eines Einheitsrituals verschieden«, lesen wir dazu im Internationalen Freimaurer Lexikon« (S. 326). »Am strengsten sind die angelsächsischen, die eine starre Form weiterpflanzen, deren Niederschrift offiziell verboten ist. Die Überlieferung erfolgt mündlich.« Anzumerken ist, dass es auch Großlogen gibt, die eine gewisse Ritualfreiheit gewähren. Das heißt die Wahl des Rituals ist den Logen freigestellt, muss aber von der Großloge genehmigt werden, damit nichts »dem Wesen der Freimaurerei Fremdes sich einschleiche, oder in der Zulassung gewisser Abwechslungen, um der Eintönigkeit vorzubeugen« (Rausch). Ein Ritual kann zum Beispiel die Einweihung eines »Bruders«, die »Beförderung« oder die »Erhebung« in den Meistergrad sein. Thematisiert werden aber auch Geburt, Leben und Tod, Arbeit, Genuss und der tröstende Aufblick zu einem künftigen Dasein. Für die Ritualarbeit wird eine »rituelle Bekleidung« verlangt und vorgeschrieben. Wesentlich sind dabei Schurz, als Zeichen der »Unschuld« und Symbol der »Arbeit«, und Handschuhe, die das fleckenlose, reine »Fühlen und Handeln« symbolisieren; beides Relikte der Arbeitsschutzbekleidung der antiken Steinmetze.

1.5.2 Geheimnis und VVerschwiegenheit erschwiegenheit Schon seit Anbeginn der Freimaurerei musste sie sich gegen Hetzangriffe von Kritikern, Verleumdern und Verrätern wehren, die ihr Geheimnis und ihre Verschwiegenheit betrafen. Beides hat ihr teils phantastische Verdächtigungen eingebracht. Selbst heute noch gibt es unzählige Verschwörungsliteratur, die diese Thematik behandelt. Einer der berühmtesten deutschen Freimaurer überhaupt, Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), der am 23. Juni 1780 in die Loge »Amalia« in Weimar aufgenommen wurde36, hat der freimaureri-


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schen »Verschwiegenheit« sogar ein eigenes Logengedicht gewidmet: »Niemand soll und wird es schauen, was einander wir vertraut, denn auf Schweigen und Vertrauen ist der Tempel aufgebaut!«37 »Denn Verschwiegenheit stärkt den Charakter und fördert die Persönlichkeit« (Holtorf). Verschwiegenheit wird auch als eine Tugend betrachtet, und seine »Zunge im Zaum zu halten ist eine Haupterweisung der Selbstbeherrschung, die den Maurer und jeden edlen Menschen zieren soll« (Rausch). Der große Magier, Kabbalist, Rosenkreuzer, Insider der Geheimwissenschaft und Freimaurer Abbé Louis Constant alias Eliphas Levi (1810 – 1875) ergänzt: »Die Freimaurer sind nur durch ein fürchterliches Geheimnis so mächtig, das so gut gehütet wird, dass es selbst die Eingeweihten des höchsten Grades nicht kennen.«38 In Washingtoner Logen darf Insiderwissen beispielsweise nur »From mouth to ear«, also von »Mund zu Ohr«, weitergegeben werden. Selbst die mittelalterlichen Steinmetze, die die Geheimnisse ihrer Zunft verrieten, wurden aus der Bruderschaft ausgestoßen und durch dementsprechende Anzeigen strafrechtlich verfolgt. Doch wie verhält es sich tatsächlich mit diesem Geheimnis und der Verschwiegenheit innerhalb der »Diskreten Gesellschaft« der Freimaurer? Im Internationalen Freimaurer Lexikon lesen wir hierzu: »Das freimaurerische Geheimnis ruht in den Gelöbnisworten, die der Lehrling bei der Aufnahme dem Meister vom Stuhl nachspricht. Er gelobt über das Gebrauchtum, die Erkennungszeichen und die inneren Angelegenheiten der Loge unverbrüchliche Verschwiegenheit zu bewahren … Als Bund hat also der Freimaurerbund keinerlei Geheimnis, das sich auf die Welt und deren Gestaltung beziehen könnte, insbesondere aber kein politisches Geheimnis.« Was aber ist dann das Geheimnis, das ja nicht geleugnet wird, wenn es weder mit Geheimniskrämerei, Politik oder Religion zu tun hat? Auch darauf hat das Internationale Freimauer Lexikon eine Antwort: »Es ist das Geheimnis des persönlichen Erlebens einer Kulthandlung, die an


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dem Neophyten der einzelnen Grade als einer abgestimmten, der Weihe zugänglichen Seele vollzogen wird. Dieses Geheimnis bezieht sich somit auf das Gebrauchtum … Dieses Geheimnis aber, dieses Eingehen ins innerste Heiligtum der Königlichen Kunst, dieses seelische Einswerden mit Brüdern in aller Welt, ist nicht mitteilbar, ist nur erlebbar, auch wenn das gedruckte Ritual noch so viel zu sagen scheint. ›Das eben ist das wahre Geheimnis, das, allen vor Augen, Euch ewig umgibt, aber von keinem gesehen.‹« Und zum »wahren Geheimnis« heißt es, dass es im »Innerlichwerden der freimaurerischen Lehren und ihre Nutzanwendung auf die eigene Persönlichkeit und die menschliche Gesamtheit« liegt. Zusammengefasst sind das Geheimnis der Freimaurerei, so die »Brüder im Geiste«, also die »persönlichen inneren Erfahrungen, die der Einzelne während einer Tempelarbeit subjektiv erleben, aber nicht objektiv wiedergeben kann« (Binder). Dieses Geheimnis soll sich nur frommen und keuschen Seelen erschließen und führt unter anderem dazu, dass sich das »Band der Bruderliebe« »inniger um die Herzen der Verbundenen« schließt. Dass die Freimaurer meines Erachtens aber eigentlich ein anderes, ein noch geheimeres, ein »wahres« Geheimnis besitzen, werde ich in Abschnitt 3.1.2 »Das ›wahre‹« Geheimnis der Freimaurer« noch genauer an- und ausführen. So werden auch die Erkennungszeichen geheim gehalten, weil deren Besitz der Schlüssel zu anderen Menschen sei und um nicht »entweiht« oder falsch gedeutet zu werden. Mit ihnen »outen« sich sozusagen Freimaurerbrüder gegenüber den anderen überall auf der Welt. Anzumerken ist, dass Rituale und auch Erkennungszeichen heutzutage größtenteils veröffentlicht und damit auch bekannt sind (siehe beispielsweise Karl-Heinz Zunneck Die geheimen Zeichen und Rituale der Freimaurer, Kopp Verlag). Die Schweigepflicht erstreckt sich also auf die in den Einweihungsritualen vermittelten »Erkenntnismittel« wie Wort, Griff, Zeichen, die Ritualtexte und die »Umstände« der Einweihungen. Auch als »Erziehungsmittel« – gemeint ist die »Selbstzucht« – soll sie dienen, wie Dieter A. Binder in Die Freimaurer meint. Im Gelöbnis des »Suchenden« heißt es unter anderem: »Ich gelobe bei meiner Ehre und meinem Gewissen … Verschwiegenheit zu bewahren, über die Gebräuche und inneren Angelegenheiten der Maurerei, und mit nie-


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manden darüber zu sprechen, den ich nicht sicher als Maurer erkennen kann …« Karl-Heinz Zunneck erklärt in Die geheimen Zeichen und Rituale der Freimaurer, dass zwar immer wieder betont wird, es würde nur ein Gelöbnis gesprochen, es sich in den meisten Fällen dabei aber um Schwüre und Eide handelt. Er führt verschiedene Quellen auf, die auch drastische Strafen beim Brechen des Schwurs nach sich ziehen. Nachfolgend drei Auszüge: Wilhelm Riedel in Amerikanische Freimaurerlogen und deren Geheimnisse: Wenn der Schwur nicht gehalten wird, »soll meine linke Brust offen und auseinander gerissen, sollen mein Herz und alle meine Eingeweide herausgezogen, über meine linke entblößte Schulter geworfen und in das Tal … gebracht werden, damit sie dort eine Beute der wilden Tiere des Feldes und der Geier und Adler der Lüfte werden.« Robert Fischer (Freimaurer) in Lehrlingskatechismus: »… Alles dies schwöre ich mit dem festen unerschütterlichen Entschluss, es zu halten ohne Unschlüssigkeit, geheimen Vorbehalt und innere Ausflucht unter keiner geringeren Strafe, als dass meine Gurgel durchschnitten, meine Zunge bei der Wurzel ausgerissen und im Sande des Meeres zur Zeit der Ebbe … versenkt werde.« Karl Christian Friedrich Krause (Freimaurer-Historiker) in Die drei ältesten Kunsturkunden der Freimaurer-Brüderschaft: »… Ich verbinde mich dazu bei der Strafe, dass man mir die Lippen mit einem glühenden Eisen abbrenne, die Hand abhaue, die Zunge ausreiße, die Gurgel abschneide, und endlich mein Körper in einer Loge der Brüder Freimaurer während er Arbeit und Aufnahme eines neuen Bruders zur Schande meiner Untreue aufhenke, ihn nachher verbrenne und die Asche in die Luft streue, damit nicht eine Spur übrig bleibe von dem Andenken meiner Verräterei …« Diese Eide auf »Hals, Herz und Eingeweide« mit Strafandrohung wurden Ende des 17. Jahrhunderts in den englischen Logen eingeführt. Zunneck betont, dass Freimaurer diese Eide nicht wahrhaben wollen beziehungsweise, dass diese nicht mehr im Gebrauch seien, ersetzt worden seien und dass es auch andere Gelöbnisse und Schwüre gebe, die keine so drakonischen Maßnahmen im Falle eines Geheimnisverrats nach sich ziehen. Er betont dennoch, »dass der


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Anspruch der Freimaurerei, sich für eine humane Gestaltung der menschlichen Gesellschaft einzusetzen, anhand bestimmter StrafFormulierungen ins Gegenteil verkehrt wird.« Er zitiert den Artikel 7 in der Grundverfassung der »Großen Landesloge von Schweden«, in dem steht: »Bricht ein Bruder den Verschwiegenheitseid … so werde er schuldig und rechtsfällig, das Urteil zu erleiden, dem er bei Leistung seines Eides sich selbst unterworfen und den unbekannten und heimlichen Vollstreckern überantwortet; unsicher vor ihren rächenden Händen in allen Orten des Erdkreises, woselbst sich rechtschaffende und echte freie und aufgenommene Brüder befinden und ihre Arbeiten führen.« Ulrich Rausch kommt in die Verborgene Welt der Geheimbünde in bezug auf die Bestrafung zu dem Ergebnis: »Ausplaudereien über innere Logensachen sind streng zu rügen und zu bestrafen; sie verletzen das Gefühl der Vertraulichkeit, das unter den Mitgliedern einer Loge, wie unter denen einer Familie, als welche die Loge zu betrachten ist, bestehen und gewahrt werden soll. Sie legen häufig den Grund zum Unfrieden und zu Zerwürfnissen … Diese Handlungsweise erscheint als eine der größten Pflichtverletzungen und stellt die Loge weit unter die gewöhnlichsten Gesellschaften. Deshalb verdient sie die strengste Bestrafung.« Auch die englischen Freimaurer-Autoren Christopher Knight und Robert Lomas, hierzulande bekannt geworden mit ihrem Bestseller Unter den Tempeln Jerusalems, mussten bei der Aufnahme in den Logenbund bei ihrer »Ehre schwören«, »niemals die Geheimnisse der Freimaurerei zu verraten«. »Verschwiegenheit gilt für die Freimaurer als eine der erstrebenswerten Tugenden, die sie üben sollen«, resümiert die Hamburger Freimaurerloge »Am Rauhen Stein«.39 Ob Geheimnis und Verschwiegenheit in Punkto Rituale, Erkennungszeichen, ob Eid unter Bestrafung oder nur Gelöbnis – eines scheint festzustehen: Die Namen der Logenbrüder (ausser denen, die sich selbst öffentlich bekennen) werden geheimgehalten. Und noch mehr: Wer nicht Mitglied einer Freimaurerloge ist, darf auch nicht erfahren, was in ihr überhaupt besprochen wird (außer beim »Tag der offenen Tür«). So werden also die »Diskussionszirkel« vor der Öffentlichkeit regelrecht abgeschirmt. Warum eigentlich, wenn hierin doch nur Menschen verschiedener Weltanschauung über bestimmte Themen diskutieren?


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1.6 Freimaurer und Frauen40 Eines der umstrittensten Kapitel der Freimaurerei ist die Haltung der »Brüder vom Geiste« Frauen gegenüber. Kritiker sehen darin eine Diskriminierung und Abwertung des weiblichen Geschlechts. Ähnlich wie in der Kirche, in der Paulus einst verkündete, »mulier taceat in ecclesia«, also »die Frau hat in der Gemeinde zu schweigen«, hat sich auch die Freimaurerei einer Frauen ablehnenden Haltung bedient. Hat nicht schon der berühmte Schriftsteller, Dichter und Denker der französischen Aufklärung, der Freimaurer Francois Marie Arouet Voltaire (1694 –1778), Mitglied der Pariser Loge Les Neuf Soeurs, sinngebend gesagt: »Die Frau ist ein menschliches Wesen, das sich anzieht, schwatzt und sich wieder auszieht«? Frei nach dem Motto: Sollten Frauen in die Logen aufgenommen werden, so würde es bald Streitigkeiten und Zwistigkeiten geben und das Band der Freundschaft und des Friedens zerstört werden. Logenbruder und Philosoph Johann Gottfried Herder ergänzt dazu: »Läuft nicht die Phantasie mit euch fort? Ist nicht der gute Trieb bei euch immer voran? Ihr seid zu tätig, zu barmherzig, der Augenblick übernimmt Euch. Auf einmal würdet ihr der gesamten Menschheit helfen wollen und alles verderben.«41 Unglaubliche Worte des so hoch geschätzten Philosophen! Doch woher kommt diese geistige Haltung vieler Mitglieder dieses doch so »humanen und toleranten« Bundes? Zurückzuführen ist sie auf die Alten Pflichten von 1723, der Großlogenverfassung also, in der es im Kapitel »III. Hauptstück – Von den Logen« heißt: »… Diejenigen, welche zur Mitgliedschaft einer Loge zugelassen werden, müssen gute, wahrhafte, freigeborene Männer von reifem und verständigem Alter, keine Leibeigenen, keine Frauenzimmer, keine unsittlichen oder anstößigen Menschen, sondern von gutem Rufe sein.« Nun kann man zu Gute halten, dass in jener Zeit die Emanzipation der Frau noch weit in den Sternen stand, sie aber als »Frauenzimmer« zu titulieren und sie mit Leibeigenen und unsittlichen oder anstößigen Menschen in einen Topf zu werfen, ist eine andere Sache für einen solchen »humanitären« Bund. Als einzige von mir zu dieser Thematik angefragten Großloge antwortete mir der Großmeister der österreichischen Großloge: »Der freimaurerische Gedanke ist kein männliches Privileg oder gar Mo-


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nopol, es gibt seit den frühen Tagen der Freimaurerei Frauenlogen und gemischte Logen. Das, was Damen in Frauenlogen in freimaurerischer Hinsicht tun, entspricht oft exakt dem, was auch bei den Männern stattfindet. In den von Ihnen zitierten Basic Principals ist lediglich festgehalten, dass es in der freimaurerischen Arbeit, das betrifft also die rituelle Arbeit in den Logen, eine strikte Geschlechtertrennung geben muss. Das hat nicht nur historische Gründe, sondern ist auch Ausdruck der vor allem auch von den Frauen unterstützten Erkenntnis, dass sich Männer in Gegenwart von Frauen und umgekehrt anders verhalten und nicht in der Lage oder bereit sind, sich so zu öffnen, wie es für die Arbeit im Rahmen der Selbsterkenntnis notwendig ist. Es gibt also keine Diskreditierung und durchaus Kooperationen zwischen männlichen und weiblichen Logen, wenngleich die weiblichen Logen unter den Gesichtspunkten der von England definierten Regularität der Freimaurerei im Sinne der Basic Principals nicht zugezählt werden.«42 Mit seiner Antwort gibt der Großmeister eigentlich auch schon selbst das Ergebnis vor: Geschlechtertrennung in den Logen muß es geben, weibliche Logen sind »irregulär«. Auch in der jüngeren Vergangenheit blieb es bei dem Frauenverbot, wie unter anderem auch die so genannten »Alten Landmarken« belegen. Darunter verstehen Freimaurer eine »unverrückbare Einrichtung von hohem Alter und bleibendem Traditionswert«, etwas »ewig Dauerndes, keiner Veränderung Zugängliches«, oder wie es der Historiker Henry Sadler 1904 kurz ausgedrückt hat: »Landmarken sind ausschließlich jene Gesetze der Kunst, die allgemein und unwiderruflich sind.« In den Landmarken der Großloge von New York, die in ihrem Gesetzbuch abgedruckt waren, werden beispielsweise weder »Eunuchen« noch »Weiber« für den Freimaurerbund zugelassen. Und der amerikanische Jurist Roscoe Pound spricht davon, dass für den Eintritt das »Erfordernis des männlichen Geschlechts« gelten muß. Selbst in der Neuzeit wird eisern an diesem »Gesetz« festgehalten, wie die United Grand Lodge of England noch 1989 in ihrer »Neufassung der Basic Principles beweist, in denen steht: »Freimaurer … müssen Männer sein, und sie und ihre Logen dürfen keine maurerische Verbindung zu Logen haben, die Frauen als Mitglieder aufnehmen.« Dieses »Frauen ausschließende Element« ging sogar so weit, dass


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in den alten Logen dem Bewerber bei der Aufnahme die linke Brust entblößt wurde, um zu beweisen, dass er ein Mann war. Und neugierige Frauen, die die Geheimnisse der Freimaurerei früher vor Ort, sprich in der Loge selbst, betrachten wollten, mussten damit rechnen, entweder vor die Tür gesetzt, polizeilich entfernt oder gar wegen Hausfriedensbruchs verurteilt zu werden, wie Beispiele belegen. Bei der Einweihung des Londoner Großlogenhauses, der Freemasons’ Hall), 1776 waren 160 Frauen anwesend, die vor Beginn der rituellen Arbeiten der Freimaurer aus dem Raum geleitet wurden. 1882 wagte in Frankreich die Loge Les Libres Penseurs eine Frau aufzunehmen, worauf ihr das Logenpatent entzogen wurde. Daraufhin entstand die »gemischte«, also neben Männern auch Frauen aufnehmende, aber irreguläre Freimaurerei, die »Adoptionsmaurerei«, in Frankreich als Droit Humain (Ordre Maconnique Mixte International = »Internationaler Orden der gemischten Freimaurerei«) bezeichnet. Der Orden ist zwischenzeitlich praktisch weltweit aktiv. In England und Amerika kennt man ihn als Co-Masonary, hierzulande unter dem jüngst (1995) gegründeten »Großorient von Deutschland – Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne«, eine adogmatische Reformmaurerei, bei der Männer und Frauen aufgenommen werden können, sowie in Form des Universalen Freimaurer-Ordens »Humanitas« (gegründet 1959). Doch diese »gemischten« Logen sind nach freimaurerischen Grundsätzen von der »regulären« Freimaurerei nicht anerkannt! So ist zum Beispiel der »Besuchsverkehr« zu diesen Logen und ihren Vereinigungen von der United Grand Lodge für alle ihre Obedienzen untersagt.43 Zudem wurden auch noch spezielle Frauenlogen gegründet, die aber im Sinne der Alten Pflichten ebenfalls irregulär sind, wie beispielsweise die Großloge »Zur Humanität – Bund freimaurerisch arbeitender Frauen«, die sich 2003 umbenannt hat in die »FrauenGroßloge von Deutschland – Bund freimaurerisch arbeitender Frauen« mit Sitz in Berlin. Nach freimaurerischem Verständnis handelt es sich bei diesen Logen um so genannte »Winkellogen«, Logen also, die nicht im »rechten Winkel« sind, sich nicht an die Grundsätze der Freimaurer halten beziehungsweise gegen die alten, überlieferten Regeln verstoßen. Im Nachwort zu Ferdinand Runkels Geschichte der Freimaurerei schreibt Peter Broers noch 2006, dass diese Frauenlogen und zum Teil auch gemischte Logen mit Frauen und Männern


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»keine große Rolle« spielen und meistens im Umfeld einer »regulären« Freimaurerloge entstehen. Beim Genfer Konvent der Association Maconnique Internationale (A. M. I.), der internationalen maurerischen Vereinigung von symbolischen Großlogen, im Jahr 1921, beantragte die Großloge von Frankreich verschiedentlich Frauen aufnehmen zu lassen. Doch der Antrag wurde abgelehnt. In den Grundregeln, 1929 herausgegeben von der Großloge von England als »Stammhalter« der Freimaurerei, war die Aufnahme von Frauen eines der »Kardinalhindernisse für die Anerkennung«. Noch im 18. Jahrhundert schossen die so diskreten und humanen Logenbrüder eine weitere Salve auf das Frauengeschlecht ab, denn sie unterstellten dem »Weib«, dass es von Natur aus zum »Klatschen« neigt und ihm deshalb kein Geheimnis anvertraut werden könne. Schon gar nicht solche der Freimaurerei! Peter Broers meint weiter, dass Frauen »offenbar nicht so sehr zu Verbindungen mit Gleichgesinnten auf der Grundlage ideeller Ziele mit festen Regeln und Formen« tendieren, »die für eine längere Zeit gedacht sind«. Und: »Einer dauerhaften Existenz gemischter Logen steht allgemein entgegen, dass Verhaltensweisen aus Positionen der Über- oder Unterlegenheit entstehen oder einfache Eitelkeiten bei den männlichen und weiblichen Mitgliedern das dauerhafte Gefüge der Gemeinschaft stören.« Andere wiederum behaupteten, »gemischtgeschlechtliche« Geheimbünde müssten vermieden werden, »um sich nicht dem … Vorwurf der sexuellen Zügellosigkeit auszusetzen«, aber das muss bezweifelt werden, »zumal ja gerade reine Männerorden fast unweigerlich den Verdacht geheimer homosexueller Praktiken auf sich ziehen«, meint der Politikwissenschaftler Andreas Gößling dazu.44 Der verstorbene Friedrich-Wilhelm Haack, der als einer der renommiertesten Weltanschauungsexperten in Deutschland galt, stellte bereits 1984 den Freimaurern die »Frauenfrage«. Die Antwort gleicht dem Standpunkt von Broers: »Symbolik und Rituale der Freimaurer sind auf die männliche Psyche zugeschnitten. Es hat im Laufe der Geschichte unseres Bundes nicht an Versuchen gefehlt, Frauen zu initiieren. Diese Versuche sind alle mehr oder weniger bald gescheitert. Damit soll nicht gesagt sein, dass die Frau grundsätzlich nicht initiierbar sei – aber eben nicht mit Hilfe maskulin strukturierter Symbolik …«45


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Freimaurerbruder Bodo Raschke, Mitglied der Kölner Loge »Freimut und Wahrheit zu Coeln« verkündete sogar noch im Oktober 2004 im Deutschlandradio, Berlin, seine »vertrackte« Frauenmeinung: »Wer Freimaurer ist, möchte unter Männern sein. In der Kölner Loge sind – ebenso wie in den meisten Logen der Welt – Frauen grundsätzlich nicht zugelassen … Man könnte das heute natürlich ändern … , ich persönlich muss ihnen auch ganz offen sagen: Ich bin der Meinung, dass es für Männer auch Rückzugsmöglichkeiten geben muss, wo sie sich auf sich selbst besinnen können, wo sie unter sich sein dürfen … Stellen Sie sich doch mal vor, da treffen sich also Männlein und Weiblein in einem stillen Raum. Da gibt es Ehefrauen, die mutmaßen dann, dass diese Männer ihnen dann vielleicht untreu werden könnten. Ich meine, Männer neigen natürlich in Anwesenheit von Frauen gelegentlich dazu, sich etwas gockelhaft zu benehmen, und das würde ja den ganzen Prozess der kontemplativen Beschäftigung mit sich selbst auch deutlich beeinträchtigen.«46 Der Freimaurer Alfried Lehner schlägt in die gleiche Kerbe: »Die Arbeitsmethode der Freimaurer, ihre Symbole und Rituale haben sich über Jahrhunderte in Männergesellschaften entwickelt. Sie sind daher zwangsläufig auf die männliche Psyche abgestimmt, aus der sie hervorgegangen sind.« Und zudem »öffnet« sich auch der Mann »im Bruderkreis mehr als in Gegenwart von Frauen. Man denke vielleicht auch an Eheprobleme, in denen ein Bruder Hilfe sucht. Männer verhalten sich in Gegenwart von Frauen auch anders. Die Gefahr des Spielens einer Rolle ist weitaus größer als im homogenen Kreis. So bringt der uralte und liebenswerte Gott Eros eine Ablenkung, welche die spezifische Arbeitsmethode stören würde.«47 Unglaubliche Worte, die von Freimaurern im 21. Jahrhundert verkündet werden. Mit dieser Argumentation dürfte es keinen »gemischten« Bundestag, keine Frauen im Parlament, in den Chefetagen von Unternehmen und anderswo mehr geben, denn überall könnten sich Männer in der Gegenwart von Frauen »anders« und »gockelhaft« verhalten, eine Rolle »spielen« und wohl durch sexistische Gedanken (Eros) abgelenkt werden. In der Internetloge, dem Informationsportal zur Freimaurerei, betrieben von der Freimaurerloge »Am Rauhen Stein« in Hamburg, ist zu lesen, dass in der Loge das »natürliche sexuelle Spannungsfeld zwischen den Geschlechtern« abwesend sein sollte. »Auch für homoerotische Neigungen ist


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daher kein Platz in der maskulinen Loge.«48 Worte wie aus dem tiefsten und dunkelsten Mittelalter. Damit gibt es nicht nur eine Absage an die Frauen, sondern auch an homosexuelle Männer. Wirklich sehr tolerant die »Brüder im Geiste«! Auf der Homepage der »Großen National-Mutterloge ›Zu den drei Weltkugeln‹« ist noch im Juli 2007 zu lesen gewesen: »Alle diesbezüglichen Abstimmungen (in den Logen, Anm. d. Autors) haben ergeben, dass in den Männerlogen keine Frauen als Mitglieder gewünscht werden.« Diesen Satz müssen wir uns im wahrsten Sinne des Wortes »auf der Zunge zergehen« lassen. Im aufgeklärtesten Jahrzehnt der Menschheit erklären Freimaurer-Brüder, dass sie eigentlich keine Frauen in ihren (»regulären«) Logen sehen wollen. Unglaublich. Und zudem: »Weiterhin haben sich unsere Gremien (also unsere Großlogen und die Vereinigten Großlogen von Deutschland als höchste deutsche Reprräsentanz) dazu bekannt, dass wir bestimmte Regeln einhalten, um ›regulär‹ zu bleiben und mit allen anderen regulären Logen auf der Erde Kontakt haben zu können … Diese und andere Gründe haben dazu geführt, dass keine Frauen aufgenommen werden … (Frauen-)Logen werden im Sinn der männlichen Freimaurerei ›nicht anerkannt‹, andererseits aber akzeptiert …, ›gemischte Logen‹ … werden nicht anerkannt. Die brüderliche/schwesterliche Vertrautheit kann bei dem emotionalen Erlebnis der Tempelarbeit wie auch in internen Gesprächen gestört werden, wenn Männer und Frauen diese in gemischten Logen gemeinsam erleben.«49 Daß die »reguläre« Freimaurerei aber nicht frauenfeindlich ist, so steht es in der 2006 überarbeiteten und aktualisierten Auflage des Internationalen Freimaurer Lexikon, beweise »nicht nur die Überreichung der Frauenhandschuhe bei der Aufnahme (der männlichen Bewerbern oder Suchenden, Anm. d. Autors)«, sondern auch »der in allen Großlogen offizielle Trinkspruch auf die Schwestern, die Schwesternfeste, die Schwesternvereinigungen in vielen Logen und die verschiedenen geselligen Veranstaltungen mit Zuziehung der Frauen. Sie beharrt aber auf einem eher traditionellen Frauenbild, das im Widerspruch von der Vorstellung des reinen Männerbundes steht.« Und weiter: »Bei einem Vergleich von freimaurerischer Arbeit durch Männer und durch Frauen kommt ein lebender Freimaurer zum Schluß, dass es kaum Unterschiede gibt. Er meint aber festhalten zu


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müssen, dass ›Frauen eine andere Denkart haben. Während viele Männer versuchen rational zu klären, erfassen die Frauen mehr intuitiv.‹« Und als Fazit: »Letztlich spiegeln derartig vertrackte Konstruktionen den schwierigen Umgang mit der ›Frauenfrage‹ in traditionellen Männerbünden in Zeiten der Emanzipation und Gleichberechtigung.« Auch das sind nur Antworten, die den wahren Sachverhalt vernebeln. Fakt ist: In maskulinen Logen dürfen Frauen weder an den rituellen Arbeiten, noch an den internen Beratungen teilnehmen. Der Tempel öffnet sich für sie nur bei Jahresendfeiern oder dem Schwesternfest. Bei den Logenreisen, den »karitativen« Aufgaben und bei Vorträgen sind sie willkommen. Mehr aber auch nicht. Deshalb ist die Aussage der Internetloge der Freimaurerloge »Am Rauhen Stein« in Hamburg wahr: »Die Aussage ›Frauen sind von der Freimaurerei ausgeschlossen‹ ist falsch.«50 Ausgeschlossen sind sie von »unwichtigen« Betätigungen (kartative Aufgaben, Vorträgen, Logenreisen und Logenfesten) sicher nicht, dafür aber von der eigentlichen freimaurerischen Betätigung, wie den rituellen Arbeiten und den internen Beratungen. Dennoch stellt sich die Frage, weshalb die »reguläre« Freimaurerei vehement gegen die Aufnahme von Frauen ist. Dadurch scheint sich gar eine »Zweiklassengesellschaft« abzuzeichnen, denn eines der freimaurerischen Hauptziele, nämlich die sittliche Vervollkommnung und Vergeistigung der Menschheit, betrifft so ausschließlich Männer. Der Autor und Journalist Helmut Blazek resümiert, dass sich so »die Schlussfolgerung aufdrängt, Frauen seien für Freimaurer ganz einfach keine Menschen, jedenfalls keine vollwertigen«. In der Freimaurerischen Mitgliederzeitschrift 12/86 kommt der Freimaurer Alfried Lehner, laut Blazek, zu dem Schluß, dass dem Mann (dem Freimaurer) ein süßes Leben erwartet, reich an Macht, während sich die Frau »ihrem Wesen gemäß« auf der »Schattenseite der Existenz abzurackern« hat. »Dazu kommt, dass sie als ›mikroskopischer Winzling‹ freilich keine tiefen Einblicke in die großen, eben ›makrokosmischen‹ Zusammenhänge erhalten kann … Unterordnung wird nicht nur von den Frauen (außerhalb der ›Tempel‹), sondern auch von den in der Hierarchie niedriger stehenden Freimaurern erwartet.«51 Und die Germanistin und Publizistin Elke Müller-Mees kommt zu dem Schluß: »Geblieben ist auch, dass religiös-ethisch-moralische


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Ansprüche, hier Humanität, als Ideologie benützt werden, um handfeste Machtansprüche von Männern übereinander und über Frauen zu legimitieren und zu verbrämen.« Oder, wie es ein Meister vom Stuhl ausdrückte, daß »… der Frauenausschluß nur als Willkürmaßnahme des Mannes in Ausübung seines Macht- und Dominanzstrebens ausgelegt, oder als reine Frauenfeindlichkeit deklariert werden« kann.52 Der Politikwissenschaftler Andreas Gößling kommt in seinem Buch Die Freimaurer – Weltverschwörer oder Menschenfreunde? zu dem bemerkenswerten Schluß: »Eher schafft der Vatikan das Zölibat ab, als dass die orthodoxe Freimaurerei Frauen Zutritt zu ihren Tempeln gewährt.«53 Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland steht in Artikel 3: »Männer und Frauen sind gleichberechtigt … Niemand darf wegen seines Geschlechts … benachteiligt oder bevorzugt werden.« Dieses fundamentale Recht scheint bei den Freimaurern noch nicht angekommen zu sein. Und es erscheint mehr als befremdlich, dass männliche Politiker aller Parteien dennoch Mitglied bei den Freimaurern sind, wie ich noch aufzeigen werde, auch wenn diese gegen das fundamentale Recht der Gleichberechtigung in unserem Grundgesetz verstoßen, also bewusst »Abgrenzungen« betreiben. Einen solchen Politiker zu wählen dürfte schwer sein. Ist das vielleicht ein weiterer Grund, warum sich Politiker nicht als Freimaurer outen?

1.7 Freimaurer und Juden54 Unter König Edward I. waren die Juden aus England ausgewiesen worden (1290). Cromwell versuchte von Holland aus, ihnen wieder ein Siedlungsrecht auf der Insel zu verschaffen und unter Karl II., der von den Juden finanziell unterstützt wurde, gelangten sie wieder nach England. Erstmals tauchen 1723 und 1725 jüdische Namen in den englischen Logenlisten auf. Ob dies am allgemeinen Zeitgeist lag, in der Juden eine untergeordnete Stellung einnahmen und beispielsweise in England erst 1723 das Recht erlangten, Grundbesitz zu erwerben und vor 1753 nicht einmal Staatsbürger werden konnten, oder an einer Schrift über die Dreieinigkeit von James Anderson, dem Autor der Alten Pfichten, also der freimaurerischen »Großlogenverfassung«, die sich sich unter


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anderem auch entschlossen gegen die Juden richtete55, mag dahingestellt bleiben. Fakt war, dass einige Christen Anstoß an freimaurerischen Juden nahmen. 1932 kündigte Henley, ein berüchtigter Straßenredner, eine Rede gegen die »Judenmaurer« an. Die Tranquillity Lodge No. 18 lehnte 1791 sogar die Aufnahme von Juden »für ewige Zeiten« ab. Paradoxerweise wurde sie fast 60 Jahre später, 1849, von jüdischen Maurern wiedererweckt, nachdem sie lange Jahre ruhte. So kam es auch, dass reine »Judenlogen« gegründet wurden, wie beispielsweise Samson 1668 oder Barnato 2265«. Auch in den USA gab es neben anderen auch ausschließlich jüdische Logen. Sie gehörten derselben Großloge an und hielten an der striktesten Einhaltung der Alten Pflichten fest. Dennoch kam es vor allem an der Ostküste zu Spannungen, so dass 1843 in New York von Heinrich Jones, einem ausgewanderten deutschen Maschinenbauer, der »Unabhängige Orden B’nai B’rith« (= United Order of B’nai B’rith (U. O. B. B.) gegründet wurde, der nur Juden aufnahm und -nimmt. Die »Söhne des Bundes« arbeiten an ihrer »moralischen und ethischen Vervollkommnung« und wollen alle Israeliten vereinigen, »zur Förderung der höchsten Interessen der Menschheit« (aus der Satzung der Berliner BertholdAuerbach-Loge III.)56. Der Orden will unpolitisch sein, aber einige seiner Publikationen vertreten eine andere Ansicht. Es heißt, daß der der Einfluß auf die internationale Politik nicht unerheblich sein soll.57 »Die antisemitischen Tendenzen in den Logen des 19. Jahrhunderts waren zweifellos ausschlaggebend für die Gründung von B’nai B’rith, da in den seltensten Fällen Juden der Zutritt zu den Logen gewährt wurde«, heißt es im Internationalen Freimaurer Lexikon auf Seite 140. Denn nur Christen fanden lange und ausschließlich Eintritt in die Logen. Frauen wird der Eintritt in B’nai B’rith verwehrt, hingegen haben die Logen Frauenvereinigungen und Jugendbünde angegliedert. 1882 tauchte er auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten auf. B’nai B’rith ist also ein reiner Männerbund innerhalb der jüdischen Glaubensgemeinschaft, der nach äußeren Kennzeichen in die gleiche Kategorie wie die Freimaurerei gehört, mit dieser aber weder nach Entstehung noch seiner Arbeit oder Organisation zu tun hat. Manche Freimaurer-Großlogen verbieten ihren Mitgliedern sogar den Beitritt. Die völkische Propaganda im Dritten Reich fand im


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B’nai B’rith offenbar die Bestätigung, den Beweis, dass Judentum und Freimaurerei Hand in Hand gingen und mit ihren »geheimen Oberen« eine Weltverschwörung gegen Deutschland anzettelten. Die »Söhne des Bundes« zählten in den 1990er Jahren in 45 Ländern mit rund 1700 Logen über 500 000 Mitglieder, einen bedeutenden Teil davon alleine in den USA. Die europäische Zentrale befindet sich in Straßburg, die deutsche in Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt der Orden von der Bundesrepublik Deutschland Entschädigungsleistungen für seine Verluste während der Naziherrschaft. Unter anderem wurden auch Grundstücke zurückerstattet. Auch in Deutschland hatten die Freimaurer Probleme, Juden in ihre Reihen aufzunehmen, denn diese als »gleichberechtigte« Mitglieder zu betrachten, war eine unmögliche Vorstellung. Antisemitismus pur also. Der Meister der Loge »Drei Weltkugeln« sprach 1763 das aus, was wohl die meisten dachten: nur ein Christ kann Mitglied des Ordens werden. Drei Jahre später wies die Frankfurter Loge »Zur Einigkeit« das Gesuch einer Logengründung in Kassel zurück, weil sich unter den Gründern auch ein »Kind Israels« befand! Erst 1774 gewährte die National-Mutterloge jüdischen Freimaurern wenigstens das Besuchsrecht in den Johannisgraden. Dennoch lehnte sie ihre Aufnahme weiterhin ab. 1815 verweigerten die drei Berliner Großlogen Juden die Zulassung. Einige Jahre zuvor, 1808, gründeten unter der Schirmherrschaft des Grand Orient de France Frankfurter Juden, die in Frankreich in Logen aufgenommen worden waren, die Loge L’Aurore naissante, »Zur aufgehenden Morgenröte«. Freimaurern war diese »Judenloge« freilich ein Dorn im Auge, aber es gelang ihnen nicht, sich ihrer zu entledigen, auch wenn sie mit allerlei »Tricks« arbeiteten, wie beispielsweise der Einführung des christlichen Prinzips. Als die »Judenloge« dann auch noch von der englischen Großloge legalisiert wurde, fühlten sich die christlichen Freimaurer brüskiert, erklärten der englischen Mutterloge demonstrativ den Austritt und gründeten die unabhängige »Große Mutterloge des Eklektischen Bundes«, die sich später spaltete und 1933 bei der Machtübernahme der Nazis auflöste. Auf meine diesbezügliche Anfrage bei den deutschen Großlogen erhielt ich keine Antwort. Wieder war es der österreichische Großmeister, der mir mitteilte: »In Österreich gibt es aus einer Reihe von Gründen kein historisches und schon gar kein aktuelles antisemiti-


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sches Problem. Das hat mit der wenig christlichen und stark layizistischen Tradition der österreichischen Freimaurerei zu tun und mit dem traditionell relativ hohen Anteil an Juden in der österreichischen Freimaurerei. Auch wenn es den einen oder anderen ›Fall‹ in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gegeben haben mag, ist die österreichische Freimaurerei mit diesen punktuellen Fällen immer sehr rasch und sehr gut fertig geworden. Dass zur Nazizeit die österreichischen Freimaurer genauso wie die Juden und auch deswegen, weil es hier viele Überschneidungen gab, verfolgt wurden, ist wohl eine bekannte Tatsache.«58 Doch die Wirklichkeit sah vielen Orts anders aus: Selbst jüdische Brüder englischer Logen wurden nicht einmal mit ihren Ausweispapieren zu den meisten preußischen Freimaurerlogen zugelassen. Erst 1841 nahm eine Tochterloge der Großloge von Hamburg einen Juden als Vollmitglied auf. Eine Sensation in Deutschland! Die NationalMutterloge beharrte dagegen immer noch streng auf dem christlichen Prinzip. Der Antisemitismus in den Freimaurerlogen nahm solche Ausmaße an, dass sogar der »Deutsche Großlogenbund« reagieren musste und 1881 »angesichts der traurigen, für unsere Zeit unerhörten Vorgänge, die an längst versunkene Jahrhunderte erinnern« eine Erklärung gegen diese Judenfeindlichkeit herausbrachte. Er bezeichnete es als Pflicht »alle Bundeslogen und ihre einzelnen Mitglieder aufzufordern, der so genannten antisemitischen Ausschreitung entschlossen und energisch entgegenzutreten«. Antisemitismus unter Freimaurern wurde scheinbar auch in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg betrieben. »Zweifellos konnten sich vielfach Freimaurer der Zwischenkriegszeit dem anschwellenden Antisemitismus nicht entziehen, der vielfach lagerund klassenübergreifend die Gesellschaft durchsetzte … Zweifellos sind aber auch in der Freimaurerei, die ja nur ein Spiegel der Gesellschaft sein kann, antisemitische Traditionslinien eingeflossen«, heißt es dazu im Internationalen Freimaurer Lexikon. In einigen Großlogen glaubte man dem Antisemitismus »auch aus Opportunitätsgründen namhafte Konzessionen machen zu müssen«. Einige sahen ein, dass sich all dies nicht miteinander vereinbaren ließ, entfernten Unruhestifer und bekannten sich zu Toleranz. Dennoch führte die »antisemitische Frage« letztlich zur Sprengung des »Deutschen Groß-


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logenbundes«. Das ist schlimm und bedenklich genug und kann meines Erachtens nicht entschuldigt werden, obwohl es aus Freimaurerkreisen heißt: »All das ist als bedauerliche Zeiterscheinung zu verzeichnen, hat aber mit dem wahren Inhalt der Freimaurerei nichts zu tun und wird von den Geistigen aller Lehrarten abgelehnt.«59 Obwohl Antisemitismus und Freimaurerei dem Sinn nach unvereinbar sind, scheint interessant und sehr bemerkenswert für einen »humanitären« Bund, dass es viele Jahre »antisemitische Tendenzen« in den Freimaurerlogen gegeben hat und Juden deswegen sogar ihre eigenen Logen, beispielsweise B’nai B’rith, gründen mussten. Unter dem Stichwort »Rassenhass« finden wir im Internationalen Freimaurer Lexikon folgendes: »Rassistisch motivierte Ausgrenzung liegt eindeutig in jenen freimaurerischen Milieus des 19. und 20. Jahrhunderts vor, die Juden (z. B. Amerika, Deutschland) oder Farbige (z. B. Nordamerika) nicht aufnahmen …«60 Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

1.8 Freimaurer und Behinderte61 Ein weitgehend unbekanntes Kapitel ist das der Freimaurerei in bezug auf den Umgang mit Behinderten. Im Vorwort des Internationalen Freimaurer Lexikons heißt es, dass die »Alte Pflicht« an die »gemeinsame Sittlichkeit« appelliert. Dennoch scheint diese nicht nur »verschroben«, sondern nach heutigen Maßstäben auch »diskriminierend« zu sein, wenn es um eine bestimmte Menschengruppe geht: die Behinderten. So heißt es in den Alten Pflichten im »IV. Hauptstück – Von den Meistern, Aufsehern, Gesellen und Lehrlingen« betreffs Freimaurerbewerbern: »Nur das mögen Bewerber wissen, dass kein Meister einen Lehrling annehmen darf, wenn er nicht hinlänglich Arbeit für ihn hat und solcher ein vollkommener Jüngling ist, ohne körperliche Mängel und Gebrechen, welche ihn unfähig machen könnten, die Kunst zu erlernen, dem Bauherrn seines Meisters zu dienen …« Diese Auslegung der Alten Pflichten führte dazu, dass insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika keine »Krüppel« oder »Verstümmelten« (Internationales Freimauer Lexikon) in die Freimauerlogen aufgenommen wurden.


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Konkret heisst es weiter in den »Alten Landmarken«, dem »Grundgesetz« der Freimaurer: »Frauen, Krüppel und Sklaven können nicht (dem Freimaurerbund, Anm. d. Autors) beitreten.«62 Doch durch den Ersten Weltkrieg milderten die Logen diese Bestimmungen ab. Um jedoch die Alten Pflichten nicht zu verändern, erteilte der jeweilige Großmeister in den einzelnen Fällen Dispens, also eine individuelle Ausnahmebewilligung. So stellt sich eben die Frage nach der »körperlichen Eignung zum Freimaurer« (»physical qualification of candidates for Masonry«). In den alten Zünfteordnungen, die in die Alten Pflichten mit eingeflossen sind, wird nur Menschen mit »geraden Gliedern und geeignetem Körperbau« Aufnahme gewährt. Daraus resultiert, wie oben bereits erläutert, dass Freimaurer nur werden kann, wer ohne »körperlichen Mangel und Gebrechen« ist. Erstmals wurden 1782 und 1803 in Frankreich vom Grand Orient de France« Blinde für die Loge zugelassen, »obwohl der sinnfällige Charakter der Symbolik der Aufnahme von Sinneskrüppeln Schwierigkeiten bereiten muss« (Internationales Freimaurer Lexikon). In Deutschland sprach sich noch 1854 die »Große Landesloge von Sachsen« gegen die Aufnahme von Blinden, Tauben und Taubstummen aus. Und in Irland wurden betreffs »körperlich Verstümmelter« noch 1855 Schwierigkeiten gemacht, die darin gipfelten, dass die Großloge ein grundsätzliches Aufnahmeverbot gegen »Lahme und Verkrüppelte« erließ. Teilweise hielten in den USA die konservative Auslegung der Alten Pflichten noch bis ins 20. Jahrhundert an. Dabei spielten ebenfalls wieder die »Alten Landmarken« eine Rolle. Diese besagten, dass »Frauen, Krüppel und Sklaven« nicht in den Freimaurerbund eintreten konnten! Im Gesetzbuch der Großloge von New York heißt es dazu: »… Jeder Kandidat für die Ehren der Freimaurerei muß sein ein Mann, frei geboren …, ohne Fehler an Leib und Seele, die ihn untauglich machen könnten, die Kunst zu lernen und auszuüben …« Das Ganze ist ein Armutszeugnis für die doch so weltoffenen, toleranten und sozialen Gesinnungsbrüder, ja für die ganze Freimaurerei! Eine Diskriminierung für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe. Und auch hier wieder: um nicht gegen die Alten Pflichten oder »Landmarken«63 zu verstoßen, erteilt der jeweilige Großmeister im Einzelfall eine Aufnahmebewilligung von Behinderten. Warum, so


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müssen sich die Freimaurer die Frage gefallen lassen, werden diese alten Bestimmungen nicht einfach geändert? Selbst in der Neuzeit halten einige Brüder im Geiste trotz »Reformation« beharrlich daran fest, wie die »Unabhängige Freimaurerloge Wien« beweist. Sie hat in den Jahren 1974 und 1975 Neue Pflichten eingeführt, die als Ergänzung der Alten Pflichten gedacht sind. Darin heißt es: »Seit dem Jahre 1717 hat sich die Freimaurerei vielfältig entwickelt; welche Richtung aber freimaurerisches Bemühen auch immer einschlug, es blieb stets den Alten Pflichten der Anderschon’schen Konstitution unterworfen. Die Alten Pflichten sind nicht nur ein ehrwürdiges Dokument der Humanität, auf ihnen beruht auch alle freimaurerische Arbeit, die auf selbstständiges Denken und verantwortliches Handeln des Menschen zielt. So stellen die Alten Pflichten heute das Bindeglied zwischen den verschiedenen Gruppen der Freimaurerei dar. Ihre Befolgung soll auch weiterhin verbindlich bleiben.« Und weiter: »Ihr sollt daher jeden als Bruder ansehen, der sich zu den Alten Pflichten der Anderson’schen Konstitution bekennt.« Und wie sieht das heute aus, im Jahr 2007? Das Internationale Freimaurer Lexikon erwähnt, dass in Europa »heute allgemein nach gesundem Körper des Suchenden nicht gefragt« wird. Doch ist das wirklich so? Ich frage nach. Doch weder die deutschen, noch die Schweizer Großlogen wollen sich dazu äußern. Einzig und alleine der Großmeister der »Großloge von Österreich«, Michael Kraus, schreibt mir: »Die von Ihnen hier zitierte Stelle aus den Alten Pflichten hat schon zum Zeitpunkt ihrer Redaktion im 18. Jahrhundert mehr symbolischen als praktischen Charakter gehabt. Körperliche Behinderungen waren nie ausschlaggebend für eine Mitgliedschaft und gemeint war damals und ist heute noch die charakterliche, aber nicht die physische Eignung eines Kandidaten. Wir haben in unseren Reihen eine ganze Reihe von Brüdern mit körperlichen Gebrechen.«64 Dass diese »Behinderten-Bestimmung« jedoch keineswegs nur einen »symbolischen« Charakter hatte, habe ich bereits erwähnt. Peter Wendling meint in seinem Buch Logen, Clubs und Zirkel (auch auf Frauen bezogen) dazu: »Hier fällt der ansonsten in sich geschlossene Toleranzgedanke (der Freimaurer, Anm. d. Autors) wie ein Kartenhaus zusammen, und sogar Spendenaktionen für Behinderte und andere Hilfsbedürftige werden hiermit zur Farce. Der Gedanke


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könnte sich aufdrängen, dass der vielgepriesene Humanismus nicht viel mehr wert ist als das hellblaue Papier, auf dem freimaurerische Ideale bevorzugt gedruckt werden.«65

1.9 »Magische« und »okkultistische« Freimaurerei66 Über die Thematik der »magischen« oder »okkultistischen« Freimaurerei wird von der »Diskreten Gesellschaft« nach außen hin nicht viel oder äußerst selten gesprochen. Haftet ihr doch der Geschmack von etwas »Verruchtem« und von Verschwörungstheorien an, die Freimaurerei und Satanismus in Verbindung bringen. Bevor ich näher darauf eingehe, möchte ich zunächst die Begriffe »Magie« und »Okkultismus und Satanismus« allgemein erklären.

1.9.1 Magie Magie ist die »Zauber- und Geheimkunst«, die Wesen und Gegenständen besondere Mächte, Kräfte und Energien zuschreibt. Sie ist die Kunst, mit Hilfe von Beschwörungen, Zauberei und rituellen Handlungen Macht über die Natur und den Menschen auszuüben. Magie ist eine »Wissenschaft der Natur«, die den Menschen in die »Geheimnisse der Göttlichkeit« einweiht, wie Alphonse Louis Constant, besser bekannt als Eliphas Levi (1810–1875), der wohl beste Kenner der Magie und größter Okkultist des 19. Jahrhunderts, in seiner Geschichte der Magie erklärt. Levi war auch Freimaurer, eingeweiht 1861 in die französische Loge La Rose du Parfait Silence, aus der er infolge von Kritik wieder austrat. Der Magier will aber seine Umwelt nicht nur beherrschen, sondern sie auch so manipulieren, dass sie in seine Dienste tritt. Hinzu kommt die (scheinbare) Fähigkeit sich ein Bild, ein Ziel, solange einzubilden, bis es »erschaffen« und damit »wirklich« ist. Magie also als »Kunst des Wollens und Macht des Willens«. Der große Leitsatz der Magie lautet: »Was oben ist, ist wie das, was unten ist, fähig, die Wunder des Einen auszuführen«. »Wie oben, so unten, also wie im Himmel so auf Erden« (oder: »Wie im Kleinen, so im Großen«). Gemeint ist damit,


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ausgehend von einem magisch-mystischen Hintergrundsgedanken, dass der Mensch das winzige Ebenbild Gottes ist und damit den Mikrokosmos und Gott (»das ins Riesenhafte projizierte Bild des Menschen«), den Makrokosmos, symbolisiert. Ereignisse und Taten auf der Erde entsprechen somit denen in höheren Sphären und umgekehrt. Die Kräfte des Universums werden sich oben so verhalten, wie sich der Magier unten, in seiner Welt, verhält. Und auch hier ist das »Große Geheimnis« die »Göttlichkeit des Menschen«. Das »große Werk« in der (weißen) Magie ist also, selbst Gott zu werden. Denn der »vollkommene« Mensch kennt nicht nur alle Dinge, sondern beherrscht sie auch. In der Schwarzen Magie will der Mensch nicht nur »Satanas« (Levi) erschaffen, sondern selbst zum »Satanas« werden, sich damit zum Herrn über Leben und Tod aufschwingen und die absolute Macht über das Universum erringen. »Schwarze Magie«, die »magia daemonica« (oftmals auch mit der »Goetie«67 gleichgesetzt), wird auch als schlechte, böswillige, schädliche, destruktive Magie bezeichnet und umfasst Schadenszauber und die Erreichung der Ziele mithilfe von Dämonen und dunklen Mächten. Sie soll Lebewesen negativ beeinflussen, ihnen Schaden zufügen und steht auch für Dämonen- und Totenbeschwörung. »Weiße Magie«, die angeblich »göttliche Magie« (Theurgie)68 hingegen gilt als »gute« Magie, als Magie der Liebe. Sie umfasst unter anderem die Abwehr von Dämonen und dunklen Mächten mit Hilfe von Gebeten und Amuletten, Engeln und guten Geistern, wird zum Helfen, Heilen, zur Verbesserung von mitmenschlichen Beziehungen sowie zur Abwehr des Bösen benutzt.

1.9.2 Okkultismus und Satanismus Okkultismus wird mit »Geheimwissenschaft« und der »Lehre von den verborgenen Dingen« gleichgesetzt und ist in der Praxis umgesetztes Geheimwissen. Sie umfasst alle Praktiken und Lehren, die durch die Naturgesetze nicht erklärbare Phänomene betreffen, also religiöse Geheimlehren genauso wie beispielsweise die Theosophie, Mystik, Magie, Alchemie, den Spiritismus, die Astrologie, Gnosis sowie das Einweihungs- und Geheimlogenwesen. Eine wichtige Rolle spielt auch der politische Okkultismus, der den Einsatz okkulter


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Mittel befürwortet, um auf die Politik einzuwirken oder eine bestimmte Politik durchzusetzen. Die extremste Form des Okkultismus ist der Satanismus als die rituelle Verehrung und Verherrlichung des Bösen (Satans oder des Menschen, des eigenen »Ich’s«), die Bejahung der Unordnung, die Verneinung der Vernunft und der sozialen Pflichten, das bewusste Brechen von Tabus, die Übertretung der gesellschaftspolitischen und juristischen Gesetze, das Praktizieren verschiedener Rituale, die Ausführung Schwarzer Magie, um schadend und manipulierend auf die Umwelt oder die Mitmenschen zu wirken, Verspottung und Ablehnung des Christentums (zum Beispiel in der Schwarzen Messe), die Verhöhnung ethischer und humaner Werte sowie die Ausübung der Sexualmagie. Im »historischen« oder auch »rationalistischem /okkulten« Satanismus wird der Teufel, Satan, Luzifer als Symbol der wirklichen Gegenwart und als Gegenspieler Gottes verehrt, das Weltbild der Bibel also weitgehend akzeptiert. Im »Neo-Satanismus«, auch »ritueller« Satanismus genannt, steht die Selbstvergötzung, die religiöse Selbstverherrlichung des Menschen im Mittelpunkt. Es gibt keinen »externen« Gott mehr, jeder Mensch ist »einzigartig und königlich, der Mittelpunkt des Universums«.

1.9.3 »Magische« und »okkultistische« Freimaurerei In diesem Kapitel möchte ich mich ausdrücklich nicht mit den weltverschwörerischen Vorwürfen beschäftigen, dass Freimaurer mit dem Teufel paktieren, Schwarze Messen abhalten oder gar Menschenopfer darbringen (siehe dazu auch den Abschnitt 1.10 »Verschwörungstheorien: Freimaurer, ›Herrscher der Welt?‹«), sondern mit den magischen, okkulten und esoterischen Strömungen, Personen und Weltanschauungen innerhalb der Freimaurerei, die nachweisbar und belegbar sind. »Schau in dich. Schau um dich. Schau über dich!« Das sind die drei Leitsätze der Freimaurerei für die Arbeit am rauhen Stein, die den Lehrling, den Gesellen und den Meister betreffen. Im 18. Jahrhundert erlebte vor allem in Frankreich Magie und Okkultismus eine Renaissance. Auch »edle« und gebildete Menschen frönten und huldigten ihm schon fast wahnhaft. Freimaurer


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ließen sich ebenfalls zur Esoterik hinreißen und beschäftigten sich ernsthaft mit Magie. Sie sahen dabei die freimaurerischen Lehrbilder nicht mehr im Sinn des Humanitätsideals, des Baus des Menschheitstempels, obwohl sie mit ihren Logen eigentlich »Horte der Aufklärung« sein wollten. »Im 18. Jahrhundert war die Freimaurerei in Frankreich und Deutschland Einflüssen der Magie ebenso wie solchen der Alchemie, der Kabbala und der Mystik ausgesetzt«, gestehen die Freimaurer selbst. »Ihre Symbolik … wurde von manchen Systemen mit Magie förmlich durchtränkt.«69 Verschiedene Strömungen, wie beispielsweise die Gold- und Rosenkreuzer, die sich durchwegs auf freimaurerische Kreise stützten, verbanden ihre eigenen Anschauungen und Ideen mit freimaurerischen Ritualen, in dem sie die äußere Form der Freimaurerei für sich selbst annahmen. Sie gaben sich als Freimaurer aus, wie sich umgekehrt die Freimaurer auch als Gold- und Rosenkreuzer ausgaben, beriefen sich auf Andersons Konstitutionen und deuteten an, die Freimaurerei sei »Trägerin geheimer Kenntnisse des Wissens um letzte Dinge, die ihr von Weisen des Altertums, so Pythagoras und Zoroaster, überkommen seien«. Von der Rosenkreuzerei ging also eine freimaurerische Magie aus, ein magischer Katechismus, in dem auch Totenbeschwörung eine Rolle spielte und in der Okkultisten den freimaurerischen Symbolen eigene Deutungen gaben. So wurde König Salomo zu einem großen jüdischen Magier, dessen Kräfte man auch dem Großmeister zuschrieb. In manchen Logen wurde gar nach dem Stein der Weisen gesucht. Diese phantastischen Auslegungen kamen insbesondere in den Hochgradsystemen zur Geltung. Der französischen Version des »Royal Arch« nach – einem wichtigen Grad in den angelsächsischen Ländern, der zuerst als höhere Abteilung und Vervollkommnungsstufe des Meistergrades eingeführt worden war – sollten sich auf dem Grundstein des Salomonischen Tempels geheime Zeichen befinden, die dem Eingeweihten offenbar die Gabe verliehen Gold zu machen! Insbesondere in den »schottischen Graden« waren viele hermetische Symbole zu finden. So beeinflussten nicht nur Astrologen und Kabbalisten, Theosophen und Visionäre, sondern auch Alchimisten und Magnetiseure zahlreiche Riten der Freimaurer. In einigen Logen fanden auch spiritistische Sitzungen statt, wurden Propheten »gesichtet« oder gar der Stein der Weisen im


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eigenen Urin gesucht! Auch in Deutschland griff dieser okkulte und spiritistische Spuk in seiner wüstesten Form unter den Freimaurern um sich: scheinbar wurde Gold gebraut und einzelne Personen verstanden es meisterhaft, einen »wahren Hexensabbat um sich zu entfesseln«. Andere wiederum versumpften in zutiefst mittelalterlicher Mystik, bekannten sich fanatisch zur Rosenkreuzerei und hielten die »Lehre von der Gemeinschaft mit den Geistern« für das einzige wahre Wissen. »Aber nicht nur in Frankreich, sondern auch in den anderen Ländern fanden sich zahlreiche Jünger solcher freimaurerischen Verirrungen, die sich in alle Systeme einzunisten trachteten, so dass sich innerhalb der Freimaurerei eine Art okkultistische Internationale bildete« (Internationales Freimaurer Lexikon, S. 623). Doch während es noch an einer Stelle heißt, dass mit der Jahrhundertwende dann »im Allgemeinen der Spuk zu Ende« war, heißt es an anderer: »Auch in der Zwischenkriegszeit waren okkulte Bestrebungen in der Gesellschaft und damit auch in einzelnen Freimaurergruppen deutlich erkennbar« (Internationales Freimaurer Lexikon, S. 622). Die »Hinneigung zur esoterischen Seite der Freimaurerei« war also doch nicht vorbei und auch heute scheinen sich »mancherorts in kleinen Zirkeln« Brüder im Geiste an die okkultistische Freimaurerei und die damit verbundene Symbolik anzulehnen. Hier herrscht die Ansicht, dass Freimaurerei »erlebt« werden muss, das Zeremoniell das Abbild einer »tieferen Wirklichkeit« sei, an der jeder Eingeweihte teilhaben kann, »Bildung an sich ein Ballast« wäre, der »nicht zur wahren Erkenntnis« führe und die »lebende Tradition« die »Kollektivität der in der Vergangenheit Initiierten« sei und die freimaurerischen Werkzeuge (wie beispielsweise Meißel, Hammer, Zirkel, Brecheisen, Winkelmaß, Kelle, Wasserwaage, Senkblei, Akazienzweig) würden dem Eingeweihten helfen, sich den »wahren Sinn« der Freimaurerei zu erarbeiten. Selbst der Totenschädel wird okkultistisch gedeutet und der »Akt der Einweihung gibt im erhöhten Maß Anlaß zu okkulten Deutungen« (Internationales Freimauer Lexikon, S. 624). So symbolisiert (nach Oswald Wirth) beispielsweise der Meißel die »unerschütterliche Energie«, das Brecheisen die »unwiderstehliche Macht«, den »Willen«, der Zirkel die »Vernunft«, die Setzwaage die »Gleichheit« aller, das Winkelmaß die »Soziablität«. Schon alleine das »magische« oder »religiös verbrämte« Brim-


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borium einer Loge – ohne näher darauf einzugehen, denn das würde den Rahmen dieses Buches sprengen – gibt aufgeklärten Menschen doch zu denken, denn hier finden neben dem Altar beispielsweise auch Totenschädel, Logenschwert und Dolch sowie das Pentagramm (als »Flammender Stern«) seinen Platz. Dieser Flammende Stern symbolisiert die »eigentliche Einweihung, die Illumination, also die Erleuchtung«, die Erweckung des »sozialen Bewusstseins, sowie den »erwachenden und reifenden Geist« und deutet dem »Suchenden« den Weg zum Licht, zum Lebenssinn. Neben dem Pentagramm sind in einer Loge auch noch das »Mosaische Pflaster« zu finden, eine Nachbildung des Pflasters, das sich im biblischen Salomonischen Tempel befunden haben soll, zwei Säulen (»Jachin« und »Boas«) sowie der »Thron« des Meisters. Und auch ein Sarg darf nicht fehlen, als Symbolstück im Wiedergeburtskult des freimaurerischen Rituals, mit dem Kopfende zur Tür, also gen Westen zeigend (beim Meisterritual). Das alles wird noch angereichert durch fast lächerlich70 wirkende Namen des »Bruder Erster Aufseher«, der auch »Schrecklicher Bruder« genannt wird (beispielsweise bei der Aufnahme eines Neulings), oder der »Kammer der verlorenen Schritte« (in der mitunter Leuchter und Totenschädel stehen). Hier wird der Neuling auch mit einem Skelett konfrontiert, das ihn dazu bewegen soll über die Nichtigkeit irdischer Dinge und die Vergänglichkeit des Seins nachzudenken! Zu Beginn der Aufnahme in den 4. Grad mancher Johannis-Logen wird der »vollkommene Meister« mit einem Strick um den Hals in die Loge geführt. Beim »Meisterritual« wird auch das Mysterienspiel des »Sohns der Verwesung« gespielt: Der Meister vom Stuhl stellt »König Salomo« dar, der Zeremonienmeister und die Aufseher wie auch drei »Mörder« sind ebenfalls anwesend. Der Meisteranwärter spielt also den Maurer-Messias Hiram, der ermordet wird. Der Erste schlägt ihm mit einer Messlatte »quer über die Gurgel«, der Zweite schlägt ihm den Winkel auf die linke Brustseite und der Dritte schwingt den Spitzhammer und zertrümmert ihm den Kopf. Alles nur symbolisch natürlich. Der so gemeuchelte Meisteranwärter liegt nun »tot« auf dem Boden, das rechte Bein angewinkelt, zugedeckt mit einem Tuch, das einen Grabhügel darstellen soll, darauf gelegt ein Akazienzweig. Nun wird versucht, den »Toten« wiederzuerwecken, mit dem Lehrlingswort (»Jachin«), mit der Formel aus der Hiramslegende


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(»Die Haut löst sich vom Fleische«) und mit dem Gesellenwort (»Boas«). Doch das misslingt, so dass das »Notzeichen der Meister« alle übrigen Logenbrüder herbeiruft (»Zu Hilfe, ihr Söhne der Witwe!«), die nun um den »Toten« herumstehen, das »Zeichen des Schreckens« vollführen und laut »Mach-benak« oder »Moabon« rufen. Dieses neue Meisterwort, das so viel wie »Sohn der Verwesung« oder »Sohn der Witwe« heißt, erweckt den »Toten« mit einem bizarren Ritual wieder zum Leben. »Der Meister ›erhebt‹ den Erwachenden, steht Brust an Brust mit ihm, Fuß an Fuß, Knie an Knie, Hand in Hand, die linke Hand um den Nacken des Erweckten geschlungen. So flüstert er ihm das magische Meisterwort ins Ohr: ›Moabon‹« (»Gößling«). Mit »jubelnder Musik« schließlich wird der neugeweihte Meister zum Meistertisch geleitet. Der »bedeutendste Vertreter der ›modernen‹ mystischen Maurerei« (Karl R. H. Frick) war z. B. Oswald Wirth (1860–1943), Mitglied der Loge Travail et Vrais Amis fidèles (Grande Loge de France) und des »Obersten Rates des A. u. A. Schottischen Ritus«, Herausgeber einer Freimaurer-Zeitschrift und verschiedener Bücher. Er wird jedoch durch seine Logenbrüder keinesfalls kritisiert, sondern als »besonders verdient« aufgrund seiner Freimaurer-Werke betrachtet, die sich unter anderem mit alter Alchemie und dem Symbolismus der hermetischen Maurerei beschäftigten. Für ihn war die moderne Freimaurerei die Fortentwicklung der hermetischen Philosophie. Ein anderer war Jean-Baptiste Willermoz (1730–1824), der in der Freimaurerei der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine führende Rolle spielte; einst Großmeister einer der drei Lyoner Logen. Er suchte in der Freimaurerei die mystische Welt des Okkulten. Zusammen mit seinem Bruder beeinflusste er alle maurerischen Zentren Lyons, besaß starke okkultistische Neigungen, veranstaltete spiritistische Seancen und entwickelte ein neues esoterisches Freimaurersystem. In ihm versuchte er intensiv traditionelles esoterisches Wissen im Rahmen einer »klassischen« Geheimgesellschaft weiterzuvermitteln. Und auch Dom Antoine Joseph Pernetty (1716–1796) spielte eine große Rolle in der okkultistischen Freimaurerei. Er gründete das hermetische freimaurerische System Illuminés d’Avignon, eigentlich eine alchemistisch-theosophische Geheimgesellschaft, die nichts mit dem berüchtigten »Illuminaten-Orden« zu tun hatte, und schuf inner-


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halb der Aristrokatenloge Les sectateurs de la vertu ein weiteres neues System, den Rite hermétique beziehungsweise den Rite de Pernetty. Zunehmend verfiel er der Mystik und kam sich als Neugeborener, Seher und Erleuchteter vor, suchte den »Stein der Weisen« und nahm auch eifrig an den Arbeiten der Berliner okkultistischen Maurerzirkel teil. Martines des Pasqually (?–1774) erschuf mit seinem Elus Coens ein okkultistisches Hochgradsystem, dessen Mitglieder glaubten, mit magischen Übungen (»Vertus actives«) mit der Göttlichkeit in Verkehr treten zu können, um dadurch unsterblich zu werden! Mit eine sehr gewichtige Rolle zu jener Zeit spielte natürlich auch der wohl bedeutendste Kenner und größte Okkultist des 19. Jahrhunderts, der katholische Ex-Priester Alphonse Louis Constant, besser bekannt als »Magier« Eliphas Levi (1810–1875). Er wird als der Begründer des »modernen« Okkultismus in Frankreich gesehen, der nicht nur Kontakte zu den Rosenkreuzern, sondern auch zu mystischmaurerischen Zirkeln suchte und der einen »großen Einfluss auf den Satanismus zu Ende des 19. Jahrhunderts« ausübte (Karl R. H. Frick). Mit Unterstützung des Freimaurerhistorikers und Hochgradmaurers Jean-Marie Ragon (1781–1862) veröffentlichte er sein Werk Dogme de la Haute Magie, in dem er die theoretische Kabbala und Magie darstellte. Wenig später folgte der zweite Band, in dem es um praktische Magie, ihre Rituale und Zeremonien ging. Levi wurde am 14. März 1861 in Paris in die französische Freimaurerloge La Rose du Parfait Silence (gegründet am 7. Dezember 1812) eingeweiht. Ob er Hochgradmaurer war, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Doch sein Gedankengut beeinflusste nicht nur die »Geheimlehre« der Theosophin Helena Blavatzky (1831–1891), sondern auch die »Morals and Dogma« des Ideologen des »Alten und Angenommenen Schottischen Ritus der Hochgradmaurer«. Infolge abfälliger Kritik an einem seiner Vorträge soll Levi wieder aus der Freimaurerloge ausgetreten sein, wie im Internationalen Freimaurer Lexikon zu lesen ist. In Karl R. H. Fricks Standardwerk Licht und Finsternis – Okkulte Geheimgesellschaften bis zur Wende des 20. Jahrhunderts, in dem er sich ausführlich mit der Biographie Levis beschäftigt, findet sich jedoch kein Hinweis über seinen Austritt aus der Freimaurerloge und das, obwohl der dem Freimaurer-Sachverhalt ein eigenes Kapitel mit der Überschrift »Constant als Freimaurer« (S. 400 ff.) gewidmet hat.


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Selbst Freimaurer-»Vorzeige«-Bruder Johann Wolfgang von Goethe soll darin verwickelt gewesen sein: »Goethes Faust hat das ganze Spektrum der herkömmlichen Wissenschaften studiert … Jedoch ist er am Ende seiner Weisheit angelangt und empfindet Auswegslosigkeit. Er weiß immer noch nicht, ›was die Welt im Innersten zusammenhält‹. Deshalb ist er bereit, die konventionellen Wege der Wissenschaft zu verlassen und sich der Magie hinzugeben.«71 Als »Verteidigung« beziehungsweise Erklärung dieser »magischokkultistischen« Freimaurerei erklärt der Großmeister der »Großloge von Österreich«: »Die hier von Ihnen zitierten okkultistischen/esoterischen Umstände aus der Geschichte haben für die heutige Freimaurerei überhaupt keine Bedeutung und es muss in diesem Zusammenhang auch noch einmal grundsätzlich darauf hingewiesen werden, dass sich viele Verirrungen und Entwicklungen in der Vergangenheit des freimaurerischen Etiketts bedient haben, ohne dort wirklich dazuzugehören. Wie bereits erwähnt, der Begriff Freimaurerei ist nicht geschützt und kann von jedem gebraucht respektive missbraucht werden. Richtig ist sicherlich, dass es in der Vergangenheit immer wieder Entwicklungen auch innerhalb der Freimaurerei gegeben hat, die in dieses mystische, okkultistische oder wenn Sie wollen auch schwärmerische abgeglitten sind, das hat aber aus heutiger Sicht überhaupt keine Bedeutung für die Wesenselemente der Freimaurerei, die dafür maßgeblich sind, dass die Organisation als solches in ihren Grundstrukturen gute 300 Jahre überlebt hat.«72 Doch wie bereits aufgezeigt und wie noch zu zeigen sein wird, haben diese »Entwicklungen« durchaus noch eine Bedeutung für verschiedene »Wesenselemente« der Freimaurerei. In der Hiramslegende hat der Meistergrad der Johannismaurerei ebenfalls esoterische Bezugspunkte.73 Der Freimaurer Alfried Lehner meint noch 1997 in seinem in der 4. Auflage erschienenen Buch Die Esoterik der Freimaurer: »Diese esoterische Tradition stellt die unmittelbare Verbindung her zu einem Brauchtum, das aus vielen Quellen in die Freimaurerei eingeflossen ist und das den Freimaurerbund von anderen Vereinigungen mit ähnlichen ethischen Zielen grundlegend unterscheidet. Es besteht in der Pflege altehrwürdiger Rituale, in welchen mithilfe von Symbolen Bereiche der menschlichen Seele angesprochen werden, an die Worte nicht mehr heranreichen.«74 Das Symbol soll auch Abstraktes in Gegenständliches überführen


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und auch verhüllen, denn nur ein eingeweihter Kreis weiß von dessen Bedeutung und Nichteingeweihten bleibt die Bedeutung verschlossen. Die Symbole der Freimaurerei gliedern sich in Worte, Bilder und Handlungen. »Vom rechten Weg abgeirrte Freimaurer jener Tage haben nachzuholen versucht, was ihnen der Volksglaube schon lange zuschrieb«, steht im Internationalen Freimaurer Lexikon (S. 538) hierzu zu lesen. »Noch heutigentags lässt ja der Aberglaube die Freimaurer einen Teufelspakt unterzeichnen, schreibt ihm außergewöhnliche Fähigkeiten, wie die der Verwandlungsfähigkeit, unermesslicher Reichtümer, die Fähigkeiten des Ferntötens u. a. zu … Es ist jedenfalls eine eigenartige Erscheinung, dass, während in Frankreich die Menschenrechte proklamiert wurden, Menschen der gleichen Bildungs- und Gesellschaftsschichten zu Magie und Höllenzwang ihre Zuflucht nahmen.« Dennoch propagieren auch in jüngster Zeit Freimaurer den universellen Leitsatz der Magie: »Wie oben, so unten, also wie im Himmel so auf Erden« (oder: »Wie im Kleinen, so im Großen«). Zu dieser Tatsache meint der Freimaurer Alfried Lehner: »Die Umwandlung der operativen Bauhütten in symbolisch, nämlich am ›Tempel der Humanität‹ arbeitende Logen wurde durch ein Brauchtum gefördert, welches das analoge Denken anregte: der Tempel als Abbild des Kosmos ebenso wie das Abbild des menschlichen Körpers. ›Wie Makrokosmos, so Mikrokosmos‹, heißt eine alte esoterische Weisheit.«75 Das »Große Geheimnis« der okkult-magischen Tradition ist, wie ich bereits ausgeführt habe, die »Göttlichkeit des Menschen«. Das »große Werk« in der (weißen) Magie ist also, selbst Gott zu werden. Denn der »vollkommene« Mensch kennt nicht nur alle Dinge, sondern beherrscht sie auch. In der Schwarzen Magie will der Mensch nicht nur »Satanas« erschaffen, sondern selbst zum »Satanas« werden, sich damit zum Herrn über Leben und Tod aufschwingen, die absolute Macht über das Universum zu erringen. Um jedoch die »Gott- oder Satansgleichheit« zu erreichen, müssen die verschiedensten Gegensätze miteinander verbunden, vereint, versöhnt werden. Diese Harmonie, dieses vollkommene Gleichgewicht zwischen den Gegensätzen, wird »Equilibrium« genannt. In seinem Buch The Meaning of Masonry (Die Bedeutung der


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Freimaurerei) erklärt W. L.Wilmhurst eindeutig: »Dies – die Entwicklung des Menschen zum Übermenschen – war immer der Zweck der uralten Mysterien. Der Mensch, der sich durch die unteren Bereiche der Natur zu seinem gegenwärtigen rationalen Dasein entwickelt hat, muß seine Evolution noch vollenden, indem er ein gottähnliches Wesen wird und sein Bewusstsein mit dem Allwissenden verbindet …«76 Meint die Freimaurerei also damit, dass Menschen von einem »unbehauenen« Stein zu einem »behauenen« werden sollen, die »Selbstvergöttlichung«? Damit würden sie sich mit den Zielen des Neosatanismus treffen. Liehner wird auch diesbezüglich deutlicher und bringt das »Große Geheimnis«, die »Göttlichkeit des Menschen«, in einen freimaurerisch-okkulten Bezug: »Das feierliche Zusammenfügen der beiden Symbole (Winkelmaß und Zirkel, Anm. d. Autors) bedeutet also letztlich die Vereinigung der Urpolarität, des Urpaares Oben und Unten, Himmel und Erde, des männlichen und weiblichen Prinzips, oder von Geist und Materie … In jeder rituellen Arbeit der Freimaurer wird diese Urzeugung wiederholt. Der ›Hieros gamos‹ findet statt, die heilige Hochzeit. Die freimaurerischen Tempelarbeiten begehen das, was Mysterien und Riten seit ältesten Zeiten begingen: Sie wiederholen den Schöpfungsakt. Hierin liegt ihre tiefste und ergreifendste Bedeutung. Wer diesen Zusammenhängen zu folgen bereit ist, versteht auch, dass derjenige, der solcher Empfindungen fähig ist, das feierliche Zusammenfügen von Winkelmaß und Zirkel sogar als Unio mystica, als mystische Vereinigung der Seele mit Gott erleben kann, wie es die Mystiker verstanden.«77 Diese Worte des Zusammenfügens der freimaurerischen Symbole von Winkelmaß und Zirkels – die Magie der Werkzeuge reicht bis in die Steinzeit zurück – erinnern jedoch auch an einen weiteren »magischen Zweig«, die okkulte Sexualmagie, in der durch rituelle Vereinigung die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Mann und Frau angestrebt wird. Die entgegengesetzten weiblichen und männlichen Pole verschmelzen in der mystischen Verwandlung zu »Einem« und heben so den Zustand des Widerspruchs in sich selbst auf. Die »Unio Mystica«, von der Liehner spricht, dieser mystischen Vereinigung mit Gott und dem All, findet sich nicht in der Johannismaurerei, dafür aber symbolisch in den Hochgradsystemen! Unter anderem in der »Agape«, dem sogenannten »Liebesmahl«, das in den Rosenkreuzer-


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graden der Freimaurerei, vor allem im »A. und A. Schottischen Ritus« erhalten geblieben ist. Aber Liehner wird in seinen Ausführungen noch deutlicher: »Harmonisierung der Verhältnisse der Gegenpole sehen die Freimaurer als eine ihrer Aufgaben an … Man könnte als nächstes Ziel die Harmonisierung von Körper und Geist sowie von Ratio und Gemüt sehen, also die Voraussetzungen für einen ausgeglichenen, einen ganzheitlichen Menschen. Ein Weg dorthin ist die Harmonisierung der Gegenpole Esoterik und Exoterik …«78 Harmonie, Bundesschließung und Verbrüderung, das finden wir auch im Brauch der »Blutmischung« einzelner freimaurerischen Systeme, wie beispielsweise dem Schwedischen. Diese »Blutmischung« wird nur symbolisch als Zeremonie vollzogen. Dennoch wird sie »da und dort in bestimmten Lehrarten der Freimaurerei noch gepflegt«, gibt ein Logenbruder der »Vereinigten Großlogen von Deutschland« zu. »Es handelt sich hierbei um eine symbolische Handlung, also keine tatsächliche Blutmischung, die bei der Aufnahme in den Bund vollzogen wird. Der Gedanke ist natürlich das Herstellen der Bruderschaft.«79 Auch das Internationale Freimaurer Lexikon geht nicht näher darauf ein. Dafür aber Freimaurer-Bruder Merzdorff, der vom speziellen Ritus des »Bluttrankes« spricht, diesen anprangert und bereits in der Bauhütte von 1879 dazu schrieb: »Dieser Bluttrank, kein Weintrank, existiert wirklich. Das dem geritzten Daumen entströmende Blut (des Neophyten) wird in einen Becher mit Wein getröpfelt und dann von allen Umstehenden getrunken. Der etwa verbleibende Rest wird in einer Phiole aufbewahrt zum nächsten Gebrauch, so dass auf diese Weise das Blut aller früheren Templer sich mischt … In unseren Augen ist der Bluttrank ein kannibalistischer Akt, da er nur noch von den rohesten Völkern ausgeführt wird.«80 Sollte dies zutreffen, dann würde wohl mit diesem Ritus neben dem Brauch, eine Gemeinschaft zu bilden, auch dem magischen Gedanken gehuldigt, dass das Blut als Träger der Lebenskraft, der Seele schlechthin gilt. Wer Blut eines anderen Menschen trinkt, nimmt auch gleichzeitig die geistige und natürliche Kraft des anderen auf. Noch ein weiterer freimaurerischer Brauch hat seine Wurzeln in der Magie, nämlich der des Handauflegens. In der Freimaurerei bezeichnet er die Übertragung des Geistes und der Kraft auf den zu


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Weihenden. Ein Segen also, den der Meister erteilt. Dieser uralte Segensritus als magische Kraftübertragung wurde schon in der Antike angewandt und auch Jesus übertrug so die Fähigkeit der Heilung auf seine Jünger. In der okkulten Medizin finden wir diesen Brauch im Magnetisieren oder Entmagnetisieren von Körperteilen. Das Zauberwort »Abracadabra«, das aus dem Aramäischen kommt und so viel heißt wie »Nimm ab (o Krankheit) wie dieses Wort«, das sich eingraviert auf Amuletten findet und im Brauchtum der Gnostiker81 auftritt, spielt in der Freimaurerei eine Rolle, nämlich gerade da, wo sie mit der Gnosis verquickt wurde. Insbesondere im 18. Jahrhundert sickerten christliche Mysterien in freimaurerisches Gedankengut. Mit der Gnosis wollten die Freimaurer belegen, dass die Freimaurerei von den Tempelrittern abstammte. Diese hätten sich den alten Baubrüderschaften bedient und mit ihren esoterischen Lehren neue »Körperschaften« gebildet, um ihre gnostische Symbolik in Stein gehauen zu überliefern. Heute wollen wohl die wenigsten Freimaurer etwas davon wissen. Aber Michael Baigent und Richard Leigh brachten das Thema 1989 mit ihrem »Dauerseller« Der Tempel und die Loge – Das geheime Erbe der Templer in der Freimaurerei wieder auf den Tisch. Hinweise auf die Gnosis gibt es im freimaurerischen Symbol des »Flammenden Sterns«, einem fünfzackigen Stern, auch Pentagramm oder Drudenfuß genannt, im Strahlenkranz, in dessen Mitte der Buchstabe »G« prangt und für Geometrie, Gott oder eben auch der Gnosis stehen kann. Es gibt da unterschiedliche Deutungen. Beim Mentor des Neosatanismu, Aleister Crowley (1875–1947), wird aus »Abracadabra« die Schreibweise »AbraHadAbra«, das große magische Wort des »Neuen Äons«. Doch noch eine andere Tradition hat Einzug in das Brauchtum der Freimaurerei gefunden, nämlich der des »Opfers« und des »Opferns«! Schon in den heidnischen Religionen war das Opfer Bestandteil eines Gottesdienstes (ob Menschen- oder Tieropfer oder Weihegaben), mit dem man auf die Gottheit »einwirken« wollte. Zurück zu den Freimaurern: Wird beispielsweise ein öffentliches Bauwerk in Angriff genommen, erfolgt die Grundsteinlegung unter bestimmten Zeremonien. In einer Höhlung werden normalerweise Erinnerungsgegenstände gelegt oder Öl und Wein wird über den Eckstein gegossen (wie bei den angelsächsischen Freimaurern). Denn der »vollendete« Bau schreit


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nach einem Opfer, sonst kann er nicht gelingen, so die Vorstellung. So entstanden auch Sagen von Baumeistern, die sich aus Scham selbst töteten, weil sie einen Fehler am Bau entdeckten. Der freimaurerische Autor Franz Carl Endres, 1920 in München in den Bund aufgenommen, entkleidet die Freimaurerei in seinem Buch Die Symbole der Freimaurer, in dem er die Freimaurerei als die »Königliche Kunst der Esoterik« bezeichnet, die auf Grund von Symbolen erlebt wird! »… wem ein Symbol bestenfalls ein Gedankenspiel ist, der wird nie ein Esoteriker, nie also ein Meister der Königlichen Kunst werden können«, führt er weiterhin aus.82 Die so genannte »Schottische Maurerei«, die Anfang des 20. Jahrhunderts betreffs einiger Grade »reformiert« wurde, umfasst insgesamt 33 Grade. Der 30. Grad, der als »Chevalier Kadosch«, »Ritter Kadosch« oder »Ritter vom Weißen und Schwarzen Adler« bezeichnet wird, hat eine besondere Bedeutung. Denn er bildet die eigentliche Spitze des ritualistischen Gebäudes und bietet die »volle Einweihung« und ist als »Abschluß des Systems« zu betrachten (Internationales Freimaurer Lexikon, S. 710). Karl-Heinz Zunneck schreibt in Die geheimen Zeichen und Rituale der Freimaurer dazu: »Manche Autoren halten ihn für den berühmten Wendepunkt, an dem die Hochgrad-Freimaurerei nunmehr die Wege der Schwarzen Magie betritt. Dabei betonen die Anhänger dieser Hypothese, dass durchaus nicht alle Kadosch-Ritter dieser schwarzen Magie frönen müssen, sondern dass es auch solche geben kann, die nur zum Schein in diesen Stand aufgenommen werden, ohne dass sie jemals dessen wahre Bedeutung erfahren. Mit anderen Worten: Hier beginne also der aktive Kampf gegen das Christentum, der im Geheimritual … gekleidet sei.« Diesem Grad ist auch der »Rache-Grad« zugeordnet, angelehnt an die Templergeschichte oder Legende, wie man will. Hier soll nun eine Absage an das Christentum erfolgen, das Kreuz angespuckt und mit Füßen getreten werden. »Es heißt auch«, so Zunneck weiter, »dass die in diesen Grad wirklich Eingeweihten das Kreuz nach diesem Ritual fortan im Stiefel bzw. Schuh tragen müssen, damit sie es beständig mit Füßen treten können.« Vergeltung soll geübt werden, für die an den Templern angetane Ungerechtigkeiten durch die Krone und die Kirche; die »Vernichtung der templerischen Brüder« durch sie am Vatikan zu rächen, war wohl der Gedankengang der Freimaurer im späten 18. und


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19. Jahrhundert. »Wenngleich von masonischer Seite immer wieder eingewandt wird, dass das Toleranzgebot der Freimaurerei mit Racheplänen welcher Art auch immer unvereinbar sei, spricht das Ritual hier doch eine ganz andere, kaum mehr symbolisch verschlüsselte Sprache«, resümiert der Politikwissenschaftler Andreas Gößling.83 Schon im 18. Grad, dem so genannten »Rosenkreuzer-Grad« der »Schottischen Maurerei« soll es antichristlich zugehen. Die Loge selbst ist bei der Einweihung in diesen Grad schwarz gehalten. Jesus soll, so Zunneck, als Verursacher des Unglücks für die Freimaurerei dargestellt werden und der Prüfling muß ihn als Verbrecher bezeichnen, der Fluch und Hinrichtung verdient hat! Die Freimaurer weisen diese Vorwürfe natürlich weit von sich. Dennoch muß an dieser Stelle festgehalten werden, dass zumindest zwei von ihnen den Kritikern geradezu eine Steilvorlage gegeben haben, die nicht einfach so wegzudiskutieren ist. Einer von ihnen ist der berühmte französische Dichter, Denker, Schriftsteller und Freimaurer Francois Marie Arouet Voltaire (1694–1778), der in die Pariser Loge Les Neuf Soeurs aufgenommen wurde und meinte: »Wenn ihr glaubt, Gott habe euch nach seinem Bilde geschaffen, so antwortet ihm auf die gleiche Weise. Schafft euch einen Gott nach eurem Bilde, mit euren Tücken und Fehlern: mächtig, rachsüchtig, herrisch, machtbesessen und ehrgeizig. Je mehr ihr davon überzeugt seid, desto besser passt er zu euch, und es verblasst und erlischt in euch das Bild des früheren, des wahren Gottes.« Diese Formulierungen könnten als okkult-satanistisches Gedankengut ausgelegt werden! Der zweite Kritiker ist Giousuè Carducci (1835–1907), italienischer Dichter, 1906 sogar Nobelpreisträger für Literatur und seit 1862 Mitglied der Freimaurerloge Galvani, Mitbegründer der Loge Felsinea in Bologna (später Propaganda Massonica in Rom). Er hat unter anderem die so genannte Inno a Satana, die »Satanshymne«, verfasst, in der es heißt: »… Ein schönes und schreckliches Monstrum wirft die Ketten ab, läuft über die Ozeane, läuft über die Erde: Glühend und rauchend wie die Vulkane überwindet es die Berge, verschlingt die Täler … Wie ein Wirbelwind verbreitet es den Atem: Es geht vorüber, o Völker, Satan der Große … Er fährt wohltätig von Ort zu Ort auf dem ungezügelten Feuerwagen … Sei gegrüßt, o Satan, o Rebellion, o rächende Macht der Vernunft! …« Dass mit dieser »Freimaurer-Satanshymne« natürlich den Kritikern Tür und Tor ge-


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öffnet wird, versteht sich von selbst. So auch dem christlichen Fundamentalisten Hans Baum, der die »Kirche im Endkampf« mit der Freimaurerei, der »Synagoge Satans«, sieht und meint, dass die Menschen, die im Dienste der Freimaurerei stehen, unmittelbar im Dienste des Satanismus stehen, auch wenn sie selbst gar keine Satanisten zu sein brauchen, allerdings wären die »Wissenden der Hochgrade« Satanisten. Bei den Freimaurersymbolen spricht er von »satanistischen Sakramentalien«. Dass wohl alles nicht nur der Fantasie christlicher Fundamentalisten angelastet werden kann, beweist auch die maurerische Bekleidung. In Holland oder Indien gab oder gibt es beispielsweise Freimaurerschürzen in Form des Fünfecks mit einer Spitze nach unten. Das symbolisiert in der okkulten Weltanschauung das Satanische. In den Hochgraden der »Schwedischen Lehrart« finden wir im »IX. Grad Andreaslehrling« einen versilberten Triangel mit Totenkopf über zwei gekreuzten Knochen sowie auf dem Schürzenklappen einen weiteren silbernen Totenkopf mit gekreuzten Knochen. Im »Alten und Angenommenen Schottischen Ritus« beim »IX. Grad Auserwählter der Neun« existiert auf dem Schürzenklappen ein Arm mit einem Dolch und im Mittelfeld ein Arm, der ein blutendes Haupt hält. Beim III., V., VII. und IX. Grad tragen die »Beamten« der Loge purpurne Roben. Beim »XV. Grad Ritter vom Osten« trägt der Maurer unter anderem ein wassergrünes Band, das von der rechten Schulter zur linken Hüfte reicht und mit Kronen, Schwertern, einer Brücke und einem Schädel und Knochen verziert ist. Im »XXVIII. Grad Sonnenritter« trägt der Maurer gar einen Schurz mit einem Pentagramm im Mittelfeld und im »XXIX. Grad Großschotte des heiligen Andreas« bekleidet man sich mit roter Robe und weißem Andreaskreuz.84 Angesichts dieser Symbolik müssen sich die Freimaurer wohl in dieser Hinsicht zu Recht Kritik gefallen lassen. Wie auch immer, wir haben gesehen, in bestimmten Richtungen der Freimaurerei und Hochgradsystemen herrschen durchaus magische und okkulte Traditionen und Praktiken, auch wenn aus freimaurerischen Kreisen betont wird, dass die geschlossene Mehrheit der Bruderschaft diesen okkulten Gedankengängen fern stehe. Doch auf der Frage- und Antwortseite der »Vereinigten Großlogen von Deutschland« bekennt der Vertreter der Logen: »Ich persönlich bezeichne das rituelle Brauchtum der FM (Freimaurerei, Anm. d. A.) in der Tat als


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esoterisch, weil man in dieses symbolische Gedankengebäude durch eine Einweihung eingeführt wird.«85 Zusammenfassend kann gesagt werden, dass es eine wie auch immer geartete Minderheit gibt, die die okkultistische Freimaurerei befürwortet und praktiziert. Das ist meines Erachtens in einer aufgeklärten Zeit wie der heutigen und den hehren Zielen, die dem Freimaurerbund scheinbar zu Grunde liegen, mehr als bedenklich und ein Widerspruch in sich selbst.

1.10 VVerschwörungstheorien: erschwörungstheorien: Freimaurer Freimaurer,, »Herrscher der W elt«?86 Welt«? Verschwörungstheorien als Komplotte von Mächtigen werden immer da interessant, wenn die bestehende öffentliche Ordnung missfällt oder man mit der Politik unzufrieden ist. Die Unzufriedenen und Argwöhnischen, die sich diesen Thesen annehmen, sind in allen sozialen Schichten angesiedelt und auch unter den gesellschaftlich Privilegierten zu finden. Freilich fehlt es zumeist an einer wissenschaftlichen Beweisführung, stützen sich Theorien auf Mythen, Irrationalismus und Interpretationen, gepaart mit politischer Anschauung. So gibt es dann nur noch die Aufklärer, sprich die »Guten« und die Verschwörer, sprich die »Bösen«. Ein einfaches Schwarz-WeißMuster, das prächtig funktioniert. Dennoch können sich echte Verschwörungen und Verschwörungstheorien manchmal berühren, beispielsweise bei kriminellen Aktionen der Geheimdienste, wie ich beispielsweise in den Kapiteln um die Freimaurerloge Propaganda Due (P2) aufzeigen werde.

1.10.1 W eltliche VVerschwörungshetzer erschwörungshetzer (I) Weltliche Vorwürfe und Verschwörungstheorien gegen die »Diskrete Gesellschaft« sind so alt wie die moderne Freimaurerei selbst und ziehen sich vom 18. Jahrhundert bis heute. Dazu gibt es genügend Literatur, die sich beispielsweise auch mit Leo Taxil (Pseudonym des französischen Schriftstellers Gabriel J. Pagès, 1854–1907) beschäftigt, der die ganze Welt mit erfundenen Freimaurer-Gräueltaten narrte, die er


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jahrelang als bare Münze verkaufte. Das führte nicht nur dazu, dass die Freimaurer sich künftig bei ähnlichen Vorwürfen gemütlich zurück lehnen und sagen konnten, was wollt ihr denn, ist doch ohnehin alles erfunden und erlogen, sondern auch, dass selbst beste Argumente gegen die Freimaurerei kaum mehr gehört wurden. Deshalb wurden Stimmen laut, dass Freimaurer diesen »Taxil-Schwindel« zu ihrem eigenen Nutzen ersonnen hätten. Einer der bekanntesten Vertreter von Verschwörungstheoretikern im deutschsprachigen Raum ist Jan van Helsing alias Jan Udo Holey. Mit seinem zweibändigen Werk Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert sorgte er für großes Aufsehen, in dem er (scheinbare) Verknüpfungen von Logentum und Okkultismus mit Hochfinanz und Politik aufzeigte, worauf sich die Staatsanwaltschaft einschaltete. Auch E. R. Carmin will in seinem, in Verschwörungskreisen zum Standardwerk mutierten Buch Das schwarze Reich – Geheimgesellschaften und Politik im 20. Jahrhundert aufzeigen, dass okkult-esoterische Machtgruppen für die radikalen sozialen, politischen, kulturellen und technologischen Umwälzungen verantwortlich sind.

1.10.2 Geistliche VVerschwörungshetzer erschwörungshetzer (I) Die Vorwürfe gegen die Freimaurer kommen jedoch nicht nur aus völkischen, sondern auch aus antisemitischen und klerikalen Kreisen, insbesondere der konservativ-katholischen, russisch-orthodoxen und jesuitischen Richtung. Bereits 1738 warnte Papst Klemens XII. vor den Freimaurern, die Feinde der geistlichen und weltlichen Ordnung seien, und ein Jahr später ging sogar die Inquisition gegen sie vor. Katholiken durften keine Freimaurer sein, wenn doch, wurden sie exkommuniziert. Selbst Kardinal Joseph Ratzinger, heute über den ganzen Erdball bekannt als Papst Benedikt XVI., erklärte 1983 in der Declaratio de associationibus massonicis in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation, dass wenn ein Katholik zum Freimaurer wird, dieser sich »in den Stand der schweren Sünde« begeben würde. Dies kommt im katholischen Kirchenrecht eigentlich einer selbst vorgenommenen Exkommunizierung gleich! Dennoch machte ein Papst,


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nämlich Paul VI., einen Logenmann sogar zu seinem Finanzberater: die Rede ist vom Mafiosi Michele Sindona! Seine Mitgliedschaft zur obskuren »P2«-Loge war allgemein bekannt (siehe hierzu Abschnitt: 4.1.4 »Politaffäre Propaganda Due (P2)«). Auch Papst Johannes Paul II. kam – neben der oben angesprochenen Ernennung eines Logenmannes zum Finanzberater – zusätzlich in den Dunstkreis freimaurerischer und mafiöser Kontakte. Bei einer Sizilienreise 1982 begrüßte die »Gemeinschaft der Freimauer« im Giornale di Sicilia ihren »Bruder« Papst Johannes Paul II.! Doch wie – im wahrsten Sinne des Wortes – und in Himmels Namen, war dies gemeint? »Logenbruder« Papst? Ferner wurde Johannes Paul II. von den Maurern bedacht »im Respekt der höchsten Ideale, sich vor dem Tabernakel verbeugend … mit einer dreifachen Umarmung.« Unterzeichnet war dieses Begrüßungsmanifest von Pino Mandalari aus Palermo, der dann in den Neunzigerjahren als Finanzberater des Cosa-Nostra-Bosses Totò Riina verhaftet wurde. Und noch etwas fiel bei dieser Sizilien-Reise des Papstes direkt ins Auge: Johannes Paul II. empfing auch Mitglieder des »Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem«, darunter war kein Geringerer als Umberto Ortolani, der zweite Mann der kriminellen Freimaurerloge »P2«! Wie dem auch sei, in vielen Ländern traten tatsächlich Geistliche, Priester und Mönche den Freimaurerlogen bei. Kritiker sprachen gar von »geistlichen Freimaurern« mitten im Herzen der katholischen Kirche: im Vatikan! 1998 äußerte Kardinal Giuseppe Siri im Vatikan die Vermutung, dass die Freimaurer sogar einen Papstkandidaten gestellt hätten! Ein Jahr später verfasste eine anonyme Gruppe hoher Beamter des Vatikans (die sich I Millenari nennen) ein aufsehenerregendes Buch mit dem Titel Wir klagen an – Zwanzig römische Prälaten über die dunklen Seiten des Vatikans. In ihm heißt es unter anderem: »Die unsichtbare Hand der Freimaurerei im Vatikan, im Mittelpunkt verborgener Mächte zwischen Hochfinanz und hohen Ämtern, ist überall spürbar: in den Aufnahmeverfahren, in den Beförderungen …, die Infiltration der Freimaurerei in den Vatikan ist in viel stärkerem Maße entheiligend, denn sie verwirrt die Geister und die Heiligkeit dieses Zentrums der Christenheit.« Viele Zeitschriften hätten offen über die Infiltration der Freimaurerei in den Vatikan berichtet. So würden ihr über 100 Kardinäle, Bischöfe und weitere Mitglieder der Kurie angehören. Es soll ein regelrechtes Noviziat für


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Priester geben, die in den Freimaurerorden aufgenommen werden sollen. Ferner sollen die Freimaurer das Territorium des Vatikans in acht Bereiche aufgeteilt haben, die von vier, dem schottischen Ritus folgenden, Logen beherrscht würden. So versuchte man unter anderem auch den damaligen alten und kranken Papst Johannes Paul II. zu »steuern«. Der Autor Klaus-Rüdiger Mai erklärt, dass »traditionell« die Freimaurer die vatikanische Verwaltung, die Polizeitruppe des Vatikanstaates und den vatikanischen Geheimdienst kontrollieren würden.87 Die italienische Wochenzeitung Op, die von dem später ermordeten Freimaurer und P2-Mitglied Mino Pecorelli herausgegeben wurde, veröffentlichte am 12. September 1978 121 Namen von Vatikanvertretern und hohen Prälaten, die der Freimaurerei angehören sollten. Darunter die »Top Ten« des Vatikans, so auch der damalige Kardinalstaatssekretär Jean Villot, der »Außenminister« Agostino Casaroli, der Vatikanbankchef Bischof Paul Marcinkus, Kardinal Sebastiano Baggio, seines Zeichens sogar Vorsitzender der Kongregation für die Bischöfe und damit auf einem der wichtigsten »Kommandoposten« der Weltkirche (von Roques) und der stellvertretende Chefredakteur des Osservatore Romano, des »Sprachrohrs des Vatikans«. Natürlich überlebte der freimaurerische Enthüllungsjournalist diese Listenveröffentlichung nicht: im Frühjahr 1979 wurde er in seinem Auto erschossen. Die I-Millenari-Gruppe meint zu den Vatikan-Freimaurern und ihren Umtrieben: »Das ist das Reich Satans: Das Falsche tritt an die Stelle des Wahren, damit das Richtige erlogen erscheint. Die angewandte Technik besteht darin, das Wahre und das Falsche sorgfältig und mit alchimistischem Geschick zu mischen, um zu zeigen, dass das Wahre dem Falschen offensichtlich abträglich ist …« Einer der eifrigsten Vertreter der Hetzer gegen die Freimaurer und Juden aus neuzeitlicher klerikaler Sicht ist der katholische Pfarrer und Religionslehrer Manfred Adler. Er will nachweisen, dass die »Ideologie der Freimaurerei, der autonome Humanismus, mit dem rechtverstandenen christlichen Glauben absolut unvereinbar ist und stellt dabei einige antichristliche Aspekte heraus, die aus dem innersten Wesen der Freimaurerei hervorgehen und nicht einfach als rein zufällig betrachtet werden dürfen.« Dabei zitiert er einen der »einflussreichsten Vertreter der internationalen Freimaurerei«, Quartier-la-


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Tente, Großmeister der Schweizer Großloge Alpina, zeitweilig Leiter der freimaurerischen Geschäftsstelle in Genf, mit den Worten: »Der Maurer ist ein freier Mensch; der Katholik ist ein Sklave, der einer erzwungenen Disziplin des Geistes unterworfen ist. Und nichts ist unverträglicher mit freimaurerischem Geist.«88 Mit Schriften wie beispielsweise Die Söhne der Finsternis, Die Antichristliche Revolution der Freimaurerei, Die Freimaurer und der Vatikan, Kirche und Loge beschreibt er eine »getarnte Weltverschwörung der Insider-Imperialisten« zu Gunsten eines »Antichristlichen Weltstaates«. Denn die »One World« soll schon von Anbeginn der Freimaurerei ihr Endziel gewesen sein. Dabei verweist er unter anderem auf ein bereits 1730 in Brüssel erschienenes Buch mit dem Titel Das Geheimnis der Freimaurerei, in dem es heißt: »Das oberste Ziel der Freimaurerei ist die Schaffung einer Weltrepublik.« Adler spricht von einem freimaurerischen »Erziehungs- und Bildungsprozess«, der schon über zwei Jahrhunderte andauern soll: »Die Ein-Weltler verfolgen indes mit allen Mitteln – einschließlich der brutalen Gewalt – ihren illusionären Weltplan weiter. Die Monarchien von Gottes Gnaden und die sog. Autokratien sind so gut wie beseitigt, fast überall sind demokratische Republiken an ihre Stelle gesetzt oder gar ›Volksdemokratien‹ errichtet worden. Wer sich der progressiven – weil vernünftigen – Welt- und Friedensordnung der One-World-Maurer widersetzt, gilt als ›intolerant‹ und ›reaktionär‹ und wird entweder umerzogen oder ausgeschaltet. Nationale, völkische und vaterländische Ideen und Interessen werden als rückschrittlich und ›nationalistisch‹’ diffamiert.«89 Manfred Adler wurde wegen seiner antisemitischen Ausfälle aus dem Schuldienst entfernt. Manche sehen ihn jedoch als »Opfer freimaurerischer Intoleranz.«90 Noch 1898 veröffentlichte das offizielle Sprachrohr des Papstes, der Osservatore Romano folgende antifreimaurerische und antisemitische Worte: »Freimaurerei und Judentum, die gemeinsam angetreten sind, das Christentum auf der Welt zu bekämpfen und zu vernichten, müssen sich jetzt gemeinsam gegen das christliche Erwachen und den Zorn der Menschen verteidigen.« Und die Jesuiten legten nach: »Die Juden zogen ihren Nutzen aus der Proklamierung der Religionsfreiheit und der Gewährung der Staatsbürgerschaft … um unsere Herren zu werden … Was regiert, ist die Freimaurerei, die gleichfalls von Juden gesteuert wird.«


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Thomas Grüter hält dazu in Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer fest: »Hinter der kirchlichen Argumentation stand in etwa folgender Gedankengang: Wir haben euch immer gesagt, die Juden müssten von den Christen getrennt bleiben und in Ghettos leben. Aber ihr wolltet ja nicht hören und habt die Juden hereingelassen – und schon schwingen sie sich zu euren Herren auf. Juden sind verschlagen, betrügerisch und verlogen. Christen haben gegen sie keine Chance, also muss man sie wieder in Ghettos sperren.«91 Müßig zu erwähnen, dass diese Gedankengänge aus kirchlicher Sicht auch später die Agitationen der Nationalsozialisten gegen Juden und Freimaurer geschürt haben. Die Kirchen sind in diesem Sinne wohl mitschuldig im Sinne von »geistigen Brandstiftern« am Antisemitismus und dem Antimasonismus und damit natürlich auch am Entstehen von Verschwörungstheorien. Im Mai 2007 geschieht jedoch etwas »Seltsames«: Der Freimaurer-Großmeister Jens Oberheide überreicht dem katholischen Theologen und Religionswissenschaftler Hans Küng den »Kulturpreis Deutscher Freimaurer«, der mit seiner »Stiftung Weltethos« eine »Gleichwertigkeit der Religionen« mit einem »gemeinsamen Bestand von Kernwerten« festschreibt. »Sie sprechen uns aus unserer freimaurerischen Seele«, erklärt Logenbruder Oberheide und Küng erwidert, dass »Wir Geschwister im Geiste sind … Das Freimaurertum steht vielen Ideen des Weltethos sehr nahe.«92 Ist dies »nur« eine Anbiederung der einst verfeindeten Weltanschauungsgemeinschaften oder gar der Versuch einer Annäherung?

1.10.3 W eltliche VVerschwörungshetzer erschwörungshetzer (II) Weltliche Zurück zu den Weltverschwörern: So sollen Freimaurer in ihren Logen, den »Synagogen des Satans«, Schwarze Messen zelebrieren, dem Teufel huldigen oder gar Ritualmorde begehen. »Unbekannte« oder »geheime Obere« würden die Freimaurerei regieren, die nach der Weltherrschaft greifen, in enger Kooperation mit den Jesuiten, den Bolschewiken und den Juden (wie ich in Abschnitt »1.7 Freimaurer und Juden« aufgezeigt habe, ist dies zu diesem Zeitpunkt völlig abwegig, da Juden erst spät in die Logen aufgenommen wurden und dieser Zusammenhang wohl einfach erfunden worden ist). Freimau-


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rer seien Wegbereiter des Antichristen, für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs verantwortlich und wollten eine »Weltrevolution«. Auch die so genannten Protokolle der Weisen von Zion, ein antifreimaurerisches und antisemitisches Pamphlet, ein Plan zur Begründung einer »jüdischen Weltherrschaft mit Hilfe von Freimaurerlogen«, geleitet von »geheimen Oberen«, die sich jedoch als Fälschung erwiesen haben, spielen dabei mit eine Rolle. Doch Freimaurer wurden nicht nur von christlichen Institutionen, wie die Kirchen und Jesuiten angefeindet, sondern auch von Islamisten!

1.10.4 Geistliche VVerschwörungshetzer erschwörungshetzer (II) In diesem Kontext verbreitete der arabische Fernsehsender Al-Jazeera noch vor wenigen Jahren: »Freimaurer sind eine geheime Gesellschaft … mit einer subversiven Zielsetzung; sie fördern die Trennung von Religion und Staat sowie satanische Werte und versuchen mittels ihrer Geheimorganisationen die Welt unter Kontrolle zu bringen … Laut einigen Experten gehörten auch die jüdischen Gründerväter des Zionismus dieser okkulten Organisation an und nutzten deren Einrichtungen, um den Plan auszuhecken, Palästina den Einheimischen wegzunehmen.« In der muslimischen Welt haben die Logenbrüder einen schweren Stand. Die radikal-islamische Palästinenser-Organisation Hamas (Harakat el-Mukawame el-Islamije, »Bewegung des islamischen Widerstands«) beispielsweise forderte 1988 in ihrer Gründungscharta, dass neben Israel auch die Freimaurer als »Handlanger der Zionisten ausradiert« werden müssen! So hätten die »Feinde«, zuallererst Israel, also die Juden, mit ihrem Geld auch geheime Gesellschaften wie die Freimaurer, Rotarier- und Lionclubs gegründet, mit dem Ziel, Gesellschaften zu unterwandern und ihre zionistischen Interessen zu erreichen. »All diese Organisationen, ob geheim oder öffentlich«, heisst es in Artikel 28 der »Hamas-Charta« weiter, »arbeiten im Interesse des Zionismus und gemäß dessen Anweisungen.« Kein Wunder also, dass radikale Islamisten auch nicht vor Morden an Freimaurern zurückschrecken, wie zuletzt am 9. März 2004 geschehen, als in Istanbul drei Unbekannte eine Freimaurerloge stürmten, mit Waffen um sich schossen und Sprengsätze zündeten. Drei


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Tote, darunter einer der Attentäter, und zahlreiche Verletzte waren zu beklagen. Einer der Attentäter soll während des Angriffs gerufen haben: »Nieder mit der israelischen Loge!«

1.10.5 »Bruderkette« oder »W eltloge«? »Weltloge«? Freimaurer betonen immer wieder, dass die Freimaurerei lediglich bestrebt sei eine weltweite »Bruderkette« zu sein und keinesfalls eine »Weltloge« unter einheitlicher Logenleitung oder gar eine revolutionäre überstaatliche Macht, die bestehende Gesellschaftsordnungen stürzen will. Als Beleg dafür wird der Bruch der »Großloge von England« Ende 1870 mit dem »Großorient von Frankreich« angeführt, weil die französischen Maurer das Symbol des »Allmächtigen Baumeisters aller Welten« aus seiner Verfassung gestrichen hatte. Dennoch wurde 1921 in Genf die Association Maconnique Internationale (A. M. I.) gegründet, die die »Freimaurerei auch auf internationalem Gebiet organisatorisch zusammenfassen« wollte. Doch angelsächsische und deutsche Maurer verhielten sich ihr gegenüber ablehnend, so dass keine »Internationale« zustande kam und durch verschiedene Umstände letztlich 1950 zu existieren aufhörte. So blieben zahlreiche, an sich unabhängige Großlogen übrig, jedoch keine »Zentralstelle«, die Weisungen von irgendwelchen »jüdischen geheimen Oberen« erteilte. Lediglich der freimaurerische Gedanke und die ideelle Zielsetzung sei das verbindende Element, so die Maurer, nicht aber eine einheitlich aufgebaute und einheitlich geleitete und oder geheime Organisation. Immer wieder wird von Verschwörungstheoretikern der einstige amerikanische Präsident Frank D. Roosevelt zitiert, der einmal sagte: »In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auf diese Weise auch geplant war.« Roosevelt selbst war Mitglied der Holland Lodge No. 8 in New York! Und sein »Präsidenten-Kollege« Woodrow Wilson wird ebenfalls zitiert: »… es gibt eine Kraft, so organisiert, so subtil, so perfekt und so (alles) durchdringend, dass man besser nicht einmal darüber nachdenkt, wie man etwas dagegen tun könnte.« Wilson selbst soll auch Freimaurer gewesen sein.93 Diese »Kraft«, von der er spricht, wird von den Verschwörungs-


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theoretikern zumeist mit den Freimaurern oder Illuminaten (siehe nachfolgendes Kapitel), dem Round Table, dem CFR (Council on Foreign Relations), der Trilateralen Kommission, dem Club of Rome, dem Komitee der 300 oder den Bilderbergern gleichgesetzt, die ihre Hände entweder nach einer »Weltregierung« ausstrecken oder eben schon die »Weltregierung« sind. Ich möchte an dieser Stelle auf die zahlreichen Publikationen betreffs dieser Organisationen verweisen und mich an dieser Stelle auf die Freimaurer beschränken.

1.10.6 »W eltenherrscher« Rothschild »Weltenherrscher« Immer wieder spielt in den Verschwörungsvorwürfen auch die mächtige jüdische Rothschild-Bankiersdynastie eine Rolle. Kein Wunder, bedenkt man, wie viel Macht die Rothschild-Banken besaßen und besitzen und daß einige Familienmitglieder tatsächlich Freimaurer waren. So wurde Nathan Mayer Rothschild (1777–1836) 1802 in die Londoner Loge Lodge of Emulation aufgenommen und Baron Ferdinand Rothschild (1839–1899) war Mitbegründer der nach ihm benannten Freimaurerloge Ferdinand Rothschild Lodge No. 2420 in Waddesdon. Zwei weitere Familienmitglieder, Baron James Rothschild (1792–1863) und Baron Anselm Rothschild (1803–1863), gehörten gar dem Supreme Conseil de France an, den »Obersten Räten« des Schottischen Ritus, des freimaurerischen Hochgradsystems. So unterstellt beispielsweise Des Griffin in Die Absteiger – Planet der Sklaven? und in Wer regiert die Welt? den »International Bankers«, zu denen auch die Rothschilds gehören, einen Plan für die Welteroberung, die Schaffung einer »Neuen Weltordnung«. Und Dieter Rüggeberg bringt sie in seinem zweibändigen Werk Geheimpolitik in Zusammenhang mit einer »Geheimregierung«.

1.10.7 W eltliche VVerschwörungshetzer erschwörungshetzer (III) Weltliche Doch oftmals sind die Argumente der Verschwörungstheoretiker nicht einfach so von der Hand zu weisen und darauf sollten die Freimaurer auch eine Antwort finden, um ihnen in ihrem eigenen Interesse den »Wind aus den Segeln« zu nehmen. So schreibt Jonathan May in Die


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Macht II – Geheimgesellschaften: »… aber das Gefährliche an einer Geheimgesellschaft ist eben die fehlende individuelle Kontrolle. Ein hierarchisch aufgebautes Prinzip neigt zu Machtkonzentration und Machtmissbrauch. Dazu kommt …, dass man die Lenker und Erzoberlenker eh nicht kennt, dass man nicht durchschaut, welchen Organisationen die ›führenden‹ Köpfe einer Loge sonst noch angehören, welchen Schwur sie sonst noch geleistet haben. Es ist völlig undurchschaubar, wer hier wen dominiert.« Wenn May damit meint, dass man sich öffentlich mehr Transparenz oder gar eine Unvereinbarkeit von Loge und etwa politischer Ämter wünscht – siehe dazu Kapitel 3. »Freimaurer und Politik« – dann mag er dies mit dem Recht anderer Kritiker einfordern. In den letzten Jahren jedoch haben wiederholt Prozesse stattgefunden, in denen Freimaurer ihre Angreifer vor Gericht zwangen. »Gelegentlich sind in den (meist in Deutschland) geführten Verhandlungen Urteile aus rein formalistischen Gründen zu Ungunsten der klagenden Freimaurer ausgefallen. In der Sache selbst behielten sie stets recht« (Internationalen Freimaurer Lexikon, S. 331) Dennoch führt der Freimaurer und Journalist Tom Goeller zum Thema freimaurerische Weltherrschaft aus: »Man möchte diese Angstmacher (er meint die Verschwörungstheoretiker, Anm. d. Autors) dahingehend beunruhigen, dass die von ihnen beschworene Weltherrschaft in gewisser Weise ja längst erreicht ist: in Form der Vereinten Nationen, deren geistige Väter immerhin die beiden Freimaurer Franklin Delano Roosevelt und Winston Churchill sind. Allerdings zog bei der Gründung dieser vermeintlichen Weltherrschaft auch der russische Diktator Josef Stalin mit den beiden an einem Strang. Und der war wahrlich kein Freimaurer … Dennoch passen sowohl der alte Völkerbund als auch die Vereinten Nationen zweifellos in das Weltbild der international verbreiteten Freimaurer.«94

1.11 Freimaurer und Illuminaten95 Kaum eine Geheimgesellschaft hat neben den Freimaurern die Gemüter und die Fantasie der Menschen so an- und erregt, wie der Geheimbund der Illuminaten, der »Erleuchteten«. Und kaum eine Verbindung hat den Freimaurern mehr geschadet als diese.


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Am 1. Mai 1776 gründete der Philosophie- und Kirchenrechtsprofessor Adam Weishaupt (1748–1830) den »Bund der Illuminaten«, einst »Perfektibilisten« genannt, im bayrischen Ingolstadt. Im Zuge der damaligen geistigen und kulturellen Strömungen der Aufklärung sollten die Mitglieder versuchen Einfluß zu gewinnen und Ämter zu erlangen – befreit von der erdrückenden Jesuiten-Erziehung im Geiste eines selbstständiges Denkens, nach dem Motto: Vernunft als Religion. So sah Weishaupt seine Idee von einer »Geheimen Weisheitsschule«, dem Kosmopolitismus, umgesetzt. Hauptsächlich wandte er sich gegen die elitären Jesuiten, dem größten und einflussreichsten Männerbund der katholischen Kirche, gegen die Monarchie und trat für eine weltbürgerliche Gesinnung ein, eine sittliche Erziehung und Veredelung des Menschen, eine Herrschaft der Vernunft. Wissenschaften und Künste, das Streben nach Vollkommenheit, Menschenliebe, Tugend- und Rechtschaffenheit sollten verbreitet werden. Weishaupt wollte mit »feinsten und sichersten Mitteln« der »Tugend und Weisheit in der Welt über Dummheit und Bosheit den Sieg« verschaffen. Dennoch wollte er mit seiner Abkehr von der Religion, die durch die Vernunft abgelöst werden, die den Menschen aus der geistigen Dunkelheit führen sollte, nichts anderes als eine Selbstbefreiung des Menschen. Der »religiöse« Mensch sollte durch den »erleuchteten« Menschen ersetzt werden, der seine Probleme durch den Gebrauch des Geistes löste. Das Wissen der Menschheit sollte in einer in einer »illuminatischen Wissenschaftsorganisation« zusammnengeführt werden, die Physik, Mathematik, Medizin, Politik, schöne Künste und Geheimwissenschaften umfassen sollte. In diesem Sinne versuchten Weishaupts Illuminaten die bestehenden Verhältnisse und Organisationen wie Politik, Adel und Presse zu unterwandern, ganz bewusst für ihre Ideen auszunutzen, gar in ihrem Sinne zu verändern. Denn das letzte Geheimnis des Geheimbundes war das »Novus Ordo Saeclorum«, die »Neue Weltordnung«, in der Monarchien durch Demokratien ersetzt, die Legitimation der Fürstenherrschaft also nicht nur kritisch hinterfragt, sondern abgeschafft werden sollte; in Verbindung mit der Vernunft als wesentliches Merkmal der Philosophie. Eine »einzige Weltregierung«, kontrolliert von den Illuminaten, sollte die nationalen Regierungen ersetzen. Ein gefährliches Gedankengut in der damaligen Zeit, das Raum für allerlei Spekulationen und (spätere) Verschwörungstheorien schuf (siehe


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Abschnitt 1.10 »Verschwörungstheorien: Freimaurer, ›Herrscher der Welt‹?«). Bis heute gelten die Illuminaten in weiten Kreisen als eine angebliche zionistisch-freimaurerische Elite und als Drahtzieher einer geheimen Weltverschwörung in Verbindung mit dem internationalen Bankenwesen, dem Kommunismus und dem Satanismus. So sollen beispielsweise laut Aric Z. Leavitt in The Illuminati so genannte »Luziferianer« gar die Übernahme Amerikas und die darauffolgende Auslöschung von Milliarden von Menschen durch die Illuminaten planen, um eine globale Diktatur zu installieren. Weishaupt alias »Spartacus« selbst – der Ordensname war mit bedacht gewählt, denn der antirömische thrakische Sklave Spartacus führte einst den Aufstand gegen die Römer an – war ein Zögling der Jesuiten und organisierte seine Illuminaten auch nach deren Vorbild als Geheimbund: Die Mitglieder, darunter auch Geistliche, erhielten Pseudonyme, es herrschte eine strenge Schweigepflicht über Ordensdinge und es wurde unbedingter Gehorsam gegenüber den Ordensoberen gefordert. Darüber hinaus existierte eine strenge Kontrolle, sprich Bespitzelung der Mitglieder untereinander durch so genannte »Quibus-licet-Berichte«, ein Spionage- und Überwachungssystem, das er von den Jesuiten übernommen hatte. Der Geheimbund war ganz und gar undemokratisch strukturiert, an dessen Spitze der »Ordensgeneral« Weisshaupt selbst stand, der niemanden neben sich duldete und der versuchte seine Mitglieder gar gefügig zu machen, sie regelrecht »abzurichten« und dazu ein »System der Gehirnwäsche« erfunden hatte. Und auch »Juden und Weibsbilder« hatten in seinem Orden nichts verloren. Innerhalb der Illuminaten wurden die drei klassischen Grade der Johannismaurerei erweitert, die innerordentlichen Entwicklungsstufen teilten sich in Novize, Minerval und Erleuchteter Minerval. Das Abzeichen des Minerval-Grades war eine Eule aus vergoldetem Metall, die ein aufgeschlagenes Buch in den Klauen hielt. Auf ihm prangten die Buchstaben »P. M. C. V.« (»per me caeci vident«, »Durch mich werden die Blinden sehend«). Als Kennzeichen, auch das »Blendzeichen« genannt, hielt sich der Gradinhaber die Hand flach über die Augen, als ob man vom Licht geblendet wäre. Zudem gliederte sich der Orden in die vorbereitende »Pflanzschule«, die »Maurerklasse« und die »Mysterienklasse«, an deren obersten Stelle die Grade »Magus« und »Rex« standen. Während noch in den unte-


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ren Graden erklärt wurde, der Orden würde sich nicht mit politischen Fragen und Staatssachen beschäftigen, sondern vor allem um Fragen der Moral, wurde in den oberen Graden die Revolution gegen die Fürsten und den Staat gepredigt! Und noch etwas: Gott sei nur eine Vorstellung, aber keine Realität! Es gab also ein hierarchisiertes Hochgradsystem, dessen niedere Grade zur Tarnung der wahren Absichten der Oberen dienten. Weishaupt gab seine Illuminaten auch als die »echte« Freimaurerei aus und versuchte sich ganze Freimaurerlogen zu unterstellen. Ein bedeutendes Mitglied war der pfalzbayrische Regierungsrat von Zwack, der 1778 Freimaurer geworden war. Eine direkte Verbindung zwischen dem Begründer des IlluminatenOrdens mit den Freimaurern gab es 1777: Weishaupt wurde in München von der Diskreten Gesellschaft der Loge »Theodor zum guten Rat« aufgenommen und versuchte sich stark an deren Ideen anzulehnen. Im Internationalen Freimaurer Lexikon heißt es dazu: »Man suchte … Anlehnung an die Freimaurerei, verschaffte sich durch Marquis von Constanzo von der Berliner Großloge Royal York ein Patent für eine Münchner Loge ›Theodor zum guten Rat‹, die man dann unabhängig erklärte und in den I. (Iluminaten-)Orden überführte.«96 Der Freimaurer Freiherr Adolph von Knigge (1752–1796), ein »abenteuernder armer Schlucker, halb Schwärmer, halb Schwindler« (Schuster), bekannt bis heute durch sein Gutes-Benehmen-Buch, hingegen trat in den Illuminaten-Orden ein (Ordensname »Philo«), sah darin das Ideal eines verbesserten Maurertums, ein »Bündnis der Edelsten, eine heilige Legion unüberwindlicher Streiter für Weisheit und Tugend«, wurde bald zur wichtigsten Person des Geheimbundes und personellen »Konkurrenz« zu Weishaupt. Knigge reformierte den Orden, arbeitete nicht nur einen neuen Ordensplan aus, sondern erweiterte auch das Gradsystem. So wurde beispielsweise die »II. Klasse« die »Symbolische Freimaurerei« genannt, die in die »Schottische Maurerei« überging. Er machte »Jagd« auf die vornehmsten, gelehrtesten und rechtschaffendsten Männer, die dem Geheimbund beitreten sollten und nutzte seine vielfältigen freimaurerischen Verbindungen radikal aus. Über 500 will er nach eigenen Angaben rekrutiert haben. Aber nicht nur im katholischen Süden Deutschlands, sondern auch im protestantischen Norden und in


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Dänemark, Schweden und Russland wurden begeisterte Mitglieder rekrutiert, darunter Minister, Bischöfe und Fürsten, gar Mitglieder des Reichskammergerichts (das heute dem Rang des Bundesverfassungsgerichts entspricht!), von 22 Richtern gehörten gar neun (!) den Illuminaten an. Rund 2000 Mitglieder soll der Illuminaten-Bund gehabt haben. Einige Autoren, wie beispielsweise Neal Wilgus in The Illuminoids: Secret Societies and Political Paranoia (einer kritischen Geschichte des Illuminismus und des Anti-Illuminismus) behaupten, dass der Geheimbund mehr Macht hatte, als akademische Historiker zugeben. Allein 84 Logen soll er in Deutschland gehabt haben und französische Aristrokaten wie Mirabeau und Orleans sollen Mitglieder gewesen sein. Selbst Mozart sei, nach J. M. Roberts Mythology of Secret Societies, Mitglied des Geheimbundes gewesen. Knigge war nicht der einzige Freimaurer, der den Illuminaten beitrat. Einige der berühmtesten, die auch für die Nachwelt Bedeutung erlangten, waren Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832, 1780 in die Weimarer Freimaurerloge »Amalia« initiiert), der am 11. Februar 1783 den Illuminaten beitrat und dort den Namen »Albaris« trug, Johann Gottfried von Herder (1744–1803, 1766 im russischen Riga in die Freimaurerloge »Zum Schwert« aufgenommen) und der Generalpostmeister Graf Carl Anselm Thurn und Taxis (1733–1805). Letzterer war 1762 in Bayreuth in den Bund der Freimaurer aufgenommen worden und gründete in Regensburg die Freimaurerloge Charles de la Constance. Mitglied der Illuminaten war auch Heinrich von Pestalozzi (1746–1827), der große schweizerische Jugend und Volkserzieher, der von der Freimaurerloge Alpina als Maurer angesehen wird. Vergessen wir auch nicht, dass Weishaupt selbst 1780 in Bozen eine Freimaurerloge gründete, aber enttäuscht war, nachdem er alle Grade kennengelernt hatte. Geschätzt wird, dass etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent, manche sprechen sogar von über dreißig Prozent, von Freimaurern zu den Illuminaten übertraten. Eine enorme Zahl! In diesem Zusammenhang wurde auch von einer »Illuminatenfreimaurerei« gesprochen. 1784 sagte sich Knigge von den Illuminaten los, nachdem es zu Spannungen und schließlich zum Bruch mit dem »Ordensgeneral« Weishaupt wegen verschiedener Ansichten über Religion und Kirche, der despotischen Führungsstruktur und die Ausbildung der ver-


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schiedenen Rituale gekommen war. Knigge hatte dennoch den rationalistischen Charakter des Illuminatentums mit dem irrationalen Inhalt der Freimaurerei bereichert. Zudem galt und gilt er als der »Schöpfer des modernen Freimaurerwesens«.97 Und er verriet zumindest einen »Deckmantel«, mit dem die Illuminaten sich verkleideten, um die wahren Absichten zu verschleieren, nämlich das »Scheinchristentum«. Aus einem Brief von Knigge an Zwack ging hervor, dass die »wahre Lehre des Christentums« war, dass Jesus keine neue Religion erfand, sondern nur Religion und Vernunft wieder in ihre alten Rechte einsetzen wollte. In einem gemeinschaftlichen Band wollte er die Menschen einigen, sie dafür empfänglich machen, indem er ihren Verstand aufklärte und ihnen half, alle Vorurteile abzulegen. Zuerst wollte er alle Menschen lehren, sich selbst zu regieren; dann wären Obere und Fürsten unnötig; Freiheit und Gleichheit wüden ohne Revolutionen ihren Platz wieder einnehmen.« Dieses »illuminatische Scheinchristentum«, diese wahren Lehren des Christentums wurden in geheimen Gesellschaften gehütet, auch von den »echten Freimaurern«, und es war, laut Knigge, »bloß ein Mantel, um uns zu verbergen, dass die Leute nicht erschrecken.« Und Adam Weishaupt ergänzte, dass der Sinn von Jesus Lehre »Freiheit und Gleichheit« wäre, und dass dieser Zweck mit »Moral« erreicht werden könnte. Der Mensch war »gefallen«, wenn er unter einer Regierung lebte. Und »erlöst«, wenn er nur der Moral folgte.98 Freilich gefährliche Gedanken zu jener Zeit. So waren die Illuminaten nicht nur den Berliner Rosenkreuzern, die den Hof beherrschten und verschiedenen Freimaurerkreisen ein Dorn im Auge, sondern vor allem auch den bayrischen Jesuiten, die den Geheimbund ebenfalls bekämpften. Auch ehemalige Mitglieder meldeten sich öffentlich und schädlich für die Illuminaten zu Wort. Sie erklärten, Mangel an Vaterlandsliebe und Selbstsucht würde im Orden herrschen. Adam Weishaupt wurde politischer Umtriebe, gar landesverräterischen Anschlägen bezichtigt. So sollten die Iluminaten für Giftmorde und Weltherrschaftspläne verantwortlich sein und, wie auch die Freimaurer, beispielsweise die Französische Revolution ausgelöst haben, als »Väter der französischen Jakobiner«. Denn diese Revolution vernichtete den Adel und damit die Monarchie in einem der mächtigsten Staaten Europas (siehe Abschnitt 4.1.2 »›Politaffäre« Französische Revolution«).


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Den Illuminaten wurde von Untersuchungsrichtern ferner vorgeworfen heidnische Bücher, sprich die alten Klassiker, gelesen, sich über Wallfahrten »unvorsichtig« geäußert und an einem Festtag Fleisch gegessen zu haben. Vor allem aber war für die Monarchen eine geheime Gesellschaft, die aufklärerische Ideen verbreitete und ihre eigene absolutistische Macht in Frage stellte, eine ernsthafte Bedrohung. Bei einer Hausdurchsuchung Weishaupts wurden IlluminatenPapiere gefunden, aus denen hervorging, dass das Ziel des Geheimordens eine »Welt ohne Fürsten, Kirchen und Despoten« sei. Damit war die Hetzjagd gegen sie eröffnet. Allerdings nur in Deutschland, in den anderen europäischen Ländern nicht. Illuminaten wurden verhaftet oder des Landes verwiesen. Weishaupt selbst wurde aus Ingolstadt verbannt, floh nach Regensburg und fand schließlich in Gotha bei dem Illuminaten Herzog Ernst II. Asyl. Das öffentliche Wirken des Geheimbundes endete 1785. Als Hofrat verfasste Weishaupt viele Schriften, die den Illuminatismus verteidigten und wandte sich vehement gegen Kants Metaphysik im Sinne der PopularPhilosophie. Am 18. November 1830 starb der »menschenfreundliche, von den besten Absichten beseelte«99 Adam Weishaupt mit 82 Jahren und hinterließ mit seinem ursprünglichen Illuminaten-Bund einen wahren Mythos. 1880 traten in München mehrere Meister des Freimaurerbundes zusammen, um den Illuminaten-Orden wieder neu entstehen zu lassen. Aber erst 1896 gelang dies. In diesem Jahr gründete der deutsche Historiker Leopold Engel (1858–1931) den Illuminaten-Orden neu und behauptete die direkte Nachfolge der historischen Illuminaten von Weishaupt angetreten zu haben. Theodor Reuß, ein undurchsichtiger Freimaurer, der 1902 vom Generalgroßmeister der ägyptischen Maurerei für Großbritannien und Irland, John Yarker, die Vollmacht zur Einführung der »Vereinigten Schottischen, Memphis- und Misraim-Maurerei in Deutschland« erhielt, hatte ihn dazu veranlasst. Neben Reuß und Engel gehörten zu den wichtigsten Personen auch Franz Hartmann (Mitglied der amerikanischen Freimaurerloge Georgetown No. 12 und der »Theosophischen Gesellschaft« sowie Gründer der deutschen »Theosophischen Gesellschaft«) und Karl Germer, der 1925 den Begründer des Neosatanismus, Aleister Crowley, kennenlernte und einige seiner Schriften übersetzte (nach dem Tod


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Crowleys 1947 wurde er Generalgroßmeister des O. T. O. (Ordo Templi Orientis). 1912 entstand eine »Große Illuminaten-Freimaurerloge für Deutschland«. Auch sie versuchte sich eng an die Freimaurer zu binden, wogegen sich viele wehrten. Doch in der Berliner Loge »Adam Weishaupt zur Pyramide« wurden in die höheren Grade nur Freimaurermeister aufgenommen. Nach dem Ersten Weltkrieg breiteten sich die Illuminaten europaweit aus. 1925 wurde der »Weltbund der Illuminaten« mit Sitz in Berlin gegründet, später von den Nazis verboten. Am Ende des Zweiten Weltkrieges erstand der »Weltbund der Illuminaten« neu. Dieses Mal in Zürich, er firmierte dort ebenso unter der Bezeichnung des sexualmagischen Ordo Templi Orientis (O. T. O.«), tauchte aber auch unter den Bezeichnungen »GnostischKatholische-Kirche (GKK)«, Fraternitas Rosicurciana Antiqua oder »Kompturei Thelema« auf. In Frankfurt entstand ein »IlluminatenOrden/OTO e. V.« unter Walter Englert. All jene aber sollen keine autorisierte Tradition des »Weltbundes« haben. Dennoch gibt es Doppelmitgliedschaften zwischen »Neutemplern« und Freimaurern, wie der »Ordo Templi Orientis Deutschland e. V.« auf seiner Homepage berichtet.100 Kein Wunder also, dass Freimaurer sich auch den Zusammenhang mit Satanisten und Okkultisten gefallen lassen müssen. Die heutigen Freimaurer sind nicht sehr erpicht darauf, den Freimaurerbund mit dem Illuminaten-Orden in Verbindung zu bringen. Zu sehr nährt dies etwaige Verschwörungstheorien und zu sehr sind die Illuminaten verrufen. Dennoch – und das kann die Diskrete Gesellschaft nicht verleugnen, waren Freimaurer maßgeblich an der Gestaltung und der Aktivitäten der umstrittenen Illuminaten beteiligt! So können sie einen personellen Zusammenhang in keinster Weise abstreiten. Michael Kraus, Großmeister der »Großloge von Österreicht«, erklärt dazu: »Der Umstand, dass es im Zusammenhang mit den Illuminaten da und dort Personenidentität mit der Freimaurerei gegeben hat, wird von den Freimaurern keineswegs geleugnet, es wird aber gleichzeitig und wurde auch damals schon immer darauf hingewiesen, dass die Illuminaten eine völlig eigenständige Bewegung waren, die mit der Freimaurerei als solches nichts zu tun hatte. Bekanntlich wurden ja auch Illuminaten aus dem Freimaurerbund


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wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser politischen Organisation vom Freimaurerbund ausgeschlossen.«101 Doch so einfach kann man das nicht sehen, wie ich bereits erläutert habe. Im Internationalen Freimaurer Lexikon102 ist man sich ebenfalls dieser Gratwanderung bewusst, denn beim Freimaurer und Humanitäts-Philosophen Johann Gottfried Herder, der neben Lessing für den klassischen Humanismus der deutschen Freimaurerei als Symbolfigur angesehen wird und einen hohen Stellenwert besitzt, steht rein gar nichts über seine Mitgliedschaft bei den Illuminaten. Und auch am Beispiel des Freimaurers und Illuminati Adolf von Knigge wiegelt das Lexikon zunächst ab: »Allerdings dürfte das System Knigges, der bald austrat, kaum wirksam geworden sein.« An anderer Stelle aber prahlt es mit seinen Aktivitäten, wonach ihm »alles zu verdanken war«, beispielsweise das »Vorwärtsschreiten« der Illuminaten, deren neuer Ordensplan dem Illuminatentum ein »festes Gefüge und geistige Kraft« gab und »weitere Ordensabteilungen« schuf, »die das System wesentlich vertieften, aber gleichzeitig auch die Gefahr politischer Deutung in sich trugen«. Knigge wird schließlich gar als der »wichtigste Mann« des IlluminatenOrdens genannt, dessen Reformen starken Zuwachs gebracht hatten. Und weiter: »Knigge war es, der den rationalistischen Charakter, den das Illuminatentum vor seinem Beitritt hatte, mit dem irrationalen Inhalt der Freimaurerei durch deren Aufnahme in den Orden verband, den Typus des ›Illuminatenfreimaurers‹ schaffen wollte.« Knigge, der »Schöpfer des modernen Freimaurerwesens«, war also nicht nur Freimaurer, sondern einst, vor seinem Austritt, begeisterter Illuminati, der dem Geheimbund Aufschwung und Inhalte gab. Im Zusammenhang mit anderen bedeutenden Freimaurerpersönlichkeiten, wie beispielsweise Goethe und Herder, können sich die Freimaurer nicht einfach von einer Verwicklung mit den Umtrieben der Illuminaten freisprechen. Das geht um so weniger, da die Illuminaten-Freimaurerei der erste konspirativ wirkende Geheimbund mit definierten politischen Zielen war!


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1.12 Wie kritikfähig und offen ist die Diskrete Gesellschaft? Den Freimaurer-Großlogen in Deutschland, Österreich und der Schweiz habe ich kritische Fragen zur allgemeinen Freimaurer-Thematik (Geheimbund, Frauen, Antisemitismus, Behinderte, magische und okkultistische Freimaurerei, Illuminaten, Politik und Politiker, Französische Revolution, Unabhängigkeit der USA, Freimaurerloge Propaganda Due (P2), Uwe Barschel, »unehrenhafte« Logenbrüder) gestellt, um, im Gegensatz zu anderen Büchern, den Freimaurern genügend Platz einzuräumen, selbst zu Wort zu kommen, selbst Stellung zur Kritik beziehen zu können.103 Darauf gab es folgende Reaktionen von Seiten der freimaurerischen Großlogen in den drei Ländern: Deutschland: »Große National-Mutterloge ›Zu den Drei Weltkugeln‹ (GNML ›3 WK‹)«: Keine Antwort – trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.104 »Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland (A. F. u. A. M. v. D.): Keine Antwort, auch hier trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.105 »Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland« (GLL FvD): Keine Antwort. Trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.106 »Vereinigte Großlogen von Deutschland (VGLvD)«: Der »Großsekretär« Harald E. Meyer schreibt: »Sie berufen sich in Ihrer Anfrage vom 30. 06. 07 auf Ihre journalistische Sorgfaltspflicht und geben vor, so ›objektiv‹ wie möglich sein zu wollen. Wenn wir beispielsweise Ihre undifferenzierten Äußerungen über ›die Freimaurerei‹ in der TV-Sendung (in der ich eine okkulte und magische Freimaurerei angesprochen habe, Anm. d. Autors) … über Satanismus von November 1995 zu den Formulierungen eines Teils Ihrer Fragen in Relation setzen, vermögen wir keine Änderung des Maßes Ihrer Sorgfalt anhand mancher durch Sie offensichtlich unkritisch übernommener Ausgangsbehauptungen festzustellen. Da wir eine kurzfristige Änderung Ihrer Arbeitsweise nicht für wahrscheinlich halten, lehnen wir einen Informationsaustausch mit Ihnen und damit eine Beantwortung Ihrer Fragen ab. Wir verweisen aber auf folgende


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Bücher, in denen über die reguläre Freimaurerei und ihre Hintergründe sowie teilweise auch über Verschwörungstheorien sachlich geschrieben wird … (Aufzählung folgt, Anm. d. Autors)«107 Ich antwortete darauf: »Schade, dass Sie nicht daran interessiert sind kritische Fragen zur Freimaurerei zu beantworten. Ihre Kollegen in Österreich sind dafür weitaus zugänglicher. Auf eine zwölf Jahre alte Sendung zu verweisen, zeigt wohl die dogmatische Starrheit maurerischen Denkens. Übrigens: Sie finden in meinem neuen Buch ein sehr interessantes Kapitel eben zur ›okkultistischen und magischen Freimaurerei‹, was ja damals in der Sendung thematisiert wurde. Soviel vorab: Belegen kann ich alle Tatsachenbehauptungen, vieles mit Literatur der Freimaurerei. Die Begründung Ihrer negativen Antwort entbehrt jeglicher Grundlage. Mir journalistische Objektivität abzusprechen, indem ich Ihnen ja gerade die Möglichkeit gebe, kritische Fragen zur Freimaurerei zu beantworten, ist völlig unlogisch. Nichtsdestotrotz verstehe ich dies als weiteren Schritt der deutschen Freimaurerei, nicht aufklärerisch gerade gegen Verschwörungstheorien vorzugehen. Andererseits kann aber auch vermutet werden, dass Sie meine – mit überwiegend freimaurerischen Quellen – belegten kritischen Fragen einfach gar nicht zu Ihrer Zufriedenheit beantworten können und daher die Objektivität in diesem Zusammenhang scheuen, weil sich die Freimaurer bei einigen Sachverhalten dann selbst widerlegen müssten. Auch das wird den Leser natürlich interessieren. Literaturtipps brauche ich in diesem Sinne nicht … Geheimpolitik der Freimaurer ist kein Geheimnis mehr. Und auch objektive Kritik darf und muss in einem Rechtsstaat und im Sinne von Weltanschauungsgemeinschaften und Vereinen erlaubt sein. Damit muss auch die deutsche Freimaurerei leben.«108 Eine Antwort auf mein Schreiben habe ich nicht mehr erhalten. Schweiz: »Schweizerische Großloge Alpina«: Keine Antwort – trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.109 Österreich: »Großorient von Österreich«: Keine Antwort – trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.110 »Großloge von Österreich«: Michael Kraus, der Großmeister,


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antwortet auf die meisten meiner Fragen.111 Ich habe sie den jeweiligen Kapiteln in diesem Buch zugeordnet. Das Ergebnis meiner Anfrage bei den deutschen, Schweizer und österreichischen Freimaurern ist enttäuschend und ernüchternd. So viel also zur »Transparenz« und »Offenheit« der Diskreten Gesellschaft, die, anders kann ich es nicht ausdrücken, wohl befürchtet, die fundierten Fragen nicht in ihrem Sinne beantworten zu können und daher eine sachliche Diskussion scheut.


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2. Prominente Freimaurer (Auswahl)112 Weltweit gibt es viele prominente Politiker, Künstler (Dichter, Schriftsteller, Philosophen, Komponisten, Maler, Schauspieler und Sänger), Unternehmer, Wissenschaftler und weitere wichtige Vertreter von Berufen, die sich der Weltanschauung und den Idealen des Freimaurerbundes angeschlossen haben. Nachfolgend möchte ich einige von ihnen benennen. Politiker, Adlige und Militärs sind im Abschnitt 3.3 »Freimaurer aus Politik, Adel und Militär weltweit (Auswahl)« aufgeführt.

2.1 Künstler: Dichte r/ Philosophen, Dichterr / Schriftstelle Schriftsteller/ r/Philosophen, Komponisten, Maler Maler,, Schauspiele Schauspielerr, Sänger Dichter/Schriftsteller/Philosophen Deutschland: Gotthold Epharim Lessing (1729–1781), Dichter, Gottlieb Fichte (1762–1814), Philosoph, Johann Gottfried Herder (1744–1803), Philosoph und Dichter, Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), Dichter, Adolf von Knigge (1752–1796), Schriftsteller, Heinrich Heine (1797–1857), Dichter, Kurt Tucholsky (1890–1935), Schriftsteller, Journalist und Satiriker. Frankreich: Francois Marie Arouet Voltaire (1694–1778), Schriftsteller, Dichter und Denker der französischen Aufklärung, Alexandre Dumas (1802–1870), Romanschriftsteller, Alphonse Louis Constant alias »Eliphas Levi« (1816–1877), Schriftsteller und Okkultist. Italien: Giacomo Girolamo Casanova (1725–1798), Abenteurer und Schriftsteller.


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England: Charles Dickens (1812–1870), Oscar Wilde (1854–1900), Schriftsteller, Dichter, Sir Arthur Conan Doyle (1859–1930), englischer Schriftsteller. Irland: Jonathan Swift (1667–1745), Schriftsteller. Russland: Alexander Puschkin (1799–1837), Dichter. USA: Mark Twain (1835–1910), Schriftsteller. Komponisten Joseph Haydn (1732–1809), Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791), Franz Liszt (1811–1886). Maler Marc Chagall (1887–1985), russisch-französischer Maler. Schauspieler/Sänger Karl-Heinz Böhm (geb. 1926), österreichischer Schauspieler (Sissi), ist seit 1986 Träger des »Humanitären Preises der Freimaurer«, in vierter Ehe mit einer Äthioperin verheiratet, seine Aktion Menschen für Menschen wird massiv von den Freimaurern durch Spenden unterstützt. Clark Gable (1901–1960), amerikanischer Schauspieler (Vom Winde verweht) und Oscar-Preisträger. John Wayne (1907– 1979), amerikanischer Schauspieler. Sir Charles (Charlie) Spencer Chaplin (1889–1977), berühmter Filmschauspieler in Hollywood. Oliver Hardy (1892–1957), weltbekannt mit seinem Partner Stan Laurel als Dick und Doof. Nat King Cole (1919–1965), Sänger und Pianist.

2.2 Unternehmer Charles C. Hilton (1843–1905), amerikanischer Hotelier, Walt Disney (1901–1966), amerikanischer Filmproduzent, Jack L. Warner


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(1892–1978), amerikanischer Filmproduzent, Henry Ford (1863– 1947), US-Automobilfabrikant, Axel Caesar Springer (1912–1985), deutscher Zeitungsverleger, Anton Philipp Reclam (1807–1896), Verlagsbuchhändler, Walter Chrysler (1875–1949), amerikanischer Autofabrikant, André Citroen (1878–1935), französischer Autokonstrukteur, Samuel Colt (1814–1862), US-Waffenfabrikant (Colt-Revolver).

2.3 Wissenschaftler Sir Alexander Fleming (1881 – 1955), schottischer Bakteriologe und Entdecker des Penicilins, Alexander von Humboldt (1769 – 1859), deutscher Naturwissenschaftler, Heinrich Schliemann (1822 – 1890), deutscher Archäologe, Robert Falcon Scott (1868 – 1912), englischer Südpolforscher, Sir Ernest Henry Shackelton (1874 – 1922), englischer Marineoffizier und Südpolforscher, Alfred Brehm (1829 – 1884), deutscher Zoologe und Verfasser von »Brehms Tierleben«.

2.4 Sonstige Edgar J. Hoover (1895–1972), Chef des FBI (1924–1972), Edwin Aldrin (geb. 1930), US-Astronaut, der als zweiter Mensch den Mond betrat, Charles August Lindbergh (1902–1974), amerikanischer Flugpionier, Alexander Graf von Cagliostro (tatsächlicher Name: Josef Balsamo, 1743–1795), Hochstapler, Buffalo Bill alias William F. Cody (1845–1917), berühmter amerikanischer Büffeljäger.


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3. Die Suche nach der W ahrheit – Wahrheit Freimaurer und Politik113 Wo und wann immer Freimaurer mit Politik in Verbindung gebracht werden, blühen die »ewiggestrigen« Verschwörungsgedanken und Weltherrschaftspläne wieder auf. Die »Brüder im Geiste« versuchen alles, um der profanen Öffentlichkeit klar zu machen, dass ihre Logen mit Politik nicht viel »am Hut« haben. Politik (der Begriff ist abgeleitet vom griech. »Polis« = Stadt oder Gemeinschaft) ist die »Lehre von der Staatsführung« beziehungsweise bezeichnet die Staatsführung allgemein. Diese Leitung und Verwaltung sollte gerecht (im Sinne der Ethik) und richtig (im Sinne der Vernunft) sein. Politik also als »Staatskunst«, die in das Leben der Völker und jedes einzelnen Menschen eingreift. Nach der modernen Auffassung der meisten westlichen Staaten ist die Demokratie, die Herrschaft durch das Volk, im Gegensatz zum Absolutismus, der Gesetzgebung nach dem Willen eines Einzelnen oder einer Gruppe, oder der konstitutionellen Monarchie, der Machtausübung von Herrschertum und Volk, das erstrebenswerteste politische Prinzip. Die Journalistin Valeska von Roques schreibt in ihrem Buch um das Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981: »Freimaurer waren Atheisten. Unter allerlei schönen humanistischen Formeln und Ritualen, die viele Gebildete begeisterte und anzog und von Mozart in der Zauberflöte verewigt wurden, verbarg sich jedoch bald eine Untergrundgesellschaft, die sich gern um die Knotenpunkte der weltlichen Macht lagerte, um diese zu Gunsten ihrer eigenen Anhänger zu manipulieren.«114 Bei den Freimaurern ging und geht es wohl noch immer auch um »weltliche Macht« und »Manipulation«. Sind Freimaurer und ihre Logen also tatsächlich so »unpolitisch«, wie es aus eigenen Reihen immer wieder behauptet wird? »Der Vorwurf der Gegner, dass die Freimaurerei als solche Politik betreibe, ist ungerechtfertigt«, wird von ihnen immer wieder, fast gebetsmühlenartig, wiederholt.115 Aber stimmt das auch wirklich? Oder gab es nicht speziell in den letzten 300 Jahren und in der jüngsten Vergangenheit immer wieder Beispiele dafür, dass Freimaurer politi-


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sche Ränkespiele inszeniert oder in solche zumindest eingegriffen haben? Gab es nicht höchst einflussreiche Logen und Brüder, »von denen maßgebliche revolutionäre Impulse oder fortschrittliche Ideen und Programme ausgingen« (Gößling)? Betrieben und betreiben Freimaurer also doch »heimlich« Politik, eine Art »Geheimpolitik«, die nicht öffentlich bekannt werden darf?

3.1. »Unter Ausschluss der Öffentlichkeit« – freimaurerische Politik116 Ein Blick auf das Wappen oder die Flagge einer Nation genügt oftmals, um festzustellen, dass es eine ganze Reihe von Staaten gibt, die freimaurerische Symboliken (Erkennungszeichen oder Symbole) verwendet haben. Karl-Heinz Zunneck nennt beispielsweise das Wappen der Republik Argentinien, das eine Darstellung des maurerischen Griffs und die freimaurerische rote Jakobinermütze zeigt. »Allein diese Tatsache führt die Behauptung, die Freimaurerei betreibe keine Politik, vollkommen ad absurdum«, führt Zunneck aus. »Denn hier werden in aller Öffentlichkeit maurerische Insignien präsentiert.«117 Das Ganze geschieht offenbar nach dem Motto: Die Eingeweihten, die Initiierten, die Wissenden »wissen«, der Profane, der Uneingeweihte hat keine Ahnung. In den Alten Pflichten ist im Kapitel »VI. Hauptstück – Von dem Betragen« unter anderem unter Punkt 2 zu lesen: »… auch sind wir von allen Nationen, Zungen, Geschlechtern und Sprachen und sind entschieden gegen politische Erörterungen, welche noch nie zur Wohlfahrt der Loge gereicht haben und nie dazu gereichen werden. Diese Pflicht ist jederzeit streng eingeschärft und befolgt worden …« Dennoch wird diese »Pflicht« sehr leicht außer Kraft gesetzt, wie beispielsweise von der »Großloge Lessing zu den drei Ringen«, in deren freimaurerischen Grundsätzen es zunächst heißt: »Da die Freimaurerei aus ihrem Kreise jede politische und religiöse Frage ausschließt, sind alle Abstimmungen oder Beschlüsse, welche die individuelle Freiheit der Mitglieder beeinträchtigen könnten, untersagt.« Dann wird dies allerdings relativiert: »Es gibt auch durchaus Situationen, in denen Gruppen der Freimaurer es als Selbstverständlichkeit ansehen, auch zu politischen Ereignissen Stellung zu beziehen.«


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In einer Erklärung der ersten Nachkriegstagung deutscher Freimaurer in der Frankfurter Paulskirche am 19. Juni 1949 steht in den »Grundsätzen der Freimaurerei«: »Die Freimaurerei ist ein ethischer, kein politischer Bund und beteiligt sich nicht an politischen oder konfessionellen Parteikämpfen.«118 Im Artikel 5 der Verfassung der Deutschen Großloge der Alten und Freien Angenommenen Maurer liest sich da so: »Die Großloge und ihre Mitgliedslogen nehmen in konfessionellen oder parteipolitischen Auseinandersetzung nicht Stellung.«119 In den Basic Principles der United Grand Lodge of England, der freimaurerischen Mutterloge also, heißt es in der Neufassung von 1989 dazu: »Die Diskussion über Religion und Politik innerhalb ihrer Logen muß verboten sein.«120 Im Internationalen Freimaurer Lexikon steht darüber zu lesen: »Die freimaurerische Auffassung des Wesens der Politik fußt auf der ethischen Idee der Gerechtigkeit, da die Freimaurerei eine ethisch-philosophische Gesellschaft ist. An sich befasst sie sich überhaupt nicht mit Politik; die Satzungen der Großlogen schließen jede Bemengung der Körperschaften, des Bundes als solchen, mit politischer Einflussnahme aus, den Logen ist Beschäftigung mit Politik nicht gestattet …, sie (die Freimaurerei, Anm. d. Autors) kann nicht zulassen, dass Politik das einträchtige Zusammenwirken ihrer Mitglieder für die Idee der Humanität störe …« An anderer Stelle heißt es aber: »Mag die deutsche Freimaurerei immer wieder erklären, sie sei unpolitisch, mag jede Erörterung politischer Fragen noch so streng aus den deutschen Logen ausgeschlossen bleiben, eines kann nicht verhindert werden: dass eine im Politischen ziemlich einheitlich denkende Mitgliedschaft in Fragen, wo die Freimaurerei mit dem Außenleben in Berührung tritt, diesen politischen Grundzug deutlich erkennen lässt.« Und dann wird auch noch erklärt: »Kulturpolitik, welche die Freimaurerei im Sinne der Aufklärung, des Fortschrittes, der Humanität betreibt, hat mit Machtpolitik, Tagespolitik im gewöhnlichen Sinne des Wortes nicht das Geringste zu tun.«121 Ja, was denn nun? Machtpolitik, Tagespolitik nein, Kulturpolitik ja? Also doch Politik? Auf meine diesbezügliche Anfrage bei den Großlogen erhielt ich weder von den deutschen, noch von den Schweizer Freimaurern eine Antwort. Lediglich vom »Großmeister der Großloge von Österreich«:


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»Es ist nicht ganz richtig, dass politische Diskussionen in den Logen verboten sind. Die aus den Alten Pflichten stammende Vorsichtsmaßnahme bezieht sich auf den Diskurs über partei- oder tagespolitische Angelegenheiten, die in aller Regel dazu führen, dass der uns wichtige Abstraktionsgrad verloren geht und die Gefahr in sich birgt, dass die Brüder aus Gründen subjektiver Befindlichkeit oder einer besonderen, persönlichen Interessenslage aufeinander losgehen könnten. Gesellschaftspolitische Angelegenheiten und alles das, was die Qualität des Zusammenlebens der Menschen betrifft, sind sehr wohl Gegenstand von Erörterungen in den Logen, wobei aber sehr darauf geachtet wird, dass es nicht in Programme oder Aktionen mündet, die politischen Anstrich haben und mit der Freimaurerei als Organisation in Zusammenhang gebracht werden könnten. Wer als Einzelperson aus der Diskussion in der Loge über politische Angelegenheiten Ideen für sein persönliches Umfeld schöpft, kann damit tun, was er will, er tut es dann im eigenen Namen und nicht im Auftrag oder im Namen der Organisation. Es ist auch deswegen nicht erforderlich, dass sich Politiker zu ihrer Mitgliedschaft unbedingt bekennen, da es in der Freimaurerei selber keine Programme gibt, die im politischen Geschäft relevant wären. Es ist schon richtig, dass die Rolle der Freimaurerei in der Gesellschaft von Land zu Land unterschiedlich gesehen wurde und dass es insbesondere in Ländern, die mit Diktaturen zu kämpfen hatten, ein starkes Engagement von Freimaurern gegen diese Diktaturen gab. Wenn Sie aus diesem grundsätzlichen Widerstand gegen Diktaturen und Unmenschlichkeit ein politisches Programm erkennen wollen, dann möge das so sein und wir genieren uns auch nicht dafür. Daraus den Schluss abzuleiten, die Freimaurerei wäre eine Institution zur Erarbeitung von irgendwelchen politischen Programmen, ist schlichtweg als Unfug einzustufen.«122 Also wird natürlich »Politik« in den Logen thematisiert. Darüber zu diskutieren, ob es sich dabei um Tages-, Macht- oder Kulturpolitik geht, ist meines Erachtens nichts anderes als Augenwischerei. Als Beispiel möchte ich die »Gerechte und vollkommene Johannisloge Am Rauhen Stein« in Hamburg nennen. Noch im Juli 2007 sind auf deren Homepage beispielsweise folgende »gesellschaftliche und politische Themen« aufgeführt: »Der Untergang des Abendlandes«, »Elite«, »Ethik und Politik«, »Kritik der Gleichheit«, »Manipulation«, »Macht und Machtgebrauch«, »Patroitismus«, »Politikverdros-


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senheit«, »Schuld und Sühne«, »Sein oder Haben«, »Sun Zi’s ›Die Kunst des Krieges‹«, »Tapferkeit einst und heute«, »Das Ende der Demokratie«.123 Von wegen also politische Diskussionen wären in den Logen verboten, wie es beispielsweise in den Basic Principles steht.

3.1.1 Freimaurerei als politische Organisation Im Katechismus des Lehrlingsgrades der Großloge von England heißt es unter anderem, dass Freimaurerei auch lehrt Religion anzunehmen und »die Regierung (zu) unterstützen«.124 Das wiederum ist natürlich Politik per excellence, wenn die höchste politische Instanz, die Regierung, unterstützt wird! Zumindest, so wird offiziell dann doch zugestanden, haben sich einige Logensysteme als »politische Instanzen« verstanden. Wie etwa der Grand Orient Frankreichs, was zum Bruch mit der »regulären« Maurerei führte. Noch 1986 sprach Roger Leray, Großmeister des Grand Orient im französischen Rundfunk eindeutige, klare Worte, die keinen Zweifel mehr aufkommen ließen und lassen: »Wenn man berücksichtigt, dass in der Freimaurerei, als moralische Kunst, die Gesellschaft zu verwalten ist, dann ist im weitesten Sinne des Wortes die Freimaurerei eine politische Organisation.« In Frankreich hat sich die Freimaurerei (des Grand Orient) nahezu als »offene politische Fraktion« etabliert, die in den linken Parteien ihre Heimat fanden, während andere (die Grande Loge Nationale) ihren Kontaktpunkt im bürgerlichen Lager sehen.125 In Spanien hat sich die Freimaurerei sogar an Umsturzaktivitäten beteiligt. »Auf das Spanien des 19. Jahrhunderts trifft das zu, was Anti-Freimaurer-Literatur gerne über die ganze Bruderschaft verbreitet: dass sie konspirative Umsturzaktivitäten plane«, bekennt der Freimaurer Tom Goeller. »Da die Freimaurer in Spanien offiziell verboten waren, organisierten sie sich dort als wahre Geheimorganisation. Und am 1. Januar 1820 putschte der Freimaurer und Offizier Rafael del Riego Nunez in Cádiz gegen König Ferdinand – vergeblich.«126 Auch der Grande Oriente Italiens ist wesentlich von politischen Ereignissen »mitgeprägt« worden. Und durch »die enge Bindung


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einzelner deutscher Großlogen an das Herrscherhaus gab es auch hier gleichsam eine politische Klammer, die sich aber nicht wesentlich von jener in der angelsächsischen Maurerei oder in der skandinavischen Maurerei unterschied.«127 Michael Kraus, Großmeister der Großloge von Österreich, erklärt: »Im 18. Jahrhundert waren es primär Anliegen der Aufklärung, denen sich die Brüder in ihren Logenarbeiten widmeten und die sie dann sehr erfolgreich draußen umsetzten. Daher war es ihnen wichtig, möglichst viele Mitglieder zu haben, die unmittelbar an den Schaltstellen der Regierung und der Politik saßen …«128 Im dreibändigen Reprint von 1932 der Geschichte der Freimaurerei, einem Standardwerk im deutschsprachigen Raum, meint Ferdinand Runkel: »Die englische Freimaurerei hat im Wesentlichen gesellschaftliche Ziele und benutzt sie für die Zwecke der imperialistischen Politik des Inselreiches, die romanische Freimaurerei betätigt sich rein politisch und sucht alle einflussreichen Stellungen im Staat durch ihre Mitglieder zu besetzen.« Er attestiert der Freimaurerei in Deutschland gänzlich unpolitisch zu sein.129 Doch die Freimaurer-Zeitung vom 9. Mai 1874 bringt das Thema auf einen »maurerischen« Nenner und kommt zu einem anderen, auch »deutschen«, Fazit: »Die Schwerpunkt unserer Arbeit liegt in den Hochgraden. Dort machen wir den Fortschritt, die Politik und die Weltgeschichte.« Und ein Bericht der freimaurerischen Luxemburger Konferenz von 1912 resümiert unter anderem: »Erklärtes Hauptziel der Freimaurerei ist die Vereinigung aller Freimaurer der Welt als unerlässliche Vorbedingung für die Errichtung einer freimaurerischen Weltrepublik.«130 Kein Wunder also, dass Verschwörungstheoretiker hellhörig werden, versorgen die Freimaurer sie ja selbst mit dem geeigneten »Kanonenfutter«! 1993 veröffentlicht das deutsche Freimaurer-Magazin Humanität die »Zehn Gebote für Freimaurer«, in denen es unter anderem heißt: »Du sollst an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen … Du sollst dich verweigern und Protest erheben, wann immer der Staat die Menschenrechte oder das allgemeine Völkerrecht missachtet … Du sollst gegen jeden Widerstand leisten, der die Ordnung unseres Grundgesetzes, insbesondere die Grundprinzipien der Demokratie zu beseitigen unternimmt.«131 Auch das ist pures politisches Engagement, zu dem die einzelnen Maurer angehalten werden, was eigentlich den


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Logenprinzipien widersprechen sollte! Der Bonner Logenbruder Peter Broers ergänzt: »Wie soll ihr Wert (der Freimaurerei, Anm. d. Autors) gemessen werden? Soll die Zahl der Mitglieder, ihr politisches, wirtschaftliches oder kulturelles Engagement als Maßstab herangezogen werden?«132 (Hervorhebung durch den Autor). Wer letztlich dafür noch einen Insider-Beleg benötigt, dem seien nochmals die Worte von Michael Kraus, dem Großmeister der »Großloge von Österreich«, ans Herz gelegt, der in einem Interview mit der Nachrichtenagentur APA im März 2007 deutliche Worte hierzu fand. Darin gibt er unumwunden zu, dass der Einfluss der Logen am stärksten in den USA ausgeprägt wäre, es in England Tradition sei, dass ein Mitglied der Königsfamilie eine wichtige Position bei den Freimaurern einnehme, wie gegenwärtig der Herzog von Kent, Prinz Edward, ein Cousin der Queen, und: Auch die österreichische Freimaurerei sei daran interessiert, dass man Leute an den »Hebeln« sitzen habe, aber dass das, was man bewirke, nicht als Organisation, sondern durch die Mitglieder bewirkt werden würde!133 Dieses »Bekenntnis« belegt all meine Recherchen: Die Freimaurer erklären öffentlich, dass in ihren Logen keine Politik gemacht wird, die sie aber dennoch machen, zwar offiziell nicht als Logen-Organisation, sondern durch die einzelnen Mitglieder. Und man sei interessiert, Leute, also Logenbrüder, an den »Hebeln« (gemeint sind sicherlich die der Macht) der nationalen und internationalen Parlamente sitzen zu haben. Damit ist Freimaurer-Politik als solche bestätigt worden!

3.1.2 Das »wahre« Geheimnis der Freimaurer Fakt ist, dass die Freimaurerei eine wichtige Stütze der Aufklärung in Europa und beispielsweise auch in den Vereinigten Staaten von Amerika war, in der positive Werte wie Toleranz, Brüderlichkeit, Demokratie, Gleichheit aller Rassen und Religionen verankert wurden. Und dies zumeist auf »politischem« und auch revolutionärem Wege, wie ich in den Abschnitten 4.1.1 »›Politaffäre‹ Vereinigte Staaten von Amerika« und 4.1.2 »›Politaffäre‹ Französische Revolution« aufzeigen werde. Vieles ist über das »Geheimnis« der Freimaurerei gesprochen und spekuliert worden (siehe Abschnitt 1.5.2 »Geheimnis und Verschwie-


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genheit«), das letztlich eine persönliche, innere Erfahrung des Einzelnen während einer Tempelarbeit sein soll, das persönliche Erleben einer Kulthandlung. Ich widerspreche dieser mystisch-psychologischen Erklärung, denn meines Erachtens ist das Geheimnis der Freimaurerei in der politischen Handlung zu suchen! In der aktiven Politik der einzelnen Logenbrüder selbst! Und innerhalb dieses Geheimnisses der Politik gibt es noch ein ganz anderes, das »wahre« Geheimnis der Freimaurerei, das sogar von einer maurerischen Quelle enthüllt und verraten wird. Im Internationalen Freimaurer Lexikon steht geschrieben: »Der Toleranzidee der Freimaurerei widerspricht es, ihren Mitgliedern eine bestimmte politische Auffassung vorzuschreiben oder sie ihnen zu verbieten. Voraussetzung ist naturgemäß, dass, wer Freimaurer ist, auch als Politiker der freimaurerischen Ideologie nicht zuwiderhandelt.«134 (Hervorhebungen durch den Autor). Da ist es also heraus: Politiker, die Freimaurer sind, dürfen der »freimaurerischen Ideologie« nicht zuwiderhandeln! Eine folgenschwere, eine äußerst bedenkliche und demokratiefeindliche Forderung, wie ich meine. Als bräuchte dieses politische Bekenntnis noch einen weiteren Beleg, so möchte ich noch den Hochgradfreimaurer, Kämpfer für die amerikanische Unabhängigkeit und erster Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George Washington, anführen, der einforderte: »Die Tugenden, die den Menschen veredeln, werden in der Freimaurerei gelehrt, geehrt und gepflegt; sie fördern das häusliche Leben und sind die Normen für die höchsten Pflichten des Staatsmannes.«135 (Hervorhebung durch den Autor) Unglaublich! Das ist nichts anderes als eine politische Beeinflussung durch eine Weltanschauung, nämlich die der Freimaurerei! Und genau das ist, meines Erachtens, das »wahre« Geheimnis der Diskreten Gesellschaft, die ihre politische Ziele so klar zum Ausdruck bringt und dennoch nach außen hin vernebelt! Wie groß wäre die Aufregung, wenn Politiker, die beispielsweise Zeuge Jehova oder Scientologen wären, dieser Weltanschauung nicht zuwiderhandeln dürften! Karl-Heinz Zunneck schreibt in Die geheimen Zeichen und Rituale der Freimaurer darüber: »… Ich meine hiermit die HochgradFreimaurerei bzw. deren höchste Exponenten, die in einer Vielzahl nachweisbarer Fälle – und das entgegen allen Grundsätzen des Or-


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dens – nicht nur politisch sehr aktiv waren bzw. sind, sondern in den von ihnen ausgeübten Positionen mitunter Ziele verfolgten, die den Interessen der von ihnen vertretenen Völker massiv zuwiderliefen … Es ist eine geschichtliche Tatsache, dass sich die Hochgrad-Freimaurerei allzu oft mit politischen Belangen befasst hat … Wie sonst lässt es sich erklären, dass Politiker Freimaurer waren oder sind? Wenn nach außen hin bestritten wird, dass Freimaurerei und Politik miteinander in Verbindung stehen, dann darf ein Bruder niemals politisch tätig werden. Und umgekehrt sollte jeder Politiker, der etwas auf sich hält und auf seinen guten Ruf bedacht ist, den Bund der Freimaurer meiden.« Speziell die Schottische Maurerei soll Mystik und Politik miteinander verbinden.136 Verhält es sich etwa so, wie einst bei den Illuminaten? In den unteren Graden wurde gelehrt, nichts mit Politik am Hut zu haben, während in den oberen Graden durchaus Politik betrieben wurde (beispielsweise, indem man die Revolution gegen Fürsten und Staaten predigte)? Es wird also in Reihen der Freimaurer durchaus Politik betrieben, darüber darf aber nicht gesprochen werden. Das ist wohl mehr als ein pures Lippenbekenntnis. Aber noch etwas anderes darf nicht an die Öffentlichkeit und deshalb werden die Mitgliederlisten völlig geheim gehalten: dass Politiker aller Parteien, die sich im Bundestag, in den Landtagen und anderen Gremien meist als politische »Gegner« outen und in der Öffentlichkeit zumeist gegensätzliche Meinungen vertreten, oftmals auch als Brüder im Geiste unter einem Logendach vereint sitzen, um einer gemeinsamen Weltanschauung und Ideologie zu frönen – der freimaurerischen. Diese Erkenntnis darf nicht nach außen dringen, sonst erkennt jeder Wähler, dass ein Teil der Politik nichts anderes als ein »Volkstheater« ist. Und deshalb muß dieses »wahre« Geheimnis der Freimaurer um jeden Preis verheimlicht werden. Koste es, was es wolle.

3.1.3 Freimaurer und Oppositionspolitik Die Alten Pflichten, die Freimaurer-Verfassung also, klärt auch darüber auf, wie mit Brüdern umgegangen werden soll, die sich gegen den Staat wenden, sich also politisch gegen eine Regierung ereifern. Werden diese aus der Diskreten Gesellschaft verbannt und geächtet?


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Mitnichten! »Sollte … ein Bruder ein Empörer gegen den Staat sein«, heißt es in den verbindlichen Old Charges, so »muß er in seiner Empörung nicht bestärkt werden, obgleich er als ein unglücklicher Mann zu bemitleiden ist, ja, wird er keines anderen Verbrechens überführt, so kann – wenngleich die treue Bruderschaft seine Empörung missbilligen soll und der bestehenden Regierung weder Vorwand noch Grund zu politischer Eifersucht geben darf – sie ihn doch nicht aus der Loge stoßen, und sein Verhältnis zu derselben bleibt unverletzlich.« Auf gut deutsch: Die so »unpolitischen« Brüder, die sich selbst gegen eine bestehende Regierung empören, also aktiv Opposition betreiben, stehen weiterhin unter dem Schutz der Loge! Und dies, obwohl es in den Alten Pflichten heißt: »Der Maurer ist ein friedfertiger Untertan der bürgerlichen Gewalt, wo er auch wohnt und arbeitet, und muß sich nie in Meuterei oder Verschwörung gegen den Frieden und die Wohlfahrt der Nation einlassen, noch sich pflichtwidrig gegen die Unterobrigkeiten betragen … Denn wir … sind entschieden gegen politische Erörterungen, welche noch nie zur Wohlfahrt der Loge gereicht haben und nie dazu gereichen werden. Diese Pflicht ist jederzeit streng eingeschärft und befolgt worden…«137 Widersprüche über Widersprüche. Und selbst wenn Maurer gegen diese zuletzt angeführten Prinzipien verstoßen, haben sie aus den eigenen Reihen nichts zu befürchten. Da nützt es meines Erachtens auch nichts, wenn dies »nur zeitgeschichtlich« verstanden werden soll.

3.1.4 Freimaurerischer »Demokratie-Betrug« Im Vorwort des Internationalen Freimaurer Lexikons heißt es: »Die Unterwerfung unter die Gesetze des Landes ist dem Freimaurer selbstverständlich. Sein Nationalbewusstsein hat er, wo immer er arbeitet, deutlich genug bewiesen. Wo immer in der Geschichte eines Landes Freiheitshelden in die ›Ehrenhalle der Nation‹ eingegangen sind, waren Freimaurer darunter … Diese Eigenschaft des Freimaurers, auch zu starken nationalen Empfindungen fähig zu sein, ist ja eine der von Freimaurern nie eingestandenen Schwäche des Bundes.«138 Doch nach all dem, was die Freimaurerei eigentlich sein will,


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sind »nationale Empfindungen« völlig unangebracht, die sogar in einem Freiheitskampf gegen eine bestehende Regierung gipfelten, wie beispielsweise bei den amerikanischen, französischen und italienischen freimaurerischen Freiheitskämpfern. Aber dies ist eben doch Politik, betrieben im Freimaurerbunde! Politik innerhalb der Logen zu verbieten und doch selbst Politik zu betreiben, ist mehr als nur eine Täuschung der Öffentlichkeit. Mino Pecorelli, P2-Freimaurer, hat es einmal so formuliert: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind die drei Begriffe des genialsten Betrugs, der je organisiert wurde, um die Demokratie zu betrügen … In der Regel versammeln sich die Freimaurer, um die zu betrügen, die selbst am meisten betrügen.«139 Worte, die mehr als eindeutig sind!

3.1.5 »Freimaurer -Politik« »Freimaurer-Politik« Der Autor Klaus-Rüdiger Mai geht in seinem Buch Geheimbünde sogar soweit zu behaupten, dass »unsere modernen europäischen Parteien – die demokratischen eingeschlossen – aus den europäischen Geheimbünden hervorgegangen sind … Aus der Freimaurerei und den Rosenkreuzern bildete sich das große Spektrum der bürgerlichen Parteien.«140 Auch der Freimaurer und Journalist Tom Goeller bekennt in seinem Buch Freimaurer – Aufklärung eines Mythos: »Freimaurer haben 1776 die amerikanische Revolution ausgerufen, maßgeblich das Gedankengut für die Französische Revolution von 1789 geliefert, ebenso wie für jene gescheiterte deutsche Revolution von 1848.« Er sieht die Freimaurerei als »geheime DemokratieBewegung«. Und weiter: »Und dennoch sind sie per se keine Revolutionäre, sondern aus der Tiefe der Geschichte kommende Aufklärer, deren Grundideen in der deutschen Nationalhymne prägnant zum Ausdruck kommen: ›Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glükkes Unterpfand.‹« Freimaurer also als »imaginäre Revolutionäre«, die sich politisch betätigt haben. »Ziel ist es auch, den Geist der Aufklärung dort neu zu beleben, wo er gerade verkommt und dorthin zu tragen, wo er offenbar nie ankam«, resümiert Goeller weiter und meint mit »Ziel« wohl das »politische Ziel«. Goeller: »… es ist der Geist des Preußen Friedrich des Großen und des Amerikaners George Washington, des Franzosen Lafayette und des Italieners Garibaldi,


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des Venezolaners Bolivar und des Chinesen Sun Yat-Sen, des Arabers Abd el-Kader und des Inders Swami Vivekananda.«141 Eine Hommage also an die vielen, fast unzähligen »FreimaurerPolitiker« weltweit. Den Höhepunkt maurerischer Politik in jüngster Vergangenheit stellt wohl im Italien der Siebziger- und Achtzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts die »Staatsaffäre P2« dar sowie die Machtübernahme des Logenbruders Silvio Berlusconi, der bis 2006 diese innehatte. Hier wurde durch Freimaurer »Geheimpolitik« per excellence betrieben. Maurerische Geheimpolitik, die in Grauzonen der Legalität agierte – jenseits der Öffentlichkeit. Dazu mehr in Abschnitt 4.1.4 »›Politaffäre‹ Propaganda Due (P2)«. Schon 1995 erkannte der britische Experte für Organisierte Kriminalität, Brian Freemantle: »Ich wurde von … Abgeordneten des Europaparlaments davon überzeugt, dass häufig Freimaurerschilde vorgehalten werden, um Bürokraten aus diesen Logen zu schützen, die wichtige Positionen in den ständigen Einrichtungen der Europäischen Union innehaben. Dieses Freimaurertum ist politisch ausgerichtet und sichert sich so den Einfluß, den es ausübt. Und der ist nicht gering. Es existieren europäische Logen, die auf allerhöchster Ebene Verbindungen zwischen nationalen Regierungen knüpfen, politische Entscheidungen manipulieren und auf kriminelle Weise die demokratischen Prinzipien missbrauchen, zu denen sich die Europäische Union verpflichtet hat.« Und weiter: »Einige Europa-Abgeordnete beklagen, dass die politische Beeinflussung durch die Freimaurer mittlerweile alle Ebenen der Europäischen Union erreicht hat.«142 Michael Kraus, Großmeister der »Großloge von Österreich«, bestätigte dies noch im März 2007, in dem er erklärte, dass er »brennendere Probleme« auf europäischer Ebene sieht, »etwa bei der Schaffung einer europäischen Identität«, und dass man sich natürlich bemüht habe, in Brüssel »ein paar Leute sitzen zu haben«, die dort »ein paar Gedanken einfließen lassen«.143 Worte, die eine europäische Freimaurer-Lobby bestätigen. Das macht nachdenklich. Und daß diese Nachdenklichkeit durchaus berechtigt ist, wird sich noch zeigen.


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3.2 Politische Fragen an die Freimaurer -Großlogen144 Freimaurer-Großlogen Um sozusagen aus erster Hand die Thematik »Freimaurerei und Politik« dokumentieren zu können, fragte ich wiederum bei den Freimaurer-Großlogen in Deutschland, Österreich und der Schweiz nach.145 Doch das Ergebnis war enttäuschend: Lediglich Michael Kraus, Großmeister der »Großloge von Österreich« antwortete.146 Frage: »In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auf diese Weise auch geplant war«, erklärte Frank D. Roosevelt, der selbst Mitglied der Holland Lodge No. 8 in New York. Und sein »Präsidenten-Kollege« Woodrow Wilson wird ebenfalls zitiert: »… es gibt eine Kraft, so organisiert, so subtil, so perfekt und so (alles) durchdringend, dass man besser nicht einmal darüber nachdenkt, wie man etwas dagegen tun könnte.« Wilson selbst soll auch Freimaurer gewesen sein. Stimmen diese Zitate? Dass Frank D. Roosevelt Freimaurer war ist belegt, aber war es auch Woodrow Wilson? Was haben Ihre Logenbrüder mit diesen Zitaten gemeint? Wäre es nicht an der Zeit, diese richtig zu stellen, damit die Verschwörungstheoretiker diese nicht immer wieder gegen die Freimaurerei anführen können? Antwort: Zur Richtigkeit der Zitate von amerikanischen Präsidenten, die Freimaurer waren, sollten Sie sich tatsächlich mit den amerikanischen Freimaurern in Verbindung setzen. Die Ausprägung der Freimaurerei in Amerika hat mit der österreichischen Tradition sehr wenig zu tun. Aber auch ihr war eigen, dass sie nicht als politische Bewegung zu verstehen ist. Frage: Politik und Freimaurerei: Ist dies nicht eine »Verdummung« der Wähler? Nach außen hin vertritt man verschiedene politische Standpunkte, in der Loge sitzen alle einhellig als Brüder zusammen und huldigen einer Weltanschauung, nämlich die der Freimaurerei? Ist dies das »Geheimnis« der Freimaurerei, das nicht nach außen dringen darf, weswegen auch keine Namen veröffentlicht werden, damit der Bürger dieses »politische Theater« nicht durchschaut? Antwort: »Wenn Sie nach Fertigstellung Ihres Buches … in unserem Buch Die Freimaurer ein wenig … blättern, so werden Sie hoffentlich glaubwürdige Erläuterungen dafür finden, dass wir keine


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Weltanschauungen produzieren und vertreten und uns aus dem tagesund parteipolitischen Geschäft aus gutem Grunde heraushalten. Gesellschaftspolitisch nachdenken und uns bemühen, eine Einstellung bei den einzelnen Menschen zu erzeugen, die einen Beitrag dazu leisten kann, den Frieden auf der Welt zu vermehren, dazu bekennen wir uns ohne irgendeinen Vorbehalt.« Auch wenn die deutschen Großlogen meine Fragen nicht beantwortet haben, gibt es doch sehr interessante Ansichten betreffs Freimaurerei und Politik, die ich auf den entsprechenden Diskussionsseiten der Großlogen gefunden habe. So ist doch noch die Meinung der deutschen Freimaurer dokumentiert, die ihre »wahre politische Absichten« enthüllt. »Große National-Mutterloge ›Zu den Drei Weltkugeln‹«:147 »Jeder Bruder ist als Bürger ein freier Mensch in seinen politischen Entscheidungen. Deshalb darf und sollte er sich als Staatsbürger gegebenenfalls aktiv für jede demokratische Partei betätigen, natürlich auch öffentlich. Niemals darf er aber als Repräsentant einer Loge oder der Freimaurerei zu aktuellen politischen Tagesfragen Stellung beziehen. Er darf auch keine parteipolitischen Auseinandersetzungen in die Loge tragen. Selbstverständlich bleiben von der parteipolitischen Einschränkung allgemeine politische Themen unberührt. So kann über Bevölkerungspolitik, Menschenrechte, Flüchtlingsfragen und andere soziale, humanitäre, karitative Probleme nicht nur gesprochen werden, sondern es können hierzu durchaus auch Politiker zu Vorträgen eingeladen werden, wenn sich diese nicht als Parteiredner verstehen. Jeder Parteipolitiker darf über allgemein menschliche, soziale, kulturelle, karitative oder ähnliche Probleme sprechen. Die Loge darf es allerdings nicht zulassen, dass der Vortragende ausschließlich über seine spezielle parteipolitische Richtung referiert.«. »Vereinigte Großloge von Deutschland«:148 »In den sogenannten Alten Pflichten von 1723 … steht geschrieben …, dass generell Gespräche über Politik und Religion innerhalb der Bruderschaft einer Loge verboten seien … Die überwiegende Mehrheit der deutschen Freimaurer sieht das heute ganz anders, sondern sucht geradezu innerhalb des geschlossenen Raumes einer Loge die … Auseinandersetzung über alle möglichen gesellschafts-


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politisch relevanten Themenbereiche, denn wir glauben, dass wir nur in der Diskussion und durch These und Antithese zu einer fundierten eigenen Meinung gelangen können. Es werden keine Themen ausgenommen, egal, ob es sich um die Verkehrs- oder Gesundheitspolitik handelt, über Fragen der Energiewirtschaft oder der Landwirtschaft kann ebenso ernsthaft diskutiert werden wie über wirtschaftliche Themen …, kurz gesagt, über jedwede Art von Politik als staatliches Handeln darf, soll und muss sehr ernsthaft innerhalb der Logen diskutiert werden … Was wir vermeiden wollen – nicht immer können – sind Streitgespräche über Parteipolitik und Konfession, aber auch hier gilt, dass erwachsene und gestandene Persönlichkeiten trotz unterschiedlicher persönlicher Auffassung immer zu einem Konsens kommen können. Natürlich gibt es auch Politiker, die Freimaurer sind. Diese werden, so hoffe ich, freimaurerisches Gedankengut in ihre Entscheidungen einfliessen lassen. Das hat jedoch nichts damit zu tun, dass die Freimaurerei als Organisation sich nicht politisch betätigt. Und auch nichts damit, dass in den Logen tages- oder parteipolitische Streitgespräche ebenso tabu sind wie Auseinandersetzungen über konfessionelle Fragen. Eine politische Neutralität wird vom Freimaurer nicht gefordert. Im Gegenteil, es wird erwartet, dass er sich eine Meinung bildet und für diese eintritt. Im Leben außerhalb der Loge wird er also z. B. als Politiker für das Programm seiner Partei eintreten. Als Freimaurer wird er aber jeden Ausschließlichkeitsanspruch vermeiden und den politischen Gegner nicht verunglimpfen … Die oft geforderte Meinung von der politischen Neutralität ist ein Missverständnis. Gefordert ist, dass in der Loge parteipolitische Werbung und Kampfgespräche zu unterbleiben haben, nicht aber Gespräche der gegenseitigen Information in bewusstem tolerantem Zuhören. Der Freimaurer soll sich durchaus politisch, sozial und wirtschaftlich engagieren, er lebt ja nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum. Der entscheidende Punkt ist, dass DIE Logen bzw. DIE Großlogen keine politischen Standpunkte im Namen ihrer Mitglieder vertreten sollen … Der Einzelne soll in der Loge motiviert werden, dort – selbstverständlich auch in der Politik – zuzupacken, wo er sich für geeignet hält, etwas bewirken zu können. Der einzelne Freimaurer wird sich natürlich auch als politisch


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handelnder Mensch von einem Gedankengut bestimmen lassen, das er allgemein als für sich richtig und massgeblich erkannt hat. Der Freimaurer, der ›die Kunst recht versteht‹, also versucht, freimaurerisches Gedankengut zu leben, es in seinem Alltag nach seinen Möglichkeiten umzusetzen, wird zwangsläufig ein ›politischer Mensch‹ sein. Sein Engagement ist daher selbstverständlich erwünscht. Der politische Einfluss Einzelner, die (auch) Freimaurer sind, ist unbestritten. Bleibt zu hoffen, dass dieser Einfluss in freimaurerischem Sinn (Toleranz, Brüderlichkeit, Menschenliebe) ausgeübt wird. Entscheidend ist jedoch, dass die Freimaurerei als Organsiation sich jeglicher Einflussnahme enthält – sie hat hierfür kein Mandat ihrer Mitglieder (die sich ja auch in unterschiedlichen politischen Lagern befinden). Praktisches und öffentliches Engagement für die Menschenrechte ist jedoch für jeden Freimaurer und jede Freimaurerin eine Selbstverständlichkeit, wo immer Unrecht geschieht – und da ist politisches Handeln durchaus gefordert … Gleichwohl wird nicht bestritten, dass die Freimaurerei – mittelbar, durch das Wirken ihrer Mitglieder, nicht durch Aktionen von Logen und Grosslogen – wesentlichen Einfluss auf die politische, gesellschaftliche und weltanschauliche Entwicklung, besonders zu Zeiten der Aufklärung, hatte und teilweise auch heute noch hat.« Wie »politisch« Freimaurerpersönlichkeiten der Zeitgeschichte wirklich waren und sind, zeigt die nachfolgende (unvollständige) Aufstellung von Freimaurern aus Politik, Adel und Militär, die die Welt im wahrsten Sinne des Wortes »verändert« haben. Die europäischen Länder Deutschland, Österreich, Schweiz, Italien, Frankreich und England habe ich in den Abschnitten 3.4.2 bis 3.4.2.7 ausführlicher behandelt, sie fehlen also in dieser Aufstellung.


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3.3 Freimaurer aus Politik, Adel und Militär weltweit (Auswahl)149 Holland/Niederlande: Louis Bonaparte (1778–1846), König von Holland, Wilhelm II. (1792–1849), König der Niederlande, Jan Theodor Hendrik Nedermeijer van Rosenthal (1793–1857), Justizminister. Belgien: Leopold I. (1790–1865), König von Belgien, Goswin Joseph Auguste Stassart (1780–1854), Vizepräsident des belgischen Nationalkongresses, Präsident des Senats und der Königlichen Akademie, Pierre Theodore Verhaegen (1796–1862), Vorkämpfer des belgischen Liberalismus, Parlamentarier und Kammerpräsident, Jean Baptiste Nothomb (1805–1881), Innenminister und Ministerpräsident, Jules Anspach (1826–1879), Bürgermeister von Brüssel, Pierre Van Humbeeck (1829–1890), Unterrichtsminister, Gustave Rolin-Jacquemyns (1835–1902), Abgeordneter und Außenminister, Eugène Félicien Goblet d’Alviella (1846–1927), Vizepräsident des Senats und Staatsminister, Felix Fuchs (1858–1928), Generalgouverneur des belgischen Kongo, Paul Hymans (1865–1941), Justiz- und Außenminister und Präsident der Völkerbundversammlung, Emile Vandervelde (1866–1938), Führer der Sozialdemokratie, Justizminister und Minister des Äußeren, Camille Huysmans (1871–1968), Minister für Wissenschaft und Kunst, Joseph Wauters (1879–1929), Staatsminister, Arbeitsminister und Führer der belgischen Sozialdemokratie, Albert Joseph Charles (1881–1959), belgischer Politiker, Minister der nationalen Verteidigung und Finanzminister, Edouard Pécher (1884–1926), Führer der liberalen Partei, Kolonialminister. Brian Freemantle schreibt in seinem Buch Importeure des Verbrechens – Europa im Griff der organisierten Kriminalität: »In Belgien gibt es aktive Orient-Logen mit Mitgliedern, die oberste Ränge in der Europäischen Kommission bekleiden. Sie sind in der Lage, Entscheidungen und Meinungen der nicht gewählten Exekutive der Europäischen Union zu beeinflussen. Eine besonders prominente und politisch aktive belgische Familie hat starke Verbindungen zu den Orient-Logen des Landes. Es wurde mir untersagt, sie beim Namen zu nennen.«150


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Luxemburg: Joseph Junck (1838–1922), höchster luxemburgischer Staatsbeamter. Portugal: José da Silva Carvalho (1782–1845), portugiesischer Staatsmann, Justizminister und Finanzminister, José De Castro (1848–1929), Ministerpräsident und Marineminister, Bernardino Machado (1851– 1944), Präsident der portugiesischen Republik. Spanien: Joseph Bonaparte (1769–1844), König von Spanien, Martin de Garay (1760–1822), Mariano Louis Urquijo (1769–1817), Liberaler, Minister, Praxedes Mateo Sagasta (1827–1903), Führer der liberalen Partei, Ministerpräsident, Minister, Marcelino Domingo (1884–1939), Unterrichtsminister, Pedro Rico, Bürgermeister von Madrid. Griechenland: Georg II. (1890–1947), König von Griechenland, Jean Antoine Comte de Capo d’Istria (1776–1831), Freiheitskämpfer, Alexandros Ypsilanti (1792–1828), Freiheitskämpfer Dänemark: Friedrich V. (1723–1766), König (seit 1746), Friedrich VI. (1768–1839), König (seit 1804), Christian VIII. (1786 – 1848), König (seit 1839), Friedrich VII. (1808–1863), König (seit 1848), Friedrich VIII. (1843–1912), König (seit 1906), Christian X. (1870–1947), König (seit 1912), Harald Christian Friedrich (1876–1950), Prinz von Dänemark, Adam Hauch (1755–1838), Staatsminister, Carl Frederik Simony (1806–1872), Kultusminister, Innenminister, Justizminister, Ratspräsident. Schweden: Gustav III. (1746–1792), König von Schweden, Karl XIII., König, Gustav IV., König, Karl XIV., König von Schweden und Norwegen, Oskar I. (1799–1859), König, Karl XV. (1826–1872), König, Oskar II. (1829–1907), König, Gustav Adolf V. (1858–1950), König, Gustav Adolf VI. (1882–1973), König, Jean Baptiste Bernadotte


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(1763–1848), französischer Marschall, vom schwedischen König Karl XIII. adoptiert, wurde als Karl XIV. dessen Nachfolger, Graf Lars Engeström (1758–1807), schwedischer Staatsmann und Außenminister, Christoffer Rutger Ludwig Manderström (1806–1873), Außenminister, Graf Henning Ludwig Hugo Hamilton (1814–1886), Staatsmann und Minister, Otto Richard Kierult (1825–1897), General und Staatsminister, Graf Ludwig Wilhelm August Douglas (1849–1916), schwedischer Staatsmann und Außenminister, Eric Birger Trolle (1863–1934), Außenminister und Unterrichtsminister. Norwegen: Haakon VII. (1872–1957), König von Norwegen. Finnland: Hjalmar Johan Frederik Procopé (1889–1955), Minister im Finanz- und Wirtschaftsressort, Präsident des Völkerbundrates, Risto Heikki Ryti (1889–1956), Finanzminister und Präsident. Polen: Stanislaus I. Leszczynski (1677–1766), König, Stanislaus II. August (1732–1798), König, Fürst Adam Kasimir Czartoryski (1734–1823), polnischer Reichstagsmarschall. Tschechoslowakei: Eduard Benesch (1884–1948), einer der Begründer der modernen Tschechoslowakei, Alois Rasin (1867–1923), Freiheitskämpfer und erster Finanzminister der Tschechoslowakischen Republik, Jan Masaeyk (1886–1948), Außenminister (1945). Ungarn: Lajos Kossuth (1802–1894), Freiheitskämpfer und Revolutionsführer von 1849, Alexander Wekerle (1848–1921), dreimal Ministerpräsident und Finanzminister, Arthur Freiherr von Feilitzsch (1859–1925), Vizepräsident des ungarischen Abgeordnetenhauses. Bulgarien: Konstantin Stoiloff (1853–1901), Ministerpräsident, Minister des Äußern, des Inneren und der Justiz, Führer der Konservativen, Aleksan-


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dar Assen Zankov (1879–1959), Politiker der demokratischen Partei und Ministerpräsident. Serbien: Svetomir Nikolajevic (1844–1922), Minister des Innern und Ministerpräsident, Jovan Gjaja (1846–1928), Innenminister, Andra Djordjevic (1854–1914), Justizminister und Kultusminister, Lazar Pacu (1855–1915), Führer der Radikalen, Finanzminister. Russland: Paul I. (1754–1801), Zar von Russland, Alexander I. (1777– 1825), Zar von Russland, Iwan Elagin (1725–1794), Senator und Geheimer Rat, Kabinettsminister und Vertrauter der Zarin Katharina I., Fürst Gabriel Gagarin (?–1807), Handelsminister, P. Pereversew, Justizminister der provisorischen russischen Regierung unter dem Fürsten Lwow. Afghanistan: Sultan Mahomed Khan, Vizekönig. Türkei: Mustafa Kemal Pascha Atatürk (1881–1938), Begründer der modernen Türkei, Pascha Edham (1813–1893), Minister und Präsident des Obersten Gerichtshofes, Mehmed Pascha Fuad (1814–1869), Großwesir und Außenminister, Kleanti Skalyeri (1833–?), »JungTürke« und Reformer, M. Bey Rachid (1862–1935), Finanz- und Unterrichtsminister, Achmed Effendi Kemaleddin (1871–1931), türkischer Prinz, Mehemed Talaat Pascha (1874–1921), Innenminister und Postminister. Persien: Emir-ul-Mulkh Farrokh-Khan (1814–?), kaiserlich-persischer Minister. Indien: Pandit Motilal Nehru (1861–1931), Jurist und Politiker aus Kaschmir, Vater von Jawaharlal Nehru und Großvater von Indira Gandhi, Charles John Canning (1812–1862), Gouverneur, dann Vizekönig


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von Indien, D. J. de Eerens (1781–1840), Generalgouverneur von Niederländisch-Indien. China: Sut Yat-Sen (1866–1925), Philosoph, Revolutionsführer und Staatsmann, Gründer der Kuomintang und erster provisorischer Präsident, Chiang-Kai-Shek (1887–1975), General und Politiker, Gründer der Chinesischen Republik Taiwan, Jui-Heng Liu, Minister für öffentliche Wohlfahrt der chinesischen Nationalregierung in Nanking. Japan: Ichiro Hatoyama (1883–1959), Ministerpräsident, Graf Tudasu Hayashy (1850–1913), japanischer Staatsmann, mehrfach Minister und Botschafter in England, Prinz Higashikuni Naruhiko (1887– 1990), Ministerpräsident. Philippinen: Emilio Aguinaldo y Famy (1869–1964), Unabhängigkeitsführer und erster Präsident. Israel: Yitzhak Rabin (1922–1995), Generalstabschef der israelischen Armee und zweimal Ministerpräsident Israels. Algerien: Abd El Kader (1807–1883), algerischer Kabylenfürst und arabischer Emir. Ägypten: Mohammed Abdul Halim Pascha (1831–1894), ägyptischer Prinz und kaiserlich türkischer Minister. Jordanien: Hussein von Jordanien (1935–1999), König. Gabun: Leon M’Ba (1902–1968), Präsident, Omar Bongo (geb. 1936), Präsident.


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Mali: Hammadoun Dicko, Außenminister. Liberia: Tolbert, Präsident. Elfenbeinküste: Jean-Baptiste Mockey, Jean Knon Banny, Amadou Thiam, Ernest Boka, alles Mitglieder der links-liberalen Demokratischen Partei. Kongo: Denis Sassou Nguesso, Präsident. Südafrika: Jacobus Herklaas De la Rey (1847–1914), General im Burenkrieg und dann Mitglied des Volksrates der Südafrikanischen Republik, Christian Dewet (1854–1922), Burengeneral, Oberbefehlshaber der Oranjeburen. Kanada: Sir John Alexander MacDonald (1815–1891), kanadischer Premierminister, John George Diefenbaker (1895–1979), Premierminister (1957–1963). USA: Präsidenten der USA, die Freimaurer waren: George Washington (1732–1799), erster Präsident, Benjamin Franklin (1706–1790), einer der Hauptbegründer der amerikanischen Unabhängigkeit (von den 56 Unterzeichnern der Unabhängigkeitserklärung 1776 waren mindestens 15 Freimaurer; dazu gehörte ebenso der damalige Präsident, Thomas Jefferson, der die Erklärung verfaßt hatte), James Monroe (1758–1831), Präsident in den Jahren 1816 und 1820, Andrew Jackson (1767–1845), Präsident von 1829–1837, James K. Polk (1795–1849), James Buchanan (1791–1868), Präsident von 1857 bis 1861), Andrew Johnson (1808–1875), Präsident von 1865 bis 1869, James Abraham Garfield (1831–1881), Präsident des Jahres 1880, William Mc Kinley (1844–1901), Präsident in den Jahren 1896 und 1900, Theodore Roosevelt (1858–1919), William Howard Taft


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(1857–1930), Warren G. Harding (1865–1923), Franklin Delano Roosevelt (1882–1945), Harry S. Truman (1884–1972), Lyndon B. Johnson (1908–1973), Gerald Ford (1913–2006), Vizepräsident (1973/ 1974) und Präsident der Vereinigten Staaten. Auch Richard Nixon und Ronald Reagan sollen Freimaurer gewesen sein.151 Vizepräsidenten, die einen Freimaurer-Hintergrund haben: Aron Burr, Daniel D. Tompkins, Richard Mentor Johnson, George Misslin Dallas, William Rufus King, John Cabell Breckinridge, Schuyler Colfax, Adlai Elving Stevenson, Garret A. Hobart, Charles Warren Fairbanks, Thomas Riley Marshall. Sonstige bekannte Persönlichkeiten der Vereinigten Staaten, die Freimaurer waren: Henry Lee (1756–1818), amerikanischer General im Revolutionskrieg, Alexander Hamilton (1757–1804), General und Finanzminister, Samuel Houston (1793–1863), General und Politiker und erster Präsident der Republik Texas, George Dewey (1837–1917), US-Admiral, Elihu Root (1845–1937), Kriegsminister und Außenminister, Frank B. Kellog (1856–1937), Staatssekretär des Auswärtigen und Mitglied der Republikanischen Partei, Hubert Work (1860–1942), Innenminister und Präsident des Nationalkonvents der Republikanischen Partei, James W. Good (1866–1929), Kriegsminister, John William Davis (1873–1955), Mitglied im amerikanischen Kongress und Generalstaatsanwalt der Vereinigten Staaten, Fiorello H. Laguardia (1882–1947), Bürgermeister von New York City, Richard E. Byrd (1888–1957), amerikanischer Admiral und Polarforscher, Mark Wayne Clark (1896–1984), General der US Army, Generalstabschef 1942. Südamerika: Simon Bolivar (1783–1830), Führer der Unabhängigkeitsbewegung und Freiheitsheld Südamerikas. Dominikanische Republik: Horacio Vasquez (1860–1936), Präsident. Kuba: Tomas Estreda Palma (1835–1908), Revolutionär und Präsident, José Maria Marti (1853–1895), Freiheitskämpfer, José Gomez (1858–1913), kubanischer Staatsmann und Präsident der Republik (1809), Gerardo Machado y Morales (1871–1939), Staatspräsident.


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Haiti: Anne Alexandre Pétion (1770–1818), Begründer und Präsident der Republik Haiti. Mexiko: Guadelupe Victoria, Präsident (1824–1829), Vicente Guerrero, Präsident der Republik (1829), Manuel Gomez Pedraza (1789–1854), Kriegsminister und Präsident (1832), Javier Echevierra, Präsident (1841), Nicolas Bravo, Präsident (1842–1843), Carlo Benito Juárez (1806–1872), mexikanischer Freiheitskämpfer und zweimal Präsident (1858–1867 und 1871–1872), Porfiro Diaz, zweifacher Präsident (1876–1880 und 1884–1911), Franicisco y Madero, Revolutionär und Präsident (1911–1913), Alvaron Obregon, Präsident (1920–1924), Plutarco Elias Calles, Präsident (1924–1928), Emilio Portes Gil, Präsident (1928–1930), Pascual Ortiz Rubio, Präsident (1930–1932), Abelardo Rodriguez, Präsident (1932–1936). Costa Rica: José Maria Castro (1818–1891), Präsident. Venezuela: Francisco de Miranda (1750–1816), Freiheitskämpfer (auch für die USA), José Antonio Paéz (1790–1873), erster Präsident der Republik Venezuela, Blanco Antonio Guzman (1829–1899), Vizepräsident und dreimaliger Präsident. Kolumbien: Francisco de Paula Santander (1792–1840), Unabhängigkeitskämpfer und Präsident der Republik Kolumbien. Bolivien: Antonio José de Sucre (1795–1830), Präsident. Argentinien: Miguel de Azcuenaga (1754–1833), Freiheitskämpfer, Manuel Belgrano (1770–1820), General und Freiheitsheld, José de San Martin (1778–1850), Politiker und lateinamerikanischer Freiheitskämpfer, Carlos Maria de Alevar (1789–1852), Freiheitskämpfer, Justo


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José de Urquiza (1800–1870), Präsident der argentinischen Konförderation. Peru: Miguel San Román (1802–1863), Präsident, Augusto B. Leguia (1863–1932), Präsident der Republik Peru. Brasilien: Manuel Deodoro Fonseca (1827–1892), brasilianischer General und Präsident (1890/1891). Chile: Bernardo O’Higgins (1778–1842), Freiheitskämpfer, Salvador Allende (1908–1973), Präsident. Australien: Sir John Alexander Cockburn (1850–1928), Ministerpräsident von Südaustralien (1893–1898), Sir Joseph Cook (1860–1947), australischer Politiker und Ministerpräsident, Sir Newton James Moore, Minister und Ministerpräsident von Westaustralien (1905 und von 1906 bis 1911). Neuseeland: Sir Harry Albert Atkinson (1827–1892), Ministerpräsident von Neuseeland, Sir Charles Fergusson (1865–1951), Generalgouverneur und Oberbefehlshaber von Neuseeland.

3.4 Freimaurer -Politik, die die W elt veränderte Freimaurer-Politik, Welt Bei näherer Betrachtung all dieser freimaurerischen Persönlichkeiten aus Politik, Adel und Militär ist sehr schnell festzustellen, wie weltumfassend der Einfluss der Freimaurerei tatsächlich war und bestimmt auch noch ist. Viele gekrönte Häupter, Staatschefs, Minister und Militärs haben ihr Land oder gar ganze Nationen geprägt, verund geändert – einiges mit freimaurerischem Ideal. War und ist eine Trennung von Politik und Maurerei da überhaupt noch möglich? Dies mag zu Recht verneint werden. Nicht zu vergessen ist, dass Freimau-


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rer-Politiker der »freimaurerischen Ideologie« »nicht zuwiderhandeln« dürfen. Und genau unter dieser Prämisse sollten die einzelnen der aufgeführten Personen und ihre Handlungen auch betrachtet werden.

3.4.1 W eltweite Freimaurer -Politik152 Weltweite Freimaurer-Politik Nachfolgend präsentiere ich fünf willkürliche Beispiele für Logenbrüder, die die Politik bestimmt und das Gleichgewicht von Nationen und Völkern – der Welt – entweder stabilisiert oder ins Wanken gebracht haben: Freimaurer Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819), preußischer Generalfeldmarschall, 1782 in die Loge »Augusta zur goldenen Krone« im pommerschen Stargard aufgenommen und 1799 in die Loge »Zum hellen Licht« in Hanau, Meister vom Stuhl der Loge »Zu den drei Balken« in Münster, und Logenbruder Arthur Wellington (1769–1852), britischer Feldmarschall, 1790 Mitglied der Loge No. 494 zu Trim, brachen 1815 bei der Schlacht um Waterloo die Herrschaft Napoleons und veränderten dadurch entscheidend und nachhaltig die Machtverhältnisse in Europa. Freimaurer Simon Bolivar (1783–1830), General und Freiheitskämpfer, Logenbruder seit 1807, gründete die Logen Protection des Vertus in Venezuela und Ordre et Liberté in Peru, Präsident von Kolumbien und Peru, befreite das nördliche Südamerika von der Herrschaft Spaniens und gründete die »Panamerikanische Union« mit. Freimaurer Emilio Aguinaldo y Famy zettelte 1898 auf den Philippinen eine erfolgreiche Revolution gegen die spanische Kolonialmacht an, schmetterte ein Jahr später auch die Amerikaner ab, führte sein Land in die Unabhängigkeit und wurde der erste Präsident der Nation. In einer Rede erklärte er: »Die Revolution war freimaurerisch inspiriert, freimaurerisch angeführt und freimaurerisch ausgeführt. Und ich wage hinzuzufügen, dass die erste Philippinische Republik, deren Präsident ich gewesen bin, hauptsächlich durch die Freimaurer erreicht wurde.« Freimaurer Gazi Mustafa Kemal alias Atatürk (1881–1938), aufgenommen in eine von Italienern gegründete Loge in Mazedonien,


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rettete das Osmanische Reich vor dem Kolonialbestreben Englands und Frankreichs sowie vor den Expansionsgelüsten Griechenlands und gründete 1919 auf den Trümmern des alten Riesenreiches einen modernen republikanischen Staat zwischen Europa, Asien und Arabien: die Türkei. Bis 1938 war er deren Präsident. Widersprüchlich für einige Chronisten ist, dass Atatürk Anfang der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts die Freimaurerei verbieten ließ, aus Angst, seine Logenbrüder könnten eine Bedrohung für seine nationalistische Republik und seine diktatorische Präsidentschaft sein.

3.4.2 Deutsche Freimaurer -Politik153 Freimaurer-Politik Deutschland hat, wie beispielsweise auch England, Österreich und Frankreich, eine adlige Freimaurertradition. Nachfolgend einige Beispiele hierfür: Wilhelm I. (1797–1888), deutscher Kaiser und König von Preußen, Friedrich II., »der Große« (1712–1786), preußischer König, Friedrich Wilhelm II. (1744–1797), Nachfolger Friedrich des Großen (Friedrich II.) (1831–1888), deutscher Kaiser, Wilhelm, Prinz von Preußen (1722–1758), Heinrich, Prinz von Preußen (1726–1802), Ferdinand, Prinz von Preußen (1730–1813), Friedrich Leopold, Prinz von Preußen (1863–1931), Christian August Heinrich, Heinrich, Prinz von Preußen (1726–1802), Jérome Bonaparte (1784–1860), König von Westfalen, Wilhelm Karl Friedrich I. (1754–1816), König von Württemberg, Kurfürst Josef Maximilian I. (1756–1825), König von Bayern, Ernst August (1771–1851), König von Hannover, George V. (1819–1878), König von Hannover, Großherzogtum und Freistaat Hessen(-Darmstadt). Landgrafen und Prinzen: Ludwig VIII. (1691–1768), Ludwig IX. (1719–1790), Ludwig X. (1753–1830), Prinz Friedrich Ludwig (1759–1802), Christian Ludwig (1763–1830), Ludwig Georg Carl (1749–1823), Georg Karl (1754–1830), Großherzog Ludwig II. (1777–1848). Unter den Militärs taten sich besonders als Freimaurerbrüder hervor: Gebhard Leberecht Blücher (1742–1819), preußischer Generalfeldmarshall, Gerhard David von Scharnhorst (1755–1813), preußi-


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scher Generalstabschef, August Neidhard, Graf von Gneisenau (1760–1831), preußischer General und Generalfeldmarschall, Graf Felix von Luckner (1881–1966), deutscher Seeoffizier und Schriftsteller. Auch folgende deutsche Politiker haben eine freimaurerische Tradition: Jakob Friedrich, Freiherr von Fritsch (1731–1814), sachsenweimarischer Staatsminister, Graf Ludwig August Karl Dönhoff (1742–1803), preußischer Staatsminister und Obermarschall, Fürst Karl August von Hardenberg (1750–1822), preußischer Staatsmann, Graf von Haugwitz (1752–1831), preußischer Staats- und Kabinettminister, Christian Adolf Overbeck (1755–1821), Bürgermeister von Lübeck, Reichsfreiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (1757–1831), preußischer Staatsmann und Reformer, Karl Wilhelm, Freiherr von Fritsch (1769–1850), Staatsminister, Hermann SchulzeDelitzsch (1808–1883), deutscher Reichtagsabgeordneter, Gustav Karsten (1820–1900), Mitglied des Reichstages, Carl Schurz (1829–1906), deutsch-amerikanischer Politiker, Eduard Lasker (1829–1884), deutscher Politiker und Führer der deutschen nationalliberalen Partei, Karl Gerhardt (1832–1911), Bürgermeister von Frankfurt a. d. Oder, Prinz zu Carolath-Schönaich (1852–1920), Mitglied und Präsident des Reichstages (Führer der Nationalliberalen), Adolf Kempkes (1871–1931), Staatssekretär der Reichskanzlei während der Reichskanzlerschaft Gustav Stresemanns, Horace Greely Hjalmar Schacht (1877–1970), Bankier und Währungspolitiker, unter Hitler Reichsbankpräsident, Wirtschaftsminister und Minister ohne Geschäftsbereich, Gustav Stresemann (1878–1929), deutscher Staatsmann, Führer der Deutschen Volkspartei, Reichskanzler, Reichsaußenminister, Wilhelm Leuschner (1890–1944), Politiker und hessischer Innenminister (1928–1932), Thomas Dehler (1897–1967), FDP-Politiker, später Bundesminister der Justiz und Bundesvorsitzender der FDP, Reinhold Maier (1889–1971), FDP-Politiker, erster Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Henry Bernhard (1896–1960), deutscher Politiker und Sekretär Stresemanns, Fritz Sänger (1901–1984), Chefredakteur der Deutschen Presseagentur (dpa), SPD-Bundestagsabgeordneter und maßgeblicher Verfasser des SPD-Richtungspapiers Godesberger Programm, Willy Kressmann (1907–1986), Berliner Bürgermeister, Carlo Schmid (1896–1979), SPD-Politiker, einer der Gründerväter der Bundesrepublik, maßgeb-


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licher Mitverfasser des Grundgesetzes, Vizepräsident des Bundestages, Holger Börner (1931–2006), Ex-Bundesgeschäftsführer der SPD und ehemaliger Hessischer Ministerpräsident. Auf die Frage hin, ob Hans-Dietrich Genscher (FDP) und Kurt Biedenkopf (CDU) ein »Aufgabengebiet« in einer Freimaurerloge hätten, antwortete ein Logenbruder der »Vereinigten Großlogen von Deutschland«: »Leider hatten wir bis heute keine Gelegenheit, einen der genannten Herren mit irgendwelchen Aufgaben zu betrauen.«154 Aber was heißt das? Ja, Genscher und Biedenkopf sind Freimaurer? Oder nein, sie sind es nicht, deshalb konnten wir sie noch nicht mit Aufgaben versehen? Bei der Großloge selbst nachzufragen hat keinen Zweck, weil die Freimaurer grundsätzlich zu lebenden Personen keine Auskunft über eine Mitgliedschaft geben. Anonymer deutet der Logenbruder der »Vereinten Großlogen von Deutschland« dann doch noch an: »Persönlich kenne ich einige Bundes- und Landtagsabgeordnete. Grundsätzlich verbieten es unsere Statuten, Namen von Freimaurern zu nennen, die sich nicht öffentlich als Angehörige zu unserem Bund bekannt haben.«155 Noch ein paar Worte zu den FDP-Politikern Dehler und Maier: Thomas Dehler wurde 1927 in die Freimaurerloge »Zur Verbrüderung an der Regnitz« in Bamberg aufgenommen. Nach dem Verbot durch die Nazis und nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte er auch zu den Wiederbegründern der Loge, in der er bis zu seinem Tod im Jahr 1967 Mitglied war. Dehler war von 1949 bis 1953 Bundesminister der Justiz und von 1954 bis 1957 Bundesvorsitzender der FDP, später sogar Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Welchen Stellenwert der FDP-Freimaurer in seiner Partei hatte, beweist auch der Umstand, dass nach ihm nicht nur eine »Thomas-Dehler-Stiftung« der bayrischen FDP, sondern auch die Parteizentrale und das Geschäftshaus in Berlin (»Thomas-Dehler-Haus«) benannt wurde. Reinhold Maier war von 1924 bis 1933 Mitglied der Loge »Zu den Drei Cedern« in Stuttgart. Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte er auch als eines der Gründungsmitglied der Loge »Furchtlos und treu«, ebenfalls in Stuttgart, der er bis zu seinem Tod angehörte. Der FDP-Freimaurer Maier war der erste Ministerpräsident von BadenWürttemberg, kurzzeitig auch Justizminister und Bundesvorsitzender der FDP (1957–1960), später Präsident des Bundesrates. Nach ihm ist die FDP-nahe »Reinhold-Maier-Stiftung« benannt.


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Schon der preußische König Friedrich II., auch »Friedrich der Große« oder der »Alte Fritz« genannt, Großmeister der Freimaurer in Preußen, war ein »Förderer« der »Königlichen Kunst«. Viele der von ihm vertretenen Auffassungen flossen mit ein in die preußische Gesetzgebung. Damit schuf Friedrich II. eine der umwälzendsten europäischen Rechtsreformen zu seiner Zeit, was dazu führte – allerdings erst nach seinem Tod –, dass die Bauern aus der Leibeigenschaft befreit wurden. Das erste Mal wurden vor dem Gesetz der »geringste Bauer« oder der »Bettler« mit dem »Prinzen« gleichgestellt. Eine zu jener Zeit gewiss unglaubliche politische Agitation! Aber noch etwas anderes hebt diesen freimaurerischen König über die Riege seiner Logenbrüder: Er machte seine Zugehörigkeit zum Bund öffentlich. Ein »unter deutschen Politikern auch heute noch ungeheurer Vorgang« (Goeller).156 Außerhalb der Freimaurerlogen waren die deutschen Brüder in der Vorkriegszeit überwiegend konservativ politisch, nationalliberal oder deutschnational, später christlich-national-deutsch eingestellt. »Links« ging das Interesse höchstens bis zum »Demokraten«. Das maurerische »Flaggschiff« unter den Politikern ist aber nach wie vor Gustav Stresemann (1878–1929). Der deutsche Staatsmann hatte es zu vielen politischen Ämtern und Ehren gebracht: Führer der Deutschen Volkspartei, Reichskanzler, Reichsaußenminister und Friedensnobelpreisträger (1926). Seit 1923, also in der Zeit, in der er Kanzler war, war er Mitglied der Berliner Loge »Friedrich der Große« (Großloge »Drei Weltkugeln«) und Ehrenmitglied seiner Loge, weil er ein »Bedürfnis nach geistiger Gemeinsamkeit« und »innerer Befriedigung« suchte und hoffte, dies bei der Freimaurerei zu finden. Deshalb schrieb er in seinem Aufnahmegesuch an die Loge: »Schon lange war mein Wunsch, in eine engere Beziehung zu einem Kreis gleichgesinnter Menschen zu gelangen, die in unserer an Materialismus, Hast und Unruhe sich zermürbenden Zeit sich das Reich allgemeinen Menschentums, innerer Besinnlichkeit und Geistigkeit zu erhalten suchen. Im deutschen Freimaurertum hoffe ich, eine solche Gemeinschaft zu finden.« Doch von dieser Affinität zur Diskreten Gesellschaft wusste die Öffentlichkeit nichts. So hatte also auch Deutschland einen Kanzler, der Freimaurer war! Stresemann leitete nicht nur das Locarno-Abkommen, in dem Deutschland sich bereit erklärte, die Grenzen zu


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Frankreich und Belgien als »unabänderlich« anzuerkennen und auf eine »gewaltsame Veränderung« zu verzichten (dafür räumten die Briten ihre besetzte Zone im Rheinland), sondern auch die deutschfranzösische Aussöhnung mit seinem Logenbruder, dem französischen Außenminister und Freimaurer Aristide Briand. Er reichte ihm also sozusagen die »Hand zum Bunde«. Stresemann hatte es auch geschafft, dass das Deutsche Reich am 8. September 1926 wieder in den Völkerbund aufgenommen wurde. Er galt als bedeutender Staatsmann, der sich für Verständigung, Volksversöhnung und Frieden eingesetzt hatte. Zusammen mit seinem französischen Logenbruder Briand erhielt er am 10. Dezember 1926 den Friedensnobelpreis. Der Autor und Freimaurer Tom Goeller meint hierzu: »Betrachtet man Stresemanns politisches Wirken zu jener Zeit, liegt es geradezu auf der Hand, dass dieser deutsche Staatsmann seinem ganzen Wesen nach die Philosophie der Freimaurer verinnerlicht hatte … Und er trug seine freimaurerische Gesinnung sogar nach außen.«157 Beispielsweise erregte Stresemann Aufsehen, als er 1926 in Genf eine Rede anlässlich des Eintrittes Deutschlands in den Völkerbund hielt – in dem es viele Freimaurer gab –, die deutlich an freimaurerischen Sprachgebrauch angelehnt und vom maurerischen Weltgeist erfüllt war. Er sprach dabei vom »göttlichen Baumeister der Erde«, dem höchsten maurerischen Wesen also, und schickte damit eine »kodierte Botschaft an die Völkergemeinschaft: Ihr könnt mir vertrauen. Ich bin einer von euch.« (Goeller) Und in seiner letzten Rede vor seinem Tod, ebenfalls vor dem Völkerbund am 9. September 1929, legte er fast »weltverschwörerisch« nach: »Wir in unserem Kreise, wir haben die nüchterne Aufgabe, die Völker einander näher zu bringen.«158 Doch weniger bekannt ist, dass die deutschen Freimaurer und damit auch das unzufriedene Bürgertum als Mitglieder von dieser Versöhnungspolitik Stresemann eigentlich zunächst gar nicht viel wissen wollten und sich daher zur politischen Glanzleistung Stresemanns gänzlich ausschwiegen. Große Teile der Freimaurerei zu jener Zeit gingen sogar soweit, mit nationalen Erklärungen gegen die Versailler-Verträge, gegen die Kriegsschuldlüge zu reagieren, den Pazifismus als »schwächliche, volksschädigende seelische Entartung« anzusehen, ganz im Gegensatz zu Stresemanns Politik. Nur um der völkischen Öffentlichkeit den eigenen Nationalismus zu beweisen! Die Freimaurer, die international dachten, blieben dabei in der Min-


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derheit, mussten sich der allgemeinen Auffassung beugen oder schieden aus den Logen aus. So blieb es auch nicht aus, dass die im völkischen Milieu verankerten deutschen Maurer während der Schrekkensherrschaft der Nationalsozialisten zunächst »Anpassungsstrategien« entwickelten (Internationales Freimaurer Lexikon, S. 223). »Sie erniedrigten sich und biederten sich sogar noch an … Besonders rasch und eifrig versuchte die ›Große National-Mutterloge ,Zu den Drei Weltkugeln’‹ den NS-Machthabern gefällig zu sein … Die Nazis würdigten den Anbiederungsversuch in keiner Weise … Vielmehr ordneten sie an und verlangten von allen Logen in Deutschland, dass alle Freimaurer-Rituale von alttestamentarischen Inhalten ›zu bereinigen‹ seien. Die Preußische Großloge, die ›nationalste‹ der deutschen Großlogen, ging gehorsam sogar noch über diese Anordnung hinaus und erklärte: die Begriffe Loge, Freimaurer und Freimaurerei sind abgeschafft. Sie benannte ihre Loge um in Deutschen Orden oder Christlich-Deutschen Orden (Goeller, S. 126).« Der Skandal geht aber noch weiter, denn die Freimaurer biederten sich den Nazis nicht nur an, sondern waren sogar bestrebt, eine »nationalsozialistische Freimaurerei« einführen zu wollen! Am 21. März 1933 gratulierten die Großmeister der drei preußischen Großlogen dem Führer Adolf Hitler in einem gemeinsamen Telegramm, in dem es beispielsweise hieß: »Wie wir bisher getreu unseren nationalen und christlichen Überlieferungen bemüht waren, für das Wohl des deutschen Volkes zu werken, so werden wir auch weiter unentwegt der nationalen Regierung treueste Gefolgschaft leisten und alle uns zu Gebote stehenden Kräfte einsetzen zur Mitarbeit an dem Wiederaufbau unseres geliebten Vaterlandes.«159 Diesen Sachverhalt müssen wir uns einfach noch einmal vor Augen führen, weil die Freimaurer bei jeder Gelegenheit darauf hinweisen, dass sie arme Verfolgte des Hitler-Regimes gewesen seien. Dies stimmt, diesen Recherchen zufolge, allerdings nur zum Teil. Zu Verfolgten wurden sie erst, als die Nazis nichts auf ihre Anbiederungen gaben. Doch vorher priesen sich die Logenbrüder Hitler so sehr an, dass sie »Herz und Seele« der Freimaurerei an Hitler verkaufen wollten, nämlich Humanität, Toleranz, Gleichheit, Brüderlichkeit und Freiheit. Ja, sie wollten sogar eine »nationalsozialistische Freimaurerei« ins Leben rufen, alle ihre »Kräfte« für das neue Regime einsetzen, nur um dem Judenhasser und Diktator zu gefallen! Das


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klingt beinahe unglaublich, ist aber durch Freimaurer-interne Quellen belegt! Die Nazis gingen jedoch rigoros und systematisch gegen die Diskrete Gesellschaft vor. 1935 lösten sich die Logen endgültig auf, wurden verboten, ihr Vermögen konfisziert, Freimaurer verhaftet und in KZs gesteckt. In Deutschland wird die maurerische Öffentlichkeitsarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg betreffs Politik und Freimaurerei völlig anders gehandhabt als in anderen Ländern, beispielsweise im benachbarten Österreich. Nämlich nicht öffentlich. Wenig dringt aus den politischen Zirkeln und Parteien nach außen. Noch weniger bekennen sich offen zum Freimaurerbund. Einer davon war Ex-Bundesjustizminister Thomas Dehler, wie wir bereits gesehen haben, der im Sinne seiner Brüder das erste Gespräch zwischen Freimaurern und dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer vermittelte. Wenig später trafen die Großmeister und »Brüder Freimaurer«, die dem Bundestag und den Regierungsstellen in Bonn angehörten, zusammen. Vertreten waren Freimaurer aus allen Parteien: SPD, CDU, FDP und Bayernpartei. Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte 1982 vor Diplomaten, dass die Amerikaner mit der Invasion 1944 in der Normandie versuchten, »das geistige Erbe der Freiheitsrechte des Einzelnen«, die wir »von Franklin, von Jefferson, von Washington« haben, auch hierzulande nachhaltig zu etablieren. Und die Bundespräsidenten Gustav Heinemann (1970), Karl Carstens und Roman Herzog (1996) hatten gar Freimaurerdelegationen empfangen und somit wohl eine »gesellschaftliche Akzeptanz durch die Staatsführung« realisiert.160

3.4.3 Österreichische Freimaurer -Politik161 Freimaurer-Politik Auch in Österreich war eine lange traditionelle Freimaurerei bekannt, in der ebenfalls hochrangige Persönlichkeiten aus Adel und Politik mitmischten. Eine der ersten war Herzog Franz Stefan von Lothringen, der Gemahl Maria Theresias und spätere Kaiser Franz I. (1706–1765), Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, der 1731 im Haag durch eine englische Deputation in den Freimaurerbund aufgenommen wurde. Der prominente Logenbruder versank später dann in


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ausgesprochen alchimistischen Tendenzen. Weitere waren unter anderen: Wenzel, Fürst von Kaunitz (1711–1794), Hof- und Staatskanzler unter Kaiserin Maria Theresia, Karl Josef de Croix, Graf von Clerfait (1733–1798), österreichischer Feldmarschall, Martin Josef Prandstetter (1760–1798), Magistrat der Stadt Wien, Franz Schuhmeier (1864–1913), Führer der Sozialdemokratie, Reichsrats- und Landtagsabgeordneter, Ferdinand Hanusch (1866–1923), erster Staatssekretär (Minister) für soziale Fürsorge der Republik Österreich. Österreichische Maurer hatten nach 1945 für Furore gesorgt. So existierte ein »gewisses Misstrauen« in allen Parteien gegen die Brüder im Geiste. Unzulässige Gruppenbildung innerhalb einer Partei, parteischädigendes Verhalten durch Zusammenarbeit von Freimaurern über Parteigrenzen hinweg, so lauteten zwei Vorwürfe. Nicht zu vergessen auch die privaten Zugehörigkeiten als Karrierebeschleunigung. Nicht nur ÖVP-Abgeordnete, sondern auch SPÖ-Parlamentarier kamen in die Kritik. Sogar Mitglieder der früheren NSDAP, wie beispielsweise Christoph Klauser, Erwin Frühbauer oder der »höhergradige HJ-Führer«162 Leopold Wagner wurden von der freimaurerischen Bruderkette aufgenommen! Selbst der Vizegroßmeister von Österreich, Kurt Baresch, soll ein ehemaliger SS-Mann sein, der aber scheinbar erst in dieses Amt gewählt worden war, nachdem gesichert war, dass er sich im Dritten Reich hatte nichts zuschulden kommen lassen. Welch bittere Ironie der doch so humanitären Brüder! Schließlich war die SS an der Deportation und Vernichtung von über sechs Millionen Juden schuldig! Auch in Kärnten sollten Freimaurer eifrig Ehemalige eingesammelt haben. Denn, so der Grazer Historiker Dieter A. Binder: »Die Anziehungskraft des mystischen männerbündischen Freimaurerrituals kann germanisches Reckenritual durchaus ersetzen.« Noch 1986 beschwerte sich der ehemalige sozialistische Nationalratsabgeordnete Hannes Gradenegger aus Kärnten darüber, dass es gerade ehemalige Angehörige der NSDAP waren, die in Kärnten neben ihrer Funktion innerhalb der SPÖ auch noch Freimaurer seien (ein Vorwurf den sich auch die Kärnter ÖVP gefallen lassen musste). Er kritisierte auch den »Einfluß des Freimaurerwesens in der Partei«, das »Elitäre« wäre »unsozialdemokratisch« und »elitäre Einstellungen« wären für den Verlust des Kontaktes zur Basis verantwortlich. Im selben Jahr erschütterten »Briefe aus dem Grab« die österreichischen Maurer: Der ÖVP-Politiker und Freimau-


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rer Jörg Mauthe (1924–1986) ließ nach seinem Tode Briefe veröffentlichen. Darunter auch einen, der den zum (viertenmal) gewählten Großmeister Alexander Giese betraf. Mauthe warf ihm sozusagen »aus dem Grab« heraus« vor, durch eine forcierte Aufnahmepolitik die Logen im Sinne der SPÖ beeinflusst zu haben. Gleichzeitig griff er auch den Freimaurer und Wiener Bürgermeister Helmut Zilk an. Nicht zu vergessen, dass 1983das erste Mal ein Freimaurer Bundeskanzler der Zweiten Republik geworden war. Mit Fred Sinowatz saß ein Logenbruder im höchsten Amt Österreichs! Neben ihm gab es weitere prominente Landespolitiker in der SPÖ, die Freimaurer waren: Theodor Kery im Burgenland, Leopold Wagner und Erwin Frühbauer in Kärnten. Jetzt kam wieder, wie schon einmal, Kritik an der Doppelmitgliedschaft in der SPÖ und dem Freimaurerbund auf. Fakt scheint zu sein, dass bekannte und umstrittene Politiker wie beispielsweise Leopold Wagner, Ernst Koref, Helmut Zilk und Rudolf Streicher nicht nur in Parteien, sondern auch als »Brüder« einhellig in Freimaurerlogen saßen. Auch Staatssekretäre wie Eugen Veselsky, Landeshauptmänner wie Theodor Kery, Nationalräte, Landtagsabgeordnete und Stadträte waren und sind bekennende Freimaurer. Ich fragte betreffs dieses Themenkomplexes bei der »Großloge von Österreich« folgendes an: »In Österreich gehen die politischen ›Brüder im Geiste‹ offener mit ihrer Freimaurer-Mitgliederschaft um als in Deutschland. Warum? In Österreich ist sehr gut zu sehen, welche ›Machtfülle‹ Freimaurer politisch besitzen (Fred Sinotwatz war beispielsweise Kanzler etc., viele Freimaurer sitzen in der SPÖ, der ÖVP, der FPÖ etc.). Auch ehemalige Nazis wurden in den Freimauerbund aufgenommen (wie beispielsweise Erwin Frühbauer, Leopold Wagner, Kurt Baresch etc.). Warum?« Der Großmeister Martin Kraus antwortete163: »Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass in Österreich die ›politischen Brüder im Geiste‹ offener mit ihrer Freimaurermitgliedschaft umgingen als in Deutschland. Es ist jedem Freimaurer überlassen, sich selbst zu seiner Mitgliedschaft zu bekennen, es ist mir aber kein einziger Fall in der Gegenwart bekannt, wo ein österreichischer Politiker aus dem Umstand seiner Mitgliedschaft eine politische Aussage abgeleitet hätte. Zur Frage der Mitgliedschaft ›ehemaliger Nazis‹ möchte ich mich aus prinzipiellen Gründen nicht äußern, weil es zu unseren


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Prinzipien gehört, lebende Mitglieder des Bundes nicht öffentlich zu diskutieren. Es sei aber schon darauf hingewiesen, dass in vielen anderen Lebensbereichen so genannte ehemalige Nazis aufscheinen, die sich in ihrem späteren Leben von ihrer Vergangenheit abgewandt und ihre Fehler erkannt haben. Verzeihen ist wohl auch eine menschliche Eigenschaft und Tugend, die mit den Prinzipien des freimaurerischen Gedankens in einem sehr positiven Zusammenhang steht. Aber das kann man ja auch schon in der Zauberflöte nachlesen.« Freimaurer, die, wohl aus politischen Erwägungen, »Nazis verzeihen« – wenn das nicht Stoff für einen Polit-Krimi im Alpenland ist?

3.4.4 Schweizer Freimaurer -Politik164 Freimaurer-Politik Dass die Schweiz im europäischen Staatengebilde etwas »Besonders« ist, hat sie nicht nur durch ihre Neutralität während der beiden großen Weltkriege bewiesen. Auch in freimaurerischer Hinsicht stellt sie, weltweit betrachtet, eine Rarität dar: Der eidgenössische Staat ist das einzige Land, in dem jemals darüber abgestimmt wurde, ob Freimaurer zugelassen oder verboten werden sollten! So geschehen am 28. November 1937, nachdem Arthur Fonjallaz, Führer der rechtsextremen Front, eine Initiative für ein Verbot der Freimaurerei vorantrieb. Das Ergebnis des Stimmenverhältnisses von 2:1 sprach für die Logenbrüder: Die Initiative wurde abgelehnt. Eine solche Bürgerabstimmung wäre in Deutschland und auch anderen europäischen Ländern wohl begrüßenswert, aber undenkbar. Das Freimaurerleben in der Schweiz ist wohl eng verquickt mit einem Bruderbund: der Großloge Alpina, die 1844 gegründet wurde Der Historiker, Erziehungsrat und Züricher Magistrat Jakob Hottinger (1783–1860), Mitglied der Loge Modestica cum Libertate, wurde ihr erster Großmeister. Grundlegende Reden hielt auch der frühere Bürgermeister von Zürich und spätere erste Bundespräsident der schweizerischen Eidgenossenschaft Jonas Furrer (1805–1861). Er war Mitglied der Winterthurer Loge Akazia und Mitbegründer der Alpina. Politiker spielten in der Großloge Alpina als verantwortungsvolle Maurer eine gewichtige Rolle, so neben Furrer auch der Staatsrat Abraham Daniel Meystre (1813–1870), Advokat und Staatsrat in Lausanne, später dann Nationalrat, der großen Anteil an der Reform


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seines Heimatkantons hatte, Meister vom Stuhl der Lausanner Loge Espérance et Cordialité und von 1856 bis 1862 Großmeister der Loge Alpina war. Auch der Neuenburger Staatsrat Edouard Quartierla Tente (1855–1924), Mitglied der Loge La bonne harmonie, agierte von 1900 an fünf Jahre lang als Großmeister der Alpina. Er war auch Leiter des »Internationalen Büros für freimaurerische Beziehungen«. Ihm folgte der Züricher Stadtrat und Mitglied der Loge Modestica cum Libertate Hermann Häberlin in seine Position. Er war später Mitglied der eidgenössischen Delegation zur Abrüstungskonferenz. Selbst einen hochrangigen Polizeiführer gab es in den GroßmeisterReihen der Alpina-Großloge: John Cuémond, Polizeidirektor in Genf. Sie alle huldigten dem vaterländischen Gedanken und hingen einer ausgedehnten patriotischen Betätigung nach. Dazu gehörte auch Henry Dunant (1828–1910), Friedensnobelpreisträger und Begründer des Roten Kreuzes. Doch noch andere hochrangige Politiker spielten im FreimaurerLeben der Schweiz eine dominierende Rolle. Louis Ruchonnet (1834–1893) gründete 1871 in Lausanne die Loge LaLiberté. Er selbst war Bundesrat und wiederholt Bundespräsident der Schweizer Eidgenossenschaft. Ebenso wie Marc Emile Ruchet (1853–1912), Bundesrat und Bundespräsident, Emil Frey (1838–1922), schweizerischer Bundespräsident und Mitglied der Basler Loge »Zur Freundschaft«, Adrien Lachenal (1849–1918), Bundespräsident, Präsident der beiden eidgenössischen Räte, einer der hervorragendsten Führer der freisinnigen Partei, Meister vom Stuhl der Genfer Loge Fidélité et Prudence und Otto Kronauer (1850–1922), Erster Staatsanwalt des Kanton Zürich, dann Bundesanwalt der schweizerischen Eidgenossenschaft und Mitglied der Loge Akazia in Winterthur.

3.4.5 Italienische Freimaurer -Politik165 Freimaurer-Politik Die Französische Revolution und damit der Einzug des Jakobinertums veränderte auch in Italien das Logenleben. So ankerte 1792 eine Flotte der neuen Republik Frankreich im Hafen von Neapel. Von diesem Augenblick an wurde die Freimaurerei in Italien ein »gelehriges Werkzeug der regierenden Gewalten«. Während der Diktatur Napoleons beherrschten Marschälle, Ritter der Ehrenlegion und die


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Senatoren und Deputierten das Logenleben. Der Vizekönig Eugen Beauharnais, der Stiefsohn Napoleon I., wurde sogar Großmeister und an die Spitze des Grand Orient de Naples gelangte Joachim Murat (1771–1815), der König von Neapel, Großaufseher des »Großorient von Frankreich«, Großkanzler des »Großorient von Italien«. So waren die Freiheitskämpfer Italiens an vorderster Front, nicht nur militärisch und politisch, sondern auch freimaurerisch gesinnt. Giuseppe Garibaldi (1807–1882), italienischer Freiheitsheld und Revolutionär, war Mitglied der französischen Loge Les Amis de la Patrie zu Montevideo, wurde Großmeister »ad vitam« der aus der Vereinigung mehrerer Systeme hervorgegangenen Freimaurerei und später Ehrengroßmeister des »Großorients«. Er war es, der bekundete, dass Freimaurer ein »auserwählter Teil des italienischen Volkes« seien! Garibaldi betätigte sich nicht nur politisch, sondern auch militärisch am Freiheitskampf Italiens. Er führte ein Freiwilligenkorps gegen die Österreicher an, kämpfte gegen die Franzosen, eroberte Sizilien und ging sogar 1871 im Deutsch-Französischen Krieg aufs Schlachtfeld. Sein Logenbruder Camillo Benso Cavour (1810–1861), der Führer der gemäßigten Liberalen, unterstützte den Kampf Garibaldis. Schließlich gelang es ihm Italien zu einigen. 1852 wurde er Ministerpräsident. Hier nun eine Auflistung weiterer »politischer«, italienischer Freimaurer: Filippo Cordova (1812–1868), Mitglied der Loge Ausonia in Turin und Großmeister des italienischen Großorients, Minister in verschiedenen Kabinetten. Logenbruder Giuseppe La Farina (1815–1863), einer der Revolutionsführer in Sizilien, gründete in Turin die Loge Progress, er agierte als Abgeordneter und war Minister. Francesco Crispi (1819–1901), Mitglied der römischen Loge Propaganda Massonica und Ehrenmitglied der Turiner Loge Ausonia, Führer der Linken im italienischen Parlament, »Garibaldiner« und von 1893 bis 1896 Ministerpräsident. Malachia De Cristoforis (1830–1916), italienischer Senator. Pietro La Cava (1835–1912), Mitglied des »Obersten Rates« und Minister in verschiedenen Kabinetten. Giuseppe Mussi (1836–1904), Deputierter Großmeister des »Großorients von Italien«, Abgeordneter, Senator, Vizepräsident der Kammer und Bürgermeister von Mailand. Luigi Luzatti (1840–1927),


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Parlamentarier, Finanzminister und Ministerpräsident. Allesandro Fortis (1841–1909), Mitglied des Supremo Consiglio, Freiheitskämpfer, Führer der Linken, Minister in verschiedenen Kabinetten und 1905 Ministerpräsident. Aprile Finocchiari (1851–1916), Mitglied der Loge Propaganda Massonica, Minister in verschiedenen Kabinetten und 1914 Justizminister. Marchese di Antonio San Giuliano (1852–1914), Mitglied der Loge Universo in Rom, Abgeordneter, Senator und Außenminister. Luigi Credaro (1860–1939), republikanischer Abgeordneter und radikaler Unterrichtsminister. Natürlich war auch »Politik« das Programm der italienischen Freimaurer! »Die Politik des Grande Oriente war die des italienischen Liberalismus, der national und antiklerikal gerichtet war«, berichtet das Internationale Freimaurer Lexikon (S. 427) dazu. »Es gibt kein bedeutenderes Ereignis der italienischen Politik, zu dem der Grande Oriente nicht in diesem Sinn Stellung nimmt ... Verwundern darf das um so weniger, als fast alle großen Politiker des Risorgimento und der italienischen Wiedergeburt dem Freimaurerbund angehörten …« Wie antiklerikal die Logenbrüder damals wirklich waren, bewies Maurer Bissolati, der 1908 im Parlament den Antrag einbrachte, den Religionsunterricht aus den öffentlichen Schulen zu entfernen! Befürwortet wurde dieser Vorschlag auch vom Grande Oriente. Allerdings lehnte das Parlament den Antrag ab. Die italienischen Freimaurer kämpften vor allem »politisch« um die Einheit des Vaterlandes. So kam es, daß Anfang des 20. Jahrhunderts sich italienische Freimaurer folgenschwer für das Land in der Weltpolitik betätigten. 1915 unterstützten die beiden großen (und einzigen) freimaurerischen Vereinigungen im Land, der Grande Oriente di Palazzo Giustiniani und die Gran Loggia di Piazza del Gesù, den Eintritt Italiens in den Ersten Weltkrieg. Die Freimaurerei war zuerst sozialistischen, dann den kommunistischen Bewegungen gegenüber feindselig. Als sieben Jahre später Mussolini die Macht ergriff, gab es unter den Faschisten, trotz Verbot, viele Freimaurer, die sich sogar führend betätigt hatten. Unter ihnen beispielsweise General Luigi Capello (1859–1941), Kommandant der zweiten Armee im Ersten Weltkrieg. Er wurde sogar zum Kommandant der faschistischen Miliz ausersehen! Später verließ er dann die faschistische Partei. 1925 trat ein Anti-Freimaurer-Gesetz in Kraft und 1927 wurde offiziell die Freimaurerei in Italien abgeschafft. Aber eben nur


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offiziell. Auf die politischen Umtriebe, Ränkespiele und Skandale um die Freimaurerloge Propaganda due (P2) werde ich in Abschnitt 4.1.3 »›Politaffäre‹ Propaganda Due (P2)« eingehen.

3.4.6 Französische Freimaurer -Politik166 Freimaurer-Politik Auch im französischen Königshaus und im Adel gab es reichlich Logenbrüder, wie beispielsweise: Ludwig XVI. (1754–1793), König, Ludwig XVII. (1754–1824), König, Napoleon I. Bonaparte (1769–1821), Kaiser der Franzosen, Joseph Bonaparte (1769–1844), König von Spanien, Louis Bonaparte (1778–1846), König von Holland, Jérome Bonaparte (1784–1860), König von Westfalen, Pierre Napoleon Bonaparte (1815–1881). Besonders zu Napoleons Zeiten existierten unter den Militärs viele Maurerbrüder: Francois Joseph Lefebvre (1755–1820), erfolgreicher Heerführer Napoleons, und die Marschälle von Frankreich und übrigen Heerführer: Kellermann, Serruier, Mortier, Moncey, Masséna, Augoreau, Soult, Oudinot, Lefebvre, Macdonald, Ney, Bernadotte, Pérignon, Sebastini, Lannes und Poniatowski. Zu erwähnen ist auch noch Honoré Ganteaume (1755–1818), französischer Admiral und Kommandant der Seestreitkräfte. Als Freimaurer-Politiker taten sich hervor: Francois Alexandre Frédéric de La Rochefoucauld (1747–1827), Herzog von Liancourt und Mitglied der Nationalversammlung, Georges Jacques Danton (1759–1794), französischer Revolutionär und Justizminister, Marquis de Marie Joseph de Motier Lafayette (1757–1834), französischer General im amerikanischen Freiheitskrieg und Revolutionär der Französischen Revolution, Elie, Herzog von Decazes (1780– 1860), Staatsmann und Ministerpräsident unter Ludwig XVIII., Isaac Adolphe Crémieux (1796–1880), französischer Advokat und Politiker, Justizminister, Jules Favre (1809–1880), französischer Staatsmann und Außenminister (1881), Eugène Spuller (1835–1896), Unterrichtsminister und Außenminister, Jacques César Joffre (1852–1931), Marschall von Frankreich, Generalstabschef und bis 1916 Oberbefehlshaber der französischen Truppen im Ersten Weltkrieg, Jean Moulin (1899–1943), französischer Résistance-Führer. Die Irrungen und Wirrungen der Französischen Revolution von


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1789 und die Verwicklung maßgeblicher Logenbrüder darin stelle ich in Abschnitt 4.1.2. »›Politaffäre‹ Französische Revolution« dar. Nach der Revolution griffen Freimaurer aktiv in das politische Handeln mit ein, wie die hohe Beteiligung an den Regierungen nach 1871 aufzeigt, wo die mächtigsten Männer der Republik ebenfalls zum Bruderbund gehörten. Unter ihnen waren: Marie Francois Sadi Carnot (1837–1894), französischer Staatsmann und Präsident der Republik, Felix Faure (1841–1899), Präsident der französischen Republik und Mitglied der Loge L’Aménite in Le Havre, Henry Antoine Dubost (1842–1921), Justizminister, Präsident des Senats und Präsidentschaftskandidat, Maurice Rouvier (1842–1911), Außenminister und Ministerpräsident, Mitglied der Pariser Loge Clémente Amitié, Eugène Etienne (1844–1921), Vizepräsident, Innenminister und Kriegsminister und Mitglied der Pariser Loge Cosmos, Leon Victor Bourgeois (1851–1925), französischer Ministerpräsident, Präsident der Kammer und des Senats, Bevollmächtigter Frankreichs bei den Haager Friedesnkonferenzen, Erster Vorsitzender des Völkerbundrates, Friedensnobelpreisträger und Mitglied der Loge Sincérité in Reims. Darüber hinaus: Paul Doumer (1857–1932), Präsident der französischen Republik (seit 1931), Generalgouverneur von Indochina, Präsident des Senats, Mitglied der Logen Los Frères du MontLaonais und Conseil de l’Ordre du Grand Orient de France ( er will später dann die Freimaurerei verlassen haben), Stephen Pichon (1857–1933), Staatsmann und Außenminister und Mitglied der Pariser Loge Les Amis de la Tolérance, Louis Lafferre (1861–1923), Senator und Unterrichts- und Arbeitsminister, Marcel Sembat (1862–1922), Führer der französischen Sozialdemokratie, Arbeitsminister, Mitglied der Loge La Fidélité in Lille und Gründer der Pariser Loge La Raison (auf einem Freimaurerkonvent glorifizierte er die Toten des Ersten Weltkrieges), Camille Chautemps (1885–1963), französischer Ministerpräsident. Ferner wurden beispielsweise in der sozialistischen Regierung Fabius als Freimaurer angegeben: Roland Dumas, Außenminister, Jaques Lang, Kulturminister, und Charles Hernu, Verteidigungsminister. Von elf Mitgliedern der ersten Regierung der Dritten Republik waren alleine neun (!) Freimaurer, unter ihnen beispielsweise Léon Gambetta (1838–1882), der 1881 sogar Ministerpräsident war (er war Mitglied der Marseiller Loge La Réforme und der Pariser Loge


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Clémente Amitié), Jules Ferry (1832–1893), 1880 Schulminister, 1882 Ministerpräsident, ebenfalls Mitglied der Pariser Loge Clémente Amitié, Emanuel Arago (1812–1896), Minister, Mitglied der Boulogner Loge Le Réveil Maconnique oder Jules Francois Simon (1814–1896), Unterrichtsminister und ebenfalls Mitglied der Boulogner Loge Le Réveil Maconnique. In dieser Zeit mauserte sich der Grand Orient immer mehr zu einer antiklerikalen, politischen Partei, was unter anderem 1877 auch zum Bruch mit der freimaurerischen Mutterloge, der United Grand Lodge of England, führte. 1879 erreichte die politische Maurerei ihren Höhepunkt, als der Logenbruder Jules Grévy Präsident der Republik wurde, Léon Gambetta Präsident des Parlaments und Jules Ferry Erziehungsminister! 23 Jahre später, 1902, wurden unter dem Freimaurer-Ministerpräsidenten Emil Combes sogar tausende kirchliche Schulen und Klöster geschlossen und 1904 durften keine religiösen Einrichtungen mehr Unterricht erteilen! Gegen jegliche Freimaurer-Philosophie und jeglichen Ehrenkodex verstießen die französischen Logenbrüder auch, als sie 1826 eigens eine Loge gründeten, die Les Enfants Adoptifs de Sparte et d’Athènes (»Die Adoptiv-Kinder von Sparta und Athen«), um Freimaurer militärisch für einen Krieg, nämlich den griechischen Befreiungskampf von 1821 bis 1828 gegen die verhassten Türken und Ägypter, zu organisieren. So kämpften Freimaurer militärisch gegen die Besatzer, nicht ohne hohe Opfer zu beklagen. Freimaurer hatten sich auch massiv gegen den Versailler Vertrag ausgesprochen, der Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg knebelte. Ein Mitglied der Grande Loge nannte 1924 die Friedensverträge ein Unrecht und den »vorläufigen Triumph des Egoismus«. Die französischen Freimaurer forderten auch den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. In diesem Sinne trat einer der berühmtesten französischen FreimaurerPolitiker auf historischen Boden: der bereits erwähnte Aristide Briand (1862–1932, Mitglied der Logen Le Trait d’Union de Saint Nazaire und Les Chevaliers du Travail). Er galt als ein leidenschaftlicher Sozialist und als ein leidenschaftlicher Logenbruder. Das Gedankengut »Proletarier« – also »Brüder« – »aller Länder vereinigt euch« und das Lied Brüder zur Sonne, zur Freiheit, stammten aus Freimaurerkreisen. Vor allem mit seinem deutschen Kollegen und Logenbruder Gustav Stresemann arbeitete Briand an der Völkerverständigung. Sie


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beide verband das »Geheimnis der Bruderschaft der Freimaurer«. Noch in der Regierung Eduard Herriots fanden sich 1932 zwölf Freimaurer. Im Herbst 1995 kam es im Grand Orient de France zu einem Eklat: Der Großmeister und Journalist Patrick Kessel klagte bei einer Logenversammlung über »finanzielles Chaos, Spesenritterei und persönliche Strategien«. Noch mehr: Er und seine Fraktion beschuldigten den Grand Orient, zu einem verlängerten Arm der Sozialisten geworden zu sein, während er selbst bezichtigt wurde, den Gaullisten und dem damaligen Präsidenten Chirac nahe zu stehen. Danach wurde Kessel vom obersten Rat sofort abgesetzt, sprich gefeuert! Brian Freemantle, ein Experte für Organisierte Kriminalität, schrieb dazu: »Die aktivste und mächtigste von ihnen (der ›Orient‹-Logen, Anm. d. Autors) ist die Grande Oriente Lodge of France: Familienmitglieder zweier ehemals führender französisicher Politiker haben hohe Positionen darin bekleidet und unterhalten immer noch aktive Verbindungen zu ihr.« In der neueren französischen Politik sind als Freimaurer bekannt geworden: Christian Nucci (Grand Orient de France), Jaques Godfrain (Grande Loge de France), beides Minister für Zusammenarbeit, Guy Penne (Grand Orient de France), Afrika-Berater des verstorbenen Präsidenten Francois Mitterrand, Fernand Wibaux (Grand Orient de France), ehemaliger Botschafter, und Jacques Foccart (Grand Orient de France), Afrika-Berater des Ex-Präsidenten Jacques Chirac.

3.4.7 Englische »Freimaurer -Politik«167 »Freimaurer-Politik« England gilt als Mutterland der Freimaurerei und seit 1721 stehen ausschließlich Mitglieder des Hochadels oder des Königlichen Hauses an der Spitze der Großloge, wie beispielsweise: Friedrich Ludwig (1707–1751), Prinz von Wales, Eduard August (1739–1767), Herzog von York und Albany, Wilhelm Heinrich (1743–1805), Herzog von Gloucester, Heinrich Friedrich (1745–1790), Herzog von Cumberland, August Friedrich, der spätere Georg IV. (1762–1830), König von England und Hannover, Friedrich (1763–1827), Herzog von York und Albany, Wilhelm IV. (1765–1837), König von England und Hannover, Eduard (1767–1820), Herzog von Kent und Strathearn,


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Ernst August (1771–1851), Herzog von Cumberland, August Friedrich (1773–1843), Herzog von Sussex, Wilhelm Friedrich (1776– 1834), Herzog von Gloucester und Edinburgh, Georg V. (1819–1870), König von Hannover, Eduard VII. (1841–1910), König von England und Kaiser von Indien, Arthur Wilhelm Patrick Albert (1850–1942), Herzog von Connaught, Leopold Georg Duncan Albert (1853–1884), Herzog von Albany und Albert Viktor Christian Eduard (1864–1892), Herzog von Clarence und Avondale. Dazu gehören weiter: Arthur Friedrich Patrick Albert (1883–1938), Herzog von Connaught, Eduard Albert (1894–1972), Prinz von Wales und Herzog von Cornwall, Albert Friedrich Arthur Georg (1895–1952), Herzog von York, Georg Eduard Alexander Edmund (1902–1942), königlicher Prinz, Philip (geb. 1921), Prinz, Herzog von Edinburgh, Prinzgemahl von Königin Elisabeth II., und Edward, Duke of Kent (geb. 1935), seit 1967 Großmeister der United Grand Lodge of England. Unter den Militärs gelangte ganz besonders der Freimaurer und Admiral Horatio, Lord Herzog von Bromte Nelson (1758–1805) zu historischen Ehren. Unter den englischen Politikern sind unter anderen als Freimaurer bekannt: George Canning (1770–1827), Staatsmann und Premierminister, Robert Lowe (1811–1892), Schatzkanzler und Innenminister, Henry Pelham F. Clinton Newcastle (1811–1864), Kriegsminister und Kolonialminister, George Leveson Gower Granville (1815–1891), Außenminister und Kolonialminster, Sir Frederick Halsey (1839– 1927), Politiker und Unterhausmitglied, Lord Horatio Herbert Kitchener of Khartoum (1850–1916), britischer Feldmarschall, Cecil Rhodes (1853–1902), Politiker, Finanzmann und Ministerpräsident der Kapkolonie (Südafrika), George Viscount Cave (1856–1922), führender konservativer Staatsmann, Innenminister, und Earl Douglas Haig (186–1928), britischer Feldmarschall. Dazu gesellen sich: Edward Grey (1862–1933), Außenminister, Benjamin Tillett (1860–1943), führender Politiker der Labour Party, Sir Gordon Hewart (1870– 1943), höchster Richter des Königreichs und Mitglied des Unterhauses sowie Kabinettsminister, James F. Shillaker (1870–1943), Pensionsminister, Sir Douglas McGarell Hogg Hailsham (1872–1950), Lordkanzler und Kriegsminister und Sir Winston Leonard Spencer Churchill (1874–1965), englischer Staatsmann, Premierminister und Mitbegründer der UNO. Außerdem noch: Sir Arthur H. D. R. Steel-


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Maitland (1876–1935), Arbeitsminister und Präsident der konservativen Parteiorganisation, Herbert Dunnico (1876–1953), Mitglied des englischen Unterhauses, Richard William Alan, Earl of Onslow (1876–1945), Minister für Gesundheitswesen, Parlamentssekretär für das Unterrichtswesen sowie Arthur Greenwood (1880–1954), Gesundheitsminister, Bereits 1799 wurde im Parlament ein Gesetzesentwurf eingebracht, in dem alle Vereinigungen für ungesetzlich erklärt werden sollten, deren Mitglieder einen »nicht staatlich genehmigten Eid« ablegten. Dazu gehörten auch die Freimaurer. Doch eine wie auch immer geartete Lobby erreichte eine Ausnahmeverfügung für die Brüder im Geiste. Rund 200 Jahre später, 1997, brach in Großbritannien eine wahre »Anti-Freimaurer-Hysterie« aus. Hintergrund waren einige Strafrechtsfälle, die manchem Zeitgenossen »merkwürdig« vorkamen und zu massiven Beschuldigungen führten: Die englische Polizei und Justiz sei von Freimaurern regelrecht unterwandert, die kriminelle Logenbrüder erst gar nicht verhaften oder gar zur Flucht aus dem Gewahrsam verhelfen würden. Labour-Abgeordnete forderten deshalb ein öffentlich zugängliches Register sämtlicher Freimaurer in verantwortlichen Positionen, insbesondere für die Beamten der Europäischen Kommission. Dies insbesondere deshalb, da der Freimaurer-Eid wohl die Loyalität über allen anderen, auch der politischen stellte! Ein Kommitee des Parlaments untersuchte die Vorwürfe und empfahl in einem First Special Report on Membership of Secret Societies der englischen Polizei und Justiz, ihre Logen-Mitgliedschaft in einem Register bekannt zu geben. Im Februar 2005 fragte ein Abgeordneter des englischen Oberhauses bei der Regierung zum Thema »Freimaurer und Polizei« nach und erhielt die Antwort, dass seit 1999 im Polizeidienst eine freiwillige Angabe über eine Mitgliedschaft bei den Freimaurern eingeführt worden sei. Das Register werde jedoch nur intern geführt, weil es keine gesetzliche Grundlage für ein solches gebe. Im Endeffekt hatte also der ganze Aufwand nichts gebracht, um die Freimaurer in den Polizei- und Justizkreisen zu »outen«, weil alles auf einer Freiwilligkeit der Betroffenen basierte, ohne gesetzliche Handhabe. Anders sieht da in Griechenland aus, wo es unerwünscht ist, dass Beamte und Diplomaten einer Freimaurerloge angehören.


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3.5 »Freimaurer -Politiker -Outing« »Freimaurer-Politiker -Politiker-Outing« Freimaurer, die Politik »gemacht« hatten und haben, waren also weltweit vertreten. Doch wie sieht es heute damit aus, in den deutschen, österreichischen und Schweizer Parlamenten? Wer von den Politikern welcher Parteien gehört der Diskreten Gesellschaft an? Was halten unsere Volksvertreter überhaupt von den Freimaurern? Um dies herauszufinden, fragte ich erstmals bei den Parteien in Deutschland (CDU, CSU, SPD, FDP, GRÜNE, LINKSPARTEI), beim Deutschen Bundestag, den Parteien in Österreich (SPÖ, ÖVP, FPÖ, GRÜNE) und bei den Parteien in der Schweiz (SVP, FDP, CVP, SP-PS) folgendes an168: Gibt es Politiker in Ihrer Partei, die auch dem Freimaurerbund angehören? Wenn ja, um welche Personen handelt es sich dabei? Wie können Politiker Weltanschauung der Freimaurer und Staatsamt vereinbaren? Wenn Sie diese personelle Frage nicht beantworten wollen, warum nicht? Schließlich ist ein Politiker vom Volk, vom Bürger gewählt worden, sollte dem Volke dienen und daher sollte der Bürger und Wähler auch wissen, welcher Gemeinschaft ein Abgeordneter tatsächlich auch noch angehört. Wenn nein, wie wird dies geprüft, weil die »Mitgliederlisten« ja nicht öffentlich sind? Gibt es für Sie eine »Unvereinbarkeit« zwischen Freimaurerei und Politik? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Ist es Ihres Erachtens tatsächlich vereinbar, Politiker und Freimaurer zu sein? Im Internationalen Freimaurer Lexikon steht, dass Politiker, die Freimauer sind, der »freimaurerischen Ideologie nicht zuwiderhandeln« sollten! Was halten Sie davon? Dadurch sind Politiker »parteiisch«. Dadurch haben Freimaurer eine »indirekte« Lobby. Wie stehen Sie dazu? Sollte bekannt werden, dass Politiker beispielsweise einer anderen Weltanschauung huldigen (wie die der Scientologen o. ä.) wäre dies ein Skandal. Warum bei den Freimaurer nicht? Politiker sind vom Volk gewählt und sollten auch dem Volk dienen und nicht einer bestimmten Weltanschauung oder einer bestimmten Gemeinschaft, wie beispielsweise der »Diskreten Gesellschaft« der


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Freimaurer. Was meinen Sie dazu? Politik und Freimaurerei: Ist dies nicht eine »Verdummung« der Wähler? Nach außen hin vertritt man verschiedene politische Standpunkte, in der Loge sitzen alle einhellig als Brüder zusammen und huldigen einer Weltanschauung, nämlich der der Freimaurerei? Ist dies das »Geheimnis« der Freimaurerei, das nicht nach außen dringen darf, weswegen auch keine Namen veröffentlicht werden, damit der Bürger dieses »politische Theater« nicht durchschaut? Ist es nicht gefährlich für eine Demokratie, wenn sich eine politische, geistige und wirtschaftliche Elite in geheimen Kreisen trifft, dort »unöffentliche« Riten betreibt und Dinge bespricht, von denen die Öffentlichkeit nichts mitbekommt und einer Hierarchie untersteht, die für jeden Außenstehenden undurchschaubar ist? Ist nicht alles, was geheim und elitär ist, im Grunde auch zutiefst »undemokratisch«? Gibt es in Ihrer Partei bzw. im Bundestag, wie beispielsweise in England, die Forderung nach einem »Freimaurer-Register« mit Namen, weil die Loyalität, die der freimaurerische Eid fordert, über dem des politischen Amtseides stehen könnte? Wenn ja, bekommt die Öffentlichkeit Einsicht, wenn nein, warum gibt es so etwas in Deutschland nicht? War Jürgen Möllemann Freimaurer, wie oft behauptet wird? Ist Hans-Dietrich Genscher Freimaurer, wie oft behauptet wird? Was ist Ihre parteiinterne Meinung zum Freimaurertum? Zusätzlich stelle ich noch Fragen zur Freimaurerloge Propaganda Due. Nachfolgend die Antworten der »Volksvertreter« aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

3.5.1 Deutsche Parteien/Bundestag 3.5.1.1 CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands)169 Trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung erhalte ich von der Volkspartei der CDU keine Antwort. So frage ich telefonisch beim Pressereferenten nach. Der erklärt mir, meine Anfragen wären »untergegangen« beziehungsweise ich hätte eine falsche E-Mail-Adresse benutzt. Als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass diese Adresse


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auf der Homepage der CDU angegeben ist, bittet er mich, meine Fragen nochmals an ihn zu senden. Das mache ich auch mit dem Hinweis auf einen bestimmten Termin, weil ich bald mein Buchmanuskript abgeben muss und nun schon seit Wochen auf eine Antwort warte. Zwei Tage später ruft mich der Pressereferent zurück und erklärt mir, dass sich die CDU zu meinen Fragen nicht äußern wird. Das wäre eben so. Er will mir dies nicht einmal schriftlich bestätigen und er bittet mich, nachdem ich ihm gesagt habe, dass ich diese Reaktion der CDU auch publizieren würde, ihn in meinem Buch nicht einmal namentlich zu erwähnen! Das verwundert mich doch sehr, schließlich ist er der Pressereferent der größten deutschen Volkspartei, die »Angst« hat, meine kritischen Fragen zur Freimaurerei zu beantworten. So scheint es jedenfalls. Aber warum ist das so?

3.5.1.2 CSU (Christlich-Soziale Union)170 Auch von der »Schwesterpartei« CSU erhalte ich trotz erneuter schriftlicher Aufforderung keine Antwort. Deshalb frage ich telefonisch nach. Anscheinend, so heiß es, wären meine Anfragen irgendwo »untergegangen«, ich soll die Fragen nochmals schicken. Daraufhin bekomme ich zur Antwort, dass meine Fragen an die CDU/CSU »Arbeitsgruppe Kultur und Medien« weitergeleitet worden wären und ich mich bei »konkreten Nachfragen« an diese wenden soll. Leider stehen keine Kontaktdaten der »Arbeitsgruppe« dabei. So muß ich mich wieder an die Pressestelle in München wenden, nachdem der Termin für die Beantwortung verstrichen ist. Der dortige Pressereferent kennt aber die Kollegin nicht, die mir eine Mail geschickt hat, so dass ich direkt Kontakt mit der Bundestagsfraktion in Berlin aufnehme. Dort verbindet mich die Pressestelle endlich an eine Verantwortliche der benannten »AG Kultur und Medien«. Die wiederum erklärt mir, sie wäre nicht zuständig, weil die Pressestelle mein Schreiben an die »falsche« Arbeitsgruppe weitergeleitet hätte! Auf meine Nachfrage, wer denn nun zuständig wäre, verspricht sie mir, dies abzuklären, um mir dann wiederum später zu sagen, dass der Vorgang wieder bei der Pressestelle der Bundestagsfraktion der CDU/CSU liegen würde, die sich nun um einen Ansprechpartner bemühe. Der stellvertretende Pressesprecher meldet sich schließlich


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bei mir und erklärt, dass keine Informationen über die Mitgliedschaft von Parteimitgliedern bei den Freimaurern vorliegen würden. Die Fraktion würde auch keine Stellung zu meinen einzelnen Fragen beziehen, die ja die Abgeordneten betreffen würden und so sollte ich doch jeden Einzelnen fragen! Als ich ihm erkläre, dass ich durchaus Fragen formuliert habe, die die Partei und nicht die einzelnen Abgeordneten betreffen würden, wie beispielsweise welche Position die CSU zur Freimaurerei vertritt, möchte er die Fragen nochmals prüfen und eventuell weitergeben. Als ich ihn darauf aufmerksam mache, dass ich nun schon seit Wochen auf Antworten warte und an fünf Stellen gelandet wäre, ich aber mein Buchmanuskript nun bald abgeben müsste, meint er, dass diese Fragen wohl nicht mehr für mich »rechtzeitig« beantwortet werden könnten, wenn denn überhaupt. Auch bei der CSU – wie bei der CDU – keine Offenheit, keine Transparenz, sondern nur tiefes Schweigen.

3.5.1.3 SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) Man mag es kaum glauben, auch von der Koalitions-Partei SPD erhalte ich keine Antwort, trotz nochmaliger Bitte. Auch hier frage ich telefonisch nach. Die Pressereferentin erklärt mir, der zuständige Kollege sei wohl im »Vaterschaftsurlaub«, deshalb hätte man meine Fragen wahrscheinlich nicht beantwortet. Ich entgegne, dass es doch sicher einen Stellvertreter oder weiteren Verantwortlichen gebe, an den man meine Anfrage doch besser hätte weiterleiten können. Die Pressereferentin verspricht mir, sich darum zu kümmern. Aber nach Ablauf meines gesetzten Termins höre ich immer noch nichts, deshalb frage ich wieder nach. Die Pressereferentin gibt sich verdutzt. Sie hätte alles weitergegeben und könne sich auch nicht erklären, warum ich keine Antworten erhalten hätte. Sie verspricht das zu klären und mich zurückzurufen. Statt eines Anrufes erhalte ich von der Stellvertretenden Sprecherin des SPD-Vorstandes folgende Mail: »Ich muss Ihnen … mitteilen, dass wir derart persönliche Daten unserer Mitglieder nicht kennen und grundsätzlich keine persönlichen Daten rausgeben. Dass sie aufgrund urlaubsbedingter Ausfälle eine Weile auf Ihre Antwort warten mussten, bitte ich zu entschuldigen …«171 Die SPD geht in keinster Weise auf meine anderen Fragen


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ein, die die Partei und die Freimaurerei und nicht »persönliche Daten« einzelner Abgeordneter anbelangt. Auch bei der zweiten Regierungspartei also Fehlanzeige.

3.5.1.4 FDP (Freie Demokratische Partei)172 Die Oppositionspartei der FDP gibt ohne Umschweife Antworten auf meine Fragen. Helmut Metzner, Abteilungsleiter Strategie und Kampagnen der Bundesgeschäftsstelle der FDP, meint dazu: »Außer von Thomas Dehler ist von keinem weiteren FDP-Politiker bekannt, ob er den Freimaurern angehört. Es gibt derzeit keine Erhebungen innerhalb der FDP, die über die Mitgliedschaft von einzelnen FDP-Politikern bei den Freimaurern Auskunft geben. Die FDP sieht keine Unvereinbarkeit zwischen Freimaurerei und der Politik, da sich die FDP wie auch die Freimaurer für Grundwerte wie Aufklärung, Toleranz, Freiheit und Humanität einsetzten, ja, es ist meines Erachtens tatsächlich vereinbar, Politiker und Freimaurer zu sein. Unparteiische Politiker sind eine Illusion. Die Freimaurer vertreten Ideale, die sich mit den Idealen der FDP teilweise überschneiden. Daher wird es von der FDP nicht als Skandal angesehen, ein Mitglied der Freimaurer zu sein. Die Mitgliedschaft in Organisationen, deren Werte und Ziele jedoch denen der FDP widersprechen, kann durchaus ein Skandal sein.« Ich erwidere auf dieses Schreiben: »Nur der Vollständigkeit halber: Auch Reinhold Maier (1889–1971), der erste Ministerpräsident Baden-Württembergers, war Freimaurer und Mitglied Ihrer Partei … Glauben Sie nicht auch, dass im Zuge des sog. ›Transparenz-Gesetzes‹, das ja erst kürzlich in Kraft getreten ist, Politiker nicht nur Ihre Nebeneinkünfte und Vereinstätigkeiten, sondern gerade auch Ihre Zugehörigkeit zu Weltanschauungsgruppierungen wie die Freimaurer offen legen sollten? Denn, mit Verlaub gesagt, interessiert es den Wähler sicher mehr, mit welchen politischen ›Gegnern‹ Ihr Kandidat dann in der Freizeit einträchtig in der Loge sitzt, um einer Weltanschauung zu frönen, nämlich der Freimaurerei, als in welchem, beispielsweise, Sportverein er Vorstand ist. Und leider haben Sie nicht alle meine gestellten Fragen beantwortet. Kann ich damit noch rechnen, und wenn nicht, warum?«


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Helmut Metzner antwortet: »Die FDP bemüht sich darum, die tatsächlichen Probleme der Menschen in Deutschland zu lösen. Diese sind – das zeigen alle Untersuchungen – die Lage am Arbeitsmarkt, Fragen der Belastung durch Steuern und Abgaben, die innere Sicherheit und viele andere Dinge. Das Problem der Freimaurerei gehört nicht dazu. Entsprechend sehen wir keine Veranlassung, uns dazu weiter einzulassen. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass der Einfluss der Freimaurer auf die Politik weit hinter dem von Beamten oder Gewerkschaftern zurücksteht. Das kann man begrüßen oder bedauern, man sollte es aber nicht überbewerten.«

3.5.1.5 Bündnis 90 / DIE GRÜNEN173 Auch von den GRÜNEN bekomme ich keine Antwort, deshalb frage ich erneut nach. Und erneut soll ich die Fragen nochmals schicken, denn die Pressesprecherin wäre gerade nicht erreichbar. Ich mache wie geheißen, aber auch von dieser Partei höre ich nichts mehr, weshalb ich erneut anfrage. Die Pressesprecherin erklärt mir, dass sie sich darum kümmert und mich zurückruft. Auf den Rückruf warte ich heute noch.

3.5.1.6 DIE LINKE174 Zumindest die linke Partei schweigt nicht zu meiner Anfrage. Der Religionsbeauftragte Bodo Ramelow antwortet auf meine Fragen: »Gibt es Politiker in Ihrer Partei, die auch dem Freimaurerbund angehören? Wenn ja, um welche Personen handelt es sich dabei?« Antwort: »Ob es Politiker oder Mitglieder der Partei DIE LINKE gibt, die Freimaurer sind, ist mir nicht bekannt. Die Partei sammelt keine Informationen über weltanschauliche und religiöse Bekenntnisse ihrer Mitglieder oder über Mitgliedschaften in entsprechenden Vereinigungen.« Frage: »Wie können Politiker Weltanschauung der Freimaurer und Staatsamt vereinbaren? Wenn Sie diese personelle Frage nicht beantworten wollen, warum nicht? Schließlich ist ein Politiker vom Volk, vom Bürger gewählt worden, sollte dem Volke dienen und


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daher sollte der Bürger und Wähler auch wissen, welcher Gemeinschaft ein Abgeordneter tatsächlich auch noch angehört. Wenn nein, wie wird dies geprüft, weil die ›Mitgliederlisten‹ ja nicht öffentlich sind? Gibt es für Sie eine ›Unvereinbarkeit‹ zwischen Freimaurerei und P olitik? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht? Ist es Ihres Erachtens tatsächlich vereinbar, Politiker und Freimaurer zu sein?« Antwort: »Die Antwort auf all diese Fragen dürfte meines Erachtens der Artikel 4GG geben.« Frage: »Im Internationalen Freimaurer Lexikon steht, dass Politiker, die Freimauer sind, der ›freimaurerischen Ideologie nicht zuwiderhandeln‹ sollten! Was halten Sie davon? Dadurch sind Politiker ›parteiisch‹. Dadurch haben Freimaurer eine ›indirekte‹ Lobby. Wie stehen Sie dazu? Sollte bekannt werden, dass Politiker beispielsweise einer anderen Weltanschauung huldigen (wie die der Scientologen o. ä.) wäre dies ein Skandal. Warum bei der der Freimaurer nicht? Politiker sind vom Volk gewählt und sollten auch dem Volk dienen und nicht einer bestimmten Weltanschauung oder einer bestimmten Gemeinschaft, wie beispielsweise der ›Diskreten Gesellschaft‹« der Freimaurer. Was meinen Sie dazu?« Antwort: »Ein Teil dieser Aussagen betrifft alle Weltanschauungen, Glaubensbekenntnisse und Zugehörigkeiten zu entsprechenden Vereinigungen, Kirchen usw. und die Fragen erledigen sich durch die grundgesetzlichen Regelungen. Eine andere Sache ist es mit den Sekten, die nicht durch das GG (Grundgesetz, Anm. d. Autors) geschützt sind. Der Vergleich von Scientology und den Freimaurerlogen ist in diesem Zusammenhang nicht angemessen.« Frage: »Politik und Freimaurerei: Ist dies nicht eine ›Verdummung‹ der Wähler? Nach außen hin vertritt man verschiedene politische Standpunkte, in der Loge sitzen alle einhellig als Brüder zusammen und huldigen einer Weltanschauung, nämlich die der Freimaurerei? Ist dies das ›Geheimnis‹ der Freimaurerei, das nicht nach außen dringen darf, weswegen auch keine Namen veröffentlicht werden, damit der Bürger dieses ›politische Theater‹ nicht durchschaut? Ist es nicht gefährlich für eine Demokratie, wenn sich eine politische, geistige und wirtschaftliche Elite in geheimen Kreisen trifft, dort ›unöffentliche‹ Riten betreibt und Dinge bespricht, von denen die Öffentlichkeit nichts mitbekommt und einer Hierarchie untersteht, die für jeden Außenstehenden undurchschaubar ist? Ist nicht alles,


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was geheim und elitär ist, im Grunde auch zutiefst ›undemokratisch‹?« Antwort: »Wie ›demokratisch‹ sind die christlichen Kirchen und andere Religionsgemeinschaften? Nein, nicht alle Bereiche der Gesellschaft sind demokratisch verfasst. Die Frage, ob die einzelnen Freimaurerlogen verfassungsgemäß sind oder nicht zu beantworten, obliegt nicht den politischen Parteien.« Frage: »Gibt es in Ihrer Partei bzw. im Bundestag, wie beispielsweise in England, die Forderung nach einem ›Freimaurer-Register‹ mit Namen, weil die Loyalität, die der freimaurerische Eid fordert, über dem des politischen Amtseides stehen könnte? Wenn ja, bekommt die Öffentlichkeit Einsicht, wenn nein, warum gibt es so etwas in Deutschland nicht?« Antwort: »Davon ist mir/uns nichts bekannt.« Frage: »War Jürgen Möllemann Freimaurer, wie oft behauptet wird? Ist Hans-Dietrich Genscher Freimaurer, wie oft behauptet wird?« Antwort: »Davon ist mir nichts bekannt.« Frage: »Was ist Ihre parteiinterne Meinung zum Freimaurertum?« Antwort: »Es gibt zu diesem Thema keinen parteiinternen Meinungsbildungsprozess, der mit irgendwelchen Beschlüssen verbunden wäre.« Auf die Frage nach der Freimaurerloge Propaganda Due antwortet Ramelow: »Von diesen Dingen ist mir nichts anderes bekannt als das, was darüber öffentlich zu erfahren war …« Und flappsig fügt der LINKE-Politiker noch hinzu: »Nach meinem Kenntnisstand haben wir keine Freimaurer, nur Ulrich Maurer.:-)«. Einige Zeit später erhalte ich dann noch von Jan Korte, Minister des Bundes der Fraktion DIE LINKE eine E-Mail175: »Da ich mir vorgenommen habe, mich während meiner Zeit als Bundestagsabgeordneter grundsätzlich an keiner Umfrage (egal ob journalistisch oder wissenschaftlich inspiriert) zu beteiligen, kann ich Ihrer Bitte (die gestellten Fragen zu beantworten, Anm. d. Autors) leider nicht entsprechen. Ich hoffe auf Ihr Verständnis …« Wohl unwissend, dass sein Kollege bereits Antworten gegeben hat …


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3.5.1.7 Deutscher Bundestag176 Auch das höchste politische Parlament schweigt auf meine Anfrage. Ich hake bei der Pressestelle nach. Das »Übliche« bin ich schon fast versucht zu sagen, denn anscheinend hat sie meine E-Mails nicht erhalten. Ich lasse der Pressereferentin erneut meine schriftlichen Fragen zukommen mit der Bitte um schnellste Beantwortung. Wieder erfolgt keine Reaktion. Auf erneute telefonische Nachfrage erklärt man mir, meine neue E-Mail wäre auch nicht angekommen, obwohl ich die genannte Adresse benutzt habe! Im Beisein der Pressereferentin am Telefon maile ich die Fragen nun zum vierten Mal und siehe da: dieses Mal klappt es, wie man mir erklärt. Doch statt die Fragen zu beantworten, werde ich an einen Kollegen verbunden, der mir wiederum erklärt, dass ich keine Statements erhalte. Die Angaben würden aus den Biografien der einzelnen Abgeordneten hervorgehen. Nachdem ich den Pressesprecher darauf hingewiesen habe, dass dies nicht stimmt, dass trotz »Transparenzregelung«, in der die Abgeordneten ihre Vereinstätigkeiten angeben sollten, dies bei den Freimaurer-Vereinen aber nicht der Fall wäre, und gerade dies ja auch eine meiner Fragen wäre, verweist er mich an die einzelnen Fraktionen. Somit beißt sich die Katze im wahrsten Sinne des Wortes in den Schwanz.

3.5.2 Österreichische Parteien 3.5.2.1 SPÖ (Sozialdemokratische Partei Österreichs)177 Keine Antwort. Trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.

3.5.2.2. ÖVP (Österreichische Volkspartei)178 Ursula Kroczek vom »Service« der ÖVP-Bundespartei antwortet: »Leider können wir Ihnen bei Ihrer Recherche nicht weiterhelfen, weil sich diese Fragen gänzlich unserer Kenntnis entziehen.« Ich entgegnete darauf: »… vielen Dank für Ihre recht kurze Antwort, die mich ehrlich gesagt sehr verwundert. Zum einen, weil


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Sie doch wissen sollten, dass bereits nach dem Zweiten Weltkrieg den Freimaurern in österreichischen Parteien eine ›unzulässige Gruppenbildung innerhalb einer Partei‹ und ›parteischädigendes Verhalten durch Zusammenarbeit von Freimaurern über Parteigrenzen hinweg‹ vorgeworfen wurde (ähnliche Vorwürfe, die auch der ehemalige sozialistische Nationalratsabgeordnete Hannes Gradenegger aus Kärten 1986 aufbrachte). Zum anderen erschütterten sogar die so genannten ›Briefe aus dem Grab‹ 1986 die Öffentlichkeit: Ihr Parteimitglied UND Freimaurer Jörg Mauthe ließ nach seinem Tode Briefe veröffentlichen. Darin griff er auch den Freimaurer und Wiener Bürgermeister Helmut Zilk an. Zudem ist auch längst veröffentlicht, dass ein bekannter Politiker Freimaurer war: Ex-Bundeskanzler Fred Sinowatz. Nachdem dies alles in der österreichischen Presse publiziert wurde, kann ich Ihre Antwort nicht nachvollziehen, dass sich meine Fragen Ihrer ›Kenntnis‹ entziehen. Zudem sollte Ihre Partei doch eine Position Freimaurern gegenüber vertreten? Und der Wähler hat wohl auch ein Recht, diese zu erfahren. Was meinen Sie dazu?« Ursula Kroczek antwortet lapidar: »In Bezug auf Ihre Urgenz (Dringlichkeit, Anm. d. A.) darf ich auf unsere Antwort vom 3. Juli verweisen.« Das ist alles.

3.5.2.3 FPÖ (Freiheitliche Partei Österreichs)179 Keine Antwort. Trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.

3.5.2.4 DIE GRÜNEN – Die Grüne Alternative180 Ein so genanntes »Dialogbüro«, ohne irgendwelchen Namen, nur mit der anonymen »Signatur Dialogbüro« antwortet: »Wir haben uns Ihre Fragen durchgelesen und sind zu dem Schluss gelangt, dass wir zur Aufklärung ihres Themas ›Politik und Freimaurerei‹ leider keinen Beitrag leisten können.« Daraufhin schreibe ich: »Können Sie mir sagen, aus welchen Gründen Sie meine Fragen nicht beantworten können?« Eine Antwort darauf erhalte ich nicht mehr.


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3.5.3 Schweizer Parteien 3.5.3.1 SVP (Schweizerische Volkspartei)181 Gregor A. Rutz antwortet im Namen der SVP: »… Ihre Fragen … (betreffen) … den privaten Bereich der von Ihnen angesprochenen Politiker. Wir führen keine Verzeichnisse der Vereinsmitgliedschaften unserer Parlamentarier; in der Schweiz ist dies eine Privatsache. Wenn Sie die einzelnen Parlamentarier direkt anfragen wollen, so bleibt Ihnen dies überlassen.«

3.5.3.2 FDP (Freisinnig-Demokratische Partei) 182 Christian Weber, der »Pressechef« der FDP, schreibt auf meine Fragen: »Wir haben keine Kenntnis über die Zugehörigkeit unserer Parlamentsmitglieder zu einem Freimaurerbund.« Meine Nachfrage, »… aber was ist mit den Antworten auf meine übrigen Fragen?« bleibt ohne Gehör.

3.5.3.3 CVP183 Marianne Binder, Kommunikationschefin der CVP Schweiz, antwortet: »Bei unseren Partei- oder Fraktionsmitgliedern erfassen wir die Religionszugehörigkeit oder die Zugehörigkeit zu jeglichen Organisationen, welche wir als private Angelegenheit betrachten, nicht. Deshalb sehen wir uns nicht in der Lage, Ihnen Namen zu nennen. Ebenfalls haben wir zur Freimaurerei auch keine Parteiposition und können Ihre Fragen nicht beantworten.«

3.5.3.4 SP/PS (Sozialdemokratische Partei der Schweiz)184 Keine Antwort. Trotz nochmaliger schriftlicher Aufforderung.


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3.5.4 Politisches TTabu-Thema abu-Thema »Freimaurerei« Das Ergebnis meiner Anfragen bei den deutschen, österreichischen und Schweizer Parteien zum Thema »Freimaurerei und Politik« ist nicht nur ernüchternd, sondern enttäuschend, geradezu skandalös! Ich habe dokumentiert, mit welchen Tricks und Kniffen Parteimitglieder versucht haben, mich »mürbe« zu machen. Von Offenheit oder Transparenz ganz zu schweigen. Die gewählten Volksvertreter scheuen sich geradezu, zu dieser Thematik Stellung zu beziehen. Und diejenigen, die es tun, tun es nur halbherzig und »vernebeln« ihre tatsächlichen Ansichten mehr, als dass sie zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen. Mit Ausnahme der (deutschen) FDP vielleicht, die als einzige Partei relativ klar Stellung bezogen hat. Seit Juli 2007 gilt in Deutschland die so genannte »Transparenzregelung«, bei der nicht nur die Beschäftigungsverhältnisse, Nebentätigkeiten und Einkünfte sowie die Einkommensstufen, sondern auch die Vereinstätigkeiten der Abgeordneten veröffentlicht werden sollten. Abgesehen davon, dass sich keine der Regierungsparteien (CDU/CSU und SPD) überhaupt zum Thema Freimaurerei geäußert hat, genauso wenig wie Bündnis 90/DIE GRÜNEN und auch nicht der Deutsche Bundestag, muss natürlich hinterfragt werden, weshalb dies nicht der Fall ist? Wenn wir die Aussagen der (deutschen) FDP als Grundlage nehmen, dann ist es geradezu erschreckend, dass Politiker es nach allem, was an berechtigter und belegbarer Kritik zur Freimaurerei zulässig ist, es für »vereinbar« halten, Freimaurer zu sein! In einem Nebensatz wird zudem noch angemerkt, dass »unparteiische« Politiker eine »Illusion« seien. Genau das ist es, was wir in einer parlamentarischen Demokratie eben nicht haben wollen: Volksvertreter, die »parteiisch« im Sinne einer (kruden) Weltanschauung sind. Ich möchte nochmals darauf hinweisen, dass die Freimaurerei es immer noch als »irregulär« ansieht, beispielsweise Frauen in ihre Logen aufzunehmen und damit gegen das Gleichberechtigungsprinzip zwischen Mann und Frau, fest verankert im deutschen Grundgesetz, verstößt. Ein Skandal, der als solcher gar nicht erkannt wird! Dasselbe gilt natürlich sinngemäß in Bezug auf den jahrelangen Antisemitismus oder den Umgang mit Behinderten in maurerischen Reihen, dem okkulten Brimborium teilweise hanebüchender, geheimer Rituale, der Verschwiegenheit und dem Freimaurereid, der nicht verein-


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bar mit einem Staatseid sein kann, weil er über diesem zu stehen scheint. Dass alle Parteien in Deutschland, Österreich und der Schweiz anscheinend »keine Kenntnisse« über die Zugehörigkeit ihrer Parteimitglieder zur Freimaurerei haben, dies ihre »Privatsache« sei, was natürlich völlig verquer ist, ist ebenso höchst bedenklich! Der Bürger sollte schon wissen, wenn ihr gewählter Volksvertreter einer oftmals sehr bedenklichen Weltanschauung wie der Freimaurerei huldigt. Aus diesem Grund ist dies ganz gewiss keine »Privatsache«, wie die Mitgliedschaft in einem Fußballverein. Dass verschiedene Parteien dann auch noch keine Parteiposition zur Freimaurerei besitzen wollen, ist fast nicht zu glauben, wenn man bedenkt, dass beispielsweise in Österreich bereits darüber diskutiert wurde, ob Freimaurerei eine »unzulässige Gruppenbildung innerhalb einer Partei« sei, oder daß ebenso über »parteischädigendes Verhalten durch Zusammenarbeit von Freimaurern über Parteigrenzen hinweg« diskutiert wurde! Es kann nur einen Schluss für das Taktieren, Schweigen und die mangelnde Offenheit und Transparenz geben: Es gibt viel mehr Freimaurer unter den Politikern, als wir uns vorstellen können und als die Öffentlichkeit wissen darf. Das große Geheimnis der Freimaurerei, ich habe es bereits an anderer Stelle erwähnt, ist wahrscheinlich genau dies: Volksvertreter aller Coleur sitzen als Brüder im Geiste einträchtig und vereint mit dem Freimaurereid in Freimaurerlogen zusammen, huldigen einer Weltanschauung, nämlich der der Freimaurerei, deren Ideale sie auch politisch einhalten müssen, während sie öffentlich in Land- und Bundestagen und wo auch immer sonst noch gegensätzliche Meinungen zu vertreten scheinen. Und das ist das Geheimnis, das »Volkstheater«, das die Öffentlichkeit nicht erfahren darf, das unter allen Umständen gewahrt bleiben muss. Angesichts dessen, dass Freimaurer-Politiker wie Thomas Dehler (FDP) und Reinhold Maier (FDP) einen so hohen Stellenwert genossen und wohl auch noch geniessen, nach denen sogar Stiftungen und Parteizentralen benannt wurden, kann dies nur als weiterer Beleg gesehen werden. Sollte meine Vermutung dahingehend nicht zutreffen, dann fordere ich hiermit alle Parteien auf, endlich offen zu legen, wer unter den Abgeordneten Freimaurer ist. Dann wird die Öffentlichkeit sehr schnell sehen, wer Recht hat. Und dieses Recht hat der Bürger allemal in


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einer sich immer so lobenden Demokratie. Es gilt endlich zu erfahren, welcher Weltanschauung unsere Volksvertreter wirklich frönen! Ein Freimaurer-Kritiker sprach in diesem Zusammenhang einmal von »Volksverdummung«. Dem kann ich nicht widersprechen. Und alleine dies ist eine Schande für eine parlamentarische Demokratie. Denn »Schweigen«, so der schottische Schriftsteller Robert Louis Stevenson, »kann die grausamste Lüge sein«.


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4. »Licht ins Dunkel« – Freimaurer Freimaurer,, Revolutionen und Skandale 4.1 Freimaurer und »Politaffären« 4.1.1 »Politaffäre« Amerikanische Revolution185 »Revolution!« wurde hinter vorgehaltener Hand gemunkelt. Seit Monaten schon. Revolution gegen England, das nach dem Siebenjährigen Krieg (1756–1763) gegen Frankreich in Europa, Asien und auf dem Boden der amerikanischen Kolonie siegreich gewonnen hatte, aber militärisch und auch finanziell einen hohen Blutzoll dafür bezahlen mußte. Deshalb besteuerte das englische Parlament die Kolonien noch mehr. Zum Leidwesen der Kolonialisten, die daraufhin eine Volksbewegung mit dem Namen Sons of Liberty gründeten. Mit dabei auch Freimaurer aus Boston. Es kam zu ersten Gewalttaten gegen die englische Kolonialmacht. Aktivisten der Sons of Liberty und Bostoner Freimaurer verkleideten sich sogar als Mohawk-Indianer, stürmten britische Schiffe im Hafen und warfen die gesamten Teeladungen ins Wasser. Dieser Akt ging als Boston Tea Party in die Historie ein. Damit war »offiziell« die Revolution eingeleitet. Aber erst am 4. September 1774 trafen sich in Philadelphia erstmals Delegierte von zwölf der 13 Kolonien, um mit den Declaration of Rights einen Forderungskatalog an Rechten und Freiheiten der Kolonien zu verabschieden. Natürlich kam dies einer Kriegserklärung an das Mutterland England und damit König Georg III. gleich. Rädelsführer des Freiheitskampfes waren die Freimaurer Samuel Adams (1723–1803) und John Hancock (1737–1793), Mitglieder der Merchants Lodge in Quebec bzw. der St. Andrews Lodge in Boston. Mit dabei war auch Paul Revere (1735–1818), Großmeister der »Großloge von Massachusetts«. Benjamin Franklin (1706–1790), Mitglied der St. John’s Lodge in Pennsylvania, später »Provinzial-Großmeister«, kehrte nun aus England zurück und wurde Mitglied des zweiten Kongresses der 13 Kolonien, später des Komitees, das die Unab-


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hängigkeitserklärung der USA entwarf. Und auch der Freimaurer George Washington (1732–1799) griff in das Geschehen ein und wurde mit dem Oberkommando der amerikanischen Truppen betraut. Sieben lange Jahre führte er einen Zermürbungskrieg gegen die Briten, dem sich schließlich auch Frankreich anschloß. Mit Erfolg. 1781 waren die Feinde auf amerikanischem Boden besiegt. Zwei Jahre später erkannte England die Kolonien als »unabhängig« an. Im Jahre 1786 folgte die erste Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika. Beteiligt an dem Freiheitskampf, der Revolution, waren viele Freimaurer, die verantwortungsvolle Aufgaben und Posten übernommen hatten. So wurden die Logen, noch bevor die Vereinigten Staaten von Amerika gegründet wurden und bevor der Unabhängigkeitskampf von der britischen Krone gewonnen worden war, zu Keimzellen eines neuen Staatengebildes!186 »Wenn bei irgendeiner Art von Freimaurerei das politische Wirken zugegeben wird, was höchst selten der Fall ist, dann im Falle der Gründung der USA im Jahre 1776«, erklärt der Autor Karl-Heinz Zunneck. »George Washington und andere Präsidenten nach ihm legten ihren Amtseid auf eine noch heute erhaltene Freimaurer-Bibel ab.« Washington (1732–1799) wurde bereits 1752 in die Fredericksburg Lodge No. 1 in Virgina aufgenommen, in der er im August 1752 den höchsten Grad erreichte. 1788, also ein Jahr vor seiner Präsidentschaft, hatte er sich selbst in das höchste Amt der Freimaurerloge Alexandria No. 22 wählen lassen, nämlich zum »Meister vom Stuhl«. Dieses Freimaureramt behielt er auch als mächtigster Mann der Vereinigten Staaten bei. Den Eid des Präsidenten leistete er auf die Bibel der St. John’s Lodge No. 1 von New York, einer FreimaurerBibel also, die als »heiligstes Gesetz« benutzt wurde! Als Washington der erste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde, war er seit fast 36 Jahren Freimaurer. In einer Rede zu seiner 40-jährigen Mitgliedschaft am 27. Dezember 1792 bei den Brüdern im Geiste erklärte er unter anderem: »Der Gesellschaft Glück zu schenken, ist einer Einrichtung der Freimaurer würdig, und ich hege den glühenden Wunsch, dass die Haltung jedes Mitglieds der Bruderschaft … die Menschheit davon überzeugt, dass das einzige Ziel der Freimaurerei das Glück der Menschen ist.«187 Im Jahre 1793, bei der Grundsteinlegung zum Capitol in Wa-


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shington, die nach freimaurerischem Ritus vollzogen wurde, trug Washington sogar maurerische Kleidung. Tausende wurden an diesem Tag Zeugen, wie Freimaurer die amerikanische Hauptstadt gründeten! Bei Washingtons Beerdigung 1799 trugen sechs Armeeobersten seinen Sarg. Sie alle waren Freimaurer. Ihm zu Ehren, der als der größte amerikanische Freimaurer gilt, wurde am 1. November 1923 ein gewaltiges freimaurerisches Nationaldenkmal errichtet, das »Washington National Masonic Memorial«. Den Grundstein hierfür legten der amtierende US-Präsident Coolidge und Ex-Präsident William Howard Taft (1857–1930), Mitglieder der Freimaurerloge Kilwinning Lodge No. 356 in Cincinnati, Ohio. Sie bedienten sich derselben Logenkelle, die Washington einst zur Grundsteinlegung des Capitols verwendet hatte. Dabei waren die Großmeister aller nordamerikanischen Großlogen anwesend. »Die vom Logengeist durchdrungene Verfassung der Vereinigten Staaten galt dem Liberalismus als Muster und wurde immer wieder als anzustrebendes, höchstes Ziel dargestellt«, erklärt Zunneck weiter. »Schon in der Unabhängigkeitserklärung, von deren 56 Unterzeichnern 53 nachweislich Freimaurer waren, wurden bestimmte Grundsätze freimaurerischen Denkens festgehalten.« Der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung Thomas Jefferson war genauso Freimaurer188 wie 50 von 55 Mitarbeitern der konstituierenden Nationalversammlung, sämtliche Gouverneure der 13 Gründungsstaaten, 20 von 29 Generälen George Washingtons, sowie 104 seiner 106 Offiziere. Das Gedankengut dieser US-Verfassung ist heutzutage in fast allen Nationalversammlungen der freien Welt zu finden. Auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland! George Washington, Benjamin Franklin, James Otis, Samuel Adams, Alexander Hamilton, John Marshall und James Madison – allesamt Freimaurer – betätigten sich also überaus politisch! Benjamin Franklin, einer der Gründungsväter der USA, war zeit seines Lebens ein überzeugter Freimaurer, was auch seine Politik prägte. Erwähnenswert ist auch der Aspekt, dass er 1734 die erste amerikanische Ausgabe von Anderson’s Constitution, also das verbindliche Freimaurer-Regelwerk, als Buchdrucker und Verleger herausgab! Verschwörungstheoretiker unterstellen den Freimaurern, die Amerikanische Revolution angezettelt zu haben. Kein Wunder angesichts


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der Prominenz von Freimaurern, die darin verwickelt waren. Dagegen erhebt natürlich die internationale Forschungsgesellschaft der Freimaurer, Philalethes, Einspruch. Sie kommt zu dem Schluß, dass mindestens genauso viele amerikanische Freimaurer loyal zum britischen König Georg III. gestanden hatten, wie jene, die für die Unabhängigkeit kämpften. Das mag zahlenmäßig vielleicht sein, aber Freimaurer wie Benjamin Franklin oder George Washington übten einen wesentlich größeren Einfluss auf die Revolution oder Unabhängigkeit aus, je nachdem, ob man diesen Kampf von amerikanischer oder britischer Seite aus betrachtet. »Daß die amerikanische Revolution dennoch zu Recht als eine von Freimaurern direkt beeinflusste Bewegung bezeichnet werden kann, liegt eher an der herausragenden Qualität der (wenigen) Einzelnen als an ihrer vermeintlich großen Zahl«, bestätigt der Freimaurer und Journalist Tom Goeller. »Sie nahmen Schlüsselpositionen ein und ihr Geist hat andere, die nicht Freimaurer waren oder wurden, mitgerissen. Dies hatte nachhaltige Auswirkungen auf die gesamte amerikanische Nation, so stark, dass die amerikanische Hauptstadt Washington und ihr Vorort Alexandria im benachbarten Virgina auch ›Welthauptstadt der Freimaurer‹ genannt werden kann, geistig wie architektonisch … Die erste moderne Demokratie, von Freimaurern erdacht und erkämpft – die Vereinigten Staaten von Amerika –, war Wirklichkeit geworden.« 189 Dies ist freimaurerische Politik in Reinkultur! Heute haben die Vereinigten Staaten wohl die stärkste Freimaurerei der Welt mit einem weit verbreiteten Hochgradwesen, wie der »Royal-Arch-Maurerei«, dem »A. u. A. Schottischen Ritus« oder den Knights Templar.190 Der berühmte Schriftsteller Gottfried Ephraim Lessing (1729–1781), am 14. Oktober 1771 in die Freimaurerei aufgenommen und sofort in alle drei Grade befördert, der auch als der »Apostel«, also der eigentliche Begründer der freimaurerischen Humanitätslehre in Deutschland gilt, bemerkte in seinem Werk Ernst und Falk – Gespräche für Freimaurer, dass der amerikanische Kongress »eine Loge ist« und in Amerika »endlich die Freimaurer ihr Reich mit gewaffneter Hand gründen«.191


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4.1.2 »Politaffäre« Französische Revolution192 Die Französische Revolution, genauer gesagt die Französischen Revolutionen (Mehrzahl!), die am 14. Juli 1789 mit dem berühmten Sturm auf die Bastille begannen und annährend zehn Jahre andauerten, veränderten nicht nur Frankreich, sondern ganz Europa. Zum ersten Mal wurde eine demokratische politische Kultur entfaltet, die die Moderne prägen sollte. Aber zu welch schrecklichem Preis, über den oft hinweggesehen wird. Denn die Revolution, die die Monarchie beseitigte, glitt ab in eine Schreckensherrschaft, die durch politische Gewalt, durch regelrechten »Staatsterror« geprägt war. Die bedeutendste Monarchie der Alten Welt, nämlich die französische, die in Absolutismus und Verwaltung schwelgte, wurde fast in einem Streich beseitigt, damit die neuen Werte der Aufklärung an ihren Platz rückten: »Liberté«, Freiheit, »Ègalite«, Gleichheit, »Fraternité«, Brüderlichkeit. Und genau diese Devise, so der Freimaurer Tom Goeller, »ist unbestritten der geistige Anteil der Freimaurer an dem Aufstand. Die Freiheit braucht die Brüderlichkeit, da nur so jeder freie Mensch die Freiheit des anderen anerkennen kann.«193 Dennoch wollen Freimaurer nichts davon wissen, dass sie aktiv an der Revolution beteiligt, sie organisiert, beziehungsweise sie gar geschürt haben sollen, wie Verschwörungstheoretiker ihnen unterstellen. Und in diesem Zusammenhang möchte ich auch nochmals die Worte des Logenbruders Mino Pecorelli ins Gedächtnis rufen: »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind die drei Begriffe des genialsten Betrugs, der je organisiert wurde, um die Demokratie zu betrügen … In der Regel versammeln sich die Freimaurer, um die zu betrügen, die selbst am meisten betrügen.«194 Ich möchte in diesem Abschnitt versuchen, die Rolle der Freimaurer bei dieser bedeutendsten europäischen Revolution zu hinterfragen und aufzuzeigen. Dazu möchte ich zunächst auf die Revolution selbst, ihre Ursprünge und ihren Verlauf näher eingehen, damit der Leser die Beteiligung der Logenbrüder besser einschätzen und einordnen kann. Die französische Monarchie, das so genannte »Ancien Régime«, war zu jener Zeit am Ende. Wachsende Staatsverschuldung (auch hervorgerufen durch erhebliche Geldbeträge zur Unterstützung der amerikanischen Revolution), innenpolitische Dauerkonflikte, Bevölkerungswachstum und damit verbundene Knappheit an Erwerbs-


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stellen, steigende Preise und stagnierende Löhne, Steuerbelastungen und Sonderabgaben, eine reformunfähige Monarchie – all das führte zu sozialer Unzufriedenheit. Und zu neuen Denkweisen, der Bürgerlichen etwa, die dadurch den traditionellen adligen Status unterminierten. In Akademien und Freimaurerlogen wurden aufgeklärte Lebens- und Denkformen propagiert, die, im Gegensatz zur herrschenden Monarchie, die Grundsätze von Gerechtigkeit, Wahrheit, Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit vertraten und predigten, die Emanzipation der Menschheit in diesem Sinne genauso forderten wie die Beseitigung der ungerechten Privilegien des verhassten »Ancien Régime«. »Aber das heißt nicht, dass die sich vorbereitende Französische Revolution einer freimaurerischen Verschwörung entsprang«, versucht das Internationale Freimaurer Lexikon (S. 297) zu erklären. Und ergänzend wird hinzugefügt: »Die Arbeit, die die französischen Freimaurer leisteten, war geistiger Natur. Man dachte daran, neuen schöneren Grundsätzen zum Durchbruch zu verhelfen. Aber es war in den Logen keine Rede davon, das Regime beseitigen zu wollen … Nichts ist törichter als zu glauben, dass man an die Tötung des Königs auch nur zu denken gewagt hätte.« Dennoch, das maurerische »Geheimnis« zu jener Zeit war die Idee der Demokratie, eine Republik gleicher und freier Bürger. In der berühmten Pariser Loge Les Neuf Soers kamen auch viele der späteren Akteure der Revolution zusammen. »Wahr ist«, erklärt der Politikwissenschaftler Andreas Gößling, »dass einige der folgenreichsten Ideen und Grundsätze der Französischen Revolution in den Pariser Logen vorausgedacht und vorformuliert worden waren. So hatte sich die französische Freimaurerei schon 1773 eine ›republikanische‹ Verfassung gegeben, die die demokratische Wahl des Großmeisters vorsah und ›Freiheit und Gleichheit‹ der Brüder proklamierte.« Und weiter: »Auch die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte wurde von französischen Brüdern verfasst, die sich selbst als ›Bürger der Freimaurer-Demokratie‹ bezeichneten.«195 Aber auch noch ein anderer Aspekt führt zu der Behauptung der »aktiven« Beteiligung der Logenbrüder an der Revolution: über die Illuminaten. Nicht ganz ohne Grund wurde den Illuminaten, die zur damaligen Zeit mit der Freimaurern in einen Topf geworfen wurden, eine Beteiligung an der Französischen Revolution angehängt, meint Ferdinand


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Runkel in seinem Standardwerk der Geschichte der Freimaurerei (Band 2, S. 64). Hintergrund dieses Verschwörungsvorwurfes war, dass zwei bedeutende Illuminaten (der bekannte Schriftsteller Johann Joachim Christoph Bode (1730–1793), der auch Freimaurer war (1761 aufgenommen in die Loge »Absalon« in Hamburg), und Major von der Busche 1788 nach Paris gereist waren, um über eine enge Zusammenarbeit der Illuminaten mit den franösischen Freimaurern zu sprechen, sogar über das Projekt einer »Vereinigung«. Zur Zeit der Französischen Revolution gab es etwa 629 Logen in ganz Frankreich, 65 davon in Paris, mit etwa 50 000 Mitgliedern. Robert A. Minder erklärt im Freimaurer Politiker Lexikon dazu: »Einer der besten Beweise, dass die Französische Revolution keine freimaurerische war, ist die Tatsache, dass es in Frankreich unmittelbar vor Ausbruch der Revolution 629 Logen gab, ein Jahr später aber nur mehr 16!«196 Léon de Poncins 1929 publiziertes Buch Hinter den Kulissen der Revolution, das zwar von Nazi-Verschwörungstheoretikern später zitiert werden sollte, aber eigentlich einen klerikalen, konservativ-christlichen Ansatz hatte, der wenig Anklang bei den Nazi-Ideologen fand, beschäftigt sich eingehend mit der Rolle des Freimaurertums in der Zeit der Französischen Revolution. Es erklärt dazu: »Zu Beginn der Französischen Revolution schlossen die Freimaurer, um sich zu decken, ihre sämtlichen Logen. Aber dieses gewollt auffällige Verbot war nur eine einfache Vorsichtsmaßnahme, ohne Einfluß auf die Fortsetzung ihrer gesteigerten Tätigkeiten. Die geheimen Logen blieben nach wie vor bestehen, und alle anderen wurden durch Klubs ersetzt. Diese Tatsache wird bestätigt in einem von dem Freimaurer Schaffer verfassten Aufsatz, der 1880 in der Freimaurerloge ›Zum schottischen Symbol‹ erschien.« Und weiter: »Man darf bei all dem nicht vergessen, dass die eigentliche Tätigkeit der Freimaurer mehr darin besteht, die revolutionäre Stimmung zu schaffen, als offen an der Spitze der Bewegung im Kampf hervorzutreten.«197 Minder kommt im Freimaurer Politiker Lexikon« zu dem Schluß: »Die revolutionären Ideen kamen von politischen und literarischen Vereinen, Akademien und Gesellschaften, in denen zwar eine gewisse Anzahl von Maurern aktiv waren, aber auch nicht mehr.«198 Auf jeden Fall waren die zahlreichen Freimaurerlogen zusammen mit den aufgeklärten Sozietäten der Akademien, Salons und Lese-


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kabinetten ein gefährliches politisches Gegengewicht für die Monarchie, auch wenn, wie Maurerbrüder ja behaupten, nur »geistiger Natur«. Doch ob geistige Ideen, die dann später »materialisiert«, also »praktiziert« werden, wirklich so harmlos sind, mag bezweifelt, ja mit Ausbruch der Revolution gar ad absurdum geführt worden sein. Denn die Ideen der Aufklärung, der intellektuellen Herausforderung aller überkommenen Formen des Denkens, des Handelns und Glaubens, wurden während der Revolution ja auch »verwirklicht«. Es verdichtete sich immer mehr, dass es zu einer Auseinandersetzung zwischen den privilegierten Ständen von Adel und Klerus und dem Dritten Stand, den Bauern und (städtisch) Bürgerlichen, die sich auch »Patrioten« nannten, kommen würde. Ihre Wortführer forderten die Neuordnung des Gemeinwesens als »souveräne Nation«, eine Abkehr von einer ständisch-korporativen Herrschafts- und Gesellschaftsordnung und damit auch von ihrem König Ludwig XVI. Genau in diese Kerbe schlug im Januar 1789 der katholische Geistliche Abbé Emmanuel Joseph Sièyes (1748–1836), der politische Freiheit und Souveränität forderte, und noch mehr, in dem er den Dritten Stand, der bisher »nichts« gewesen, aber eigentlich »alles« war, zur Nation erklärte. Denn der Dritte Stand besäße alles, was eine Nation zu ihrer Bildung und Erhaltung bedürfe! Ein wahrhaft revolutionärer Gedanke, den Abbé Sièyes da erfolgreich in seiner berühmt gewordenen Schrift Qu’est-ce que le tiers état? verkündete und damit eine »tiefgehende Wirkung« ausübte (Internationales Freimaurer Lexikon, S. 783). Sieyès wird als »Denker« und einer der »bedeutendsten Theoretiker der Revolution« und »Anwalt des Dritten Standes« angesehen, war später Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung, des Konvents, des Rates der Fünfhundert, des Direktoriums und unter der Diktatur Napoleons Senator. Und Abbé Sieyès war Freimaurer (!) und Mitglied der Pariser Loge Les Neuf Soeurs. Damit hatte sich (wohl) das erste Mal ein sehr einflussreicher Freimaurer »aktiv« in die Wirren der bevorstehenden Revolution eingebracht, ja sie gar mitpropagiert! Ein weiterer Logen- und Glaubensbruder, nämlich Charles Maurice Talleyrand (1754–1838), der liberale Bischof von Autun, der freilich nicht dem Dritten Stand angehörte, sondern den anderen, 1790 sogar Präsident der Nationalversammlung wurde199, war, wie Sieyès, Mitglied der Generalstände, deren Versammlung König Lud-


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wig XVI. am 5. Mai 1789 eröffnete, um Reformen zu beschließen. Jim Marrs, einer der erfolgreichsten Enthüllungsjournalisten weltweit, der mit seinem Buch um die wahren Ereignisse um das Kennedy-Attentat wochenlang auf der New-York-Times-Bestellerliste stand, das als Hauptquelle für Oliver Stones Kinoerfolg JFK diente, schreibt hierzu in Heimliche Herrscher: »… in den 605 Abgeordnete zählenden Generalständen saßen mittlerweile 447 Logenbrüder. Nach Angaben einiger Rechercheure waren die Logen des Großorient Kernstück und Speerspitze der Illuminaten bei ihrer Einflussnahme auf die Freimaurerei.«200 Der vom König einberufenen Versammlung war allerdings wenig Erfolg beschieden. Außer für den Dritten Stand, zu dem auch einige Geistliche »überliefen«, der sich später dann als Nationalversammlung proklamierte. Damit stellte die Nationalversammlung die politischen Rechte des Ersten und Zweiten Standes in Frage, weil sie für sich die Gesamtrepräsentation beanspruchte, die ganze Nation also! Freilich konnten sich Klerus und Adel dem anschließen, was viele dann auch taten. Dies war nichts anderes als eine zunächst verdeckte Kampfansage an den König, an die traditionelle Herrschaftsordnung. Selbst der Cousin/Vetter des Königs, Louis Joseph Philippe Orléans, Herzog von Chartres, der sich später »Philippe Egalité« nannte, schloss sich mit 47 Deputierten des Adelstandes unter seiner Führung der Versammlung an. Er soll später auch zum Großmeister aller Räte, Kapitel und schottischen Logen in Frankreich, zum Nachfolger des Großmeisters der Grande Loge de France erklärt worden sein. Später wurde er »Jakobiner«, sagte sich aber erst 1793 von der Freimaurerei los. Im selben Jahr noch wurde er hingerichtet. Und es war wieder ein Freimaurer, der berühmte Astronom Jean Sylvain Bailly (1736–1793), ebenfalls Mitglied der Pariser Loge Les Neuf Soeurs, der erklärte, dass die »versammelte Nation keine Befehle entgegennähme«! Bailly wurde später Präsident der konstituierenden Nationalversammlung. Schließlich gab Ludwig XVI. nach und befahl den anderen beiden Ständen, sich ebenfalls der Nationalversammlung anzuschließen. Im Juli 1789 schaltete sich ein anderer Freimaurerbruder aktiv in das Geschehen ein: der Publizist und Rechtsanwalt Camille Desmoulins (1760–1794). Er forderte das Pariser Volk zur Bewaffnung auf. »Das war die Stimmung, in der es zum Ausbruch spontaner Gewalt kam. 40 von insgesamt 45 Zollhäusern wurden niedergerissen, Klös-


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ter geplündert; man suchte nach Getreide und nach Waffen«, hält Ulrich Thamer, Professor für Neuere und Neueste Geschichte der Universität Münster in seiner Forschungsarbeit Die Französisiche Revolution fest.201 Schließlich kam es am 14. Juli 1789 zum berühmten Sturm auf die Bastille. Rund 8000 Pariser Bürger belagerten die Festung. Léon de Poncins meint in seinem Buch Hinter den Kulissen der Revolution, dass die Aufständischen, die »Verschworenen« und damit der »Aufstandsausschuß«, vor dem eigentlichen Angriff auf die Bastille noch vier Abordnungen zum Kommandant der Festung geschickt hatten. Die erste Abordnung hätte aus den Freimaurern Ethis de Cosny, Betlon und Billeford bestanden. Die dritte aus den Freimaurern Abbé Fauche und Chignard und die vierte aus den Freimaurern Poupart de Beaubourg, de Milly und Jasmin. Nach langen Verhandlungen ließ Gouverneur Marquis de Launay schließlich auf die Menge schießen. Auch den Angriff auf die Bastille sollen Logenbrüder kommandiert haben, unter ihnen Moreton de Chabrillan (Loge »Zur Redlichkeit«) (Poncins)202. Im Internationalen Freimaurer Lexikon« (S. 212) ist zu lesen, dass der junge Freimaurer Camille Desmoulins den Sturm angeführt haben soll! 98 Tote und 73 Verwundete waren unter den Belagerern zu beklagen. Die Menge eroberte jedoch die Bastille. Aus Rache lynchten die Eroberer der Bastille sieben Garnisonsleute und den Kommandanten. Nun bildeten die Pariser Wahlmänner des Dritten Standes eine provisorische Stadtregierung, darunter auch der hoch angesehene Freimaurer Marquis Marie Josef de La Fayette (1757–1834), der das militärische Kommando übernahm und zu einer weiteren Schlüsselfigur der Französischen Revolution wurde. La Fayette wurde 1777 beziehungsweise 1779 in Gegenwart seines »spiritus rectors«, George Washington, dem ersten Präsidenten der Vereinigsten Staaten von Amerika, in eine militärische Loge in Morristown aufgenommen (bezeichnet in Unterlagen der Großloge von Pennsylvania als »ancient York mason«). In Frankreich war er Mitglied der Loge Contrat Social und des »Supréme Conseil des A. u. A. Schottischen Ritus«. Er genoss vor allem in den USA große Ehren, galt bis heute sogar als »amerikanischer Nationalheld«. Unter anderem sollen dort die Schlüssel der Bastille, die er einer amerikanischen Loge geschenkt haben soll, aufbewahrt werden. Im Jahre 1777 stellte La Fayette sich in den Dienst des amerikanischen Unabhän-


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gigkeitskampfes und erhielt 1781 den Oberbefehl in Virginia, ging dann nach Frankreich und kehrte immer wieder in die Staaten zurück. In Frankreich beteiligte er sich als liberaler Royalist an der Revolution, galt als der verlängerte Arm George Washingtons in Frankreich, ließ gar die berühmte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte annehmen, war Kommandant der Bürgergarde und Oberbefehlshaber der Nationalgarde. Doch die Erstürmung der Bastille war nur die Spektakulärste der Revolutionen: Überall im Land gab es lokale revolutionäre Machterhebungen. Sogar Schlösser wurden durch Bauern gestürmt; es kam zu Plünderungen und Zerstörungen. Die Nachwelt würde später von der »Grande Peur«, der »Großen Furcht« sprechen. Die bäuerliche Revolution vermischte sich so mit der bürgerlichen Revolution, wurde ein Teil des Gesamtphänomens. König Ludwig XVI. fügte sich scheinbar den neuen Machtverhältnissen. Auch die Abgeordneten der Nationalversammlung des Ersten und des Zweiten Standes reagierten: Sie verzichteten zukünftig auf feudale Abgaben, um die Bauern nicht noch mehr aufzubringen – schafften also die Feudalität ab. Im August 1789 erklärte die Nationalversammlung auch die Menschen- und Bürgerrechte. Insgesamt wurden dabei alle »wichtigen Grundsätze der europäischen Verfassungstradition des 19. und 20. Jahrhunderts … entwickelt: die Souveränität der Nation, die Freiheitsrechte des Individuums, die Rechtsgleichheit, das Recht auf freies Eigentum, die Repräsentativverfassung. Der Text wurde zu einem Gründungsdokument des europäischen Liberalismus … Er betonte den Schutz des Bürgers vor Willkür, er sagte aber wenig über Eigentumlose, Sklaven und Frauen«203 (Tahmer), all das also, was die Freimaurer in ihren Logen gepredigt hatten. In einem Rundschreiben des Hohen Rates des Maurerordens an alle Logen zur Vorbereitung der Hundertjahrfeier von 1789 heißt es dazu: »Das Maurertum, das die Revolution von 1789 vorbereitete, hat die Pflicht, sein Werk fortzusetzen. Die augenblickliche Volksstimmung fordert dazu auf.«204 Natürlich missfiel dem König dies, weil er die Nationalversammlung zwar anerkannt hatte, aber diese kein Recht haben sollte eine neue Herrschafts- und Verfassungsordnung zu formulieren. Faktisch besaß er so wenig Macht wie noch niemals zuvor: Zwar wurden die Minister von ihm gewählt, aber sie waren der Nationalversammlung


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verantwortlich. Und ohne Gegenzeichnung der Minister konnte Ludwig XVI. nicht entscheiden. Er war damit zu einem König ohne Macht geworden. Im Juni 1790 wurde dann auch noch der Erbadel abgeschafft und im Herbst 1791 die Verfassung verkündet. Zu den Wortführern der »Patrioten« der Nationalversammlung, die sich bald »Constitutionnels«, also »Konstitutionalisten« nannten, gehörten angesehene Freimaurer wie Abbé Emmanuel Joseph Sièyes und Alexandre Lameth (1760–1829). Letzterer war Mitglied der Loge La Concorde, der sich neben anderen noch um eine Verbindung zum König bemühte. Der Freimaurer Marquis Marie Josef de La Fayette versuchte mit weiteren Abgeordneten die Ministerwahl des Königs zu lancieren, um so noch mehr Einfluss auf die Regierung zu bekommen. Als Kommandeur der Pariser Nationalgarde nutzte er somit seine Kontakte als Vermittler zwischen Nationalversammlung und König, um diesen gleichzeitig auch zu noch beherrschen! Historiker haben deshalb die Zeit zwischen Oktober 1789 und 1790 als das »Jahr von La Fayette« bezeichnet! Der berühmte Logenbruder war es schließlich auch, der am 14. Juli 1790 beim Fest der Einheit und der nationalen Versöhnung als erster am »Altar des Vaterlandes« den Eid auf die Nation ablegte! Dazu formulierte der Freimaurer Bonnet, Sprecher im Konvent des Groß-Orients von Frankreich, 1904: »Unser Bruder de la Fayette war es, der zuerst den Entwurf einer ›Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte‹ zum Zwecke der Bildung des ersten Kapitels der Konstitution überreichte. Am 25. August 1789 wurde sie endgültig von der Nationalversammlung, der mehr als 300 Freimaurer angehörten, angenommen, fast wörtlich so, wie der Text der unsterblichen Erklärung der Menschenrechte lange vorher in der Loge beraten und dann festgelegt worden war.« Bonnet bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die so genannten »Enzyklopädisten«. Dies ist eine Gruppe von Herausgebern und Bearbeitern der großen französischen Enzyklopädie, die 1751 angeregt wurde und bis 1772 erschien. »Aus der Zusammenarbeit an diesem großen Werk ergab sich bei den Mitarbeitern eine Gesinnungsgemeinschaft in Fragen der Religion, Ethik und Staatswissenschaften«, erklärt das Internationale Freimaurer Lexikon (S. 266) dazu. »Diesem Kreis wurde die Formung einer durch ihre hohen geistigen Leistungen berühmt gewordene Loge in Paris, die Loge Les Neuf Soers, die man auch die ›Enzyklopädistenloge‹ oder ›Philosophenloge‹ nannte, zugeschrie-


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ben.« Bonnet weiter: »Im 18. Jahrhundert fand der ruhmreiche Stamm der Enzyklopädisten in unseren Tempeln eine begeisterte Zuhörerschaft, der zum ersten Mal den bisher den Massen noch unbekannten Wahlspruch betonte: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.« Und Bonnet wird noch konkreter: »Die Saat des Umsturzes ist schnell in diesem auserlesenen Kreis emporgeschossen. Unsere berühmten Maurerbrüder d’Alembert, Diderot, Helvetius, d’Holbach, Voltaire, Condorcet haben die geistige Entwicklung vollendet, die neue Zeit vorbereitet. Und als die Bastille in Trümmer ging, da hatte das Freimaurertum die hohe Ehre, der Menschheit die Rechtsverfassung zu geben, die es mit so viel Liebe ausgearbeitet hatte.«205 Klare Worte also, die an Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig lassen. Tatsächlich sollen die genannten »Enzyklopädisten« allesamt auch Logenbrüder gewesen sein und zwar eben in der Pariser Loge Les Neuf Soers: Jean Le Rond d’ Alembert (1717– 1783), Mathematiker und Sekretär der Akademie, Denis Diderot (1713–1784), einer der einflussreichsten Schriftsteller der revolutionären Aufklärungsperiode, Claude Adrien Helvetius (1715–1771), Philosoph, dessen 1758 erschienenes Hauptwerk De l’esprit« als »staats- und religionsgefährlich« vom Papst und dem Parlament öffentlich verbrannt wurde, Paul Heinrich Dietrich Holbach (1723–1789), Materialist und »Menschenfreund«, Francois Marie Arouet Voltaire (1694–1778), Schriftsteller, Dichter und Denker der französischen Aufklärung und Marie Jean Antoine Condorcet (1743–1794), Mathematiker und Sekretär der Akademie. In jener Zeit gewannen auch politische Klubs immer mehr Bedeutung, in denen sich Gebildete trafen, um über Reformen zu diskutieren, Informationen und Meinungen auszutauschen und politische Debatten aufzuarbeiten. Der bekannteste und wirkungsmächtigste war die 1790 gegründete »Gesellschaft der Freunde der Verfassung«, die sich im Kloster der Jakobiner in Paris traf und später besser bekannt wurde als der »Jakobinerclub«. Hier kamen vor allem prorevolutionäre Mitglieder der Nationalversammlung zusammen, die bald »Jakobiner« genannt wurden. Ein weiterer Klub, eine Volksgesellschaft, war jener der als Cordeliers bezeichnet wurde. Hier traten weitere Freimaurer auf die politische Bühne, die das Geschehen der Revolution nachhaltig beeinflussten: Camille Desmoulins, Jean-Paul Marat und Georges Danton. Neben Desmoulins gehörte


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auch Jean-Paul Marat (1744–1793) zu den Freimaurern. Der Arzt und spätere Journalist war Mitglied der Londoner Loge At the King’s Head, Gerard Street, Soho (sein Meisterdiplom datierte vom 15. Juli 1774, also viele Jahre vor der Revolution) und stand im selben Jahr auch in Beziehungen zur Amsterdamer Loge La bien Aimée. Im Internationalen Freimaurer Lexikon wird Marat als »Führer in der Französischen Revolution« bezeichnet (S. 545), ebenso wie sein Journalistenkollege Georges Jacques Danton (1759–1794) (S. 203)! Danton war Mitglied einer Pariser Loge, avancierte später zum Justizminister, Gründer des Revolutionstribunals und Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, dessen Außenpolitik er bestimmte. Diese Brüder im Geiste Desmoulins, Marat und Danton inszenierten sich also als Sprecher des Volkes, gossen reichlich Öl ins Feuer und predigten den Hass auf die Kirche und die Reichen! Hinzu kam, dass sich nach dem Vorbild der Cordeliers auch andere ähnliche »Volksgesellschaften« bildeten, die zu einem wichtigen Aspekt der Politisierung der Volksbewegung wurden. Aber noch etwas anderes bildete sich heraus, das später die Gedanken und Handlungen der so genannten »Schreckensherrschaft« bestimmen sollte: Misstrauen gegen den Adel und den König, Verdacht gegen alle Feinde des Volkes und der Revolution. 1790 spaltete sich die Nation immer mehr in Revolutionsgegner und Revolutionsanhänger. Schließlich erregte auch die Flucht des Königs und seiner Familie die Gemüter. Er wurde allerdings im Juni 1791 ergriffen und verhaftet. Jetzt waren es radikale Publizisten wie der Freimaurer Jean-Paul Marat, die das Ende der Monarchie und die Einführung einer Republik forderten. Doch die Nationalversammlung hielt zunächst als Zentralgewalt an der Monarchie fest. Die Cordeliers allerdings, zu dem die Freimaurer Marat, Desmoulins und Danton gehörten, ließen nicht locker: sie veranstalteten am 14. Juli 1791 eine antimonarchische Kundgebung. »Die gewaltsame Auflösung einer weiteren Versammlung, bei der die Wahl einer neuen konstituierenden Nationalversammlung gefordert wurde, durch die Nationalgarde, bei der es vermutlich mehr als zwei Dutzend Tote gab, führte an den Rand des Bürgerkriegs; auf jeden Fall entstand damit ein tiefer Riß zwischen der Nationalversammlung und den Volksgesellschaften. Der Dritte Stand war endgültig gespalten und mit ihm der Jakobinerklub«, hält der Historiker Hans-Ulrich Thamer fest.206 Im Gegensatz


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zu den Cordeliers entstanden so die Feuillants, zu denen auch Maximilien Francois Isidore de Robespierre (1758–1794) gehörte. Verschwörungsanhänger, aber auch andere, behaupten immer wieder, dass der Jakobiner Robespierre zu den Freimaurern gehörte, er gar in den dritten Grad der (illuminierten) Freimaurerei eingeweiht sei. Das ist allerdings ungewiss. Das Internationale Freimaurer Lexikon erklärt, dass »entgegen anders lautenden Behauptungen« Robespierre »nicht Freimaurer« war. Und weiter: »Der Name kommt im Jahre 1745 in einem alten Patent für ein Rosenkreuzerkapitel vor, das einer Loge in Arras ausgestellt wurde. Es handelt sich dabei aber um den Großvater des Jakobiners.«207 Wie dem auch sei, ob nun Robespierre selbst oder sein Großvater Freimaurer oder rosenkreuzerischer Geheimbündler war – die Diskrete Gesellschaft hätte in ihm wohl kein Aushängeschild, schließlich war er der Mentor der blutigen Schreckensherrschaft, wie noch aufzuzeigen sein wird. Im Oktober 1791 wurde die zuvor neu gewählte Legislative zusammengerufen. Die Feuillants bildeten dabei die stärkste Gruppe und fand sich auf dem rechten politischen Spektrum wieder, während sich links eine Gruppe aus dem einstigen »Jakobinerklub« um Brissot, Condorcet, Guadet und Vergniaud herausbildete. Der Journalist Jacques-Pierre Brissot (1754–1793) war auch Freimaurer und hatte einst am 14. Juli 1789 die Schlüssel der Bastille entgegengenommen. Er agierte als Jakobinerführer, von 1791 bis 1793 war er der eigentliche Leiter der auswärtigen Angelegenheiten. Brissot gab den »Kriegen der Republik den Charakter einer revolutionären Propaganda« (Internationales Freimaurer Lexikon, S. 153) und eröffnete am 20. Oktober 1791 seine Propaganda für den Krieg gegen Österreich und Preußen! Auch Marie Jean Antoine Condorcet (1743–1794), Mathematiker und Enzyklopädist, war Logenbruder. Er galt als ein Verfechter der »unbeschränkten Vervollkommnungsmöglichkeit des Menschen«. Die Jakobiner um den Freimaurer Brissot ließen nicht locker und forderten entgegen der pazifistischen Tradition der Aufklärung einen Krieg! Sie erhofften sich von ihm nicht nur eine Schwächung oder gar Vernichtung der äußeren Gegenrevolution, sondern die Stärkung der (inneren) Revolution und die endgültige Niederlage Ludwigs XVI. So gewann Logenbruder Brissot die Mehrheit der Legislative zu einem »Kreuzzug für die Freiheit«. Dem schloß sich der König nur


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zum Schein an und erklärte am 20. April 1791 Österreich und damit auch dem verbündeten Preußen den Krieg. So mobilisierte der Krieg tatsächlich die städtische Volksrevolution. Revolutionäre drangen gar in die Königsgemächer ein und setzten Ludwig XVI. die rote Freiheitsmütze auf, die so genannte rote »Jakobinermütze«. Sie soll gar eine »freimaurerische« sein. »Das war die sorgsam vorbereite Reaktion auf die Entlassung ›patriotischer‹ Minister aus dem Umkreis von Brissot und war das erste Auftreten der mittlerweile organisierten Volksbewegung, deren Aktivisten sich in deutlich anti-aristrokatischem Ton nun Sansculotten nannten … « (Thamer)208 Schon mehrmals hatten Förderierte wie Robespierre die Absetzung des Königs gefordert, doch die Nationalversammlung hatte dieses Ansinnen jedes Mal abgelehnt. Ab dem 9. August 1792 kam es zum gewaltsamen Aufstand gegen Ludwig XVI., bei dem 400 Aufständische getötet und Hunderte von Soldaten niedergemetzelt wurden. Schließlich wurde der König gestürzt und gefangen genommen. »Wurde Ludwig XVI. nicht von den Jakobinern in den Turm des Tempels zu Paris verschleppt, um genau dort auf seine Hinrichtung zu warten, wo Jacques de Molay, der letzte Großmeister des Tempelordens (in dem viele Freimaurer ihre historische Herkunft sehen, Anm. d. Autors), 500 Jahre zuvor seinen letzten Gang angetreten hatte?«, fragt Klaus-Rüdiger Mai in seinem Buch Geheimbünde. Und weiter: »War das nicht ein Triumph für die Freimaurer, die sich doch als Erben der Templer verstanden und auf Rache sannen für den Verrat des Königs von Frankreich an den Tempelrittern?«209 Nun besaß der Generalrat der revolutionären Commune die Macht und fungierte mit seinen annähernd 300 Delegierten wie ein Gegenparlament. Hier standen nun Robespierre und die Freimaurer Danton und Marat an der Spitze ihrer Macht und verkündeten, sie alleine würden den »wahren Geist der Revolution« vertreten. So wurde Danton am 11. August 1792 Justizminister eines provisorischen Exekutivausschusses. Er, sein Logenbruder Marat und Robespierre riefen gar zur Volksjustiz auf! »So muß alles, was die Nation schädigen könnte, aus ihrer Mitte ausgestoßen werden!«, verkündete Danton. »Gesetze gegen Verdächtige« wurden verabschiedet. Damit wurde geradezu zur Gewalt aufgestachelt. In dieser Zeit von Psychose, Angst und Hass und bis zur Zusammenkunft des Nationalkonvents,


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kam es neben dem »äußeren« Krieg gegen Österreich und Preußen zu »inneren« Morden und Gräueltaten – auch zu den so genannten »Septembermorden« in Pariser Gefängnissen, in denen 1130 Häftlinge von Nationalgardisten und Förderierten ermordet wurden. Geopfert sozusagen der »nationalen Rache« an allen Verrätern und Gegenrevolutionären. Aber die revolutionären »Rächer« machten nicht halt, wüteten weiter und schlachteten Tausende ab. Im September 1792 wurden Wahlen zum Konvent durchgeführt. Freimaurer Brissots Anhänger auf dem rechten Flügel nannten sich nun »Girondisten«, die radikale Linke um Robespierre die »Bergpartei« oder Montagnards. Die beiden Parteien sollten sich zukünftig erbitterte politische Machtkämpfe liefern. Vergessen wir dabei nicht, dass beide, die »Girondisten« und die Montagnards, eigentlich aus einem politischen Klub stammten: dem der Jakobiner. Dazwischen gab es in der Mitte noch die Plaine oder Marais. Zum Verfassungsauschuss gehörte auch der Logenbruder Jean Antoine Condorcet, der zeitweilig der Präsident der Nationalversammlung war. Am 21. September 1792 schließlich wurde das Königtum abgeschafft und die Republik proklamiert. Jetzt kamen die »Septembermorde« auf den Tisch. Die »Girondisten« um den Freimaurer Brissot sahen in den »Blutsäufern« um Robespierre und den Freimaurern Marat und Danton die eigentlichen Schuldigen und verlangten gar ihre Verurteilung! Die Montagnards wiesen jedoch jegliche Mitschuld zurück und Robespierre rechtfertigte sogar die Morde, ja forderte sogar vehement die Hinrichtung des Königs: »Ludwig muß sterben, weil es Not tut, dass das Vaterland lebe.«210 Die »Girondisten« widersetzten sich und wurden aus dem »Jakobinerklub« ausgeschlossen. Die Montagnards und die Mehrheit des Konvents leiteten schließlich einen Prozess gegen den König ein und sprachen ihn der »Verschwörung gegen die Freiheit« für schuldig. Am 21. Januar 1793 wurde der »physische Leib« König Ludwig XVI. und das »politisch-mystische des sakralen Königtums« auf dem Schafott mit dem Fallbeil hingerichtet. Die Guillotine, die das erste Mal überhaupt am 25. April 1792 zum Einsatz kam, sollte in der Folge der Zeit zu einem »Instrument der Sühne und der Gerechtigkeit des Volkes« und zum »Instrument der Politik«, zur »Sichel der Gleichheit« werden. Bezeichnenderweise – und das weiß fast niemand –


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war Dr. Joseph Ignace Guillotin (1738–1814), der Erfinder dieser vermeintlich humaneren Hinrichtungsmaschinerie, Arzt, dann Lehrer am Jesuitenkollegium in Bordeaux, Professor an der medizinischen Universität in Paris, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses und ab 1789 Abgeordneter des Dritten Standes – und ebenfalls Freimaurer! Bei ihm handelte es sich um einen hochrangigenr Logenbruder und sogar Mitstifter des Grand Orient de France, den Stuhlmeister der Loge La Concorde Fraternelle und um ein Mitglied der berühmten Loge Neuf Soeurs! Am 1. Februar 1793 erklärte der Konvent im Zuge des »Kreuzzuges für die Freiheit« England und den Niederlanden den Krieg. Die Abgeordneten hofften unter anderem dadurch die innere Zerrissenheit der Republik zu kitten. Auch der Freimaurer Danton spielte wieder kräftig mit, indem er proklamierte, Frankreichs Grenzen seien durch das Meer, den Rhein und die Alpen bestimmt. Dadurch wurde die Eroberungspolitik des hingerichteten Königs mit einer »nationalen Befreiungsrhetorik« fortgesetzt. Doch alles sollte sich ins Gegenteil wenden. Es gab Streitereien um die Wehrpflicht, ökonomische Schwierigkeiten, die Steuerlasten des jungen Staates waren höher als die des einstigen Königs. Daraus resultierte ein neuer Aufstand, mehr noch: eine Gegenrevolution! Adlige übernahmen im März 1793 die aufständische Armee, die sich nun »christliche und königliche Armee« nannte. Mehr als 500 Tote waren in den ersten vier Wochen der Gegenrevolution zu beklagen. Eine Spirale der Gewalt wurde ausgelöst: Nationalgardisten wurden überfallen und konstitutionelle Priester hingerichtet. Ganz Frankreich versank nun in den neuen revolutionären Wirren. Lokale Jakobiner und Volksbewegungsaktivisten waren jetzt die Zielscheiben. Mehr als 200 000 Opfer sollte dieser Bürgerkrieg auf beiden Seiten kosten. Diese »Dritte Revolution« schließlich stürzte auch die »Girondisten«, die eigentlich die neue Verfassung der Republik unter ihrer Federführung erarbeitet hatten und die nun unter anderem gegen die »Volksfreunde« wie Marat wetterten. Die Zeit der so genannten »Sansculotten« (Handwerker, Kleinhändler und ihre Gesellen, kleine Eigentümer) war angebrochen. Eines ihrer Symbole war wiederum die rote Freiheitsmütze der »jakobinischen Revolution«. Sie agitierten in ihren Losungen gegen die Aristrokatie, die Reichen und Kapitalisten.


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Damit war die »Schreckensherrschaft«, der »Terreur« begründet: Ein Sondergericht wurde geschaffen, das alle »Anschläge gegen Freiheit, Gleichheit, Einheit und Unteilbarkeit der Republik« verfolgte, in den Klubs wurden Überwachungs- und Revolutionsausschüsse errichtet, ein »Wohlfahrtsausschuß« unter der Leitung des Logenbruders Danton gegründet, der später nicht mehr bestätigt wurde und vorerst aus der Politik ausschied, ein Koventausschuss zur Überwachung der Staatsverwaltung geschaffen. So wurden vom Sondergericht gleich in den Anfängen Abgeordnete und Minister der Girondisten verurteilt und hingerichtet. Das war das Ende der Partei. Nun beherrschten die Montagnards um Robespierre den Konvent. Am 14. Juli 1793 wurde Revolutionsführer und Freimaurer Jean-Paul Marat ermordet. Robespierre übernahm den jakobinisch bestimmten Wohlfahrtsauschuß, Gesetze und Kontrollmechanismen sollten den Notstand überwinden, um die Republik zu sichern, bis die Verfassung vom Juni 1793 schließlich in Kraft treten konnte. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt, dass sie das niemals tun würde. Mit der Macht von Robespierre begann nun auch der so genannte »Terreur«, die »Schreckensherrschaft«, die allerdings nie unkontrolliert, sondern eine »Diktatur mit parlamentarischer Legitimation« war. Nichts anderes also als eine zentralistische revolutionäre Regierung. Und der Wohlfahrtsausschuß legalisierte sie. So wurde im März 1793 ein Revolutionstribunal eingerichtet und im September desselben Jahres ein »Gesetz gegen die Verdächtigen« geschaffen. Robespierre wollte mit seiner Institutionalisierung der Revolutionsdiktatur die Republik begründen sowie alle »guten« Bürger schützen und die »Feinde des Volkes« vernichten. Ein »Krieg der Freiheit« also gegen ihre Feinde, der eine Zeit der Verfassung als die »Herrschaft der siegreichen und friedlichen Freiheit« folgen sollte. In den Kirchen wurden Heiligenfiguren von ihren Podesten gestürzt und durch Büsten atheistischer Philosophen ersetzt, wie beispielsweise dem Freimaurer (!) Voltaire. Alle anderen, wie Priester oder Adelige, die konträrer Meinung waren, machten Bekanntschaft mit dem Fallbeil der Guillotine. Ein weiteres Gemetzel folgte in Form von Massenhinrichtungen und Ertränkungen nach der Rückeroberung der abtrünnigen Städte Lyon und Toulon durch das Strafgericht der Revolutionskommissare oder in Form der Vernichtung der Aufständischen in der Vendée.


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Agitationen gegen die »Volksbewegung« wurden ebenfalls durch die Revolutionsregierung eingeleitet. Im Mai 1794 wurde auf Robespierre ein Attentat verübt, allerdings ohne Erfolg. Daraufhin verschärfte er die Verfolgung der Revolutionsfeinde und schaffte eine gesetzliche Handhabe, um die politischen Gegner systematisch auszulöschen. Doch diese schlugen zurück. Deputierte des Konvents inszenierten schließlich die Verhaftung Robespierres, der am 28. Juli 1794 ebenfalls unter dem Fallbeil landete. Er und seine anarchistische Revolutionsregierung, speziell die Montagnards und die Jakobiner, hinterließen am Ende Zehntausende Tote, die einem wahren Staatsterror zum Opfer gefallen waren. Die meisten waren Handwerker und Bauern. Das war also der Preis für den Versuch, eine neue Gesellschaft und einen neuen Menschen zu schaffen und alle Lebensformen der christlichen Traditionen zu beseitigen, ja geradezu eine »Entchristlichung« durchzuführen, um eine »Verweltlichung« zu erreichen. So wurden kirchliche und monarchische Elemente mit neuen Inhalten versehen. Ein neuer Kalender war geschaffen worden, der so genannte »Revolutionskalender«, der mit dem Jahr Eins der französischen Republik im September 1792 begann. Sonn- und Feiertage waren darin verschoben worden, so daß damit ein tiefer Eingriff in das traditionelle Brauchtum erfolgt war. Doch was wurde aus den übrigen Freimaurern, die in der ersten Phase der Revolution eine bedeutende Rolle gespielten hatten? Marie Joseph La Fayette kritisierte seinen Logenbruder Marat und meinte, dass er die Philosophie der Freimaurer verriet. 1791 wurde La Fayette zum Befehlshaber einer der drei Armeen ernannt, floh aber dann vor den Jakobinern. Später kehrte er in sein Heimatland zurück, beteiligte sich 1830 an der Juli-Revolution und avancierte erneut zum Oberkommandanten der Nationalgarde. Jean Paul Marat wurde am 13. Juli 1793 durch Charlotte Corday ermordet. Camille Desmoulins wurde später Mitglied des Convents, bekämpfte dann die Schreckensherrschaft und landete als »Gemäßigter« auf dem Schafott. Jean Sylvain Bailly wurde später wegen seiner konstitutionellen Gesinnung und seiner energischen Maßnahmen gegen die Aufrührer als »Königsfreund und gewalttätiger Unterdrücker der Volksfreiheit« hingerichtet.


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Jacques Pierre Brissot zerstritt sich mit Robespierre und endete im April 1794 ebenfalls auf dem Schafott. Georges Danton betrachtete den Terror als »Aushilfsmittel« und Robespierre schickte ihn und seine Anhänger ebenfalls im April 1794 auf das Schafott. Den Rat abschlagend, ins Ausland zu flüchten, sagte er zuvor den berühmten Satz: »Nimmt man denn das Vaterland an den Schuhsohlen mit?« So ist die Argumentation der Freimaurer freilich nachvollziehbar, dass sich die Revolutionäre in keiner Weise der Maurerei erkenntlich gezeigt hätten, weil zahlreiche Logenbrüder während der »Schrekkensherrschaft« auf dem Schafott endeten. Aber: Freimauer waren es, die diese Revolution erst mit ausgelöst und eine ganze Zeit lang in führenden Positionen unterstützt und durchgeführt hatten, also selbst »Revolutionäre« waren! Der »fanatische Parteiführer« Robespierre sowie Marat galten zusammen auch als »Schreckensmänner« in der Französischen Revolution. Zusammen mit Danton, dem »zügellosen Volksredner«, und Desmoulins hatten sie ein »Regime des Terrors« errichtet.211 Ein österreichischer Regierungsbeamter verfasste noch im August 1790 ein Schreiben an Kaiser Leopold II., in dem er behauptete, dass »das Rad der gegenwärtigen Irrungen und Revolutionen Europas« von der »Bruderschaft der Freymaurer getrieben« werde. Weniger bekannt ist, dass an diesen »Gerüchten« auch die Freimaurer selbst schuld waren. Die Rede ist von Logenbruder John Robison (1739–1805), einem hochangesehenen Wissenschaftsautor, renommierten Mathematiker und Professor für Naturphilosophie an der Universität Edinburgh, der unter anderem auch für die Encyclopaedia Brittanica schrieb. Er veröffentlichte 1798 einen Enthüllungsbericht mit dem umständlichen Titel Proofs of a Conspiracy Against All the Religions and Governments of Europe, Carried on in the Secret Meetings of Freemasons, Illuminati and Reading Societies (Beweise für eine Verschwörung gegen alle Religionen und Regierungen Europas, die betrieben wird in geheimen Treffen von Freimaurern, Illuminati und Lesegesellschaften). Das Buch wurde binnen kurzer Zeit höchst populär und stellte die These auf, dass die Bayrischen Illuminaten die französischen Freimaurerlogen unterwandert und die Französische Revolution entfacht hatten. Sie, die geheimbündlerischen Drahtzieher, wollten somit die franzö-


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sische Monarchie wie auch die katholische Kirche vernichten, um dann die Macht über Europa und schließlich die ganze Welt zu erlangen. Der Jakobinerklub selbst soll eine Freimaurerloge gewesen sein, Adam Weishaupt, der Begründer der Illuminaten, der »Patriarch der Jakobiner«! Proof of Conspiracy des Freimaurers Robison löste eigentlich die Anti-Illuminati-Hysterie in Europa aus. »Das Buch … zeugt nicht von einer Denkweise, die ich als paranoid ansehe«, erklärt dazu »Illuminati-Kenner« Robert Anton Wilson. »Sogar für mich klingt das, was er schreibt, recht vernünftig … Außerdem scheint seine Behauptung, dass die Illuminati sich in der Zeit von ungefähr 1776 bis 1800 einen großen Teils der europäischen Freimaurerlogen bemächtigt hätten durch – als ›zuverlässig‹ geltende – Werke … und sogar durch die Enyclopaedia Britannica bestätigt zu werden.« Damit trifft Wilson den Nagel auf den Kopf. Die Verbindungen zwischen Illuminaten und Freimaurern habe ich bereits im Abschnitt 1.11 »Freimaurer und Illuminaten« ausführlich erläutert. Léon de Poncins schrieb in seinem 1929 erschienenen Buch Hinter den Kulissen der Revolution: »Heute gibt das Freimaurertum die Französische Revolution ganz offen als sein Werk zu … In der Sitzung der französischen Abgeordnetenkammer vom 1. Juli 1904 sprach der Marquis de Rosanbo folgendes unverhüllt aus: ›Das Freimaurertum hat im Geheimen, aber beharrlich, an der Vorbereitung der Revolution gearbeitet.‹« Weiterhin zitiert er den Abgeordneten Jumel: »In der Tat, dessen rühmen wir uns.« Der Abgeordnete Alexandre Zvaés meinte: »Das ist das höchste Lob, das Sie uns zollen können.« Abgeordneter de Rosanbo ergänzte: »Wir sind also vollständig einig darüber, dass das Maurertum allein der Urheber der Revolution gewesen ist, und der mir jetzt gespendete, sonst selten zuteil werdende Beifall der Linken beweist ihre Übereinstimmung mit mir darin, dass das Freimaurertum die Revolution gemacht hat.« Und der Abgeordnete Jumel meinte abschließend: »Wir geben es nicht nur zu, wir verkünden es ganz offen.«212 Freimaurer also »nur« als »geistige Brandstifter« der Revolution? Aber reicht das nicht schon? Auch das ist höchste politische Betätigung, die doch eigentlich nach maurerischen Prinzipien verboten sein sollte! Dennoch haben sich Freimaurer nicht nur »geistig« an der Revolution beteiligt, sondern auch höchst aktiv. Die Brüder im Geiste sollen in der Französischen Revolution einen Sieg über Altar und


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Thron erreicht haben, deshalb versinnbildlicht ein Gemälde aus dem Grand Orient de France die Prinzipien von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Das Freimaurer Politiker Lexikon fasst zusammen: »… im Laufe des 19. Jahrhunderts identifizierten sich französische und auch italienische Freimaurer mehr und mehr mit den Prinzipien dieser Revolution. Als entschiedene Republikaner und Antiklerikale fühlten sich französische Freimaurer nicht nur beleidigt, sondern gar geschmeichelt, wenn Reaktionäre sie für den Sturz des ›Ancient Regime‹ verantwortlich machten.«213 Auch zu diesem Sachverhalt habe ich bei den Großlogen von Deutschland, Österreich und der Schweiz nachgefragt214: »Wie stehen Sie dazu, dass maßgeblich auch Freimaurer (La Fayette, Marat, Danton, Desmoulins, Bailly, Brisot etc.) es waren, die die Französischen Revolutionen in Gang gesetzt haben, mit vielen Tausenden von Toten, die leider zumeist in ›Vergessenheit‹ geraten und dadurch auch erst die ›Schreckensherrschaft‹ eines Robespierre möglich gemacht haben? Verschiedentlich wird Robespierre als Logenbruder bezeichnet. War er Freimaurer?« Wiederum war es nur der österreichische Großmeister, der mir antwortete: »Immer wieder erscheint in Ihren Fragen die Vermutung, die Freimaurerei wäre oder züchte irgendeine Weltanschauung. Diese Annahme ist grundfalsch und entbehrt auch jeglicher Grundlage. Es ist auch wirklich nicht zulässig, Rückschlüsse auf die Organisation aus dem Umstand zu ziehen, dass bekannte Freimaurer für Aktionen oder Taten verantwortlich sind, die mit menschlichen Prinzipien (und nur solche sind Gegenstand eines freimaurerischen Wertekatalogs) nicht vereinbar sind. Auch Katholiken, Protestanten, Juden etc. haben Taten begangen, die man rückschließend nicht ihrer Konfession anlasten kann, jedenfalls zum Glück nicht immer. Also auch wenn die von Ihnen genannten Freimaurer Untaten begangen haben, dann heißt das nicht, dass sie von der Organisation dazu legitimiert oder aufgerufen wurden. Wenn Sie die Geschichte der Französischen Revolution genau studieren, dann werden Sie auch feststellen, dass die Freimaurerei selber sehr stark in Mitleidenschaft gezogen wurde, wenngleich es unbestritten ist, dass vieles an dem ursprünglichen Gedankengut mit freimaurerischen Ideen in einem positiven Einklang steht.«215


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Doch daß die Freimaurer bei der Französischen Revolution ihre Hände in Unschuld gewaschen haben, kann man angesichts der oben genannten Fakten nicht gerade behaupten. Ganz im Gegenteil: Sie waren die treibende Kraft, der Motor dieser politischen Umwälzung, die ganz Europa erfassen sollte.

4.1.3 Exkurs: Der »politische« Ritualmord Mord aus Mordlust, aus Heimtücke, aus Habgier, aus Eifersucht, aus Neid, aus Gier, aus Trieb, um nur einige der »gängigen« Motive zu nennen, ist der Öffentlichkeit bekannt. Nicht aber ein anderes Motiv, ein »nichtfassbares«, regelrecht »stigmatisiert« in den Büchern der Kriminalisten und Kriminologen und in den Akten der Ermittler, der Staatsanwälte und Richter: der Mord aus rituell-religiösen Motiven – der »Ritualmord«. Ritualmord ist die Tötung eines Menschen aus rituellen Gründen oder eine kultische Handlung, um entweder auf Naturvorgänge einzuwirken, das Wohlwollen einer Gottheit durch ein hohes Opfer zu erlangen oder um zu warnen oder zu bestrafen! Das Menschenopfer, die »sakrale Tötung« von Menschen, ist das »höchste« Opfer, vielfach belegt in der Religionsgeschichte.216 Tötungsrituale, Ritualmorde und Menschenopfer sind wahrscheinlich so alt wie die Menschheit selbst. Der Ritualmord entspricht gewiss zumeist ganz und gar nicht der laienhaften Vorstellung aus zweitklassigen Kinofilmen: ein schwarzer Altar, eine nackte Frau, brennende Kerzen, drum herum in Roben gekleidete Gestalten, der Hohepriester mit einem Dolch, der das Opfer ersticht. Der Ritualmord kann tausend verschiedene Gesichter haben und mitunter wird nicht eines erkannt! In meinem 2007 erschienenen Buch Der Satan von Witten und andere fanatische Ritualmörder217 beschäftige ich mich explizit mit dem Ritualmord aus rituell-religiösen, satanistisch-okkulten Motiven, der, insbesondere in Deutschland, als solcher zumeist nicht erkannt wird. Aber auch ein anderer Ritualmord, der im Kontext dieses Buches sehr wichtig ist, erfährt fast keine Beachtung – aus Unwissenheit oder aus Taktik, das sei an dieser Stelle dahingestellt –: der »vergeltende« Ritualmord, das »Tod dem Verräter«. Dieser »vergeltende« Ritualmord ist eng verbunden mit dem »politischen«


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Mord, und daher möchte ich nachfolgend vom »politischen« Ritualmord sprechen. »Meist diente der politische Mord einem Anschlag auf eine Entwicklung, die den politischen und ökonomischen Eliten nicht oder nicht mehr genehm war«, schreibt der Herausgeber des Buches Tod auf Bestellung – Politischer Mord im 20. Jahrhundert, Heribert Blondiau. »Die Tat sollte das Opfer strafen, Freunde warnen, Partner abschrecken und die Geschichte verändern.«218 Genauso sollte es in einigen nachfolgend betrachteten Fällen sein: »politische« Ritualmorde, Morde als Mittel politischer Auseinandersetzung, als solche nicht erkannt, und zur Warnung und Abschrekkung für Wissende, geheimbündlerische Bestrafung für die Opfer. Dabei verschmelzen oftmals Ursache und Wirkung. Die Hintergründe dieser »politischen« Ritualmorde bleiben fast immer unerkannt, weil sich vieles nicht belegen oder dokumentieren lässt. Die Drahtzieher oder Täter stammen oftmals aus einem subreligiösen, geheimbündlerischen Umfeld. Vieles ist völlig unverständlich und verschleiert für Nichteingeweihte. Fast gar nichts dringt nach außen. Und wenn dann nur das, was auch nach außen, an Profane, dringen soll. Vieles hat Methode. Verschweigen, Täuschen und Tarnen kennzeichnet den (»politischen«) Ritualmord. Falsche Spuren werden gelegt, Tatorte inszeniert oder Strohmänner benutzt. Oftmals bedient er sich geheimer Symboliken, die auch am Tatort zurückgelassen werden und Eingeweihte informieren oder warnen sollen – Symboliken, die für Profane, für Uneingeweihte, vor aller Augen sichtbar und doch verborgen sind! Unsichtbar für alle, die nicht wissen, was sie zu bedeuten haben, die sie nicht verstehen. Geheimgesellschaften, Geheimbünde, Logen, Orden, Zirkel und Kulte bedienen sich dieser geheimen Zeichen, dieser geheimen Symboliken schon seit Jahrhunderten. Nicht nur Juden, sondern auch Freimaurern wurden von politischen und religiösen Gegnern sowie von Verschwörungsfanatikern immer wieder Ritualmorde unterstellt, was zu politischen Verfolgungen und gesellschaftlichen Stigmatisierungen führte. Bei den Juden rührte dies wohl daher, weil unter anderem im Alten Testament in Psalm 106 über die frühen Israeliten zu lesen steht: »Und sie opferten ihre Söhne und ihre Töchter den bösen Geistern und vergossen unschuldig Blut, das Blut ihrer Söhne und Töchter, die sie opferten den Götzen Kanaans, so dass das Land mit Blutschuld befleckt war.«219


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Freimaurern und Illuminaten wurde von Verschwörungsthoretikern wie Abbé Barruel, Gabriel Jogand-Pagès, besser bekannt unter seinem Pseudonym Leon Taxil, oder General Erich Ludendorff immer wieder die Ermordung überwiegend politischer Persönlichkeiten unterstellt, so genannte »Freimaurermorde«. Beispielsweise sollten diese am französischen König Ludwig XVI., am schwedischen König Gustav III., am österreichischen Kaiser Leopold, am russischen Zar Peter I., am Freimaurer-Gegner Erzherzog Franz Ferdinand oder Kaiser Karl I., um nur einige zu nennen, geschehen sein. Ergänzt wurden diese Unterstellungen durch antisemitische Ritualmordbeschuldigungen und dem »erzwungenen« Selbstmord.220 Freimaurer-Kritiker verweisen in diesem Zusammenhang auf die drakonischen Strafmaßnahmen beim Brechen des VerschwiegenheitsEids (siehe Abschnitt 1.5.2 »Geheimnis und Verschwiegenheit«) und die so genannten »Rachegrade«, die eigentlich Hochgrade sind, wie beispielsweise der »XXX. des A. u. A. Schottischen Ritus«, des »Kadoschrittergrades«, in dem in einem Ritual eine Königspuppe, gekleidet als Philipp der Schöne (König Philipp IV.) von Frankreich, verhöhnt und vernichtet wird.221 Dabei wird im Zusammenhang mit der Erzählung der Hinrichtung des letzten Templergroßmeisters Jacques de Molay und seiner Anhänger von »Sühne«, von »Rache« gesprochen. »Mit dieser Bezeichnung wollen die Kämpfer gegen den (Freimaurer-)Bund sagen, dass die freimaurerischen Rituale grausame Rache, die Vernichtung von Thron und Altären predigen. Diese Behauptung ist falsch. Rache oder Haß sind der freimaurerischen Ideologie nicht nur fremd, sondern entgegengesetzt«, ist im Internationalen Freimaurer Lexikon dazu zu lesen. »Die einzige Vergeltung, die der Freimaurer im Namen der Verfolgten aller Zeiten üben kann, besteht in der Arbeit zur Herbeiführung eines sittlichen Zustandes … Von rein geistigem Kampf ist in der Gradlehre die Rede, vom Eintreten für die Menschenrechte …, an der Darstellung des Opfertodes des letzten Tempel-Großmeisters wird die Verpflichtung gezeigt, unablässig, auch unter Selbstaufopferung, mit geistigen Waffen für Geistesfreiheit zu kämpfen.«222 Dem widerspricht der Politikwissenschaftler Andreas Gößling in seinem Buch Die Freimaurer – Weltverschwörer oder Menschenfreunde?, wenn er sich auf eine Schilderung des »Kadosch-Rituals« des französischen Freimaurers Serge Hutin beruft: »Dieser Teil des


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Rituals lässt sich kaum anders, denn als Aufforderung zu blutiger Rache verstehen. Der zum Kadosch-Ritter Geweihte wird unverkennbar ermahnt, ›Vergeltung für die den Templern angetanen Ungerechtigkeiten durch die Monarchie und die Kirche‹ zu üben. Im späten 18. und 19. Jahrhundert, als die französische Freimaurerei eine scharfe antikirchliche Stellung einnahm, wurde dieses Ritual zweifellos auch so gedeutet: als Befehl, die Vernichtung der templerischen ›Brüder‹ am Vatikan zu rächen.« Und weiter: »Wenngleich von masonischer Seite immer wieder eingewandt wird, dass das Toleranzgebot der Freimaurerei mit Racheplänen welcher Art auch immer unvereinbar sei, spricht das Ritual hier doch eine ganz andere, kaum mehr symbolisch verschlüsselte Sprache. Verständlich, dass solche Hochgradrituale gerade den Fürsprechern der Johannismaurerei Unbehagen bereiten.«223 Unbehagen und blankes Entsetzen bereiten in diesem Zusammenhang einige politische Morde, die ich als »politische« Ritualmorde bezeichnen möchte, in einer Staatsaffäre, die schlimmer nicht mehr sein konnte. Auch hier kam es zu mysteriösen Morden, zu als Selbstmord getarnten Tötungen, im Zusammenhang mit einer Freimaurerloge: der Propaganda Due (P2).

4.1.4 »Politaffäre« Propaganda Due (P2)224 Eine der bedeutendsten »Staatsaffären« im »geheimbündlerischen« Sinne trug sich ausgerechnet im Herzen Europas, in Italien, zu. Gemeint ist der Skandal um die freimaurerische Propaganda Due, kurz P2-Loge! Hier kam alles zusammen, was eine freiheitliche Demokratie nicht brauchte: Geheimpolitik, konspirativer Lobbyismus, innenpolitische Desaster, umstürzlerische Betätigung, verdeckte Terroranschläge, militanter Geheimbund, rechtsradikaler Untergrund, Schattenregierung. Und hier zeigte sich das erste Mal auf europäischer, ja sogar auf weltweiter Bühne, welche unheilvolle Macht ein Geheimbund, eine Freimaurerloge, tatsächlich haben konnte. Hier zeigte sich all das, was die Freimaurer öffentlich immer wieder ab- und be-streiten, nämlich aktive politische Betätigung pur und zwar überwiegend in Form von Geheimpolitik, die in Staatsterror ausartete! Eine solche Geheimpolitik dürfte es eigentlich in


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einer Demokratie gar nicht geben. »Wir bleiben ungläubig und unfähig, Zusammenhänge herzustellen, und verdrängen, was nicht erklärbar ist«, meint die Publizistin Regine Igel dazu. »Den veröffentlichten Recherchen und Thesen kritischer Geheimdienstkenner wird gerne mangelnde Beweiskraft oder Verfolgung von Verschwörungstheorien vorgeworfen. Tatsächlich ist es in der Sache selbst begründet, dass man Illegalitäten von Geheimdiensten und Geheimpolitik nur selten beweisen kann. Es kennzeichnet sie, keine gerichtstauglichen Beweise gegen Täter zu hinterlassen.«225 Doch im Fall der P2 gab es für zahlreiche Aktionen, die zumeist erst später aus einem Knäuel vieler Fäden einzeln entwirrt werden konnten, tatsächlich gerichtstaugliche Beweise. Hier löste sich die spezifische italienische »Dietrologia«, die »Kultur des Verdachts« auf, bestehend aus geheimen Männerbünden und Logen, der Mafia, Terroristen, Politikern und Geheimdienstlern. Sie wandelte sich in eine faktische Kultur der Realität, des Verbrechens, Terrors und Mordes. Seit diesem Skandal, der Italien und in Ausläufern auch andere Länder nachhaltig erschütterte, kann keiner mehr – weder »uneingeweihter«, profaner Demokrat, noch »eingeweihter«, initiierter Freimaurer – behaupten, es würde so etwas nicht geben, vor allem nicht in einer freiheitlichen Demokratie. Es gab und es gibt so etwas, wohl noch bestehend bis heute, wie ein mächtiger italienischer Logenbruder erst vor noch kurzem gezeigt hat. Nachfolgend zeige ich die wirklich tief erschrekkenden und erschütternden Fakten auf. Da die Zusammenhänge, vor allem die finanziellen, äußerst kompliziert sind und einen fast undurchsichtigen Wust bilden, habe ich mich auf das Wesentlichste beschränkt, ohne das Wichtigste dem Leser vorzuenthalten.

4.1.4.1 Drahtzieher der Freimaurerloge Propaganda Due (P2): Gelli, Sindona, Calvi und Ortolani Licio Gelli besaß den Spitznamen »Burattinaio«, »der Mann, der die Puppen tanzen ließ«. Und tatsächlich, das ließ er in den nachfolgenden Jahren im wahrsten Sinne des Wortes! Vor allem auf nationaler, auf italienischer politischer und wirtschaftlicher Bühne, aber – dank seiner zahlreichen Kontakte – auch im Ausland. Gelli kam aus dem faschistischen Lager und setzte sich bereits 1954 nach Südamerika ab


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und schloß sich einer rechtsradikalen Gruppierung an, um General und Staatschef Juan Perón zu unterstützen. Der soll ihm, so wurde gemunkelt, sogar auf den Knien dafür gedankt haben, dass Gelli ihm geholfen hatte wieder an die Macht zu kommen. Ein Zeuge dieses »Schauspiels« soll der italienische Premier Giulio Andreotti gewesen sein.226 Im Jahre 1972 – Gelli besaß neben der italienischen auch die argentinische Staatsbürgerschaft – wurde er sogar zum Wirtschaftsberater befördert, danach zum argentinischen Honorarkonsul in Florenz bestellt und kümmerte sich fortan hauptsächlich dem Waffenhandel. Er vermittelte Panzer, Flugzeuge, Schiffe, Radaranlagen und Raketen. Bereits 1965 trat Licio Gelli in die Freimaurerloge Romagnosi ein, und das, obwohl er auch als Komtur dem »Ritterorden vom Heiligen Grabe« angehörte, in dem er, obwohl Protestant, von Papst Paul VI. ehrenhalber aufgenommen worden war. Zudem war er Mitglied im »Malteser-Orden«, der eng mit dem Vatikan verbunden war. Weshalb er nun Freimaurer wurde, ist nicht ganz klar, hatte wohl unter anderem aber damit zu tun, daß er in der Lage war, »besonders qualifizierte Logenbrüder zu werben«. Das alles geschah trotz seiner Vergangenheit, trotz der Tatsache, daß er 20 Jahre im Exil in Argentinien gelebt hatte, weil er unter dem italienischen Diktator Mussolini an der Ermordung und Folterung von Partisanen beteiligt gewesen war! Er hatte auch in der italienischen Camicie Nere, der »Schwarzhemdendivision« gekämpft, die Mussolini zur Unterstützung des faschistischen General Francos im Spanischen Bürgerkrieg geschickt hatte. Darüber verfasste Gelli das Buch Fuoco, das von Mussolini preisgekrönt wurde! Und er war der Waffen-SS beigetreten, war Untersturmführer und Verbindungsoffizier zu Hitlers Schergen und bekam auch mit Hermann Göring zu tun. Allerdings war Gelli so schlau, später für kurze Zeit mit den Partisanen gegen die Faschisten zu kämpfen, um sich nicht wegen Folterung und Ermordung von Oppositionellen verantworten zu müssen. Als er das geschafft hatte, machte er sich daran, einen »Rattenpfad« für untergetauchte Nazis zu organisieren, die nach Südamerika fliehen wollten. Dabei verdiente kräftig, kassierte er doch 40 Prozent ihrer gesamten Barschaft. Einer, dem er so half, war beispielsweise Klaus Barbie, der »Schlächter von Lyon«, dem Ex-Gestapo-Chef. Barbie ruhte auch in Südamerika nicht, sondern stellte eine private Kampftruppe mit dem Namen


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»Bräute des Todes« auf, die auf Bestellung politische Morde verübten, so beispielsweise das Attentat auf den bolivianischen Sozialistenführer Marcelo Quiroga Cruz. Gelli war zudem auch Offizier des SID, des Nachrichtendienstes der italienischen Streitkräfte, wie auch der CIA und hatte nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem US-amerikanischen Armeegeheimdienst CIC (Counter Intelligence Corps) zusammengearbeitet. Doch mit all dem schien die Diskrete Gesellschaft der Freimaurer keine Probleme zu haben. Später wurde Gelli Sekretär des Christdemokraten Romolo Diecidue und stieg dann ins Matratzengeschäft ein. Mit seiner Fabrik Parmaflex in der Nähe von Neapel belieferte er den Staat mit Millionen von Matratzen für Kasernen, Heime, Krankenhäuser und Sozialwohnungen. Im Laufe der Zeit entwickelte sich Gelli zu einem »äußerst aktiven« Maurer. 1967 wurde er Mitglied der Loge Propaganda Due (P2), die sich der »anti-marxistischen Mission der Freimaurer verschrieben« hatte227 und dann deren Meister (zur Gründung und »Regularität« der P2 später mehr). So hielt er auch enge Beziehungen zu argentinischen und italienischen Antikommunisten aufrecht. Mit all seinen persönlichen Verflechtungen baute er sich ein Wissens- und Informationsnetz über maßgebliche Persönlichkeiten auf, ob Bankiers, Politiker, Geheimdienstler oder andere. Das sollte sich lohnen und sich später als ein ungeheures Machtpotential herausstellen, das in seinen Händen lag. Zu Gellis engsten Vertrauten gehörten der Sizilianer, Katholik und Freimaurer Michele Sindona, »Finanzbetreuer« des transatlantischen Cosa-Nostra-Syndikats diesseits und jenseits des Ozeans und »Vertrauensbankier« des Vatikans in der Banco Ambrosiano. »Der … aus dem Nichts zu einem potenten Bankier aufgestiegene Sindona findet schon Anfang der 60er-Jahre über das weltweite Freimaurernetz Zugang in die Welt der internationalen und insbesondere der amerikanischen Hochfinanz« (Igel)228. Das ist nicht verwunderlich, denn er war ebenfalls P2-Mitglied. Er war nicht nur darauf spezialisiert, Geldanlagen an amerikanische Nachkriegsinvestoren an den italienischen Steuer- und Devisengesetzen vorbei zu vermitteln, sondern er wurde auch als Geldwäscher überwiegend über die von ihm aufgekaufte Mailänder Banca Privata Finanziaria und die Banco di Messina für die Mafia-Familien Gambino und Inzerillo tätig. Ihr


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Hauptgeschäft war Heroin, dessen Veredelung und Verkauf jährlich rund 600 Millionen US-Dollar Gewinn einbrachte. Und auch der musste von Sindona gewaschen und angelegt werden. Auch die CIA hatte ihre Freude an dem sizilianischen Mafiosi: Sie benutzte ihn, um Gelder »under cover« zur Unterstützung rechtsgerichteter Gruppen in Italien einzuschleusen. Aber Sindona hatte noch andere enge Kontakte. In den Vatikan beispielsweise. Zu Luigi Mennini, einem Hauptverantwortlichen der Vatikan-Bank, zu Massimo Spada, dem Geschäftsführer des »Instituts für die religiösen Werke des Vatikans« (Istituto Opere di Religione, IOR), dem Kern der Vatikan-Bank also, die auch einen großen Teil des Papstvermögens verwaltete, sowie zu Pater Macchi, dem Sekretär des Kardinals und Monsignore Sergio Guerri, dem vatikanischen Sektionsleiter für besondere Finanzfragen. Durch all diese Verbindungen hatte der Mafiosi Zugang zu einem weltweiten Bankennetz: den Rothschild-Banken in Paris und London, der Hambros Bank in London, der Morgan und der Chase Manhattan Bank in New York, der Bankers Trust Company New York und der First National sowie der Continental Illinois Bank, Chicago. Die war insofern von Bedeutung, als dass ihr damaliger Präsident David Kennedy war, ein Freund von Paul Marcinkus, von dem noch ausführlich die Rede sein wird. David Kennedy, der übrigens nicht mit John F. Kennedy verwandt war, wurde alsbald von US-Präsident Richard Nixon ins Kabinett befördert und dort auf den Posten des Finanzministers gehoben! Aus Dank dafür, dass Sindona ihm Riesengeschäfte zugeschanzt hatte, stellte er diesen nicht nur P2-Chef Licio Gelli, dem Strategen der Geheimpolitik der Amerikaner in Italien, sondern auch Nixon selbst vor, der später als Kennedy-Gegner amerikanischer Präsident wurde.229 Zudem leitete Sindona Millionen von Dollars in die Kassen der Democrazia Cristiana (DC), der italienischen Christdemokratischen Partei.230 Im Jahre 1973 überreichte ihm sogar John Velpe, der amerikanische Botschafter im Amerikanischen Club in Rom, die Ehrung als »Mann des Jahres«! Und das, obwohl Sindona mit Mafia-Familien in New York (den Gambinos, Colombos, Bonannos, Luccheses, Genoveses) mit Rauschmitteln (Heroin, Kokain und Marihuana) handelte, sich in der Prostitution betätigte und sich des illegalen Glücksspiels, der Pornographie, des Kreditwuchers, der Schutzgelderpressung, der Unterwanderung von Gewerkschaften, Großbetrügereien, der Unterschlagung und Veruntreu-


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ung von Bankeinlagen und Pensionskassen schuldig gemacht hatte. Unglaublich! Ein weiterer enger Vertrauter von Gelli war Roberto Calvi, in Finanzkreisen als »Il Cavaliere«, »Der Ritter« bekannt, der Sindona 1975 als Präsident der Banco Ambrosiano folgen sollte, der größten privaten italienischen Bankengruppe.231 Zu ihren wichtigsten Aktionären gehörte die Vatikanbank unter der Leitung von Paul Marcinkus. Mit Sindonas Hilfe war Calvi auch Teileigentümer dieser Bank geworden und verwaltete rund 14 000 Milliarden Lire. Er war seit August 1975 auch Mitglied der P2. Bedi Calvi handelte es sich im Übrigen um einen überzeugten Faschisten, hatte er doch zusammen mit seinem Bruder schon für den Militärputsch General Francos gegen die spanische Republik gekämpft. Später schloß er sich sogar der Waffen-SS an und kämpfte in Russland gegen die Rote Armee. Calvi betreute nach Aussage eines italienischen Staatsanwalts 2002 auch Drogengelder der Mafia. Zudem war er Spezialist für rechtswidrige Kapitaltransfers, Steuerhinterziehung, Börsenmanipulation, Bestechung und raffinierter Mordarrangements. Doch die »Logendienste«, die Gelli für Calvi arrangierte, waren keinesfalls kostenlos. Der Großmeister zweigte dafür zwischen 1976 und 1981 rund 250 Millionen Dollar ab! Der Vierte im Bunde war Umberto Ortolani, Vize der P2 mit engen Kontakten zum Vatikan und Mitglied der »Superloge von Monaco«, sowie persönlicher Freund von Papst Paul VI.! »Seit 20 Jahren amtiert er (auch) als Großmeister des ›Souveränen Ordens von Malta‹«, schrieben Jürgen Roth und Berndt Ender 1995 in Geschäfte und Verbrechen der Politmafia. Und weiter: »Auf der Mitgliederliste dieses Ordens finden sich Prominente, unter anderem mehrere ehemalige Staatschefs mit einschlägigen Beziehungen: Valery Giscard d’Estaing, Amintore Fanfani, Giulio Andreotti, alles Männer, die erfolgreich Politik mit dubiosen Geschäften verbunden hatten, gleichzeitig Mitglieder der Loge P2 beziehungsweise von Opus Dei.«232 Ortolani diente auch als »Ordensbotschafter« in Uruguay und besaß dort eine Bank. In Montevideo nannte er eine Villa sein eigen, die ein Bekannter einmal als ein »Museum mit der Hälfte der Kunstschätze des Vatikans« bezeichnete.233 Weitere Malteserritter waren unter anderem auch General Allavena, ehemaliger Chef des italienischen Geheimdienstes, General Giuseppe Santovito, früherer Chef des ita-


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lienischen militärischen Nachrichtendienstes und Admiral Giovanni Torrisi, Chef des italienischen Generalstabes. Alle drei hatten zudem eines gemeinsam: Sie waren Logenmitglieder der P2! Durch den immensen Einfluß auf Calvi konnte Gelli erhebliche wirtschaftliche und politische Macht ausüben. So vermittelte er beispielsweise Schmiergelder Calvis an den Sozialistenführer Bettino Craxi in Höhe von mehreren Millionen Dollar. Gelli war unermüdlich im Überzeugen, Überreden, Korrumptieren, Lügen, Betrügen und Erpressen. Er führte Akten über jeden und alles und konnte, wenn er wollte, dadurch hochrangige Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Geheimdiensten, Armee, Polizei, Justiz, Finanzwelt und Kirche in Angst und Schrecken versetzen und – mehr noch – beinahe mit einem Fingerschnippen zu Fall bringen. Denn er arbeitete neben den Freimaurern noch mit einer anderen »heimlichen Macht« zusammen, einem anderen mächtigen kriminellen Geheimbund: der Mafia.

4.1.4.2 Freimaurerei und Mafia »Es ist kaum verwunderlich, dass ich auf die größten Schwierigkeiten bei meinen Recherchen stieß, als es um Auskünfte ging, die den Zusammenhang von Mafia, europäischer Freimaurerei und der Europäischen Kommission in Brüssel beleuchten sollten«, schrieb bereits im Jahre 1995 der Autor Brian Freemantle in seinem Buch Importeure des Verbrechens – Europa im Griff der organisierten Kriminalität.234 Freimaurerei und Mafia? Ein Tabuthema, mit dem sich bislang nur wenige auseinandergesetzt haben. Obwohl nachgewiesen ist, dass zumindest in Italien die Logenbrüder offenbar keine Berührungsängste mit der Politik und dem Organisierten Verbrechen hatten. Fragt sich nur, wie es denn dann in anderen Ländern aussah und noch aussieht. Auch dazu gibt Freemantle eine eindeutig Aussage: »Eine weitere Hilfe erfährt das Organisierte Verbrechen durch Ableger europäischer Freimaurerlogen. Diese Logen verraten sich durch das Wort ›Orient‹ in ihrem jeweiligen Namen. Auf Grund ihrer kriminellen Verbindungen, und weil sie die anerkannten Prinzipien der Bruderschaft ignorieren, haben die traditionellen britischen Logen die ›Orient‹-Freimaurerei verboten. Trotzdem wächst und gedeiht das


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geheime Freimaurertum hinter verschlossenen Türen …«235 Doch bei einem Aspekt irrt sich Freemantle: zumindest in Italien wurde der Grande Orient nur zeitweise und in Folge der Umtriebe der Popaganda Due verboten, der einst, 1972 durch die englische Mutterloge anerkannt worden war. Nach freimaurerischen Angaben wurde der Grande Oriente sogar 1999 als »einzige reguläre« Großloge in Italien durch England anerkannt!236 Freemantle spricht weiter von »allgegenwärtigen, von Freimaurern gedeckten Mafiagruppen« und dass ein »bösartiger Geheimbund (Freimaurer) die Aktivitäten eines weiteren bösartigen Geheimbundes (die Mafia)« bemänteln würde. Die Zeitung Corriere della Sera berichtete am 6. Juni 1993, daß im selben Monat ein Gericht in Trapani den Großmeister einer Freimaurer-Geheimloge namens Iside 2 wegen »Geheimbündelei« verurteilt hatte. Es war das erste Mal in Italien, dass es wegen diesem Straftatbestand zu einer Verurteilung gekommen war. Zu den Mitgliedern gehörten führende Christdemokraten, Geschäftsleute und Mafiabosse. Unter ihnen Mariano Agate, Boß der Familie Mazara del Vallo. Er war auch der Erste auf der Liste der Angeklagten im historischen Mammutprozess gegen die Mafia von Palermo. Schon die beiden reichsten Männer der Sechziger- und Siebzigerjahre in Sizilien waren Mafiosi und Freimaurer! Die Rede ist von Nino und Ignazio Salvo, die ein privates Steuereintreibungsunternehmen unterhielten, eine »teuflische Geldfressermaschine«, wie ein Historiker es bezeichnete.237 Am 6. Januar 1980 wurde der Christdemokrat und Präsident der Region Sizilien, Persanti Mattarella, vor seinem Haus erschossen. Er, obwohl selbst auch keine »blütenweise« Weste tragend, wollte mit der Mehrheit seiner Partei der Mafia den Kampf ansagen. Mit seinem Tod kehrte wieder »Ruhe« ein. Rechtsterroristen sahen darin eine Verwicklung des Großmeisters der Freimaurerloge Propaganda Due (P2), der Loge selbst und des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA. Mattarellas Witwe sah in dem Rechtsterroristen und P2-Killer Giusva Fioravanti den Mörder ihres Mannes. Geständige Mafiosi erklärten später, in »Freimaurerkreisen« hätte man sich durch die geplanten Veränderungen des Christdemokraten gestört gefühlt. Bereits zehn Monate vorher war der Christdemokrat Michele Reina ermordet worden. Auch hier wurden Verbindungen zu Freimaurern, der P2, zu ihrem Großmeister Gelli und zur Mafia deutlich.238


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Schon 1977 gab es nachweislich die Verbindungen zwischen Mafia und Freimaurerlogen. Die amerikanische Autorin Claire Sterling, jahrelang Auslandskorrespondentin in Italien, berichtet davon, dass »ein einflussreicher Zweig des italienischen Freimaurertums« der Mafia in aller Form angeboten habe, je zwei ihrer führenden Leute aus jeder sizilianischen Provinz als Mitglieder bei sich aufzunehmen! Die sizilianische Verbrecherorganisation stimmte schließlich unter der Prämisse zu, dass die Geheimnisse der Freimaurer der Mafia offenbart würden, nicht aber umgekehrt. Überläufer berichteten davon, dass fast alle obersten Mafia-Bosse in die Loge eingetreten waren. »Mitglieder der ehrenwerten Gesellschaft, die es schaffen, Bosse zu werden, gehören den Freimaurern an, das dürfen Sie nicht übersehen«, erklärte laut Sterling Leonardo Messina der Anti-MafiaKommission. »Denn über die Freimaurer ist es uns möglich, engen Kontakt zu Männern der Wirtschaft und der Behörden zu halten, zu den Verwaltern der Macht …« Messina nannte diese »geheime Verbindung zum Freimaurertum« sogar eine »Pflichtübung für die Mafia auf der globalen Ebene«!239 Wohlgemerkt, das waren Aussagen vor der Anti-Mafia-Kommission! Ähnlich äußert sich auch der englische Historiker und Journalist John Dickie in seinem Standardwerk Cosa Nostra – Die Geschichte der Mafia: »Leichter lässt sich die Beziehung zwischen der Mafia und anderen Freimaurergruppen definieren. Seit den Siebzigerjahren traten einige leitende Ehrenmänner den Logen bei, um auf diese Weise Kontakte zu Geschäftsleuten, Behördenvertretern und Politikern zu knüpfen. Ein penito erklärte: ›Durch die Freimaurer kann man umfassende Kontakte zu Geschäftsleuten herstellen, zu den Institutionen, zu den Männern, die eine andere Art von Macht ausüben und nicht die bestrafende Macht der Cosa Nostra.‹« Dickie nennt das Beispiel eines Chirurgen, der mit einem P2-Mitglied (Michele Sindona) zusammenarbeitete. Er war nach eigenen Aussagen, so zeigte eine parlamentarische Untersuchung, »ein sentimentaler internationaler Freimaurer« mit engen Verbindungen zu Mafiosi und zum Großmeister der P2. »Außerdem war er 19 Jahre lang als Betriebsarzt im Polizeihauptquartier von Palermo beschäftigt, und auch in der US-Regierung dürfte er viele Freunde gehabt haben.«240 Auch die Publizistin Regine Igel, die ein ausgezeichnetes Buch über die »Terrorjahre« in Italien geschrieben hat, kommt zu dem Schluß: »Ab 1977 beginnt die Mafia, die Vorteile der eigenen


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Organisierung in Freimaurerlogen zu entdecken … Für die MafiaBosse ist das eine hervorragende Gelegenheit, ihren Einflussbereich zu erweitern, trifft man doch in Freimaurerlogen alle die, die im bürgerlichen Leben Siziliens zählen: insbesondere Gelder und öffentliche Aufträge verteilende Politiker und für ›Prozessregelungen‹ aufgeschlossene Richter und Anwälte … Unter den Freimaurern sind neben Anwälten, Richtern und Staatsanwälten noch andere Teile des Staatsapparats für mafiose Kriminalität ›zugänglich‹…«241 Dazu gehörte beispielsweise Bruno Contrada, der Polizeikommissar und Vize-Präfekt von Palermo, der später in eine der höchsten Positionen im italienischen Geheimdienst aufstieg. Bei ihm handelte es sich ebenfalls um einen Freimaurer und wohl auch Mitglied des »Ordens der Ritter vom Heiligen Grab«. Er sollte eigentlich gegen die Mafia in Palermo ankämpfen, deckte diese stattdessen aber! 1996 wurde er in erster Instanz wegen »Begünstigung der Mafia« zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, 2001 in der zweiten Instanz freigesprochen. Im Jahre 2002 entschied das Kassationsgericht, diesen Freispruch wieder aufzuheben und ordnete die Wiederaufnahme des Berufungsprozesses an.242 Die Journalisten Udo Gümpel und Ferrucio Pinotti kommen zu dem Ergebnis: »Zwischen 1976 und 1980 drängeln sich die Mafiosi geradezu vor den Pforten der Freimaurerlogen. Die Cosa Nostra hat den Freimaurern einiges zu bieten: zunächst die eigene höchst effiziente Kriegsmaschinerie, dann aber auch eine Karte, die in der Politik alles sticht: Geld.« Und weiter: »Die Freimaurer ihrerseits öffnen den Bossen legale Kanäle, um ihr Geld zu recyceln und zu investieren, dazu noch die politischen Kontakte, um große Geschäfte abzuschließen, und Verbindungen zu den richtigen Richtern, die den einen oder anderen Prozess ›wieder hinbiegen‹ können. In den Achtzigerjahren florieren die Freimaurerlogen … Allein in Sizilien gab es 170 Logen.«243 Einer der Richter, die es nicht so genau nahmen, war Corrado Carnevale, dem man den Spitznamen »Urteilsmörder« gegeben hatte und der ebenfalls Freimaurer war. Schon 1988 – später dann auch 1995 – wurde er beschuldigt, korrupt zu sein, Prozesse zu »regeln« und dafür horrende Summen zu kassieren. Doch Carnevale erzählte der Öffentlichkeit etwas über ein »Komplott« gegen ihn, wurde dennoch 1993 versetzt. Zwei Jahre später begann ein Prozess wegen


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»mafiöser Aktivitäten« gegen ihn. 1996 verurteilte ihn ein Gericht wegen »Verfolgung privater Interessen in einer Amtshandlung« zu zwei Jahren und zwei Monaten Zuchthaus. Der Freimaurer hatte Hunderte von Mafia-Prozessen annulliert und damit hunderte lebenslange Haftstrafen von mehrfachen Mördern aufgehoben! Und er nahm, wie wir noch sehen werden, im Falle des P2-Chefs Licio Gelli die Anklage wegen umstürzlerischer Tätigkeit, des Putschversuchs und der Mitgliedschaft in einer bewaffneten, kriminellen Vereinigung zurück. Freimaurerbrüder halfen sich nun mal gegenseitig. Carnavelle hatte mächtige politische Fürsprecher. Da war zum einen Staatspräsident Cossiga, der ihn den »besten Richter Italiens« nannte (!) und zum anderen Andreotti, siebenmaliger Ministerpräsident. Doch 1993 wurde bekannt, dass der Freimaurer-Richter offen mit den Verteidigern in Mafia-Prozessen über die »Regelung« von Verfahren verhandelte. So wurde ihm erneut der Prozess gemacht und schließlich wude er zu sechs Jahren Gefängnis wegen »Zusammenarbeit mit der Mafia« verurteilt. Doch ein Kassationsgericht sprach ihn 2002 wegen »Mangels an Beweisen« wieder frei!244 Bereits 1993 schrieb die »Anti-Mafia-Kommission« einen Bericht über die Verbindungen zwischen Freimaurertum, Mafia und Politik, in dem es unter anderem hieß: »Das grundlegende Terrain, auf dem sich die Beziehungen zwischen Cosa Nostra, der öffentlichen Hand und Freiberuflern wie Rechtsanwälten und Steuerberatern entwickeln, sind die Freimaurerlogen. Die Bindung durch die Solidarität der Freimaurer dient dazu, organische und dauerhafte Beziehungen herzustellen … Die Eingliederung ins Freimaurertum bietet der Mafia ein ausgezeichnetes Instrument, ihre Macht auszuweiten, um Gefallen und Privilegien in allen Bereichen zu erhalten: sei es, um große Geschäfte abzuschließen, sei es für die ›Regelung‹ von Prozessen, wie dies zahlreiche Kollaborateure der Justiz enthüllt haben.«245 Der ehemalige Bürgermeister von Palermo, Leoluca Orlando, erzählte davon, dass er genau wisse, »wie viel Schutz die Freimaurer dem Organisierten Verbrechen geben« würden und: »In Osteuropa gibt es ein sehr starkes Freimaurertum und eine sehr starke Mafia. Zusammen sind sie sehr mächtig.« Komitees unter dem »Schutzmantel geheimer Freimaurerlogen« würden das »Organisierte Verbrechen in Europa und außerhalb des Kontinents« leiten. Einzig Deutschland wäre sich der Schwere dieses Problems bewusst. Doch


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was die deutschen Politiker tatsächlich zum Thema Politik und Freimaurerei sagen, habe ich im vorherigen Abschnitt bereits aufgeführt. Nichts – oder nicht viel. »Durch das Freimaurertum breitet sich die Mafia über ganz Europa aus«, so Orlando weiter. »Das bedeutet, dass der Kampf nicht auf Sizilien oder Italien beschränkt ist. Das Problem ist international.«246 Licio Gelli, der Großmeister der P2, bewies noch 1993, also längst nachdem die Skandale bekannt geworden waren, auf die ich nachfolgend noch genauer eingehen werde, dass er mit der Mafia klüngelte. »Und damit auch die Bestätigung, dass sich dieses Freimaurertum samt seiner Verbindung zur Mafia bis tief in die Kommission der Europäischen Union in Brüssel ausgebreitet hatte.«247 Bei Ermittlungen wegen Subeventionsbetruges stieß Untersuchungsrichter Agostino Cordova auf die Korrespondenz zwischen Gelli und dem Großmeister der kalabrischen Freimaurerloge in Rocella Ionica. Cordova bekam die heimliche Macht seiner Gegner zu spüren: Seine Untersuchungen wurden behindert, ihm wurde nur die Hälfte des offiziellen Personals für die Ermittlungen zugestanden, seine Büros wurden willkürlichen Inspektionen des italienischen Justizministers unterzogen, seine verdiente Ernennung zum leitenden Staatsanwalt der Anti-Mafia-Kommission abgeblockt und eine weitere Beförderung zum öffentlichen Ankläger Neapels verhindert. Cordova beschwerte sich offiziell bei der Anti-Mafia-Kommission darüber, dass korrupte Polizeimitglieder der »kriminell beherrschten Logen« würden ihn behindern, legte dem italienischen Justizrat sogar eine Liste von Richtern vor, die ihre Kontakte zu den Freimaurern dazu benutzten, das Organisierte Verbrechen zu schützen! Dabei, so behaupteten Quellen um Cordova, stellte sich heraus, dass ein Netz von »kriminellen Logen« aufgedeckt wurde, das »weit ausgedehnter sei als jenes, das im P2-Skandal vermutlich existierte. Es werden illegale Zellen in Rom, Mailand und Florenz vermutet.«248 Freimaurer und Mafiosi – nicht nur eine unheilvolle Allianz also, sondern eine bislang wohl völlig unterschätzte Gefahr und ein Kapitel, über das die Diskrete Gesellschaft lieber schweigt als zuzugeben, dass sie mit dem Organisierten Verbrechen nicht nur geliebäugelt, sondern eng zusammengearbeitet hat. So kam es auch, dass sich die Mafiosi über jede der 14 Geheimlogen in Palermo bis zum freimaurerischen Drahtzieher Licio Gelli


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»durchschalten« konnten, um zu den höchsten Spitzen des RegierungsPalazzo und in die Politik zu gelangen.

4.1.4.3 Politische Kontakte der Propaganda Due (P2) Kontakte zwischen den P2-Freimaurern und der Politik gab es beispielsweise zum damaligen amerikanischen Außenminister Henry Kissinger. Der, so Zeugen der italienischen Justiz, soll Mitglied einer anderen Loge, des Comite Monte Carlo gewesen sein. Die wiederum hatte der Meister der italienischen Freimaurerloge P2, Licio Gelli, gegründet! Weitere politische Beziehungen gab es nach Frankreich: Hier hatte Logenbruder Gelli das Raketengeschäft für die Franzosen mit den argentinischen Generälen arrangiert. Gelli soll sogar bei allen Amtseinführungen von amerikanischen Präsidenten dabei gewesen sein, bei Ronald Reagan auch als Ehrengast. Kontakte gab es zu Alexander Haig, Reagans erstem Außenminister, und dem CIA-Direktor William Casey. Gedeckt und gefördert worden sein soll die Loge von amerikanischen Botschaftern, die entweder selbst in anderen Logen Mitglied oder mit Gelli befreundet waren. Ferner soll Gelli, wie bereits eingangs erwähnt, auch den faschistischen südamerikanischen Diktator Juan Perón über »Freimaurerbindungen« (Igel)249 finanziell unterstützt haben. Ebenso war Gelli im Vatikan zu finden, bei Audienzen bei Papst Paul VI. und beim Essen mit Bischof Paul Marcinkus. Und noch eine andere maßgebliche politische Figur im Italien jener Zeit spielte für ihn eine Rolle: der Sozialistenchef Bettino Craxi. Über ein ominöses Schweizer Bankkonto zahlte sein Logenmann Roberto Calvi Schmiergelder von rund sieben Millionen Dollar an die von Craxi und Claudio Martelli geführte Sozialistische Partei Italiens (PSI). Eingefädelt wurde das Ganze von Großmeister Gelli. Mit diesem Geldregen gelang es Craxi, auf dem 42. Parteikongreß im Mai 1982 die Linksopposition auszuschalten und die Macht zu ergreifen. »In den folgenden zehn Jahren waren Craxi und Martelli führend daran beteiligt, die Korruption in Italien zu einem landesweiten System zu machen.«250 Zudem soll die P2 eine Zufluchtstätte für »proamerikanische Extremisten« gewesen sein.251


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4.1.4.4 Medienkontakte der Propaganda Due (P2) Aber politische Macht allein genügt nicht, um ein Land, einen Staat zu beherrschen, sondern auch »mediale« Macht ist wichtig. Das wissen natürlich die »Volksverführer«. So machte sich Großmeister Gelli schon bald daran, die Rizolli-Verlagsgruppe zu kaufen. Sie gab unter anderem die führende italienische Zeitung, den Corriere della Sera heraus, an der auch Roberto Calvi beteiligt war. Zudem war auch Chefredakteur Franco DiBella Logenmitglied. Gellis Medienimperium erstreckte sich schließlich über Zeitungen, Zeitschriften und Agenturen, so dass ein Großteil der italienischen Medienlandschaft nicht nur in seiner, sondern auch in der Hand der Freimaurerloge war! Auch Logenbruder Silvio Berlusconi sollte sich später diese mediale Macht sichern, um ein Volk zu »beherrschen«.

4.1.4.5 Freimauer, Tod und Terror Die P2 entwickelte sich sozusagen zu einem »Staat im Staate«, zu einer regelrechten Kernzelle der italienischen Rechten. Welche Ziele die Freimaurerloge verfolgte, war eindeutig: Verschwörung und Geheimbündelei gegen die bestehende italienische Verfassungsordnung, Lenkung rechtsextremistischer Terroristen zum Zwecke der Destabilisierung des politischen Systems, Verhinderung des Einflusses der kommunistischen Partei auf die Innenpolitik. Die Loge war dadurch ein Geheimbund mit eindeutig politischer Zielsetzung. Ihr kam die enge Zusammenarbeit mit den staatlichen Geheimdiensten zugute. Neben dem Vatikan, der Mafia, reaktionären Wirtschaftskreisen, Teilen der Armee, des Justizapparats und der staatlichen Ordnungskräften traten auch »Akteure und Helfershelfer an, die aus der komplexen antikommunistischen Rechten kommen«, schreibt die Publizistin Regine Igel in ihrem Buch Terrorjahre – Die dunkle Seite der CIA in Italien. Diese kommen » … aus der neofaschistischen Partei MSI und ihren rechtsradikalen, militanten Abspaltungen, aus der monarchistischen und der christdemokratischen Partei und aus den Freimaurerlogen.«252 Die P2-Logenbrüder hatten auch gute Kontakte in die USA, zum Auslandsgeheimdienst CIA. Schon der frühere CIA-Chef Allan Dulles,


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der von 1953 bis 1961 das Ruder in der Hand hielt, war Freimaurer. »Unter seiner Führung wird während der 50er-Jahre die Neubewertung des internationalen Freimaurernetzes als anitkommunistische Bastion vorangetrieben« (Igel).253 Die CIA finanzierte mit Millionenbeträgen italienische Mitglieder der Nachrichtendienste, um durch Bombenattentate das politische System, die Regierung ins Wanken zu bringen. Mino Pecorelli, P2-Mitglied und italienischer Journalist, behauptete genauso wie der CIA-Agent Richard Brenneke, die CIA würde die Freimaurerloge P2 finanzieren. Er war es auch, der die Freimaurer-Namen im Vatikan veröffentlichte und versuchte, Großmeister Licio Gelli mit Schweigegeld zu erpressen. Doch im Frühjahr 1979 wurde Pecorelli in seinem Wagen erschossen. Die Tötungsart war die sizilianische »sasso in bocca« (»Stein im Mund«); ein Schuss durch den Mund als Warnung für diejenigen, die redeten. Ein klassischer Auftragsmord. Giulio Andreotti musste sich später dafür verantworten, die Ermordung des »geschwätzigen« Journalisten, sprich wohl auch des »Freimaurer-Verräters«, in Auftrag gegeben zu haben. Denn wer Logengeheimnisse freigibt, heißt es bei den Freimaurern, der muß mit Bestrafung rechnen, mitunter auch mit dem Tod, nach dem Motto: »Tod dem Verräter«. P2-Freimaurer-Chef Licio Gelli war schon 1970 in einen mysteriösen Staatsstreichversuch verwickelt. Die verantwortliche Organisation hierfür war die faschistische Fronte Nazionale, die eine neue politische Ordnung mit einem effizienten und autoritären Staat herbeiführen wollte. Der Staatsstreich sollte in der Nacht vom 7. auf den 8. Dezember 1970 durchgeführt werden. Inbegriffen war auch die Liquidierung von linken und kommunistischen Politikern. Zudem sollten Fernsehsender, Präsidentenamt und Innenministerium besetzt werden,um eine Militärdiktatur zu errichten. Doch der Putschversuch misslang. Unbekannte »Obere« hatten das sofortige Abbrechen verlangt sowie die Tilgung aller Spuren. So wurde später bekannt, dass der Geheimdienst über alle Aktionen der Fronte Nazionale informiert gewesen war und nichts unternommen hatte! In einem Prozess mussten sich schließlich 145 Putschteilnehmer wegen Hochverrats verantworten. Doch in der letzten Instanz wurden alle Angeklagten freigesprochen! Erst Anfang der Neunzigerjahre sickerte die Wahrheit langsam durch: Der damalige Direktor der CIA, William Colby, bestätigte, dass der Putschversuch durch die CIA auf Weisung von


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US-Präsident Nixon erfolgt war! Der mächtigste Mann der Welt hatte ihn dann wohl auch wieder abgebrochen. Er sollte lediglich als Drohgebärde, als Einschüchterung dienen, um eine neue Mitte-LinksRegierung zu blockieren und die Kommunisten von der Regierungsebene fern zu halten. Im Auftrag der Amerikaner sollte Logenbruder Licio Gelli sogar Regie bei diesem Staatsstreich geführt haben. Dieser Umstand ging aus einem Tonband des geständigen und verurteilten Neofaschisten und Geheimdienstfunktionärs Labruna in Zusammenhang mit einem Bombenanschlag an der Piazza Fontana am 12. Dezember 1969 hervor. Mehr als pikant: Bevor das Tonband zum Untersuchungsrichter Guido Salvini wanderte, war es gekürzt worden. Und zwar so, dass beispielsweise die Bezüge zu P2-Chef Gelli und anderen Logenmitglieder getilgt wurden. Angeordnet hatte dies eine Versammlung von Generälen und Geheimdienstlern unter der Leitung des damaligen Verteidigungsministers Giulio Andreotti! Auch nach diesem gescheiterten Putschversuch 1970 sollten die Italiener also keinesfalls »links«, sondern »rechts« wählen! Allein für die italienischen Parlamentswahlen 1972 unterstützte die CIA mit zehn Millionen Dollar Kampagnen antikommunistischer Kandidaten und Parteien. Die Herrschaft der christdemokratischen Partei musste erhalten bleiben, denn Italien, mitten im Herzen Europas, durfte niemals in die Hände der Kommunisten fallen. Darin waren sich auch die Regierungschefs und die Außen- und Wirtschaftsminister der sieben wichtigsten Industriestaaten einig, die sich in Puerto Rico zur globalen Abstimmung trafen. Dabei beschlossen die USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, dass sie sämtliche Kredite der Italiener sperren würden, wenn es zu einer kommunistischen Regierungsbeteiligung kommen sollte. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt verkündete dies sogar öffentlich.254 Die Gefahr für einen Sieg der Kommunisten bestand jedenfalls, denn in keinem anderen europäischen Land brachte es die kommunistische Partei auf ein Drittel aller Wählerstimmen. Mit einem Wahlsieg der Linken hätte sich das »Gleichgewicht der Kräfte« zwischen Ost und West, zwischen NATO und Warschauer-Pakt im militär-strategisch wichtigen Mittelmeerraum zu Gunsten des Ostblocks verschieben können. Es bestand sogar die Gefahr, dass die Sechste Amerikanische Flotte im Mittelmeerraum ihre strategisch wichtige Position verlor. Das sollte,


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das musste mit allen, aber auch mit wirklich allen Mitteln verhindert werden. Auch mit »covert actions«, mit illegalen Methoden der Geheimdienste und anderer Kräfte, sowie mit »Agent Provocateurs«. Daraus entwickelte sich »Terrorismus im Auftrag von Staatsorganen, von Geheimdienstagenten gedeckte blutige Bombenattentate, politische Mordanschläge, Bündnisse staatlicher Institutionen mit kriminellen Banden, Irreführung der Untersuchungsbehörden durch Desinformation, das Legen falscher Spuren, das Stellen falscher Zeugen, Gutachten und Bekennerschreiben, Hintergehen des Parlaments, Missachtung der staatlichen Souveränität und Außerkraftsetzen rechtsstaatlicher Spielregeln« (Igel).255 Und mittendrin, in all dem politterroristischen Gräuel, die Freimaurerloge Propaganda Due.

4.1.4.6 Propaganda Due (P2) und internationale Geheimdienst- und Terror-Verflechtungen Die Freimaurerloge wollte also einen Staatsstreich vorbereiten beziehungsweise die »linke Bewegung« als Folge einer übersteigerten Angst vor den Kommunisten ausschalten und alles dafür tun, damit das »demokratische System nicht weiter wuchert«, sprich: die demokratischen Strukturen abbauen. Das Ex-P2-Mitglied Ermin Gildo Benedetto tönte schon Mitte der Siebzigerjahre: »Ich bin davon überzeugt, dass die Verfassungsstruktur verändert werden muß, um die parlamentarische Republik Italien zu einer Präsidialrepublik umzuwandeln« – also die Verfassung des Landes zu beseitigen.256 Deshalb stand diese »reaktionäre Schattenregierung« Gewehr bei Fuß, um im Fall eines kommunistischen Wahlsieges bei den italienischen Parlamentswahlen zu putschen und die Macht zu übernehmen. Jürgen Roth und Bernd Ender listen vier Faktoren für die internationale Bedeutsamkeit der Freimaurerloge P2 auf: »1. Mit den finanziellen Transaktionen der Banco Ambrosiano, der Vatikanbank und anderer Banken wurden internationale Faschisten finanziert, um ein Klima der Destabilisierung schaffen zu können. 2. Der internationale Drogen- und Waffenhandel lief entscheidend über die Freimaurerloge P2 beziehungsweise über deren Verbindungsleute in der Bundesrepublik, Frankreich, Spanien und den USA bis hin nach Lateinamerika.


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3. In die Affäre sind hohe italienische Politiker verstrickt sowie Verantwortliche des Nachrichtendienstes, die wiederum über gute Beziehungen unter anderem zur Bundesrepublik und USA verfügen.« Über die unheilvollen Verbindungen zum Vatikan werde ich an noch anderer Stelle berichten. Es wurde ferner bekannt, dass die P2-Freimaurerloge auch Waffen und Trainingslager für die Organisation(en) um den rechtsextremen Chefterroristen Stefano Delle Chiaie finanzierte, der zudem Kontakte zu den italienischen Neofaschisten MSI (Movimento Sociale Italiano) besaß. Nachdem Delle Chiaie zehn Jahre international gesucht wurde, gelang Ende der Achtzigerjahre in Südamerika seine Verhaftung. Doch im Februar 1989 wurde er wieder freigesprochen. Diese rechten Terrororganisationen mischten nicht nur im internationalen Waffenhandel mit, sondern waren auch für zahlreiche Terroraktionen verantwortlich, die man linksextremen Aktionisten in die Schuhe schob. Auch sollen Gellis Schergen beispielsweise die linken »Roten Brigaden« mit unterwandert haben. Dieser sorgfältige Plan mit dem Titel Die Strategie der Spannung wurde 1981 bei der Hausdurchsuchung von Großmeister Gelli gefunden, der zusammenfassend besagte, Attentate selbst zu begehen und diese anderen in die Schuhe zu schieben, eine emotionale Spannung aufzubauen, die schließlich ein Angstgefühl erzeugen sollte. Der Plan war die Weiterentwicklung der Operation Gladio. Sie war ein geheimes Terrornetzwerk, auch »Schweigenetz« oder »stay behind«-Struktur genannt, das der NATO, dem Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) unterstellt war. Und zwar den Unterabteilungen Clandestine Planning Comitee (CPC) und Allied Clandestine Committe (ACC). Es handelte sich dabei um paramilitärischnachrichtendienstliche Organisationsstrukturen. Nahezu alle Staaten der NATO hätten seit den frühen Fünfzigerjahren solche »Geheimarmeen«, solche militärischen antikommunistischen Geheimorganisationen, so genannte »Gladio-Verbände«, erklärte 1990 der italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti, um im Angriffsfall des Warschauer Paktes einen »Unorthodoxen Krieg« führen zu können.257 Bereits in der Weisung NSC-10-2 vom 18. Juni 1948 des amerikanischen Sicherheitsrates im Rahmen der Kriegsplanung wurden erst-


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mals die Ziele für verdeckte Operationen und Schweigenetze im feindbesetzten Gebiet formuliert. Gladio habe als verdeckte Unterabteilung des italienischen militärischen Geheimdienst Sismi (Servizio per le Informazoni e la Sicurezza Militare) operiert. Das hieß: Sabotage- und Terrorakte zu planen und auch durchzuführen, Ausbildung für den Partisanenkampf, Anlegen von Waffen- und Munitionsdepots. So wurde Gladio eine Reihe von Terrorakten der letzten Jahrzehnte in Europa angelastet. Doch Gladio-Einheiten waren noch mehr, nämlich der operative Arm der P2 und damit der von verdeckten politischen Entscheidungsträgern. Es gab auch Regierungen, die davon nichts hören wollten, wie beispielsweise die französische unter Francois Mitterand, der nicht erfreut war über Andreottis Geschwätzigkeit über das »bestgehüteste, gefährlichste, politisch-militärische Geheimnis seit dem Zweiten Weltkrieg« (Observer). Nachdem dieser jedoch angedeutet hatte, dass auch französische Generäle beim letzten internationalen »Staybehind«-Treffen des Allied Clandestine Comitee (ACC) der NATO am 23. und 24. Oktober 1990 in Brüssel teilgenommen hätten, räumte Mitterand schließlich die Existenz einer solchen Geheimarmee in Frankreich ein. Zusammen mit der Organisation Armée Secrète (OAS) hatte sie sich einst sogar gegen den damaligen Regierungschef de Gaulle gestellt, als dieser Algerien in die Unabhängigkeit entlassen wollte. Daraufhin wurde er vom eigenen Militär mit Terror bekämpft. Auch Reservisten des Geheimdienstes DGSE mischten in der französischen Geheimarmee unter dem Tarnnamen Windrose mit. In Belgien war die Geheimarmee bekannt unter dem Decknamen SDRA 8 als Untereinheit des militärischen Geheimdienstes Service Gènéral de Renseignement (SGR). In Spanien erklärte der ehemalige Verteidigungsminister Alberto Oliart, dass es »kindisch« sei zu fragen, ob unter der Herrschaft von Franco eine Geheimarmee existiert hätte, denn diese »war« die Regierung! Und in Griechenland bekannte der Ex-Premierminister Andreas Papandreou, dass er schon Mitte der Achtzigerjahre die Geheimarmee LOK entdeckt und dann aufgelöst hatte. Dabei war die LOK mit dem griechischen Geheimdienst KYP am Militärputsch von 1967 beteiligt. Weitere »Stay-behind«Strukturen bestanden in Portugal, Griechenland, Luxemburg, den Niederlanden, Dänemark, Norwegen (ROC) und Türkei (CounterGuerilla). In insgesamt 16 westeuropäischen Staaten hatte die NATO


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geheime Guerilla-Kommandos und Waffenlager unterhalten, ohne dass die Parlamente davon wussten. Selbst in Deutschland existierte eine solche geheime antikommunistische Armee, mit bis zu 2000 Mitgliedern, deren Strukturen mit den deutschen Geheimdiensten verbunden waren. Ihr Name: »Bund Deutscher Jugend – Technischer Dienst (BDJ-TD)«. Sie setzte sich aus ehemaligen SS-Angehörigen und Ex-Agenten der Spionageabteilung »Fremde Heere Ost« General Reinhard Gehlens zusammen, dem späteren Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der »TD« hatte Listen mit Namen von innenpolitischen Feinden erstellt, wie Kommunisten und Sozialdemokraten, die im Ernstfall »kaltgestellt« werden sollten, und illegale Waffenlager angelegt. Auch Kontakte zur CIA stellten sich heraus. Im Frühjahr 1980 erschütterte ein Bombenanschlag auf dem Münchner Oktoberfest die Republik. 13 Menschen wurden dabei in den Tod gerissen, 211 verletzt. Der damalige Ministerpräsident von Bayern, Franz Josef Strauß, verkündete, dass »Linke« hinter dem feigen Attentat gestanden hätten, aber es stellte sich heraus, dass die rechtsgerichtete Organisation »Wehrsportgruppe Hoffmann« darin involviert war. Gundolf Köhler war ein Mitglied dieser Gruppierung und bei dem Anschlag ebenfalls ums Leben gekommen. Dennoch hielt die Justiz die Theorie von einem Einzeltäter aufrecht. 2005 wurde eine Untersuchung zu den NATO-weiten geheimen Militäraktionen der geheimen Milizgruppen Gladio veröffentlicht, die jedoch den Verdacht erhärtete, dass Rechtsextreme, die in den Gladio-Truppen organisiert waren, in das Oktoberfest-Massaker verwickelt waren.258 Die SPD wollte 1990 wegen dem »Bund Deutscher Jugend – Technischer Dienst« einen Skandal gegen die CDU initiieren, nachdem bekannt geworden war, dass ehemalige SS-Angehörige in der deutschen »Stay-behind«-Organisation aktiv gewesen waren. Ein SPD-Sicherheitsexperte forderte das Einschreiten der Justiz. Doch die Christdemokraten unter Helmut Kohl meinten, dass auch die Sozialdemokraten während der Regierung Willy Brandts in dieses Komplott verwickelt gewesen wären und der SPD-Verteidigungsminister Helmut Schmidt, der spätere Bundeskanzler, dieses Geheimnis gut gehütet hätte. Daraufhin, und mit Blick auf die ersten Wahlen im kürzlich vereinigten Deutschland, stimmten die Politiker für eine Untersuchung hinter verschlossenen Türen, einigten sich später dar-


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auf, die geheime Armee reinzuwaschen und zu rechtfertigen. Das heißt: Bundesregierung und Bundesanwaltschaft spielten das Thema herunter. Vier inhaftierte »TD«-Mitglieder kamen sogar ohne weitere juristische Verfolgung frei. Der damalige hessische sozialdemokratische Ministerpräsident August Zinn meinte dazu: »Die einzige juristische Erklärung für diese Freilassung kann nur sein, dass die Richter in Karlsruhe erklärt haben, dass sie unter der Anweisung der Amerikaner stehen.« Denn auch die übrigen Geheimkommandos in Deutschland blieben ebenfalls unbehelligt und wurden später sogar dem Bundesnachrichtendienst (BND) unterstellt.259 Ob diese geheimen Armeen in neuen oder ähnlichen Strukturen immer noch existieren, kann nicht abschließend geklärt werden. Der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, ein profunder Kenner der Materie, hatte bereits 2005 bei der NATO mehrfach danach gefragt. Doch das westliche Verteidigungsbündnis »redet nicht über diese Geheimarmeen, verweigert jede Auskunft, macht keine Dokumente öffentlich. Insbesondere nicht zu der ›Strategie der Spannung‹, die als Staatsterror bezeichnet werden muss, der immerhin mit Steuergeldern finanziert worden ist. Darüber spricht die NATO nicht, alle meine Anfragen wurden mit ›no comment‹ beantwortet. Das ist nicht sehr vertrauenserweckend (Ganser).«260 Zurück zu den Ereignissen in Italien: Am 31. Mai 1972 gab es in Peteano einen feigen Anschlag, bei dem drei Polizisten starben und zwei verletzt wurden. Dafür wurde der Rechtsterrorist Vincenzo Vinciguerra zu einer lebenslangen Haft verurteilt, drei CarabinieriOffiziere zu zehn Jahren wegen Vernichtung von Beweisen oder Irreführung der Ermittlungsbehörden. Der für die Behinderung der Aufklärung verantwortliche General Giuseppe Palumbo wurde nicht verurteilt. Palumbo war Mitglied der P2! In Zusammenarbeit mit der CIA und den italienischen Geheimdiensten sowie mit reaktionären und faschistischen Kreisen sollte so in die politische Entwicklung des Staates eingegriffen, die Bevölkerung durch linksextremen Terrorismus dazu gebracht werden, rechts oder gleich faschistisch zu wählen, um eine Übernahme Italiens durch die Kommunisten zu verhindern. Am 28. Mai 1974 gab es in Brescia während einer antifaschistischen Kundgebung einen Bombenanschlag. Bilanz: acht Tote und 94 Verletzte. Als der dafür verurteilte Rechtsextremist Ermanno Buzzi


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zu den Hintergründen des Anschlages auspacken wollte, wurde er im Gefängnis von dem Rechtsterroristen Mario Tuti und Pierluigi Concutelli, dem »Killer der P2«, ermordet. Nach dem achten Prozess wurden 1993 die rechtsterroristischen Attentäter aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Am 4. August 1974 explodierte im Italicus-Express auf der Verbindung Rom – München, zwischen Florenz und Bologna, eine Bombe. Zwölf Menschen starben, 105 wurden verletzt. Durchgeführt hatte dieser feige Anschlag die Fronte Nazionale Rivoluzionario, die enge Kontakte zur P2 hatte und von Polizei und Geheimdienst gedeckt wurde. Der spätere parlamentarische Untersuchungsausschuss sah in der Freimaurerloge sogar den Drahtzieher des Anschlags. Denn es wurde in dem nachfolgenden Prozess festgehalten, »dass die Terroristen von Freimaurern nicht nur angestiftet, sondern auch bewaffnet und finanziert wurden. Die Freimaurer hätten sich des Rechtsterrorismus für die so genannte Strategie der Spannung bedient und damit die Voraussetzungen für einen Staatsstreich geschaffen« (Igel).261 Zwei der neofaschistischen Attentäter wurden zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, doch im Jahre 1991 von einem Berufungsgericht in Bologna wieder freigesprochen! Maria Fida Moro, die Tochter des entführten und ermordeten Christdemokraten Aldo Moro (auch dazu später mehr), veröffentlichte 2004 ein Buch, in dem sie behauptete, dass ihr Vater an diesem Tag, nicht wie beabsichtigt, mit diesem Zug fuhr. Galt der feige Bombenanschlag der P2-Schergen dem verhassten Politiker? Auch der verheerende Bombenanschlag auf den Bahnhof in Bologna am 2. August 1980, bei dem 85 Menschen starben und über 200 verletzt wurden, soll mit auf die Aktivitäten der P2 zurückgehen. Der Journalist David Yallop berichtete, dass dieses Bombenattentat bei einer P2-Sitzung am 11. April 1980 in Monte Carlo geplant worden wäre, Gelli selbst soll diese als Großmeister geleitet haben.262 Mittäter waren neben den Rechtsextremisten Valerio Fioravanti, Francesca Mambro und Sergio Picciafuoco auch ein Angehöriger des Sicherheitsdienstes des französischen Präsidenten Giscard d’Estaing und der deutsche Neonazi Fiebelkorn. Selbst Großmeister Gelli wurde wegen Irreführung der Justiz und Legung falscher Spuren bezüglich des Bombenanschlags in Bologna verurteilt! Genauso angeklagt wurden zwei hohe Beamte des SISMI, beides Mitglieder der P2 und


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zusammen mit Francesco Pazienza, Gellis Vize-Logenmeister, während seiner Flucht, verurteilt. Pazienza erhielt eine zehnjährige Haftstrafe. Mambro und Fiorvanti bekamen lebenslänglich. So war der Prozess erst nach 15 Jahren im November 1995 und nach insgesamt vier Gerichtsinstanzen erledigt. 1984 gab es eine Bombenexplosion im Zug 904 mit 16 Toten und 198 Verletzten. Verantwortlich dafür waren Neofaschisten und eine Gruppe von Camorristen. Erstmals konnte eine Verbindung der Mafia, der P2 und rechten Umstürzlern mit juristischer Relevanz nachgewiesen werden. Andere Anschläge wurden auf Eisenbahnlinien in Norditalien, Grenztruppen und Armee vorgenommen. Für verschiedene Anschläge wurden mehrere Dutzend P2-Männer wegen Sprengstoffdelikten und Mordes sogar rechtskräftig verurteilt. Die darauf folgende Antiterrorgesetzgebung gab Polizei, Militär und Geheimdiensten freie Hand, die linken Gruppen noch ungehinderter zu bekämpfen, sprich ungehindert von rechtsstaatlichen Einschränkungen. Auch die CIA soll kräftig im Hintergrund der P2 und der Terroranschläge mitgemischt haben. Laut CIA-Unterlagen, die 1984 in Rom sichergestellt wurden, hatte die CIA-Vertretung in Italien rund 2000 Männer für die Terrorgruppen angeheuert, die Bomben werfen und Anschläge durchführen sollten. Alles mediengerecht aufbereitet. Mehr noch: Nach einem Bericht der RAI, des staatlichen italienischen Fernsehens, im Juli 1990, der sich auf Aussagen von Ex-CIAAgenten stützte, war die P2 so etwas wie ein »euro-asiatischer Arm der CIA«. Richard Brenneke, ehemaliger CIA- und Mossad (israelischer Geheimdienst, Anm. d. Autors) -Mitarbeiter erklärte, dass die US-Regierung die P2 monatlich mit zehn Millionen Dollar für Waffen und Drogenschmuggel unterstützt habe! Darüber hinaus meinte er, die Loge sei trotz offiziellen Verbots weiterhin aktiv und werde zu den gleichen Zwecken benutzt wie Anfang der Siebzigerjahre. Ferner sei die P2 möglicherweise in den Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme verstrickt! Großmeister Gelli hätte den Logenbrüdern die Geheimhaltung ihrer Namen zugesichert. Nur das Pentagon, das US-amerikanische Verteidigungsministerium, würde eine komplette Liste aller Logenbrüder besitzen.263 Erst allmählich erkannten die Verantwortlichen dieses schreckli-


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chen Terrors, dass sie so nicht weiterkamen, im Gegenteil: Anstatt nach dem starken (rechten) Staat zu rufen, wurden von der empörten Öffentlichkeit christdemokratische Politiker verantwortlich dafür gemacht, die Anschläge zu decken oder selber darin verwickelt zu sein. So musste also schnellstens umgedacht werden. Als erstes wurden die neofaschistischen und rechtsterroristischen Gruppen teilweise verboten, ihre Benutzung durch die Geheimdienste aufgegeben, bislang gedeckte Personen aus den Attentäterkreisen den Polizeibehörden ausgeliefert und hochkarätige Mitwisser eliminiert. »Dirty actions«, also Methoden zur Wahrung der Staatssicherheit, wurden dementsprechend durchgeführt. Wahllosen Bombenanschlägen und blutigen Massakern folgten ab 1974 nun gezielte Tötungen, Anschläge und Entführungen auf und von einzelnen Personen. Im Namen des Linksterrorismus versteht sich. Bei vielen dieser »anonima sequestri«, der »anonymen Entführer«, wurde die Freimaurerloge P2 vermutet! So wurde beispielsweise im Juli 1976 beim Mord an Staatsanwalt Vittorio Occorsio in Rom bekannt, dass der Täter auch als »Killer der P2« bezeichnet wurde. Pierluigi Concutelli, eben dieser Killer, erheilt dafür eine lebenslange Haftstrafe. Bekannt wurde auch, dass der Staatsanwalt zwei Tage vor dem feigen Attentat den Großmeister der P2, Licio Gelli, zu einer Anhörung in sein Büro geladen hatte! »Die Annahme liegt auf der Hand, dass der ›Killer der P2‹ … einen für die Machenschaften der Geheimloge Licio Gellis unbequemen Ermittler ausgeschaltet hat« (Igel).264 Inmitten dieser »Terrorjahre« in Italien brachte ein weltweit Aufsehen erregender Entführungsfall eines christdemokratischen ParteiFunktionärs die Republik an den Rand des politischen Abgrunds. Und auch hier, tief verstrickt, tauchten wieder die Logenbrüder der P2 auf.

4.1.4.7 Politischer Ritualmord Aldo Moro? »Mein Blut wird über Euch kommen, über die Partei und das Land.«265 Das schrieb einer der bekanntesten Politiker Italiens, der Präsident der Christdemokraten, Aldo Moro, 1978 aus seinem »Gefängnis« der »Roten Brigaden« an seine Partei. Damit sollte er Recht behalten, denn der Fall Moro sollte die Zusammenarbeit zwischen in- und


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ausländischen Geheimdiensten, Terrorgruppen und der Freimaurerloge P2 aufzeigen. Und noch weit mehr in die tiefsten Abgründe der Geheimpolitik blicken lassen. Wegen seiner Politik der »nationalen Solidarität«, des »historischen Kompromisses«, kam Aldo Moro, der dem linken Flügel seiner Partei angehörte und damit unmittelbarer parteiinterner Gegenspieler Ministerpräsidents Giulio Andreottis war, schon früh ins Kreuzfeuer der Kritik. Nicht nur national, in Italien, sondern auch international. Vor allem in der USA. Moro wollte alle italienischen politischen Kreise auf Regierungsebene zusammenarbeiten lassen. Das hieß auch eine Koalition zwischen den Christdemokraten der DC Democrazia Cristiana (die bei den Parlamentswahlen 1976 38,7 Prozent der Wählerstimmen geholt hatte) und den Kommunisten der PCI Partito Communista Italiano (mit 34,4 Prozent Wählerstimmen) unter Enrico Berlinguer, um grundlegende soziale, wirtschaftliche und politische Reformen in Italien einzuleiten und durchzusetzen. Und er wollte eine Regierung, die dem Vatikan und den Amerikanern gegenüber autonom war, d. h. der Bevormundung durch die Amerikaner also entkommen. Moro galt zudem als unkorrumpierbar und integer. Es war geplant, am 16. März 1978 dieses historische Bündnis im italienischen Parlament zu besiegeln. »Berlinguer und Moro repräsentieren mit ihrer beabsichtigten ›demokratischen Regeneration‹ auch ein Verständnis von Politik, das dem des christdemokratischen Regimes entgegengesetzt ist«, erklärt die Publizistin Regine Igel. »Dunkle Machenschaften, Korruption und Zuschanzung von Pfründen, die übermäßige Bedeutung von Geheimpolitik, Parallelstrukturen und das Machtnetz der P2 – all diesen Charakteristika der Herrschaft der Christdemokraten, die sich längst vom hehren Ziel des Antikommunismus verselbstständigt haben, wäre eine Regierung Berlinguer/ Moro mit Sicherheit zu Leibe gerückt.«266 Sicherlich waren die Christdemokraten einerseits wie auch die Freimaurer andererseits, sowie konservative politische Kräfte und Geheimdienste im In- und Ausland alles andere als begeistert von diesem »historischen Bündnis«. Deshalb arbeiteten unheilvolle Kräfte schon längst im Geheimen, damit es niemals zu diesem Bündnis käme, denn dieses würde, so die Meinung vieler politischer Gegner und von Vertretern aus Armee, Geheimdiensten und Polizei, nicht nur das mediterrane Gleichgewicht, sondern gar das in Jalta durch die Siegermächte nach dem


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Zweiten Weltkrieg ausgehandelte Gleichgewicht der Mächte auf eine gefährliche Art und Weise destabilisieren. Schließlich bestand unter einer kommunistischen Regierungsbeteiligung die Gefahr, dass Italien aus der NATO austrat. Denn Moro hatte seine außenpolitische Linie sehr zum Missfallen, speziell der Amerikaner, bereits demonstriert. Im Jom-Kippur-Krieg 1973 hatte er als Ministerpräsident den Amerikanern den Zugang zu den militärischen Basen der NATO in Italien verweigert, damit die Hilfe für Israel behindert und als erstes Land die PLO Arafats anerkannt. Und noch mehr: Er verkaufte unter Geheimhaltung sogar Waffen an die Palästinenser. Eine proarabische und propalästinenische Linie, die weder den Amerikanern, noch den Israelis gefallen konnte. Wenn also Moros »historische Bündnis« verhindert würde, dann könnten sich die Amerikaner im Mittelmeerraum mehr auf Israel stützen und innerhalb der italienischen Christdemokraten wieder die proisrealische Politik durchsetzen. In Washington waren einflussreiche Politiker wie beispielsweise Außenminister und mächtigster Mann der amerikanischen Sicherheitspolitik, Henry Kissinger, und andere gegen Moros Politik. Laut Igel sollen auch Kissinger und Richard Nixon Freimaurer gewesen sein. Ebenso wie George Bush, der sogar als der Vorsitzende der internationalen Freimaurerorganisation genannt wird.267 »Ich sehe keinen Grund, warum wir tatenlos zugucken sollen, wenn ein Land sich anschickt, kommunistisch zu werden«, erklärte Kissinger. »Und dies nur wegen der Unverantwortlichkeit seines Volkes.«268 Er sah in Moro sogar eine Art »Trojanisches Pferd«, mit dem die Kommunisten in die NATO eingeschleust werden sollten! Moro erzählte seiner Frau nach einem Washington-Besuch sogar von einer unmittelbaren Drohung eines amerikanischen Politikers ihm gegenüber. »Sie sollten Ihren Plan aufgeben«, soll der gesagt haben. »Entweder Sie stoppen das, oder Sie werden es teuer bezahlen müssen.«269 »Gestoppt« wurde Moro nach dieser umissverständlichen Drohung der Amerikaner tatsächlich, er wurde regelrecht »ausgeschaltet«. Bevor Aldo Moro also an diesem 16. März 1978 das Parlament erreichen konnte, um das »Historische Bündnis« mit den Kommunisten einzugehen, geschah etwas, das in die Historie Italiens, ja ganz Europas, eingehen würde und als der gravierendste politische Anschlag der Nachkriegszeit angesehen wurde: Moro geriet in einen


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Hinterhalt. Seine fünf Leibwächter samt Fahrer starben in einem Kugelhagel in der Via Fani. Er selbst wurde in einen bereitstehenden Kleinlaster gezerrt und verschleppt. Die Entführung lief genauso ab, wie die des deutschen Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer durch die »Rote Armee Fraktion« (RAF) in Köln am 5. September 1977. Einer der Schützen in der Via Fani soll sogar Deutsch gesprochen haben, wie eine spätere Untersuchungskommission feststellte. Vielleicht war es derselbe, der 44 Schüsse auf Schleyers Leibwächter abgegeben hatte? Die Brigate Rosse, die Roten Brigaden waren es – so die erste offizielle Einschätzung – die Moro in einen Hinterhalt gelockt und dann entführt hatten. Sie wollten mit der deutschen RAF nichts zu tun gehabt haben. Doch dies war eine Lüge. Die RAF plante beispielsweise 1978, US-General Haig – bis 1979 NATO-Oberbefehslhaber, dann unter Reagan Außenminister – in Brüssel entweder zu entführen oder zu ermorden. Die RAF hoffte dabei auf Hilfe der Roten Brigaden, wie die deutsche Terroristen Silke Maier-Witt berichtete. Um an »Kämpfer« und »Kohle« zu kommen, beschloß die RAF ihre Gespräche mit der Brigate Rosse zu intensivieren. Es konnte auch nachgewiesen werden, dass Willy Peter Stoll, einer der Schleyer-Entführer, mit Mario Moretti, einem der Moro-Entführer, in Kontakt gekommen war. Untersuchungsrichter Ferdinando Imposimato nahm später an, dass Stoll der Deutsche war, der sich auch am Attentat in der Via Fani beteiligte. Am Rande sei erwähnt, dass Stoll und auch seine RAFKollegen Elisabeth von Dick und Rolf Heissler, die ebenfalls an der Schleyer-Entführung beteiligt gewesen waren, später beide – mit italienischen Pässen versehen, die auf die gleiche Weise gefälscht worden waren, wie die von Rotbrigadisten – durch gezielte Kopfschüsse deutscher Polizisten zum Schweigen gebracht wurden. Nur Heissler überlebte seine schwere Verletzung. Im Sommer 1979 sollten sich Brigitte Mohnhaupt, Sieglinde Hofmann und Werner Lotze von der RAF mit Abgesandten der Roten Brigaden in Paris treffen. Aber erst 1988 kam es dann zu einer gemeinsamen Erklärung betreffs eines »vereinheitlichten Angriffes, um die imperialistische Macht zu erschüttern«.270 In Italien kamen Zweifel auf, ob die Roten Brigaden überhaupt in der Lage waren eine fast militärisch anmutende Aktion wie die Entführung von Aldo Moro alleine durchzuführen. Trotz der zahlrei-


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chen Bedenken wurde aber an der offiziellen Version festgehalten. Bis zuletzt. Zumindest einer war fest davon überzeugt, dass in- und ausländische Geheimdienste ihre Finger mit im Spiel hatten: der damals bestinformierteste Journalist Roms, P2-Logenbruder Mino Pecorelli, der schon den Beinamen »Informationsterrorist« erhalten hatte, weil er mit Geheiminformationen pokerte. Er schrieb in einem Bulletin seiner Nachrichtenagentur Osservatore Politico (OP): »Die Entführung Moros ist eine der größten politischen Operationen, die in den letzten Jahrzehnten in Westeuropa durchgeführt wurden. Ihr Ziel ist es, die Kommunisten von der Macht fern zu halten. In der Via Fani hat der Kalte Krieg zugeschlagen. Die Roten Brigaden sind nur ein kleiner Motor. Die Rakete, das sind andere.« Und an anderer Stelle: »Das leitende, die Gefangenschaft Moros organisierende Hirn hat nichts mit den traditionellen Roten Brigaden zu tun … Die Entführer Moros haben nichts mit den gemeinhin bekannten Roten Brigaden zu tun … Es gibt ausreichend Indizien dafür, dass die Roten Brigaden im Auftrag Dritter, Italiener oder Ausländer, gehandelt haben.«271 Was wusste der Freimaurer? Mehr als alle anderen? Kein anderer als P2-Logen-Großmeister Licio Gelli nämlich war es, der zum »Schutzpatron« des OP wurde, aber später dann in starkem Gegensatz zu Pecorelli geriet. Pecorelli überwarf sich mit ihm oder umgekehrt. Der Journalist ließ sich nämlich dafür bezahlen, brisante Informationen nicht zu veröffentlichen. Auch über Gelli und Andreotti wollte er auspacken. Das kostete ihn das Leben, wie ich später noch erläutern werde. CIA-Agent Martin Woodrow Brown wies ebenfalls auf Verbindungen zwischen den Roten Brigaden, dem Rechtsterrorismus und der Mafia hin. Er behauptete sogar, Beweise für das Attentat auf Moro durch ein CIA-Komplott zu haben, das auch für die Ermordung J. F. Kennedys verantwortlich gewesen sei. Doch Brown starb an einem Herzinfarkt einen frühen Tod. Auch der CIA-Agent Richard Brenneke alias Oswald le Winter, Ibrahim Razin oder George Cave, die mutmaßliche Nummer zwei des amerikanischen Geheimdienstes in Europa, erklärte viel später, dass die Leitung der Roten Brigaden wie auch der RAF von Geheimdienstagenten durchsetzt war. Aldo Moro wusste das. Vor seiner Entführung hatte er mit seinem Parteivize Giovanni Galloni eine


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Unterhaltung, in der er erklärte, dass er wüsste, dass amerikanische und israelische Geheimdienstagenten die Roten Brigaden infiltriert und dies den Italienern nicht mitgeteilt hatten. Moro wurde in die Tiefgarage eines Mehrfamilienhauses in ein Zimmer mit einem Bett geschleppt. Dieses Zimmer war zu einem Gefängnis umgebaut worden, dem »Volksgefängnis«. An der Wand hing die Fahne der Roten Brigaden. Hier wurde er verhört, hier sollte ihm der politische Prozess gemacht werden und hier fing Aldo Moro an sein Tagebuch mit den Skandalen Italiens zu schreiben – eine Art politisches Testament. Rom glich nun einem Ameisenhaufen: Rund 172 000 Carabinieri und Polizisten beteiligten sich an der Suche nach dem entführten Moro, 6000 Straßensperren wurden errichtet, 7000 Hausdurchsuchungen durchgeführt und 167 000 Personen und 96 000 Autos kontrolliert. Aber: War alles nur »Show«? Dass bei dem Ganzen irgendetwas nicht musste auch der Terroristenjäger Nicolò Bozzo feststellen, der schnell das Gefühl hatte, dass Personen im Innenministerium an einer investigativen Polizeiarbeit nicht interessiert waren. Auch der Untersuchungsrichter Ferdinando Imposimato sprach über Informationen, die er erhalten hatte, wonach es Widerstände geben würde. Die Geheimdienste würden in ihren Bemühungen gebremst, etwas gegen die Roten Brigaden zu unternehmen. »Offenbar lag es im Interesse bestimmter Kreise, die Roten Brigaden an Einfluss gewinnen und Attentate durchführen zu lassen.«272 Damit hatte Imposimato wohl mehr als Recht. Trotz aufwändiger Aktionen, trotz nützlicher Hinweise, gelang rein gar nichts, um Moro aus seinem Gefängnis zu befreien. Erst später kam etwas, das die wenigsten wussten, ans Licht der Öffentlichkeit. Genau genommen war es eigentlich ein Skandal: Fast alle Mitglieder des vom Innenminister eingesetzten Krisenstabes waren P2-Mitglieder: Franco Ferracuti, Kriminologe und Psychiater, Ferdinando Guccione, Präfekt und Chef der zentralen Einsatzleitung, Antonio Geraci, Flottenadmiral, Giulio Grassini, Direktor des Geheimdienstes im Innenministerium, General Santovito, Direktor des militärischen Geheimdienstes, Raffaele Giudice, Leiter der Finanzpolizei, Donato Lo Prete, Leiter der Finanzpolizei, und Walter Pelosi, späterer Chef aller Geheimdienste. Trotz der Tatsache, dass dieser Krisenstab total versagte, traten die Mitglieder nicht etwa von ihren


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Ämtern zurück, nein, man belohnt sie auch noch dafür mit einer anschließend Beförderung! Interessant zu wissen ist auch, daß in der CIA-Gruppe, die in der amerikanischen Botschaft in Rom tätig war, ebenfalls P2-Schergen gab. Alle waren Brüder im Geiste der Propaganda Due, dieser Freimaurerloge, die in ihrem antikommunistischen Wahn nicht einmal vor Terroranschlägen zurückschreckte, der so genannten »Strategie der Spannung«, wie der »Schwarze Terror« damals genannt wurde. Es spielte keine Rolle, daß bei diesen Blutbädern und Bombenanschlägen vielen hundert unschuldigen Menschen ums Leben kamen oder für alle Zeiten verkrüppelt oder traumatisiert wurden. Aldo Moro, der von den Hintergründen der Strategie der Spannung informiert war, wollte mit den Kommunisten und anderen eine demokratische Allianz schaffen, um sich gegen diese »dunklen Kräfte« zu stemmen und zu stellen. Musste er auch deshalb sterben? Im Zusammenhang mit der erfolglosen Fahndung nach Aldo Moro stellt sich noch eine andere Frage: Hatten die Entführer direkten Kontakt zu den Logenmitgliedern und konnten sich deshalb 55 Tage völlig unbehelligt in Rom bewegen? Ein Beleg für die Richtigkeit dieser Annahme dürfte ein Zettel mit der Telefonnummer des P2-Kommissars Antonio Espositos sein, dem am Morgen der MoroEntführung diensthabenden und für den Einsatz verantwortlichen Beamten, der bei einer späteren Hausdurchsuchung bei dem RotBrigadisten Valerio Mourucci gefunden wurde. Mourucci war direkt bei der Entführung und Ermordung Moros beteiligt gewesen! Trotzdem ging niemand dieser geheimen Verbindung nach. Warum nicht? Im persönlichen Telefonbuch des Terroristen wurde aber noch Brisanteres gefunden: die Telefonnummer des Geheimdienstgenerals Giovanni Romeo, Leiter der Abteilung für Innere Sicherheit und GLADIO-Verantwortlicher. Es kam sogar noch besser: Selbst die Telefonnummer von Pater Morlion wurde beim Terroristen entdeckt. Der Geistliche war Leiter des Geheimdienstes des Vatikans! Was wurde hier gespielt? Noch andere Unregelmäßigkeiten bei den Ermittlungen wurden offenbar. Beispielsweise, dass kurz nach dem Attentat die Telefonleitungen in der Umgebung für eine Stunde lahmgelegt wurden, was eine Koordination der Ordnungskräfte untereinander unmöglich machte. So konnten erst eine Stunde nach dem Anschlag Straßensperren


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errichtet werden und die Entführer somit entwischen. Der Chef der verantwortlichen Telefongesellschaft SIP war Michele Principe. Fast müßig festzustellen, dass auch er ein P2-Freimaurer war! Später stießen die Ermittler in einer Druckerei auf eine Druckerpresse, auf der die Mitteilungen der Roten Brigaden hergestellt worden waren. Diese von dem Terroristen Mario Moretti besorgte Druckmaschine gehörte der »Abteilung für Spezialeinheiten« des Geheimdienstes SIMSI. Sämtliche Verantwortliche schwiegen dazu oder spielten den skandalösen Sachverhalt herunter. Der hauptverantwortliche Staatsanwalt für den Entführungsfall Moro, Infelisi, fuhr bereits neun Tage nach dem Attentat nach Kalabrien, um seinen Urlaub zu organisieren! Und Geheimdienstoberst Antonio Cornacchia, der während der Moro-Entführung in Rom Dienst tat, musste später zugeben, einen »Agent Provocateurs« während dieser Zeit bei den römischen Rotbrigadisten eingeschleust zu haben. Auch Cornacchia war P2-Freimaurer! Nachdem »offiziell« die Roten Brigaden die Verantwortung für das Attentat und die Moro-Entführung übernommen hatten, stellten sie aber erst Wochen später die Forderung nach einem Austausch Moros gegen die Freilassung von Gefangenen. Doch Ministerpräsident Andreotti blieb hart, ging auf kein Angebot der Entführer ein und verhandelte nicht. Damit riskierte er leichtfertig das Leben seines Parteikollegen. Mit Absicht? Während Moros Gefangenschaft machte der Terror der Roten Brigaden auch vor weiteren Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nicht halt. Sie wurden angeschossen, zwei Gefängniswärter ermordet. Aus der Geiselhaft schrieb Aldo Moro mehrere Briefe, deren Veröffentlichung verschiedene Politiker hätte vernichten können. Es handelte sich dabei um Aufzeichnungen über hochexplosive parteiund regierungspolitische Internas über GLADIO, der damals streng geheimen Miliz, der »Anti-Guerilla-Organisation« der NATO. Auch Deutschland wurde darin erwähnt, das in diesen Fragen wohl eng mit Italien und den USA zusammenarbeitete. »Ich bin überzeugt, dass alles in Europa, was das Militär betrifft, unter amerikanischer Führung steht. Einiges ist auch an eine gewisse deutsche Präsenz delegiert, was den Bereich der Geheimdienste betrifft.«273 Damit behauptete einer der führenden italienischen Politiker, der siebenmal Mini-


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sterpräsident gewesen war und wohl die meisten Staatsgeheimnisse kannte, dass wohl auch die deutschen Geheimdienste wie der Auslandsgeheimdienst Bundesnachrichtendienst (BND), der Inlandsgeheimdienst Bundesamt für Verfassungschutz und möglicherweise auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) mit in das Inszenario um GLADIO verwickelt waren. Hatten sie auch etwas mit der P2 zu tun? Diese Fragen werde ich im Abschnitt 4.1.5 »›Politaffäre‹ Uwe Barschel« noch einmal aufwerfen. Im Jahre 2003 erklärte Untersuchungsrichter Rosario Priore: »Von dem Überfall auf Moro wussten viele Geheimdienste schon vorher: die Franzosen, die Deutschen, sowohl die aus dem Westen wie die aus dem Osten. Und auch die Tschechoslowaken und die Sowjets und natürlich auch die Amerikaner und die Israelis. Das kann man mit großer Sicherheit sagen, denn dafür gibt es Beweise. Die halbe Welt wusste von dem Anschlag schon, bevor er ausgeführt wurde, aber niemand tat etwas, um ihn zu verhindern … Die Roten Brigaden wurden von den Staaten für ihre Politik benutzt.«274 Moro schrieb im Übrigen noch mehr Brisantes: über die Aufdeckung der Einmischung ausländischer Geheimdienste in die interne italienische Politik und die Hintergründe der Strategie der Terroranschläge sowie eine Anklage gegen Teile der Christdemokraten. Auch von illegalen Zahlungen der CIA an seine Partei war die Rede. Vor allem wetterte er gegen Giulio Andreotti, über den er einmal sagte: »Ihnen fehlt das Zusammenwirken von Güte, Weisheit, Beweglichkeit und Klarheit, das die wenigen Christdemokraten … ausmacht.«275 Aus seinem »Gefängnis« wandte er sich an die Graue Eminenz seiner Partei: »Von dem ehrenwerten Andreotti kann man sagen, dass er am längsten von allen die Geheimdienste leitete und über die besten Beziehungen zur CIA verfügt.« Weiter hieß es: »Jetzt vertritt er die harte Linie gegenüber den Roten Brigaden mit dem Ziel, den zu opfern, der der Urheber der gegenwärtigen Regierung ist.«276 Moro äußerte sich auch kritisch zu Andreotti Beziehungen zu dem MafiaBankier und P2-Mann Michele Sindona. Nur am Rande sei noch erwähnt, dass die am Besten über den Inhalt dieser Briefe informierten Personen allesamt ermordet wurden. Bei den Opfern handelte es sich um den staatstreuen Ermittler und Anti-Terrorismus-Experten Carlo Alberto Della Chiesa, der bereits 1976 dahinter kam, dass Carabinieri, Geheimdienste, Rechts-


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terroristen und Freimaurer zusammenarbeiteten und deshalb seine Ermittlungseinheit einfach aufgelöst wurde, und um den Journalisten Mino Pecorelli, Pressesprecher der P2, der sogar ankündigte, die Namen der politischen Auftraggeber des Attentats auf Moro zu veröffentlichen. Mehr noch: Er wollte eine Titelgeschichte gegen Andreotti herausbringen. Ein Mafia-Informant behauptete, dass der amtierende christdemokratische Ministerpräsident Andreotti die Ermordung dieser beiden Zeugen aus Angst vor Aufdeckung der Tat veranlasst hatte. Andere meinten, dass Pecorelli und dalla Chiesa – der im Übrigen ebenfalls in die P2 eintreten wollte, »um mal zu sehen, wer da alles so drin ist«, von Gelli jedoch abgelehnt wurde – die Inhalte der brisanten Aufzeichnungen Moros kannten und daher zu unbequemen, für Andreotti gefährlichen, Mitwissern und Geheimnisträgern geworden waren. Denn Andreotti hatte zu jener Zeit ein hehres Ziel: Er wollte Staatspräsident werden. Schließlich wurde der Rechtsterrorist Giusva Fioravanti verhaftet und wegen Mordes an Pecorelli verurteilt, doch andere Neofaschisten gaben Licio Gelli als Auftraggeber an. Fioravanti sei ein »Killer der P2«, erklärten sie. Seit 1993 wurde dann auch gegen Andreotti ermittelt. Aldo Moro hatte mit seinen Vermutungen tatsächlich den Nagel, bewusst oder unbewußt, auf den Kopf getroffen: Er sollte tatsächlich geopfert werden. Die italienische Regierung unter Andreotti wollte keine Verhandlungen. Moro sollte nicht gerettet werden. Und die P2 spielte eine führende Rolle dabei. Die Autoren Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker schreiben in Das RAF-Phantom hierzu: »Die Untersuchungskommission über das Attentat fand beunruhigende Anzeichen für die Verwicklung der Geheimloge (gemeint ist die P2, Anm. d. Autors) in die Verschleppung der polizeilichen Fahndung nach den Entführern.«277 Beispielsweise hatten P2-Mitglieder in Polizei und Geheimdienst andere Personen gedeckt oder nicht verfolgt, Spuren verwischt oder aber vorhandene bewusst erst gar nicht aufgenommen. Die Chefs der Geheimdienste, allesamt P2-Logenmitglieder, verweigerten jegliche Verhandlungen mit den Entführern und taten nichts, um Moro aufzuspüren. Sogar Staatspräsident Antonio Segni soll, laut Andreas von Bülow, in den Plan eingeweiht gewesen sein, Moro zu ermorden, weil dieser sich »zu weich« im Umgang mit den Kommunisten erwiesen hatte.278


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Zwischenzeitlich hatten die Rote Brigaden den Prozess gegen den »Vertreter des Imperialismus« abgeschlossen. In einem Kommuniqué erklärten sie, dass Aldo Moro schuldig sei und deshalb zum Tode verurteilt wurde. Doch die Exekution ließ noch auf sich warten. Sechs Monate wollten sie den Politiker festhalten, um den Staat vorzuführen. Aber einigen Dunkelmännern dauerte dies zu lange. Jetzt auf einmal wurde, durch Mithilfe eines Unbekannten, das Versteck Moros gefunden. Danach tauchte ein weiteres Kommuniqué auf. Gefälscht, wie es sich später herausstellen würde. In ihm stand, dass Moro hingerichtet worden sei und seine Leiche auf dem Grund des Lago della Duchessa in den Bergen der Abruzzen liegen würde. Doch das war alles inszeniert, das begriffen sogar die Roten Brigaden. Aber von wem? Von der Regierung? Von den Geheimdiensten? Von der P2? Der Sinn dieses gefälschten Kommuniqués, das Märchen vom Lago della Duchessa, wurde erst langsam klar: Die Entführer sollten so dazu gedrängt werden, Moro endlich zu beseitigen! Moro, der allen lästig geworden war – den Rotbrigadisten, der Regierung, den Geheimdiensten – musste nun schnellstens eliminiert werden. »Es war eine versteckte Nachricht von höchst offizieller Seite an die Adresse der Roten Brigaden, einerseits: ›Beeilt euch‹, andererseits: ›Wir können Euch sonst jederzeit festnehmen‹«, erklären die Journalisten Michael Busse und Maria-Rosa Bobbi dazu.279 Später stellte sich heraus, dass diese Mitteilung eine vom Geheimdienst lancierte Irreführung war. Verantwortlich dafür war Claudio Vitalone, seines Zeichens Rechtsberater von Moros Parteikollege Giulio Andreotti! Kurz darauf veröffentlichten die Roten Brigaden ein neues Schreiben, in dem sie die Geheimdienste als Initiatoren der Falschmeldung und Andreotti als Auftraggeber bezeichneten. »Aus heutiger Sicht lässt sich somit zusammenfassen: Moro hatte nicht die geringste Chance, gerettet zu werden. Keiner wollte das, nicht der Westen, nicht der Osten« (Busse/Bobbi).280 Genauso war es dann schließlich auch: 55 Tage nach seiner Entführung wurde Aldo Moro ermordet. Erschossen. Elf Kugeln durchsiebten seinen Körper. Seine Leiche wurde schließlich in einer Seitenstraße Roms, der Via Caetani, im Kofferraum eines roten R 4 gefunden. Die anschließenden Ermittlungen der Polizei und Justiz waren


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alles andere als erstklassig. So gelang es einem der Entführer, Mario Moretti, beispielsweise, sich drei Jahre lang der Verhaftung zu entziehen. Der Ermittlungsrichter beklagte sich, dass er außer einer Sekretärin keinerlei Ermittlungspersonal gehabt habe. Nicht einmal ein eigener Telefonanschluß sei ihm zur Verfügung gestellt worden! Was für eine Farce! »Wenn es uns nicht gelingt, der Wahrheit im Fall Moro auf die Spur zu kommen, sind wir wahrhaftig verloren.«281 Das sind die Worte des Schriftstellers und Parlamentsmitglieds Leonardo Sciascia, die nicht verklingen sollten. »Es gibt keinen vergleichbaren politischen Fall, in dem die juristischen Ermittlungen – im Gegensatz zu den späteren parlamentarischen – derart oberflächlich geblieben sind. Offensichtlich war man sich bei der Staatsanwaltschaft bewusst, dass es sich um ein besonders heißes Eisen gehandelt hatte, nur dem Mordfall Kennedy vergleichbar« (Igel).282 Doch das politische Ziel dieser Staatsaffäre war erreicht: Die Idee des »historischen Kompromisses« zwischen den Christdemokraten und Kommunisten starb im Kugelhagel, in dem auch Aldo Moro endete. Italien war »gerettet« – für die Amerikaner, für die Israelis, für die Europäer, für die rechten Kräfte innerhalb der italienischen Politik und für die Freimaurerloge P2. In der Folge des Moro-Mordes kam es zu fünf Prozessen. 1996 bekannte sich Germano Maccari dazu, zusammen mit Mario Moretti den Christdemokraten Aldo Moro erschossen zu haben.Weitere Anwesende in Moros »Gefängnis« waren Valerio Morucci und Prospero Gallinari. Zu einer dramatischen Wendung in den Untersuchungen zum Moro-Mord kam es, als ein weiterer Freimaurer, P2-Mitglied Silvio Berlusconi, zum mächtigsten Mann Italiens avancierte: Die Parlamentskommission, die für die Aufklärung des Anschlags auf Aldo Moro und auch anderer Terroranschläge eingesetzt wurde, stellte mit der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Berlusconi 2001 ihre Arbeit ein! Im Jahre 2003 erklärte die Witwe Eleonora Moro während Dreharbeiten zu einem Spielfilm zum Attentat auf ihren Mann: »Wenn Sie wüssten, wie schmutzig die Wahrheit dieser Geschichte ist, wäre es vielleicht besser, alles dem Herrgott zu überlassen.«283


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4.1.4.8 Politischer Ritualmord Papst Paul I.? In dieser Zeit war es auch noch ein anderer Schauplatz, der in den Fokus der Geschichte geriet und eng mit der P2 eng verflochten war: der Vatikan. Nach dem Tod Papst Paul VI. wurde der neue Pontifex maximus gewählt: Johannes Paul I., der Patriarch von Venedig, der mit bürgerlichem Namen Albino Luciani hieß. Ein Mann mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das nicht gestellt war, sondern als Ausdruck seiner väterlichen Haltung galt. Deswegen ging er auch als der »lächelnde Papst« in die Geschichtsbücher ein. »Ein kleines Lächeln ist besser als eine große Ansprache«, sagte er einmal und wurde so schnell bei den Gläubigen beliebt, die ihn euphorisch feierten. Bei den konservativen Geistlichen im Vatikan machte er sich hingegen eher unbeliebt, wenn er beispielsweise erklärte: »Zwei Dinge sind im Vatikan schwer zu bekommen: Ehrlichkeit und eine gute Tasse Kaffee.« »Papa« Luciani ließ sehr schnell erkennen, dass er eher Pastor als Papst sein wollte und jeden Pomp missbilligte. So verzichtete er zum Beispiel auch auf seine Papstkrönung und feierte lediglich eine Messe. Denn: »Es geht nicht ums Herrschen, sondern ums Dienen.«284 Luciani träumte von einer armen Kirche für die Armen. »Sein Ziel war es«, so der Enthüllungsjournalist David A. Yallop, »die Kirche zu ihren Ursprüngen zurück zu führen, zur Einfachheit und Ehrlichkeit, zu den Idealen und Geboten Jesu Christi.«285 Luciani war mutig und aufgeschlossen, liebte die Armen, war ein Mann des Volkes, unterschätzte aber die innervatikanischen Kräfte, mit denen er sich durch seine Haltung anlegte. Zudem wollte er die Regeln zur künstlichen Geburtenregelung lockern. Der erzkonservative Opus Dei war darüber höchst entsetzt. »Man kann keine Reformen ohne Risiko machen«, erklärte daraufhin der Papst.286 Doch wie hoch dieses Risiko sein würde, hatte er vielleicht bestenfalls nur geahnt. Im September 1978 veröffentlichte der Journalist und in Ungnade gefallene P2-Logenbruder Mino Peccorelli in seinem Osservatore Politico unter dem Titel »Die große Vatikanloge«, mit der er die vatikanischen Freimaurerloge Ecclesia meinte, eine Liste mit 121 Namen höherrangiger Prälaten, Kardinale und Bischöfe. Darunter befanden sich auch Paul Marcinkus und Donato de Bonis, Chef der


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IOR, und sogar Pasquale Macchi, Sekretär des kürzlich verstorbenen Papstes Pauls VI., sowie Kardinalstaatssekretär Jean Villot (Logenname Jeanni, Logennummer 041/3, aufgenommen in eine Zürcher Loge am 6. August 1966), der persönliche Sekretär Pauls I., der »Außenminister« Kardinal Agostino Casaroli, Kardinal Ugo Poletti, Vikar von Rom, Kardinal Sebastiano Baggio, Vorsitzender der Kongregation für die Bischöfe und der stellvertretende Chefredakteur des Osservatore Romano, des »Sprachrohr des Vatikans«! Lucianis ganzes persönliches Umfeld bestand gar aus Mitgliedern der P2. Deshalb sah es das neue Kirchenoberhaupt endlich an der Zeit, sich mit der Freimaurerloge samt den hohen Amtsträgern und den Finanzen des Vatikans zu beschäftigen. Dabei erkannte er schnell verschiedene Zusammenhänge. Im Ergebnis dieser wollte er zügig handeln und bestimmte »Personalveränderungen« vornehmen. Dazu gehörte auch die Ablösung vatikanischer Funktionsträger, die allesamt der P2 angehörten. Beispielsweise sollte Jean Villot sein Amt niederlegen, darüber hinaus sollten sämtliche Beziehungen zur Banco Ambrosiano, über die die Vatikan-Bank an hochspekulativen und kriminellen Geschäften beteiligt war, und zu Roberto Calvi abgebrochen werden. Bereits früher, als Luciani noch Kardinal war, hatte er schlechte Erfahrungen mit Calvi gemacht. Auch für Marcinkus wurde es nun eng, denn auch er sollte entlassen werden. Ebenso seine engsten Mitarbeiter Mennini und De Strobel. Marcinkus wusste, dass sein Nachfolger bestimmt sehr bald hinter die verschiedenen kriminellen Machenschaften kommen würde. Führende Persönlichkeiten der P2, wie Licio Gelli und Roberto Calvi, wurden nun unruhig. Sie dachten darfüber nach, was zu tun sei ach dem Motto: Verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Mittel. Würde der neue Papst »plötzlich« sterben, dann wäre damit allen geholfen. Yallop berichtet darüber, dass P2-Großmeister Gelli Calvi ihm gegenüber sagte, »man könne und werde das Problem in den Griff bekommen«, ja das »Problem« würde sogar aus der Welt geschafft werden.287 Und »zufälliger Weise, als wäre es eine Fügung Gottes oder besser gesagt seines Gegenspielers, des Teufels, gewesen, geschah es: Am 28. September 1978, nachdem Papst Johannes Paul I. zu Abend gegessen und ein Glas Wasser getrunken hatte und seine letzten Worte »Buona notte. A domani. Se Dio vuole – Gute Nacht. Bis morgen. So Gott will«, gesprochen hatte, sollte er das letzte Mal


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lebend gesehen worden sein. Am nächsten Morgen wurde er tot in seinem Bett gefunden! Nach nur 33 Tagen Amtszeit war Lucianis Macht gebrochen worden. Gewaltsam, wie viele vermuteten, denn sofort kam ein Vergiftungsverdacht auf. Der britische Enthüllungsjournalist David A. Yallop meint: »Seine Leiche wurde am darauffolgenden Morgen entdeckt. Die konkreten Umstände, unter denen diese Entdeckung vor sich ging, deuten mit überwältigender Klarheit darauf hin, dass der Vatikan hier etwas vertuschte. Es begann mit einer Lüge und setzte sich mit einem ganzen Lügengespinst fort. Sie logen im Kleinen. Sie logen im Großen. Mit allen ihren Lügen verfolgten sie nur einen Zweck: zu vertuschen, dass Albino Luciani, Papst Johannes Paul I., irgendwann zwischen 21.30 Uhr am Abend des 28. September und 4.30 Uhr am Morgen des 29. September 1978 ermordet wurde.«28 Ermordet vermutlich durch die Freimaurer der P2 im Vatikan, so Yallop. Dem widerspricht John Cornwell in einem, vom Vatikan in Auftrag gegebenen, Buch mit dem Titel Wie ein Dieb in der Nacht. Diesem Buch zufolge soll Paul I. an einer »mitgebrachten Herzschwäche« gestorben sein, weil seine eigenen Mannen sich angeblich über ihn lustig machten und er der Last des Amtes nicht gewachsen gewesen sei. Doch viele hegten und hegen bis heute sehr große und berechtigte Zweifel an dieser These. Folgende Fakten geben zu denken: Die Beerdigung Pauls I. wurde ohne den von einem Arzt unterzeichneten Totenschein vorgenommen. Der Zeitpunkt seines Todes wurde weder festgehalten, noch versuchte man nachträglich, ihn zu bestimmen. Schwester Vincenza Taffarel vom »Orden der Heiligen Marienschwestern«, die den toten Papst um 5.30 Uhr morgens (um diese Zeit stand der Papst normalerweise auf) auffand, als sie ihm wie jeden Morgen ein Kännchen Kaffee bringen wollte, wurde zum Stillschweigen verpflichtet. Sie sagte nämlich aus, dass »Papa« Luciani mit verzerrtem Gesicht aufrecht im Bett gesessen hatte, der Kopf hing rechts zur Seite, mit der Brille auf der Nase, der Mund war leicht geöffnet, so dass die Zähne sichtbar waren, und er hielt einen Stapel Papiere fest umklammert. Nach offiziellen Angaben des Vatikans handelte es sich dabei um eine Ausgabe von De imitatione Christi (Die Nachahmung Christi). Später wurde diese Darstellung dementiert. Nicht das fromme Buch hätte er in den Händen gehalten, sondern lediglich einige Blätter persönli-


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cher Aufzeichnungen. Und eine weitere Lüge wurde der Öffentlichkeit aufgetischt: Vatikan-Staatssekretär Kardinal Jean Villot, der komischer Weise auf der Namensliste, die Paul I. zu Lebzeiten noch erhalten hatte, als Freimaurer auftauchte (!), hätte den toten Papst als erster gesehen. »Wenn Albino Luciani eines natürlichen Todes gestorben ist, dann gibt es für das, was Villot nun tat, und für die Anweisungen, die er erteilte, keine rationale Erklärung«, meint David A. Yallop. »Dagegen scheint sein Verhalten nur allzu verständlich, wenn man annimmt, dass er entweder Mitwisser beziehungsweise Teilhaber einer Verschwörung zur Ermordung des Papstes war oder im Schlafzimmer des Toten eindeutige Hinweise darauf entdeckte, dass der Papst ermordet worden war …«289 Logenbruder Villot, der durch den Tod des Papstes bis zur Neuwahl nun zum »Camerlengo«, dem geschäftsführenden Oberhaupt der Katholischen Kirche, geworden war, hatte sofort alle persönlichen Gegenstände des verstorbenen Papstes beseitigt: seine Brille, seine Hausschuhe, seine Arznei. Spätere Gerüchte besagten, dass Luciani wohl darauf erbrochen hatte, als Symptom einer Medikamenten-Überdosierung. Auch sein Testament sowie die Liste mit den Personalveränderungsvorschlägen waren verschwunden. Villot erklärte den Mitgliedern des päpstlichen Haushalts, dass der Tod des Papstes geheim bleiben müsse, bis es neue Instruktionen gebe. Weder eine Autopsie noch andere gerichtsmedizinischen Untersuchungen wurden eingeleitet. Dr. Antonio Da Ros, der venezianische Hausarzt Paul I., der ihn noch zwei Wochen zuvor untersucht und attestiert hatte, dass es ihm nicht nur gut, sondern ausgezeichnet gehen würde, wurde nicht einmal in die Nähe des Leichnams gelassen! Stattdessen wurde der Vatikan-Arzt eingeschaltet, der Paul I. nie behandelt hatte und nun einen akuten Herzinfarkt bescheinigte. Den Todeszeitpunkt schätzte er auf etwa 23 Uhr. Ferner wurde die Legende von der schwachen Gesundheit des Papstes gestreut. Einer, der diese Variante unterstützte, war der ehemalige italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti, der Paul I. während desser kurzer Amtszeit getroffen hatte. Er meinte, dass der Papst sehr schlecht aussah, schwitzte und einen »total fertigen« Eindruck machte.290 Guido Knopp und Sebastian Dehnhardt berichten in ihrem Buch Vatikan – Die Macht der Päpste« ebenfalls von einem schlechten Gesundheitszustand des Papstes: massive Kreislaufprobleme, geschwollene Beine


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und eine Augenembolie wegen einer Arterienverkalkung an der Halsschlagader.291 Die Hinterbliebenen und da Ros, Hausarzt Pauls I., sprachen hingegen von einem trainierten und begeisterten Bergwanderer, der keineswegs an einer angeschlagenen körperlichen Verfassung gelitten hatte. Edoardo, der Bruder »Papa« Lucianis, gab zu Protokoll, Albino hätte nie in seinem Leben Herzbeschwerden gehabt. Der Hausarzt des Papstes berief sich auf die ärztliche Schweigepflicht, so dass die medizinischen Unterlagen unzugänglich blieben. »Es drängt sich der Verdacht auf, dass da Ros mit seiner Diagnose völlig falsch lag. Schon der Patriarch von Venedig hätte gut daran getan, sich einen anderen Arzt zu suchen.«292 Damit stellen Knopp und Dehnhardt, die eigentlich den Enthüllungsjournalisten Yallop widerlegen wollen, eine eigene unbewiesene Verschwörungstheorie auf, nämlich die vom unfähigen Hausarzt. Hinzu kommt, dass es ausgerechnet Logenbruder und Kardinalstaatssekretär Villiot war, der über den Tag vor dem Tod des Papstes sagte: »Als ich gestern abend mit Seiner Heiligkeit zusammentraf, war er bei allerbester Gesundheit!« Doch er irrte, stellen Knopp und Dehnhardt lapidar fest, und führen drei »Gegenzeugen« an.293 Yallop will jedoch für seine Recherchen mit einem in Rom residierenden Kardinal gesprochen haben. Und der erzählte eine gänzlich andere Geschichte: »Er (Villot, Anm. d. Autors) sagte mir, was sich ereignet habe, sei ein tragischer Unfall gewesen. Der Papst habe versehentlich eine Überdosis seiner Arznei genommen. Der Camerlengo (Villot, Anm. d. Autors) erklärte, wenn eine Autopsie durchgeführt würde, würde diese zweifellos die verhängnisvolle Überdosierung belegen. Niemand aber würde glauben, dass Seine Heiligkeit einem eigenen Versehen zum Opfer gefallen sei. Manche würden Selbstmord vermuten, andere Mord. So kam man überein, keine Autopsie machen zu lassen.«294 Wenn dies stimmte, dann wäre eindeutig klar, dass der Papst an einem Arzneimittel oder Gift (?) gestorben war. Yallop sprach auch mit dem Facharzt, der dem Papst die Präparate verordnete hatte. »Eine versehentliche Überdosierung scheidet praktisch aus«, meinte Professor Giovanni Rama.295 So aber ordnete Logenbruder Villot bereits wenige Minuten nach Auffinden der Leiche an, dass die Gebrüder Ernesto und Renato Signoracci vom renommiertesten Bestattungsunternehmen Roms um fünf Uhr früh, also noch im Morgengrauen, mit einem Vatikan-


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Wagen abgeholt wurden, damit sie unverzüglich in der Leichenhalle des Vatikans, hinter den verschlossenen Türen des Clementina-Saals, mit der sofortigen Einbalsamierung Paul I. beginnen konnten. Drei Stunden würde sie dauern. Kein Blut und keine Eingeweide konnten so entnommen und damit auch keine Überdosierung oder Vergiftung mehr festgestellt werden. Als offizielle Todesursache wurde Myokardinfarkt angegeben. Doch alle Experten waren der Meinung, dass diese Todesursache ohne eine Autopsie gar nicht festgestellt werden konnte! Eine Leichenöffnung wurde seitens der Verantwortlichen im Vatikan kategorisch abgelehnt, obwohl es auch innerhalb der Kirche Forderungen nach ihr gab. Es hieß, den Papst »schneidet man nicht auf«. Anscheinend wollte die Familie ebenfalls keine weitere Untersuchung der Leiche, denn die glaubte ja an einen »natürlichen« Tod und sah deshalb keine Veranlassung dazu. Darüber hinaus gab es keine offizielle Sterbeurkunde, sondern nur eine »inoffizielle«, ausgestellt von Mario Fontana, dem Direktor des vatikanischen Gesundheitsdienstes. »Der Vatikan atmet, er tratscht, und er lügt«, sagt der Enthüllungsjouranlist David Yallop, dessen Buch mit der These, Papst Paul I. sei ermordet worden, erstmals 1984 erschien und in über 40 Ländern mehr als sechs Millionen Mal verkauft wurde. »Der Vatikan log, wer die Leiche entdeckt hat. Der Vatikan log über die Papiere, die der tote Papst in den Händen hielt. Der Vatikan log über den Gesundheitszustand des Papstes, er log über die versäumte Autopsie und er lügt bis heute!«296 Auch der der P2 nahestehende Giulio Andreotti meinte: »Den ersten Fehler hat Staatssekretär Villot gemacht, indem er gesagt hatte, der Papst sei mit der Nachahmung Christi in der Hand gestorben. Wenn man mit einer Lüge anfängt, dann wird es schwierig.«297 Im Juni 1996 behauptete der Großmeister der P2, Licio Gelli, »von der Verschwörung zur Vergiftung von Johannes Paul I. zu wissen« (Hutchinson).298 Gerüchten zufolge war einem Medikament, das Paul I. benutzte, ein farb- und geruchloses Gift beigemengt worden, das dieselbe Wirkung wie Digitalis, ein natürliches Gift, erzielte. Dennoch wollen auch Guido Knopp und Sebstian Dehnhardt nicht an einen Mord glauben: »Eine Legende! Sie hält einer Prüfung


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nicht stand und lebt doch weiter fort. Die Wirklichkeit sah anders aus. Albino Luciani, der ›lächelnde Papst‹, ist nicht ermordet worden. Er ist zerbrochen an der Kälte seines Amtes. Er starb an einem Blutpfropf, der sein Herz verschloß – einsam und in aller Stille.« Ihren Recherchen nach ist dies ein Faktum. Doch ist zu bedenken: Sie hatten genauso wenig Einblick in die Medizinunterlagen des Hausarztes wie andere, spekulieren ihrerseits über dessen Unfähigkeit, die Krankheiten Paul I. überhaupt oder rechtzeitig erkannt zu haben. Und sie »waschen« Personen rein, Paul Marcinkus beispielsweise, gegen den die italienischen Ermittlungsbehörden immerhin wegen »Komplizenschaft bei betrügerischem Bankrott«, Veruntreuung und anderer Wirtschaftsdelikte im Zusammenhang mit der Banco Ambrosiano Haftbefehl gestellt hatten. Knopp/Dehnhardt meinen dazu lapidar: »Und ist wegen Mitverschulden eines Bankcrashs der Erzbischof gleich ein Verbrecher?«299 Das ist meines Erachtens keine seriöse journalistische Betrachtungsweise bzw. Fragestellung. Hinzu kommt, dass Knoop und Dehnhardt in ihrer Untersuchung nicht einmal erwähnt haben, dass wichtige Vatikan-Verantwortliche, wie Kardinalstaatssekretär Jean Villot, ebenfalls Freimaurer der P2 waren. Stattdessen meinen sie, kein Außenstehender hätte in den Vatikan eindringen können, um den Papst zu vergiften. Aber genau darüber spricht niemand, denn die Feinde kamen vermutlich gar nicht von außen, sondern von innen! Der engste Stab und natürlich das geschäftsführende Oberhaupt der Katholischen Kirche, Kardinal Villot, hatten jederzeit Zugang zu den Privatgemächern des Papstes. Und jener engste Stab war, wie wir von Peccorellis Liste wissen, mit Freimaurern »durchsetzt«, die Johannes Paul I. sicher nicht wohl gesonnen waren, und zwar genau aus den Gründen, die eingangs angeführt wurden. Noch etwas anderes schwingt bei Knopp und Dehnhardt mit, so etwas wie »Kollegen-Neid« gegenüber Yallop, der nur einen »exzellenten Kriminalroman« geschrieben hat. Sie schreiben: »Der ehemalige Aufnahmeleiter eines Fernsehsenders (Yallop, Anm. d. Autors) residiert heute in einem schloßähnlichen Landgut nördlich von London, erschrieben durch sein Papst-Buch. Von der Geheimniskrämerei des Vatikans profitiert er noch heute.«300 Da klingen Knopp/Dehnhardts Worte »Erfolg ist schön, wir gönnen ihm dem Autor« kaum noch glaubhaft.


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Wie auch immer, nach dem plötzlichen und schnellen Tod »Papa« Lucianis, dem »lächelnden Papst«, blieb alles so, wie es die konservativen Kräfte samt den Freimaurerlogen mit der P2, aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika wollten. Der neue Papst war der militante und antikommunistische301 Pole Karol Wojtyla alias Johannes Paul II, der den Heiligen Stuhl wieder auf den früheren Kurs brachte und die konservativen Regeln zur Empfängnisverhütung fortsetzte, die der vermutlich ermordete Luciani kippen wollte. Auch Abtreibung, Sterbehilfe, Empfängnisverhütung und Homosexualität wurden als »in sich sündhaft« gebrandmarkt. Die Probleme mit der IOR wurden vertuscht, Marcinkus blieb weiterhin Präsident der Vatikanbank und P2-Bruder Villot, der auch ganz auf der Seite des Opus Dei stand, weiterhin Staatssekretär. Gelli und Calvi konnten vorerst aufatmen. Das Freimaurer-»Problem« blieb ungelöst, beziehungsweise die vatikanischen Logenbrüder wurden sogar geduldet.

4.1.4.9 Die »Heilige Allianz«: Papst, US-Präsident und Freimaurer-Bankier Aber noch etwas anderes begann mit der Wahl Johannes Paul II. – die historische Allianz, die »holy alliance«, zwischen ihm und dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan. Denn Karol Wojtyla, der erste slawische Papst, hielt den Schlüssel zur Zerstörung des atheistischen, sowjetischen Imperiums in der Hand. Er war der Hebel, um den Kommunismus aus den Angeln zu wuchten. Deshalb war er ein »gewollter« Papst. Manche sprachen später sogar von einem »gemachten« Papst, der durch durch eine »inszenierte« Papstwahl auf den höchsten Stuhl des Vatikan gekommen war. Die Kommunisten verdächtigten sogar Zbigniew Brzezinski als Drahtzieher, den nationalen Sicherheitsberater des früheren US-Präsidenten Jimmy Carter, einen Amerikaner polnischer Abstammung und Anti-Kommunist. Johannes Paul II. verschaffte sich, nicht zuletzt durch seine polnische Abstammung, immer mehr, ja sogar alarmierenden Machtzuwachs in Osteuropa – sehr zum Bedenken der Kreml-Herrscher. Es war schwer, gegen ihn anzugehen. Auch die polnischen Kommunisten konnten dies unter gar keinen Umständen tun. Diese Machtlosig-


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keit war es, die der damalige US-Präsident Ronald Reagan für seine Zwecke nutzte: Papst Paul II. und der Vatikan wurden zu seinen wichtigsten Verbündeten im Kampf gegen den Kommunismus. Er beauftragte CIA-Direktor William Casey, sich regelmäßig mit dem Papst zu treffen und ihn mit Geheimdienstinformationen über die Entwicklung in Osteuropa zu versorgen. Als Johannes Paul II. schließlich 1979 sein Heimatland Polen besuchte und damit eine gewaltige Begeisterung auslöste, bildete er damit einen wesentlichen Anstoß für die Gründung der Gewerkschaft Solidarnoc unter Lech Walesa im August 1980, die dann später auch über Roberto Calvi mit Geldern versorgt wurde. Manche Insider sprachen von einer Summe in Höhe von rund 80 Millionen Dollar! Solidarnoc war die erste nichtkommunistische Arbeiterbewegung – eine polnische Widerstandsbewegung, mitten im Herz der kommunistischen Welt, wenn man so will –, die ihre Macht und Anziehungskraft immer mehr ausbaute. Damit war eine »große revolutionäre Krise« in Osteuropa eingeleitet worden, von der Reagan nun sprach, und der »Kreuzzug für die Freiheit« konnte beginnen. Denn wenn Polen fiel, dann stand das Tor nach Osten weit auf. Vielleicht konnte Osteuropa ja sogar »re-evangelisiert« werden? Solidarnoc war allerdings arm wie eine Kirchenmaus. Was also konnte man tun, um diese Gewerkschaft zu unterstützen? Eine direkte finanzielle Unterstützung der Amerikaner kam nicht in Frage, um nicht einen Dritten Weltkrieg zu provozieren, denn die Sowjets waren bereits aufgeschreckt. Deshalb konnten Gelder nur über eine Stelle laufen: über den Vatikan! Dazu brauchte der Heilige Stuhl einen eiskalten Profi, ehrgeizig, gerissen und skrupellos. Der richtige Mann für einen solchen Posten war Roberto Calvi. Zwischen 1980 und 1982 wurde er so zum Finanzier der antikommunistischen Operation Umsturz im Osten. Diese blieb völlig geheim. Denn es wäre einer der größten Skandale der Geschichte geworden, hätte sich in Zeiten des Kalten Krieges herausgestellt, dass der Papst Gelder der Gläubigen für einen politischen Umsturz im Osten einsetzte! Diese »Heilige Allianz« zwischen dem mächtigsten Mann des Katholizismus, dem slawischen Papst, und dem mächtigsten Mann der Welt, dem US-amerikanischen Präsidenten, führte schließlich zu weltumfassenden Veränderungen, die den Untergang des Kommunismus einleiteten und beschleunigten. Und zum Tod eines Mannes, der bewusst oder unbewusst in den Lauf der Geschichte eingegriffen und


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mit dabei geholfen hatte, die Auflösung des Ostblocks voranzutreiben, dabei aber von den Rädern der Zeit zermalmt wurde: Roberto Calvi, der »Bankier Gottes«. Doch alles der Reihe nach.

4.1.4.10 »Teuflisches« Triumvirat: Logen-Ggroßmeister, Mafiosi, und Erzbischof Anfang der Siebzigerjahre des letzten Jahrhunderts hatte sich ein weiteres verhängnisvolles Triumvirat zusammgefunden: Paul »Gorilla« Marcinkus, Ex-Footballspieler und Ex-Papstleibwächter, der 1970 Paul VI. vor dem Messerangriff eines verwirrten Bolivianers beschützt hatte, Whiskey-, Zigarren- und Golffreund, Präsident der Vatikanbank und US-amerikanischer Erzbischof im Vatikan, der »drittmächtigste« Mann im Kirchenstaat, sowie Michele Sindona, Bankier der italienischen und amerikanischen Mafia und schließlich Licio Gelli, Großmeister der P2-Loge. Sicherlich waren nicht alle »schmutzigen« Geschäfte dieses Trios bekanntgeworden. Unter anderem hatte es ein effektives System entwickelt, um die private italienische Banco Ambrosiano zu kontrollieren. Natürlich gab es auch Verbindungen zur Vatikanbank. Roberto Calvi, der Bankier der P2-Loge, hatte dazu in ausländischen Steuer- und Fluchtparadiesen Zweigbanken und rund 200 Scheinfirmen gegründet, die so vor der Kontrolle der italienischen Finanzämter geschützt waren. Beispielsweise die Banco Ambrosiano Overseas in Nassau/Bahamas, die Banco Ambrosiano del Sud in Buenos Aires/Argentinien, die Banco Ambrosiano Andino in Peru oder die Banco Ambrosiano Holdings in Luxemburg. Für die Geldwäsche und anderen Transaktionen wurde zum Beispiel der Banco Ambrosiano Kapital entzogen und dieses zumeist über die IOR ins Ausland geschafft. Über ein kompliziertes Netz aus den Briefkastenfirmen wurde das Kapital so verteilt, dass niemand mehr feststellen konnte, woher es kam, wem es gehörte und wohin es schliesslich floß. Ein unentwirrbares Konglomerat, »ein Schattenreich aus Fiktion und Halbwahrheiten, das kaum ein Prüfer der italienischen Bankenaufsicht oder des Finanzministeriums überblickte«.302 Der Untersuchungsrichter Emilio Allessandrini versuchte es dennoch und wurde dafür von einer mutmaßlichen linksterroristischen Gruppierung, der Prima Linea, am 29. Januar 1979 auf offener


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Straße erschossen. Und auch Untersuchungsrichter Giorgio Ambrosoli, der noch weiter in das Geflecht um die Banco Ambrosiano vorgedrungen war und am 12. Juli 1979 seine Erkenntnisse in Form eines Abschlußberichtes vorlegen wollte, wurde einen Tag zuvor von dem amerikanischen Auftragskiller William Aricò, einem Schergen Sindonas, vor seinem Mailänder Haus erschossen. Sinn und Zweck dieser Schein- und Tarnfirmen war es, große Finanzspekulationen auf dem internationalen Börsenmarkt zu finanzieren. Es ging nicht nur um Millionen, sondern um Milliarden! Noch ein anderer Finanzbetrug funktionierte prächtig zwischen Calvi und Marcinkus: Über das IOR wurden illegal Lire aus Italien exportiert und dann in Dollars gewechselt. Spezielle Konten der Vatikanbank wurden mit den Lire belastet, die von der Banco Ambrosiano stammten. Anschließend wurden die Lire auf IOR-Konten bei anderen inländischen Banken überwiesen, von denen sie aus wieder transferiert wurden, um schließlich bei der schweizerischen SviroBank in Lugano zu landen. Bei dieser handelte es sich ebenfalls um eine IOR-kontrollierte Kreditanstalt, die für eine hohe Gebühr Lire in Dollar umtauschte. So wurden mittels dieses Geldwäschesystems die inflationären Lire zu stabilen Greenback-Dollars. Ferner trieben die betrügerischen Finanzhaie die Aktienkurse und Immobilienpreise in die Höhe, manipulierten sie oder fälschten Wertpapiere im großen Stil, recycelten aus Drogenhandel stammende Mafia-Gelder und garantierten betrügerische Transaktionen und illegale Parteienfinanzierungen. Gelli und Calvi waren auch im Waffenhandel tätig, sie beteiligten sich beispielsweise bei der Beschaffung von 50 französischen AM39-Exocet-Raketen der Firme Aerospatiale für die argentinische Marineluftwaffe im Falkland-Krieg. Der Preis pro Rakete: eine Million Dollar. Roberto Calvis Banco Ambrosiano war jedenfalls ein wichtiger Faktor im italienischen Machtgefüge, denn seine Bank zahlte nahezu 20 Milliarden Dollar Vermögenswerte an rund 38 000 Aktionäre!

4.1.4.11 Der Zusammenbruch der Banco Ambrosiano Bei den illegalen Bankgeschäften um Calvi kam es schließlich zum Super-Gau: rund 1,3 Milliarden Dollar dieser »Gewinnabschöpfung«


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verschwanden auf dem Euro-Markt in dubiosen Kanälen der Mafia. Diese Summe hatte Calvi von einer luxemburgischen Holding-Gesellschaft mittels der Hilfe von Garantieerklärungen der Vatikanbank erhalten. Über südamerikanische Tochtergesellschaften und Briefkastenfirmen weitergeleitet, wurde das Geld zum Aufkauf von BancoAmbrosiano-Aktien verwendet und etwa 500 Millionen auf Schweizer Konten deponiert. David Yallop meint diesbezüglich: »Der Papst wurde ermordet, um den andauernden Diebstahl der 1,3 Milliarden Dollar zu verschleiern … Die Banco Ambrosiano ist kollabiert. 1,3 Milliarden Dollar sind verschwunden. Warum Papst Johannes Paul I. umgebracht wurde, liegt doch auf der Hand: Weil er dabei war, den Dieben die Grundlage zu entziehen. Er war dabei, sie zu enttarnen – ohne es selbst zu wissen. Am letzten Tag seines Lebens wollte er Marcinkus kündigen. Der Erzbischof sollte nicht weiter die Vatikan-Bank führen. Es gab noch andere Gründe, aber das war ein Schlüsselmotiv!«303 Nun kam Paul Marcinkus ins Spiel, der den fassungslosen Gläubigern eröffnete, die Vatikanbank würde für die verschwundenen Millionen garantieren. Aber eigentlich war diese Garantieerklärung wertlos, denn Calvi hatte ihm nicht nur diese diktiert, sondern gleichzeitig auch deren Aufhebung. Als die Zwangsverwalter schließlich das Geld einforderten, überreichte Marcinkus ein Schreiben Calvis, in dem vereinbart war, dass die IOR von jedem Schaden und jeder Belastung freigestellt war, weil diese Gesellschaften vollständig zum Bereich der Banco Ambrosiano gehörten. Dementsprechend lehnte Marcinkus die Rückzahlung der verschwundenen 1,3 Milliarden Dollar ab. Dies führte zum Zusammenbruch der italienischen Privatbank, dem größten Bankenzusammenbruch der europäischen Geschichte. Jürgen Roth und Berndt Ender meinen dazu: »Der Vatikan als moralische Superinstanz ist tief in dieses dreckige politische Geschäft verstrickt, nimmt eindeutig Partei für die Interessen der multinationalen Konzerne, weil über finanzielle Spekulationen und Transaktionen mit diesen brüderlich verbunden, wobei auch Verbindungen zur Organisierten Kriminalität eine wichtige Rolle spielen. Insofern spielt das Kapital, das der Freimaurerloge P2 über Calvi und Gelli zur Verfügung stand, überhaupt die bedeutsamste Rolle bei der politischen Destabilisierung.« Natürlich wehrte sich der Vatikan gegen diese massiven Vorwürfe,


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sprach davon, Calvi hätte die eigene Bank für ein »geheimes Projekt« missbraucht. »Das IOR trägt keine Verantwortung an dem Zusammenbruch der Banco Ambrosiano, in den es unfreiwillig verwickelt wurde«, hiess es dann auch im L’Osservatore Romano. »Trotzdem hat das Institut nach Erwägung der objektiven Situation beschlossen, einen freiwilligen Betrag zu leisten …, im Geiste der gegenseitigen Versöhnung und Zusammenarbeit.«304 So zahlte der Heilige Stuhl flux eben einmal rund 375 Millionen Euro (andere Quellen sprechen von 243 Millionen Dollar) an geschädigte Gläubiger! Es wurde aber von den Verantwortlichen des Vatikans betont, dass dies nicht als Schuldeingeständnis verstanden werden dürfe, sondern als eine »Geste des guten Willens«. Licio Gelli sagte dazu: »Und genauso war mir natürlich bekannt, dass der Vatikan sehr viel Geld vorher verdient haben musste, um danach in der Lage gewesen zu sein, 250 Millionen Dollar an die Gläubiger zurück zu zahlen. Das liegt doch auf der Hand: Wenn die Kirche in diesem Fall mal gegeben hat, dann muß sie vorher enorm viel mehr genommen haben.« Er musste es ja wissen. Auch in seine Taschen, beziehungsweise die seiner Loge, sollen rund 320 Millionen Dollar geflossen sein, erhalten von Logenbruder Calvi.305 Interessanter Weise existierte da noch ein anderes, »dunkles« Geheimnis um die verschwunden Milliarden: Ein Teil der Gelder sollte der Vatikan für die Finanzierung der polnischen Solidarnosc benutzt haben. Natürlich wusste Calvi davon. Er war ja der Mittler zwischen Heiligem Stuhl und der Gewerkschaftsbewegung – und lenkte den »unheiligen« Geldstrom. Er wusste einfach zu viel und saß auf dem »Schleudersitz«. Schon vorher hatte sich der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Banco Ambrosiano, Roberto Rosone, mit einigen Aktionären mit einem Beschwerdebrief an den Vatikan gewandt. Sie wiesen auf Roberto Calvis Mittlerrolle zwischen der Freimaurerloge und der Mafia hin. Dafür wurde Rosone vor einer Bankfiliale in die Beine geschossen. »Gamizzazione« hieß dieser italienische Brauch Verräter zu warnen. Schwer verletzt überlebte Rosone und flüchtete nach Monte Carlo ins Exil. Auch Calvi wandte sich an den Vatikan mit einer Bitte um Hilfe, sprich ausgerechnet an den Opus Dei, weil dieser die finanziellen Mittel besaß, sein Imperium vor dem drohenden Untergang zu retten.


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Doch ohne Erfolg. Wahrscheinlich erhielt Calvi durch das Opus Dei eine Abfuhr, weil diese Organisation den fundamental-katholischen Flügel des Vatikans darstellte, der im Machtkampf mit den vatikanischen Freimaurern stand. Und Calvi war durch seine Mitgliedschaft bei der P2 ja auch Freimaurer. Auch Logenbruder Licio Gelli verlangte wieder mal Geld von Calvi, der schon längst keines mehr hatte: 80 Millionen Dollar für irgendwelche Waffengeschäfte. Zusätzlich erteilte ihm die italienische Börsenaufsichtsbehörde die verbindliche Auflage, alle Aktionäre seiner maroden Banco Ambrosiano offen zu legen und kündigte zudem eine unabhängige Prüfung der Bücher an. Ferner wurde Calvi illegaler Währungsexport von rund 125 Millionen Euro vorgeworfen, eher eine »untertriebene« Summe. Am 20. Mai 1981 schließlich verhaftete die Guardia di Finanza, die italienische Finanzpolizei, den Bankier in seiner Mailänder Wohnung wegen illegaler Kapitalausfuhr. Am 21. Juli 1981 wurde Roberto Calvi von einem Mailänder Gericht wegen illegalen Kapitalexports zu vier Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 16,5 Milliarden Lire verurteilt. Er selbst konnte jedoch das Urteil nicht persönlich entgegennehmen, weil er wegen eines Selbstmordversuchs im Krankenhaus-Gefängnis von Lodi lag. Drei weitere Mitangeklagte wurden ebenfalls verurteilt. Doch Calvi kam sofort wieder auf freien Fuß, weil das Urteil noch nicht rechtskräftig war und seine Anwälte in die zweite Instanz gingen. Trotz aller hier aufgezeigter Vorgänge blieb Calvi auch weiterhin an der Spitze der Banco Ambrosiano. Nur eines änderte sich: Es bildete sich großes Misstrauen zwischen ihm und seinem einstigen Geschäftspartner Paul Marcinkus. Einmal soll der Bankier zum Stellvertreter des Erzbischofs, Luigi Mennini, gesagt haben: »Nehmen Sie sich in acht! Wenn herauskommt, dass Sie Solidarnosc Geld gegeben haben, dann wird im Vatikan kein Stein auf dem anderen bleiben!« Das war taktisch unklug, denn es besiegelte wahrscheinlich auch Marcinkus Todesurteil! Die Papiere, die den Geldstrom zwischen Vatikanbank und Polen belegten, trug der Bankier immer bei sich. Er benutzte sie, um den Vatikan zu erpressen. Und sie sollten ihm dabei helfen, wieder als Bankier aufzusteigen. Damit fasste er, im übertragenen Sinne, glühende »Drähte« an – und verbrannte sich. Wer diese berührte, der musste sterben. So wie andere auch: Sindona, Pecorelli, Moro, selbst Papst Luciani.


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Calvi startete einen letzten Versuch, das sinkende Schiff und auch seine Person zu retten. Er schrieb an Papst Johannes Paul II. einen Brief, weil dieser wohl gar nicht richtig über das »Wesen der jahrelangen Beziehungen« zwischen seiner »Gruppe« und dem Vatikan informiert gewesen sein sollte. »Auf das ausdrückliche Ersuchen Eurer verfügungsberechtigten Vertreter hin habe ich Finanzierungen für viele Länder und politisch-religiöse Organisationen im Osten wie im Westen zur Verfügung gestellt« heißt es da. »Ich war es, der auf Wunsch der vatikanischen Behörden in ganz Süd- und Mittelamerika die Schaffung zahlreicher Bankunternehmen koordinierte – mit dem Ziel, neben allem anderen das Vordringen und die Ausweitung marxistischer Ideologien einzudämmen. Nach all dem bin ich nun derjenige, der hintergangen und fallengelassen worden ist von eben jenen Instanzen, denen ich stets den größten Respekt und Gehorsam erwies.«306 Statt der erhofften Unterstützung erhielt Calvi nichts – nur eisiges Schweigen. Er selbst konnte diese Undankbarkeit nicht verstehen, schließlich hatte er sich für den Vatikan so sehr eingesetzt. Und jetzt wurde er einfach mit seinen eigenen Problemen sitzengelassen. Calvi griff zum letzten Strohhalm, der aber zu einem Boomerang werden sollte: Er versuchte in einem Brief vom 5. Juni 1982 den Papst zu erpressen: »Viele bedrängen mich und machen mir verlockende Angebote, damit ich über meine Aktivitäten im Auftrage der Kirche rede, viele wollen von mir wissen, ob ich Waffen an andere Organisationen des Ostens geliefert habe – Aber bisher habe ich nichts gesagt«, schrieb er dem Kirchenoberhaupt.307 Nach diesem »Erpresser«-Schreiben zog sich die Schlinge um seinen Hals – im wahrsten Sinne des Wortes – immer enger zu. Kurz, nachdem Calvi dieses Schreiben verfasst hatte, sollte »Der Ritter« in Italien vor Gericht erscheinen, um sich in Bezug auf die unsauberen Devisengeschäfte der Banco Ambrosiano zu rechtfertigen. »Auspacken« wollte er da, sagte sein Sohn Carlo Calvi später. »Alles erzählen«, was er über die Hintergründe der Finanzprobleme der Bank wusste und über die Scheinfirmen des Vatikans. Und noch mehr: »Mein Vater hatte ausdrücklich gesagt: Wenn der Devisenprozess für ihn schief gehe, wenn die Bank abstürzen sollte, dann wäre ihm, um sich zu verteidigen, nichts anderes übrig geblieben, als die Finanzierung von Solidarnosc durch den Vatikan zu enthüllen – als die wahre Ursache der Schieflage der Bank.«308


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Am 17. Juni wurde Calvi als Bankpräsident schließlich entmachtet. Er hatte keine Kontrollmöglichkeit mehr, war »nutzlos« und zu einem »Niemand« degradiert worden, der aber zu viele Geheimnisse wusste. Calvi flüchtete im Juni 1982 nach Österreich, nachdem auch Christdemokrat Giulio Andreotti in einem Gespräch mit ihm auf Distanz gegangen war. Vielleicht weil Calvi begonnen hatte, mit der Sozialistischen Partei Geschäfte zu machen, ihre finanzielle Basis zu verbreitern? In Wien kassierte Roberto Calvi aus unbekannter Quelle 18 Millionen Dollar, reiste in die Schweiz und traf sich dort mit bekannten Waffenhändlern, um schließlich nach London weiter zu fliegen. Aufgrund seiner destruktiven Transaktionen, dem Zusammenbruch der Banco Ambrosiano und den daraus resultierenden erheblichen Finanzschäden für jene, die mit ihm Geschäfte machten, hatte sich Calvi mächtige Feinde geschaffen: den Vatikan, die Freimaurer und die Mafia, die hohe Geldsummen bei der Banco Ambrosiano eingelagert hatte. Das alles machte ihn zu einem nutzlosen, unbrauchbaren Verlierer. Und noch mehr: Calvi hatte seiner Tochter gegenüber angedeutet, dass ein Papst zurücktreten müsse, wenn er aussagte. Und selbst wenn der ganze Petersdom verkauft werden würde, es nicht reichte, um der Finanzkrise zu entkommen, die dann auch noch über die Priester hereinbräche. Dieses Wissen brachte ihm den Tod. In England. Unter einer Themse-Brücke.

4.1.4.12 »Politischer« Ritualmord Roberto Calvi? Am 17. Juni 1982 wurde Roberto Calvi von dem Postbeamten Anthony Huntley in London gefunden – erhängt an einem Baugerüst unter der Blackfriars-Brücke, der »Brücke der Schwarzen Brüder«, das für Restaurationsarbeiten installiert worden war. Mit einem roten Tau um den Hals hing er von dem Baugerüst, bis zum Bauch ins brackige Wasser der Themse getaucht. Seine Armbanduhr war um 1.56 Uhr stehen geblieben. Bei sich trug er ein Flugticket nach Rio de Janeiro, rund 7000 englische Pfund in verschiedenen Währungen und einen gefälschten Pass auf den Namen Gian Roberto Calvini sowie vier Brillen. Seine Schlüssel fehlten. Die waren nämlich in seiner Aktentasche und die war verschwunden. Jahre darauf wurde bekannt, dass Flavio Carboni die Aktentasche in Besitz hatte. Es darf vermutet


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werden, dass sich neben anderen wichtigen Dokumenten darin auch jene befanden, die den Geldtransfer zwischen Vatikan und Solidarnosc belegten, und die der Bankier immer bei sich trug. Er machte keine Kopien seiner Unterlagen, es gab nur Originale. Erst später sollte sich herausstellen, dass Teile der Unterlagen aus dieser Tasche zu zwei führenden P2-Logenmitgliedern gelangten – und zwar nach Genf, in eine abgelegene Villa. Nämlich zu Großmeister Licio Gelli und seinem Vize Umberto Ortolani! Und Gelli war es auch, der später sagte: »Alle Geheimnisse in dieser Sache, die kennt nur Erzbischof Marcinkus.«309 Spielte er damit dem Vatikan den Ball zu? Ersticken durch Erhängen war die offizielle Todesursache Roberto Calvis. Dies hatte die erste Autopsie am 18. Juni 1982 ergeben. Laut englischer Polizei war es ein Selbstmord, weil der Bankier nicht über den Zusammenbruch seiner Bank hinweggekommen wäre. Aus diesem Grunde wurde auch das Gerüst unter der Blackfriars Bridge nicht kriminaltechnisch untersucht – ein schwerwiegender Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Calvis Witwe Clara Canetti erklärte jedoch, dass die »Loge P2, Opus Dei und führende christdemokratische Politiker« für den Tod ihres Mannes verantwortlich seien und dass der wahre »Chef« der P2 Giulio Andreotti gewesen sei, den sie, wie Bettino Craxi, der Chef der Sozialistischen Partei Italiens und politischer Gegenspieler Andreottis, »Beelzebub« nannte310. Und weiter: »Wir lebten in einem Klima immerwährender Angst und ständiger Todesahnungen.« Eine der letztenm Äußerungen ihres Mannes war: »Wenn sie mich umbringen, wird der Papst abdanken müssen.« Und dass Andreotti gedroht hätte, ihn umzubringen!311 Der Mafia-Überläufer Francesco Mannoia sagte 1991 aus, Calvi hätte riesige Mengen an Geldern der Cosa Nostra und der P2 veruntreut und sei deshalb mit dem Tod bestraft worden. Fürwahr, Calvis Mörder hatten etwas Symbolisches zurückgelassen: fünf Kilogramm Backsteine in seinen Hosentaschen, die wohl das Gewicht erhöhen sollten, so wurde in der Öffentlichkeit behauptet. Insider jedoch sprachen von »rituellen Ziegelsteinen«, die man der P2 zuordnete. Genauer gesagt: Vier große Steine wurden in Calvis Taschen gefunden; ein Backstein war so grob in seinen Hosenschlitz gestopft worden war, das einer der sechs Knöpfe abgeriss! Die Steine in den Taschen war eine Warnung an andere, dass gestohlenes


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Geld den Tod brachte. Ein Backstein im Schritt war der Lohn für Verrat. Brachte sich jemand mit Ziegelsteinen und den Taschen voller Geld selbst um? War das Ganze ein Ritualmord der Freimaurer? Funktionierte die Hinrichtung nach dem Motto des als Verschwörungstheoretiker geltenden E. R. Carmin: »Verräter werden dort gehenkt, wo der Fluß ihre Leiche bedeckt«?312 Der amerikanische Enthüllungsjournalist Jim Marrs spricht davon, dass die »Begleitumstände seines Todes … eindeutig den Beigeschmack von freimaurerischen Strafexerzitien« hatte.313 Die Journalistin Valeska von Roques beschäftigt sich in ihrem Buch Verschwörung gegen den Papst auch mit Calvi. Sie erklärt: »In den Taschen Calvis fanden sich Ziegelsteine, ein Symbol der Freimaurer.«314 Und auch die Tatortwahl war perfekt: die Blackfriars Bridge. Denn dadurch lautete die Botschaft: »Bei Todesgefahr – hütet euch davor, über die Angelegenheiten der black friars (der Schwarzen Mönche, war damit die P2 gemeint?, Anm. d. Autors) zu reden.« Eine »mysteriöse, fast okkulte Art der Ermordung«.315 Heribert Blondiau und Udo Gümpel, die in ihrem Buch Der Vatikan heiligt die Mittel den Mord am »Bankier Gottes« akribisch recherchierten, meinen: »Der Tod Calvis war eine Warnung an alle Geheimnisträger, den Mund zu halten. Er zögerte die Säuberung des italienischen Staatsapparates und Parteiensystems von den allerkorruptesten Elementen um gut zehn Jahre hinaus. Der Tod Calvis war ein Ritualmord: ›Wer verstehen sollte, verstand‹, sagt man dazu in Italien. Die Drohung saß.« Und weiter: »Heute wird der Tod von Roberto Calvi beinahe schon als Musterbeispiel für einen Ritualmord im Kriminalistik-Studium behandelt, schon wegen all der absonderlichen Details, wegen des Ortes, sogar des Namens der Brücke ›Blackfriars Bridge‹, ›Brücke der Schwarzen Brüder‹. Wer waren die ›Schwarzen Brüder‹? Das waren die Inquisition und ihre Priester.«316 Ein Tag vor Calvis Tod war seine persönliche Sekretärin und Buchhalterin der P2, Graziella Corrocher, aus dem vierten Stock eines Fensters der Banco Ambrosiano in Mailand gestürzt, oder war gestürzt worden. Doch auch in diesem Fall wurde das Ganze offiziell als Selbstmord dargestellt. Corrocher hatte scheinbar einen Zettel hinterlassen, auf dem stand: »Zweimal verflucht sei Calvi für das Unglück, das er über die Bank und ihre Angestellten gebracht hat.«317 Auch der Vizedirektor der Bank wurde erschossen. Entscheidende Mitwisser also, die eliminiert werden mussten? Auch die – später des


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Mordes an Calvi verdächtigten – Vincenzo Casillo und Sergio Vaccari hatten höchst »mysteriöse« Methoden des Freitodes gewählt: Casillo hätte sich demzufolge selbst mit einer Autobombe in Rom in die Luft sprengen müssen! Und der Antiquitätenhändler Sergio Vaccari, der mit Calvi kurz vor seinem Tod in London noch zusammen gewesen war, ihn sogar zum letzten Treffpunkt mit seinem Killern brachte, und meinte, dafür müsste er besser bezahlt werden, hätte sich selbst mit 18 Messerstichen in Gesicht und Brust umbringen sollen. Im September 1982 fand eine Putzfrau seine Leiche, auf einem Sessel lag eine offene Aktentasche mit dem Dokument einer italienischen Freimaurerloge! Später wurden die Ermittlungen nach den Mördern eingestellt, das Verbrechen blieb ungeklärt.318 Die italienischen Zeitungen überschlugen sich mit Vermutungen und Hyptohesen und vielleicht der Wahrheit, in dem sie über eine »Hinrichtung eines Logenbruders, der zu viel wusste« berichteten, oder über »Mauersteinen in den Taschen, wie es sich für Freimaurer gehört«.319 Noch ein anderer sprach von Mord: der Schweizer Jürg Heer, ehemaliger Direktor der Zürcher Rothschild Bank, der bei unsauberen Geschäften rund 33 Millionen Euro für sich eingestrichen haben soll und der im Jahre 1997 von deutschen Zielfahndern des Bundeskriminalamtes in einem thailändischen Badeort verhaftet wurde. Verschiedenen Zeitungen erklärte er: »Über die Rothschild Bank sind die fünf Millionen Dollar geflossen, die ich persönlich den beiden Mördern des italienischen Bankiers Roberto Calvi ausgehändigt habe … Ich kenne auch den Namen dessen, der die letzte Entscheidung gefällt hat. Suchen Sie ihn im Kreis des Logenmeisters Gelli, des Unternehmers Ortolani und des Industriellen Bruno Tassan-Din.« Hinzufügend erklärte Heer, dass er beweisen könne, dass Calvis Tod eine »konzentrierte Aktion der italienischen Geheimdienste und der Freimaurerloge P2« gewesen sei.320 Nicht vergessen werden darf, dass auch der Sohn des ermordeten Roberto Calvi, Carlo Roberto, der in Washington die Banco Ambrosiano Service Corporation leitete, an anderer Stelle aussagte, dass sein Vater von Andreotti persönlich bedroht worden war. Roberto Calvi habe diese Drohung als Morddrohung verstanden. 1982 veranlasste ein italienischer Untersuchungsrichter, Calvi zum zweiten Mal zu obduzieren. Das Ergebnis bestätigte die Londo-


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ner Gerichtsmediziner: Selbstmord und keine Anzeichen von Mord. Dennoch entschied am 27. Juni 1983 der englische Lordrichter Lane, dass betreff Todesursache im Fall Calvi alles offen wäre. Selbstmord wie auch Mord wären denkbar. Am 1. Dezember 1988 sprach das Zivil-Tribunal von Mailand das erste Mal von »Mord« und verurteilte eine Versicherungsgesellschaft zur Auszahlung der Lebensversicherung an die Hinterbliebenen. Am 27. Mai 1991 schließlich wurde das Untersuchungsverfahren »Mord an Roberto Calvi« eröffnet, 1997 beantragte die Staatsanwaltschaft Haftstrafen gegen die mutmaßlichen Mörder Pippo Calò und Flavio Carboni. Dazu kam es, weil bereits im Juli 1991 der Mafiosi Francesco Marino Mannoia zum Kronzeugen im Fall Calvi wurde. Er wollte auspacken, um nicht lebenslang hinter Gittern zu bleiben, da er im Rahmen einer Drogenermittlung im großen Stil bereits 1985 von amerikanischen Ermittlungsbehörden verhaftet worden war. So wurde bekannt, dass Roberto Calvi, der auch für die Mafia gearbeitet hatte, »unzuverlässig« geworden war, weil er viel Geld der Cosa Nostra bei schlechten Geschäften verloren hatte. In diesem Mordkomplott waren offensichtlich neben dem »Finanzminister« der Mafia, Pippo Calò, auch der Führer der P2, Licio Gelli, und ein weiterer Mafiosi, Flavio Carboni, maßgeblich mit eingebunden. Die Tat sollte nicht in Italien, sondern in England durchgeführt werden, weil es hier scheinbar sicherer war. Hier hatte auch die Mafia eine feste Basis, die bis in den Rechtsextremismus reichte. Das Mordwerkzeug sollte Francesco »Frank« Di Carlo sein, der »Schlächter von Altofonte« – so jedenfalls wurde er auf Sizilien genannt. Er habe Calvi erwürgt und dann aufgehängt. Später wurde noch gemutmaßt, dass es sich bei Calvis Mörder auch um Vincenzo Cassilo gehandelt haben könnte, der als Anführer des Killerkommandos in London galt und am 23. Januar 1983 durch eine Autobombe in die Luft gesprengt wurde. Man kann feststellen: Calvi hatte wahrhaft mächtige Feinde: zum einen den Vatikan, den er in Bezug auf die Solidarnosc-Geschäfte zu erpressen versuchte, zum anderen die Mafia, die durch ihn viel Geld verloren hatte. Und mittendrin die Freimaurerloge P2. Nach diesen Enthüllungen beauftragten Carlo Calvi und seine Mutter das amerikanische Detektivbüro Kroll für eine Million Dollar, den mysteriösen Tod des Vaters und Ehemanns erneut zu untersuchen. Steven Rucker, einer der Geschäftsführer, betraute damit Jeffrey


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M. Katz, einen ehemaligen Nachrichtenoffizier der amerikanischen Luftwaffe. Er und sein Rechercheteam fanden heraus, dass Beweismittel in den Händen der Polizei vernichtet oder »verlegt« worden waren. Akribisch studierten sie die englischen Gerichtsakten und erarbeiteten eine minutiöse Rekonstruktion des Todesfalles Roberto Calvi. Das taten sie zusammen mit Dr. Angela Gallop, der ehemaligen Leiterin des Labors für Forensische Untersuchungen beim britischen Innenministerium und ihrem Kollegen Dr. Clive Candy, dem ehemaligen Forschungsleiter des Forensischen Labors der Londoner Polizei. Die Detektive der Kroll Associates Incorporated und die gerichtsmedizinischen Experten verwarfen die Selbstmordtheorie und sprachen eindeutig von Mord! Der 120 Kilogramm schwere Bankier hätte nie das Gerüst unter der Brücke erreichen können und zudem hätte er beim Sprung ins Wasser einen Weg von eineinhalb Metern zurücklegen müssen, bevor sich das Seil um seinen Hals spannte. »Bei dieser Fallstrecke erfolgt die Abbremsung bereits so wuchtig, dass im Halsbereich schwerste Verletzungen auftreten müssten, was bei Calvi nicht der Fall war« (von Rétyi).321 Außerdem führte die Themse zum Zeitpunkt von Calvis Tod, der bislang gegen 7.30 Uhr vermutet wurde, Niedrigwasser. Die Schuhe des Bankiers baumelten über der Wasseroberfläche. Bei Laboruntersuchungen der Schuhe und der Kleidung konnte festgestellt werden, dass er zwischen 1.50 und 2.40 Uhr ermordet worden war. Da während dieses Zeitraumes die Themse ihren höchsten Wasserstand erreichte, war es ausgeschlossen, dass Calvi vom Ufer aus das Gerüst unter der Brückenkonstruktion erreicht hätte, wie offiziell angenommen. Ferner bewiesen weitere Untersuchungen, dass er mit der Eisenkonstruktion nicht in Berührung gekommen war. Jemand musste ihn also mit einem Boot dort hingebracht und bereits tot aufgehängt haben, denn er wies auch – entgegen der Behauptung des englischen Gerichtsmediziners, an Calvis Leiche wären keinerlei Spuren von Gewalt zu sehen – tatsächlich Male und Kratzer auf. Die Verletzungen zeigten, dass dem Bankier eine Schlinge von hinten über den Kopf gestreift worden war und er dabei wohl mit Fingernägeln gekratzt wurde. Flecken am Rücken seiner Kleidung deuteten darauf hin, dass er auf eine feuchte Fläche gelegt worden war, bevor er an das Gerüst gehängt wurde. Der Politikwissenschaftler Robert Hutchinson erklärt dazu: »Die


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forensische Untersuchung zum Tod Roberto Calvis kostete die Familie Calvi über 150 000 Pfund. Sie erbrachte den Beweis, dass die Londoner Polizei keinerlei gerichtsmedizinischen Untersuchung am betreffenden Ort durchgeführt hatte.« Und weiter: »Vor allem aber stellte die Untersuchung … die These der Polizei bloß, wonach Calvi, ein 62-jähriger Bankier, der körperlich nicht gerade fit war und Medikamente gegen Schwindelanfälle einnahm, aus selbstmörderischem Antrieb heraus seinen Gürtel und seine Krawatte – die nie gefunden wurden – abnahm, den Schlüssel zu seinem Hotelzimmer wegwarf, sich mitten in der Nacht den Schnurrbart abrasierte, sich 5,4 Kilogramm schwere Steine in die Taschen und einen Ziegelstein, den er vermutlich auf einer nahe gelegenen Baustelle aufgesammelt hatte, in den Hosenschlitz stopfte, mehr als hundert Meter weit … ging, über ein hohes Geländer kletterte, auf einer Metalleiter etwa drei Meter zu den dunklen Strudeln des Flusses hinabstieg, über einen meterbreiten Spalt auf ein wackliges Gerüst sprang, sich schwankend bis zu dessen Ende vortastete, ein drei Meter langes Seemannstau herauszog, das er zufällig in der Tasche hatte, sich eine Schlinge um den Hals legte, das andere Ende des Seils durch eine Öse in einen der Gerüsthalter steckte und dann in den Fluß sprang, um so auf eine höchst unwürdige Weise zu sterben.«322 Die Hinterbliebenen der Calvis schickten diesen neuen forensischen Untersuchungsbericht an den britischen Innenminister, damit die Ermittlungen offiziell neu aufgenommen wurden. Doch Kenneth Clarke teilte ihnen lediglich in einem Brief mit, dass er »keine Befugnis« hätte, in dieser Angelegenheit einzugreifen. Aber wer denn dann? Schließlich war Clarke als Innenminister die höchste Stelle in polizeilichen Angelegenheiten! Nach über zehn Jahren Suche nach der Wahrheit mussten die Hinterbliebenen Calvis schließlich aufgeben: Sie hatten keine finanziellen Mittel mehr. Über drei Millionen Dollar standen alleine für die Detektei noch offen, die wohl kurz vor einem Durchbruch stand, aber die Ermittlungen wegen der Außenstände einstellte. Im Mai 1996 setzte die Kroll Associates ein Säumnisurteil von 3,8 Millionen Dollar gegen die Calvis durch. Carlo Calvi sprach von »okkulten Kräften«, die seinen Vater vernichtet hatten. Die Leiche seines Vaters wurde 1992 exhumiert. Die gerichtsmedizinischen Fakten ließen tatsächlich den Schluß zu,


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dass er getötet worden war. 1998 ordnete ein römischer Untersuchungsrichter eine dritte Autopsie an. Das gerichtsmedizinische Team, zu dem auch Professor Bernd Brinkmann von der Universität Münster gehörte, fand Spuren für einen Schlag auf den Hinterkopf Calvis und für eine Fesselung an Händen und Druckstellen an den Füssen. Nicht gefunden wurden dagegen mikroskopische Spuren des Gerüstes oder des Seils unter seinen Fingernägeln. Aber ein Selbstmörder müsste ja wenigstens einmal das Gerüst, an dem er sich erhängte, oder das Seil, mit dem er sich aufknüpfte, berührt haben! Alles in allem stellte sich heraus, dass die Mörder Roberto Calvis ihn aus seinem Londoner Hotel gelockt und betäubt hatten, um ihn dann von der Flussseite aus an das Gerüst unter der Themse-Brücke zu hängen. Er musste sterben, weil er zu viel wusste und weil er darüber reden wollte. Aber erst 13 Jahre später und 23 Jahre nach dem Tod des »Bankier Gottes« begann am 6. Oktober 2005 vor einem römischen Schwurgericht der Prozess in der Mordsache Roberto Calvi. Solange war es »einflussreichen Kräften« gelungen, das Ganze auf Eis zu legen. Und da, wo es einen Mord gab, gab es auch einen oder mehrere Auftraggeber. Die wurden im Falle Calvis nicht nur im mafiösen Umfeld vermutet, sondern auch im politischen Spektrum. Aber das Gericht sah das anders: aus einem politischen Mord sollte eine reine MafiaSache werden. Denn verantworten mussten sich »nur« der MafiaBoss Pippo Calo, drei weitere Personen und auch Flavio Carboni, Mitglied der P2. Er war der Dreh- und Angelpunkt zwischen den Banken, den Mafiosi, dem Vatikan und den Freimaurern. Er sollte Calvi nach London dirigiert und so letztlich seinen Mördern zugeführt haben. Und er hatte einmal gesagt: »Roberto Calvi war ein sehr fähiger, bedeutender Mann, der das Pech hatte, zu verlieren.« Carboni zeigte sich beglückt, dass die Staatsanwaltschaft den Mord an Calvi nur an der Mafia abhandeln wollte, das Mordmotiv nur der Veruntreuung von Mafia-Geldern festmachte. Das sei »mehr als dünn«.323 Gewiß, die politischen Mordmotive waren gewichtiger: Der Vatikan musste befürchten, dass Calvi die »Schmuddel-Geschäfte« der Vatikan-Bank öffentlich machte, genauso den Geldtransfer an die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. Das hätte einen ungleich heftigeren Skandal ausgelöst und eventuell die mit den SolidarnoczGeldern eingeleitete Niederlage des Kommunismus gestoppt. Calvi


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musste also auf jeden Fall beseitigt werden. Wer also wäre besser dafür prädestiniert gewesen als eine Kombination von Geheimdiensten, Mafia, Vatikan und Freimaurerloge? Bei dem Prozess sagte ein Kronzeuge aus, dass die Tötung des Bankiers im Mai 1982 im Haus Flavio Carbonis, des P2-Mannes, geplant wurde. Mit dabei war unter anderen auch Paul Marcinkus! Calvis Ermordung soll beschlossen worden sein, weil er den Vatikan erpressen wollte. Ein zweites Treffen soll es dann kurz darauf in Mailand gegeben haben. In diesem Zusammenhang fielen die Namen Casillo, Corrado Lacolare, Alfredo Bono, Antonio Virgilio und Luigi Monti sowie Francesco Di Carlo. Dabei sollen Casillo und Di Carlo den Mord »persönlich ins Werk gesetzt« haben. Bono, Virgilio und Monti waren eng mit der Firma Par. Ma. Fid. verbunden, über die sie Geld wuschen und die unter anderem auch eine Unternehmensbeteiligung an einer Gruppe von Aktiengesellschaften hatte, mit Sitz in Mailand. Deren gesetzlicher Vertreter war Luigi Foscale, der Onkel und P2-Logenbruder Sivlio Berlusconis, des späteren italienischen Ministerpräsidenten. Gellis Name tauchte auch immer wieder in den Ermittlungen zur Ermordung Calvis auf.324 Sein Name fiel sogar als Auftraggeber! Das Motiv für die Tötung Calvis soll gewesen sein, dass dieser sich Gelder angeeignet hatte, die ihm nicht zustanden.325 Nach dem Mord traf sich Carboni wieder mit seinem ganzen Freundeskreis in der Schweiz, wo sich Gelli immer noch vesteckt hielt. Wer bei diesem Prozess auf eine Verurteilung der Angeklagten gehofft hatte, sah sich getäuscht. Am 6. Juni 2007 wurden alle fünf Angeklagten freigesprochen! Vier von ihnen aus »Mangel an Beweisen«. Auch die Frage nach den Auftraggebern, den Hintermännern und Drahtziehern blieb unbeantwortet. Dazu läuft zwar noch ein eigenes Verfahren, aber schon seit so langer Zeit, dass niemand ernsthaft daran glaubt, dass je die Wahrheit ans Licht kommt.

4.1.4.13 Freimaurer-Großmeister Licio Gelli auf der Flucht Licio Gelli, der Großmeister der Loge P2, hockte über Allem wie eine Spinne im Netz. Doch sein »Netz« zeigte zu jener Zeit Risse: Die italienische Justiz warf ihm politische Verbrechen vor, beispiels-


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weise die Beteiligung am Bombenattentat auf dem Bahnhof von Bologna (zusammen mit dem Neofaschisten Stefano delle Chiaie), bei dem 85 Menschen ums Leben kamen, sowie betrügerischen Bankrott zum eigenen Vorteil und Verschwörung. Bei einer Hausdurchsuchung am 17. März 1981 in seiner Villa Wanda, so genannt nach seiner Frau, in Castiglion Fibocchi in der Nähe des toskanischen Arezzo, fand die Finanzpolizei unter Oberst Bianchi in einem Panzerschrank eine Liste mit 962 Namen von P2-Logenmitgliedern, geheime Regierungsdokumente und Dossiers über zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Darunter auch die Namen von Mafiosi, die Politiker kauften. »In den Logen der Freimaurer trafen sich gleich beide – Geschäftsleute wie Politker« (Mai).326 Oberst Bianchi ist es zu mit zu verdanken, daß diese Dinge an das Licht der Öffentlichkeit gelangten. Er widerstand den Einschüchterungsversuchen seines Vorgesetzten Orazio Giannini, Finanzpolizeigeneral und P2-Mitglied, und vertuschte diesen Fund keinesfalls! Allerdings hatte Bianchi nur eine unvollständige Liste gefunden. Andere Teile hatte Gelli bereits nach Montevideo verbringen können. Dort hielt er sich auch während der Durchsuchungsaktion auf, wurde aber über die Vorkommnisse unterrichtet. Nur die Öffentlichkeit erfuhr monatelang kein Sterbenswörtchen darüber! Die brisante Liste wurde dem christdemokratischen Premierminister Amaldo Forlani ausgehändigt, der sie aber zwei Monate lang geheim hielt und erst dann veröffentlichte! Der Großmeister Gelli war zuerst nach Brasilien, dann im April 1981 nach Uruguay, daraufhin nach Paraguay und anschließend nach Buenos Aires geflohen. Allein hier besaß er Ländereien, Grundstücke und ein Vermögen von zusammen rund acht Millionen Euro. Seinen Posten nahm indessen Francesco Pazienza ein – neben Licio Gelli einer der bedeutendsten Mittelmänner zwischen der Regierung Reagan und der italienischen politischen Führung, der vom damaligen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti gedeckt wurde. Dennoch kehrte Gelli nach Europa zurück. Über eine Schweizer Bank in Genf wollte er 55 Millionen Dollar nach Südamerika transferieren. Trotz seines falschen argentinischen Passes und seiner Maskerade – er hatte sich seine weißen Haare braun gefärbt und sich einen Schnurrbart angeklebt – wurde er am 13. September 1982 in der Bank verhaftet. Kurz darauf ließ ein Tessiner Staatsanwalt seine


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Konten in Genf einfrieren. Doch er blieb nicht lange im im modernen Sicherheitstrakt des Schweizer Gefängnises in Champ Dollon. Vielleicht, weil mächtige Leute auch mächtige Freunde haben. Wie beispielsweise Umberto Ortolani, den ehemaligen »Finanzminister« der Loge P2 und rechte Hand des Großmeisters. Licio Gelli gelang schließlich am 10. August 1983 die Flucht aus dem Gefängnis, noch bevor er nach Italien ausgeliefert werden konnte. Dabei half ihm scheinbar der Gefängniswärter Umberto Cerdena, den Gelli mit 6000 Dollar bestochen haben soll. Cerdena sollte ihn in einem Wäschekorb aus dem Gefängnis geschmuggelt haben, so die offizielle Rechtfertigung der Polizei. Doch das glaubte keiner. Wohl deshalb setzten die Politiker in Genf eine Untersuchungskommission ein, die Unglaubliches zu Tage förderte: Gelli genoss erleichterte Haftbedingungen, obwohl die Behörden mehrfach von seinen Fluchtplänen informiert worden waren. Darüber hinaus wurde in der Nacht seiner Flucht ein Loch im Gefängniszaun entdeckt und bei der Gefängniswache daraufhin Alarm geschlagen – die reagierte aber nicht nicht! Nach der Flucht Gellis wurde dieser von seinem Sohn Maurizio über die Grenze und dann nach Monte Carlo gebracht. Maurizio hatte zwischenzeitlich noch einen spanischen Paß besorgt, der in Genf im Haus des italienischen Generalkonsuls und ehemaligen P2-Logenbruders Ferdinando Mor für ihn bereit lag. In Monaco stand die Yacht seines P2-Logenbruders und Freundes Francesco Pazienza für ihn bereit. Bei Pazienza handelte es sich um einen italienischen Geschäftmann mit Kontakten zur Mafia, dem italienischen militärischen Nachrichtendienst, der CIA und auch zum französischen Nachrichtendienst. Pazienza war außerdem auch mit dem späteren US-Außenminister Alexander Haig befreundet, sowie ein Geschäftspartner von Roberto Calvi. Angesichts von solchen Kontakten konnte der Großmeister der P2 unbehelligt nach Südamerika in seine Villa in der Nähe von Montevideo fliehen. Bei meinen Recherchen stieß ich auf eine Anfrage des Schweizer Nationalrats vom 5. Oktober 1983 an den Bundesrat, aus der weiterhin Unglaubliches hervorgeht: So sollen vier Telexmeldungen der italienischen Behörden zugegangen sein, in denen sie die Schweizer Behörden auf »präzise Pläne für eine gewaltsame oder gewaltfreie Befreiung des Grossmeisters der Loge P2« aufmerksam machten. Und weiter heißt es: »Warum haben die Bundesbehörden auf diese


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Telexmeldungen nicht reagiert und zur Bewachung des Inhaftierten keine entsprechenden Vorkehren angeordnet?« Aber noch mehr wird ersichtlich, nämlich dass in »Verbindung mit gewissen ausländischen Geheimdiensten private Genfer Sicherheitsdienste« bei der Befreiung Gellis »wahrscheinlich eine entscheidende Rolle« spielten!327 Auf Gellis Kontakte und Verbindungen in der Schweiz komme ich noch einmal in Abschnitt 4.1.5.3.6 »Mord-Theorie 4: Auftraggeber Propaganda Due (P2)?« zurück. Im September 1987 kehrte Gelli nach Genf zurück und stellte sich freiwillig der Justiz. Natürlich musste das einen guten Grund haben, wenn der »alten Fuchs« seinen »Bau«, seine sichere Zufluchtsstätte, verließ. Der P2-Großmeister spekulierte darauf, dass die Schweizer ihn lediglich wegen der Anklage der Verleumdung zweier Richter und des betrügerischen Bankrotts der Banco Ambroiano nach Italien ausliefern würden, denn die Genfer Regierung wollte ihn schnellstens loshaben. So eröffnete schließlich, »unter dem Applaus« seiner Anwälte, Untersuchungsrichter Jean Pierre Trembley nur ein Gerichtsverfahren wegen Bestechung eines Gefängniswärters gegen Gelli. Dadurch hatten die Advokaten Zeit gewonnen, um beim Bundesgericht zu erreichen, dass Gelli nur nach Italien ausgeliefert wurde, wenn er nicht wegen politischer Vergehen, sprich der Beteiligung an terroristischen Akten, angeklagt werden sollte. So war es denn auch! Die italienische Justiz akzeptierte, damit fielen politische Delikte, Spionage und Konspiration gegen die Verfassung im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Gelli wurde im Februar 1988 nach Italien abgeschoben, um schon nach sieben Monaten Untersuchungshaft aus »Gesundheitsgründen« wieder freizukommen. Angeblich hatte er eine Herzkrankheit, der dringend operiert werden musste, was aber nie geschah. Der Mann, der die »Puppen tanzen lässt«, hatte es also wieder einmal geschafft, das Schlimmste zu verhindern, nämlich als Drahtzieher der »Strategie der Spannung« überführt zu werden! Er schrieb sogar noch ein eigenes »Rechtfertigungsbuch« mit dem Titel La Verità. Letztlich wurde er »nur« wegen der Finanzierung einer terroristischen Gruppe zu acht Jahren Haft verurteilt, 1988 zu zehn Jahren wegen der Verschleierung des Bombenattentats von Bologna. Das Berufungsgericht tat zwei Jahre später aber alles, um Gelli freizusprechen. »Das helfende P2-Netz bleibt aktiv«, meint Regine Igel.


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Weitere Verfahren wurden angestrengt, aber zu »mächtig, zu gefürchtet ist Gelli, zu gründlich wird er belastendes Material und vor allem Belastungszeugen hat er eliminieren lassen, als dass in allen diesen hoch brisanten Kriminalgeschichten strafrechtlich wirklich brauchbare Beweise auffindbar sein werden.«328 Celli saß aus Gesundheitsgründen seine Haft wegen des Banco-Ambrosinao-Skandals im »Hausarrest« ab. So konnte der Mann, »der die Puppen tanzen lässt«, also seine alten Tage in seiner heimatlichen und herrschaftlichen Villa Wanda genießen. Eine Anekdote noch am Rande: 1996 wurde Gellis schriftstellerisches Tun sogar für den Literatur-Nobelpreis vorgeschlagen!329 Mit seinem Wissen hätte Licio Gelli nicht nur italienische Minister und Parlamentarier, Geheimdienstler und Bankiers in arge Bedrängnis gebracht, sondern auch den Vatikan. Er war derjenige, der die alten Archive des italienischen Geheimdienstes SIFAR (Servizio Informazioni Forze Armate), des italienischen militärischen Nachrichtendienstes (der ab 1966 SID, Servizio Informazione Difesa, Nachrichtendienst zur Verteidigung, und ab 1977 SIMSI, Servizio Informazioni Sicurezza Militare Italiana, hieß), in die Hände bekommen hatte. Damit konnte er halb Italien erpressen. Er war derjenige, der mit seinem Namensarchiv mit hunderten prominenter Adressen und anderen Kontakten, die italienische Republik im wahrsten Sinne des Wortes noch mehr erschüttern konnte, wenn er vor Gericht gestellt werden würde. Er war derjenige, der 22 Fotos Papst Johannes Paul II. in die Hände bekam, die den mächtigsten Mann der Katholischen Kirche in der Badehose zeigten, wie Gelli in einem TV-Interview 2006 erklärte. Er hätte, so behauptete Gelli weiter, diese Fotos, bevor sie veröffentlicht wurden, von einem befreundeten Verleger erhalten, sie Giulio Andreotti gegeben, der sie wiederum dem Papst überreichte. Er habe damit Andreotti zeigen wollen, dass sein Geheimdienst wohl nicht viel taugte, wenn es Paparazzi gelang, aus nächster Nähe Bilder des Papstes zu machen. Und wohl auch, um dem Oberhaupt der Katholischen Kirche zu zeigen, wer die wahre »Macht« in Italien habe. Gelli sprach bei diesem Interview auch davon, dass der Opus Dei als »weiße Freimaurerei« und die P2 als »schwarze Freimaurerei« angesehen wurde.330 Gelli schien noch ein anderes brisantes Dokument zu besitzen, dessen Veröffentlichung unter allen Umständen verhindert werden


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musste. Beispielsweise hatte die türkische Zeitung Baris Mitte der Siebzigerjahre angekündigt, dieses Dokument zu drucken. Der Journalist, in dessen Besitz das Dokument vorher gelangt war, verschwand vorher auf Nimmerwiedersehen. Es handelte sich dabei um das »Field Manuel 30–31«, das bedeutendste Geheimdokument hochsensiblen Inhalts der »Strategie der Spannung«, dessen Echtheit natürlich von der CIA bestritten wurde. Es enthielt Anweisungen für verdeckte Aktionen des amerikanischen Militärs, Spezialoperationen in »Gastländern«, wie Terroranschläge, Infiltrationen linksextremer Gruppen, Provokationen, Störungen der öffentlichen Ordnung und so weiter. Es handelte sich also Leitlinien für die Geheimpolitik der USA zur Stabilitätssicherung und auch um einen »Leitfaden für das Eindringen in die militärische Führung des Gastlandes«. »Die Tatsache, dass die Beteiligung des US-Militärs weitaus tiefer greift, darf unter keinen Umständen bekannt werden« heißt es beispielsweise darin.331 Dieses hochbrisante Dokument musste Großmeister Gelli ebenfalls in seinem Besitz gehabt haben, denn als seine Tochter 1981 auf dem Flughafen in Rom verhaftet wurde, fand man in ihrem Gepäck Teile dieser Unterlagen. Die Anweisungen des »Field-Manual 30–31« sollen, so Fachleute, bis Ende der Siebzigerjahre beziehungsweise bis die P2 entschleiert wurde, in Kraft gewesen sein.

4.1.4.14 Logenbruder Michaele Sindona und seine mächtigen Freunde Auch gegen Michele Sindona, Bankier der italienischen und amerikanischen Mafia, der sich zwischenzeitlich nach Amerika abgesetzt hatte, wurden verschiedene Verfahren eingeleitet. Unter anderem wegen Plünderung von Banken und Reinwaschung von amerikanischen und sizilianischen Mafia-Geldern. 1978 wurde Sindona in den USA wegen des Bankrotts der Franklin Bank verhaftet, nach einer Zahlung von einer halben Milliarde Lire Kaution aber wieder freigelassen. Ein Jahr später floh er nach Sizilien und fingierte seine eigene Entführung, um durch schlecht getarnte Erpresserbriefe an frühere politische Verbündete seine Banken und damit auch das Geld der Cosa Nostra zu retten. Der Plan misslang und er kehrte in die USA zurück. 1979 wurde er erneut verhaftet und sollte sich vor Gericht


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verantworten. Doch er hatte mächtige Fürsprecher: Einer von ihnen war der Präsident des italienischen Kassationshofes – eines der höchsten italienischen Gerichte –, Carmelo Spagnuolo, selbst P2-Mitglied. Dieser sprach davon, Sindona werde politisch verfolgt und wäre keineswegs schuldig! Und noch andere starteten Rettungsversuche, nämlich diejenigen, die ihn bereits in seinen Geschäftsanfängen in die Hochfinanz hievten: maurerische Logenbrüder! »Wie die spätere parlamentarische Kommission zum Fall Sindona feststellt, gehen die internationalen Rettungsversuche alle von Freimaurern aus und die italienischen von Persönlichkeiten, die Anfang der 80er-Jahre als Mitglieder der P2 enttarnt werden«, schreibt Regine Igel in Terrorjahre – Die dunkle Seite der CIA in Italien.332 Nur am Rande sei erwähnt, dass es sich hier wohl nicht »nur« um P2-Freimaurer handelte! Auch die Neofaschisten und Christdemokraten hielten zu Sindona. Die letzteren vielleicht, weil über seine Schweizer Finanzgesellschaften monatlich etwa 15 Millionen Lire an die Abgeordneten flossen. Und noch ein anderer mischte fleißig mit, einer, der nicht nur auf der nationalen, italienischen Politbühne bekannt war, sondern auch internationale Geltung hatte: Giulio Andreotti.

4.1.4.15. Die undurchsichtige Rolle des »Meisters der Geheimpolitik«: Giulio Andreotti Giulio Andreotti, Vorsitzender der italienischen Christdemokraten und »Meister der Geheimpolitik«333, war in seiner 40-jährigen politischen Laufbahn nicht weniger als siebenmal italienischer Ministerpräsident, achtmal Verteidigungsminister, fünfmal Außenminister, zweimal Finanzminister, einmal Haushaltsminister, einmal Industrieminister und einmal Schatzminister – insgesamt Minister in 30 italienischen Regierungen! Er manöverierte sich mit politischem Kalkül und Taktik als ein »Mann für alle Jahreszeiten« durch, mal links, mal rechts, mit wechselnden Allianzen, sich gegenseitig zuschanzenden Geschäften und Posten bis hin zu illegalen Parteienfinanzierungen und Korruption. Pragmatismus und Klientelismus zeichneten sein politisches System aus. Dieses ging als sogenannter »Andreottismus« in die italienische Politik ein. »Andreottis Name steht für den ›dop-


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pelten Staat‹, den »doppio stato«, in dem sich das politische Geschehen zu einem großen Teil hinter der Bühne des demokratischen Parlamentarismus abspielt«, resümiert Regine Igel. »Mit Bravour bewegte Andreotti sich auf dem internationalen Parkett der Diplomatie und der offiziellen Politik. Gleichzeitig hielt er im Hintergrund alle Fäden der unsichtbaren, die Geschicke des Landes entscheidenden Geheimpolitik in Händen … Stabilität erfuhr das Regime Andreottis nicht auf Grund eines solide funktionierenden demokratischen Parlamentarismus, sondern über die starken Säulen der Geheimpolitik: die Amerikaner, den Vatikan, die Geheimdienste, das Freimaurertum und die Mafia.«334 Angesichts all dessen war es auch nicht verwunderlich, dass gegen 15 Minister und ein Drittel der Parlamentsmitglieder seiner letzten, der siebten, Regierung wegen betrügerischem Bankrotts, Korruption, Erpressung und mafiösen Vereinigung ermittelt wurde. Schon alleine gegen Andreotti wurde im Laufe der Jahre mehr als zwei dutzend Mal ermittelt. Und mehr als zwei dutzend Mal entschieden Parlamentsmitglieder, den wahren Dingen wegen seiner Immunität nicht auf den Grund zu gehen. Selbst aus dem Ausland standen viele Staatsmänner hinter ihm. Die mächtigsten davon waren wohl George Bush, Henry Kissinger und der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl! Sie alle hatten bei einem Prozess zugesagt, die politische Integrität Andreottis sogar im Gerichtssaal zu bezeugen!335 Auch hier kann nur vermutet werden, warum: vielleicht waren und sind sie allesamt Logenbrüder der Freimaurer? Andreotti war zusammen mit dem Christdemokraten Salvo Lima, der später ermordet wurde, der Hauptanprechpartner für die Unternehmungen des Mafia-Bankiers Sindona, hatte zahlreiche Kontakte zu den Neofaschisten und zu führenden P2-Mitgliedern. Er war der große alte Mann Italiens, der auch einmal gesagt hatte: »Es gibt Dinge, die sind so geheim, dass man sie nicht einmal zu sich selber sagen darf.«336 Ein bezeichnendes Zitat für diesen Polit-Akteur und Background-Strippenzieher. Einmal hatte er Sindona sogar als »Retter der Lira« gepriesen. Das sorgte für Empörung, zeigte es doch, dass der mächtigste christdemokratische Politiker Italiens zu einem Mann hielt, dessen MafiaKontakte schon längst kein Geheimnis mehr waren. Zudem, so belegte ein Schreiben des Ex-Managers der IOR, Massimo Spada, der


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später wegen betrügerischem Bankrott verurteilt wurde, hätte »Giulio Andreotti seine Macht dazu eingesetzt, Sindona zu schützen, auf finanziellem und politischem Gebiet«.337 Erst zehn Jahre später sollte bekannt werden, dass Sindona 1974 der Christdemokratischen Partei 2,5 Millionen Dollar zukommen ließ. Für den Wahlkampf gegen die Kommunisten war wohl jede Form von Geld wichtig, auch wenn es »schmutziges« war. Andreotti wies die engen Beziehungen zu Sindona natürlich weit von sich. »… niemand führt an, dass ich Mutter Teresa aus Kalkutta sehr viel öfter gesehen habe als den Bankier«, erklärt er einmal.338 Tatsächlich hielt Andreotti vor allem mit seinem christdemokratischen Parteikollegen Massimo de Carolis Kontakt zu dem Mafia-Bankier. Auch de Carolis war ein P2-Logenbruder! In Cosa-Nostra-Kreisen wurde Andreotti offenbar »Onkel Giulio« genannt. Zudem war er der stärkste politische Förderer des Opus Dei und mit den Päpsten Pius XII., Paul VI. und Johannes Paul II. befreundet. Sie allesamt waren seiner Karriere förderlich gewesen. Mitte der Siebzigerjahre wurde unter Andreotti auch der italienische Geheimdienst reformiert. Alle Leitungsebenen wurden neu besetzt und zwar mit P2-Logenmitgliedern! Vorschläge von Kandidaten, die nicht der Freimaurerloge angehörten, wurden im wahrsten Sinne des Wortes ausgebootet. Er war es auch, der durch die Kontakte des Großmeisters Gelli Zugang zum argentinischen Diktator Juan Perón bekommen wollte. Massimo Teodori, Mitglied des italienischen Parlaments und des P2-Untersuchungsausschusses, meinte über Andreotti: »Er war eng verflochten mit der Vatikanbank und großen italienischen Banken, einschließlich der sizilianisch-amerikanischen Mafia-Finanz … Der hohe Politiker Andreotti war das Bindeglied zu abenteuerlichen Finanzkreisen.«339 Andreotti aber stand nicht nur mit Sindona in enger Verbindung, sondern auch mit der Freimaurerloge P2. Natürlich gab er das zunächst nicht zu. So wollte er Licio Gelli nur »flüchtig« gekannt haben. Doch einige P2-Logenbrüder bescheinigten Jahre später vor der Parlamentskommission etwas ganz anderes: nämlich enge Beziehungen zwischen Andreotti und Gelli. Bei der Hausdurchsuchung des Großmeisters Gelli wurde auch dessen persönliches Merkbuch gefunden, in dem er eingetragen hatte, dass er jeden Abend mit einem gewissen »Giulio« telefonierte. Natürlich konnte sich Gelli später


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den Ermittlern gegenüber nicht mehr erinnern, wer genau dieser »Gulio« war. Die Autoren Michael Baigent, Richard Leigh und Henry Lincoln berichten in ihrem Buch Das Vermächtnis des Messias – Auftrag und geheimes Wirken der Bruderschaft vom Heiligen Gral darüber, dass unter Registereinträgen, die italienische Zeitungen teilweise veröffentlicht hatten, nachdem bei einer Hausdurchsuchung bei Gelli Mitgliederlisten und Register zu seinen verschwundenen Akten sichergestellt worden waren, auch Giulio Andreotti stand.340 Dies bestätigte die Geliebte Gellis, Nara Lazzerini, die auch die Sekretärin des Großmeisters war, als sie zu Protokoll gab, dass Gelli ihr gesagt hätte, der Abgeordnete Andreotti wäre in seiner Loge als Mitglied eingeschrieben! »Ich erinnere mich«, so Lazzerini weiter, »dass man in P2-Kreisen davon sprach, dass der eigentliche Chef Andreotti und nicht Gelli war.«341 Das war keineswegs abwegig, denn immerhin war der Großmeister der Freimaurer-Großloge von Italien, Giordano Gamberini, ein enger Freund von ihm. Laut Roberto Calvi war Andreotti der Oberste an der Spitze der P2-Loge! Dies dementierte der hohe italienische Politiker jedoch.342 Interessanter Weise sagte auch Staatspräsident Cossiga einmal, dass nicht Licio Gelli der eigentliche P2-Chef war, sondern eine andere »Vertrauensperson«. Andreotti wurde schließlich wegen eines am 20. März 1979 von der Mafia ausgeführten Mordes an dem Journalisten und P2-Mann Mino Pecorelli, dem Leiter der Nachrichtenagentur Osservatore Politico«, der ihn erpressen wollte, vor Gericht gestellt. Pecorelli wollte Beweise veröffentlichen, dass Andreotti einen großen Kreditbetrug vertuscht und dafür eine Million Dollar erhalten hatte. Doch das kam in Freimaurer- und Mafiakreisen gar nicht an. »Tod dem Verräter«. Kurze darauf wurde Pecorelli erschossen. »Onkel Giulio« sollte den Auftragsmord erteilt haben und wurde ferner bezichtigt, mit der Mafia zusammen zu arbeiten und sie zu begünstigen, als Gegenleistung für eine Wahlkampfunterstützung, durch die er sich und seinen Christdemokraten fast 30 Jahre lang an den Schaltstellen der Politik halten konnte. Im September 1999 wurde Andreotti von der Anklage, der Auftraggeber des Mordes zu sein, freigesprochen, in der zweiten Instanz im November 2002 jedoch – wie auch der MafiaBoss Gaetano Badalamenti – zu 24 Jahren Haft verurteilt! Italiens Ministerpräsident und P2-Logenbruder Silvio Berlusconi, von dem


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ich noch ausführlich berichten werde, schimpfte über das Urteil und meinte, es wäre eine »verrückte Justiz«.343 Schließlich sprach das Kassationsgericht Andreotti im Oktober 2003 wegen »Mangels an Beweisen« doch noch endgültig frei. Die Richter hielten es zudem zwar für erwiesen, dass Andreotti vor 1980 Kontakte zur Mafia gehabt hatte, doch diese Delikte waren mittlerweise verjährt und daher nicht mehr straffällig. Andreotti war das egal, denn er sagte: »In einem Gerichtsverfahren interessiert mich nur das Ergebnis. Und das Ergebnis war in diesem Fall positiv. Was das Übrige angeht, Amen.«344 Im Jahre 2006 bewarb er sich für das Amt des Senatspräsidenten, verlor schließlich aber gegen seinen Gegenkandidaten Franco Marini. Giulio Andreotti blieb aber stimmberechtigerter Senator auf Lebenszeit. Die Mächtigen dieser Welt kommen wohl meist – böse Zungen behaupten »immer« – irgendwie davon, egal was sie »anstellen«. Und egal wie tief der schmutzige Polit-Sumpf ist, in dem sie stecken.

4.1.4.16 »Politischer« Ritualmord Michele Sindona? Ein ebenbenfalls skandalöser Umstand war, dass das Logenmitglied Sindona nicht aus der Politik, sondern auch aus dem Vatikan Fürsprecher bekam! Der Vatikan-Banker und Geschäftspartner Paul Marcinkus und zwei Kardinäle, darunter Giuseppe Caprio, der spätere Großmeister des »Ritterordens vom Heiligen Grabe« (eine Elitetruppe des Heiligen Stuhls), wollten entlastende Aussagen für ihn tätigen. Ihm gar eine »einwandfreie und gottgefällige Lebensführung« attestieren! Kardinalsekretär Casaroli verhinderte dies in letzter Minute. Letztlich sollten dem Sizilianer auch seine Fürsprecher wenig helfen. In den USA wurde er zu 25 Jahren Zuchthaus wegen betrügerischem Bankrott verurteilt. Das war noch nicht alles, es sollte noch schlimmer für ihn kommen. Im Jahre 1984 wurde er wegen des Mordes an Giorgio Ambrosoli nach Italien abgeschoben und 1986 als Auftraggeber der Mörder von Ambrosoli zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, obwohl er Gesprächsbereitschaft signalisierte. Er wollte vor einem italienischen Gericht auspacken. »… Wenn ich nicht vorher von jemandem umgelegt werde – und ich habe immer davon reden hören, dass man mir eine vergiftete Tasse Kaffee servie-


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ren will –, mache ich aus meinem Prozess einen richtigen Zirkus. Ich werde alles erzählen«, bekannte Sindona.345 Diese Aussage war sein Todesurteil, zumal er scheinbar auch über die Umstände des Todes Papst Johannes Paul I. auspacken wollte. Wenige Tage vor seiner Vernehmung erklärte er noch: »Sie haben Angst, dass ich ein paar hochbrisante Informationen preisgeben könnte, die sie auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen lassen wollen.«346 So war es wohl dann auch. Sindona saß im Video überwachten Frauengefängnis von Voghera in der Nähe von Mailand, in dem man ihn versteckt hatte, um ihn vor möglichen Anschlägen zu schützen. Noch bevor er von der amerikanischen Justiz vernommen werden konnte, brach er am 20. März 1986, trotz eigens für ihn vorbereiteten Speisen, deren Behältnisse sogar plombiert waren, zusammen. Er war tot. Ihm war Espresso mit Zyankali verabreicht worden. Und zwar so viel, dass man damit eine »ganze Elefantenherde ausrotten« konnte (Koch/ Schröm).347 Noch im Sterben sagte er: »Man hat mich vergiftet«.348 Mysteriös war auch die Tatsache, dass bereits eineinhalb Jahre vorher, im September 1984, ein Dossier mit dem Titel Wie Sindona eliminiert werden wird in Umlauf war. Veröffentlicht wurde es von Francesco Pazienza, der für die italienischen Dienste und die CIA arbeitete. In diesem Dossier wurde der Giftmord bis in die kleinsten Details beschrieben, die dann Monate später auch so angewandt wurden! Also eine bewusste Mordinszenierung?! Um wieder einmal die »Wissenden« zu warnen, sich ruhig zu verhalten? Kurz nach seinem Eintreffen im italienischen Gefängnis soll, so die Recherchen von David A. Yallop, Sindona jedenfalls noch Besuch von anderen P2-Mitgliedern erhalten haben. – Die amtliche Todesursache lautete auch in diesem Fall auf Selbstmord! »Alles riecht nach P2. Bei der Hinrichtung Sindonas gibt man sich keine rituelle Mühe« (Lindlau)349 wie bei Roberto Calvi. Und Yallop ergänzt: »Die Ermordung Sindonas war eine eindrucksvolle Demonstration der Macht der P2.«350 Damit hätten wir ein weiteres Beispiel für einen »offenkundigen Ritualmord« der Freimaurerloge.


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4.1.4.17 Der »unantastbare« Erzbischof und die schützende Hand des Papstes Gegen Erzbischof Paul Marcinkus, den »Finanzminister« des Papstes, wurde nun auch ermittelt. Am 26. Februar 1987 verfügten italienische Behörden einen Haftbefehl gegen ihn und zwei weitere IOR-Funktionäre unter anderem wegen »Komplizenschaft bei betrügerischem Bankrott«, Veruntreuung und anderer Wirtschaftsdelikte im Zusammenhang mit der Banco Ambrosiano. Sie war unter der Last von knapp drei Milliarden Dollar »uneinbringlicher Außenstände« zusammengebrochen. Milliardensummen von »Steuersparern« waren über die IOR, deren Chef Marcinkus ja war, ins Ausland verschoben worden. Und dafür musste er nun seinen Kopf hinhalten, genauso wie sein Vizedirektor Luigi Mennini und der geschäftsführende Direktor Pellegrino di Strobel. Doch die Haftbefehle konnten nicht zugestellt werden, weil der windige geistliche Bankier und seine Gefolgsleute ihre Villen, die außerhalb der vatikanischen Mauern lagen, längst verlassen und in den Vatikan selbst umgezogen waren. Hier waren sie vor dem Zugriff der italienischen Justiz sicher, weil es zwischen dem Vatikanstaat und der Republik Italien kein Auslieferungsabkommen gab! Selbst die höchste katholische Instanz griff in das Geschehen ein, Papst Johannes Paul II. Er sagte laut Stern vom 29. April 1987: »Ich verstehe nicht, dass man einen Menschen wie Marcinkus so brutal angreifen kann.«351 Das Oberhaupt der Katholischen Kirche hielt seine schützende Hand über die Vatikanfinanziers und sorgte schließlich mit seinen Kontakten zur BettinoCraxi- und Giulio- Andreotti-Regierung dafür, dass ein italienisches Kassationsgericht die Haftbefehle gegen die IOR-Führer im Juli 1987 aufhob. Mennini und de Strobel ließen sich pensionieren. Marcinkus flog 1989 an Bord eines päpstlichen Hubschraubers aus dem Vatikan und kehrte in den »Halbruhestand« in die Vereinigten Staaten, nach Sun City, in die Nähe von Phoenix zurück. Neben seiner Tätigkeit als Vikar in der Pfarrei St. Clemens frönte er hauptsächlich seinen Hobbys: Golf spielen, Whiskey trinken und Zigaretten rauchen. Marcinkus starb im Februar 2006 an Herzversagen in seinem Haus. »Etliche Fragen bleiben«, resümiert die Journalistin Valeska von Roques, »zum Beispiel diese: Hat Johannes Paul II. seine päpstliche


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Hand über einen Mann gehalten, den die italienische Justiz vermutlich als Finanzverbrecher verurteilt hätte …?«352 Eine mehr als berechtigte Frage. Und so jagte, in dieser »Politaffäre« um die P2-Freimaurer, ein Skandal den anderen.

4.1.4.18 Ein »chancenloser« Untersuchungsausschuss Das umstürzlerische Treiben der Freimaurerloge P2, der so viele hochrangige Amts- und Würdenträger angehörten, ging sogar soweit, dass die damalige 40. Nachkriegsregierung der Christdemokraten unter Arnaldo Forlani, der Mitglied der »Ritter vom Heiligen Grabe« war, am 26. Mai 1981 zurücktreten musste, weil bekannt wurde, dass auch in ihren Reihen kriminelle Freimaurer saßen! »Zum erstenmal stürzte eine Regierung über einen Freimaurer-Skandal«, schrieb dazu Der Spiegel.353 Der vom italienischen Parlament eingerichtete 43-köpfige P2-Untersuchungsausschuss unter der Leitung der Christdemokratin Tina Anselmi, einer Ex-Gesundheitsministerin (!), wurde jedoch vorübergehend ausgesetzt, weil im Juni 1983 in Italien gewählt wurde. Mindestens fünf Christdemokraten, alles P2-Miglieder, kanditierten. Allerdings wurde der Sozialist Bettino Craxi neuer Ministerpräsident, ebenfalls ein Nutznießer Roberto Calvis Großzügigkeit. »Die P2 ist keineswegs tot«, erklärte Anselmi, »Sie verfügt noch immer über Macht. Sie ist in den Institutionen aktiv. Sie kriecht durch die Gesellschaft. Ihr stehen noch immer Geld, Instrumente und Möglichkeiten zu Gebote.«354 Später förderte der Untersuchungsausschuss zu Tage, dass die illegalen finanziellen Transaktionen über die Privatbank Banco Ambrosiano liefen. Waffen wurden durch Mitglieder der Armee, die gleichzeitig Logenbrüder waren und die Loge ein »Zentrum der Kommunikation zwischen Geheimdiensten, Rechtsextremisten, führenden Christdemokraten und der Mafia gewesen« war. Die Vorwürfe waren politische Erpressung, Bildung einer kriminellen Organisation, Anstiftung von rechtsextremen Bombenanschlägen, illegaler Waffenhandel und kriminelle Finanzmanipulationen. Tina Anselmi fasste zusammen: Das politische Ziel der P2 war, bei formaler Beibehaltung des demokratischen Systems, den Staatsapparat von innen


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heraus zu kontrollieren. Damit politische Entscheidungen mitbestimmt werden konnten, saßen Logenmitglieder in allen Schlüsselpositionen. Für die italienischen und ausländischen Geheimdienste war die P2 ein »Instrument zur Durchsetzung eines politischen Konzepts«. Es bestanden enge Kontakte zwischen der Freimaurerloge und neofaschistischen Terroristen. Geführt worden sei die Loge von einer »unbekannten Gruppe« mit Gelli als Bindeglied zu den Mitgliedern, von der er selbst auch die Befehle erhalten haben soll. Doch es gab auch Kritik gegen die Untersuchungskommission. Von Massimo Tedodori zum Beispiel, Abgeordneter der PRI, der inzwischen nicht mehr existenten »Radikalen Partei«. Er meinte, dass die P2 in perfekter Symbiose mit dem Staatsapparat gelebt habe. Und er glaubte, dass die von den Regierungsparteien kontrollierte Kommission unter der Christdemokratin Anselmi vor allem den Zweck habe, Gelli und andere P2-Schergen zu opfern, um den Führer der Christdemokraten, Giulio Andreotti, sowie Sozialistenchef Craxi zu schützen! Tatsächlich hatte der windige Andreotti jegliche Kontakte zu Gelli bestritten, bis ein Foto veröffentlicht wurde, das ihn 1977 zusammen mit dem Großmeister der P2 bei der Amtseinführung des argentinischen Präsidenten Juan Domingo Perón in der italienischen Botschaft in Buenos Aires zeigte! Die italienische Regierung verlangte nach einem gesetzlichen Instrument gegen »die Korruption der (Staats-)Macht und korrupte Machtkonzentrationen«. Doch dieses Gesetz ging nie durch das Parlament! Auch die Arbeit des Unterausschusses wurde blockiert: Monatelang waren bei der Staatsanwaltschaft in Rom Akten verschwunden, genau bei denen, die selbst vom P2-Skandal betroffen waren. Ein bekanntes Dossier zu prominenten Personen, die mit der Loge zusammenarbeiteten, in dem es um großangelegten Devisen- und Ölschmuggel ging, war nicht mehr aufzufinden. Nachdem es »verschwunden« war, wurde es schließlich zum »Staatsgeheimnis« erklärt! Die wahren Zwecke der P2 wurden so nie zufriedenstellend aufgeklärt, wie der renommierte Journalist Alexander Stille in Die Richter – Der Tod, die Mafia und die italienische Republik behauptet.355 Den Mailändern Strafverfolgern blieb es verwehrt, die Affäre bis ins Detail aufzuklären, weil ihnen der P2-Fall einfach entzogen wurde. Auf Grund der Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof Italiens die


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Zuständigkeit der »politisch anpassungswilligeren römischen Anklagebehörde« zugesprochen hatte, »starb er eines langwierigen, langsamen Todes« (Stille). Die römische Staatsanwaltschaft galt damals als »porto delle nebli«, als »Hafen des Nebels«, weil dort Untersuchungen gegen hochgestellte Persönlichkeiten oft bis zur Verjährung verschleppt, »schubladisiert« wurden, durch Verhängung des Staatsgeheimnisses weitere Untersuchungen blockiert oder kritische Staatsanwälte oder Untersuchungsrichter versetzt oder mit Verfahrensentzug bestraft wurden.356 Das Ganze ging sogar soweit, dass der Consiglio Superiore della Magistratura, die Aufsichtsbehörde über die Justiz, beschloß, dass gegen die 14 P2-Richter keine rechtlichen Schritte eingeleitet werden durften! Ein Skandal nnerhalb des Skandals. Dokumenten oder Zeugenaussagen wurde übrigens nur unzureichend nachgegangen, denn viele der Mitglieder der Untersuchungskommission gehörten selbst jenen Parteien an, die die P2 mitgetragen und geduldet hatten. »Man muss aber auch sagen, dass wir die internationale Leitung der Loge, also die tieferen Schichten, nicht einmal berührt haben«, erklärte das Kommissions-Miglied Sergio Flamigni. »Die Vorsitzende selbst hat das Bild einer unteren und oberen Pyramide entworfen. Die Verknüpfung zwischen beiden ist zweifelsohne im Organisator Gelli zu sehen. Vom politischen, übergeordneten Teil aber haben wir nichts erfahren können. Ganz sicher wäre in der Kommission auch sofort eine Krise ausgebrochen.«357 Ein ehrliches, ein mutiges Geständnis, das aber auch Hilflosigkeit zeigte. Als im Juli 1984 schließlich der Abschlußbericht vorgelegt wurde, war nichts mehr über die »Freimaurerei« in der P2 zu finden! Jeglicher Kommentar dazu, so glaube ich, erübrigt sich. Nur etwa 100 P2-Logenmitglieder wurden wegen Verwicklungen in illegale Geschäfte, Putschversuche, Morde, Erpressung, Anschläge und Verdunklung verurteilt. Einige Urteile aus dem Ambrosiano-Hauptprozess von 1988, der vier Jahre dauerte und erst am 16. April 1992 mit Schuldsprüchen wegen Beihilfe zu betrügerischem Konkurs gegen 33 Angeklagte endete, aber in langwierige Berufungsverhandlungen mündete: Umberto Ortolani, der zweite Mann der P2, erhielt 19 Jahre Gefängnis, Flavio Carboni, Calvis Fluchthelfer, 15 Jahre. Francesco Pazienza, Calvis Leibwächter, 14 Jahre und sechs Monate. Er war


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ebenfalls P2-Logenmitglied, einst Mitglied der SIMSI, des italienischen Geheimdienstes. 1994 schließlich, zehn Jahre nach dem Erscheinen des AnselmiUntersuchungsausschuss-Berichts und nach 13 Jahre andauernden Ermittlungen, fällte das römische Geschworenengericht ein Urteil im großen 18 Monate dauernden P2-Prozess. Doch zur Überraschung vieler Beobachter waren die Geschworenen anderer Meinung als die Untersuchungskommission! Sie meinten, die P2 hätte nicht gegen den italienischen Staat konspiriert, sondern wäre vielmehr eine »degenerierte Freimaurerloge«, die zwecks persönlicher Bereicherung ihrer Mitglieder »in der Grauzone von Korruption und Wirtschaftskriminalität operierte«!358 Der Logenmeister Licio Gelli wurde zwar zu 17 Jahren Haft verurteilt, aber auf Grund juristischer Spitzfindigkeiten befand er sich weiterhin auf freiem Fuß. War es Zufall oder nicht, dass ausgerechnet genau einen Tag nach dem Wahlsieg und bei Amtsübernahme von Silvio Berlusconi als Premierminister und drei weiterer »P2«-Regierungsmitglieder das Gericht in Rom die Freimaurerloge vom Vorwurf der Konspiration gegen die Verfassung freigesprochen hatte? Berlusconi war ebenfalls P2-Mitglied! Im Fernsehen erklärte der Gelli-Verteidiger sogar, die P2 wäre nur ein »bedauerlicherweise entgleister Klub von insgesamt honorigen Geschäftsleuten!«359 Genau das ist es auch, was viele Freimaurer der Öffentlichkeit weißmachen wollen: Alles ist nicht so schlimm, wir diskutieren nur in gemütlicher Herrenrunde! Natürlich war Tina Anselmi genauso wenig mit diesem Urteil einverstanden wie die Staatsanwältin Elisabetta Cesqui. Sie legte Berufung ein und befürwortete eine obligatorische Offenlegung der Mitgliederlisten sämtlicher Freimaurerlogen, um zu gewährleisten, dass die italienische Freimaurerei nicht in die wirtschaftliche und politische Korruption abgleite. Doch alle Ermittlungen und die Einschaltung parlamentarischer Kommissionen, die die Staatsaffäre Propaganda Due (P2) untersuchen sollten, brachten letztlich nicht viel, das Meiste verlief im Sande …


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4.1.4.19 Freimaurerloge Propaganda Due (P2) – »regulär« oder «irregulär«? Seit Anfang der Achtzigerahre die skandalösen Umtriebe um die P2 bekannt geworden sind, versucht die Freimaurerei alles, um nicht mit der kriminellen Loge in Verbindung gebracht zu werden. So schreibt beispielsweise der Bonner Freimaurer Peter Broers im Nachwort von Ferdinand Runkels Reprint von 1932 Geschichte der Freimaurerei: »Nehmen wir das Beispiel der angeblichen Freimaurerloge P2 in Italien, das 1981 durch die Presse ging. Etwa 1000 Männer aus Politik, Wirtschaft und Militär hatten sich nach Art eines Geheimbundes um einen so genannten ›Großmeister‹ zusammen gefunden. Es handelte sich um einen knallharten, auf wirtschaftliche und politische Einflussnahme ausgerichteten Geheimbund ohne jeglichen Bezug zur Freimaurerei. Im Abschlussbericht über die damalige Affäre aus dem Jahre 1984 fand sich denn auch kein Hinweis auf Freimaurerverbindungen.«360 Doch der Bonner Freimaurer irrt sich genauso wie etwa der Freimaurer Jürgen Holtorf auch, der in seinem Buch Die verschwiegene Bruderschaft erklärt: »Der selbsternannte Großmeister der irregulären Gruppierung P2, die er fälschlicherweise Freimaurerloge nannte, war bereits im Jahr 1976 aus dem Grande Oriente d’Italia … ausgeschlossen worden.«361 Auch im Internationalen Freimauer Lexikon steht geschrieben: »Als 1980 diese Institution (die P2, Anm. d. Autors) im Umfeld von mehreren Skandalen an das Licht der Öffentlichkeit kam, wurde sie trotz der nachweislichen Schließung 1976 weiterhin als ›freimaurerische‹ Loge bezeichnet. Der Grande Oriente definierte, da weiterhin Unklarheit über die Zugehörigkeit Gellis zum Bund bestand, am 4. September 1982 dessen Ausschluß.« Weiter wird erklärt, dass 1972 der »Grande Oriente Italiens« die Anerkennung der englischen Mutterloge erlangte, diese »zeitweise« aber »wohl auch in Folge der Wirren um die P2-Affäre« wieder verlor.362 Soweit die Ausführungen der Logenbrüder. Doch Brian Freemantle meint dazu: »Die Loge überlebte den P2-Skandal dank der falschen Versicherung, die italienische Mutterorganisation habe definitiv die private Lehnsherrschaft des machiavellischen Gelli beendet. Schließlich wurde ihr doch noch die Anerkennung entzogen, da zahlreiche Mitglieder Anfang der


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Neunzigerjahre in politische Skandale und Verbrechen der Mafia verwickelt waren.«363 Dieter A. Binder schreibt in Die Freimaurer – Ursprung, Rituale und Ziele einer Diskreten Gesellschaft: »Die eindeutige Zuordnung der Loge ›Propaganda 2‹ ist äußerst schwierig, da sie durchaus als Gründung der sich mit großem Selbstbewusstsein organisierenden italienischen Freimaurerei des 19. Jahrhunderts angesehen werden muß.« Das sind eigentlich klare Worte, die hier nochmals zusammengefasst werden sollen: Die P2 muss als Gründung der italienischen Freimaurerei angesehen werden! Binder geht weiter in der Freimaurer-Historie zurück. Demnach hat der freimaurerische Großmeister Giuseppe Mazzoni die Loggia Propaganda Massonica gegründet mit dem Zweck, besonders hervorragende, also ausgewählte, qualifizierte Brüder des Bundes, zu versammeln, wie bedeutende italienische Politiker, Gelehrte und Dichter. »In dieser Tradition dürfte die 1887 gegründete, als Gegenspieler der römischen ›Kurienkongregation Propaganda Fide‹ deutlich antikirchlich ausgelegte ›Propaganda 2‹ stehen, die nach italienischen, freimaurerischen Angaben sich zunehmend der Kontrolle der Großobödienz entziehend einen regulären Kreis von 80 Brüdern, einen Kreis von rund 400 Kandidaten und einen diffusen Kreis von Symphatisanten umfasste«, erklärt Binder weiter.364 Dabei darf nicht vergessen werden, dass die einflussreichen Mitglieder sogar anderen Freimaurerlogen gegenüber »verdeckt« blieben. »Die Loge Propaganda Due sieht es als ihre Aufgabe an, Regierungsmitglieder nur aus den eigenen Reihen zu stellen und die eher dunklen Finanzgeschäfte ihrer Mitglieder zu deren Vorteil zu regeln und im Verborgenen zu halten … Es gilt sich um Politiker zu bemühen und Parteien oder Parteiströmungen durch illegale Finanzierungen an sich zu binden« (Igel). Dabei hielt es die P2 der Siebzigerjahre im »Kern nicht anders als ihr Vorgänger des 19. Jahrhunderts. Sie ist Teil der Freimaurerorganisation Grande Oriente des Palazzo Giustiniani in Rom, die antiklerikal ist und unter völligem Einfluss der amerikanischen Freimaurer und der CIA steht. In den 50er-Jahren schickt die CIA den Italo-Amerikaner Frank Gigliotti nach Italien. Mit massiven Finanzhilfen ausgestattet, soll er das Freimaurertum unter antikommunistischen und zunächst auch antiklerikalen Vorzeichen zu neuem Leben erwecken und die einzelnen Logen zusammenführen … Unter diesen durch die Republikaner vorgegebenen Richt-


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linien wird das italienische Freimaurertum bis in die 80er-Jahre hinein zu einem immer bedeutenderen gesellschaftlichen Faktor«, erklärt Regine Igel.365 Binder ergänzt: »Diese Gruppenbildung innerhalb der Freimaurerei stieß bereits vor dem Skandal auf zunehmende Kritik der italienischen Brüder, die gegen diese ›Gruppierung eigener Qualifikation‹ am Großenlogentag im Dezember 1974 einstimmig einen Auflösungsbeschluß fassten, und sich ausdrücklich gegen eine Wiederbegründung für die Zukunft aussprachen.«366 Nachfolgend wurde auch gegen P2-Großmeister Licio Gelli, der das italienische Freimaurertum »noch gezielter ausgerichtet« hatte367, ein maurerisches Disziplinarverfahren eröffnet, weil er gegen die Statuten seiner Großloge verstieß, so das Internationale Freimaurer Lexikon.368 Es endete mit seinem Ausschluß. Dennoch kritisierten selbst Freimaurer, die »mangelnde Durchführung des Aufhebungsbeschlusses« der P2 von 1974. Ja was denn nun? Einmal wird von freimaurerischer Seite behauptet, die P2 wäre 1974, dann 1976 aus dem italienischen Großorient ausgeschlossen beziehungsweise geschlossen worden und Gelli sei 1976, dann wieder 1982, aus dem »Großorient« hinausgeworfen worden. Weiß man es nicht besser oder wird hier eine Verschleierungstaktik angewandt, damit die kriminelle P2 ja nicht in den Dunstkreis der »regulären« Freimaurerei kommt, obwohl sie »regulär« gegründet und auch lange Jahre »regulär« existiert und gearbeitet hat? Nach dem Motto: Wenn uns ein Logenbruder oder eine Loge nicht mehr passt, dann erklären wir sie einfach als »irregulär« oder behaupten, eine »reguläre« wäre einfach »irregulär« unterwandert worden! Gian Trepp schreibt in Swiss Connection – Die verborgene Seite der Schweizer Finanzwirtschaft: »Die P 2 war bis zu ihrem gesetzlichen Verbot eine der über 600 Logen der italienischen Großloge Grande Oriente d’Italia, nach dem Ort ihrer Gründung in Rom auch Palazzo Giustinani genannt … Am 28. November 1966 betraute Grande-Oriente-Großmeister Giordano Gamberini den bereits 1963 der Loge Gian Demenico Romagnosi beigetretenen Licio Gelli, die inaktive Loge Propaganda Massonica wiederzubeleben.«369 Anfangs soll sich die P2 ausschließlich aus Mitgliedern des dritten Grades der Grand Orient Lodge of Egyptian Freemasonary rekrutiert haben.370


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Doch zurück zu Gian Trepp, dessen Recherchen die wirkliche Verquickung der sich als »regulär« bezeichneten Freimaurer mit der Skandal-Loge P2 aufzeigen: »Im Jahre 1970 war Grande-OrienteGroßmeister Giordano Gamberini zurückgetreten, der florentinische Arzt Lino Salvi folgte ihm nach. Gamberini ›versuchte die Propaganda-Massonica-Loge (P2) zur Kernzelle der italienischen Rechten aufzubauen‹, schrieb der britische Freimaurerspezialist Martin Short, ›welche die Kontrolle Italiens übernehmen konnte, falls dies je nötig sein sollte‹.« Trepp weiter: »Im Auftrag von Großmeister Salvini und Exgroßmeister Gamberini expandierte P-2-Chef Gelli seine Geheimstruktur mit politischer Zielsetzung innerhalb des Grande Oriente – was dem mauerischen Gebot nach politischer und religiöser Abstinenz krass widersprach.« Und genau an diesem Punkt ist die Gratwanderung der (regulären) Freimaurerei zu sehen und auch zu beurteilen. »Dennoch erkannte die United Grand Lodge of England im September 1972 den Grande Oriente erstmals als Teil der regulären Freimaurerei«, so Trepp. »Die beiden damaligen Chefs der englischen Großloge, James Stubbs und Jeremy Pemberton, besuchten Großmeister Salvini in Florenz und waren auch Ehrengäste beim Waffenhändler Allesandro del Bene, der als eines der eifrigsten P-2-Mitglieder galt und den P-2-Ableger in Monaco gegründet hat.«371 So also funktionierte die »Verschmelzung« zwischen der von den Freimaurern behaupteten »irregulären« P2 mit der »regulären« Freimaurerei. Die P2 wurde damit zu einer »regulären« Loge des nun »regulären« Grande Oriente »gewaschen«! Auch auf die maurerische Behauptung, der Grande Oriente hätte die P2 sozusagen aufgelöst, weiß Trepp eine Antwort: »Schließlich verlangte die Generalversammlung der Grande-Oriente-Sekretäre 1974 in Neapel die Auflösung der P2. Die Oberbosse Salvini und Gamberini wussten das zu verhindern und beförderten Gelli vielmehr vom gewöhnlichen Meister vom Stuhl (Logensekretär) zum Ehrwürdigen Meister. Als die interne Kritik an der P2 nicht verstummte, musste die Grande-Oriente-Führung die Geheimloge im Juli 1976 schließlich doch noch auflösen. Allerdings geschah dies nur formal, insgeheim erlaubte Salvini Gelli, die P 2 weiterzuführen.« Das heißt, »reguläre« Großmeister einer der »regulären« italienischen Großlogen haben den Großmeister der dadurch »regulär« gewordenen P2 sogar noch gedeckt und befördert und gar die Erlaubnis gegeben,


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trotz Auflösung, die Geheimloge weiterzuführen. Damit ist das, was die Freimaurer zu ihrer Verteidigung anführen, ad absurdum geführt! Denn auch die englische Mutterloge der Freimaurer, die United Grand Lodge of England, suspendierte ihre »gefallene Tochter« in Italien, den Grande Oriente, erst 1993!372 Und das obwohl Skandale längst öffentlich gemacht worden waren und die terroristischen, politischen und finanziellen Umtriebe der P2 eigentlich gegen das Gebot der »politischen Abstinenz« der Freimaurerei aufs Energischste widersprachen! Die P2 propagierte »Alle Macht den Rechten« – einen Staat im Staate mit politischer Kontrolle durch die Besetzung aller Schlüsselpositionen durch die Freimaurer.

4.1.4.20 Terror-Politik und »reguläre« Freimaurerei Die von den Freimaurern angeführten Argumente bezüglich der »Irregularität« der P2 möchte ich nachfolgend noch näher, und zwar unter dem »politischen« Aspekt jener Tage, beleuchten. Die P2 war mit Licio Gelli und Francesco Pazienza eng mit der amerikanischen Politik der Antikommunisten der republikanischen Partei im Weißen Haus, im Außenministerium und in der CIA verschmolzen. Sie galten als die bedeutendsten Mittelsmänner der Amerikaner in Italien. Pazienza wurde von amerikanischen republikanischen Strategen nach Italien geschickt und verschaffte sich schnell Kontakte zu wichtigen Politikern, der Mafia und Freimaurerkreisen, vorneweg zur P2, wie Regine Igel behauptet. Ferner soll Alexander Haig, der damalige NATO-Oberbefehlshaber, auch der Mann »über« Gelli, also der eigentliche Chef der P2, gewesen sein. Haig und Außenminister Kissinger ermächtigten dann auch Gelli, der gerade Logenmeister geworden war, zur Rekrutierung von 400 hohen antikommunistischen, italienischen und NATO-Offizieren in seine Loge, um die »Strategie der Spannung« umzusetzen. Und, so Regine Igel weiter, obwohl die »italienischen Freimaurer ihren gewählten ›Großmeister‹ aus ihren Reihen haben, wird Gelli sehr schnell der im Hintergrund führende Mann aller Freimaurer.« (Hervorhebung durch den Autor) Und das mit einer enormen Macht. So berichtet beispielsweise der P2-Logenbruder Umberto Fredrico d’Amato darüber, dass sich ein hoher Politiker (wahrscheinlich Francesco Cossiga, von


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März 1979 bis Oktober 1980 italienischer Ministerpräsident), der Premier werden sollte, an den »mächtigsten Mann Italiens« wandte: »Licio, wenn du sagst, dass ich nicht annehmen soll, dann nehme ich nicht an.« Der Freimaurer-Chef prahlte sogar damit, dass sechs Minister »seinem Befehl gehorchen« würden.373 Gellis Macht ging soweit, dass er in einer exklusiven Hotel-Suite alle empfing, die in Politik und Gesellschaft zählten. »Ähnlich wie die Rotary- und Lions-Clubs dienen die Freimaurerorganisationen ihren Mitgliedern zur gegenseitigen ökonomischen Hilfestellung, in Zeiten der Dominanz des atlantischen Antikommunismus zur Unterstützung von Karrieren, zur Schaffung von Vorteilen, zum Zusammenhalt von Eliten. In den Akten der Parlamentskommission zur P2 finden sich ganze Bände nur mit Empfehlungsschreiben, die Gelli erhalten oder verschickt hat.« Und weiter: »Er bestimmte die Wahl der Minister, der Staatssekretäre, der Geheimdienstspitzen mit.«374 Gelli gelang es, selbst das »Amt für Anti-Terrorismus« aufzulösen, das ihm auf die Spur gekommen war. Der Leiter des Amtes fand kurz darauf ein abruptes Ende, ein anderer Mitarbeiter starb bei einem mysteriösen Autounfall, ein dritter nahm sich das Leben und ein vierter verließ den Geheimdienst aus »Krankheitsgründen«. Gelli besaß sogar die Tollkühnheit, in einem Rundschreiben an seine »Freimaurerbrüder«, in dem für die Aktivitäten der P2 eine Telefonnummer aufgeführt war, das Büro des Geheimdienstes SISMI im Verteidigungsministerium zu nennen!375 Der amerikanische Auslandsgeheimdienst schließlich soll es gewesen sein, der den europäischen Terrorismus über die P2 angekurbelt habe. Das jedenfalls erklärte 1990 der hochrangige Ex-CIAMann Richard Brenneke. Zudem soll sich der CIA auch der Banken Michele Sindonas bedient haben. George Bush (Logenbruder von Skull & Bones, eines Auswuchses des Illuminaten-Ordens376, Anm. d. Autors), damals Chef der CIA unter Präsident Reagan, soll sogar führend an diesen Aktivitäten beteiligt gewesen sein. Gelli habe auch Kontakte mit dem Federal Bureau of Investigation (FBI) unterhalten, berichtete der zentrale CIA-Verbindungsmann für die italienischen Geheimdienste und Organisator amerikanischer Geheimpolitik in Italien sowie langjähriger Verantwortlicher der italienischen Geheimdienste in der NATO, Umberto Frederico d’Amato. Er selbst war ebenfalls Mitglied der P2 und pflegte einen engen Kontakt zu Licio


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Gelli, verstarb aber 1996 unter mysteriösen Umständen und plötzlich.377 Schauen wir uns noch einmal die politische Betätigung der P2 näher an. In den Fünfzigerjahren sorgten die Amerikaner für eine Reorganisation des europäischen Freimaurertums unter antikommunistischen Vorzeichen, die Ende der Sechzigerjahre sogar noch intensiviert wurde. Beispielsweise wurden in allen italienischen NATOBasen Freimaurerlogen eingerichtet. Die Mitgliedschaft bei den Freimaurern war eine Begünstigung, um Zugang zu NATO-Geheimnissen zu erhalten, so der Abgeordnete und P2-Logenbruder Costantino Belluscio bei einer Parlamentssitzung am 28. September 1981.378 Dabei avancierte die P2 zu einer »Elite-Loge«, die geheim und nur gestützt von amerikanischen und italienischen Politikern die politischen Geschicke neben der legitimen Regierung bestimmte. »Das Freimaurertum wurde das geeignete Instrument, um führenden Köpfen des antikommunistischen Lagers aus Politik, Militär, Medien, Wirtschaft und Hochfinanz quer zu den politischen Parteien und unter der Führung Amerikas … einen Zusammenhalt zu schaffen«, erklärt die Publizistin Regine Igel dazu.379 Michael Baigent, Richard Leigh und Henry Lincoln sinnieren über einen anderen Bezug zur »regulären« Freimaurerei eines der P2Mitglieder: »Einige auf diesem Gebiet arbeitende Forscher behaupten, dass Loge Nr. 901 der Stadt London in den P2-Skandal verwickelt sei, da Roberto Calvi ihr zumindest als einfaches Mitglied angehört habe. Die Geschichte wurde von der Presse in Großbritannien veröffentlicht. Die Großloge von England erklärt, eine Überprüfung des Logenregisters für die Jahre 1940–1986 bestätige, dass weder Calvi noch Gelli je Mitglieder dieser Loge gewesen seien.«380 Natürlich nicht, scheint man nach alldem Gelesenen geneigt sein zu sagen. Denn alle Personen, die mit der P2 zu tun hatten und haben, »dürfen« ja zwangsläufig – zumindest aus der Sicht der Diskreten Gesellschaft – in keinster Weise mit der »regulären« Freimaurerei in Verbindung gebracht werden. Dennoch wurde genau dies immer wieder getan. Auch von höchster Stelle sozusagen, wie beispielweise 1993 vom italienischen Staatsanwalt Agostino Cordova im kalabrischen Palmi. Er ermittelte gegen »entgleiste« Freimaurerlogen in Verbindung mit mafiösem Drogenhandel und stieß dabei auf geheime, außerhalb der offiziellen natio-


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nalen Mutterlogen Grande Oriente und Gran Loggia d’Italia. Nachdem er die Büros von Ex-Großmeister Armando Corona in Cagliari und Rechtsanwalt Augusto De Megni in Perugia durchsucht hatte, kam er zu dem Schluß, dass er 19 aktive Parlamentarier verdächtigte, die 1991 »unbekannt gebliebene Spitze der P2 zu sein«. Die P2 habe es verstanden, sich »politisch zu recyclen« und auch weiter »innerhalb der italienischen Freimaurerei aktiv« zu bleiben! Doch dieses Mal wurde der energische und hartnäckige Ermittler nicht etwa umgebracht, sondern einfach auf einen höheren Posten der Justizbürokratie in Neapel befördert. Auf diese Art wurden die Ermittlungen gegen die inoffiziellen Freimaurerlogen in Kalabrien gestoppt.381 Der Versuch der »regulären« Freimaurerei, sich von der P2 reinzuwaschen, zu distanzieren, ist laut meinen oben aufgezeigten Ausführungen und anderen Forschungen wohl kläglich gescheitert. Wenn die »reguläre« Freimaurerei noch einen Beleg für die »Regularität« auch eines Großmeister Licio Gellis braucht, dann noch diesen: Der Chef der P2 beschäftigte sich neben seiner Geheimpolitik auch mit dem Ausbau des weltweiten Freimaurernetzes in der »Weltorganisation des Gedankens und der Fürsorge der Freimaurer« (Organizzazione Mondiale del Pensiero e dell’ Assistenza Massonica, OMPAM). Deren Hauptsitz befand sich in Rom. »Besonders stark war die OMPAM in genau den südamerikanischen Ländern, wo Gelli Besitz hatte und die amerikanische Geheimpolitik bei manch einem Staatsstreich nicht nur hilfreich zur Seite stand« (Igel).382 Die Wirklichkeit sah also schlimmer, viel schlimmer für die Freimaurer aus. Die P2 war keine »angebliche« oder rein »irreguläre« Freimaurerloge, sondern agierte jahrelang höchst regulär. Dasselbe gilt für den Großmeister Gelli, der bei den »regulären« Freimaurern viele Fäden in der Hand hielt, scheinbar aber der Mann »aller« (italienischen) Freimaurer war. Die »P2« war eine Geheimloge mit Bezug zur »regulären« Freimaurerei und verantwortlich für Staatsterror, Putschversuche, Terroranschläge, Erpressung und Mord!

4.1.4.21 Mitglieder der Propaganda Due (P2) Nachfolgend möchte ich einige Mitglieder der P2 benennen, die auf einer Liste mit 950 Personen gefunden wurden. Diese Liste wurde im


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Juli 1984 von einem Untersuchungsausschuss des italienischen Parlaments als ein authentisches Dokument erklärt.383 Diesem zu Folge sollen Mitglieder gewesen sein: 180 Generäle, 52 hochrangige Offiziere der italienischen Carabineri, 50 Heeresoffiziere, 37 Spitzenkräfte der Finanzpolizei, 29 Marineoffiziere, elf Polizeichefs, 150 Parlamentarier und sonstige Parteileute, 14 Richter, zehn Bankvorstände, zahlreiche hochrangige Geheimdienstleute, 50 Industrielle und Bankiers, zehn Journalisten und Chefredakteure. Auch über 100 Kardinäle und Bischöfe sollten dazu gehören, sagte der Freimaurer Fulberto Lauro aus. Der Journalist Pier Carpi, ebenfalls Freimaurer, bestätigte 1987 diese Aussage. Demnach sollten die Kurienträger die P2 als Kirchenloge Loggia Ecclesia bezeichnet und in direkter Verbindung mit dem Herzog von Kent, dem Großmeister der Vereinigten Loge von England, in Kontakt gestanden haben. Insgesamt schätzt man, dass der P2 rund 2500 Mitglieder angehörten, darunter 1650, die namentlich nie bekannt geworden sind. Auch deutsche Politiker sollen auf der Liste auftauchen! Der Abschlussbericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses sprach davon, dass die Logenmitglieder »die Spitzen der militärischen Macht Italiens auf den höchsten Rangstufen« darstelle.384 Der Enthüllungsjournalist David A. Yallop berichtet, dass einige Geheimdienste sich in der Überzeugung einig seien, wonach in der P2 300 Personen wären, die zu den »mächtigsten Männern der so genannten Freien Welt« zählten.385 Mitglieder der P2 (Auswahl): Silvio Berlusconi, späterer Ministerpräsident Italiens und Fernsehmogul. Publio Fiori, Justizminister unter Berlusconi. Adolfe Sarti, Justizminister unter Forlani. Alfredo Biondi, Außenminister unter Berlusconi. Antonio Martino, Außenminister unter Berlusconi. Pietro Longo, Führer der Sozialdemokraten (PSDI). Gaetano Stammati, Außenhandelsminister. Lelio Lagorio, Verteidigungsminister. Orazio Giannini, Minister. Leonardo Di Donna, Sozialist. Alberto Ferrari, Sozialist. Enrico Manca, Sozialist.


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Pietro Longo, Chef der Sozialdemokratischen Partei samt einigen Parteifreunden. Fabrizio Circhitto, sozialistischer Abgeordneter. De Lorenzo, Exstaatssekretär und Fondspräsident. Foschi und Manea, Minister. Mario Tedeschi, Abgeordneter der MSI. Staatsekretäre der Regierung Forlani. Politiker der Christdemokraten, der Republikaner, der Liberalen. General Raffaele Giudice, Chef der italienischen Steuerfahndung/ Finanzpolizei (Guardi di Finanza). Donato Lo Prete, Leiter der Finanzpolizei. Orazio Giannini, General der Finanzpolizei. Walter Pelosi, späterer Chef aller Geheimdienste. General Grassini, Chef des Geheimdienstes der Carabinieri. General Allavena, ehemaliger Chef des Geheimdienstes Italiens. General Giuseppe Santovito, Chef des militärischen Geheimdienstes. General Domata, mit Verbindungen zum deutschen Bundesnachrichtendienst. General Pietro Musumeci, Chef der Innenabteilung des italienischen militärischen Nachrichtendienstes SISMI. Präfekt Pelosi, Koordinator aller italienischen Geheimdienste. Vito Miceli, Geheimdienstchef, später Abgeordneter der neofaschistischen, italienischen Partei MSI. General Siro Rosseti, Mitglied des Geheimdienstes der Luftwaffe und der SIOS. Admiral Giovanni Torrisi, Chef des Generalstabs der Streitkräfte. Antonio Geraci, Flottenadmiral. Umberto Frederico d’Amato, zentraler CIA-Verbindungsmann zu den italienischen Geheimdiensten und Organisator amerikanischer Geheimpolitik in Italien, sowie lange Jahre Verantwortlicher der italienischen Geheimdienste in der NATO. Francesco Pazienza, bedeutender Mittelsmann zwischen der Regierung Reagan und der italienischen politischen Führung. Maurizio Costanzo, Chef der Tagesschau von RAI1 und Moderator. (Die vollständige Namensliste ist u.a. auch im Internet veröffentlicht.386)


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Zu erwähnen ist noch, dass die P2 auch in Argentinien und Uruguay ein ähnliches Netzwerk wie in Italien geschaffen und es weitere aktive Logenzweige in Venezuela, Paraguay, Bolivien, Nicaragua, Frankreich, Spanien und Portugal gegeben hatte. Darüber hinaus gab es Mitgliedern in der Schweiz und in den USA. Ferner soll die P2 Geld aus dem südamerikanischen Drogenhandel und anderen Verbrechen gezogen haben. Der argentinische Innenminister nannte die P2 Im Jahre 1986 eine »ungeheure kriminelle Verschwörung«, die nach der Macht im Lande strebe. So besetzten die Freimaurer acht wichtige Positionen in der Regierung Perón. Der argentinische Diktator soll seinen Logenbruder Gelli spaßeshalber sogar »mi commandante« genannt haben.387 Der Politikwissenschaftler und Autor Robert Hutchison erwähnt neben der P2-Loge auch noch eine P1 in Frankreich und eine P3 in Spanien mit Sitz in Madrid. Chef der P3 soll der ehemalige spanische Justizminister Pio Cabanillas Gallas gewesen sein. Auch er führte, wie sein P2-Logenbruder Licio Gelli, geheime Akten über wichtige Persönlichkeiten in Spanien. Mit ihm soll sich der P2-Finanzier Roberto Calvi öfters getroffen haben.388 Anthroposophische Quellen sprechen davon, dass, obwohl die P2 verboten wurde und sich angeblich aufgelöst hat, führende Bankiers in Mailand und Politiker in Rom im privaten Kreis von der »Existenz der P3, einer Nachfolgeorganisation, gesprochen« hätten.389 Brian Freemantle erklärt: »P2 wurde verboten und angeblich aufgelöst. Tatsächlich ist das bis heute (damaliger Stand 1995, Anm. d. Autors) nicht geschehen. Im Jahre 1994 nahm ein Gericht das Verbot zurück, wogegen jedoch der Staatsanwalt Einspruch erhob.«390 Was die P2 oder vielleicht eine ihrer Nachfolgeorganisation bei ihrem ersten »Staatsstreich«-Versuch nicht schaffte, das schaffte einige Jahre später ein anderer Logenbruder. Ganz Europa schaute ihm dabei zu, ohne etwas wirklich Entscheidendes zu unternehmen. Genau das ist für alle europäischen Demokraten mehr als beschämend.

4.1.4.22 Mächtiger Logenbruder391 Silvio Berlusconi Im März 1994 trat ein weiterer wichtiger Freimaurerbruder endgültig ins nationale und internationale Rampenlicht, der »mächtigste Mann Europas«, trotz seiner Körpergröße von gerade einmal 1,64 Meter,


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die italienische Republik in einen Sumpf aus Korruption, Gefälligkeiten, kriminellen Maschenschaften und Logentum verwandeln sollte: Silvio Berlusconi, der einst unbekannte Grundstücks- und Bauspekulant, der jetzt Ministerpräsident Italiens wurde. Medien, Geld und Politik waren seine Passion. Sein Wirtschaftsimperium umfasste rund 150 Firmen, Banken- und Versicherungsbeteiligungen, Fernsehsender, Tageszeitungen, Kaufhäuser und den Fußballclub AC Milan. Nach seinem Schlachtruf »Forza, Italia!« (»Vorwärts, Italien!«) benannte er auch seine politische Partei, die in ihren Gründungsjahren 1993/94 sogar vom Vatikan unterstützt wurde.392 Berlusconis Vermögen wurde auf 14 Milliarden Dollar geschätzt und er gilt, laut Forbes und Financial Times, als der reichste Mann Italiens und – hinter Bill Gates, Robert Murdoch und George Soros – sogar als der viertmächtigste Mann der Welt!393 Und das, obwohl es ihm vor seiner Politkarriere finanziell mehr als bescheiden ging. »Wenn ich nicht in die Politik gehe, dann gehe ich ins Gefängnis oder wegen meiner Schulden bankrott«, soll er einmal in Hinblick auf seine 3,5 Milliarden Euro Schulden gesagt haben.394 In dieser Situation hatte der »Kleine Große« den politischen Wahlkampf angetreten, um die italienische Republik vor dem Niedergang und vor dem Kommunismus zu bewahren. Seine engsten Gefolgsleute, »gegen die sich die Panzerknackerbande wie ein Häufchen Konfirmanden ausnimmt« (Stern)395, sollten das Land zukünftig maßgeblich und vor allem negativ verändern. Trotzdem sollte Berlusconi viele mächtige Freunde haben: Vladimir Putin, der Präsident Russlands, verbrachte häufig Ferientage in seinem Anwesen auf Sardinien. Im Jahre 2004 waren es sein persönlicher Freund Tony Blair mit seiner Frau Cherie, die den Urlaub in einer seiner Privatvillen genossen. Berlusconis Hände reichten sogar bis nach Deutschland, denn hierzulande arbeitete er mit der KirchGruppe zusammen. Leo Kirch selbst stand wiederum dem damaligen CDU-Kanzler Helmut Kohl nahe. Berlusconi war er auch Gast bei der Hochzeit der Tochter des spanischen Regierungschefs José Maria Aznar und der Tochter des türkischen Premiers Recep Erdogan.396


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4.1.4.22.1 Berlusconi, die Propaganda Due (P2), Michele Sindona und Roberto Calvi Doch was Berlusconi – der in zahlreichen Strafprozessen auch Angeklagter werden sollte – sonst noch war, wurde weniger bekannt: Der Mann, der sich einst, um sein Studium zu finanzieren, als Nachtclubsänger auf Mittelmeer-Kreuzfahrtschiffen bezahlt machte, und seine Kinder auf eine anthroposophische Rudolf-Steiner-Schule schickte, war auch P2-Mitglied und »nebenbei« auch noch »Vertrauensmann« des Opus Dei! Seit jeher fühlte er sich diesen beiden Organisationen, den Freimaurern und dem Opus, zugehörig.397 Am 26. Januar 1978 trat Berlusconi »heimlich« (Trepp)398 in die geheime Freimaurerloge ein. Seine Mitgliedsnummer lautete 1816 unter der Chiffre E.19.78. Er war der Gruppe »17« mit der Aktennummer 0625 zugeteilt. »Die Mitgliedschaft in der Loge erlaubt Berlusconi, einige wichtige Kontakte zu knüpfen«, werden die Staatsanwälte Domenico Gozzo und Antonio Ingoia am 11. Dezember 2004 bei einer Anklagerede gegen einen Freund und Geschäftspartner Berlusconis sagen.399 Berlusconi stritt ursprünglich seine Mitgliedschaft ab, behauptete am 27. September 1988 vor dem Landgericht von Verona sogar unter Eid, niemals dem »ehrenwerten« Logen-Großmeister Licio Gelli Mitgliedsbeitrag entrichtet zu haben. Doch er log, wie zwei Journalisten herausfanden, die ihn wegen meineidlicher Falschaussage angezeigt und vor dem Berufungsgericht von Verona den entsprechenden Prozess gewonnen hatten. Eine Quittung mit der Nummer 104 für die Aufnahmegebühr von rund 125 Mark war am 5. Mai 1978 ausgestellt worden. Im Urteil Nr. 97 215/89 steht zu lesen: »Das Gericht ist der Auffassung, dass die Behauptungen des Angeklagten (Berlusconi, Anm. d. Autors) nicht der Wahrheit entsprechen … Daraus erfolgt zwingend, dass Berlusconi vor dem Landgericht von Verona in seiner Funktion als Zeuge und Beleidigter die Unwahrheit bezüglich Dingen gesagt hat, die direkt mit dem Gegenstand der Klage und deren Umständen zusammenhängen, er hat Aussagen zur Sache gemacht, die das Gericht in die Irre führen sollten, ganz unabhängig davon, dass sich das betreffende Gericht von den lügnerischen Erklärungen nicht hat inhaltlich beeinflussen lassen, hat er die ihm vorgeworfene Straftat (Meineid) begangen …«400 Damit war Berlusconi wegen Meineids verurteilt worden, entging aber einer Haftstrafe, weil wieder einmal eine allgemeine Amnestie


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ausgerufen worden war. Glück für den Freimaurer, das er nachfolgend noch öfters haben sollte, wobei nicht verschwiegen werden darf, dass er dem manchmal auch kräftig nachhalf. Berlusconi sagte über die Freimaurerloge: »In der P2 versammelten sich die besten Leute des Landes.«401 Alexander Stille, Autor des Buches Citizen Berlusconi, schreibt treffend: »Wahr ist sicher, dass dort viele der Mächtigsten im Lande vertreten waren. Man könnte aber auch sagen, es seien die schlimmsten aus der gesellschaftlichen Elite Italiens gewesen: Generäle, Oberste und Admiräle, die nichts dabei fanden, ihren Treueeid zum italienischen Staat zu brechen …, hohe Geheimdienstbeamte …, Präsidenten staatlicher Banken, die sich herabließen, Logenbrüdern für irgendein zwielichtiges Vorhaben Kredite zu verschaffen, deren Rückzahlung in den Sternen stand.«402 Und Udo Gümpel und Ferruccio Pinotti ergänzen: »… sein (Berlusconis, Anm. d. Autors) eigenes Weltbild … hat mit christlichen Überzeugungen herzlich wenig zu tun. Es ist das Monument eines Freimaurers, der Berlusconi ja auch einst war, in der dann gesetzlich aufgelösten Geheimloge P2 des faschistischen Großmeisters Licio Gelli, aber nicht das Monument christlichen Glaubens. All diese ›Details‹ haben die Kirchenfürsten nicht davon abgehalten, auf die Regierung Berlusconi zu setzen.«403 So mutet auch Berlusconis monumentales Mausoleum voller Symbole, das den Kreislauf des Lebens zeigt und das er sich unter- und überirdisch in den Garten seiner Villa stellen ließ, sehr befremdlich an. Hier will er seine letzte Ruhestätte finden, zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern, geordnet nach Wichtigkeit. Sind mit den »engsten Mitarbeitern« vielleicht (Ex-)Logenbrüder gemeint? Das Grabmal mutet im Übrigen auch »freimaurerisch« an mit seinem »Himmel« (Sterne, Monde und Planeten, unsichtbar miteinander verbunden), einem Sockel, den man, wie eine »Pyramide«, über einzelne Stufen erreichen kann, einem offenen »Tempelbau« und den im Gruße verschränkten stilisierten Händen und der Art »Altar«. Auffallend ist, dass die meisten Symbole nicht traditionellen Religionen entsprechen, sondern nichtreligiöser, astrologischer Natur sind. Keine Madonnen, keine Jesus-Figürchen, keine Gebetsnischen, wie man es sich für einen »guten« Katholiken vorstellen könnte. Ein eigenes Grabmal also, frei von Merkmalen christlicher Religion! Dafür gibt es ein antichristliches, ein satanisches Symbol: das des Widders! Der Psychologe Allessandro Amadori


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erklärt dazu: »Ja, der Widder, das muss ich schon sagen, ist natürlich in unserer europäischen Tradition der Symbole immer ein mephistophelisches Element, es ist satanisch … Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es eine Beziehung zwischen satanischen Sekten und der Psychologie von Silvio Berlusconi gibt, aber es beeindruckt doch sehr, dass unter den vielen Symbolen, die man hätte wählen können, gerade der Widder gewählt wurde – ein Symbol, das nun wirklich sehr selten auf europäischen Grabstätten ist. Der Widder, das ist natürlich auch das Symbol der Fruchtbarkeit, der sexuellen Kraft, des Lebens an sich.« Amadori weiter: »Sicher kann man sagen, in der Welt Berlusconis müssen die Dinge geschlossen, kontrolliert, vereint und ewig sein. Und wenn man das in Zusammenhang mit einer Sekte bringen will, dann wäre das eine der möglichen Interpretationen, rein von der psychologischen Gestaltung des Grabes aus gesehen natürlich und ohne daraus irgendeine reale Interpretation der Figur Berlusconis entwickeln zu wollen.«404 Ist mit »Sekte« die Freimaurerloge gemeint? Berlusconi, der (ehemalige) Freimaurer, der »weder durch seinen Lebensstil (als geschiedener und wieder verheirateter Vater) noch durch seine persönlichen Überzeugungen … jemals Nähe zu den Geboten der katholischen Kirche zeigte« (Gümpel/Pinotti)? Berlusconi und die P2, die »wahre, echte Männergemeinschaft der piduisti, wie die ehemaligen Mitglieder der P2 heute in Italien beiläufig-abfällig genannt werden (dürfen), ist derjenige Teil der Erfolgsbiographie, die die vielen seltsamen Rettungsaktionen zu Gunsten Berlusconis in letzter Minute erklären könnte.«405 Berlusconis P2-Zugehörigkeit lohnte sich auf vielfältige Weise. So bekam er bei Banken, deren Direktoren Logenbrüder waren, enorme Darlehen zu extrem günstigen Konditionen. Vielleicht als Dank der P2 gegenüber platzierte er Logenbruder Maurizio Costanzo als Gastgeber seiner wichtigsten abendlichen TV-Talkshow. Das war noch nicht alles: Als Besitzer des Il Giornale konnte er gegen den Willen des Chefredakteurs durchsetzen, dass ein ausführliches Dossier über die P2, das ihn und andere ehemalige Logenbrüder in Verlegenheit hätte bringen können, »verwässert« wurde. Die Journalisten Udo Gümpel und Ferruccio Pinotti bringen Berlusconi in ihrem hervorragend recherchierten Buch Berlusconi Zampano – Die Karriere eines genialen Trickspielers in einen weiteren P2-Bezug, nämlich zu Michele Sindona, dem engen Vertrauten


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des P2-Führers Licio Gelli. 1963 beschloss Berlusconi zusammen mit Carlo Rasini und einigen anderen Investoren einen Wohnkomplex im Norden Mailands für etwa 4000 Menschen zu bauen. Ein Teil davon finanzierte die Banca Rasini, in der Berlusconis Vater bis 1973 Prokurist war, über die Sindona Mafiageschäfte abgewickelt haben will, sowie die Kommanditgesellschaft Edilnord mit den beiden Hauptverantwortlichen Carlo Rasini und Renzo Rezzonico. Rasini war also einst über seine Bank mit Sindona »verbandelt«, Rezzonico war, laut einem Polizeibericht, Sindonas »Anwalt seines Vertrauens«. »Dies ist eine wichtige Entdeckung, die belegt, dass das Finanzsystem, das Berlusconi in seinen Anfängen mit Geld versorgte, auch später weiterbestand«, resümieren Gümpel und Pinotti. »Berlusconi sicherte sich zusätzlich die Dienste einer weiteren mit Sindona in Zusammenhang stehenden Firma mit Namen Servizio Italia … Renzo Rezzonico … war für eine mysteriöse Schweizer Holding namens Finanzierungsgesellschaft für Residenzen AG tätig. Diese Holding … investierte über die Banca Rasini beträchtliche Summen in die Edilnord und finanzierte damit Berlusconis Projekt …«406 Die Banca Rasini ist auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt interessant: Drei Liechtensteiner Firmen waren seit Anfang der Siebzigerjahre Großaktionäre, finanzierten also sozusagen die Bank von Berlusconis Vater. Bei einem dieser Großaktionäre handelte es sich um die »Brittener Anstalt«, die wiederum einen Tochtersitz in Nassau hatte und in direktem Kontakt mit Roberto Calvis Ableger der Banco Ambrosiano in Nassau, der Cisalpine Overseas Bank (die spätere Banco Ambrosiano Overseas Limited), stand, gegründet von dem ermordeten Calvi, Sindona und dem Chef der Vatikanbank Marcinkus. Die »Brittener Anstalt« in Nassau spielte laut Ermittlern eine wichtige Rolle bei der Geldwäsche von Drogengeldern! Nicht nur diese Indizien, sondern auch noch andere ließen vermuten, »dass Berlusconis Firmenimperium auch mit Kapital von Michele Sindona bzw. Roberto Calvi gegründet wurde, welche später beide einem vorgetäuschten Selbstmord zum Opfer fielen«, meinen Gümpel und Pinotti. Und immer wieder führen die Spuren zur Freimaurerloge P2! So war beispielsweise bei einer der ersten Gesellschaften, die die Berlusconi-Gruppe gegründet hatte (am 16. September 1974), der Immobiliare San Martino, ein Hauptgesellschafter die Servizio Italia spa, die durch Gianfranco Graziadei vertreten wurde. Graziadei war


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Mitglied der P2! Als alleiniger Geschäftsführer wurde BerlusconiKumpel Marcello Dell’Utri bestimmt, der schon damals Mafia-Kontakte besaß. Und die Verquickung zwischen Berlusconi und Calvi soll sogar soweit gegangen sein, dass Calvi bei einem Treffen mit Paul Marcinkus im Dezember 1976 gesagt haben soll, dass sie künftig die Fernsehaktivitäten von Silvio Berlusconi finanzieren würden!407 Es versteht sich von selbst, dass Berlusconi & Co. dies massiv bestreiten. Sollte sich hier also der Kreis zwischen den alten Seilschaften um die P2 und um den neuen Logenbruder Silvio Berlusconi, der später zum mächtigsten Mann der Republik aufsteigen sollte, schließen? »Die Geschichte der Beziehungen zwischen Roberto Calvi und Silvio Berlusconi ist erst in jüngster Zeit ans Licht gekommen«, meinen Gümpel und Pinotti dazu. »Mittlerweile laufen mehrere Ermittlungen, die den hauchdünnen roten Faden suchen, der sich von den geheimnisvollen Kapitalzuflüssen zu Beginn von Berlusconis Karriere zu Roberto Calvi spinnt. Erst bei diesen Rundum-Untersuchungen fanden sich Beweise für die Tatsache, dass am Ursprung von Silvio Berlusconis Vermögen nicht nur die Beziehung zu Michele Sindona stand, sondern auch die zu Roberto Calvi.« So war nachweisbar, dass Roberto Calvis Capitalfin zu 100 Prozent Anteile der Finivest Ltd. auf der Grand-Cayman-Insel und der Finservice spa hielt – beide Gesellschaften gehörten zu P2-Bruder Silvio Berlusconi, der sich der Protektion der Logenbrüder Gelli und Ortolani erfreute! Präsident der Capitalfin wiederum war Logenbruder Alberto Ferrari und im Verwaltungsrat saß Logenbruder Gianfranco Graziadei. Berlusconis bekannteste Firma, die Finivest, wurde also zu 100 Prozent von der Capitalfin Calvis kontrolliert und erhielt Stammkapital von drei Treuhandgesellschaften: der Banco Nazionale di Lavoro, der Servizio Italia und der Saf. »An den Schalthebeln dieser Bank finden wir die P2-Mitglieder Alberto Ferrari und Gianfranco Graziadei« (Gümpel/Pinotti).408 Die P2 lässt grüßen! Noch ein anderer Aspekt ist mehr als erschreckend für einen italienischen Ministerpräsidenten: 2005 stand unter anderem auch Flavio Carboni, der beste Kontakte zur sizilianisch-amerikanischen Mafia besaß und zum engen Kreis der P2-Spitze um Licio Gelli gehörte, wegen Mordes an Roberto Calvi vor Gericht. Als P2-Logenbruder kannte er natürlich Berlusconi. Mehr noch: Einige von Carbonis Unternehmungen wurden zu einem Großteil sogar von Berlusconi


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finanziert! Und über den Großmeister der Freimaurerloge La Corona, den Verleger Carlo Caracciolo, hatte Carboni einst Roberto Calvi im Jahre 1980 kennengelernt! Carboni besaß aber auch Kontakte zur Mafia und zu Francesco Di Carlo, der ebenfalls im Verdacht stand, Calvi getötet zu haben.409 4.1.4.22.2 Logenbruder Berlusconi und die Mafia Mitte der Achtzigerjahre ermittelte die Finanzpolizei gegen Berlusconi wegen des Verdachts, Mafia-Gelder gewaschen zu haben. Tatsächlich gab es einige Kontakte zwischen ihm und der Cosa Nostra. Und zwar schon früh, im Jahre 1974, wie es aus den Akten des späteren Prozesses gegen Berlusconis Freund Marcello Dell’Utri hervorging. Dass Berlusconi schon früher Angst davor hatte, dass er oder seine Familie entführt werden könnten und sich deshalb für den Schutz durch die Mafia entschieden hatte, ist wohl kein Geheimnis mehr. Ausgerechnet der Mann sagte bei oben genanntem Prozess am 16. Februar 1998 aus, der laut Mafiosi Francesco Marino Mannoia – der im Juli 1991 als Kronzeuge im Fall Calvi gehört wurde – den Bankier erwürgt und aufgehängt haben sollte. Bei ihm handelte es sich um einen ranghohen Mafiaboss aus Palermo, Francesco »Frank« Di Carlo, der »Schlächter von Altofonte« genannt wurde. Seiner Aussage nach hatte es zwischen ihm und weiteren Cosa-NostaMitgliedern sowie Dell’Utri und Silvio Berlusconi, dem späteren Ministerpräsidenten, ein »Gipfeltrefffen« am Sitz des BerlusconiUnternehmens Edilnord gegeben. Es wurde dabei unter anderem über verschiedene Bauprojekte gesprochen und man sicherte sich gegenseitige Hilfsbereitschaft zu. Berlusconi sagte sogar, er »stünde ihnen (also der Mafia, Anm. d. Autors) jederzeit zur Verfügung.« Das Gericht in Palermo sah diese Aussage als glaubwürdig an, und so stand es auch im Urteil vom 11. Dezember 2004.410 Udo Gümpel und Ferucio Pinotti berichten in ihrem Buch Berlusconi Zampano über weitere Kontakte zur Mafia, die Berlusconi oder seine Mitarbeiter betrafen. Schon früher, 2002, sagte Antonio Giuffrè, der amtierende Führer der Cosa-Nostra von Caccamo aus, dass sie 1993 »in direktem Kontakt« mit Vertretern von Silvio Berlusconi gestanden habe zwecks eines Bündnisses zwischen der Mafia und Berlusconis Forza Italia!411 Logenbruder Berlusconi besaß ausgezeichnete politische Kon-


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takte. Beispielsweise zu Bettino Craxi, einem der damals mächtigsten Männer Italiens, der 1976 die Führung der Sozialistischen Partei Italiens übernommen hatte und von 1983 bis 1987 Premierminister war. Im Jahre 1989 avancierte Craxi gar zum persönlichen Vertreter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, dessen Ziel eine nichtkommunistische und reformistische Linke war. Dafür erhielt er auch rege Unterstützung durch die US-Regierung. 4.1.4.22.3 Logenbruder Berlusconi und das weibliche Geschlecht Wie eng Berlusconis Beziehung zu Craxi tatsächlich war, zeigte nicht nur die Tatsache, dass Letzterer oft in Berlusconis Villa eingeladen und Trauzeuge bei seiner zweiten Hochzeit war, sondern auch, dass sie Silvester zusammen feierten. Am Silvesterabend 1986 kam es dann auch zu einem Gespräch zwischen P2-Mann Berlusconi und Marcello Dell’Utri, einem seiner engsten Freunde – einst sein Privtatsekretär, Chef seiner Werbefirma Publitalia und erklärter Anhänger des Opus Dei –, das von der Polizei mitgeschnitten wurde. Es zeigte, was hohe Politiker für eine Meinung über das weibliche Geschlecht hatten. Berlusconi: »Dieses Neue Jahr fängt beschissen an!« Dell’Utri: »Warum?« Berlusconi: »Weil zwei Mädchen aus Drive In (eine von Berlusconis TV-Sendungen, Anm. d. Autors) kommen sollten, und sie haben uns versetzt! Craxi ist außer sich vor Wut!« Dell’Utri: »Warum regst du dich über Drive In auf?« Berlusconi: »Warum ich mich aufrege? Weil wir dann überhaupt nicht mehr bumsen. Wenn man nicht in der Silvesternacht bumst, vögelt man das ganze Jahr nicht mehr.« Dell’Utri: »Was soll’s, dann soll er doch woanders vögeln gehen!« Auch an anderer Stelle entgleiste der mächtige Freimaurer Berlusconi in Hinsicht auf das weibliche Geschlecht. Im Jahre 1982, nachdem die Italiener die Fussball-Weltmeisterschaft gewonnen hatten, tätschelte er den Po seiner Frau, als er sich von Gästen verabschiedete, die das Endspiel mitangesehen hatten und sagte laut: »Jetzt wirst du sehen, wie der Weltmeister vögelt.« Auch auf internationalem Parkett bewegte er sich später ungeschickt und Frauen gegenüber peinlich. So sprach er der »Organisation für Ernährung


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und Landwirtschaft«, »insbesondere aber den bezaubernden weiblichen Delegierten« seinen Dank aus. Bei einem Auftritt an der Wallstreet antwortete er auf die Frage, warum Unternehmen in Italien investieren sollte: wegen der »hübschen Sekretärinnen«! Vor einer Delegation aus der Türkei versuchte er zu imponieren, indem er von einer »wunderbaren türkischen Freundin« erzählte, mit der er als junger Mann zusammen war, und den Franzosen erklärte er, dass er in Frankreich sehr beliebt sei, weil »Sie müssen nur einmal zählen, wie viele französische Freundinnen ich schon hatte«. Berlusconi erlaubte sich des Weiteren auch einen ungeheuerlichen Fauxpax dem damaligen deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder gegenüber, indem er ihn fragte: »Gerhard, Sie waren viermal verheiratet, was können Sie uns über Frauen sagen?« Schröders Antwort darauf war eisiges Schweigen.412 Doch nicht nur in dieser Hinsicht, sondern auch in anderer, entgleiste der Logenbruder verbal, beispielsweise, als er mit seinem Freund Craxi über einen Chefredakteur sprach, der Craxi in die Pfanne gehauen hatte. Berlusconi: »Ich werde mit der Faust auf den Tisch hauen … Ich werde ihm meine Krallen zeigen … Ich werde ihm sagen, er soll sich selber ficken, Jesus Maria.« 4.1.4.22.4 Logenbruder Berlusconis »kriminelle« Karriere und sonstige Polit-Skandale Dass Berlusconi seine Macht als Ministerpräsident auch für eigene Belange nutzte, steht wohl außer Frage. So tauchten beispielsweise im Juli 1994 Gerüchte darüber auf, dass sein Bruder, Paolo Berlusconi, wegen Zahlung von Bestechungsgeldern an Steuerprüfer verhaftet werden sollte. Unvermittelt reagierte die Regierung Berlusconi darauf: Sie erließ eine Sonderverordnung, die den Ermittlungsbehörden die Ausstellung von Haftbefehlen bei politischer Korruption und Finanzkriminalität untersagte! Zudem sollte es auch zukünftig illegal sein, Informationen über laufende Ermittlungsverfahren zu veröffentlichen. Journalisten, die das trotzdem taten, drohten bei Zuwiderhandlung sogar Gefängnisstrafen! Doch ein Aufschrei der Öffentlichkeit folgte. Selbst Koalitionspartner der Forza Italia, wie die Neofaschisten und die Lega Nord, wandten sich gegen diese Verordnung, die spöttisch »Il decreto salvaladri« (»Das Rettet-die-DiebeDekret«) genannt wurde. Umberto Bossi, der Führer der Lega Nord,


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sagte: »Anstatt zu regieren, bemüht sich Berlusconi, seine Freunde, Verwandten und Mitarbeiter aus dem Gefängnis zu holen.« Er nannte Berlusconi einen »Mafioso«.413 Monate darauf brach Bossi das Bündnis mit der Forza Italia, wurde aber später, zu Berlusconis zweiter Regierungszeit, einer seiner treuesten Verbündeten, nachdem der Logenbruder seiner Partei aus ihrer Finanznot herausgeholfen hatte. Doch obwohl Berlusconi mit Neuwahlen drohte, musste er, angesichts sinkender Zustimmungswerte der Bevölkerung, die skandalöse Verordnung wieder zurückziehen. Die nächste Pleite erlebte Berlusconi am 21. November 1994 als Gastgeber eines internationalen Gipfels über das Organisierte Verbrechen in Neapel im Kreis der Regierungschefs der G8-Staaten, darunter auch Bill Clinton und Francois Mitterand, als öffentlich wurde, dass er von den Mailändern Staatsanwälten zur Vernehmung als Verdächtiger in Sachen Bestechungsgelder, die seine Unternehmen an die Finanzpolizei gezahlt hatten, vorgeladen worden war. Das heißt, gegen den Premierminister also höchstselbst ermittelt wurde! Es ging jedoch dabei um viel mehr, wie sich später herausstellte sollte: um lange abgestrittene Schwarzgeld-Finanzierungen für seinen Freund Craxi, um hunderte Millionen Dollar, eingebunkert auf geheimen Bankkonten in ausländischen Steuerparadiesen, Schmiergeldzahlungen nicht nur an die Finanzpolizei, sondern auch an Politiker und amtierende Richter, gekaufte Gerichtsurteile in Prozessen gegen Berlusconi-Firmen, teure Juwelen und andere Geschenke für Gattinnen von Richtern und Zeugen, die dafür Meineide schworen. Und auch um Millionenbeträge in schwarzen Kassen, die Berlusconi persönlich zur Verfügung standen, um Mitwisserschaft an einem Mord sowie Verbindungen zur Mafia, die durch Dutzende Augenzeugen, belauschte Gespräche und Telefonate und Wahlhilfen seitens der Cosa Nostra untermauert waren. Doch Berlusconi und viele seiner Mitbeklagten überstanden überwiegend schadlos Verurteilungen in erster Instanz mittels der Taktiken der Prozessverzögerung, der Berufung und der Verjährungsfrist. Selbst Berlusconis Freund Bettino Craxi entkam erfolgreich der Justiz: als 1992 die Mailänder Staatsanwälte gegen ihn wie auch andere Politiker wegen Bestechlichkeit ermittelten, 1994 sogar ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt wurde, floh er nach Tunesien. In Abwesenheit wurde der einst mächtigste italienische Staatsmann verurteilt. Als er im Jahr 2000 im tunesischen Hammamet starb, hatte er sich zeit


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seines Lebens erfolgreich der italienischen Justiz entzogen! Gewusst wie, möchte man da nur sagen! Übrigens hatten die P2-Freimaurer neben Berlusconi und anderen noch einen weiteren mächtigen Mann in der Regierung: Justizminister Alfredo Biondi. Schon bald nach der Wahl zeigte er sein wahres Gesicht, erklärte, dass Staatsanwälte sich jeglicher politischer Stellungnahme enthalten sollten und brachte mit seinem Chef Berlusconi eine Gesetzesvorlage ein, in der die Rechte der Staatsanwälte beschnitten werden sollte. Diese wurde jedoch – zum Glück – vom Parlament abgelehnt. Nur siebeneinhalb Monate dauerte Berlusconis Macht, dann wurde er vom Parlament zur Abdankung gezwungen. Dennoch blieb er weiterhin Abgeordneter der zweiten Kammer. Doch er hatte im wahrsten Sinne des Wortes, wie er einst sagte, »Nerven aus Stahl und die Geduld eines Heiligen«.414 1996 verlor Berlusconi die Wahl gegen seinen politischen Gegner Romano Prodi und dessen MitteLinks-Bündnis. In der Folgezeit überprüften die Ermittlungsbehörden Kontakte zwischen Funktionären der Forza Italia und der Mafia. Dabei kam es auch zu Verhaftungen. Davon betroffen war auch Berlusconis engster Freund, Marcello Dell’Utri. Er sollte der Verbindungsmann der Mafia zu Berlusconis Firmenimperium gewesen sein und mitgeholfen haben Mafiagelder zu waschen. Wegen Beihilfe für eine kriminelle Vereinigung mafiösen Charakters wurde er später in erster Instanz zu neun Jahren Haft verurteilt. Eine weitere Verurteilung zu zwei Jahren Haft wegen versuchter Erpressung erfolgte 2004. Manche Zeugen sprachen von einem regelrecht Pakt zwischen der Cosa Nostra und der Forza Italia, deren Funktionäre nach einem Wahlsieg versprochen haben sollten, die Anti-Mafia-Gesetze zu »verwässern«. Berlusconi redete von einem Komplott und einer »hyperaktiven« Staatsanwaltschaft. Die Justiz war für ihn ohnehin »kommunistisch gesteuert«.415 Das sollte sich, zumindest in Berlusconis Auffassung, ändern. Nach einem fulminanten Wahlsieg 1994 regte Domenico Contestabile, Staatssekretär im Justizministerium und Berlusconi-Getreuer, eine drastische Änderung des Zeugenschutzprogramms an, das den Ermittlern so viele aussagebereite Mafia-Mitglieder beschert hatte. Nach der Reform wurde es damit rar! Zudem gab es Vorschläge und Anweisungen, zumindest zwei der besonders ausbruchsicheren Insel-


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gefängnisse zu schließen. Darüber hinaus wurde der Strafvollzug für die Sondergefängnisse geändert, so dass die einsitzenden MafiaBosse angenehmer leben konnten. Beispielsweise durften sie sich von nun an Lebensmittel oder Speisen von außerhalb liefern lassen, Besucher ohne trennende Plexiglasscheibe empfangen und mehr Zeit mit anderen Mafia-Häftlingen verbringen. Auch Steuerhinterzieher erhielten ein besonderes Geschenk: Berlusconi, kaum im Amt, verkündete eine Amnestie für sie. Der Dank der Paten folgte auf dem Fuß: In allen 61 Wahlkreisen auf Sizilien wurde bei der Wahl für Berlusconis Parteienbündnis gestimmt! Und »ohne Sizilien hätte Berlusconi die Wahlen 2001 nicht gewonnen«, kommentiert der Wahlforscher Renato Mannheimer.416 Verbindungen zwischen Freimaurern, Mafiosi und BerlusconiVasallen lassen sich auch für das Jahr 1996 belegen. Im Januar wurde vor der sechsten Kammer des Gerichts in Palermo ein Prozess gegen Pino Mandalari eröffnet, der als »kaufmännischer Berater« des Mafiosi Totò Riina galt. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, dass er »nicht nur die Geschäfte der Mafiazelle aus dem sizilianischen Corleone führte, sondern auch seine zahlreichen Kontakte zu Mafiosi und Freimaurern spielen ließ, um die Kandidaten des BerlusconiBündnisses bei den Wahlen 1994 zu unterstützen. Als Entlastungszeugen zu Gunsten Mandalaris rief die Verteidigung auf: Kardinal Camillo Ruini, den Vorsitzenden der italienischen Bischofskonferenz, Silvio Berlusconi, Giulio Andreotti, Licio Gelli,sowie die Mafia-Größen Totò Riina, Leoluca Bagarella, Salvatore Greco, Raffaele Ganci, dazu den ehemaligen Präsidenten der ersten Kammer des Berufungsgerichtes, Corrado Carnevale« (Gümpel/Pinotti)!417 Wahrhaft, eine wirklich erlesene und elitäre Riege, die versuchte den Mafiosi zu retten. Berlusconi, Andreotti und Licio Gelli waren in diesem Zusammenhang wohl die wichtigsten Figuren. Wie einst tauchten P2-Führer Gelli und der »alte Fuchs« Andreotti scheinbar aus dem Nichts wieder auf, um zu helfen. Nicht zu vergessen auch die Unterstützung des Heiligen Stuhls. So als wäre die Uhr Jahrzehnte zurückgedreht worden. So als hätte das einstige Geflecht aus Mafia, Vatikan, P2-Freimaurern und Politik weiterhin Bestand. Dazu später mehr. Am Rande sei noch erwähnt, dass wenigstens Kardinal Ruini und Berlusconi vom Gericht als Zeugen abgelehnt wurden. Was noch wichtig in unserer Betrachtung ist: Auch Mafiosi Mandalari


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gehörte dem »Orden vom Heiligen Grab« an, genauso wie P2«-Großmeister Licio Gelli und sein Vize Umberto Ortolani, die wiederum Mitglieder des mächtigen »Malterser-Ordens« waren. Und da sage noch mal jemand, es gebe keine personellen Verflechtungen, Verbindungen und Klüngeleien zwischen »kriminellen« Freimaurern und »christlichen« Orden! Von 1990 bis 2005 wurden einige Prozesse gegen Berlusconi angestrengt. Beispielsweise im Fall P2 wegen Meineids (hier wurde eine Amnestie erteilt), wegen Bestechung der Finanzpolizei (Freispruch beziehungsweise Verjährung), wegen Amtsmissbrauchs (verjährt), wegen Bestechung (eingestellt), wegen Steuer- und Wettbewerbsdelikten (ruhte solange Berlusconi im Amt war), wegen Korruption und Richterbestechung (verjährt), wegen illegaler Schenkungen für seinen Freund, Ex-Ministerpräsidenten und Führer der Sozialisten Bettino Craxi, in Höhe von 21 Milliarden Lire, als dessen Gegenleistung für seine Unterstützung bei einer Medienreform (Berlusconi wurde in der ersten Instanz zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt, gewann aber in der Berufung wegen Verjährung). Außerdem wegen Bilanzfälschung in Höhe von 45,7 Millionen Euro auf Schwarzgeldkonten, mit denen er Richter, Staatsanwälte, Politiker und Verwaltungsbeamte bestochen, sprich »geschmiert« hatte, Medienunternehmen über Strohmänner aufkaufte, weil er das vom Kartellrecht her selbst nicht durfte und heimliche Aktienaufkäufe bei feindlichen Übernahmen anderer Unternehmen tätigte (auch hier entkam er einer Verurteilung, weil seine eigene Regierung die Verjährungsfristen bei derartigen Delikten drastisch verkürzt hatte), wegen Steuerhinterziehung und Geldwäsche – zusammen mit dem Multimillionär David Mills, der mit der damaligen britischen Kultusministerin Tessa Jowell verheiratet und ein enger und persönlicher Freund des Ex-Premiers Tony Blair und seiner Frau Cherie war!418 Eine fulminate Bilanz für einen ehemaligen Staatschef, der über Staatsanwälte und Richter noch vor ein paar Jahren sagte, dass diese »doppelt verrückt« seien, zum einen im »Kopf nicht normal« wären, zum anderen man aber für diesen Beruf »geistig gestört sein, beziehungsweise psychische Probleme« haben müsste!419


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Nach der Wahlschlappe von 1996 kam der Freimaurer Berlusconi jedoch wieder zurück und errang im Jahre 2001 mit seiner von ihm geführten Koalition Casa delle libertà, bestehend aus seiner Forza Italia sowie der Alleanza Nazionale (Nachfolgerin der faschistischen Movimento Sociale, vereinigte alte und junge Rechte) unter Gianfranco Fini und der Lega Nord (populistische Sammlungsbewegung von radikalen Ausländerfeinden mit mystischem Rassenkult) unter Umberto Bossi sowie einigen christdemokratische Splitterparteien einen grandiosen Wahlerfolg, der den von 1994 sogar noch in den Schatten stellte. Die Koalition Casa delle libertà konnte sich klar gegen das Mitte-Links-Bündnis L’Ulivo, das aus den Rifondazione Comnunista, der »Südtiroler Volkspartei« und anderen bestand durchsetzen. Gianfranco Fini von der Alleanza Nazionale wurde zum stellvertretender Ministerpräsident ernannt, während Umberto Bossi von der Lega Nord zum Minister für Reformen avancierte. Plötzlich, wie ein Phönix aus der Asche, war Berlusconi wieder da, wo er sich am liebsten sah: mitten auf der politischen Bühne. Und auch in diesem Fall wurde, wie nach seinem ersten Wahlsieg, eine Amnestie für Steuersünder verkündet und zwar von Berlusconis Steueranwalt Giulio Tremonti, der flux zum »Superminister« für Wirtschaft und Finanzen ernannt worden war. Berlusconi beteuerte zwar, dass beispielsweise das Unternehmen Mediaset, dessen Geschäftsführung er kurz zuvor übernommen hatte und das dann von seinem Freund Fedele Confalonieri und seinem Sohn Piersilvio Berlusconi geleitet wurde, dieses Gesetz nicht in Anspruch nehmen werde. Doch Pustekuchen: Nachdem sich herausgestellt hatte, dass Mediaset Hunderte Millionen Dollar am Finanzamt vorbei auf Steuerparadies-Konten transferiert hatte und nun eine Nachzahlung in Höhe von 120 Millionen Euro anstand, tat es die Firma doch! Selbst die Mafia-Mitglieder konnten lächeln, denn ihnen gelang mit Hilfe der Amnestie, Drogengelder unbehelligt in den heimischen Wirtschaftskreislauf einzuspeisen.420 Die Regierung des mächtigen Logenbruders setzte des Weiteren ein Gesetz durch, das den Fußballclubs die Möglichkeit gab, sich eines Teils ihrer Schulden zu entledigen, um sie vor dem Ruin zu bewahren. Müßig zu erwähnen, dass davon auch Berlusconis AC Milan profitierte. Doch einer der größten Skandale war, dass der P2-Mann treue


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Genossen, die früher oder später wegen verschiedener Delikte hinter Gitter gewandert wären, aufgestellt hatte und diese sogar gewählt wurden! Aufgrund ihrer parlamentarische Immunität waren sie nun vor einer Verhaftung geschützt und mit ihren Stimmen wurde ein Gesetz verabschiedet, das das italienische Strafrecht entschärfte! Berlusconis Mannen erreichten noch mehr: Unter ihrer Federführung wurden auch Tatbestände bei Bilanzfälschungen und Fälschungen der Buchungsunterlagen wesentlich entkriminalisiert. Zudem verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das Leuten wie Berlusconi ermöglichte, große Geldsummen nach Italien zurückzutransferieren, ohne angeben zu müssen, woher das Geld stammte und wie es verdient worden war. »Zusammen mit der Amnestie für Steuersünder bedeutete dieses Gesetz, dass Unternehmer und Finanziers, die Schwarzgelder in jedweder Höhe – auch Mafia-Gelder krimineller Herkunft – in den legitimen Wirtschaftskreis einführen wollten, dies ohne jedes Risiko und steuerfrei tun konnten … Seine politische Macht (leistete) ihm unschätzbare Dienste bei der Abwehr gegen ihn eingeleiteter Ermittlungs- und Strafverfahren … So stellte das höchste italienische Gericht im Jahr 2001 das Verfahren gegen ihn wegen der mutmaßlichen Bestechung (von) Richtern ein … Begründung: ›die Prominenz der gegenwärtigen gesellschaftlichen und persönlichen Stellung des Angeklagten‹. (Stille).421 Unglaubliche Zustände in einer Demokratie! Und eine unglaubliche Zweiklassen-Justiz! Dabei hatte die »unheilige« Arbeit des Logenbruders Berlusconi und seiner Forza-Italia-Fraktion eben erst begonnen. Berlusconi und die Fraktion machten weiter, die italienische Justiz nach ihrem Willen umzuformen, um die eigenen dunklen Geschäften und Hintermänner zu vernebeln und zu beschützen. So brachte Giuseppe Cerami, ein »Hinterbänkler« der Regierungsfraktion, ein Gesetz im Parlament ein, das auch verabschiedet und als so genanntes »CeramiGesetz« bekannt wurde, dass Angeklagten in Strafprozessen die Möglichkeit gab, ihre Ankläger bei »legitimen Verdacht« wegen Befangenheit abzulehnen! Das war wohl einmalig in der rechtsstaatlichen Justiz. Dass Richter neutral sein mussten und im Zweifelsfall gegen sie wegen Befangenheit vorgegangen werden musste, ist noch einsehbar. Daß dieselbe Regelung aber auch für die Ankläger gelten sollte, die ja auf der Seite des Staates stehen mussten, ist kaum mehr begreiflich. So konnte es geschehen, dass federführende Staatsan-


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wälte aus Verfahren ausgeschlossen werden konnten und diese daraufhin neu aufgerollt werden mussten. Natürlich tickte dabei immer die Uhr der Verjährungsfrist. Eine weitere unglaubliche Farce einer Strafjustiz, die Logenbruder Berlusconi und seine Fraktion der Republik zumutete! Ein Oppositionspolitiker machte einmal den Witz, dass die Berlusconi-Regierung, anstatt das italienische Strafrecht zu durchlöchern, doch einfach ein Gesetz verabschieden sollte, das ihn und seine Vertrauten vor jeglicher Strafverfolgung schütze. Und wahrscheinlich war es genau das, was der P2-Mann mit seinen Anwälten zu erreichten versuchte. Letztere holten zu einem weiteren Coup aus, um ihren Ministerpräsidenten vor jeglicher Strafverfolgung zu schützen. Ein neues Gesetz wurde verabschiedet, das besagte, dass es in Hinblick auf die anstehende EU-Präsidentschaft Italiens unziemlich sei, wenn Repräsentanten des italienischen Staates (zu denen Berlusconi natürlich gehörte) sich wegen schwerer Vergehen vor Gericht verantworten müssten, während ihr Land die Geschicke Europas leitete. Mit diesem Gesetz schaffte es Berlusconi, dass er formell ein unbescholtener Mann blieb! So war die repräsentative Demokratie Italiens und das italienische Parlament komplett ausgehöhlt und zu einer Farce geworden, die voll und ganz unter P2-Freimaurer Berlusconis Mitte-Rechts-Block standen. Italien war beinahe zu einer »Bananenrepublik« geworden! Der Journalist Alexander Stille, der Berlusconis Zeiten genau beobachtete und recherchierte, meinte dazu: »Tatsächlich wies Berlusconis Italien mehr Ähnlichkeiten mit einer Bananenrepublik auf als mit einer funktionierenden Demokratie: sein ständiges Spielen mit gezinkten Karten, sein gecastetes Parlament mit Abgeordneten-Darstellern, die seine Angestellten, Anwälte, Fernsehstars und Praktikanten waren und maßgeschneiderte Gesetze zum Vorteil Berlusconis, seiner Unternehmen und seiner unter Anklage stehenden Konsorten verabschiedeten, all dies ließ, zusammen mit den schlechten Wirtschaftsdaten, bei der Wirtschaftselite Italiens bald große Ernüchterung einkehren.« Und weiter: »Vom Vorstandsvorsitzenden eines Großunternehmens wurde die Aussage kolportiert: ›Ich habe Berlusconi unterstützt, weil ich glaubte, er würde Politik für die Wirtschaft machen. Mir war nicht klar, dass er Politik nur für seine eigene Wirtschaft macht.‹«422 Die Journalisten Udo Gümpel und Ferruccio Pinotti meinen ergänzend: »Ein zweiter Eckpfeiler der Demokratie ist eine unabhänige


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Justiz. Nach fünf Jahren Berlusconi-›Reformen‹ ist diese derart zurechtgestutzt worden im Sinne der Interessen des Regierungschefs, dass es wohl einfacher gewesen wäre, man hätte stattdessen gleich nur ein einziges Statut erlassen: ›Berlusconi steht über dem Gesetz, egal, was auch immer er tut.‹ Nur das war der Sinn aller Abänderungen der Strafgesetze, der Verkürzung der Verjährungsfristen, der ›Reformen‹, die die Justiz Italiens von den gemeinsamen Werten Europas meilenweit entfernt haben.«423 Freimaurer Berlusconi spielte sich immer mehr wie ein »kleiner Diktator« auf. So entließ er seinen Außenminister Renato Ruggiero, weil dieser versuchte »selbstständigere« Politik zu machen und übernahm dessen Amt gleich selbst. Denn es gab ja nichts, was er nicht besser konnte. »Ich bin ein Experte in auswärtigen Angelegenheiten«, sagte er. »Ich habe in den letzten Monaten 72 Begegnungen mit Ausländern gehabt, ich habe sie gezählt … Ein frischer Wind wird in die italienische Diplomatie einziehen: Ich bin der richtige Mann am richtigen Platz.« Wahrlich eine wirkliche Qualifikation des Mannes, der einst Verkäufern seiner Werbefirma erklärt hatte, dass er sich jeden Morgen vor den Spiegel stellte und mehrmals sagte: »Ich mag mich. Ich mag mich.« So gab er denn auch als frisch gekürter Außenminister Angehörigen des Auswärtigen Dienstes die folgenden Ratschläge: »Als junge Diplomaten müssen Sie einen guten Eindruck machen. Vergessen Sie nie: frischen Atem und keine schwitzigen Hände!« Logenbruder Berlusconi scheute sich auch nicht davor, sein Land als »L’Azienda Italia«, als »Firma Italien« zu bezeichnen.424 Mit ihm als Chef, versteht sich. 4.1.4.22.5 Logenbruder Berlusconis mediale Macht So verkam die italienische Demokratie und alle sahen zu, wie Schindluder mit öffentlichen Ämtern getrieben wurde, sich Berlusconi samt seinen Mannen selbst bediente, die Justiz »kastriert« und die eigentlich als frei geltende Presse nicht nur gedemütigt, sondern gar unterjocht wurde. Berichte wurden nunmehr entschärft und keiner der Journalisten hatte den Mut, kritische Themen und unhaltbare Zustände zu hinterfragen, weil auch Journalisten nur Angestellte waren, die jederzeit gekündigt werden konnten. Aus diesem Grund verschwanden Berlusconi-Kritiker auch beim staatlichen Fernsehen RAI sehr schnell – im wahrsten Sinne des Wortes – von der Bildfläche. Denn


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mit seiner Regierungsmehrheit kontrollierte er das Staatsfernsehen nicht nur, sondern dirigierte es auch (Gümpel/Pnotti).425 Seine Getreuen übernahmen auch die Nachrichtenredaktionen der beiden größten RAI-Programme. Die Fernsehredakteurin Giuseppina Paterniti, Mitbegründerin der RAI-internen Widerstandsbewegung »Gerades Rückgrat«, sagte einmal: »Die Machtübernahme war so gewaltsam, als wären sie mit Militärstiefeln durch die Redaktionen marschiert.«426 Sendezeiten, in denen eine Berichterstattung für Berlusconi erfolgte, nahmen im Vergleich zu den Zeiten für seine politischen Widersacher deutlich zu. Bei den Ausstrahlungen wurde getrickst, getäuscht, betrogen. Beispielsweise wurde ein voll besetztes, klatschendes Plenum bei einer Rede Berlusconis vor den Vereinten Nationen gezeigt, aber die Szenen des Applaus galten dem damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan und wurden einfach manipulierend unterschnitten! Mit seinen privaten TV-Kanälen Rete 4, Italia 1 und Canale 5 sowie ihren »Titten- und Kicker-Shows, Dauersoaps und Jubelprogrammen« (Stern)427 prägte Berlusconi seine Wähler. Für eine »derart hochgradige Interessenvermischung« von Politik und Medien, »sollte in einer Demokratie kein Platz sein«, warnte dann auch 2002 der Bericht über die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union des EU-Parlaments, und der Europarat legte 2003 zu: »Der Interessenkonflikt zwischen dem politischen Amt von Herrn Berlusconi und seinen privaten Wirtschafts- und Medien-Interessen ist eine Bedrohung der Medienpluralität«.428 »Nachdem Berlusconi sowohl die judikative als auch die legislative Gewalt im Staate wesentlich geschwächt hat, praktiziert er de facto eine Demokratie neuen Stils: eine Art plebiszitäre oder direkte Demokratie, die auf der Prämisse beruht, der vom Volk gewählte Führer müsse die Vollmacht und Freiheit besitzen, für die Dauer seiner Amtsperiode nach Belieben zu schalten und zu walten.«429 Der Ex-Bürgermeister von Palermo und Kämpfer gegen die Mafia, Leoluca Orlando, brachte es auf einen Nenner, indem er behauptete, Italien sei heute eine »Demokratie ohne Legalität«.430 4.1.4.22.6 Logenbruder Berlusconis blamable politische Bilanz Die Regierung Berlusconi hatte, was Italien als Nation anging, nicht viel erreicht, manch einer würde sagen, sie hatte geradezu versagt. Obwohl der Logenbruder selbst davon überzeugt war, in seiner Amts-


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zeit Italien »auf höchstes internationales Niveau erhoben« zu haben, sah die Wahrheit ganz anders aus. Berlusconi hatte er einen »Scherbenhaufen« angerichtet431: Korruption und Vetternwirtschaft nahmen unter seiner Herrschaft zu, der Kampf gegen die Mafia war auf Eis gelegt worden und Italien hatte mehr Schulden als jedes andere Land in der EU. In der globalen Wettbewerbsfähigkeit landete Italien nur auf dem 47. Platz, knapp vor Botswana, die Arbeitsproduktivität war rückläufig, hunderttausende Jobs gingen verloren und die Lebenshaltungskosten stiegen um 20 Prozent.432 Eine traurige, eine blamable Bilanz des Logenbruders und seiner Mannen, der bis dato kaum ein Wahlversprechen gehalten hatte. Doch Berlusconi interessierte das alles offenbar wenig. Laut Forbes nahm sein Privatvermögen alleine in einem Amtsjahr um vier Milliarden Dollar (!) zu. Wenn das kein Erfolg war … 4.1.4.22.7 Logenbruder Berlusconis diplomatische Entgleisungen Im Jahre 2003 kam es zu einem weiteren Eklat um den P2-Freimaurer Berlusconi, dem »regierenden Dauerangeklagten« (Spiegel)433, »Manipulator« und dem »Fleisch gewordenen italienischen Traum« (Stern)434. Gleich zu Beginn seines sechsmonatigen Amtes als Ratspräsident der Europäischen Union, in der er das Bündnis koordinieren und auch nach außen hin vertreten sollte, brachte er mit diplomatischen Patzern und persönlichen Entgleisungen »Europa binnen Stunden aus dem Tritt« (Spiegel). Schon am zweiten Amtstag beleidigte er einen deutschen Sozialdemokraten im Europa-Parlament in Straßburg, der seinerseits Berlusconis Rede kritisierte hatte, und sagte ihm auf den Kopf zu, dass er wisse, dass in Italien ein Film über NaziKonzentrationslager gedreht werde und er würde ihn für die Rolle des »Kapo« vorschlagen. »Sie wären perfekt«, unterstrich der Logenbruder sogar noch. Ein ungeheurer diplomatischer Fauxpax auf europäischer Ebene, der einen Tumult auslöste. Als auch Berlusconis Amtskollege, der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, und Außenminister Joschka Fischer intervenierten, bedauerte Berlusconi zwar, entschuldigte sich aber nicht! Im Gegenteil meinte er, in Italien wäre es üblich, »über Holocaust-Geschichtchen« zu lachen, worauf die jüdische Gemeinde in Rom empört dagegenhielt, dass nur »wenige Blödmänner« solche Scherze machten, normale Italiener nicht.435


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Fürwahr, diese »Holocaust-Geschichtchen« hatten über sechs Millionen Juden das Leben gekostet und darüber sollten keineswegs Scherze gemacht werden! Wäre dies einem deutschen Politiker passiert, würde sein Kopf nicht nur auf Grund von deutschland- und europaweiten, sondern auf Grund von weltweiten Forderungen »rollen« müssen. Wer kann verdenken, dass hinter einer solchen Äußerung manch einer Antisemitismus vermuten würde? Nicht zu vergessen ist, dass Berlusconi in Brüssel verhinderte, dass die polizeiliche und juristische Zusammenarbeit in der EU effizienter wurde. Mit der italienischen EU-Präsidentschaft würde Berlusconi die »Kultur der Illegalität nach Europa« bringen«, sagte Palermos Ex-Bürgermeister Leoluca Orlando. Und das wäre genau das Gegenteil dessen, was die Gemeinschaft brauchen würde.436 Dennoch unternahmen Europas Oberhäupter nichts gegen den P2-Freimaurer, obwohl sie laut Artikel 7 des EU-Vertrages ein Sanktionsverfahren hätten eröffnen können, wenn ein Mitgliedsstaat gegen wichtige Grundsätze der Union verstößt, wozu natürlich auch Eingriffe in die Pressefreiheit und die Rechtsstaatlichkeit gehören, wie sie Berlusconi und seine Mannen vornahmen. Das Ganze war letztlich eine Blamage, nicht nur in Bezug auf die katastrophale Politik Berlusconis, sondern auch für die Europäische Union, die sich vor den Augen von hunderten Millionen von Wählern abspielte, die nur tatenlos zusehen konnten, wie die von ihnen gewählten politischen Vertreter versagten. Allesamt. 4.1.4.22.8 Logenbruder Berlusconi und die Ziele der Propaganda Due (P2) In einem weiteren gegen Berlusconi geführten Prozess, in dem es um Bestechung ging, beschimpfte er wüst die Ankläger in einem einstündigen Monolog vor einem Mailänder Gericht, um dann in dringenden Regierungsgeschäften nach Rom zurück zu fliegen. So stand er dann auch den Fragen der Staatsanwälte nicht mehr zur Verfügung!437 Als am 9. April 2006 die Parlamentswahlen in Italien anstanden, versuchte Berlusconi, Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi zu bewegen, die Parlamentsauflösung um zwei Wochen zu verschieben. Berlusconi meinte, dass diese Zeit absolut notwendig sei, um Gesetze zu verabschieden. Hauptsächlich meinte er damit die anstehende Justizreform seiner Regierung, die bei Freisprüchen in erster Instanz


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die Berufung der Staatsanwaltschaft einschränken sollte, sprich wer einmal freigesprochen wurde, wie Berlusconi beispielsweise 2004 in einem Richterbestechungsprozess, der müsste dann keinen Staatsanwalt (in der zweiten Instanz) mehr fürchten! Doch Staatspräsident Ciampi ließ sich nicht aufs Glatteis führen; die Parlamentswahlen fanden wie geplant am 9. April 2006 statt.438 »Es fragt sich«, so Klaus-Rüdiger Mai in Geheimbünde – Mythos, Macht und Wirklichkeit«, »ob hinter dem Ex-Ministerpräsidenten ein Netzwerk steht, das aus der guten alten P2 hervorgegangen ist.«439 Auch andere stellten solche Fragen und gelangten, wie der dem Verschwörungsspektrum zugehörige E. R. Carmin (Pseudonym) in Das Schwarze Reich, zu der Feststellung: »… man denke nur an die Freimaurerloge ›Propaganda 2‹ in Italien mit ihren internationalen Verzweigungen und Verbindungen, die nach ihrer scheinbaren Zerschlagung mit dem mit der faschistischen MSI verbündeten Logenmitglied Silvio Berlusconi 1994 sozusagen in einem demokratisch abgesegneten Probelauf das erreichte, was Jahre zuvor schon ein Staatsstreich hätte bringen sollen: Macht im nun vom diskreditierten Logenetablishment gesäuberten Staat Italien, um auf legale Weise zu versuchen, was die Dunkelmänner der P2 auf diesem Exerzierfeld der Schwarzen Internationale schon immer wollten: Italien auf ihre Weise zu verändern, autoritär, unsozial, undemokratisch, diesmal aufgelockert mit demokratischer Legimität …«440 Ob nun Verschwörungstheorie oder nicht – tatsächlich hatte Logenbruder Berlusconi Italien nachhaltig und für jeden sichtbar verändert. Ein Blick in die neue Strafgesetzgebung reichte schon, um dies festzustellen. Licio Gelli, Großmeister der P2, bestätigte Carmins Aussage, weil er selbst ein so genanntes »Gelli-Programm« geschaffen hatte, den »Plan zur demokratischen Erneuerung«, den »Piano di Rinascità«, der die Verfassung des Staates ersetzen sollte. Terrorbanden wurden von der P2 finanziert, um den Umsturz herbeizuführen, die P2 schlich sich systematisch in den Staatsapparat ein und beherrschte so weite Teile der Republik, die westlichen Geheimdienste beherrschten über die P2 das Land, denn die Loge hatte alle in der Hand: Politiker, Militärs und Geheimdienste. Der »Strategie der Spannung« folgte die »Strategie der Machtübernahme«, die Linksparteien sollten aus dem Parteienspektrum verschwinden, ebenso wie die Gewerkschaften, ein P2-Mitglied wurde zum mächtigsten Mann


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der Republik (in diesem Fall Berlusconi), er kontrollierte die privaten Medien (und damit die Informationen an das Volk) und höhlte das staatliche Fernsehen (in diesem Fall RAI) aus. Im ganzen Land wurden politische Klubs aufgebaut, auf deren Basis zwei neue, nationale Parteien gegründet wurden (dies entsprach Berlusconis Aufbau der Forza-Italia-Klubs) und dann sollte die Basisdemokratie in ein Präsidialsystem im »Grauzonenbereich zwischen Demokratie und Diktatur« umgestaltet werden. Alles Dinge, die entweder schon vollzogen waren oder noch vollzogen werden sollten. Und das alles gab Licio Gelli sogar in einem TV-Interview für die Dokumentation Im Spinnennetz – Das Imperium des Silvio Berlusconi zu, die am 13. Juni 1994 in der ARD ausgestrahlt wurde. Dort erklärte er: »Mein Plan ist mit Ausnahme eines Punktes durchgesetzt, der Präsidialrepublik, doch auch diese wird noch kommen.«441 Ferner behauptete er, dass sieben Minister der ersten Regierung Berlusconi in der Vergangenheit Mitglieder der P2 waren.442 Unglaubliche Worte, die siegessicher klangen. Das konnten sie wohl auch, denn Berlusconis Plan war es eben eine Präsidalrepublik zu erschaffen! Gümpel und Pinotti meinen dazu: »Licio Gelli, der Chef der P2, hatte einen wahnwitzigen Plan zur Abschaffung der Demokratie ausgeheckt, den Berlusconi Punkt für Punkt ins Werk gesetzt hat. Wie meinte Gelli doch: ›Er müsste mir eigentlich Lizengebühr zahlen!‹«443 Bekräftigt wurde das eben Geschriebene übrigens nochmals durch den P2-Logen-Großmeister während der Zeit seines Hausarrest in der Villa Wanda. Dort sagte er 2003 der Tageszeitung Republicca, dass doch jetzt unter Berlusconi alles realisiert werden würde, wovon er vor 30 Jahren geschrieben habe!444 Das alles zeigt doch, dass die P2 auch nach ihrem Verbot keinesfalls tot, sondern quicklebendig war! Keine Frage also, Logenbruder Berlusconi hatte alles im Griff. Und die »alten Recken« der P2 setzten alle Hoffnung in ihn. »Berlusconi hat nicht nur die Justiz erheblich geschwächt, sondern auch viel dafür getan, die politische Rolle der legislativen Gewalt auszuhöhlen«, meinte der amerikanische Journalist Alexander Stille. »Er machte von Anfang an kein Geheimnis aus seinem Bestreben, eine ›Präsidialrepublik‹ zu schaffen, in der die vollziehende Gewalt einen sehr viel größeren und das Parlament einen sehr viel geringeren Anteil an der politischen Macht haben würde. Er ist auf


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dem Weg zur Verwirklichung dieses Ziels ein gutes Stück vorangekommen: Der gemeinsame Nenner, den fast alle von Berlusconi in Angriff genommenen, politischen Projekte aufweisen, ist die Schwächung oder Ausschaltung derjenigen rechtlichen und politischen Instanzen, die seiner Macht bis dahin Schranken gesetzt hatten: Justiz, Presse, Parlament, Aufsichtsbehörden.«445 Und fürwahr: Schließlich waren in der Berlusconi-Regierung noch weitere maurerische Logenbrüder der P2 verankert, wie beispielsweise Publio Fiori, Verkehrsminister, Alfredo Biondi, Jusitzminister und Antonio Martino, der Außenminister! Martino war auch Präsident der rechtskonservativen Mont Pèlerin Society (MPS), zu der auch der tschechische Ministerpräsident Vaclav Klaus gehörte.446 Andere politische Gefährten Berlusconis, wie beispielsweise sein enger Freund Marcello Dell’Utri, scheuten sich nicht davor, trotz gerichtlicher Verurteilungen wegen Betrugs, Bestechung, Erpressung und Mafia-Geklüngel, weiterhin politische Mandate oder Ämter zu bekleiden. Sie wirkten sogar maßgeblich an Reformen des Straf- und Prozessrechts mit! Sie tagen sogar noch mehr: So gab Dell’Utri in einem Forza-Italia-Schulungszentrum zukünftigen Parlamentariern Ratschläge, wie man möglichst ungeschoren davon kam, wenn man eines Verbrechens angeklagt war!447 »Dass Strafprozesse in Italien heute durchschnittlich doppelt so lange dauern wie noch vor zehn Jahren, verdankt sich nicht zuletzt der Mitwirkung kriminell belasteter Parlamentsabgeordneter wie Dell’Utri an einschlägigen Gesetzesänderungen«, schrieb Alexander Stille 2006. »Italien hat keine funktionierende Justiz mehr, und dies ist ein politisch gewollter Zustand, der einem doppelten Zweck dient: Einmal ermöglicht er es Berlusconi und Konsorten, ihre Verfahren in die Länge zu ziehen und damit einer Verurteilung zu entgehen, zum anderen bestärkt er die Öffentlichkeit in ihrem geringschätzigen Urteil über die Justizbehörden.«448 Berlusconi hatte die Kontrolle über Hunderte Parlamentssitze und Tausende Schlüsselpositionen im Staat errungen und besaß eine absolute, eine dominierende Medienmacht. All das hatte die P2 schon früher versucht und auch – bis zur Aufdeckung – geschafft. Fortgeführt hatte diesen P2-Plan »zur demokratischen Erneuerung«, von dem Licio Gelli sprach, wohl sehr erfolgreich Logenbruder Silvio Berlusconi. Auch wenn er heute nicht mehr Ministerpräsident ist, weil bei der Wahl im April 2006 Romano Prodis Koalition gewonnen


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hatte, bleibt Logenbruder Berlusconi bis zum Ende seiner Tage ein gefährlicher Machtfaktor in Italien, immer darauf lauernd, erneut die Geschicke des Landes im Herzen Europas zu übernehmen.

4.1.4.23 Fazit: Freimaurerloge Propaganda Due (P2) Papst Paul I., Michele Sindona, Aldo Moro und Roberto Calvi – um nur einige der »Haupt«-Protagonisten dieser »Politaffäre« zu nennen –, handelt es sich bei ihnen allen nur um krankheitsbedingte Todesfälle oder um Fälle von Selbstmord? Wurden sie alle Opfer des Faktors »Zufall« oder handelte es sich bei ihrem vorzeitigen Ableben nicht eher um »politische« Ritualmorde der Freimaurerloge P2? Ich habe versucht aufzuzeigen, dass das letztere Element wohl das ausschlaggebende war. Die »regulären« Freimaurer wollen sich in dieser mehr als bedenklichen, sogar furchterregenden »Politaffäre« damit »reinwaschen«, dass sie darauf hinweisen, die P2 wäre keine reguläre Freimaurerloge mehr gewesen. Das stimmt nur bedingt, wie wir gesehen haben. Bereits Anfang der Siebzigerjahre, als die P2 noch eine »reguläre« Loge war, hatte Großmeister Gelli beispielsweise einen Staatsputschversuch geleitet. Darüber hinaus unterstützten bereits in den Sechzigerjahren Freimaurer, und wohl nicht nur P2-Brüder, den Mafia-Bankier Michele Sindona bei seinen illegalen Handlungen. Zudem gab es direkte Zusammenhänge zwischen der amerikanischen Außenpolitik und ihren Zielsetzungen sowie den »regulären« Freimaurerlogen und der Mafia. Viele Fäden liefen bei der P2 zusammen. Die Politaffäre um die P2-Freimaurerloge, deren Folgen durch das Wirken eines Silvio Berlusconi bis in unsere jüngste Vergangenheit ausstrahlten, zeigt das erste Mal »aktenkundig« die Verwicklung von Freimaurerei, Geheimdiensten, Mafia, Kirche und Politik. Sie zeigt das erste Mal »aktenkundig« eine freimaurerische »Geheimpolitik«, die in der Grauzone der Legalität und oftmals in der Dunkelzone der Illegalität agierte, fernab der Öffentlichkeit. »Eine Politik, die in zweierlei Realitäten gespalten ist und mit Manipulationen arbeitet; um dies verborgen zu halten, unterhöhlt sie Vertrauen in die politische Macht und Werte des menschlichen Miteinanders«, schreibt die Publizistin Regine Igel. »Zudem werden immer unverhohlener


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einst geheime Illegalitäten demokratischer Staaten ganz offen betrieben.«449 »Geheimpolitik« unterhöhlt den Rechtsstaat und die Demokratie, denn zu beiden gehört Transparenz. Diese ist durch die Freimaurerei alleine schon deswegen nicht gegeben, weil mit aller Macht verhindert wird, ihre Mitglieder, die auch vom Volk gewählte Politiker sind, offen und öffentlich zu nennen! Die P2 spielt meines Erachtens aber in Bezug auf Deutschland eine Rolle. Und zwar in einer Politaffäre, die die Bundesrepublik lange »traumatisiert« hat und noch längst nicht vergessen, geschweige denn aufgeklärt ist: der Mord an Uwe Barschel.

4.1.5. »Politaffäre« Uwe Barschel450 10. Oktober 1987. Hotel Beau Rivage in Genf. Suite 317. Badezimmer. Die männliche Leiche lag mit leicht nach rechts hängendem Kopf, den rechten Arm angewinkelt, die rechte Hand als »Stütze«, umwickelt mit einem Handtuch, in der Badewanne im schaumlosen Wasser. Der linke Arm war über Bauch und Brust angewinkelt. Die Augen verschlossen, der Mund leicht, wie zu einem unmerklichen Lächeln, verzogen. Die Gesichtszüge wirkten entspannt. Die dunklen, gewellten Haare sahen sorgsam frisiert aus. Die männliche Leiche war mit weißem Hemd, schwarzer Krawatte und Hose bekleidet, 43 Jahre alt, 174 Zentimter groß und 75 Kilogramm schwer. Die männliche Leiche war Uwe Barschel, der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein! Sein Tod löste die größte politische Affäre (»Waterkant-Affäre«, »Waterkantgate« in Anspielung auf die »Watergate«-Affäre um den amerikanischen Präsidenten Richard Nixon) der deutschen Nachkriegsgeschichte aus und erschütterte die Bundesrepublik bis heute. Gerade jetzt, zum 10. Oktober 2007, dem 20-jährigen Todestag Barschels, häufen sich wieder einmal die Spekulationen und Gerüchte, die über all die Jahre nicht versiegt sind, um seinen mutmaßlichen Selbstmord, der schon längst von vielen als Mord erkannt worden war und ernstlich wohl auch nicht mehr bestritten wird. Die Hintergründe wurden und werden verschleiert, die Motive waren und sind unklar und zahlreich.


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Nachfolgend möchte ich neue Motive und neue Hintergründe hinzufügen, die mit der Thematik dieses Buches zu tun haben. Freilich sind es Spekulationen und Hypothesen, gespickt mit Indizien und einer etwas anderen Einordnung von Tatzusammenhang und Motiv. Natürlich ist mir völlig bewusst, dass ich mich damit auf ein »politisches Minenfeld« begebe. Nichtsdestotrotz gebietet es die Meinungsfreiheit und die journalistische Berufung diesen von mir recherchierten Sachverhalt zu veröffentlichen, egal wie es verschiedene »Kreise«, auch freimaurerische, politische oder geheimdienstliche, sehen.

4.1.5.1 »Waterkantgate« Im Jahre 1987 stand Schleswig-Holstein mitten im Wahlkampf für den Landtag. Seit 1950 regierte die CDU. Das sollte auch weiterhin so bleiben. Rot-Grün durfte unter keinen Umständen als Sieger aus den Landtagswahlen hervorgehen, deshalb wurde von den Christdemokraten ein »rotgrünes Chaos« propagiert. Mit dem Spitzenkandidaten der SPD, Björn Engholm, einem Mann aus einfachen Verhältnissen, dem durch seine Arbeit durchaus von verschiedenen Seiten ein Regierungswechsel zugetraut wurde, gingen die Christdemokraten hart ins Gericht. Vielleicht taten sie das auch deshalb, weil es sich bei ihm um einen ausgesprochenen »Frauentyp« handelte, der mit seinem jugendlichen Charme in der Öffentlichkeit gut ankam und daher massenpsychologisch »gefährlich« war. Engholm wurde vom CDU-Landesverband als »geländegängiger Opportunist« mit »Gummirückgrat« bezeichnet, der anscheinend »Kommunisten und Neonazis als Lehrer und Polizisten« einstellen und »Abtreibungen bis zur Geburt freigeben« wolle. Sein parteipolitischer Gegenspieler und amtierender Ministerpräsident Uwe Barschel, Jahrgang 1944, der aus einem gutbürgerlichen Umfeld stammte, preußisch-diszipliniert erschien, mit Freya von Bismarck 1973 die Ehe schloß und Vater von vier Kindern war, hatte sich für den Wahlkampf den Journalisten Reiner Pfeiffer vom Axel Springer Verlag vermitteln lassen. Pfeiffer wurde als Medienreferent in die Staatskanzlei eingestellt. Zuständig für »Medienbeobachtung«, wie es offiziell hieß. Barschel galt als der junge Erfolgstyp, als der


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»Kennedy des Nordens«, dem die Polit-Zukunft offen stand. Warum nicht auch mal Kanzler werden? Alles war möglich, glaubten viele. Kurz vor dem offiziellen Startschuß des Wahlkampfes, am 31. Mai 1987, kam es zu einem tragischen Zwischenfall. Uwe Barschel stürzte bei der Rückkehr von einem Treffen mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn beim Landeanflug auf den Flughafen Lübeck-Blankensee mit einem Flugzeug ab. Es kollidierte mit einem 15 Meter hohen, unbeleuchteten Sendemast des Flugplatzfunkfeuers, 700 Meter vor Erreichen der Landebahn. Pilot und Co-Pilotin kamen dabei ums Leben, ein Personenschützer erlag sieben Tage später seinen schweren Verletzungen. Barschel selbst überlebte wie durch ein Wunder mit mehreren Rippen-, Becken- und Wirbelbrüchen. Einige sprachen und sprechen noch heute von einem fehlgeschlagenen Attentat auf den Ministerpräsidenten. Acht Wochen verbrachte er im Lübecker Universitätsklinikum. Erst im August konnte er seine Dienstgeschäfte wieder aufnehmen. Der Wahlkampf hatte begonnen, in den Barschel zum Teil mit einem Krückstock gehen mußte. Sein Medienreferent Pfeiffer bediente sich innerhalb des Wahlkampfgeschehens mitunter mehr als fragwürdiger Methoden, um den Polit-Konkurrenten von der SPD auszuschalten. So erstattete er beispielsweise anonym Anzeige gegen Björn Engholm wegen Steuerhinterziehung, weil dieser Einkünfte nicht ordnungsgemäß versteuert haben sollte. Das erwies sich jedoch als falsch. Dann ließ Pfeiffer Engholm durch Privatdetektive beschatten, um Diskreditierendes aus seinem Privatleben zu erhalten. Gerüchte über eine angebliche Homosexualität wurden gestreut. Später rief der CDU-»Medienexperte« als angeblicher Arzt sogar bei Engholm zu Hause an und behauptete, dass er vertrauliche Hinweise besitzen würde, wonach Engholm an Aids erkrankt sein könnte. So rollte langsam die so genannte »Barschel-Affäre« an, die wohl am 7. September 1987 begann, als das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darüber berichtete, dass Engholm von Detektiven beschattet und gegen ihn eine anonyme Steueranzeige gestellt worden sei. Am 13. September 1987, zwei Tage vor der Landtagswahl und zwei Tage vor dem eigentlichen Erscheinungstermin, wurde die Titelgeschichte des Spiegel um die Bespitzelung von Engholm schon bekannt. Die CDU warf daraufhin dem Nachrichtenmagazin vor versucht zu haben, das Ergebnis der Wahl zu manipulieren, die schließlich mit


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einem Patt endete. CDU und FDP hatten genauso viele Sitze erringen können wie SPD und SSW (Südschleswigscher Wahlverband). Die Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde. Damit hatte die CDU ihre jahrelange absolute Mehrheit verloren. Die Spiegel-Story sollte schließlich einen unglaublichen Skandal enthüllen, einen Polit-Krimi erster Klasse: In einer eidesstattlichen Versicherung bekannte Reiner Pfeiffer, im Wissen und im Auftrag von Uwe Barschel die illegalen Aktionen gegen dessen politischen Gegner Björn Engholm ausgeführt zu haben. Und noch mehr: In der Woche vor der Landtagswahl hätte Barschel ihn sogar beauftragt, eine Abhörwanze in dessen Telefon einbauen zu lassen, die dann hätte entdeckt und der SPD angelastet werden sollen. Glücklicherweise gab es auch eine gesunde Portion Skepsis bezüglich dieser Enthüllungen. Handelte Pfeiffer tatsächlich im Auftrag von Barschel? Oder war das Ganze nicht gar von der SPD selbst lanciert worden, um ihren Spitzenkandidaten Engholm als Opfer darzustellen und so die Wahl für die SPD zu beeinflussen? Barschel wies alle Anschuldigungen kategorisch zurück, stellte Strafanzeige gegen Pfeiffer und den Spiegel. Pfeiffer wurden daraufhin sämtliche Beschuldigungen gegen Barschel untersagt. Am 18. September 1987 erklärte der CDU-Politiker auf einer Pressekonferenz: »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, ich wiederhole: mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.« Doch der Spiegel blieb dran. Immer mehr Zweifel an der Unschuld des Ministerpräsidenten kamen auf. Auch Parteifreunde standen nicht mehr zu ihm. Schließlich trat Barschel am 2. Oktober 1987 von seinem Amt zurück. Sein bisheriger Stellvertreter, Henning Schwarz, wurde kommissarischer Landeschef. Damit übernahm Barschel zwar die politische Verantwortung für die Bespitzlung seines Gegenkandidaten, bestritt aber weiterhin jegliche persönliche Schuld. Seine Immunität wurde aufgehoben. Barschel ging »in Urlaub« nach Gran Canaria; manche sprachen von »Flucht«. Von dort aus machte er sich dann auf den Weg nach Genf. Hier wollte er sich mit einem Mann namens »Roloff« oder »Robert Oleff« treffen, der ihm Informationen geben wollte, die anscheinend ein Komplott gegen ihn aufdecken sollten. Doch der Agent kam nicht. Kurze Zeit später wurde Barschel vom Stern-Reporter Sebastian Knauer – sein Kollege wartete anscheinend vor dem Zimmer – tot in der Badewanne seines Zimmers im Genfer


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Luxus-Hotel Beau Rivage gefunden. Sie kannten offenbar schon im voraus Ort und Zeit der eigentlich geheimen Anreise Barschels, quartierten sich im selben Hotel ein und entdeckten, sozusagen auf »eigene Faust«, den toten Politiker. Anscheinend hatte Knauer an der Zimmertür geklopft, die sich danach öffnete und war eingetreten. »Das Foto des Verstorbenen zeigt den Uhrzeigerstand 12 Uhr 45«, schreibt Andreas von Bülow in seinem Buch Im Namen des Staates – CIA, BND und die kriminellen Machenschaften der Geheimdienste. »Die Genfer Polizei wird erst gegen 14 Uhr verständigt. Was der Reporter in dieser Zeit alles getan oder unterlassen hat, ist nicht ermittelt, geschweige denn objektiv überprüft worden. Der Reporter machte sich an die Entzifferung der Notiz des Toten. Die Benachrichtigung eines Arztes schien sich erübrigt zu haben. Auf jeden Fall kamen strafrechtliche Ermittlungen mit dem Ziel einer Anklage wegen unterlassener Hilfeleistung, die Wiederbelebungsfähigkeit Barschels unterstellt, nicht mehr in Betracht, weil die deutschen Ermittler erst nach Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist tätig wurden.« Allerdings wurde der Reporter wegen Hausfriedensbruchs und Eindringens in die Privatsphäre zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung und 10 000 Franken Geldstrafe verurteilt.451 Zur Aufklärung der Vorgänge bestimmte der Landtag einen Untersuchungsausschuss. Mehrere Zeugen, darunter Barschels Fahrer und seine Sekretärin, widerriefen frühere Aussagen, die den CDU-Politiker entlastet hatten. Angeblich hätte sie Barschel sogar zu Falschaussagen gedrängt. Der Abschlussbericht war deshalb vernichtend: Bei vielen Aktivitäten Pfeiffers würde eine Mitwisserschaft Barschels feststehen beziehungsweise wahrscheinlich sein, hieß es. Bei den Neuwahlen zum Landtag am 8. Mai 1988 erreichte die SPD die absolute Mehrheit der Mandate und Björn Engholm wurde neuer Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

4.1.5.2 Die »Schubladenaffäre« 1993, sechs Jahre nach Barschels Tod, stellte sich heraus, dass führende SPD-Mitglieder, wie der Engholm-Vertraute Günter Jansen und der Pressesprecher Klaus Nilius, nach »Waterkantgate« rund 40 000 Mark (andere sprechen von 50 000), an Pfeiffer gezahlt hat-


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ten! Handelte es sich dabei etwa um »Schweigegeld« von der SPD? Die Verantwortlichen wiegelten natürlich ab. Hintergrund sei vielmehr der Skandal, der entfacht worden wäre und in dessen Umfeld Pfeiffer anscheinend keine Anstellung mehr finden würde. Deshalb, so Jansen, habe er bei verschiedenen »Persönlichkeiten des politischen Lebens« um eine »milde Gabe« gebeten, um Pfeiffers finanzielle Probleme zu lindern. Dieses Geld habe er dann bei sich in einer »Schublade« aufbewahrt und es Pfeiffer anlässlich zweier Treffen in Briefumschlägen übergeben. Bekannt wurde in diesem Zusammenhang aber auch, dass Pfeiffer während seiner Arbeitslosigkeit bis Ende 1988 eine monatliche Zahlung von 5700 Mark Verdienstausfall vom Spiegel erhielt, zu der 166 000 Mark Abfindung und nochmals 100 000 Mark Abfindung vom Springer-Verlag kamen. Rechtfertigte dieses Einkommen eine zusätzliche »milde Gabe«? Pfeiffer indes entpuppte sich als ein »Diener zweier Herren«, der sich von der CDU und von der SPD sowie von den Geheimdiensten hatte instrumentalisieren lassen. Zudem wurde festgestellt, dass die Sozialdemokraten schon wesentlich früher von Pfeiffers »Umtrieben« gegen Engholm gewusst hatten und nicht erst nachdem der Spiegel eine Titelstory dazu herausbrachte. So bekannte auch Björn Engholm, dass er in dieser Frage im Frühjahr 1988 vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss einen Meineid geleistet hatte. Damit duldete er wohl in voller Absicht Pfeiffers dunkle Machenschaften gegen sich, arbeitete sogar mit ihm zusammen (Baentsch)452, weil er dachte, Peiffer hätte im Auftrag Barschels gehandelt, um diese Machenschaften dann zum geeigneten Zeitpunkt, also vor der Landtagswahl, öffentlich zu machen. Nur die Verjährung bewahrte Engholm vor einer Strafverfolgung. Aber auch er trat von seinem Posten als Ministerpräsident des Landes zurück und legte zudem den Vorsitz der SPD nieder. Erneut wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen, der zu dem schwammigen Ergebnis kam, dass viele Fragen ungeklärt oder umstritten seien und die politische Verantwortung bei Barschel lag. Seine Urheberschaft konnte jedoch nicht mehr einwandfrei belegt werden. Inwieweit dieser von Pfeiffers Aktivitäten gewusst hatte, oder ob der Medienreferent im eigenen Auftrag handelte, konnte abschließend nicht geklärt werden. Neuere Untersuchungen gehen jedoch davon aus, dass Pfeiffer weitgehend eigen-


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mächtig handelte und sich dann aus Eigennutz unter die Fittiche der SPD stellte.

4.1.5.3 Selbstmord oder Mord? Das Ergebnis der Schweizer Ermittler in Bezug auf den Tod Uwe Barschels war eindeutig: Selbstmord durch Medikamente. Der Spiegel-Journalist Jürgen Leinemann teilt diese Suizid-These. »Den Eindruck, dass sich hier ein Mensch – der im wahrsten Sinne des Wortes ums Verrecken nicht zugeben konnte, dass seine Erfolgsrechnung nicht aufging – in eine finale Sackgasse manöveriert hatte, hatte ich schon aus dem Wahlkampf mitgenommen, ohne die Schmutzdetails seiner Kampagne zu kennen.«453 Man spekulierte, dass Barschel Tabletten genommen hatte und sich in eiskaltes Wasser legte, während die Medikamente seinen Körper langsam vergifteten. Barschel legte seinen Kopf auf ein Handtuch, um zu verhindern, dass dieser abrutschen konnte. Er wollte damit vermeiden zu ertrinken, sobald er die Besinnung verlor oder am eigenen Erbrochenen qualvoll zu ersticken. Der Mix aus Tabletten und dem eiskalten Wasser hätte ihn sanft einschlafen lassen, heißt es. Doch warum sollte sich der vierfache Vater ausgerechnet in der Schweiz umbringen? Und das nachdem er sich hier mit einem Informanten treffen wollte, der ihm anscheinend helfen konnte, seinen Namen reinzuwaschen? Brachte sich Barschel um, weil es sich herausstellte, dass er drei Mitarbeiter zu eidesstattlichen Erklärungen gezwungen hatte, die seine Unschuld bezeugen sollten? Hatte er sich deshalb aus »Scham« oder um ein »Schuldeingeständnis« zu umgehen, auf diese ungewöhnliche Weise, voll bekleidet in einer Badewanne, umgebracht? Selbstmorde von Politikern gab es in der deutschen Vergangenheit durchaus einige: Im Februar 1992 erhängte sich der PDS-Bundestagabgeordnete Gerhard Riege, im September 1999 folgte ihm auf dieselbe Weise Oberstadtdirektor (CDU) Dieter Diekmann nach. Im Januar des Jahres 2000 nahm der Leiter des Bundestagsbüros der CDU/CSU-Fraktion für Haushalt und Finanzen, Wolfgang Hüllen, den Strick, um sich seinem Leben ein Ende zu bereiten. Auch in der früheren DDR gab es Fälle von Politiker-Selbsttötungen. Beispielsweise erschoss sich im Dezember 1965 Erich Apel, Chef der Staatli-


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chen Plankommission. War Uwe Barschel also nur einer von mehreren deutschen Poltikern, die Selbstmord begingen? Anfang des Jahres 2000 wurden in der damaligen Gauck-Behörde Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS, Stasi) gefunden, die Zweifel an der Selbstmordthese weckten. Diese Zweifel hegten auch andere im Fall Barschel, wie Journalist, Rechtswissenschaftler und Politologe Udo Ulfkotte: »Geheimdienste kennen die Hintergründe des Barschel-Todes. Barschel wurde ermordet … Doch die Geheimdienste halten ihre Erkenntnisse weiterhin unter Verschluß. Der BND hat sich in diesem Zusammenhang jedenfalls nicht mit Ruhm bekleckert. Im Gegenteil …«454 Es stellte sich weiterhin heraus, dass es handschriftliche Notizen Barschels für Verabredungen nach seinem Selbstmord gab! Warum sollte er Termine für die kommenden Tage notieren, wenn er sie ohnehin nicht mehr hätte wahnehmen können? Es gab noch mehr Merkwürdigkeiten: Beispielsweise wurde am Tatort ein Fußabdruck gefunden, der weder zu Barschel noch zu dem Stern-Reporter gehörte. Ein von Barschel angeblich eingenommenes Medikament gab es 1987 schon gar nicht mehr über den Arzneihandel in Westeuropa zu beziehen, sehr wohl aber über den in Osteuropa und den Nahen Osten. Unabhängig davon funktionierten wahrscheinlich wegen der Einnahme eines anderen Mittels zum Zeitpunkt der Verabreichung des tödlichen Giftes Barschels eigene Schluckreflexe nicht mehr, was wiederum für ein gewaltsames Einflößen spricht. Fotos seiner obuzierten Leiche zeigten deutliche Spuren von Gewaltanwendung im Gesicht. In der ersten Autopsie in Genf wurden diese Verletzungen einfach »übersehen«. Diese könnten beim Transport des betäubten Barschel in die Wanne entstanden sein. Der genaue Todeszeitpunkt wurde nicht festgestellt, weil vergessen wurde, die Körpertemperatur zu messen. Und auch die Flasche Wein, die er am Abend zuvor bestellt hatte, war verschwunden. Ebenso die Verpackungen der vielen Medikamente, die in seinem Körper gefunden wurden und die aus dem Terminkalender herausgerissenen Seiten. Schließlich wurde ein Handtuch gefunden, das einen Handabdruck von einer Person aufwies, die nicht in Zimmer 317 wohnte. Auf ihm befand sich Schmutz, der sich auch am linken Schuh Barschels befand. Interessanterweise existierte von Barschel nachweislich ein Weckauftrag für den nächsten Morgen, von dem die Öffentlichkeit erst im


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Nachhinein erfuhr. Und die Genfer Polizeifotografen machten Bilder, von denen angeblich keine einzige Aufnahme brauchbar gewesen war. Ein von der Familie Barschel beauftragter renommierter Toxikologe stellte fest, dass der Politiker an einer Vergiftung durch Cyklobarbital starb, aber vorab ein Betäubungsmittel verabreicht worden war. Andere Gutachten sprachen davon, dass dann das tödliche Gift mit einer Magensonde durch die Nase des Bewusstlosen eingeführt wurde. Dafür sprachen Verletzungen der Nasenschleimhäute. Der Journalist und Politikwissenschaftler Gerhard Wisnewski, der sich brisanten Themen wie dem »RAF-Phantom«, den Unstimmigkeiten bei »9/11«, den »Lügen im Weltraum« und der »Verschlusssache Terror« gewidmet hat, veröffentlichte im Juni 2007 auf seiner Homepage das Obduktionsfoto Barschels, das Verletzungen im Gesicht zeigt, sowie das im Stern publizierte Schwarz-Weiß-Foto, das diese eben nicht zeigt. Er erhebt schwere Vorwürfe: »… auch ihre (der Stern-Reporter, Anm. d. Autors) Bilder zeigen das Gesicht Uwe Barschels – aber ohne Verletzungen. Wie ist das möglich? … Das Bild ist Schwarz-Weiß. Warum? Sollten die Reporter wirklich keinen Farbfilm eingelegt haben? Kaum zu glauben. Natürlich war es 1987 bereits üblich, mit Farbe zu arbeiten. Oder mit beidem. Das Foto von Barschels Ankunft am Vortag am Flughafen ist zum Beispiel in Farbe. Auf einem Schwarz-Weiß-Foto fallen andererseits rötliche bis blutige Hautveränderungen im Gesicht weniger auf. Auf einem Farbfilm wären sie kaum verborgen geblieben. Die verletzte rechte Gesichtseite wird sogar fast ganz von Barschels mit einem Handtuch umwikkelter Hand verdeckt. Sollte er das freundlicherweise selbst gemacht haben?« Wisnewski weiter: »… ein Zimmermädchen, das die Leiche schon früher als die Fotografen sah, fand Barschel ganz anders vor, nämlich komplett unter Wasser. Dass ihre Aussage stimmt, erkennt man daran, dass die Haare des Toten auf dem Stern-Foto nass sind. Also war er noch vor kurzem unter Wasser. Erst auf den SternBildern befindet sich sein Kopf über Wasser … Die Haare wirken außerdem zurückgekämmt – wie hat Barschel das gemacht?« Gerhard Wisnewski stellt noch weitere Fragen: »Was haben die SternReporter am Tatort gemacht? … Warum sitzt Barschel mit dem Kopf und seinen nassen Haaren über Wasser? Haben die Stern-Leute Barschel für das Foto etwa zurechtdrapiert?«455


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Im Jahre 1992 erklärte der Genfer Generalstaatsanwalt Bertossa, dass es möglicherweise Mord gewesen sein könnte. Er appelierte an die deutschen Ermittlungsbehörden, endlich ihre Arbeit zu machen. Auch Oberstaatsanwalt Heinrich Wille aus Lübeck, ein Vertrauter der Familie Barschel, äußerte einen Mordverdacht und geriet so in den Fokus »politischer Einflussnahme«. 1995 leitete er ein »Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt« ein. Im März 1997 wurde im »Bericht zum Verfahrensstand« festgehalten, dass es klare Beweise für Gewaltanwendung geben würde, Uwe Barschel sei ermordet worden. Doch dieser Bericht wurde nie veröffentlicht. 1998 wurden auf Anordnung der dem Landesjustizministerium Schleswig-Holstein unterstellten Generalstaatsanwaltschaft die Ermittlungen eingestellt. Es gab zwar zureichende, tatsächliche Anhaltspunkte für ein Kapitalverbrechen, Hinweise auf einen Tatverdächtigen aber genauso wenig wie ein Motiv. Bezüglich der Gewalteinwirkungen gegen Barschel erklärte Wille, dass es nicht möglich sei, sichere Rückschlüsse, ob diese Einwirkungen für Mord oder Selbstmord sprächen, zu ziehen. Dennoch bejahte er weiterhin seinen anfänglichen Mordverdacht. Im September 2006 meinte die Witwe Freya Barschel, dass ihr Mann fest entschlossen gewesen sei, die Umstände eines Komplotts gegen ihn aufzuklären. Er hätte keinen Selbstmord begangen. Und auf Altkanzler Kohl (CDU) bezogen sagte sie: »Ich würde Helmut Kohl fragen: War es Mord aus Staatsräson?« Und: »Noch immer stellen sich mir die Nackenhaare auf, wenn ich die Menschen sehe, die ebenfalls mitverantwortlich sind.«456 2007 wollte Heinrich Wille ein Sachbuch über den Tod Barschels schreiben, die Akte 705Js33247/87 (69 Bände mit rund 14 000 Seiten) so publizistisch öffnen. Doch sein Vorgesetzter, Generalstaatsanwalt Erhard Rex, untersagte ihm dies mit der Begründung, dass die private Vermarktung dienstlichen Wissens nicht gestattet werden sollte. Ein so entstehender Doppelverdienst wäre gegenüber dem Steuerzahler nicht zu vertreten. Dabei hatte dasselbe bereits ein Generalstaatsanwalt getan: Klaus Pflieger in Stuttgart, der zur RAF und zur Schleyer-Entführung publizierte. Doch die Verantwortlichen im Hohen Norden waren beim Barschel-Thema wohl viel empfindlicher als die Kollegen im schwäbischen Süden. Rex vertrat übrigens nicht die These, dass Barschel ermordet wurde.


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Wille ließ nicht locker und klagte sein Vorhaben vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig ein und behielt sich unabhängig davon vor, auch durch weitere gerichtliche Instanzen zu gehen. Im Juli 2007 erlitt er jedoch eine Schlappe. Das Verwaltungsgericht lehnte seinen Eilantrag ab, das Buch durfte vorläufig nicht veröffentlicht werden. Interessanter Weise plant nun Generalstaatsanwalt Rex zum 20. Todestag Barschels selbst eine umfangreiche Dokumentation zu veröffentlichen, an der auch Wille beteiligt sein soll. Der warf noch im Juni 2007 den Nachrichtendiensten schweres Versagen bei den Ermittlungen vor. Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst (BND) hätten sich damals geweigert, aktive Recherchen einzuleiten. Der Chefermittler aus Lübeck kritisierte auch seine unmittelbaren Vorgesetzten, die ihn seinerzeit nicht ausreichend unterstützt hätten. Für ihn sei es nach menschlichem Ermessen klar, dass es sich bei dem Fall Barschel nur um einen höchst professionellen Mord gehandelt haben könne, der vermutlich mit Kenntnis staatlicher Stellen vollstreckt worden sei. Da Mord nicht verjährt, sind neue Ermittlungen bei neuen Hinweisen jederzeit möglich. Deshalb forderte auch die Familie Barschel fast 20 Jahre nach dem Tod des ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten in einer Presseerklärung vom Juli 2007 neue Ermittlungen, und zwar in den Händen der Bundesanwaltschaft.457 Hintergrund waren die jüngsten Äußerungen des Chefermittlers Wille. Nunmehr soll die Generalbundesanwältin Monika Harms den Fall neu aufrollen, wie der Anwalt der Barschel-Familie, Justus Warburg, verlangt. Monika Harms nimmt dieses Anliegen wohl auch ernst, denn sie forderte im August 2007 von der schleswig-holsteinischen Generalstaatsanwaltschaft eine schriftliche Stellungnahme. 4.1.5.3.1 »Politischer« Ritualmord Uwe Barschel? Der Tod von Uwe Barschel ist bis heute nicht ausreichend geklärt worden. Offizielle Untersuchungen in der Schweiz und in Deutschland ergaben zunächst einen wahrscheinlichen Selbstmord. Allerdings gab es laut den Ermittlern in Genf auch die Möglichkeit eines Fremdverschuldens. Letztlich blieb das Ermittlungsverfahren ohne greifbares Ergebnis. Auch die von der Familie Barschel angestrengten Recherchen bezüglich einer Ermordung blieben ohne Ergebnis. Der oder die Mörder sind noch immer auf freiem Fuß. Und auch das


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Tatmotiv ist nicht geklärt. Es verwundert daher nicht, dass Spekulationen, Vermutungen und Theorien blühten und blühen. Nachfolgend möchte ich etwas »Lichts ins Dunkel« bringen. 4.1.5.3.2 Mord-Theorie 1: Auftraggeber Bundesnachrichtendienst (BND)? »Zufällig« hatte der deutsche Auslandsgeheimdienst, der Bundesnachrichtendienst (BND), im unmittelbar am Beau Rivage in Genf angrenzenden Hotel Le Richemond einen Top-Agenten. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um den (freiberuflichen) Werner Mauss, der hier schon am 9. Oktober 1987 unter dem Namen »Lange« abgestiegen war. Barschel quartierte sich nur einen Tag später im Beau Rivage ein. Am 11. Oktober wurde er gegen 12.30 Uhr tot in seiner Badewanne gefunden, Mauss flog um 12.51 Uhr aus Genf ab, landete in Frankfurt, flog um 16.16 Uhr erneut nach Genf, um dann wieder nach Düsseldorf zurückzukehren. Mauss erklärte, er wäre rein zufällig im Hotel neben Barschel abgestiegen, weil er hier Zwischenstation von einem Flug von Südamerika nach Deutschland gemacht hatte. Vom Tod Barschels, so behauptete Mauss, hätte er erst am nächsten Tag aus der Presse erfahren. Im Jahre 1995 erklärte der Top-Agent Mauss Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust seine eigene Theorie, wonach sich Barschel möglicherweise mit Hilfe einer Organisation für humanes Sterben selbst ins Jenseits befördert habe. Stefan Aust schreibt in seinem Buch Mauss – Ein deutscher Agent: »Zudem hatte Mauss Jahre zuvor Kontakt zum Drahtzieher der gesamten Barschelaffäre, Reiner Pfeiffer gehabt, es gab sogar ein Foto, auf dem beide nebeneinander abgelichtet waren. Doch eine solche denkbare Verwicklung in den Fall Barschel, für die es auch keinerlei sonstige Belege gibt, hat Mauss immer vehement bestritten.«458 Genauso wie der BND, der angab, keine Erkenntnisse über den Todesfall zu besitzen. Da Mauss zu jener Zeit mit der Hisbollah über die Freilassung zweier deutscher Geiseln im Libanon, HoechstManger Rudolf Cordes und Siemens-Manager Alfred Schmidt, verhandelte – die später dann auch gegen hohe Lösegeldzahlungen freigekauft wurden und anscheinend von Schweizer und deutschen Sicherheitsbehörden rund um die Uhr observiert wurden –, hatten er und seine Gesprächspartner zunächst auch im Beau Rivage gebucht.


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Mauss Begleiter wollten dann aber lieber doch ins Richemond. Mauss weiter: »Ich habe Uwe Barschel nie gesehen und nie gesprochen … Wenn ich ihn gekannt hätte, dann würde er heute noch leben.«459 Dennoch beschäftigte sich auch das Schweizer Parlament mit seiner Rolle in der »Barschel-Affäre«. Dokumente, die mir vorliegen, bestätigen dies. So fragte die Nationalrätin Angeline Frankhauser am 4. Oktober 1991 beispielsweise beim Bundesrat an: »War die Übergabe der Pässe an Werner Mauss für das angestrebte Ziel (Freilassung zweier deutscher Industrieller, die 1987 im Libanon als Geiseln festgehalten wurden) absolut notwendig? … Trifft es zu, dass sich Werner Mauss im Oktober 1987 an dem Tag mit den beiden Pässen in Genf befunden hat, an dem die Leiche von Uwe Barschel … in der Badewanne eines Zimmers des Hotels Beau-Rivage aufgefunden wurde? … Stimmt es, dass Werner Mauss die beiden Pässe zu einem ganz anderen Zweck verwendet hat, als mit den schweizerischen Behörden vereinbart worden war, und dadurch unsere Behörden in schwerwiegender Weise hintergangen und getäuscht hat? Besteht nicht Anlass anzunehmen, er habe sich Straftaten schuldig gemacht? Stimmt es, dass trotz allem bis heute in unserem Land kein Strafverfahren gegen ihn eröffnet worden ist?«460 Als Antwort kann wohl eine Äußerung der Geschäftsprüfungskommission in der Neunten Sitzung des Nationalrates am 13. Juni 1996 gesehen werden, in deren Bericht es lapidar heißt: »Die Delegation findet zum Zeitpunkt der Untersuchung keine Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass Bundesbehörden in ungerechtfertiger Weise gehandelt hätten.«461 Später wurde bekannt, dass Mauss eine enge und langjährige Zusammenarbeit mit Louis Demartin, Chef der 1. Sektion der Genfer Kriminalpolizei, verband. Gegen den Polizisten liefen Ermittlungen wegen Erpressung und passiver Bestechung an, der schließlich verhaftet wurde, als er mit dem Verschwinden von einem Kilogramm Kokain aus der Aservatenkammer in Verbindung gebracht wurde. 4.1.5.3.3 Mord-Theorie 2: Auftraggeber Ministerium für Staatssicherheit der DDR (Stasi)? Spekulationen gab es auch um das Ministerium für Staatssicherheit der damaligen DDR. Barschel war bekanntermaßen antikommunistisch eingestellt. Dennoch soll er, so behaupteten Gerüchte, im Geheimen Verhandlungen mit der Honnecker-Regierung geführt ha-


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ben. Im Ergebnis sollte sich herausgestellt haben, dass es der DDRFührung missfiel, dass offenbar über Kiel auch Waffengeschäfte mit Feinden des Sozialismus abgewickelt wurden. Barschel habe das Thema nicht weiter ernstgenommen haben, um so mehr aber die DDR-Staatsführung, die Markus Wolf, den 1. Stellvertreter des Leiters der Staatssicherheit, beauftragt haben soll, den Politiker aus dem Verkehr zu ziehen. So soll auchder bereits von mir erähnte Flugzeugabsturz, den Barschel überlebte, auf die Stasi zurückgehen. Markus Wolf erklärte später zu den Ereignissen in Genf: »Ich sage nichts – ich wollte aber was über die Umstände seines Todes wissen und habe deshalb Agenten eingesetzt, die aber nichts herausfanden.«462 Bodo Ramelow von der Partei DIE LINKE schrieb mir in diesem Zusammenhang: »Ansonsten (außer dem, was bislang öffentlich zu erfahren war, Anm. d. Autors) kenne ich noch weitere Spekulationen über die angebliche oder tatsächliche Kooperation zwischen Waffenhändlern, Barschel und der Stasi. Aber auch der Verkauf der Arkona via Südafrika an die DDR. Hier gab es vorher einen Werftbau in Kiel, dann in Südafrika. In der dortigen Werft sollen dann angeblich die deutschen U-Boote gebaut worden sein.«463 4.1.5.3.4 Mord-Theorie 4: Auftraggeber Iran464? Dieser Theorie zufolge soll sich Barschel mit dem iranischen Waffenhändler Kashoggi in Genf getroffen haben. Am 9. Oktober 1987 jedenfalls hielt sich hier auch Ahmed Khomeini auf, der Sohn des Ajatollah, der in den Iran-Contra-Deal465 zwischen den Iranern und den USA verwickelt war. Er konferierte mit einigen Waffenhändlern am Genfer See. Es tauchten sowohl Gerüchte über eine Geldübergabe an Barschel auf wie auch über einen anschließenden Streit, weil Barschel angeblich für einen Neuanfang in Kanada zehn Millionen Dollar verlangte, woraufhin Ahmed Khomeini den Befehl zu seiner Liquidierung gab. 4.1.5.3.5 Mord-Theorie 3: Auftraggeber Mossad466? Auch der Mossad, der israelische Geheimdienst, soll in den Mord verstrickt sein. Das behauptet jedenfalls der Ex-Agent Victor Ostrovsky. Er beschreibt genau die Operation, die Barschel das Leben kostete: wie er aus dem Urlaub von den Kanarischen Inseln nach Genf gelockt wurde, um einen angeblichen Informanten (»Robert


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Oleff«) zu treffen, der ihm anscheinend helfen konnte seinen Namen reinzuwaschen; wie »Killer-Kommandos« des Mossad sich in das Hotel Beau Rivage einquartierten; wie der Mossad nochmals versuchte Barschel umzustimmen, zu überreden, eine hohe Abfindung zu nehmen und die illegalen Waffentransporte in den Iran zu dulden, aber der Politiker nicht daran interessiert war. Ostrovsky berichtet weiterhin detailliert über einen vorher präparierten Wein, den Barschel bestellt hatte; wie er ohnmächtig wurde; wie die Mossad-Agenten in sein Zimmer eindrangen, die Badewanner mit Wasser und Eis füllten, einen Gummischlauch in seinen Hals schoben und ihm Pillen einführten. Zudem bekam Barschel auf rektalem wege Zäpfchen verabreicht. Schließlich bekam er hohes Fieber. Daraufhin wurde er in das Eisbad gelegt. Der Schock rief starke Körperzuckungen hervor und die eingeführten Medikamente und der plötzliche Temperaturwechsel erzeugten eine Art Herzattacke, an der Uwe Barschel schließlich starb. Danach räumten die Agenten das Zimmer auf und stellten erst jetzt fest, dass sie einen Fehler gemacht hatten, nämlich Barschel nicht vor seinem Eisbad die Kleider auszuziehen. 4.1.5.3.6 Mord-Theorie 4: Auftraggeber Propaganda Due (P2)? Kommen Freimaurer als Mörder von Barschel in Frage? Steht nicht schon im Internationalen Freimaurer Lexikon, dass neben anderen auch der politische Mord an Uwe Barschel der Diskreten Gesellschaft angelastet wird?467 Handelt es sich dabei nicht nur um eine Verschwörungstheorie? Zunächst einmal muss man feststellen, dass diese Behauptung auf den ersten Blick wirklich weit hergeholt erscheint. Aber ist sie deshalb unmöglich oder gar falsch? Erinnern wir uns an die P2: Wurde sie wirklich »zerschlagen« und »aufgelöst« oder agierte und agiert sie unter anderen Strukturen nach wie vor? Vielleicht unter anderem Namen, wie andere Rechercheure angedeutet haben? Könnte sie Interesse am Ableben von Uwe Barschel gehabt haben? Und wenn ja, welches? Die Antworten auf diese Fragen möchte ich in den kommenden Abschnitten geben. Die nachfolgende Aspekte, Indizien, Spuren und Belege, die ich in monatelangen Recherchen zusammentrug, unterstützen die von mir bevorzugte Mord-Theorie, die in diesem Buch das erste Mal veröffentlicht wird.


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4.1.5.3.6.1 P2-Kontakte in die Schweiz Wie bereits an anderer Stelle aufgeführt, behauptete Richard Brenneke, Ex-CIA- und Mossad-Mitarbeiter im Juli 1990 im staatlichen italienischen Fernsehens RAI, dass die P2 trotz offiziellen Verbots weiterhin aktiv sei und zu den gleichen Zwecken benutzt würde, wie Anfang der Siebzigerjahre.468 Und, so Brenneke weiter, dass Licio Gelli nicht der wirkliche Chef der Freimaurerloge sei. »Er bekam seine Befehle von Leuten in der Schweiz und den USA.«469 Nicht nur mit seiner Aussage, sondern auch mit weiteren Indizien und Beweisen sind damit zwei grundlegende Aspekte meiner Betrachtungsweise, dass die P2 in die Angelegenheit Uwe Barschel verwickelt sein könnte, bestätigt worden. Erstens, auch zum Zeitpunkt des Mordes an Uwe Barschel waren die P2 oder einer ihrer Ableger weiterhin aktiv, und zweitens, es gab Verbindungen in die Schweiz, genau in das Land also, in dem Barschel schließlich ermordet wurde. Schon Jürgen Roth und Berndt Ender kamen in Geschäfte und Verbrechen der Politmafia zu der Erkenntnis: »Häufig ermöglicht erst … schmutziges Geld, diejenigen Aktionen durchzuführen, die von den politischen Führungskartellen vorgeschlagen wurden. Die Schweiz ist dabei ein Knotenpunkt. Hier treffen sich alle wieder: Führende Mitglieder der Freimaurerloge P2, der Cercle Violett und Opus Dei. ›Sie wissen genau, die Lunge des Monsters befindet sich in der Schweiz‹, klagt ein US-amerikanischer Professor, der im Auftrag einer US-Parlamentskommission im August 1983 in die Schweiz reiste, um über die Banco Ambrosiano, die Geheimloge P2 und die schweizerischen Banken zu ermitteln.«470 Meine Recherchen haben folgende Zusammenhänge ergeben, die meines Erachtens nach in diesem Zusammenhang noch nie betrachtet wurden: »Zufälliger Weise« tummelten und tummeln sich einflussreiche P2-Freimaurerkreise in und um Genf. So befand sich hier nicht nur die Villa von P2-Bruder Valerio Valeri, sondern auch von Umberto Ortolani, dem zweiten Mann der P2, Mitglied der »Superloge von Monaco« und Großmeister des »Souveränen Ordens von Malta«. Ein weiterer P2-Maurer, Bruno Tassan Din, saß ebenfalls am Genfer See, in Lausanne. Zwischen Genf und Lausanne lebten Peter Notz und Hans Albert Kunz. Auch ihre Namen wurden in Gellis beschlagnahmten Unterlagen gefunden. Kunz war ein hoher Offizier der


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Schweizer Armee und ebenfalls in der P2. Er soll einer der engsten Freunde Großmeister Licio Gellis gewesen sein. Laut Berichten des italienischen Geheimdienstes hatte Kunz Gelli sogar einmal in seiner Villa in der Nähe von Genf versteckt.471 Gian Trepp schreibt hierzu: »Ob Gelli seine Befehle aus der Schweiz bezog oder nicht, Tatsache ist, dass sich die Beziehungen Gellis zur Schweiz nicht auf millionenschwere Bankkonten beschränken. Im Gegenteil, die Genferseeregion war das strategische Hinterland der P2.«472 Auch der investigative Journalist David A. Yallop kam zu dem Ergebnis, dass es in der Schweiz praktizierende Mitglieder der P2 gab.473 Sogar das Schweizer Parlament beschäftigte sich mit Gellis Rolle in dem Land. Aus einer Anfrage des Nationalrats Guy-Oliver Segond vom 4. Oktober 1989, die mir vor liegt, geht hervor: »Zwei aufsehenerregende Fälle haben ein grelles Licht auf die Unfähigkeit unseres Strafrechtssystems geworfen, im Rahmen der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen strafbare Handlungen außerhalb unserer Grenzen zu verfolgen. Im ersten handelt es sich um Fall Gelli: weil er sich auf Schweizer Territorium zurückgezogen hatte, konnte Licio Gelli der Anklage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung entgehen …«474 Einige Rechercheure behaupten, dass eine der »treibenden Kräfte hinter der P2-Loge die ultrageheime schweizerische Großloge Alpina war, der nahezu jede bedeutendere Persönlichkeit dieser Bankennation angehört. Der ehemalige britische Premierminister und Bilderberger Harold Wilson nannte die Mitglieder der Alpina-Loge die »Züricher Gnome«, womit er zum Ausdruck bringen wollte, dass diese Persönlichkeiten über mehr Macht verfügten als jede reguläre Regierung«.475 Dabei handelte es sich um Bankiers, die sich in der Freimaurerloge zusammengefunden hatten. Robert Anton Wilson, der in seinem Lexikon der Verschwörungs-Theorien gerade jenen nachspürt, erklärt: »David Yallop … behauptete, dass diese Schweizer Freimaurer-Bankiers heimlich die P2-Verschwörung in Italien unterstützten. Wenn wir diesen Anschuldigungen glauben, dann haben sich die Gnomen zur Wiedereinführung der Monarchie in Frankreich und des Faschismus in Italien verschworen. Welche Pläne sie für andere Länder haben, ist bis dato nicht bekannt.« So sollen auch der Freimaurer im Vatikan, deren Namensliste Papst Paul I. zugespielt worden war, Mitglieder der Grand Loge Alpina gewesen sein.476


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Fakt ist jedenfalls, dass es in und um Genf wichtige P2-Maurer gab. Aber konnte die Loge auch logistisch eine solche Operation, wie sie die Ermordung eines deutschen Politikers darstellte, aus- und durchführen? In Anbetracht der bereits beschriebenen Mordfälle Aldo Moro, Michele Sindona und Roberto Calvi wird deutlich, dass die P2 über die nötige Logistik verfügte. Es bleibt nur die Frage zu klären, wie ein ähnliches Unternehmen im Ausland, in der neutralen Schweiz, realisiert worden ist. Konnte man hier vielleicht auf »befreundete« Kräfte, eventuell sogar aus dem Geheimdienst zurückgreifen? Einen Hinweis darauf habe ich nach akribischer Suche gefunden. Und zwar im Archiv des Schweizer Parlaments. Mit der Anfrage-Nummer 83.727 des Nationalrats Jean Ziegler an den Bundesrat vom 5. Oktober 1983 wird deutlich, dass sich »Gelli in Genf seit mehreren Jahren auf zahlreiche Helfershelfer stützen« konnte und dass »gewisse ausländische Geheimdienste und private Genfer Sicherheitsdienste« wahrscheinlich bei seiner Flucht aus der Schweiz halfen.477 Bei weiteren Recherchen im Archiv des Schweizer Parlaments stolperte ich über eine weitere Anfrage, dieses Mal mit der Nummer 83.0427. Sie stammte vom Nationalrat Robbiani Dario und datierte vom 6. Juni 1983. Aus ihr wird ersichtlich, dass es in der Schweiz »Verbindungen« zwischen den italienischen Geheimdiensten und den »subversiven Rechtskräften der Freimaurerloge P2 von Licio Gelli« gab.478 Dies alles belegt, dass der Großmeister der P2 tatsächlich gewichtige Verbündete in der Schweiz hatte. Diese wiederum hatten Kontakte nicht nur zu ausländischen Geheimdiensten im Allgemeinen, sondern auch solche zu italienischen Geheimdiensten im Speziellen. Vielleicht existierte sogar ein Kontakt zu einem P2-»Logenableger«? Falls ja, welcher konnte das sein? Meine Recherchen führten zu einer Schweizer Politaffäre und zu einer Geheimorganisation, die nicht nur vom Namen her der P2 gleicht: zur Geheimorganisation »P26«. 4.1.5.3.6.2 Geheimarmee »P26«479 Führen wir uns noch einmal vor Augen, dass die P2 in Argentinien und Uruguay ein ähnliches Netzwerk wie in Italien geschaffen hatte und es weitere aktive Logenzweige in Venezuela, Paraguay, Bolivien, Nicaragua, Frankreich, Spanien und Portugal gegeben hatte, sowie


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Mitglieder in der Schweiz und den USA existierten.480 Ferner gab es eine »P1« in Frankreich und eine »P3« in Spanien.481 Somit konnte davon ausgegangen werden, dass es weitere geheime Ableger gab. Und tatsächlich: Im Jahre 1990 wurde bekannt, dass in der Schweiz eine weitere Geheimorganisation existierte, die »P26« (»Projekt 26«). Nachfolgend beziehe ich mich hauptsächlich auf Unterlagen des Schweizer Parlaments, sowie der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich, und des CSS, des Center for Security Studies, das sich in Forschung und Lehre mit Themen der schweizerischen und internationalen Sicherheitspolitik beschäftigt. Wie ich bereits an anderer Stelle erläutert habe, gab es während des Kalten Krieges in den verschiedenen westlichen Ländern geheime Untergrundarmeen, ein so genanntes »Stay-Behind-Netzwerk« (Gladio). Koordiniert wurden diese von zwei geheimen Unterabteilungen des NATO-Hauptquartiers SHAPE, die direkt dem obersten NATO-Befehlshaber unterstellt waren, mit direkten Verbindungen zur CIA und zum britischen Geheimdienst MI6. Sie versuchten mit terroristischen Aktivitäten die politische Entwicklung zu beeinflussen. In Italien arbeitete das Netzwerk mit der Mafia, den Faschisten, der katholischen Kirche und, wie ich erläutert habe, den P2-Freimaurern zusammen. Auch in Frankreich, Deutschland (wo auch ehemalige SS-Offiziere involviert waren), Norwegen und Belgien wurden durch die Geheimarmeen Terroranschläge verübt.482 Die Existenz der P26 in der Schweiz wurde erst 1990 durch eine Parlamentarische Untersuchungskommission aufgedeckt, die die so genannte »Fichenaffäre« untersuchte, bei der festgestellt worden war, dass die Bundesbehörden und die kantonalen Polizeibehörden rund 900 000 Karteikarten (»Fichen«) über mehr als 700 000 Einzelpersonen und Organisationen angelegt hatten, die politisch »links« standen. Das war bei einer damaligen Einwohnerzahl der Schweiz von rund sieben Millionen Menschen ein Anteil von zehn Prozent, der überwacht wurde! Ein unglaublicher Skandal – und das in der weltweit so hoch angesehenen Bankennation! Leider wurde viel Material vernichtet, bevor sich die Untersuchungskommission näher mit der P26 beschäftigen konnte. Auch das hatte, wie wir schon bei den Umtrieben der P2 gesehen haben, offenbar Methode. Die P26 war nicht direkt in das Netzwerk der NATO-Geheimarmeen eingebunden, hatte aber Kontakte zum MI6. Der ehemalige


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Korpskommandant Hans Senn, der zwischen 1977 und 1980 Generalstabschef der Schweizer Armee war, erklärte, dass jeder Politiker bereits 1980 gewusst haben müsste, dass es eine derartige geheime Gruppierung in der Schweiz gab. Alt-Nationalrat Helmut Hubacher entgegnete, dass man zwar wusste, dass es in der Armee »Spezialdienste« gab, aber man hätte nie vermutet, dass es sich dabei um eine Geheimarmee handelte, die bei einer Mehrheit der linken Parteien einen Putsch durchzuführen gedachte. Die P26 legte ferner illegale Waffendepots an und bildete Personen für den Guerillakampf aus. Neben der Geheimarmee P26 existierte auch noch die P27, ein geheimer außerordentlicher Nachrichtendienst, der ebenfalls außerhalb von Armee und Verwaltung stand. Die P27 sollte später wieder in den Stab der Gruppe für Generalstabsdienste überführt werden. Während die P26 den Untergrund-Kampf übte, beschaffte die P27 die Informationen. Doch für beide gab es weder eine rechtliche Grundlage noch eine parlamentarische Kontrolle oder eine politische Zugehörigkeit. Sie waren demnach verfassungswidrig. Als Chef der P26 galt offiziell Generalstabsoberst Efrem Cattelan, der den Codenamen »Rico« trug. Die Geheimarmee wurde im Übrigen ohne Wissen des Parlaments gegründet, aber ausschließlich mit staatlichen Mitteln finanziert. Die Kosten beliefen sich auf rund elf Millionen Franken jährlich. Zudem sollte die P26 noch einen Gold- und Devisentresor angelegt haben. Von über 200 Kilogramm Gold war die Rede. Daneben existierte noch eine »Gruppe 426«, ein konspirativer Beirat, der aus Bundesparlamentariern bestand. Oberstleutnant Herbert Alboth, Ex-Mitglied des »Spezialdienstes«, eines geheimen Armeestabteils der »Untergruppe Nachrichtendienst und Abwehr« (UNA), wollte bei der parlamentarischen Untersuchungskommission als Zeuge auspacken, die ganze Wahrheit aufdecken. Doch dazu kam es nicht mehr. Kurz vor seiner Aussage wurde er in seiner Wohnung in Bern mit seinem eigenen Armee-Bajonett erstochen aufgefunden. Offiziell wurde eine Beziehungstat für den Tod des Offiziers vermutet. Und offiziell wurde der Todesfall nie aufgeklärt. Bis heute ist der rund 100-seitige Untersuchungsbericht zur P26, der so genannte Cornu-Bericht (nach dem Untersuchungsrichter Pierre Cornu) vom 5. August 1991 nur in gekürzter Fassung, zusammengeschrieben auf gerade mal zwölf Seiten, veröffentlicht worden. Die komplette Fassung ist geheim, weil sie die guten Beziehungen der


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Schweiz zu anderen Staaten gefährden könnte und »relevante geografische und organisatorische Einzelheiten befreundeter Staaten öffentlich« gemacht würden, obwohl sie diese »ausdrücklich geheim zu halten wünschen«. Verschiedene Nationalräte sprachen in diesem Zusammenhang von einer Begründung, die so nicht mehr aufrecht zu erhalten wäre, weil zahllose Informationen beispielsweise über Gladio auch in anderen Ländern veröffentlicht worden seien und die »zeitliche Distanz zum Kalten Krieg« nun »genügend groß« wäre, um die Operation Gladio »schonungslos aufzuarbeiten«. Doch auch hier, wie andernorts, versuchten die Verantwortlichen die Veröffentlichung von Informationen zu be- und verhindern. Denn der Bundesrat erklärte am 10. Juni 2005, dass er keinen Anlass sehe, den CornuBericht zu veröffentlichen. Die Akten zur P26 würden einer verlängerten Schutzfrist unterliegen, der Quellenschutz des Militärgesetzes müsse in jedem Fall gewährleistet bleiben. »Die Publikation von Akten … vor Ablauf der … über die Archivierung vorgesehenen Sperrfrist (dreißig Jahre) ist nur in besonderen Ausnahmefällen zu rechtfertigen. Ein besonderer Grund zur vorzeitigen Freigabe im Sinne dieser Ausnahmenorm liegt beim Cornu-Bericht nicht vor.« Und weiter heißt es: »Zudem gilt es festzuhalten, dass zahlreiche, zum größten Teil noch lebende Personen gegenüber Untersuchungsrichter Cornu unter dem Aspekt der Vertraulichkeit Auskunft erteilt haben. Diese Personen haben darum weiterhin den Anspruch auf den Persönlichkeitsschutz und den Schutz ihrer Aussagen …«483 Politiker des Bundesrates hielten im Übrigen zum ehemaligen Chef der P26, Effrem Cattelan. Dieser durfte nach der Aufdeckung der P26-Affäre wieder in den ordentlichen Kader mit entsprechender Besoldung eingegliedert werden sowie an Offiziers- oder Unteroffiziersgesellschaften referieren. Das alles erfolgte mit Genehmigung des Generalstabchefs! Der Bundesrat sah noch im Jahre 1992 keinen Grund, ihn mit einem Redeverbot zu belegen. Später jedoch wurde er entlassen und die P26 und P27 offiziell aufgelöst. Meine Recherchen haben also ergeben, dass es in der Schweiz gute Kontakte zwischen P2-Großmeister Licio Gelli und den hier ansässigen Logenbrüdern sowie italienischen und ausländischen Geheimdiensten gab. Inwiefern es und ob überhaupt Kontakte zur AlpinaLoge gegeben hatte, wie einige Publizisten behaupten, kann nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden. Auch kann nicht belegt werden,


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inwiefern es Verbindungen zur Geheimarmee P26 gab. Aber es darf zumindest vermutet werden, dass diese tatsächlich existierten, zumal wenn man die Arbeitsweise derartiger geheimer Strukturen kennt. Vielleicht spielte ja auch P2-Bruder Hans Albert Kunz, hoher Offizier der Schweizer Armee, das »Bindeglied«, die Vermittlerrolle? Nachdem ich also festgestellt hatte, dass Licio Gelli beziehungsweise die P2 durchaus Kontakte in die Schweiz hatten, dorthin also, wo letztlich der schleswig-holsteinische Ministerpräsidenten Uwe Barschel getötet worden war, stellten sich für mich nun weitere Fragen. Welche Verbindungen konnte es zwischen ihm und der P2 geben haben? Und welcher Natur waren diese Verbindung aus, dass sie sogar einen Mord für die Freimaurer rechtfertigen konnten? 4.1.5.3.6.3 Logenbruder Uwe Barschel (I)?484 »Uwe Barschel, der als junger Mann von einem großen Förderer in die Freimaurerbewegung gelotst wurde, wollte sich von diesem in Waffengeschäfte verwickelten Kreis vermutlich befreien. Nicht nur das – er wollte ›auspacken‹, ›Die ganze Bande in die Luft jagen‹. Dabei sprach er sogar von einer ›politischen Mafia‹ … Es ist Tatsache, dass alle Mitglieder in der Familie Barschel bereits wenige Tage nach dem Tode Barschels von mehreren Seiten den Hinweis erhielten: Uwe Barschel ist von den Freimaurern umgebracht worden. Es war eine klassische und rituelle Hinrichtung …«485 Diese Worte waren geradezu Sprengstoff, den ich während meiner Recherchen zum Thema Barschel fand. Und sie stellten gleich mehrere Tatsachenbehauptungen auf: 1) Barschel hatte einen großen Förderer, der ihn in eine Freimaurerloge einführte, die in Waffengeschäfte verwickelt war, 2) Barschel wollte auspacken und wurde 3) dafür von den Freimaurern »rituell« hingerichtet … Es handelte sich dabei um Worte eines Artikels auf der Homepage luebeck-kunterbunt.de. Es war das erste Mal, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Barschel und den Freimaurern berichtet wurde. Doch wie seriös ist diese Quelle? Hinter der Homepage steckt Detlef Winter, »Kulturredakteur« dieser »Volksaufklärungsseite«, die in die Kritik geraten ist, auch antisemitisches Gedankengut zu verbreiten. Winter bestreitet dies vehement auf seiner Seite. Ich nehme Kontakt mit ihm auf. Winter, Jahrgang 1948, ist nach eigenen Angaben Jurist und Publizist und wurde von den Rotariern und Lions


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»fertiggemacht«, weil er auf seiner Internetseite auch Namen und »Serviceclub-Zugehörigkeit« der Lübecker Polit- und Gesellschaftsprominenz veröffentlicht hatte. Und gegen die nie rechtlich vorgegangen wurde, weil die Informationen alle stimmen und belegbar seien, versichert mir der Ruheständler. Er meint auch, dass es ganz normal sei in Deutschland, dass, wenn man heiße Eisen anpackt, die Gegner mit der antisemitischen Keule kommen, um einen zu diskreditieren und mundtot zu machen. Damit hat er wohl nicht ganz Unrecht. Winter sagt mir, dass Antisemitismus absolut »dumm« und sein Onkel selbst Halbjude sei. »Bei Gott, ich bin absolut kein Rechter, sondern bin Alt-68er, ein Ur-Sozi und war 23 Jahre lang Mitglied der SPD.« Also jemand, der eher links angesiedelt ist, der mit den GRÜNEN geliebäugelt hat.486 Winter selbst hat den Barschel-Freimaurer-Artikel von dem Freimaurer Wolfgang Bittner übernommen, der ihn ebenfalls zitierte. Bittner, der im Jahre 2002 verstorben ist und der im Zweiten Weltkrieg am Frankreich- und Afrikafeldzug für Hitler-Deutschland teilgenommen hatte, war Logenmeister und Kapitelmeister der Johannisloge »Zum Märkischen Hammer«, organisierte öffentliche Informationsausstellungen über die »Geheimnisse der Freimaurerei« und leitete auch das »Amt für Öffentlichkeitsarbeit« der »Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD)«. Zudem schrieb er Bücher wie Satans verschworene Brüder – Angriffe und Antithesen gegen die Deutsche Freimaurerei 1970–2000. Logenbruder Bittner zitierte den Artikel aus dem Buch Das Testament des Uwe Barschel von Joachim Siegerist. Ich fand den betreffenden Text in der ersten und zweiten Auflage allerdings nicht, er wurde erst nachträglich in der fünften Auflage des Buches publiziert. Wer also ist Joachim Siegerist, daß er eine solche Behauptung von erheblicher Tragweite aufstellte? Und wer war seine Quelle? In Bezug auf die Person Siegerist, lange Jahre politischer Journalist im Axel-Springer-Verlag, gibt es viel Kritik zu vernehmen, denn heute ist er Vorsitzender der »Deutschen Konservativen e. V.« (DK) in Hamburg, in der unter anderen auch Chlodwig Prinz zur Lippe (Ehrenpräsident) Mitglied ist. Die Deutschen Konservativen warnen beispielsweise vor einer drohenden sozialistischen Unterwanderung der SPD und der GRÜNEN. Im Jahre 1987 wurde Siegerist mit anderen zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung Willy Brandts verur-


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teilt (er schrieb ein kritisches Buch Willy Brandt – das Ende einer Legende«). 1994 folgte eine Verurteilung wegen Aufstachelung zum Rassenhass, als er in Rundschreiben Zigeuner als ein »übles, kriminelles Pack« bezeichnete, das sich »bei uns aufführt wie von Nazis verfolgte Juden«, die »rauben, stehlen, betrügen, erpressen und bedrohen«. Auf den Kongressen der DK trat auch immer wieder der CDU-Politiker Heinrich Lummer auf, Ex-Fraktionsvorsitzender, Ex-Parlamentspräsident, Ex-Bürgermeister von Berlin und Senator für Inneres und Mitglied des Bundestages seit 1987. Im Jahre 1989 war auch Freya Barschel, die Witwe von Uwe Barschel, auf einer dieser Konferenzen anwesend. Neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Deutschen Konservativen war Siegerist noch etwas anderes: ein Freund Uwe Barschels. »Menschlich und politisch«. Mit seinem Buch Das Testament des Uwe Barschel vertrat er als erster Journalist die Mord-These und wurde dafür »runtergemacht«. »Aber schon damals waren die Beweise für Mord erdrückend«, sagt Siegerist. »Nur: eine feige CDU und eine linke Medien-Mafia höhnten: ›Siegerist kämpft für seinen toten Freund, weil beide unverbesserlich konservativ waren.‹« Und weiter: »Selbst wenn Uwe Barschel Schuld auf sich geladen hätte – ich wäre sein Freund geblieben. Für mich ist Freundschaft mehr als nur ein Wort. Aber er war unschuldig. Er war menschlich und politisch einwandfrei.«487 Ich nehme mit Joachim Siegerist Kontakt auf, um zu erfahren, woher er die Informationen über Barschel und die Freimaurer hat, die als Einschub in die fünfte Auflage seines Buches praktiziert worden waren. Seine Antwort ist denkbar einfach: von Barschels Frau, von Freya. Die hätte, nachdem Uwe Barschel ihr das anvertraut hatte, erst gedacht, das wäre ein »Witz«.488 Jetzt habe ich, im wahrsten Sinne des Wortes, die journalistische Witterung aufgenommen. Während weiterer Recherchen erfahre ich sogar den Ort, an dem Uwe Barschel in eine Loge initiiert worden sein soll: in seiner Heimatstadt Mölln, in der er auch unter einem schlichten Grabstein begraben liegt. Ich erhalte sogar die genaue Adresse und in welchem Gebäude er anscheinend zum Maurer geschlagen wurde. Diese Informationen möchte ich jedoch nicht veröffentlichen, weil sie nicht vollständig gesichert sind. In Mölln selbst scheint es keine eigene Loge zu geben. Das will aber nichts heißen,


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schließlich werden beispielsweise nicht alle Logen-»Ateliers« öffentlich gemacht. Doch in unmittelbarer Nähe von Mölln, gerade mal 25 Kilometer entfernt, in Lübeck, werde ich fündig. Hier gibt es drei Logen, und etwas weiter entfernt, in Bad Oldesloe, noch eine weitere. Natürlich frage ich bei den Freimaurern nach einer etwaigen Mitgliedschaft von Uwe Barschel an, ohne allerdings Hoffnung auf eine Antwort zu haben. So ist es dann auch: Meine Hoffnung wird nicht enttäucht, ich höre nichts … Nunmehr schien es mir an der Zeit, mit der Familie Barschel selbst Kontakt aufzunehmen. Vor allem mit Freya, seiner Witwe, um die Bestätigung zu erhalten, dass das, was Siegerist geschrieben hat, auch stimmt. Doch dieses Vorhaben stellt sich nicht gerade als einfach heraus. Ich lande beim Familienanwalt der Barschels, bei Justus Warburg. Auf meine Anfrage hin erklärt er mir, dass die Barschels nicht mehr an die Öffentlichkeit möchten. Ich bitte ihn trotzdem um einen Kontakt oder um die Entbindung seiner anwaltlichen Schweigepflicht mir gegenüber, damit ich wenigstens mit ihm über bestimmte Sachverhalte sprechen kann. Warburg stimmt zu, bei Freya Barschel nachzufragen. Ich erkläre ihm auch, um was es mir geht, um eine mögliche Mitgliedschaft Uwe Barschels bei den Freimaurern oder um die Verwicklung der Logenbrüder in seine, Barschels, damaligen politischen Aktivitäten. Ich deute dahingehend auch die Propaganda Due an. Sofort wird Justus Warburg vorsichtig, spricht davon, dass Freimaurer hehre Leute wären, in Ordnung seien, christliche Prinzipien hätten in ihren Satzungen. Er selbst wäre zwar keiner, aber er würde viele kennen, die das sagen würden. Spielt er damit etwa auf Günther Wedderien von der »Absalom-Stiftung der Freimaurer« an, der ebenso wie er selbst und rund 1000 andere prominente Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien am 10. Januar 2003 zum Neujahrsempfang des Hamburger Abendblattes geladen war?489 Justus Warburg ist nicht nur auf Grund seines reifen Alters von 83 Jahren eine Persönlichkeit. Er gehört dem »Gelehrten-Zweig« der großen Familie aus der Hansestadt Warburg in Westfalen an, arbeitet seit 1959 als Rechtsanwalt, war Mitglied der Kriminalkommission bei der Justizbehörde Hamburg und der Reformkommission Juristenausbildung beim Hanseatischen Oberlandesgericht, zweiter Vorsitzender des Gutachterausschusses bei der Ärztekammer, Ehrenmitglied der »Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste« in Salz-


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burg und bekam im November 2004 vom damaligen Bundesverteidigungsminister Peter Struck die höchste Auszeichnung der Streitkräfte, das Ehrenkreuz in Gold, verliehen. Aber warum ist ein solch gewiss integerer Mann so unkritisch den Freimaurern gegenüber? Detlef Winter erklärt dazu, dass ein »bekannter Lübecker Strafverteidiger« behauptet hätte, dass auch Warburg ein Freimaurer sei, weil er einmal in Bezug auf einen Oberstaatsanwalt von »meinem Bruder« gesprochen haben soll.490 Wie dem auch sei, auf seine unkritische Entgegnung erwidere ich, dass es auch bei den Freimaurern verschiedene Strömungen geben würde. Auch kriminelle, wie beispielsweise die P2, und vielleicht wäre Barschel ja bei einer »hehren« Mitglied gewesen. Und die P2 oder andere hätten ihn auf Grund illegaler Waffengeschäfte, in die Barschel nicht hineingezogen werden wollte, schließlich liquidiert. Doch Justus Warburg ist, seit ich die Freimaurer-Thematik angesprochen habe, abweisender zu mir geworden. So komme ich also nicht weiter und kann nur darauf hoffen, dass ich doch noch einen Kontakt mit Freya Barschel oder einem anderen Familienmitglied bekommen werde. Ich verabrede mich mit dem Rechtsanwalt, ihn in ein paar Tagen wieder anzurufen.491 Das tue ich dann auch, doch meine Befürchtungen werden bestätigt. Die Familie Barschel, so Warburg, wäre nicht für ein Gespräch mit mir bereit. Er ist mir gegenüber sehr unwillig und kurz angebunden und verweist nur noch auf eine Pressemitteilung, die am selben Tag erscheint.492 Das wars. Keine Chance also mit den Barschels selbst zu sprechen. Doch so schnell will ich nicht aufgeben und setze mich mit meinem Journalisten-Kollegen Wolfram Baentsch in Verbindung, ehemaliger Spiegel-Redakteur und Ex-Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Germanist und Ökonom, Träger des Bundesverdienstkreuzes und Autor des hervorragend recherchierten Sachbuches Der Doppelmord an Uwe Barschel – Die Fakten und Hintergründe, das seit seinem Erscheinen im September 2006 für viel Wirbel gesorgt hat. Natürlich besitzt er Kontakte zur Familie Barschel. Ihn bitte ich diesbezüglich um Hilfe. Doch auch er winkt ab. Seit kurzem ist es auch für ihn schwierig, weil sich Justus Warburg eingeschaltet hat und sich vor die Familie stellt und alles abblockt. So ist mein Bemühen um ein persönliches Gespräch mit Freya Barschel oder einem anderen Familienmitglied gescheitert. Wolfram Baentsch erzählt mir aber, dass er während seiner Re-


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cherchen immer wieder vage Hinweise erhalten habe, dass Uwe Barschel Freimaurer gewesen sei, dafür aber keine Belege fand.493 So versuche ich über meine vielen Kontakte irgendwie weiterzukommen. Auch mir wird von verschiedenen Informanten gesagt, Barschel sei Logenbruder gewesen. Doch ohne die Mitgliedsliste mit seinem Namen, Logennamen und seiner Mitgliedsnummer wäre dies juristisch nicht zu belegen. Ich selbst glaube kaum, dass, wenn es eine solche Liste überhaupt gegeben hat, diese heute noch existiert. Zumal diese Liste streng geheim und nur wenigen bekannt sein dürfte. In Johannes Rothkranz Buch Freimaurersignale in der Presse (Rothkranz ist ein katholischer Fundamentalist und Weltverschwörungstheoretiker), das im »Pro Fide Catholica«-Verlag erschienen ist, sind »Hand- und Blickgesten« auf so genannten freimaurerischen »Signalfotos« zu sehen, die dem »ahnungslosen Zeitungsleser« nichts sagen, »den Logenbrüdern und anderen Eingeweihten sagen sie sehr viel« (Rothkranz). Unter vielen anderen tauchen in diesem Buch auch Fotos von Uwe Barschel auf: »Offenbar gehörte Uwe Barschel der Loge an, denn sonst hätte man nach seinem Tod nicht auf so viele verschiedene Gesten-Photos zurückgreifen können. Doch er war in Ungnade gefallen, wusste zuviel und wurde deshalb im Auftrag der Geheimen Oberen ›hingerichtet‹. Letzteres versichern die einschlägigen Presse-Aufnahmen den ›Eingeweihten‹ immer wieder neu, während man die ›Profanen‹ weiter rätseln lässt.«494 Nun ist Rothkranz sicher nicht die zuverlässigste Quelle, dennoch fällt mir in diesem Zusammenhang ein Foto495 von Barschels »Ehrenwort-Pressekonferenz« ein. Darauf ist der Ministerpräsident zu sehen. Seine rechte Hand liegt auf dem Herzen. Genau diese Geste soll eine direkt aus einem freimaurerischen Logen-Ritual entnommene sein, wie ein anderes Foto aus der Washington Post vom 14. Oktober 1992 zu beweisen versucht, das eine offizielle freimaurerische Veranstaltung zum 200. Jahrestag der Grundsteinlegung des Weißen Hauses zeigt. Darauf sind Freimaurer im Schurz zu erkennen, die ihre Hände auf ihre Herzen gelegt haben, also die »Hand-aufs-Herz«-Geste praktizieren. In einem der vielen Internet-Diskussions-Foren zum Thema Freimaurerei werde ich fündig. Der ehemalige Freimaurer Norbert H.496, wie er selbst behauptet Ex-Mitglied einer in »Druidenkultus pflegender Loge im Ruhrgebiet«, erklärt im Oktober 2001 darin, dass Uwe Barschel ein »Logenbruder« gewesen sei, der nicht »zufällig im


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Freimaurer-Gründungshotel der deutschen Freimaurer, im Hotel Beau Rivage in Geneve/Genf, … um die Ecke gebracht worden« sei. Ob es in diesem Hotel jemals eine Freimaurer-Gründung gab, lässt sich nicht mehr eindeutig feststellen. Fakt jedoch ist, dass es in Genf tatsächlich Freimaurer-Gründungen gab, und zwar die erste Tätigkeit in der Schweiz. Hier wurde im Februar 1736 die Loge Société des Macons libres oder Francs-Macons du Parfait Contentement« gegründet. In Genf wurde zumdem im Jahre 1921 die Association Maconnique Internationale (A. M. I.)«497, die »internationale maurerische Vereinigung von symbolischen Großlogen« ins Leben gerufen, in der das »Internationale Büro für freimaurerische Beziehungen«, die »Weltgeschäftsstelle«, aufging. Interessanter Weise war das Hotel Beau Rivage schon einmal wegen eines Mordes weltweit in die Gazetten geraten: vor dem Haus war 1898 Kaiserin Elisabeth von Österreich und Königin von Ungarn getötet worden. In der Nähe erinnert noch immer eine Plakette auf der Promenade an das Attentat. Norbert H. behauptet in dem von mir schon erwähnten Forum weiterhin, dass Barschel nicht bei »Mauscheleien mitmachen« wollte, »die von ihm erwartet wurden«. Und er spricht von einer »Mordaktion gegen Freimaurer-Bruder (›Fm-Br.‹) Barschel, der in Genf ›entsorgt werden musste, weil er die krummen Touren anderer Politprominenz nicht mehr mittragen wollte‹ … Und Austreten … tut man nur mit dem Zettel am großen Zeh …« Weiterhin schreibt er: »Also die Andreas-Logen, da fängt die Mafia an. Und diese Ebene verlässt Du nur noch mit einem Zettel am großen Zeh – im Kühlfach der Gerichtsmedizin. Sonst nicht! Auch Uwe Barschel durfte das erfahren … und wurde halt in Geneve ermordet.« Norbert H. nennt noch Konkretes: »Er war Logenbruder in der Loge zu Plön, Norddeutschland.« 498 Doch auch in Plön direkt scheint es meinen Recherchen nach keine Loge zu geben, dafür aber im unmittelbaren Umfeld von nur wenigen Kilometern. Einmal wird also Mölln, das andere Mal Plön genannt. Tatsächlich sind beide Städte gerade mal 90 Kilometer voneinander entfernt. Und in ihrer unmittelbaren Umgebung gibt es etwa sieben Freimaurerlogen. Wenn man die Orte geografisch aus der Luft überblickt, dann liegt etwa im Schnittpunkt Lübeck. Und auch Kiel, mit seinen Freimaurerlogen, ist nur wenig Kilometer von Plön entfernt. Natürlich frage ich bei diesen Logen nach: »… Von


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verschiedenen Seiten habe ich erfahren, dass der ehemalige Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Freimaurer gewesen sein soll. Eingeführt in eine Loge in Plön oder Mölln. Um meiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen, möchte ich bei Ihnen anfragen, ob Sie Logen, die nicht im Archiv der ›Vereinigten Großloge von Deutschland‹ sind, in einer dieser beiden Städte kennen bzw. dort eigene Logentätigkeiten vorzuweisen haben? Da ich weiss, dass Sie Namen von lebenden Personen Ihrer Loge nicht veröffentlichen, Uwe Barschel aber schon 20 Jahre tot ist, möchte ich bei Ihnen auch anfragen, ob er Mitglied Ihrer Loge war? Ihre Logen liegen in unmittelbarer Nähe der mit genannten Städte Mölln oder Plön.«499 Doch statt einer Antwort »erhalte« ich nur Schweigen. Lediglich eine Kieler Loge lässt mich wissen, dass sie sich »kurzfristig« bei mir melden werde.500 Aber auch auf diese Antwort warte ich noch heute. Schweigen und Ignorieren führt normalerweise nicht dazu, einen Sachverhalt zu erhellen. War ich also auf der richtigen Spur? Ich möchte noch einer anderen wichtigen Spur nachgehen: der Frage nach dem »großen Förderer«, der Barschel in die Freimaurerbewegung »gelotst« haben soll. Ich bespreche mich dahingehend mit meinem Kollegen Wolfram Baentsch. Er meint, dass Barschels politischer Förderer Helmut Lemke (1907–1990) gewesen sei. Einst war Lemke NSDAP-Mitglied, schloss sich nach dem Zweiten Weltkrieg der CDU an, fungierte als Mitglied des Landesvorstandes, war später sogar Landesvorsitzender der CDU in Schleswig-Holstein und Mitglied im Bundesvorstand der Christdemokraten, danach Präsident des Landtages. Er soll, so Wolfram Baentsch, Barschels politisches Talent schon früh erkannt und ihn deshalb gefördert haben. Auch Gerhard Stoltenberg hätte dies getan, schreibt Baentsch in seinem Buch, als er von »Barschels einstigem Förderer« spricht. Andere stimmen dem offenbar zu, beispielsweise auch Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel: »Als schleswig-holsteinischer Ministerpräsident seit 1971 förderte er den ehrgeizigen Aufsteiger Uwe Barschel und machte ihn zu seinem Nachfolger, als er selbst 1982 Bundesfinanzminister wurde«.501 Der politische Förderer Barschels war demnach der Nachfolger Lemkes: Gerhard Stoltenberg.


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4.1.5.3.6.5 Logenbruder Gerhard Stoltenberg?502 Gerhard Stoltenberg (1928–2001) war unter anderem Landesvorsitzender der CDU Schleswig-Holstein und von 1971 bis 1982 Ministerpräsident des Bundeslandes. Danach diente er als Bundesfinanzminister und von 1989 bis 1992 als Bundesverteidigungsminister. Von diesem Amt trat er wegen umstrittener Panzerlieferungen an die Türkei zurück. 1979 wurde Barschel in Stoltenbergs Kabinett Innenminister, später dann sein Nachfolger. Weniger bekannt ist, dass Stoltenberg von 1996 an bis zu seinem Tode 2001 der erste Vorsitzende des Kuratoriums der »Otto-von-Bismarck-Stiftung« in Friedrichsruh bei Aumühle im lauenburgischen Sachsenwald war. Bei dieser bundesunmittelbaren Stiftung handelt es sich um eine Institution, die eine »ehrende Erinnerung an den Staatsmann Bismarck durch die Aufarbeitung seines Nachlasses und die Durchführung von Ausstellungen« aufrechterhält. Zum Vorstand gehört neben anderen der Bundestagsabgeordnete Carl-Eduard Graf von Bismarck, »Deutschlands faulster Abgeordneter«, wie die Bild ihn bezeichnet hat503, weil er zu häufig bei den Plenumssitzungen fehlte. Bemerkenswert ist, dass zum wissenschaftlichen Beirat dieser Organisation beispielsweise auch Henry Kissinger, der frühere Nationalberater der Vereinigten Staaten und Ex-Außenminister sowie Mitglied im Coucil on Foreign Relations (CFR) und regelmäßiger Teilnehmer der Bilderberg-Konferenzen, gehört. Erinnern wir uns, dass Kissinger auch Freimaurer sein soll (Igel). In diesem illustren Kreis tummelte sich also auch Gerhard Stoltenberg. Er hatte selbst, zumindest nachweisbare, »Berührungen« mit der Freimaurerei. Und zwar über den Ritterorden Cordon Bleu du Saint Esprit, den »Orden vom Heiligen Geist am blauen Band« mit Sitz in Erfurt. Laut Eigenbeschreibung ist der 1969 gegründete Orden eine »internationale Gemeinschaft von Männern und Frauen, denen die Belebung der Traditionen der Ritterorden und die Fortsetzung ihrer humanitären Arbeit besonders am Herzen liegt. Er beruft sich auf die Tradition der europäischen Orden vom Heiligen Geist …«504 Der Orden vereint »Persönlichkeiten, die sich durch hohes Engagement in Beruf und gesellschaftlichem Ehrenamt auszeichnen«, und »humanitäre Hilfe im In- und Ausland … zu leisten und völkerverbindend zu wirken, sind die wichtigsten Aufgaben des Ordens.« Cordon Bleu du Saint Esprit wirkt nicht nur in Deutschland, sondern auch in


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Dänemark, Südtirol, Ungarn, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden. In den Ritterorden wurden beispielsweise nicht nur Ferdinand Fürst von Bismarck, »Seine Kaiserliche Hoheit Dr. Otto von Habsburg«, »Seine Königliche Hoheit Prinz Henrik von Dänemark«, Ex-US-Präsident Jimmy Carter, Gerhard Mayer-Vorfelder, Jörg Schöhnbohm, Hans Filbinger und Peter Ustinov aufgenommen, sondern auch Gerhard Stoltenberg zum »Ritter des Blauen Bandes« geschlagen. Und genau das ist die Verbindung zu den Freimaurern: das blaue Band. Blau symbolisiert in der Diskreten Gesellschaft nicht nur den Himmel, sondern auch Treue und Freundschaft. Seit dem Jahre 1745 ist Blau die Grundfarbe der Johannismaurerei, die deshalb die »blaue Johannisfreimaurerei« genannt wird. Bei der Großloge der AncientMasons, einer englischen Freimaurerbewegung, die sich neben der Grand Lodge of England entwickelt hatte und für sich in Anspruch nahm, weitaus älteren Ursprungs zu sein, war das Blau die Farbe der höchsten Großbeamten. Nachfolgend möchte ich auf die vor allem in diesem Zusammenhang sehr aufschlussreiche maurerische Bekleidung eingehen. So trägt der Großmeister ein goldenes oder vergoldetes Bijou am »blauem Halsband«. In England tragen Logen-Beamte ihre Abzeichen ebenfalls an »himmelblauen Bändern«, in Nordamerika sind die Beamtenzeichen ebenso am »lichtblauen Band« zu erkennen, die Bänder der französisichen Grand Lodge sind in Weiß, Rot und Blau gehalten und auch in Deutschland sind die Logenabzeichen meist am »blauem Band« zu sehen.505 Im Übrigen ist auch die Bezeichnung »Ritter« bei den maurerischen Graden oft genug zu finden, so in den Hochgraden der »Schwedischen Lehrart« als Ritter vom Osten (VII. Grad), Ritter vom Westen (VIII. Grad), dem »Alten und Angenommenen Schottischen Ritus« als Ritter vom Osten (XV. Grad), Ritter vom Osten und Westen (XVII. Grad), Ritter vom Rosenkreuz (XVIII. Grad), Ritter der königlichen Axt (XXII. Grad), Ritter der ehernen Schlange (XXV. Grad), Sonnenritter (XXVIII. Grad) und Ritter Kadosch (XXX. Grad)506 So vereinigen sich also »blaues Band« und »Ritter« in der Freimaurerei und sind damit unter diesem Aspekt gesehen – oder umgekehrt – eine Doublette des Cordon Bleu du Saint Esprit. Falls man noch mehr Indizien braucht, um zu erkennen, dass dieser Orden wohl Verbindungen mit der Freimaurerei hat, dann gibt


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diese der Journalist Thomas Loy. Er war im Jahr 2000 bei der Einweihung neuer Ordensritter in der Berliner Gedächtniskirche dabei. Neben den Rittern des »Orden vom Heiligen Geist am blauen Band« fanden sich auch befreundete Freimaurer einer (blauen) Johannisloge ein, berichtet er. Viele Ritter seien in mehreren Orden, Logen oder Klubs wie den Rotarier oder Lions vertreten. »›Oben kommen alle Orden zusammen‹, sagt ein Freimaurer und lächelt wissend« (Loy). Noch mehr »Deckungsgleichheit« gibt es zwischen dem »Orden vom Heiligen Geist am blauen Band« und den Freimaurern: auch hier, so Walter Szeymies von der Mehden, der Komtur des Ritterordens, »sei Politik kein Thema«.507 Die Aufnahme setzt die Empfehlung und Unterstützung von Ordensangehörigen voraus, sie erfolgt zudem erst nach einer angemessenen Vorbereitungszeit. Darüber hinaus muss ein Ordenseid geleistet werden, und »freundschaftliche Beziehungen untereinander« sowie »Solidarität untereinander und gegenüber der Ordensregierung« (also vor allem gegenüber dem Großmeister) gehören zu den Prinzipien.508 Maurerei pur also! Gerhard Stoltenberg war also ein »Ritter des Blauen Bandes« gewesen. Damit auch Freimaurer? Hatte ich endlich nach monatelangen Recherchen das Verbindungsglied gefunden? War Stoltenberg der Förderer, der Barschel in die Freimaurerei eingeführt haben sollte? Zumindest war Stoltenberg derjenige, der den jungen CDUMann Barschel in seinem Kabinett zum Nachfolger erklärte. »Warum Gerhard Stoltenberg ausgerechnet den jüngsten in seiner Kabinettsrunde zum Nachfolger bestimmte, als er im Herbst 1982 nach Bonn wechselte, war eine mitunter gestellte Frage«, meint der Journalist Wolfram Baentsch. »Stoltenberg hat sich, soweit bekannt geworden, niemals zu der Frage geäußert, weshalb er damals Barschel den Vorzug … gegeben hat.«509 Aber liegt die Antwort damit nicht auf der Hand? Barschel und Stoltenberg – beides vermeintliche »Logenbrüder«. Da ist es überhaupt nicht auszuschließen, dass es zu einer solchen Bevorzugung kommt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt allerdings, wahrscheinlich war es das Jahr 1986, kam es zwischen den beiden mutmaßlichen Brüdern im Geiste zum Bruch, stellte sich der Förderer gegen seinen jungen Heißsporn oder umgekehrt. In jenem Jahr wurde Stoltenberg ein Barschel-Gegner, oder Barschel ein Stoltenberg-Gegner, je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet. Der alte Mann der Kieler CDU wusste nur zu gut, dass er


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nichts Gutes zu erwarten hatte, wenn Barschel einmal auspacken würde. Der Knackpunkt war ein Waffengeschäft in Form von U-Booten, das ein UN-Embargo des Apartheid-Staates Südafrika umging, in das Stoltenberg über eine Kieler Werft und ein Lübecker Industriekontor sowie andere Minister der Bundesregierung verstrickt waren. Barschel erfuhr erst durch einen Journalisten von dieser Affäre, also nicht durch seinen einstigen Förderer, noch durch seine Vertrauensleute. Für mich stellte sich noch eine Frage: Gab es eine »Loge«, in der beide – Stoltenberg und Barschel – vielleicht sogar gemeinsam eine Mitgliedschaft ausübten? Immerhin wäre ein solcher Umstand ein wichtiges Indiz, um meine Vermutung weiter zu erhärten. 4.1.5.3.6.6 Die »deutsche« Propaganda Due (P2)?510 Während meiner Recherchen erhielt ich einen weiteren anonymen Hinweis in dieser »heißesten Politaffäre der deutschen Nachkriegszeit«. Natürlich ist mir als Journalist bewusst, dass Aussagekraft und Wahrheitsgehalt sowie Motive von Informaten gegengeprüft werden müssen. Kann man die aufgestellten Behauptungen durch andere Quellen belegen? Welche (Eigen-)Interessen könnte der Informant haben? Wie seriös ist er? Bei anonymen Informanten scheidet eine Berantwortung der beiden letztgenannten Fragen meist von vornherein aus. Also musste ich versuchen, die gemachte Aussage zu untermauern, denn sie war frappierend, wenn nicht gar schockierend: Uwe Barschel sollte auch auf einer Namensliste der Propaganda Due (P2) stehen! Diese Aussage klang für mich zunächst mehr als unglaubwürdig. Wie ich schon schrieb, wurde eine Mitgliederliste der P2 durch die italienischen Behörden anlässlich einer Hausdurchsuchung bei Licio Gelli sichergestellt. Auf ihr tauchte der Name Barschel nicht auf. Im Endeffekt, das war mir klar, mochte dies nicht allzu viel bedeuten. Weitere Listen wurden höchstwahrscheinlich vernichtet. Im Laufe meiner Recherchen wurde mir erst klar, was der anonyme Hinweisgeber vielleicht gemeint hatte. Doch auch hier alles der Reihe nach. Immer wieder tauchten Spekulationen von Experten auf, denen zufolge die P2 oder eine ähnliche Organisation auch in Deutschland existierte. Dass Gladio auch hierzulande aktiv war und zwar in Form des »Bundes Deutscher Jugend – Technischer Dienst« habe ich schon


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an anderer Stelle erläutert. Doch welche Organisation könnte hierzulande der P2 gleichen oder gar mit ihr identisch sein? Einen Hinweis gibt die Terrorismus-Expertin Regine Igel in ihrem Buch Terrorjahre – Die dunkle Seite der CIA in Italien. »Vergleichbar in der Bedeutung der italienischen Freimaurer, was die enge Anbindung einer Elite aus Wirtschaft und Politik an Amerika betrifft, ist in Deutschland die Atlantik-Brücke.«511 »Atlantik-Brücke« als Organisation? Nie gehört! So mache ich mich daran, Informationen zu sammeln. Im World Wide Web entdeckte ich dann auch Verschwörungstheoretiker, die von der »Loge Atlantik-Brücke« sprechen und vor ihr warnen. Oder ich erfahre, dass es zwischen der von der CIA gesteuerten P2 und der »AtlantikBrücke« Parallelen gebe, in ihr die gesamte wirtschaftliche, politische und publizistische Führungsschicht Deutschlands versammelt sei und der USA als politisches Steuerungsinstrument in Deutschland diene. Sie stehe beispielsweise mit dem Council on Foreign Relations (CFR) in Verbindung. Doch mich interessierten die tatsächlichen Fakten. Diese zu bekommen, war nicht schwer, schließlich gibt es eine Internetseite mit einem großen Foto, auf dem die führenden Köpfe der Organisation zu sehen sind. Es handelt sich dabei um Walther Leisler Kiep (Ehrenvorsitzender und Mitglied der Trilateral Commission sowie zentrale Figur der damaligen Parteispendenaffäre), Thomas Enders (Vorsitzender), Beate Lindemann (Geschäftsführende Stellvertretende Vorsitzende), US-Außenministerin Condoleezza Rice und Altbundeskanzler Helmut Kohl. Die »Atlantik-Brücke e. V.« wurde 1952 von prominenten Hamburger Persönlichkeiten, wie beispielsweise dem Bankier Eric M. Warburg, gegründet und ist einer der in Deutschland »seltenen Versuche, von privater Seite in den politischen Raum hineinzuwirken, symphatiebildend, kontaktvermittelnd, katalysatorisch«, wie es auf der Internetseite in Anlehnung an einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung heißt. Die Atlantik-Brücke e. V. soll eine Verbindung zwischen dem Nachkriegsdeutschland und der Siegermacht USA schlagen, ein Beitrag zur Normalisierung und Stabilisierung ihrer Beziehungen sein. Regelmäßige Konferenzen, Seminare, Vortragsveranstaltungen, Austauchprogramme (Schüleraustausch, oder solcher von künftigen Führungskräften, Medienvertretern, Offizieren, Lehrern, Besuche von


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Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei Niederlassungen deutscher Unternehmen in den USA und Zusammentreffen mit Mitgliedern des US-Repräsentantenhauses, Kontakt mit jüdischen Organisationen in den Vereinigten Staaten), Veröffentlichungen und Begegnungen »im kleinen Kreis« sollen Verständnis fördern. Finanziert wird das Ganze durch Mitgliedsbeiträge, Spenden und Zuwendungen von Stiftungen. Das allein hört sich bestimmt nicht »verschwörerisch« an. Lediglich elitär. Denn bei den über 500 Mitgliedern, »zahlenmäßig begrenzt«, handelt es sich ausschließlich um »führende Vertreter« aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Nach eigenen Angaben sind dies 250 Personen aus Wirtschaft, 80 aus Politik, 75 aus freien Berufsgruppen, 48 aus Medien, 31 aus Wissenschaft und 17 aus Verbänden/Gewerkschaften/Stiftungen. »Die Mitgliedschaft wird durch Kooptation erworben«, also durch eine »nachträgliche Hinzuwahl«, genauer gesagt: »Die Mitgliedschaft erfolgt allein durch Einladung.« Einige prominente Mitglieder aus der Politik sind beispielsweise Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU), Altbundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), der Bundesvorsitzende und Vorsitzende der FDPBundestagsfraktion sowie Oppositionsführer Guido Westerwelle (FDP), der Ex-Ministerpräsident des Landes Sachsen Kurt Biedenkopf (CDU), der Ex-Bundesminister für Forschung und Technologie Heinz Riesenhuber (CDU), der Ex-Bundesminister für Forschung und Technologie und Ex-Bundesminister für Verkehr und Bundesschatzmeister Matthias Wissmann (CDU), das Mitglied des Europäischen Parlaments Cem Özdemir (DIE GRÜNEN), die Ex-Präsidentin der Treuhandanstalt Birgit Breuel (CDU) sowie das Ex-Mitglied im SPDVorstand und ehemaliger Oberbürgermeister von Kiel Norbert Gansel (SPD). Fast ein Who’s who der deutschen Politik. Diejenigen, die sich besonders um eine Verbesserung der Beziehungen über den Atlantik hinweg verdient gemacht haben, erhalten den Eric-M.-Warburg-Preis. Zu den Preisträgern gehören beispielsweise Manfred Wörner, Otto Graf Lambsdorff, Helmut Kohl und Henry A. Kissinger, von dem wir ja bereits durch die Vorgänge um die P2 und Gladio in Italien gehört haben. Joschka Fischer verlieh am 17. April 2002 Ex-US-Präsident George W. Bush (Mitglied der Skull & Bones) für seine Verdienste um die deutsche Einigung ebenfalls den


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Preis und hielt gleich dazu noch die Laudatio.512 Der Ex-Vorsitzende der Atlantik-Brücke e. V., Arend Oetker, äußerte sich 2002: »Die USA wird von 200 Familien regiert und zu denen wollen wir gute Kontakte haben.«513 Auffallend ist, dass mit solcher Polit-Prominenz aus allen Volksparteien, die sich anscheinend einig in der Sache ist, von »privater Seite« aus in den politischen Raum hineingewirkt werden muss. Regine Igel nennt die »Atlantik-Brücke« eine »elitäre Mitbestimmungsgruppe«, eine Gruppe, »in der es um die Einflussnahme auf die deutsche Politik geht, die außerhalb jeglicher Kontrolle und von der Verfassung nicht vorgesehen ist.« Und weiter: »Der als verfassungsfeindlich verbotenen P2 scheint die Atlantik-Brücke in einigen Zügen durchaus ähnlich zu sein.«514 Aber kann man das wirklich so sagen? Gab es in Bezug auf die Atlantik-Brücke e. V. – außer, dass hier die Spitzen aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Gesellschaft, Wissenschaft und Medien vereint waren – noch weitere »Ähnlichkeiten« mit der kriminellen Freimaurerloge P2? Waren diese vielleicht in der Gründung des Vereins zu Beginn des Kalten Krieges erkennbar? Zweifellos suchten die USA auch in Deutschland nach Möglichkeiten der verdeckten Einflussnahme. Als »Ideengeber« für die Atlantik-Brücke dürfte das Council on Foreign Relations (CFR, Rat für Auswärtige Beziehungen) gelten, eine Denkfabrik der US-Regierung. Einer der Gründer, Eric M. Warburg, rief mit seinem Freund und Berater John J. McCloy (der auch Vorsitzender des CFR war, inzwischen aber verstorben ist), 1952 das American Council on Germany (ACG) ins Leben, in dem unter anderem auch Richard Holbrooke und Henry Kissinger Mitglieder waren. Als Pendant auf deutscher Seite wurde im gleichen Jahr die Atlantik-Brücke gegründet. Zwischen den drei Organisationen herrscht ein reger personeller Austausch durch Konferenzen, Seminare und Vorträge. Die Autoren Gerhard Wisnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker erklären in ihrem Buch Das RAF-Phantom – Wozu Politik und Wirtschaft Terroristen brauchen, dass neben deutschen Politik- und Wirtschaftsführern bei der Atlantik-Brücke auch die »Creme der US-amerikanischen Hochfinanz und -industrie sowie die deutschen und amerikanischen Geheimdienste« dazuzählen. Angesichts der ganzen Mächtigen ist es auf jeden Fall vorstellbar, dass hier


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Einfluss auf politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche oder wissenschaftliche Entscheidungen genommen werden könnte. Auch ist es vorstellbar, dass Weisungen aus der amerikansichen Politik oder Hochfinanz, vielleicht auch von oder über den CFR, direkt über die ACG zur Umsetzung an die Atlantik-Brücke weitergegeben werden. Aber es gibt noch einen anderen Zusammenhang, den Wisnewski, Landgraeber, Sieker und Igel erwähnen: »Erstaunlich ist, dass einige Opfer der Roten Armee Fraktion Mitglieder der Atlantik-Brücke waren (Igel).« 515 Erwähnt werden Jürgen Ponto, Vorstandsvorsprecher der Dresdner Bank, der 1977 ermordet wurde, Karl Heinz Beckurts, Vorstandsmitglied der Siemens AG, 1986 getötet, und Alfred Herrhausen, Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der als Gastredner an der »Atlantik-Brücke« teilnehmen sollte, 1989 aber durch eine Bombe ermordet wurde. Diese Morde müssen wir vor dem Hintergrund sehen, dass es wohl auch Kontakte der RAF zu anderen Terrorgruppen im Ausland gab, die in das Gladio-Netz eingespannt waren. »Die Logik, warum die RAF sich gerade diese Opfer ausgesucht hatte, könnte sich erst erschließen, wenn man sich vor Augen führt, dass sie in ihrem Amt eine den Amerikanern nicht genehme Linie folgten« (Igel). So wie Uwe Barschel? Der Waffengeschäfte, in die der Mossad, der BND, die P2 und damit auch die CIA verwickelt waren, nicht (mehr) zulassen und sogar vor einer Untersuchungskommission auspacken wollte? Doch sollte ich diesen Gedanken und diese Theorie weiterspinnen wollen, so sagte ich mir, dann müsste er ja ebenfalls Mitglied der Atlantik-Brücke gewesen sein. Deshalb recherchierte ich dahingehend weiter und fand zunächst eine Person in seinem engsten politischen Umfeld auf einer Liste vom 15. Juli 1997, die keine unbekannte war: »Mitglied Dr. Gerhard Stoltenberg, MdB, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Bundeshaus Bonn«.516 Wo Stoltenberg auftaucht, so dachte ich mir in diesem Moment, da kann Barschel nicht weit sein. Und richtig! Ich musste nicht lange suchen; auch er wurde als Mitglied der (»Loge«) Atlantik-Brücke e. V.genannt!517 Hier also trafen sie sich wieder, die vermeintlichen Logenbrüder Barschel und Stoltenberg, wahrscheinlich aber auch Kissinger und andere. Gerhard Wisnewski veröffentlichte auf seiner Homepage einen Artikel mit dem Titel »Atlantik-Brücke – Die P2 der Bundesrepublik«. Darin schreibt er: »Während die von der CIA gesteuerte


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Loge P2 in Italien schon vor vielen Jahren aufflog, steht das für das deutsche Pendant Atlantik-Brücke noch aus. Niemand hat sich bisher daran gestoßen, dass die Spitzen der deutschen Industrie, Politik, Wirtschaft, Geheimdienste und Medien hier am Gängelband der Amerikaner geführt werden. Verfassungswidrig versteht sich, denn ein solches Gremium sieht das Grundgesetz nicht vor.«518 Nachdem ich recherchiert hatte, dass Barschel und Stoltenberg wohl im Dunstkreis von Logen, Ritterorden und mächtigen PolitVereinen zu finden gewesen waren, stellte ich mir als nächstes natürlich die Frage, wie es denn mit Barschels politischemn Gegner, Björn Engholm, stand? Auch hier begab ich mich auf Spurensuche. Und wurde fündig. 4.1.4.3.6.7 Logenbruder Björn Engholm?519 Björn Engholm, Jahrgang 1939, war Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Präsident des Bundesrates und Bundesvorsitzender der SPD. Er trat im Mai 1993 im Zuge der so genannten »Schubladenaffäre« von seinem Amt als Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Vorsitzender der SPD und Kanzlerkandidat zurück. Soweit seine politische Arbeit, soweit die »trockenen« Daten. Doch war und ist Engholm auch Mitglied in irgendeiner Organisation, die der Öffentlichkeit nicht so präsent war oder ist? Auf der Internetseite der Freimaurerloge für Frauen und Männer in Heidelberg, »Carpediem«, die dem Grand Orient de Luxembourg untersteht, werde ich fündig: Auf einer Liste, »bislang einzigartig auf der Welt«520, so die »gemischten« Freimaurer, taucht auch Björn Engholm auf. Allerdings nicht als Bruder im Geiste, sondern als »Kiwani«. Diese Information finde ich auch in Peter Wendlings Buch Logen, Clubs und Zirkel – Die Diskrete Macht geheimer Bünde, in dem Engholm als »prominentes Mitglied im Kiwanis-Club der Hansestadt Lübeck« bezeichnet wird.52 Im internen Blatt des Klubs, den Kiwanis Nachrichten, Edition 2/05, taucht Engholm ebenfalls und mit Foto auf – als »gern gesehener Helfer«.522 Auch andere Politiker werden von der Freimaurerloge »Carpediem« benannt: Hans-Dietrich Genscher, Rotarier. Otto Graf von Lambsdorf, Rotarier. Otto Schily, Anthroposoph. Helmut Schmidt,


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Roatrier. Lothar Späth, Lions (hielt Vorträge in Freimaurerlogen). Franz-Josef Strauß, Lions, war Mitglied der »Ritter vom Heiligen Grab«. Herbert Wehner, Lions. Richard von Weizsäcker, Rotary. Soweit die Liste. Tatsächlich waren und sind, so andere Quellen, auch die mächtigsten Frauen und Männer der Republik in solchen »Serviceclubs«. Beispielsweise ist Bundeskanzlerin Angela Merkel Rotarierin (im Rotary Club Stralsund), auch Bundespräsident Horst Köhler ist Rotarier (im Rotary Club Bonn; darüber hinaus ist Mitglied der Trilateralen Kommission). Konrad Adenauer, Roman Herzog, Klaus Kinkel, Friedrich Merz, Horst Seehofer, Ole von Beust – alle waren oder sind Rotarier! Einträchtig verbunden mit internationalen »Brüdern«, wie beispielsweise George W. Bush (der auch noch den Skull & Bones angehört), dem verstorbenen John F. Kennedy, dem verschiedenenen Ronald Reagan, Margret Thatcher und Nicolas Sarkozy.523 Rotary (»drehend«) ist eine »Weltgemeinschaft von Berufsleuten«, die sich für Hilfe für andere Menschen und weltweite Verständigung einsetzt. Ein sozial engagiertes Netzwerk »höherer Gesellschaftsschichten«, das wohltätige Zwecke verfolgt. Doch Kritiker sehen Rotary-Clubs (RC) mit ihren speziellen Aufnahmeregelungen als »eingeschworene« oder gar »verschworene« Gemeinschaften an, oftmals als »Selbstbedienungsladen für den einen oder anderen persönlichen Vorteil zu Gunsten der Mitglieder« (Wendling). Denn man kann nicht direkt eintreten, sondern muß von zwei Mitgliedern vorgeschlagen werden und wird auch erst dann aufgenommen, wenn die Rotarier keinen berechtigten Einspruch erheben. Das ist elitär. Die politische und religiöse Diskussion ist verboten, obwohl durchaus Vorträge über »Politik, Verwaltung, Nachrichtenwesen, soziale Probleme und Gesellschaftspolitik« gehalten werden. »Man darf davon ausgehen, dass der Grundtenor dieser Vorträge politisch erzkonservativ ist«, erklärt Peter Wendling. All das erinnert natürlich an die Freimaurer. »Der Honorationenclub zählt zu Deutschlands feinsten Massenvereinigungen« (Wendling).524 Weltweit gibt es rund 31 000 Clubs (zirka 880 in Deutschland) in 166 Staaten mit rund 1,2 Millionen Mitgliedern (zirka 43 500 in Deutschland). Frauen wurden erst 1987 beziehungsweise 1989 zugelassen – hier gehen die Quellen auseinander –, und das nach einem zehnjährigen Rechtsstreit eines frauenfeindlichen kalifornischen Rotary-Clubs. Der damalige Ro-


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tary«-Präsident meinte dazu: »Ich habe die Zeit genossen, in der wir nur Männer waren.«525 Erwähnenswert ist, dass deutsche RCs versuchten sich der Nazi-Diktatur anzupassen, sie boten sogar an, alle Entscheidungen von der Reichsführung vorher absegnen zu lassen und sich gleichzuschalten. Doch die Nazis gingen auf das Angebot nicht ein und verboten sie. Immer wieder werden Verbindungen mit Freimaurern hergestellt, was die Rotarier bestreiten. Fakt scheint jedoch zu sein, dass der Rotary-Begründer Paul P. Harris 1912 bei der Gründungsfeier des Lions-Clubs durch den Freimaurer Melvin Jones anwesend war. Der war Mitglied der Garden City Lodge No. 141 in Chicago. Doppelmitgliedschaften waren und sind sicher noch häufiger zu finden. Hinzu kommt, dass einer der vier Gründer von Rotary, Gustav Loehr, ein Deutsch-Amerikaner, Freimaurer war. Das offizielle Motto des Lions-Club (LC, Lions steht für: Liberty, Intelligence, Our Nations Safety = Freiheit, Intelligenz, Sicherheit unserer Nation) ist: »Wir dienen« (»we serve«) und jedes Mitglied verpflichtet sich, den Dienst am Nächsten vor den persönlichen Profit zu stellen, miteinander Gutes zu tun. Eines von vielen Zielen ist auch »den Geist gegenseitiger Verständigung unter den Völkern der Welt zu wecken und zu erhalten«. LC ist eine »weltweite Vereinigung freier Menschen, die in freundschaftlicher Verbundenheit bereit sind, sich Problemen der Gesellschaft in unserer Zeit zu stellen und uneigennützig an ihrer Lösung mitzuwirken. Lions betrachten Toleranz als Grundlage menschlichen Zusammenlebens.« Auch dieser Sprachgebrauch erinnert an die Freimaurerei, kein Wunder, ist der Gründer der Lions ja selbst ein Logenbruder gewesen. Die Aufnahme erfolgt nur durch Einladung, Mitgliedschaft gebührt nur »volljährigen Personen einwandfreien Charakters und guten Rufs«.526 Weltweit gibt es rund 45 000 Clubs (zirka 1360 in Deutschland) in 200 Ländern mit über 1,3 Millionen Mitgliedern (zirka 45 000 in Deutschland). Auch LCs waren zunächst als reine Herrenclubs gegründet worden, heute gibt es aber auch Damen- und gemischte Clubs. »Kiwanis International« reiht sich in diese »Service- und Wohltätigkeitsclubs« nahtlos ein. »Kiwanis« ist der indianischen Sprache entlehnt und bedeutet soviel wie »Ausdruck der eigenen Persönlichkeit«. Der Wahlspruch dieser Organisation lautet »We build!« (»Wir bauen!«). Auch das lässt starke Assoziationen in Bezug auf den frei-


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maurererischen »Weltenbau« entstehen. Im Mittelpunkt der »Kiwani«Aktivitäten stehen karitatives Engagement für andere und die Freundschaftspflege unter den Mitgliedern sowie der Vorrang humaner und geistiger Werte vor materiellen Interessen. Ein weiterer Grundsatz ist die »Mitarbeit am Aufbau einer gesunden öffentlichen Meinung, um dadurch Rechtschaffenheit, Gerechtigkeit und Loyalität einem freien Staatswesen gegenüber sowie gute internationale Freundschaften zu fördern«. Auch das erinnert an die freimaurerische Revolutionsparole »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit«. Und tatsächlich waren viele Mitglieder des Gründungsvorstandes des Kiwani Club Nr. 1 1915 in Detroit Freimaurer: Präsident Donald D. Johnson war Mitglied der Fraternity Lodge No. 262 in Ann Arber, Vizepräsident George J. Haas Mitglied der Friendship Lodge Nr. 417 in Detroit, Sekretär Otto Robertson Mitglied der Genessee Lodge Nr. 174 in Flint, Vorstandsmitglied Carl S. von Poettgen und George W. Eyster waren Mitglieder der Palestine Lodge Nr. 357 in Detroit! Freimaurer wohin man blickt also. Bei den »Kiwanis« sind ebenso Vorträge und Veranstaltungen zu politischen Themen zu finden, wie beispielsweise »Neue militärpolitische Perspektiven« oder »Europäische Zukunft«. Erst seit 1987 werden Frauen aufgenommen. Weltweit existieren 15 000 Clubs (zirka 135 in Deutschland) mit 550 000 Mitgliedern (zirka 3000 in Deutschland) in 73 Ländern. Was also haben diese »Serviceclubs« Rotary, Lions und Kiwanis alle gemeinsam? Positiver Weise den Weltverbesserungsgedanken und die karitative Hilfe (zumeist in Form von Spenden), die sie zweifelsohne auch leisten, und den negativen Aspekt, dass sie ursprünglich nur Männer aufnahmen (wie die Diskrete Gesellschaft). Doch noch etwas schweisst sie zusammen: Brüderlichkeit und Freimaurerei. Ein Bruder im Geiste, der verständlicher Weise anonym bleiben möchte, erklärte mir, dass die Gesellschaft nicht durch Freimaurerlogen direkt unterwandert würde, sondern durch die von ihnen gegründeten Vereine! Diese »Freimaurer-Vereine« dienten dazu, die Gesellschaftsstrukturen mittels Spenden, Stiftungen und Wohltätigkeit mit ihrem Geist und in ihrem Sinne zu durchsetzen. Die meisten Mitglieder wären ahnungslos. Als ich selbst einen Rotarier darauf ansprach, wusste dieser nichts darüber. Mein Maurer-Informant verwies auf die


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europäische Freimaurer-Zeitung European Masonic Review vom April 1964, in der stehen würde, dass beispielsweise der Rotary-Club und der Round Table Club »abgezweigte junge Schösslinge« wären, die vom »alten Stamm der Freimaurerei herkommen« würden. Diese Quelle konnte ich nicht verifizieren. Dafür fand ich aber andere. Wolfgang Ziegler vom RC Ammersee ging in der Clubzeitschrift Rotary im Jahr 2004 in dem Artikel »Rotary und die Freimaurer – Von Brüdern und Freunden« näher auf das eben Erwähnte ein.527 So schreibt er: »Zur Zeit der Gründung Rotarys gehörte ein großer Teil der amerikanischen Geschäftsleute einer der zahlreichen maurerischen Vereinigungen an. Die Zugehörigkeit zu beiden Organisationen ist auch heute in den angloamerikanischen Ländern nicht außergewöhnlich und wird weder von den Freimaurern noch von Rotary International untersagt …« Schon 1923 erschien in der britischen Zeitschrift The Rotary Wheel der Artikel »Rotary and Freemasonery«, der wohl bis heute gilt und keine Fragen zu dieser Thematik mehr offen lässt. In ihm heißt es beispielsweise: »Wenn wir jedoch zu den ›inneren und geistigen Werten‹ kommen, die allen äußeren Unternehmungen zu Grunde liegen, bewegen wir uns im Wesentlichen auf gemeinsamem Terrain. Brüderlichkeit heißt der magische Schlüssel, der gleichermaßen die massive Türe der Freimaurerei öffnet und Zugang zu dem sich stetig vergrößernden Kreis Rotarys gewährt. Die Gelegenheit, seinen ›Nachbarn‹ kennen zu lernen, zu verstehen und letztendlich zu lieben, verbindet beide Institutionen und ist der immerwährende und unantastbare Felsen, auf den beide gegründet sind.« Zum Schluß gelang der Autor zu folgendem Resüme: »… wir sind voller Zuversicht, dass sie nicht aufhören werden, gute Freimaurer zu sein, wenn sie sich Rotary anschließen, und es ist ebenso sicher, dass diejenigen, die in der durch die Zeit geadelten Universität der Freimaurerei ihren Abschluss gemacht haben, ebenso wertvolle Rotarier sein werden.« Als Krönung dieser »Vereinigung« zwischen Freimaurern und Rotariern wird in dem 2004 erschienenen Artikel noch ein Schaubild mit dem »Rotary-Rad« und Motiven verschiedener maurerischer Vereinigungen dargestellt. Einen weiteren Quellenbeleg finde ich in dem Artikel »ServiceClubs – eine Erfindung des 20. Jahrhunderts« in der Clubzeitschrift Kiwanis Nachrichten«; Edition 2/05«.528 Darin heißt es in Bezug auf die Businessclubs Rotary, Lions und Kiwanis: »Von nicht unerhebli-


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cher Bedeutung dürfte es gewesen sein, dass bei der Gründung der Service-Clubs zahlreiche Freimaurer mitwirkten. Es fällt auf, dass die in den USA gegründeten Service-Clubs, die ursprünglich nur Männer aufnahmen, alle die Farbkombination blau-gold tragen. Auch stellen die Organisationen Rotary, Kiwanis, Lions und Civitan an neue Mitglieder in etwa die gleichen Anforderungen: Ein lauterer Charakter, ein guter Ruf, sowie Ehrlichkeit in allen Geschäften sind die elementaren Voraussetzungen für die Aufnahme.« Und weiter heißt es: »Diese Anforderungen decken sich mit den Anforderungen, die der Bund der Freimaurer an das neue Mitglied stellt. Er fordert einen ›freien Mann von gutem Ruf‹. Die freimaurerische Bundesfarbe ist blau und die Darstellung der Werkzeuge erfolgt meist in gold, sodass die Kombination blau-gold als freimaurerisch angesehen wird. Das Motto von Kiwanis lautet ›we build‹ (wir bauen) – auf die Frage, was denn gebaut werde, antworten die Kiwanier sinngemäß: ›Wir bauen an einer besseren Gesellschaft‹. Inhaltlich ist dies deckungsgleich mit der Antwort der Freimaurer auf dieselbe Frage: ›Wir bauen den Tempel der Humanität!‹, einer Metapher, die als Symbol für eine bessere Gesellschaft steht.« Auch diese Worte sind eindeutig! Sie belegen, genauso wie das gedruckte Statement der Rotarier, dass »Service- oder Businessclubs« wie Kiwanis, Rotary und Lions sehr wohl sehr viel mit Freimaurerei zu tun haben. Nicht nur die Strukturen sind diesselben, sondern auch die Ursprünge und viele der Gründer waren selbst Freimaurer, eine Doppelmitgliedschaft ist nichts Ungewöhnliches. So schreibt der Ex-Deutschland-Chef von Kiwanis, Edwin A. Biedermann, ebenfalls: »Anfang des 20. Jahrhunderts waren es Freimaurer, die Service-Clubs gründeten und damit Anstoß gaben, dass ihre karitativen Ziele auf eine deutlich breitere Basis gestellt wurden.« Und: »Es ist … evident, dass der freimaurerische Geist der Humanität sowie die Forderungen nach Lauterkeit des Charakters und Ehrlichkeit des Handelns die Clubgründer beflügelt haben, diesen (freimaurerischen, Anm. d. Autors) Geist in die neuen Clubs hineinzutragen und ihm so eine breitere Basis gaben.«529 Die Nähe zum maurerischen Gedankengut wird auch ersichtlich, wenn man sich in der Kiwani-Clubzeitschrift regelrecht daran ergözt, dass die Mitgliederversammlung 2003 (»Distrikt-Convention«) im Hotel Pyramide in Fürth-Nürnberg stattfand.530 Auch die Fotos der Oberen der Kiwanis


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sind eindeutiger Natur. Da lässt sich beispielsweise der »Weltpräsident« Juan F. Torres 2002 in Indianapolis mit dem »Governor des Distriktes Deutschland« Dieter Begiebing mit blauem Halsband und goldenem Orden ablichten.531 Maurer, ick hör dir trapsen – wie ein Berliner jetzt sagen würde! Und »Past-Governor« Edwin A. Biedermann, Mitglied in verschiedenen »Organisationen«, gibt gleich ein Buch über Service-, Business-, Industrie- und Wirtschaftsclubs, Dachverbände studentischer Verbindungen, Orden und verschiedene Freimaurerlogen heraus, das den bezeichnenden Titel Logen, Clubs und Bruderschaften trägt. Darin werden nicht nur Serviceclubs, sondern auch Orden und Logen dargestellt, mit Anschriften, Internetadressen und Websites sowie weiterführenden Literaturhinweisen. »Für Mitglieder ist es eine Fundgrube von Details und Zusammenhängen, die nur wenigen bisher bekannt waren« (Kiwanis Nachrichten, 1/05).532 Wohl, wohl. Aus dem Vorwort geht hervor: »Die kleine Nadel am Rock kündet von mehr als nur von einer Vereinszugehörigkeit. Sie macht auch eine programmatische Aussage und kann dadurch etwas über ihren Träger aussagen.«533 Ein Insider erklärt mir, dass diese Service-Clubs tatsächlich »Freimaurer-Vereine« seien, mit einem Unterschied: hier würde es keine Ritualarbeit geben! In diesem Sinne muß wohl auch die Rolle Björn Engholms, eines bekennenden Kiwani, überdacht werden. Demzufolge wäre er wohl auch ein »Logenbruder«. Und damit auch zu Lebzeiten von Stoltenberg und von Barschel? Diese Indizienkette ist zumindest nicht mehr von der Hand zu weisen. Denn es gibt noch eine weitere Spur, die ihn mit einem Protagonisten um Barschel eng zusammen bringt: mit Gerhard Stoltenberg. Beide, Engholm (SPD) und Stoltenberg (CDU), waren Mitglieder der »Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V.«. Dabei handelt es sich ebenfalls um einen mächtigen Polit-Verein, ein »nationales Netzwerk für deutsche Außenpolitik«, wie es in einer Selbstdarstellung heißt. »Als unabhängiger, überparteilicher und gemeinnütziger Verein begleiten wir aktiv und auf allen Ebenen die außenpolitische Meinungsbildung. Ziele … sind, die außenpolitische Stellung Deutschlands zu fördern, einen substanziellen Beitrag zur außenpolitischen Debatte in Deutschland zu leisten, Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu beraten, die Öffent-


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lichkeit über Fragen der internationalen Politik zu informieren, die außenpolitische Community in Deutschland zu stärken.« Zu diesem Zweck wird beispielsweise eine praxisorientierte politikwissenschaftliche Forschung betrieben, werden Studien, Analysen und Kommentare veröffentlicht und außenpolitische Veranstaltungen ausgerichtet.534 Im englischen Sprachraum firmiert die DGAP unter German Coucil on Foreign Relations (GCFR), die als eine Schwesterorganisation des amerikanischen Council on Foreign Relations (CFR) angesehen wird. Gegründet wurde die DGAP 1955 und seit 2005 ist Arend Oetker Präsident, jener Mann, der auch die AtlantikBrücke e. V.« geführt hatte! Prominente Polit-Mitglieder sind auch hier gleich haufenweise zu finden, beispielsweise: Helmut Kohl, Friedrich Merz, Günther Oettinger, Hans-Dietrich Genscher, Volker Rühe, Ludger Volmer, Eberhard Diepgen, Klaus von Dohnanyi, Michael Glos, Rudolf Scharping, Manfred Stolpe, Rita Süssmuth, Günter Verheugen, Antje Vollmer, Theodor Weigel, Richard von Weizsäkker und Monika Wulf-Mathies. Auf einer Liste aus dem Jahre 1981 taucht Gerhard Stoltenberg auf, in einem Publikationsverzeichnis von 1992 Björn Engholm. Beide sind Mitglieder des Gesamtpräsidiums. Offensichtlich arbeiteten die vermeintlichen Logenbrüder nicht nur parteipolitisch »gegeneinander«, sondern im Rahmen dieses »Polit-Vereins« wohl auch »miteinander«. Daß die DGAP auch – direkt oder indirekt, das mag dahingestellt bleiben – etwas mit Freimaurerei zu tun hat, beweist der Umstand, dass am 12. März 1955 der Gründungsaufruf der DGAP veröffentlicht wurde. Als einer der Unterzeichner findet man dort niemand anderen als Thomas Dehler, Bundesvorsitzender der FDP von 1954 bis 1957, der seit 1927 auch Mitglied der Freimaurerloge »Zur Verbrüderung an der Regnitz« in Bamberg war, und 1946 sogar zu den Wiederbegründern der Loge angehörte, der er bis zu seinem Tod 1967 treu blieb!535 Zurück zu Engholm. In einem Stern-Interview aus dem Jahre 2003 sagte er noch: »Ich habe bei meinen Rücktritt 1993 zwar einen hohen Preis für ein relativ kleines Vergehen bezahlt, bereue es aber nicht. Noch einmal erleben, was wir damals erlebten, als wird von Herrn Barschel und seinen Mitarbeitern nicht als Gegner, sondern als Feinde bekämpft wurden – nein, danke.«536


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4.1.5.3.6.8 »Maurerisches« Mord-Motiv537 »Der plötzliche Tod Uwe Barschels, des Ministerpräsidenten, mitten hinein in den Morast von Affären und Machenschaften … erregt … auch eine brennende Scham über den inneren Zustand unseres Gemeinwesens, wie er hier wie in einem Menetekel offenbar geworden ist.«538 Weise, vielleicht sogar »wissende« Worte, die der Lübecker Bischof Ulrich Wilckens auf Barschels Beerdigung sprach. Einige sahen in diesen eine »Signalsprache«, die »wissende Profane« durchaus verstehen würden. In diesem unmittelbaren Zusammenhang werde ich während meiner Recherchen von einem »maurerischen Insider«, wie er selbst von sich behauptet, der aber auch mir gegenüber anonym bleiben will, weil der »Barschel-Mord« ihm viel zu »heiß« sei, auf einen freimaurerischen Artikel aufmerksam gemacht. Der Artikel heißt »Macht und Machtgebrauch« und ist auf der Internetseite der »Gerechten und vollkommenen Johannisloge Am Rauhen Stein« in Hamburg sowie in der »Internetloge« derselbigen zu finden.539 Verantwortlich dafür ist wohl die »Johannis-Freimaurerloge Konrad Ekhof zu Hamburg«, bei der »Brüder Lehrlinge und Gesellen« der Loge »Am Rauhen Stein« auch zu Gast sind, wie ein mir vorliegender »Arbeitsplan« bestätigt.540 Weshalb beschäftigen sich gerade Freimaurer im Zusammenhang mit politischer Macht mit Uwe Barschel? Der anonyme »MaurerInsider«, der mich nur einmal kontaktiert hatte, teilte mir mit, dass ich den Artikel genau lesen solle, weil er »erhellend« wäre und »gewisses maurerisches Gedankengut« zum Ausdruck bringen würde. Er hatte nicht zu viel versprochen. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle die wichtigsten Aspekte des genannten Artikels wiedergeben. Dabei im Hinterkopf immer den Bezug zu Uwe Barschel habend, der darin auch offen angesprochen wird: Es werden drei Methoden aufgeführt, mit denen Macht umgesetzt, erhalten und gestaltet werden kann, dazu zählen auch »Strafen und Sanktionen nicht nur anzudrohen, sondern auch zu vollziehen« und »an ein System Angepasste entsprechend zu belohnen und sozialen Aufstieg anzubieten … Doch heutzutage erscheint die Organisation als das Kräftepotential, das primär mit jener Macht verflossen ist, die darauf achtet, dass gewisse Wertevorstellungen verinnerlicht und angestrebte Ziele auch durchgeführt werden. Im Zusammenspiel mit Besitz und Persönlichkeit, kombiniert mit den Methoden der


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Machtmittel, zeigt die Organisation nach innen und außen eine derartige Machtfülle und Machtkonzentration, dass ihr Einfluß in der Gesellschaft sehr kritisch betrachtet werden muß. Die Faszination, die von ihr ausgeht, entsteht aus der Überzeugung, dass sie eigene Interessen vorantreiben, eigene Bedürfnisse befriedigen und persönliche Wertvorstellungen vertiefen und nach außen vertreten kann.« Wer die »Organisation« ist, von der hier die Rede ist, wird nicht ersichtlich. Ist damit die Freimaurerei gemeint? Weiter heißt es: »Das ›Selbstwertgefühl‹, im Schatten der Macht oder durch Ausübung von Macht genährt, erhält die Verstärkung, die der einzelne für seine vorhandene oder angestrebte soziale Rolle benötigt: für die Ausbildung oder Bestätigung seiner Persönlichkeit. Sie ist es, die bewundert oder verdammt wird. Aber die jeweilige Einschätzung der Person und ihrer Handlungen hängt auch davon ab, welche Vor- und Nachteile von ihm zu erwarten sind oder wer unterworfen und wessen Fleischtopf verteilt werden soll.« Wirklich sehr erhellende Worte, wenn man bedenkt, dass sich Uwe Barschel der »Organisation« nicht mehr »unterwerfen« wollte, wie ich noch erläutern werde. »Führung übernimmt der, der die Fähigkeiten besitzt, bestimmte Anliegen zu verwirklichen und der gewisse Gemeinsamkeiten zeigt, die der Sache, den Überzeugungen, Normen und Ziele der Gruppe entsprechen«, heißt es weiter. Und an anderer Stelle: »Es wäre falsch, die mit Macht ausgestatteten Menschen unmoralischer als alle anderen Mitbürger zu sehen. ›Denn Unmoral und Rechtsbrüche‹, erkennt Bellestrem (gemeint ist Graf von Bellestrem, Anm. d. Autors), ›sind weit verbreitet und werden kaum geahndet. Wir alle sind, in verschiedenem Maße, Fälscher und Betrüger. Eine Spendenquittung hier, eine Spesenrechnung dort u. a., schaffen eine Atmosphäre, in der der Schwindel gedeiht.‹ So wachsen in unserer Gesellschaft auch die Führungskräfte heran, die durch Erziehung und Beispiel gelernt haben, weitgehend sich selbst zu sehen und abzuschotten.« Werden mit diesen, gewiss zitierten, aber damit dennoch legalisierten Worten nicht die Rechtsbrüche der Mächtigen, der Logenbrüder verharmlost, die ihre eigenen Interessen (die der Loge) sehen und sich dementsprechend abschotten? »Gerade weil Macht und Machtstreben unvermeidliche Mittel der Politik sind, gibt es keine verderblichere Verzerrung der politischen Kraft, als die eitle Selbstbespiegelung … Die Affäre Barschel zeigte


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deutlich den Unterschied zwischen falsch verstandener Machtausübung und Augenmaß, zwischen Geltungssucht und ethischer Einsicht, zwischen Überheblichkeit und dem Dienst an der Sache …541 Für uns Freimaurer ergibt sich die Frage, ob Macht und Machtgebrauch so verwirklicht werden müssen, oder ob es nicht Möglichkeiten gibt, in den Wettstreit um die jeweilige Führung mit mehr Fairneß und Toleranz einzutreten …›Wenn am Verhalten der Personen zueinander nicht auch der gegenseitige Respekt erkennbar bleibt‹, sagte Bischof Dr. Wilckens in der Trauerfeier für Uwe Barschel, ›den in einem freien Gemeinwesen einer dem anderen schuldet, wird es nicht glaubhaft sein, dass das politische Gegeneinander dem Wohl aller, nämlich dem Schutz und Förderung der Menschlichkeit des Menschen dient.‹« Dieser Satz Bischof Wilckens, den die Freimaurerloge in einem Aufsatz über »Macht und Machtgebrauch« zitiert und in einen Zusammenhang mit Uwe Barschel bringt, ist eindeutig zweitdeutig. Soll er übersetzt genau das heißen, was mir ein anonymer Informant gesagt hat? Nämlich, dass, wenn Logenbruder Barschel keinen Respekt vor seinem Logenbruder Engholm hatte, er damit das »freimaurerische Wohl« gefährde (hier auch als Ausdruck für »Schutz und Förderung der Menschlichkeit des Menschen«)? Im Zusammenhang mit dem ganzen Artikel sollte dies gar heißen, wenn Barschel, der den Freimaurern (der »Organisation« wie hier genannt) auch »Eigentum und Wohlstand« zu verdanken hatte (und durch Logenbruder Gerhard Stoltenberg politisch gefördert und in das Amt des Ministerpräsidenten gehievt worden war), »ungehorsam« geworden war, sich nicht mehr den Freimaurer-Zielen »unterwerfen« wollte, weil er bei einem Untersuchungsausschuss auszusagen gedachte, er dann »Strafen und Sanktionen« gegen ihn nicht nur »angedroht, sondern auch zu vollziehen« waren? Ist dieser Artikel auf der Freimaurer-Internetseite sozusagen ein »erhellendes« Mordmotiv-Schreiben, wie mir der anonyme Insider noch mit auf den Weg geben wollte? Um ein mögliches Mord-Motiv noch klarer herauszuarbeiten, möchte ich auf Barschel-Freund Joachim Siegerist zurückkommen und dessen Worte in Erinnerung rufen: »Uwe Barschel, der als junger Mann von einem großen Förderer in die Freimaurerbewegung gelotst wurde, wollte sich von diesem in Waffengeschäfte verwickelten Kreis vermutlich befreien. Nicht nur das – er wollte ›auspacken‹, ›Die


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ganze Bande in die Luft jagen‹. Dabei sprach er sogar von einer ›politischen Mafia‹ …« Uwe Barschel wollte auch ein Buch schreiben, das mehr als das sein sollte, nämlich eine Abrechnung mit falschen Freunden, mit Politikern, die eine am Wohl der Bevölkerung orientierte Politik nur vorgaukelten, eine Aufarbeitung auch der »Kieler Affäre«, in die er unfreiwillig geraten war. Bevor ich fortfahre, muss meinerseits noch eine wichtige Frage beantwortet werden: Gab es überhaupt Waffengeschäfte, in die Freimaurer eventuell verwickelt sein konnten? Und falls ja, um welche Loge(n) könnte es sich dabei gehandelt haben? Der Mossad-Dissident Victor Ostrovsky packte 1994 aus. Mit seinem Besteller Geheimakte Mossad – Die schmutzigen Geschäfte des israelischen Geheimdienstes schuf er Erkärungen zum MordMotiv des Mossad und erwähnte gleichzeitig einen für meine eigene Theorie sehr wichtigen Aspekt. Um die Jahreswende 1986/87 erfuhr Uwe Barschel von geheimdienstlichen Aktivitäten in Schleswig-Holstein. Involviert waren neben dem israelischen Geheimdienst Mossad auch der deutsche Verfassungsschutz und der Bundesnachrichtendienst (BND). Es waren illegale Geschäfte, die da abgewickelt wurden. Der deutsche Geheimdienst diente als »Strohmann« gegenüber dem Iran, der zu dieser Zeit in einen Krieg mit dem Irak verwickelt war. Die iranische Luftwaffe war ramponiert und benötigte dringend Ersatzteile. Israel und die USA hatten an der Verlängerung dieses Krieges Interesse. Je länger und verlustreicher er würde, desto besser wäre es für sie und zudem ein lukratives Geschäft. Da aber Irans politisches und religiöses Oberhaupt, Ajatollah Khomeini, nicht direkt mit den Israelis Geschäfte abwicklen konnte, weil er die Juden ja eigentlich vernichten wollte, wurden die Deutschen als Zwischenhändler eingeschaltet. So wurden in Spezialcontainern Flugzeugteile von der auch von der Bundesluftwaffe geflogenen Phantom F 4 vom israelischen Hafen Ashdod nach Italien verschifft, wo der italienische Geheimdienst SISMI alle notwendigen Papiere beschaffte, um sie als italienische Agrarprodukte zu deklarieren. LKWs wurden mit falschen Werbetafeln versehen. »Die Leute für diese Operation und die Fahrer wurden von den italienischen Verbündeten des Mossad gestellt, den rechtsgerichteten Anhängern eines Mannes namens Licio Gelli und seiner inzwischen verbotenen Geheimloge mit dem Namen Propa-


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ganda 2 und einer zweiten Gruppe, Gladio genannt (eine NATOGründung ähnlich der in Belgien).«542 Hier also kamen die Freimaurer um Licio Gelli ins Spiel, die die illegalen Waffenladungen in Italien überwachten und mit Gladio zusammenarbeiteten. Die Verquickungen zwischen der P2, Gladio und den verschiedenen Geheimdiensten und Politikern habe ich bereits ausführlich erläutert. Bereits während der Ermittlungen, die in Italien zu den Bombenanschlägen im Jahre 1974 liefen, stellten die Behörden fest, dass Gelli in illegalen Waffenhandel verstrickt war. Später stellte sich sogar heraus, dass die P2 ein »Angelpunkt für den illegalen internationalen Waffenhandel« war, wie ein Fahndungserfolg im Jahr 1996 bestätigte, in dem neben der Mafia, den Russen und einem CIA-Agent auch Licio Gelli verwickelt war.543 Doch zurück zu den illegalen Waffentransfers aus den Jahren 1986/87: Nachdem die Ladungen unter der Kontrolle von Gellis Schergen und von Gladio Italien verlassen hatten, rollten sie über den Freihafen Hamburg nach Schleswig-Holstein weiter. In der Nähe von Kiel hatten die Iraner einen verlassenen Flughafen gemietet, auf dem die Ladung geprüft wurde, bevor sie ins angrenzende Dänemark transportiert und auf dänische Schiffe verladen wurde – überwacht durch den dänischen Geheimdienst. Reiseziel war der Persische Golf. Doch die Iraner hatten noch einen anderen Wunsch, sie wollten ihre Piloten durch israelische Fluglehrer ausbilden lassen. Der Mossad kam dem nach, so dass die Iraner auf dem stillgelegten Flugplatz in Schleswig-Holstein in Hangars mit Simulatoren und über dem Rollfeld mit umgebauten Cessnas übten. Der BND weihte Ministerpräsident Barschel erst spät in die illegalen Aktivitäten in seinem Bundesland ein. Er tat das aber auch nur, weil sie alle nun seine offizielle Zustimmung brauchten, weil es in Dänemark Konflikte gegeben hatte. Dort hatten Gewerkschaften die heiße Fracht entdeckt und drohten nun mit der Sperrung der dänischen Häfen. Barschel lehnte die Benutzung seiner Häfen für die illegalen Waffenlieferungen jedoch kategorisch ab. Nun gerieten alle in Panik und der Ministerpräsident wurde zu einer ernsthaften Bedrohung. Was wenn Barschel Bundeskanzler Helmut Kohl, der nicht darüber informiert war, einweihen würde? Nun mussten die Geheimdienste eine andere Taktik anwenden: Sie nahmen mit dem Oppositionsführer Kontakt auf. Sie fragten an, ob sie, wenn er die nächste Wahl


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gewinnen würde, mit seiner Hilfe und Mitarbeit rechnen könnten. Und der bejahte. Man benötigte für den Sturz Barschels allerdings noch einen Helfers-Helfer. So wurde nach einem dunklen Fleck eines Barschel-Mitarbeiters gesucht, der schließlich auch gefunden wurde: Codename »Whistler« (zu deutsch »Pfeifer«), den der Ex-Bundesminister für Forschung und Technologie, Ex-Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Verteidigung und Ex-Mitglied der Parlamantarischen Kontrollkommission für die »Dienste«, Andreas von Bülow, natürlich als Springer-Mann Reiner Pfeiffer benennt.544 Er sollte der Mann fürs Grobe sein. Ihm wurde keine andere Möglichkeit gelassen, als Barschel mit in die Falle zu treiben, sonst würde man seine dunkle Vergangenheit ans Licht zerren und dann wäre er erledigt! Der Mossad ließ keinen Zweifel daran. »Whistler« stimmte dem Vorschlag zu, auch nachdem ihm gesagt wurde, man würde sich finanziell großzügig um ihn kümmern, falls diese »Operation« seine politische Zukunft gefährden könnte. Zudem erhielt er einen Hinweis: Er, »Whistler«, würde nun zu einer »Organisation nach Art der Mafia gehören« und es würde kein Zurück mehr geben.545 War damit vielleicht die »Organisation« gemeint, die hinter dem Mossad und dem BND stand? Die Freimaurer um Licio Gelli? Sprach nicht auch Barschel von einer »politischen Mafia«, vor der er Angst hatte? »Mein Gott, Folke, ich kämpfe jetzt allein gegen alle. Wer glaubt mir noch?«, sagte er eines Tages zu seiner Schwester Folke JunkerBarschel. »Folke, ich habe Angst. Ich glaube, diese Affäre wird nur gelöst, wenn ein Kopf fällt. Killer sind käuflich.« Und Barschel fragte seine Frau Freya in diesem Zusammenhang, ob sie glaube, dass es eine »politische Mafia« gebe. Er wollte auspacken, ein Buch über die Kieler Affäre schreiben. »Von ›Auspacken‹ hatte er vorher geredet. ›Auspacken‹ – über wen? ›Auspacken‹ – über was?« (Siegerist)546 Und war es nicht so, dass, so Siegerist, auch Barschel auf einer Todesliste stand, nämlich der der Roten Armee Fraktion (RAF)? Erinnerte das nicht an Aldo Moro und die P2-Schergen? Oder an den Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer, der ebenfalls gemeuchelt und dessen Leiche im Kofferraum eines Wagens abgelegt wurde? Erinnerte das Ganze nicht daran, dass das Gladio-Netzwerk nicht nur zu den Terrororganisationen »Rote Brigaden« in Italien, zur Action Directe in Frankreich, sondern auch zur Rote Armee Fraktion


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(RAF) in Deutschland Verbindungen hatte? Und gab es nicht auch eine »BND-Spur« in Richtung Mafia? Offenbar wollte ein Überläufer der neapolitianischen Camorra von Gesprächen wissen, die sich um die Ermordung Barschels drehten und die er der deutschen Staatsanwaltschaft nannte. Doch anscheinend sei der Italiener ein Desinformant des Bundeskriminalamtes (BKA) gewesen, um von »zielführenden Ermittlungen« abzulenken.547 Falls diese Aussage stimmt, dann stellt sich die Frage, wer an einer solchen Desinformation Interesse haben könnte. Was ist, wenn dieser italienische Informant, der sogar Zeugenschutz genoß, gar nicht – von wem auch immer – instrumentalisiert worden war, um eine falsche Spur zu legen, sondern tatsächlich die Wahrheit sprach? Geht man davon aus, dass der Italiener wirklich wahrhaftig Auskunft gab, dann könnte ein weiterer Mosaikstein zu den Freimaurern der P2 eingefügt werden. Und die hatten ja bekannterßen die besten Kontakte zur Mafia, wie wir bereits gesehen haben. Der Mossad spielte im Übrigen auch gegenüber den deutschen Geheimdiensten BND und Verfassungsschutz falsch, behauptete er doch, Barschel selbst sei in die geheimen Waffengeschäfte und illegalen Transaktionen verwickelt, sein Bruder sei zudem ein »Strohmann«. Daher glaubten die deutschen Behörden richtig zu handeln, als schließlich Pfeiffer erklärte, Barschel hätte ihn zum Ausspionieren Engholms angestiftet. Ein politisches Intrigenspiel per excellence, dem schließlich der Rücktritt Barschels und der Wahlsieg seines Widersachers Björn Engholm folgten. Barschel wollte danach nur noch, dass der BND seinen Namen reinwusch, weil er mit den illegalen Waffengeschäften nichts zu tun hatte. Andernfalls drohte er damit, vor einem Untersuchungsausschuss, dessen Anhörungen in wenigen Tagen stattfinden würden, auszupacken, alles offen zu legen. Außerdem wollte er ein Buch darüber schreiben. Das konnten die Kräfte im Hintergrund nicht zulassen. Der ehemalige Ministerpräsident musste gestoppt werden. Und das wurde er, wie wir wissen. Er endete tot in der Badewanne eines Genfer Hotels. Meine Mord-Theorie sieht folgendermaßen aus: Der vermeintlicher Logenbruder Uwe Barschel, vielleicht in die Freimaurerei eingeführt durch den vermeintlichen Logenbruder Gerhard Stoltenberg, zollte in der politischen Affäre vor der Landtagswahl seinem vermeintlichen Logenbruder Björn Engholm keinen


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Respekt und verfiel in eine »eitlen Selbstbespiegelung«. Damit gefährdete er nicht nur das »freimaurerische Wohl«, dem er, Barschel, auch »Wohlstand und Eigentum« beziehungsweise seinen »sozialen Aufstieg« zu verdanken hatte, sondern er war auch »ungehorsam« geworden. Ungehorsam gegen die Loge, deren Zielen er sich nicht (mehr) unterwerfen wollte. Diese Ziele könnten beispielsweise die Duldung der illegalen Waffentransfers und seine Mithilfe dabei gewesen sein. Barschel war aber nicht nur »respektlos« gegenüber Engholm, weil er dieses Spiel vielleicht sogar durchschaute, sondern auch der »Loge« gegenüber, die in die illegalen Waffengeschäfte vielleicht direkt oder indirekt über die Brüder der P2 verstrickt war. Spielte Gerhard Stoltenberg darin eine Rolle? Freya Barschel attakkierte im September 2006 im Politmagazin Cicero auch ihn. Stoltenberg wurde von der Barschel-Familie sogar bei der Trauerfeier für Uwe Barschel zur »unerwünschten Person« erklärt. Ihr Mann, so die Witwe Barschel, hätte ihr gesagt, wie schwer ihn das »Erbe« seines Vorgängers im Amt belaste: »Dass es Vorfälle gebe, mit denen er überhaupt nicht einverstanden sei, es aber niemanden gebe, mit dem er darüber sprechen könne. Aus seinen Andeutungen«, so die Witwe weiter, »konnte ich schließen, dass es um Waffenlieferungen ging.«548 Gibt Freya Barschel damit unwissend einen Tipp in die richtige Richtung? War Logenbruder Stoltenberg derjenige, der vielleicht auch die Waffenlieferungen aus Israel an den Iran tolerierte, wie damals die mit Südafrika, mit aktiver oder passiver Beteiligung der Maurer? Und war Uwe Barschel derjenige, der das nicht tat? Auch Wolfram Baentsch äußerte in einem Interview zu seinem Buch Der Doppelmord an Uwe Barschel, dass die Politiker, die den Waffenhandel damals betrieben hatten, Barschel nicht darüber informierten und es deshalb im schleswig-holsteinischen Parlament zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen ihm und Stoltenberg gekommen war. Barschel entrüstete sich über die Waffengeschäfte »hinter seinem Rücken«. Als er sich dann auch noch weigerte, sich für Grundgesetzbrüche zu verantworten, bekam er zusehends große Angst, fühlte sich sogar bedroht. »Das hat er auch wiederholt geäußert« (Baentsch).549 Darüber hinaus wollte Barschel auch noch vor einem Untersuchungsausschuß auspacken, als die Schmutzkampagne gegen ihn lief. Die Gefolgsleute um Licio Gelli, oder vielleicht noch andere


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(Freimaurer-)Kreise, die in die Waffentransfers verstrickt waren, mussten Barschel genauso stoppen wie die Geheimdienste. Nun reichte es aber nicht mehr, nur Strafen und Sanktionen anzudrohen, sondern diese mussten auch vollzogen werden. Schließlich achtete die Loge darauf, dass »angestrebte Ziele auch durchgeführt wurden«. Es galt das Motto: »Tod dem Verräter«. Das hatte schon bei Calvi, Sindona, Papst Paul I. und Aldo Moro funktioniert. Erinnern wir uns: Sindona und Papst Paul I. waren ebenfalls vergiftet worden (zumindest bei Sindona war das Fakt). Die Zusammenarbeit zwischen Geheimdiensten und Freimaurern war in der Vergangenheit hervorragend gewesen und warum sollte dies nicht auch bei Barschels Liquidierung so sein, vielleicht sogar in Einbeziehung der erst 1990 aufgedeckten und verbotenen P26 oder P27 in der Schweiz? Zudem saßen Hauptverantwortliche der P2 direkt in Genf. Das Mordmuster und die Ablage der Leiche Barschels erinnerten an den Ritualmord an Roberto Calvi in London. So wurde der vermeintliche Logenbruder Uwe Barschel das Opfer seiner »Mitbrüder«, wie eben einst Calvi und Sindona und viele andere auch. Bestätigt wird meine Theorie meines Erachtens durch einen weniger bekannten Aspekt, über den jedoch Andreas von Bülow und Wolfram Baentsch berichteten. Ein von der Familie Barschel eingesetzter Schweizer Detektiv erlitt kurz vor der Aufklärung des Falles einen Herzinfarkt. »Alle merkwürdigen Todesfälle der letzten Jahre hingen, so äußerte er sich kurz vor seinem Tod Dritten gegenüber, miteinander zusammen. Er meinte offensichtlich die Ermordung auch des schwedischen Premierministers Palme …« (von Bülow)550 Mit »merkwürdigen« Todesfällen konnte er nur die um die P2 gemeint haben, denn »andeutungsweise« sprach er auch von Palme, genauso wie der Ex-CIA-Agent Richard Brenneke das bereits 1990 getan hatte. Der schwedische Politker war 1986 auf offener Straße erschossen worden, weil er Waffenlieferungen aus Schweden in Kriegsgebiete verhindern wollte. Brenneke erklärte, er sei zwischen 1969 und 1980 für die monatlichen Geldtransfers der CIA in Höhe von einer bis zehn Millionen Dollar an die P2 zuständig gewesen. »Mit diesen Geldern seien auch ähnliche Agenturen wie die P2 in Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgebaut worden. Laut Brenneke sei die P2 nicht nur für den Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme verantwortlich, sondern pflegte auch Kontakte mit


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der amerikanischen Mafia« (Igel).551 Das war also vielleicht die Verbindung, von der der »Zeuge« und Ex-CIA-Mann Brenneke sprach und die vielleicht auch der Schweizer Detektiv im Auftrag der Barschels herausgefunden hatte. Bestätigt durch das übrigens durch einen anonymen Anruf kurz nach Barschels Rücktritt, der bei seiner Schwester Folke einging, in dem ein Unbekannter erklärte: »Ihr Bruder wird dasselbe Schicksal erleiden wie Olof Palme.«552 Hatte sich damit der Täterkreis nicht selbst eingegrenzt? Autor Wolfram Baentsch fragt zu recht: »… gab es Mächtigere als die in der Bundesrepublik Regierenden, in deren Händen die Entscheidung über Leben und Tod lag?«553 Auch der Lübecker Chefermittler, Oberstaatsanwalt Heinrich Wille, erklärte noch im Juni 2007, dass es sich bei dem Mord an Uwe Barschel um ein Verbrechen gehandelt haben musste und dieses »vermutlich mit Kenntnis staatlicher Stellen vollstreckt worden sei«. Und weiter: »Es gibt wohl Wissensträger, sei es im Ausland, sei es im Bereich der CIA.«554 Es musste natürlich auch hinterfragt werden, warum die deutschen Geheimdienste der ermittelnden Staatsanwaltschaft in Lübeck jegliche Kooperation verweigerten, diese sogar erschwerten, sie durch Falschinformationen, Einschüchterungen und Drohungen geradezu torpedierten.555 Hinzu kam noch folgender Sachverhalt, von dem Wolfram Baentsch in seinem Buch berichtet: Ein Ex-Stern-Journalist, dessen Namen aus persönlichen Sicherheitsgründen nicht genannt wurde, führte ein Interview, das nie veröffentlicht wurde, mit dem südafrikanischen Geheimdienstagenten und Waffenhändler Dirk Stoffberg, der noch für eine Firma arbeitete, die Auftragsmorde für die CIA ausführte. Stoffberg erzählte dem Journalisten, dass Barschel nach Genf gelockt worden war, weil dieser umfangreiche Fälle von Korruption in der deutschen Regierung und illegalen Waffenhandel aufdecken wollte, die von den Amerikanern gedeckt wurden, die wiederum bestimmte Personen in der deutschen Regierung kontrollierten. Deshalb hatte er Drohungen von der CIA erhalten, deshalb wurde er erpresst. Barschel selbst war in verschiedene Waffengeschäfte verwickelt, konnte dies aber nicht länger mit seinem Gewissen vereinbaren. Er wollte öffentlich ein Geständnis ablegen. Seine Enthüllungen – er war Geheimnisträger in Bezug auf verschiedene Waffengeschäfte mit bestimmten Staaten – hätten einige Politiker der dortigen Regierungen bloßge-


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stellt. Deshalb musste Uwe Barschel sterben. Und weiter gestand Stoffberg, dass die Amerikaner in den Tod des Ministerpräsidenten verwickelt gewesen seien, »wie sie in viele Ermordungen in der ganzen Welt verwickelt waren«. Bevor diese Enthüllungen veröffentlicht werden konnten – unter der eidesstattlichen Erklärung fehlte lediglich noch seine Unterschrift – verstarb Stoffberg eines »plötzlichen« Todes unter »noch nicht geklärten Umständen«. Er wurde in seinem Haus in Pretoria samt seiner Frau erschossen aufgefunden. Ein Gutachter, der diese brisanten Enthüllungen Stoffbergs bewerten sollte, kam später zu dem Schluß, dass während des Interviews wohl keinerlei Falschinformationen vorsätzlich gemacht worden seien, sondern sich Stoffberg auf tatsächlich Erlebtes oder Gehörtes beschränkte. Bei einer Anfrage deutscher Ermittler an die Adresse der CIA winkte diese freilich ab. Noch ein anderer, im Tenor dieser Betrachtung wichtiger Aspekt, war ein Bekenntnisschreiben, das Barschels Witwe Freya am 27. Oktober 2001 anonym erhielt. Darin erklärte der Briefeschreiber, dass Barschel keinesfalls Selbstmord begangen hätte, sondern beseitigt wurde. Er sollte zum Schweigen gebracht werden, weil er die »unglaublichsten« Geschäfte der damaligen Bundesregierung aufdecken wollte. »Es handelte sich um einen Staatsakt, in dem ausnahmslos die höchsten Gremien West- und Ostdeutschlands sowie die der CIA verwickelt waren. Das Wissen, dass Ihr Mann bereit war aufzudecken, hätte verheerende Konsequenzen für die gesamte westliche Welt gehabt.« Die Aufgabe des Briefeschreibers sei gewesen, Uwe Barschel zu »schützen«, aber dieses »Ziel habe ich zu meinem tiefsten Bedauern nicht erfüllt …, würde ich meine Kenntnisse über diese Tragödie kundtun, würden weitere mit sehr wichtige Menschen dafür mit Ihrem Leben bezahlen.« Und dann schrieb der Unbekannte, der wohl die Hintergründe des Attentats zu kennen schien, sich aber nun als »Helfer« outete und in Wahrheit vielleicht »Täter« war, noch etwas Verräterisches: »… das es Sie mit Stolz erfülle, dass Ihr Mann auf dem Altar der Freiheit und Gerechigkeit ein so kostbares Opfer dargebracht hat.«556 War das nicht eine maurerische Formulierung per excellence? »Auf dem Altar der Freiheit und Gerechtigkeit« ein »kostbares Opfer« dargebracht zu haben. Meiner Meinung nach enthüllt dieser Satz vieles, was eindeutig in diese Richtung geht. Aber die deutschen Ermittler ließen dieses Bekennerschreiben »ver-


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sanden«: Fingerabdrücke wurden (natürlich) keine gefunden und die mitgeteilten Inhalte wurden als »unbedeutend« bewertet! Am 31. August 2003 erhielt Freya Barschel ein weiteres anonymes Schreiben, in dem es unter anderem hieß: »Es tut mir sehr leid, Mrs. Barschel, aber ich tötete Ihren Mann in Genf … Glauben Sie mir, Ihr Mann Uwe hat nicht gelitten. In meinem Beruf ist es nicht üblich zu reden, aber ich brauche jetzt etwas Abstand. Der Kontrakt (Vertrag, Abkommen, Anm. d. Autors) wurde mit einem Mann gemacht, der der gegenwärtigen deutschen Regierung nahe steht, und finanziert wurde er durch die größte deutsche Partei.«557 All dies bestätigt meines Erachtens die von mir aufgestellte Theorie um die P2 und die involvierten Geheimdienste sowie um die ebenfalls miteinbezogenen Parteien. Ich fragte dahingehend beim zuständigen Oberstaatsanwalt Wille nach, ob bei den Ermittlungen unter anderem auch mögliche Zusammenhänge mit der P2 oder andere Freimaurerlogen, Serviceclubs oder Ritterorden geprüft worden waren?558 Auch hier fiel die Antwort denkbar knapp aus: »… auf sämtliche Anfragen kann ich leider nur Fehlanzeige geben. Über Logen u. ä. liegen Erkenntnisse hier nicht vor.«559 Was wohl heißt: In diese Richtung wurde gleich gar nicht erst ermittelt. Selbstverständlich fragte ich auch bei den zuständigen deutschen Geheimdiensten BND und dem Bundesamt für Verfassungsschutz im Juli 2007 nach: »Inwieweit waren deutsche Politiker in den 70erJahren und Anfang der 80er-Jahre in das Politikum um die … Loge Propaganda Due verwickelt? Inwiefern der BND bzw. andere deutsche Geheimdienste? Inwieweit war Werner Mauss Ihres Wissens nach in die Affäre Barschel verwickelt? Zu welchem Fazit kommt der BND beim Selbstmord bzw. Mord von Uwe Barschel? Existiert die P2 Ihres Wissens nach noch?« Und ich frage auch noch nach, was die Geheimdienste über die illegalen Waffentransfers wissen.560 Die Antworten waren, wie nicht anders zu erwarten, auch hier kurz und nüchtern. »Leider kann ich Ihnen im Hinblick auf Ihre Fragen nicht behilflich sein«, schreibt eine Presse-Verantwortliche des BND. »Aus grundsätzlichen Erwägungen geben wir zu operativen bzw. angeblich operativen Belangen keine Stellungnahme ab. Zudem bezieht sich ein Großteil Ihrer Fragen auf innerdeutsche Vorgänge bzw. deutsche Personen/Politiker. Der Bundesnachrichtendienst ist jedoch ein Auslandsnachrichtendienst und daher für


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diese Belange nicht zuständig.«561 Diese Belehrung brauchte ich natürlich nicht, das wusste ich schon selbst. Das Bundesamt für Verfassungschutz fasste die Beantwortung meiner Fragen noch kürzer: »Leider können wir zu Ihren Fragen mangels Zuständigkeit oder aufgrund nicht vorliegender Erkenntnisse keine Stellungnahme abgeben.«562 Keine Zuständigkeiten, keine Erkenntnisse – wer’s glaubt wird selig. Ich halte es mit den Worten des Geheimdienstexperten Udo Ulfkotte: »Wenn der BND wirklich trotz seiner Zusammenarbeit mit 200 Geheimdiensten der Welt und mindestens einem eigenen Mann vor Ort keine Anhaltspunkte dafür hätte, wer Barschel wirklich ermordete, wäre er sein Geld nicht wert. Auch wenn man es vielleicht dementieren wird: Beim BND gibt es eine ›Akte Barschel‹«.563 4.1.5.3.6.9 Noch ein »Maurer-Indiz«: Die Ablage der Leiche Das Foto von Uwe Barschels Leiche in der Badewanne ging um die ganze Welt. Der Journalist Gerhard Wisnewski hat, wie bereits erwähnt, angedeutet, dass der Tote vielleicht »drapiert« worden ist, weil seine Haare auf dem Bild nass sind, und sich daher der Kopf unter Wasser befunden haben musste. Auf den Fotos befindet sich sein Kopf aber über Wasser, die Haare wirken wie zurückgekämmt. Wisnewski stellte die Frage, ob dies die Stern-Reporter, die die Leiche entdeckt haben, getan haben könnten? »Es ist höchst merkwürdig«, sagt der Verfassungsschützer und Kriminalist Heribert Hellenbroich, »dass Uwe Barschel angezogen in einer halbvollen Badewanne lag. Das Foto wirkte so, als sei er hineingelegt worden. Kaum vorstellbar, dass ein Mann, der in den Tod gehen will, dies auf eine so seltsame Weise macht.«564 Barschels Leiche war in die Badewanne gelegt worden, das ist auch meine Vermutung. Ein Indiz dafür sind vielleicht die Verletzungen in seinem Gesicht. Ausgehend von meiner Theorie, dass die P2 direkt oder indirekt an diesem »politischen Ritualmord« beteiligt war, möchte ich nochmals die Leichenablage von Roberto Calvi, dem »Bankier Gottes«, ins Gedächtnis zurückrufen. Calvis Leiche, die am Flussufer der Themse gefunden wurde, war drapiert worden, wie nach vielen Jahren festgestellt worden war. Und die Freimaurer und/oder Mafiosi hatten etwas Symbolisches zurückgelassen: Backsteine, einer in sei-


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nen Hosenschlitz gestopft, die anderen in den Hosentaschen. Vielleicht sollte das Ganze den Ausdruck von noch »rohen, unbehauenen« Steinen erwecken, die nicht »veredelt« waren. Doch bei Barschel gab es keine rituellen Ziegelsteine. Das wäre auch viel zu auffällig gewesen und die Zusammenhänge und Verbindungen wären selbst für einen Blinden zu erkennen gewesen. Was kommt dann in Frage? Meiner Meinung nach ist die verbindende Symbolik – zwischen den politischen Ritualmorden an Calvi und Barschel – das Wasser. Es spielte sowohl beim Chef der Banco Ambrosiano eine Rolle als auch beim Ministerpräsidenten von Schleswig Holstein in spe. Wasser hat eine alte okkulte Tradition, die aus dem Keltentum herrührt. Die Kelten hatten einen Brauch Tiere und Menschen als Opfergaben in Seen, Flüssen, Quellen und Sümpfen darzubringen. Dieser Brauch hat zum Teil Einzug in verschiedene okkult-magische Glaubensvorstellungen gefunden, Menschen direkt am Wasser zu töten, die Leichen darin zu versenken oder am Ufer abzulegen. So war es bei Calvi. So war es »symbolisch« auch bei Barschel. Er hätte, meines Erachtens, überall und auch mit anderen Methoden getötet worden können. Schließlich wurde er vergiftet. Dazu brauchte man ihn nicht in eine Badewanne voller Wasser zu legen. Auch die Herbeiführung einer Herzattacke in Verbindung mit kaltem Wasser und Medikamenten ist nicht logisch, wenn der Selbstmörder dabei angezogen in die Wanne steigt. Zudem hat Wasser das alchemistische Symbol des umgekehrten Dreiecks, das wiederum in der Freimaurerei verschiedene Bedeutungen hat. Eine davon ist das »destruktive« Prinzip, hier zeigt die Spitze des Dreiecks zum Boden. Im Okkultismus symbolisiert das umgekehrte Dreieck den Kopf des Ziegenbocks, des Baphomets, des Teufels und damit sind wir wieder bei Licio Gelli, der selbst sagte, dass die P2 als schwarzmagische Freimaurerei angesehen wurde. Ich glaube, dass die Maurer diese »Wasser-Symbolik« benutzt haben, um den Eingeweihten zu zeigen und zu sagen, wer für den Mord verantwortlich war. Denn die Wissenden verstanden. Das hatten sie schon immer getan. Auch bei Calvi. Und ganz sicher auch im Falle Uwe Barschel. 4.1.4.3.6.10 Logenbruder Uwe Barschel (II) Wenn man einige der maßgeblichen Personen und ihr Wirken um Barschel unter dem Aspekt freimaurerischer Aktivitäten »seziert«,


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wie ich es getan habe, sieht das Bild, das sich ergibt, ganz anders aus: Alle sind irgendwie mit Logen, Ritterorden, Service-Clubs oder mächtige Polit-Vereinen »verwoben«, die wiederum mit der Freimaurerei zusammenhängen. Zusammenfassend nochmals im Einzelnen die Merkwürdigkeiten in Bezug auf die Maurerei: Da gibt es einen Barschel-Familienanwalt (Warburg), der sich sehr unkritisch zur Freimaurerei verhält, selbst Kontakte zu Freimaurern hat und jeglichen Kontakt zur Familie Barschel abblockt. Desweiteren ist da ein politischer Barschel-Förderer (Stoltenberg), der selbst in einem (zumindest) Freimaurer nahen Ritterorden Mitglied ist, der wiederum mit Verbindungen zum amerikanischen Freimaurer Henry Kissinger über die »Otto-von-Bismarck-Stiftung« aufwarten kann. Es gibt einen Barschel-Freund (Siegerist), der wissen will, dass dieser selbst ein Freimaurer war, weil die Barschel-Witwe ihm das gesagt haben will. Freimaurer sollen auch Barschels Mörder sein. Ein politischer Barschel-Gegner (Engholm) ist Mitglied in einem »Freimaurer-Verein«. Es existieren mehrere Freimaurerlogen in unmittelbarer Nähe von Barschels Heimatort. Ein Ex-Freimaurer bekennt im Internet, dass Barschel von seinen Logenbrüdern aus dem Weg geräumt wurde. Eine vermeintliche Barschel-»Mord-Motiv-Erklärung« findet sich auf der Homepage einer Freimaurerloge. Und wahrscheinliche Freimaurer-Ableger (P26, P27) einer kriminellen Freimaurerloge (P2) sind höchst präsent in der Schweiz und in Genf anzutreffen, also genau da, wo Barschel schließlich ermordet wurde. Darüber hinaus war Barschel in nachweisbare, illegale Waffengeschäfte verstrickt, in die auch Geheimdienste und eine Freimaurerloge (P2) involviert waren, gegen die sich Barschel vehement zu stellen versuchte. Und da ist zum Schluss eine freimaurerische »Wasser-Symbolik« mit der Ablage seiner Leiche in der Badewanne. Freilich sind Indizien noch keine Beweise. Aber eine Kette von Indizien kann ein Beweis sein. Oder handelt es sich bei von mir aufgeführten Indizien, die merkwürdiger Weise alle in eine Richtung weisen, nur um Zufälle? Manchmal sind zu viele Zufälle eigentlich nur eines: keine Zufälle mehr! Und genau unter diesem Aspekt sollten die Ermittler endlich auch versuchen, den Mord an Uwe Barschel aufzuklären.


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5. »Zwielichtige« Freimaurer 5.1 Freimaurer und Pädophiler: Logenbruder Friedrich Wilhelm II.565 Der unmittelbare Nachfolger des verdienstvollen Logenbruders und preußischen Königs Friedrich II. (auch »Friedrich der Große« oder der »Alte Fritz« genannt), König Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) war der letzte Freimaurer auf dem deutschen Kaiserthron und wohl eher ein Schandfleck als ein Aushängeschild für die Diskrete Gesellschaft. Zumindest nach heutigen Maßstäben. Friedrich Wilhelm II. war bereits 1772 als Prinz in die Hallesche Loge »Zu den Drei Degen« aufgenommen und zudem im selben Jahr Ehrenmitglied der Berliner Loge »Zu den Drei Goldenen Schlüsseln« geworden. Unter anderem bestätigte er auch das Protektorium der »Großen National-Mutterloge«. Über seine zahlreichen außerehelichen Liebschaften mag man noch gefliessentlich hinwegsehen, aber der Logenbruder war auch bekannt für Affären mit besonders jungen Frauen. Darunter Julie von Voss oder die noch jüngere Gräfin Dönhoff. Unrühmlicher Höhepunkt seiner Affären war sicher die mit der bürgerlichen Wilhelmine Enke, spätere Gräfin von Lichtenau. Als die Liebschaft 1764 begann (und erst 1781 offiziell beendet wurde), war die kleine Wilhelmine gerademal zwölf Jahre alt! Ein zartes Kind also, an das sich der schon 20-jährige Freimaurer heranmachte. Und das alles neben seiner Ehe. Wenn heute in Deutschland ein erwachsener Mann sexuell mit einem zwölfjährigen Kind verkehrt, dann wird er als »pädophil« bezeichnet und dafür bestraft. Unabhängig von seinen sexuellen Aktivitäten war Logenbruder Friedrich Wilhelm II. auch noch tief im Übersinnlichen und Mystischen versunken. So wurde er im Jahre 1781 auch in die Mysterien der Rosenkreuzer eingeweiht. Experten attestieren ihm auch Eigenschaften wie »Erbarmungslosigkeit« und »rassistischen Hochmut«.566


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5.2 Freimaurer und Völkermörder: Logenbruder TTalaat alaat Pascha567 Ein Politikum, über das die Türken und wohl auch viele Freimaurer in keiner Weise sprechen wollen und das ein Hindernis für einen Beitritt der Türkei in die Europäische Union geworden ist, ist der Völkermord an den christlichen Armeniern. Dass dabei ein Freimaurer eigentlich die gewichtige Rolle gespielt hat, ist nur wenigen bekannt. Die Rede ist von Mehemed Talaat Pascha (1874–1921), der sich früher Talaat Bey nannte und der einer der einflussreichsten türkischen Freimaurer, ja sogar Großmeister des 1909 gegründeten »Großorients der Türkei« war. Pascha war ein Mitorganisator der so genannten »Jung-Türken«, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den despotischen Sultan stürzten. 1909 avancierte er zum Innenminister, dann Postminister. Bis 1918 (manche Chronisten sprechen von 1917) war er Großwesir der Türkei, was dem Amt des Premierministers entspricht. Den Armeniern, die in dem Vielvölkerstaat wohnten, wurde von der türkischen Regierung nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg vorgeworfen, den christlichen Kriegsgegner Russland unterstützt und damit Hochverrat begangen zu haben. Dies war der Grund, weshalb der Freimaurer Talaat Pascha zwischen 1915 und 1917 eine »ethnische Säuberung« anordnete! Und seine Nachfolgeregierung rief erneut zu diesem Völkermord zwischen 1919 und 1921 auf. Bei den grausamen Massakern an den Armeniern kam es in diesen Jahren zu 600 000 bis 1,5 Millionen Opfern, die Schätzungen liegen weit auseinander. Einerseits wird dieser Genozid von den Türken bestritten, andererseits wird er als »gerechtfertigte Reaktion auf armenische ›Übergriffe‹ oder als unvermeidliche Folge des Krieges« dargestellt. Selbst aus den Reihen der Freimaurer kommt heftige Kritik: »Der Großmeister der Großloge der Türkei aus den Jahren 1915 bis 1917, Mehmet Talaat Pascha, war unmittelbar politisch verantwortlich für den Mord an Hunderttausenden Armeniern. Zudem waren viele der regierenden Jung-Türken Freimaurer. Weder das unumstößliche Toleranzprinzip der Freimaurer, das stets in jedweder Loge und zu allen Jahrhunderten gelehrt wurde, noch ihr Demokratiestreben hat


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sie daran gehindert, solch ein Unrecht anzuordnen. Dieses Verbrechen gegen die Menschenrechte ist in der Freimaurergeschichte einzigartig« (Goeller). Selbst Logenbruder Gazi Mustafa Kemal Atatürk gab den »JungTürken« und damit wohl auch seinem Freimaurer-Kollegen Talaat Pascha die Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern und bezeichnete diesen 1924 vor dem türkischen Parlament als »Schandtat«. Nicht zu vergessen ist, dass sich in den Logen zu jener Zeit ein Völkergemisch traf. Neben Türken agierten dort auch Griechen, Juden, Araber, Kurden, Albaner, Angehörige fremder Kolonien und natürlich auch Armenier. So wird aus dem Völkermord auch ein maurerischer »Brudermord«. Talaat Pascha, der nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg ins Exil nach Deutschland ging, erlebte die Rede und die Kritik seines Logenbruders Atatürk nicht mehr: drei Jahre vorher, also 1921, spürte ihn in Berlin ein armenischer Student auf und ermordete ihn.

5.3 Freimaurer und Nazi: Logenbruder Hjalmar Schacht568 Ein hochrangiger und prominenter Freimaurer saß sogar in Adolf Hitlers Regierung: Die Rede ist von Horace Greeley Hjalmar Schacht (1877–1970). Er hatte sich den Nazis nicht nur angebiedert, wie es zu jener Zeit viele Logennbrüder getan hatten, um einem Verbot zu entgehen ( was freilich nichts nützte), sondern er hatte die Schreckensherrschaft des Dritten Reiches von Anfang an unterstützt und war einer der Wegbereiter des schlimmsten Diktators der Geschichte. Schacht fungierte einst als Präsident der Deutschen Reichsbank, dann als Reichsbankpräsident (1933–1939) und Wirtschaftsminister (1934–1937). Danach diente er als Minister ohne Geschäftsbereich (1937–1944). Er war Mitglied der Loge »Urania zur Unsterblichkeit« (aufgenommen 1906) und später Mitglied der Loge »Zur Brudertreue an der Elbe« (aufgenommen 1949). Schacht sympathisierte bereits 1926 mit den Nazis, lernte 1930 Hermann Göring, Joseph Goebbels und Adolf Hitler kennen. Zwei Jahre später unterstützte er als Finanzexperte die NSDAP, forderte unter anderen mit seiner Unterschrift


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bei einer Eingabe an Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen und half später entscheidend dabei, die Aufrüstung zu finanzieren. In London führte er sogar Verhandlungen über die »Aussiedlung von Juden«, die als der »Schacht-Rublee-Plan« in die Geschichte einging. Das tat er, obwohl er zunächst den Standpunkt vertrat, dass die Rassenpolitik der deutschen Wirtschaft nicht nur schaden, sondern sie auch ruinieren würde, weshalb er die diskrimminierende Behandlung jüdischer Unternehmen grundsätzlich ablehnte. Allerdings hieß er die erlassenen »Nürnberger Gesetze« ausdrücklich gut: »Ich begrüße … die Nürnberger Gesetze, dass er (der Jude, Anm. d. Autors) wieder zurückgedrängt ist in sein, ich kann ruhig sagen, Ghetto …« Und er teilte das nationalsozialistische Staatsziel, Juden in der Gesellschaft zu isolieren. Ferner sagte er einmal: »Die Juden müssen sich damit abfinden, dass ihr Einfluss bei uns ein für alle Mal vorbei ist. Wir wünschen, unser Volk und unsere Kultur rein und eigen zu halten.« An anderer Stelle meinte er: »kein Jude darf daher Volksgenosse sein« und befürwortete die gesetzliche Diskriminierung aller deutschen Juden, die sie zu »Staatsbürgern minderen Rechts« erklärte. Schacht deutete bei seiner »Königsberger Rede« auch an, dass er sich mit dem so genannten »Blutschutzgesetz« anfreunden könnte, das eine Heirat zwischen Nichtjuden und Juden verbot und zudem jeden außerehelichen Geschlechtsverkehr mit Zuchthaus bestrafte. Schacht erhielt zudem das »Goldene Parteiabzeichen« der NSDAP verliehen. Dennoch kühlte sich ab 1937 sein Verhältnis zu den Nazis ab. Er wurde 1944 von ihnen wegen der Mitverschwörung beim Attentats auf Hitler verhaftet und in »Prominentenbaracken« interniert. Amerikanische Militärstaatsanwälte stellten Schacht wegen »Verschwörung zur Herbeiführung des Krieges« und der »Teilnahme an den Vorbereitungsmaßnahmen« vor ein internationales Kriegsverbrechertribunal. Bei den Nürnberger Prozessen der alliierten Sieger wurde er jedoch freigesprochen. Allerdings nicht wegen »erwiesener Unschuld«, sondern wegen »unbilliger Härte«. Dennoch galt er auf Grund des Entnazifizierungsgesetzes für die deutschen Behörden als Hauptschuldiger der nationalsozialistischen Herrschaft, weil er unter anderem der »nationalsozialistischen Gewaltherrschaft außerordentliche wirtschaftliche Unterstützung« gewährt hatte. Er wurde fast zur gesetzlichen Höchsstrafe von acht Jahren Arbeitslager verurteilt und


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bis 1948 inhaftiert. Im Berufungsverfahren wurde er freigesprochen, weil die Spruchkammer ausschließlich entlastende Dokumente und Zeugenaussagen hörte und belastende Tatsachen einfach ignorierte; im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil. 1953 gründete Schacht die Außenhandelsbank Schacht & Co. in Düsseldorf. Der Schacht-Biograph Christopher Kopper schreibt: »Seine (Schachts, Anm. d. Autors) Selbsterklärung, er habe sich dem NS-Regime nur aus patriotischen Motiven zur Verfügung gestellt und sei im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten, war ausgesprochen fragwürdig – aber fand in der alten (und neuen) Verwaltungselite und in den führenden Wirtschaftskreisen der Bundesrepublik durchaus Zustimmung.«569 Nicht nur der Umstand, dass ein Mithelfer Hitlers, der für Millionen Tote des Zweiten Weltkrieges und für die Verfolgung, Vertreibung und Ermordung von nahezu sechs Millionen Juden verantwortlich war, ein Freimaurer war, der gegen alle, aber auch alle maurerischen Prinzipien verstoßen hatte, ist ein Skandal. Genauso skandalös ist die Tatsache, dass er vier Jahre nach der Schreckensherrschaft der Nazis, also 1949, erneut in eine Freimaurerloge (»Zur Brudertreue an der Elbe« in Hamburg) aufgenommen wurde. 1953 veröffentlichte er seine Lebenserinnerungen unter dem Titel 76 Jahre meines Lebens, die »voller Ressentiments gegen deutsche wie gegen deutsch-amerikanische Juden« steckten. »Schacht war nach dem Krieg zumindest phasenweise stärker antisemitisch eingestellt, als er es während der Herrschaft des Nationalsozialismus je war« (Kopper).570 Noch ein anderes »maurerisches Klüngelspiel«, das so bis jetzt als solches nicht erkannt worden ist, spielte sich ab: In der Phase zwischen dem Freispruch des Internationalen Militärtribunals und dem Entnazifizierungsverfahren deutscher Behörden gegen ihn, fuhr Schacht von Bayern, in dem seine Anwälte einen »vorläufigen Freibrief« erwirkt hatten, nach Baden-Württemberg zu einem Freund. Der Nürnberger Polizeipräsident informierte die württembergische Landesregierung von dieser Reise, woraufhin der Minister für Politische Befreiung sofort einen Haftbefehl gegen Schacht erließ. Doch der liberale Ministerpräsident Reinhold Maier wollte Schachts Verhaftung ohne großes Aufsehen verhindern und ließ ihm über Umwegen eine Warnung zukommen. Dennoch wurde er festgenommen, weil er die Warnung nicht ernst nahm. Fakt ist jedoch, dass der


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Ministerpräsidenten ihn »illegal« warnte. Warum? Der Vorgang wird verständlich, wenn man weiß, dass Reinhold Maier selbst ein sehr aktiver Freimaurer war! Von 1924 bis 1933 war er Mitglied der Loge »Zu den Drei Cedern« in Stuttgart und 1946 sogar Gründungsmitglied der Stuttgarter Loge »Furchtlos und treu«, der er bis zu seinem Tod angehörte. Er versuchte also seinem Logenbruder Schacht aus der Klemme zu helfen. Zu diesem Zweck war ja unter anderem auch das »Bruderband« geknüpft worden. Skandalös! »›Bruder‹ Hjalmar Schacht stellt zweifellos für die Geschichte der deutschen Freimaurer eine Belastung da«, bekennt Freimaurer und Journalist Tom Goeller daher auch reumütig. »Unabhängig von den gerichtlichen Freisprüchen hätte er 1949 nicht mehr in eine Loge aufgenommen werden dürfen. Denn es ist unstrittig, dass er ein entscheidender Steigbügelhalter auf Hitlers Weg zur Macht war. Das alleine hätte genügen müssen, ihn aus der Freimaurerei für immer auszuschließen. Leider muss indes vermutet werden, dass sich die Hamburger Loge ›Zur Brudertreue an der Elbe‹ 1949 eher geschmeichelt fühlte, einen ›namhaften‹ Freimaurer zu ihren Mitgliedern zählen zu können, als einen Helfershelfer Hitler zu bannen; ein weiterer Fleck in der Geschichte der deutschen Freimaurer.«

5.4 Freimaurer und Despoten: Logenbrüder Bongo und Nguesso571 Kennedy-Freund und Freimaurer (Albert Bernard) Omar Bongo (geb. 1936), seit dem Jahre 1967 Präsident auf Lebenszeit des westafrikanischen Staates Gabun ist seit 1983 Großmeister der Großloge des Landes. Hervorgetan hatte er sich mehrfach als Vermittler zwischen Kriegen und Krisen auf dem afrikanischen Kontinent, nahm es mit der Demokratie aber nicht immer ernst und verhielt sich wahrlich nicht nach freimaurerischen Prinzipien. Obwohl der westafrikanische Staat bitterarm ist, zählt der Logenbruder selbst zu den reichsten Männern der Welt! Zudem gilt er als bestechlich, war beispielsweise im Skandal um den Ölkonzern Elf Aquitane verwickelt, von dem er jahrelang hohe Provisionen erhalten haben soll. Auch sein Logenbruder Denis Sassou Nguesso, in eine französischsprachige Loge zum Freimaurer aufgenommen, Präsident der


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Republik Kongo und seit Januar 2006 Vorsitzender der Afrikanischen Union, hatte sich hemmungslos an seinem eigenen Volk bereichert. Gelder, die dem Staat als Entwicklungshilfe zukommen sollten, verschwendete er für sich persönlich. So belief sich beispielsweise seine Hotelrechnung bei der UN-Vollversammlung im September 2005 in New York auf satte 300 000 Dollar!

5.5 Freimaurer und »Okkultisten«: Logenbrüder Höglhammer und Schorno572 Im Oktober 1995 kam es ausgerechnet im Land der Eidgenossen, der Schweiz, zu einem beispiellosen Eklat. Hier lief nach maurerischem Denken einiges aus dem Ruder, was hätte niemals an die Öffentlichkeit kommen dürfen. Das-aus-de-Ruder-Gelaufene nährte nämlich den Verdacht, dass die Freimaurerei doch nichts anders als ein okkulter oder sektenähnlicher Geheimbund sei. Grund für das ganze Spektakel waren zwei »ehrwürdige« Logenbrüder: Werner Schorno, der damalige Großmeister der Loge Alpina, seines Zeichens auch Staatsanwalt von Bern (!) und Hermann Höglhammer, sein Logenstellvertreter. Es stellte sich nämlich heraus, dass die beiden Freimaurer nicht nur führende Positionen in der Schweizer Großloge Alpina innehatten, sondern auch im »Orden vom Goldenen Gral«! In dieser sektenähnlichen, okkulten Organisation war Höglhammer Großmeister und Schorno sein Stellverteter. Welch verdrehte Welt. Höglhammer arbeitete als Schulleiter einer Berner Privatschule! Er schmückte sich jedoch mit fragwürdigen oder gar falschen Titeln wie »Prof. Dr. phil.«. Ferner schrieb er in seinem Buch Tränen der Sphinx und unter seinem Pesudonym Alram von Avalon über okkulte Rituale, bei denen er drei Blutstropfen im »Heiligen Feuer« verbrannte und mit dem Blut des »Herrn« vereint hatte. Doch damit nicht genug. Er soll im Keller seiner Privatschule Rituale mit Totenschädeln und einem als Skelett verkleideten Ordensbruder durchgeführt haben. Mit dabeigewesen sei, so ehemalige Mitglieder, auch der Staatsanwalt Schorno, der dies heftig dementierte. Es nützte jedoch nichts, denn das fünfköpfige Direktorium, das aus Berner Freimaurern bestand, erklärte im Oktober 1995 den Rücktritt. Damit war die schweizerische Großloge das erste Mal ohne Führung.


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5.6 Freimaurer und Judenhasser: Logenbruder Henry Ford573 Er war ein unfreundlicher Mann mit verschrobenen politischen und gesellschaftlichen Ansichten, von Vorurteilen geprägt und primitiv, aber der Besitzer der größten Automobilfabrik der Welt in Detroit und Freimaurer: die Rede ist von Henry Ford (1863–1947), Meister der Palestine Lodge No. 357 in Detroit seit 1894 und seit 1947 Mitglied der Zion Lodge No. 1. Er war so sehr in seinem freimaurerisches Denken gefangen, dass bei der Zeremonie zur Erhebung zum Meister vom Stuhl sogar der Tempel der Palestine Lodge No. 357 in der Werkhalle von Mitarbeitern in Overalls aufgebaut wurde! Ford war es gelungen aus den Automobilen, die in der Frühzeit nichts weiter als Luxuspielzeuge und Statussymbole waren, preiswerte Nutzfahrzeuge zu machen und sie mit Erfolg zu vermarkten. Am Ende des Ersten Weltkrieges war fast jedes zweite, weltweit verkaufte Automobil ein Ford. Der Logenbruder stellte bereitwilliger als die meisten anderen Unternehmer zu jener Zeit auch Schwarze, Einwanderer, Ex-Sträflinge und Behinderte ein, gliederte seiner Firma eine »soziologische Fakultät« an, deren Aufgabe darin bestand, den Arbeitern »moralische Tugend« beizubringen. Und das nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch zu Hause. Henry Ford gelangte schon bald in den Dunstkreis der Reichen und Mächtigen, schließlich besaß er mehr Geld, als er eigentlich ausgeben konnte. So zeigten Fotografien ihn beispielsweise neben dem amerikanischen Präsidenten Wilson. Verschwörungstheoretiker wie Dieter Rüggeberg unterstellen Ford in seinem zweibändigen Werk Geheimpolitik einen bedeutenden antisemitischen Einfluß nicht nur auf Deutschland und Amerika, sondern weltweit. Aber entspricht dies auch den Tatsachen? Fakt ist: In Ford reifte nicht nur Prestige und Machthunger, sondern noch etwas anderes, verhängnisvolles, unheilvolles: antisemitische Überzeugungen, die immer paranoider wurden! Logenbruder Ford ließ verlauten, dass die »jüdischen Bankiers« in Deutschland den Ersten Weltkrieg vom Zaun gebrochen hätten. Und er suchte Kontakt und Freundschaft zu Menschen mit ähnlichen Überzeugungen und mit denselben Ressentiments gegen die Juden. Zu Logenbruder Augustus Charles Lindbergh (1902–1974) beispiels-


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weise, dem amerikanischen Nationalhelden, der später zum Freund und Propagandisten der Nazis wurde. Lindbergh, ein Judenhasser, war Mitglied der Keystone Lodge 243 in St. Louis. Er war der Held, dem 1927 als erstem mit seinem Flugzeug Spirit of St. Louis der Transozeanflug von Amerika nach Europa gelang. Vor Flugantritt hatte er noch seine freimaurerischen Dokumente am Rumpf des Flugzeuges befestigt. Später war er Gegner des Kriegseintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg, wurde wegen seiner Pro-Nazi-Haltung isoliert, sogar aus der Armee entlassen, diente aber weiter als Versuchspilot und wurde 1954 rehabilitiert. Freimaurer Henry Ford kaufte 1919 die Zeitung The Dearborn Independent, die er von nun an zum Sprachrohr seiner judenhasserischen Ansichten machte. Um es mit den Worten von Douglas Brinkley in Wheels fort the World zu sagen: »Er war vom Teufel besessen, wenn es um das Thema Juden ging.«574 Ford unterschied sogar zwischen »arischem« und »jüdischem« Kapital. Unter anderem veröffentlichte er in seiner Zeitung seine regelmäßige persönliche Kolumne »Der internationale Jude: das vordringlichste Problem der Welt«. Im ersten Artikel ist Fords Judenhass per se greifbar: »Es gibt eine Rasse, einen Teil der Menschheit, der nie willkommen war, der es aber geschafft hat, sich zu einer Macht zu erheben, die sich nicht einmal die hochmütigste nichtjüdische Rasse je angemaßt hat – auch nicht im Rom ihrer stolzesten Tage«, heißt es da beispielsweise.575 Die Aufsätze und Leitartikel in Fords Zeitschrift klagten führende jüdische Persönlichkeiten an, die die US-Präsidenten Taft und Wilson als Marionetten benutzt haben sollten. Weiter hieß es bei Ford, jüdische Bankiers hätten den Ersten Weltkrieg angezettelt und die Russische Revolution geschürt. Ferner wurde die »jüdische Weltverschwörung«, bestehend aus 300 Juden, der Korruption an der Wall Street angeklagt sowie der Verantwortung für den amerikanischen Bürgerkrieg und die Ermordung Abraham Lincolns. »Was Juden durch Geld, Medien oder Manipulation nicht erreichten, würden sie erreichen, indem sie den sexuellen Perversionen der Mächtigen und Prominenten Vorschub leisteten« (Ben-Itto). Alles, und wenn es auch noch so obskur war, wurde einer jüdischen Weltverschwörung in die Schuhe geschoben: Jazz, kurze Hosen, heruntergekrempelte Socken, steigende Mieten und so weiter. Diese Artikelserie, die in über 91 Ausgaben lief, stürzte das Land


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in eine wahre Verschwörungshysterie und wurde im Buch The International Jew (Der internationale Jude – ein Weltproblem oder auch: Der ewige Jude) zusammengefasst. Es wurde in 16 Sprachen verkauft und sogar ins Arabische übersetzt. In den USA gingen ebenfalls Millionen dieses Machwerks über den Ladentisch, in Deutschland erschienen bis Ende 1933 allein 29 Auflagen! Der ewige Jude wurde zur »Bibel der Antisemiten«, in der die Weltverschwörung als Werk der Juden und Bolschewiken, nicht aber der Freimaurer erschien. Kein Wunder, schließlich war Ford ja selbst Logenbruder. Hadassa Ben-Itto erklärt in seinem Buch Die Protokolle der Weisen von Zion – Anatomie einer Verschwörung: »Die nationale Marktkraft und das Vermögen der Ford Motor Company wurden bewusst dafür eingesetzt, Judenhass zu verbreiten.«576 Sogar die christlichen Kirchen gingen im Jahre 1920 auf Distanz zu Ford und sprachen von »Rassenhass und Feindseligkeiten gegen unsere jüdischen Mitbürger«, die von Zeitungen geschürt würden und »lächerliche Anschuldigungen enthalten«. Die amerikanischen Juden verweigerten massenhaft den Kauf von Ford-Autos. Selbst hohe Politiker wie Woodrow Wilson und William Howard Taft, 27. Präsident der USA und ebenfalls Freimaurer, beteiligten sich 1921 am Protest gegen die antisemitische Hetzkampagne des Judenhassers Ford. Doch dessen Antwort war schockierend, als er bekannte, keinem Rassenhass Vorschub leisten zu wollen, sondern nur die »dummen Nichtjuden« mit der Nase auf die angeblichen »Ränke der Juden« stoßen zu wollen. Am 17. Februar 1921 erklärte Ford in einem Interview mit der New York World: »Das einzige, was ich über die Protokolle (der Weisen von Zion, Anm. d. Autors) sagen kann, ist, dass sie mit dem Weltenlauf Schritt halten. Sie sind 16 Jahre alt, und sie haben immer auf die Weltlage gepasst. Sie sind auch heute noch aktuell.«577 Nach der Androhung einer Verleumdungsklage wegen seiner Ausfälle gegen die Juden und auf Grund negativer Verkaufszahlen distanzierte sich Ford von dem unter seinem Namen veröffentlichten Werk. Er setzte seine Unterschrift unter eine öffentliche Entschuldigung, die er aber nie gelesen haben will. Seine persönlichen antisemitischen Überzeugungen blieben dennoch die alten. Die Juden waren für ihn die »Erzfeinde der Menschheit« schlechthin und er war nach wie vor überzeugt vom Inhalt des Buches, denn das bewiesen seine


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früheren antisemitischen Äußerungen. Er heuerte sogar Detektive und Spione an, die Schmutz sammeln und über bekannte Juden ausschütten sollten, um so die jüdische Verschwörung beweisen zu können! Diese Detektive glaubten die Verschwörer in der jüdischen Gemeindeorganisation New Yorks gefunden zu haben, die angeblich sogar mit Präsident Wilson zusammenarbeitete. Einer war von Fords Der ewige Jude ganz besonders fasziniert: Adolf Hitler, der 1924 an seinem Buch Mein Kampf arbeitete und umfangreiche Passagen von Ford übernahm, ihn sogar als einen »großen Mann« bezeichnete! Zudem soll er sich das Foto des Freimaurers Ford auf den Schreibtisch gestellt haben. Einem amerikanischen Reporter gegenüber äußerte Hitler, dass er »Heinrich« Ford als »seine Inspiration« betrachtete. Einer von Hitlers engsten Mitarbeitern, Dietrich Eckart, bezeichnete die Protokolle der Weisen von Zion und Henry Fords Der ewige Jude ausdrücklich als Quellen der Anregung für den Nazi-Diktator.578 Festzustehen scheint, dass Hitler das antisemitische Werk des Logenbruders Ford als eines seiner wichigsten Propagandamittel einsetzte. Logenbruder Ford entwickelte sich seinerseits zum Bewunderer von Hitler, finanzierte faschistische und antiamerikanische Parteien, um den Kampf gegen die Juden voranzutreiben. 1928 fusionierten gar die deutschen Niederlassungen von Henry Ford mit jenen der I. G. Farben. Die deutschen Chemiefabriken stellten nicht nur das im Ersten Weltkrieg angewandte Chlorgas her, sondern sollten später gar das Millionen Juden todbringende »Zyklon B«, das beispielsweise in den Gaskammern von Auschwitz und Buchenwald verwendet wurde, produzieren!579 In den 1930er Jahren nahm Logenbruder Henry Ford öffentlich Partei für Nazi-Deutschland. Im Juli 1939 verlieh ihm Hitler als erstem Amerikaner die für einen Nicht-Deutschen höchste Ehrenauszeichnung, das »Großkreuz des Deutschen Adlerordens«. Hitler hatte diesen Verdienstorden persönlich gestiftet, um Ausländer zu ehren, die sich um das Deutsche Reich verdient gemacht hatten. Ford soll sogar die Protokolle benutzt haben, um den US-Senat zu überreden, sich nicht Präsident Wilsons Völkerbund anzuschließen. David Landes, einer der führenden amerikanischen Wirtschaftshistoriker, schrieb: »Manche islamistischen Gruppen haben Fördergelder von der Ford Foundation erhalten, die auf dem Papier nichts mit dem


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Autounternehmen zu tun hat, aber ihren langen Schatten auf es wirft.«580 Wie sehr Freimaurer ihren Logenbruder »decken«, zeigt die Tatsache, dass in einigen Publikationen gar nichts über den Judenhass Fords und seine Anbiederung an Hitler-Deutschland publiziert wird! Weder im Internationalen Freimaurer Lexikon noch beispielsweise bei Jürgen Holtorfs Die Logen der Freimaurer findet man dazu einen Hinweis. Und das obwohl eine neue Ausgabe von The International Jew des Logenbruders und Judenhassers Henry Ford erst 1993 erneut herausgegeben worden war! Auch das ist eine Schande.

5.7 Freimaurer und Konzentrationslager (KZ): Logenbruder Horatio Herbert Kitchener581 Lord Horatio Herbert Kitchener (1850–1916), von 1914 bis 1916 englischer Kriegsminister, befehligte 1898 als Feldmarschall eine britisch-ägyptische Armee. In der Schlacht bei Omdurman wurden über 10 000 Derwisch-Krieger mit Maschinengewehren und Dumdumgeschossen massakriert. Der Leichnam des Mahdi wurde durch Enthauptung geschändet. Gerüchte besagten, Kitchener habe sogar erwogen, den Kopf des heiligen Mannes als Tintenfass oder Trinkschale verarbeiten zu lassen oder, besser noch, als Kuriosität an das Royal College of Surgeons nach London zu senden. Logenbruder Kitchener war auch Oberbefehlshaber im so genannten Burenkrieg (1899–1902) in Südafrika. »Buren« (Bauern) waren eingewanderte, holländischstämmige Siedler. Freimaurer Kitchener verfolgte die Strategie der »verbrannten Erde«, bei der insgesamt 22 000 Briten und 12 000 Kämpfer aus afrikanischen Hilfstruppen ums Leben kamen. Das Internationale Freimaurer Lexikon schreibt hierzu fast pathetisch: »Kitchener tat sich besonders in Kolonialfeldzügen hervor, besiegte den Mahdi in der Schlacht bei Omdurman und beendete den Burenkrieg.«582 Doch so einfach war das nicht, denn Kitchener vermochte es trotz der Übermacht seines Heeres, das rund 450 000 Soldaten zählte, nicht, die burische Guerilla zu zerschlagen. So griff er zum Mittel der Konzentrationslagerpolitik. Er ließ Dutzende von Konzentrations-


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lagern einrichten. Am 22. September 1900 erhielt Generalmajor J. G. Maxwell, Militärgouverneur von Pretoria, den Befehl, Frauen und Kinder von burischer Abstammung in ein Konzentrationslager einzuweisen.583 Der Plan war, dass, wenn die burischen Frauen und Kinder in den Händen des Feindes waren, ihre Männer und Väter am schnellsten zur Kapitulation gezwungen werden konnten. So errichteten die Engländer mehr als 40 Konzentrationslager (manche Quellen sprechen von 58), in denen mehr als 110 000 Buren interniert wurden (45 000 im Oranje-Freistaat, 25 600 in Natal, 43 000 in Transvaal). Viele davon waren Kinder – von den Gefangenen in Natal befanden sich beispielsweise 10 800 im Kindesalter! Der Historiker Ewald Steenkamp schreibt dazu: »In den Räumlichkeiten liegen die Frauen, Kinder und Säuglinge, alle bis auf das Skelett abgemagert und totenbleich vor Hunger und Krankheit. Und überall sind Fliegen, die Überträger von allerlei Arten von Krankheitskeimen. Die Fliegen kriechen in die Nasenlöcher der kleineren, schwächeren Kinder, und nach kurzer Zeit kriechen Würmer aus deren Nasen heraus.«584 Neben Körperverletzungen kamen auch sexuelle Nötigungen vor, wie Zeugenaussagen aus jenen Tagen belegten.585 Die Sterblichkeitsrate stieg durch Masern, Fieber, Lungenentzündungen und Ödeme stark an. Etwa zehn Prozent der burischen Bevölkerung starb in den englischen Konzentrationslagern. Der Politik und Zeitgeschichtler Hans-Peter Schwarz schreibt in seinem Buch Das Gesicht des Jahrhunderts – Monster, Retter und Mediokritäten dazu: »In dem von ihm (Kitchener, Anm. d. Autors) eingerichteten Konzentrationslagern gehen cirka 20 000 Familien zugrunde.«586 Der Mitverantwortliche für diese Konzentrationslager, Lord Horatio Herbert Kitchener (of Khartoum), wurde während seines Ägyptenaufenthalts Freimaurer. Er war »Past-Großaufseher« der »Großloge von England« und »Distrikt-Großmeister« für Ägypten und den Sudan. Darüber hinaus war er einer der Stifter der Drury Lane Lodge No. 2127 in London. Logen in Bolton, Simla und Kairo tragen sogar seinen Namen! Kitchener starb auf dem Kriegsschiff Hampshire, das im Ersten Weltkrieg vor den Orkney-Inseln auf eine deutsche Seemine gelaufen war. Kitchener, der von den Freimaurern ja fast schon verehrt wird, wenn sogar Logen seinen Namen tragen, war bestimmt eines der


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negativsten Beispiele der Freimaurer-Geschichte. Durch seine Arbeit starben tausende in Buren-Konzentrationslagern, darunter viele Kinder. Daß Freimaurer sich auch heute noch nicht von ihm distanziert haben, widerspricht aber wirklich allem, was uns die Logenbrüder über Humanität, Brüderlichkeit und Gleichheit erzählen. In diesem Sinne war Maurer Kitchener gewiss kein Held, sondern ein Kriegsverbrecher.587

5.8 Freimaurer Freimaurer,, Atombomben und Massenmord: Logenbruder Harry Spencer TTruman ruman588 Ein weiterer »unehrenhafter« Freimaurer, den die Diskrete Gesellschaft nicht gerne an die »große Glocke«589 hängt, war Harry Spencer Truman (1884–1972), von 1945 bis 1953 der 33. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Er fungierte bis zum Tod seines Vorgängers und Freimaurer-Bruders Franklin Delano Roosevelt (1882–1945, aufgenommen 1911 in die Holland Lodge No. 8 in New York) dessen Stellvertreter. Truman war seit 1909 Freimaurer und später sogar der Großmeister der »Großloge von Missouri«! Und er gab die Befehle für die größten gewollten nuklearen Katastrophen, die die Welt bis heute gesehen hat: Am 6. August 1945, um 8.15 Uhr Ortszeit, warf der US-amerikanische B-29-Bomber Enola Gay das erste Mal in der Weltgeschichte eine Atombombe (Uran-235-Version mit dem Nicknamen Little Boy) in Kriegszeiten ab. Opfer wurde vor allem die japanische Zivilbevölkerung! In der Küstenstadt Hiroshima verbrannten auf Grund der Detonation der Waffe, die eine Sprengkraft von 13 Kilotonnen TNT-Äquivalent hatte, zwischen 78 000 und 90 000 wehrlose Frauen, Kinder und Männer. Weitere 50 000 Menschen starben Jahre bis Jahrzehnte später an der Strahlenkrankheit. Freimaurer Trumans Weißes Haus rief die Japaner daraufhin zur Kapitulation auf, oder es werde weiteres »Verderben aus der Luft regnen«. Als keine Antwort erfolgte, startete am 9. August ein weiterer B-29-Bomber, die Bockscar, um die zweite Atombombe (Plutonium-239-Version mit dem Nicknamen Fat Man) abzuwerfen. In der Küstenstadt Nagasaki starben durch die atomare Implosionsbombe mit einer Sprengkraft von 20 Kilotonnen TNT zwischen 25 000 und 36 000 Zivilisten. Rund 40 000 kamen durch die Spätfolgen der


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atomaren Verstrahlung ums Leben. Japan kapitulierte schließlich. Der Test des Effektes nuklearer Explosionen über Großstädten war für die Amerikaner und für Logenbruder Truman von Erfolg gekrönt. Im Freimaurer Politiker Lexikon liest sich dieses Kriegsverbrechen, dieser Massenmord an fast einer Viertelmillion (mitgerechnet die Toten nach der Verstrahlung) Zivilisten einfach so: »… Er (Truman, Anm. d. Autors) … beendete den Krieg gegen Japan durch den Einsatz der Atombombe …« Mehr nicht. Es ist ein Skandal, dass die Freimaurer ihre Werte von Brüderlichkeit, Freiheit, Gleichheit und Toleranz so hoch halten, wenn es Kriegsverbrecher und Massenmörder wie Harry S. Truman in ihren Reihen gibt, der den Befehl gab, wehrlose Menschen in den Tod zu bomben und ihr Lebensumfeld auf Jahre und Jahrzehnte hin nukklear zu verseuchen.

5.9 Fazit über Freimaurer und unehrenhafte Logenbrüder Zur Thematik der unehrenhaften Logenbrüder habe ich ebenfalls die deutschen, österreichischen und schweizer Freimaurer-Großlogen befragt: »Neben vielen ›ehrenhaften‹ Logenbrüdern gab es auch viele ›unehrenhafte‹. Warum wurden folgende ›Brüder im Geiste‹ nicht aus dem Freimaurerbund ausgeschlossen, weil sie doch eigentlich massiv, gar skandalös gegen die Prinzipien der Freimaurerei verstoßen haben? – Friedrich Wilhelm II. (vergnügte sich jahrelang mit der – zur Beginn seines Verhältnisses – zwölfjährigen Wilhelmine Enke. Nach heutigem Maßstab war er dadurch pädophil!), Talaat Pascha (der zwischen 1915 und 1917 und 1919 und 1921 eine »ethnische Säuberung« anordnete, bei der zwischen 600 000 und 1,5 Millionen Armenier ihr Leben verloren und Pascha dadurch zum »Völkermörder« wurde), Hjalmar Schacht (Nazi und Wirtschaftsminister unter Hitler sowie sein Wegbereiter, freigesprochen beim Nürnberger Prozess (weil er vielleicht Logenbruder war?), von den deutschen Behörden dennoch inhaftiert und dann freigesprochen, sogar trotz seiner Vergangenheit 1949 »erneut« in eine Loge (»Zur Brudertreue an der Elbe« in Hamburg aufgenommen), Omar Bongo (Präsident von Gabun, sein Land versinkt in Armut, er gehört zu den


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reichsten Männern der Welt, ist bestechlich), Denis Sassou Nguesso (Präsident der Republik Kongo, verschwendet Entwicklungshilfegelder, die für sein Land gedacht sind, für sich selbst), Henry Ford (erklärter Antisemit, der mit Der internationale (oder Der ewige) Jude für Judenhass auf der ganzen Welt sorgte und damit auch Adolf Hitler beeinflusste; bekam von ihm sogar das »Großkreuz des Deutschen Adlerordens« überreicht!), Harry S. Trumann (der durch die Verantwortung für den Abwurf der Atombomben auf Nagaskai und Hirsohima zum »Massenmörder« wurde), Horatio Kitchener (Erfinder der ersten Konzentrationslager im Burenkrieg).« Wiederum antwortete nur der Großmeister der »Großloge von Österreich«, Michael Kraus:590 »Zu den ›unehrenhaften‹ Brüdern aus anderen Ländern habe ich als österreichischer Großmeister nicht Stellung zu nehmen, möchte Ihnen aber versichern, dass wir in Österreich (aber auch anderswo) sehr darauf bedacht sind, Verfehlungen zu ahnden und sie mit Ausschlüssen zu belegen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, die – was Österreich anlangt – erstens sehr selten sind und zweitens eine breite Öffentlichkeit auch wirklich nicht interessieren.« Der letzte Satz scheint wie Hohn angesichts der vielen Hunderttausenden von Opfern, die auf Freimaureraktivitäten zurückgehen und in keinster Weise zu rechtfertigen sind. Warum distanziert sich die Diskrete Gesellschaft weltweit nicht von diesen wahrhaft unehrenhaften Logenbrüdern? Warum lässt sie alles beim Alten und macht damit ihre gesamte Weltanschauung mehr als unglaubwürdig?


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Nachwort591 Als vom 6. bis 8. Juni 2007 die einflussreichsten Regierungschefs der Industrienationen der Erde im deutschen Heiligendamm, zum so genannten »G 8«-Gipfel, dem »mächtigsten Club der Welt«, zusammenkommen, sprechen »Verschwörungstheoretiker« von einer Versammlung der »Weltherrscher«. Selbst ein renommiertes Nachrichtenmagazin wie Der Spiegel bezeichnet das Ganze als eine »Art Weltregierung«. Denn wer von den Profanen, den Nichteingeweihten, weiß denn schon wirklich, ob die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der US-amerikanische Präsident George W. Bush, der russische Präsident Wladimir Putin, der französische Präsident Nicolas Sarkozy, der Ex-Premier Großbritanniens, Tony Blair, der italienische Ministerpräsident Romano Prodi, der japanische Premier Shinzo Abe oder der kanadische Premierminister Stephen Harper nicht zum Freimaurerbund oder zu anderen Geheimgesellschaften gehören? Von Bush jedenfalls, dem mächtigsten Mann der Weltmacht Nr. 1, ist seine Geheimbund-Zugehörigkeit zu den Skull & Bones bekannt. Und das ist keine Verschwörungstheorie, sondern Fakt! Alexandra Robbins, die sich sehr ausführlich mit den Skull & Bones beschäftigt hat, meint hierzu, dass »es den Personen, die unser Land repräsentieren – vor allem dem Präsidenten der USA – nicht gestattet sein sollte, irgendeiner geheimen Gruppierung anzugehören. Geheimhaltung verträgt sich nicht mit Demokratie. Wir brauchen eine gewisse Transparenz in unserer Regierung, damit wir die von uns Gewählten für ihre Aktionen auch zur Rechenschaft ziehen können.«592 Ob Skull & Bones, Freimaurer oder andere Weltanschauungsgruppierungen, wie beispielsweise Scientology – man kann den Ausführungen von Alexandra Robbins nur voll und ganz zustimmen. Dass es oft an der von ihr angemahnten Transparenz und Offenheit fehlt, die nötig wäre um herauszufinden, welche Politiker in welchen (Freimaurer-)Vereinen oder Logen Mitglieder sind, habe ich in


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Deutschland, Österreich und der Schweiz nachgewiesen. Schon alleine das macht Angst und betroffen, denn eine solche Transparenz in Bezug auf die Politiker sollte nicht nur, sondern muss in einer Demokratie unbedingt vorhanden sein, um geheimbündlerischen politischen Missbrauch, wie im Falle Italiens mit der Propaganda Due (P2) aufgezeigt, nicht Tür und Tor zu öffnen. Speziell Politiker in Deutschland sollten sich nach den leidvollen Erfahrungen des Dritten Reiches dieser Verantwortung dem Wähler gegenüber endlich bewusst werden. Denn auch Adolf Hitler und seine Nazi-Organisationen hatten sich zunächst als »Wölfe im Schafspelz« gezeigt. Bis es zu spät war und die halbe Welt in einem Chaos aus Krieg, Tod, Zerstörung, Blut, Massenmord und atomaren Katastrophen mikt Millionen von Toten versank. »Wehret den Anfängen«, heißt es nicht umsonst, und auch deshalb müssen Politiker sich endlich »outen«, wenn es darum geht in Erfahrung zu bringen, welchen Geheimgesellschaften oder Vereinen sie letztlich angehören! Die Gesetzgebung der letzten Jahre hat aus uns schon längst einen »gläsernen« Bürger gemacht, deshalb können wir umgekehrt auch einen »gläsernen« Parlamentarier verlangen. Das ist mehr als nur recht und billig. Bedenklich wird es meiner Meinung nach auch dann, wenn beispielsweise Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt vorschlägt, Treffen der Regierungschefs künftig abseits der Öffentlichkeit im Rahmen informellerer Kamingespräche abzuhalten. Ersetzt man das Wort »Kamingespräche« durch »Logen«, dann lässt auch das nujr wenige hoffnungsvoll in die Zukunft schauen. Schmidt sollte genau das Gegenteil fordern: Die Öffentlichkeit sollte über jeden Schritt der Politiker informiert sein und diese sollten sich eben nicht abseits der Öffentlichkeit zusammentun können. »Transparenz« heißt das demokratische Zauberwort, das ich als Journalist im Umgang mit der Thematik der Freimaurerei mehr als einmal vermissen musste. Die Freimaurer selbst sind emsig bestrebt, ihr »wahres« Geheimnis und ihre teils krude Weltanschauung zu hüten. Besonders bemerkenswert sind jene Politiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die offensichtlich Freimaurer sind bzw. gute Kontakte zu ihnen haben. Versucht man, etwas über ihre Zugehörigkeit zu den Brüdern im Geiste herauszufinden, dann bekommt man ausweichende Antworten, kritische Fragen werden meist ignoriert oder man erntet nur eisiges Schweigen. Allein die (deutsche) FDP stellt hier vielleicht


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eine kleine Ausnahme dar. Insgesamt betrachtet schaffen Freimaurer und Politiker somit eine Kultur des Schweigens, Abblockens, Verweigerns und wenden sich damit gegen einen offenen Dialog bzw. eine offene Diskussion, wie diese eigentlich für eine demokratische Gesellschaft üblich sein sollte. Dieses »Abschotten« zum Thema Freimaurerei hat schon fast etwas Sektiererisches an sich. Dieses Buch belegt vielleicht auch, warum das so ist. Das alles ist traurig für eine Demokratie, traurig für die Politik, traurig vor allem für die Öffentlichkeit, die Bürger, die Wähler, die somit von ihren Parlamentariern im wahrsten Sinne des Wortes im Dunkeln, im Unklaren gelassen werden. Von Abgeordneten, die von uns Bürgern in ihr Amt gewählt wurden, ist anderes zu erwarten. Das sollten die Damen und Herren nicht vergessen werden, denn die nächsten Wahlen kommen bestimmt. Natürlich darf bei all dem Negativen, das ich in diesem Buch präsentiert habe, nicht vergessen werden, dass die Freimaurerei auch viel Gutes getan hat. Sie trieb die europäische Aufklärung voran und hat diese auch aktiv mitgestaltet, hohe Ideale und Ziele verfolgt und diese umzusetzen versucht. Doch leider existiert auch eine andere, weniger integere, ja sogar kriminelle Freimaurei. Das darf nicht vergessen werden. Diesem Umstand muss sich die Diskrete Gesellschaft, spätestens jetzt im 21. Jahrhundert, endlich stellen, denn die Blutspuren einer Amerikanischen oder Französischen Revolution, eines Staatsterrors, wie ihn beispielsweise Italien erlebte, einer nuklearen Katastrophe, eines weltweiten Antisemitismus oder »politischer« Ritualmorde kann man nicht einfach mit weißen Handschuhen am Maurerschutz abwischen. Man muss sich dafür verantworten und das betrifft auch die viel gepriesenen und gelobten Brüder im Geiste. Auch noch etwas anderes ist zu kritisieren: Die Welt ist moderner geworden, die Freimaurerei aber klammert sich mit seit Jahrhunderten verknöcherten Fingern fast dogmatisch an die Alten Pflichten von 1723, strebt nach menschlicher Vervollkommnung, eingefügt in einem »Tempelbau der Menschheit«, der jedoch bei näherem Hinsehen auf einem Fundament aus frauenfeindlichen, einst antisemitischen und magisch-okkultistischen Traditionslinien steht. Und sie vergisst ganz beiläufig zu erwähnen, dass diese »Veredelung« des Einzelnen eigentlich ein Leben lang unter der Kontrolle einer strengen Loge


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geschieht, eingebunden in teils lächerlich wirkende uralte Rituale. Ist das alles wirklich erstrebenswert für aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts? Man mag dies zu Recht bezweifeln. Trotz dieser Starrheit im System der Freimaurer besitzen die Brüder auf Grund ihrer prominenten Mitglieder ein ungeheueres »Machtpotential«, das aus allen Bereichen der Politik, der Kultur, des Adels und Militärs, der Wissenschaft und der Medien gespeist wird. Und diese »Macht« darf nicht hinterfragt werden, denn sonst wird schnell klar, dass Freimaurer doch Politik machen, zumeist nicht als Organisation – obwohl es auch hier Ausnahmen gibt, siehe beispielsweise in Frankreich oder Italien –, aber durch die einzelnen LogenMitglieder. Natürlich ist das Ganze eigentlich Augenwischerei, denn wenn beispielsweise im Fußball einzelne Spieler erfolgreich sind und ein Tor schießen bzw. im negativen Fall eine Niederlage zu verantworten haben, dann gewinnt oder verliert nicht der Einzelne, sondern die ganze Mannschaft! Der individuelle Spieler kann sich dann auch nicht mit dem Argument herausreden, dass er zwar auf dem Spielfeld war, er aber mit dem Spiel nichts zu tun hatte. Und genauso verhält es sich mit der politischen Betätigung der Freimaurer: Jeder einzelne Logenbruder, der politisch etwas bewirkt, bewirkt dies auch für die Freimaurerloge, die Freimaurerei insgesamt. Zudem gilt für ihn, dass er als Politiker der freimaurerischen Ideologie nicht zuwiderhandeln darf. Das heißt im Klartext: Mache freimaurerische Politik – Politik im Sinne der Loge(n)! Somit ist bei genauer Betrachtung auch das so genannte »wahre« maurerische Geheimnis ein Schlag ins Gesicht einer jeden Demokratie, denn unter dem Logendach vereint sitzen Politiker aller Parteien, die sich nach außen hin in den Parlamenten und Gremien zumeist als erbitterte Gegner zeigen, sich in Wirklichkeit aber einer Politik und Ideologie verschrieben haben: der der Freimaurerei. Natürlich soll diese Tatsache von der profanen Öffentlichkeit nicht durchschaut werden, denn geschieht das, dann erkennt jeder dieses politische »Volkstheater«. Dass Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit durchaus lobenswerte Ideale der Freimaurer sind, dürfte allgemein bekannt sein. Dass diese Ideale aber oftmals von ihnen selbst mit Füßen getreten worden sind, habe ich bei den »zwielichtigen« Logenbrüdern Friedrich Wilhelm II., Talaat Pascha, Hjalmar Schacht, Henry Ford, Herbert


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Kitchener, Harry S. Truman und anderen aufzuzeigen versucht. Von ganzen kriminellen Strukturen, die das taten, wie beispielsweise der P2, ganz zu schweigen. Letztlich bleibt zu wünschen und zu hoffen, dass die Freimaurerei ihre (auch) kriminelle Vergangenheit endlich aufarbeitet und sich kritischen Logenbrüdern stellt, zudem ihre Tempel-Pforten öffnet, nicht in Hinblick auf ihre Rituale, die den aufgeklärten Menschen von heute ohnehin nicht sonderlich interessieren dürften, sondern in Hinblick auf ihre Mitglieder. Kein anderer Verein hält seine Mitgliederlisten so geheim. Nur die Freimaurer tun dies. Und genau das darf in einer Demokratie nicht sein, zu deren Grundwerten die Freimaurer doch nach eigenem Bekunden scheinbar stehen. Allein auf Grund der Geheimhaltung ihrer Mitgliedernamen machen sich die Logen wie auch die Freimaurei insgesamt – neben vielen anderen Aspekten, die ich in diesem Buch aufgezeigt und belegt habe – unglaubwürdig. Kein Wunder, dass sie sich konstruktive Kritik gefallen lassen müssen, schließlich gehört auch das zu einer demokratischen und offenen Gesellschaft. Ein chinesisches Sprichwort sagt: »Wende dich stets der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich.« So sei es.


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