75 Jahre Haus der Kunst München

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FEUILLETON

HBG

Mittwoch, 18. Juli 2012, Nr. 164 DEFGH

75 Jahre Haus der Kunst München: Wie die Hochburg der NS-Kultur zur Heimat für die Avantgarde wurde

Verwandlungsglück

Kunst am unbequemen Ort

Das Haus der Kunst reflektiert seine Geschichte intelligent

Das Haus der Kunst zwischen Kontinuität und Kontamination Man kann sich so einem Koloss auch aus der Vogelperspektive nähern: Historisch und aus der Außensicht. Als der neue Hausder-Kunst-Leiter Okwui Enwezor bei einem seiner ersten Pressegespräche auf das besondere Erbe zu sprechen kam, das jeder antritt, der in diesem Gebäude arbeitet, das vor 75 Jahren als Haus der Deutschen Kunst von Adolf Hitler eröffnet wurde, begann er mit einer Aufnahme von der Weltausstellung in Paris 1937. Da ist der Prunkbau noch ein Modell, das stolz im Deutschen Haus an der Seine aufgebaut wird. Einen Steinwurf davon entfernt – im Pavillon Spaniens – habe Pablo Picassos „Guernica“ gehangen. Bald teilte sich die Welt – und das spanische Bild und die deutsche Architektur werden zu konträren Polen der Kunstwelt. Wobei der neoklassische Bau, von Paul Ludwig Troost in München als Bollwerk gegen die internationalen Avantgarden errichtet, dann mit dem NS-Regime fällt und deswegen dort „Guernica“ schlussendlich auch gezeigt werden kann. Solche Pointen liegen dem neuen Leiter, der vor kurzem 57 Millionen Euro vom Land Bayern für die Sanierung des Hauses zugesagt bekam. Wenn alles so kommt wie geplant, wenn auch der Westflügel und eine weitere Galerie mit ausstellungstauglicher Klima- und Sicherheitstechnik ausgestattet sind, wird sich die Ausstellungsfläche danach fast verdoppelt haben. Womit, ein Dreivierteljahrhundert nach Eröffnung, fest steht, dass im ehemaligen Haus der Deutschen Kunst auch weiterhin Kunst genutzt wird. Und Okwui Enwezor, in Nigeria geboren, ehemaliger Documenta-Leiter, stellt eines klar: Die ersten acht Jahre dieses Haus sind nur das erste Kapitel in einer langen Geschichte. Die grauen Vorhänge, mit der sein Vorgänger Chris Dercon einst die renovierte Eingangshalle so abteilte, dass pathetische Sichtachsen unterbrochen wurden, ließ Enwezor abnehmen. Jetzt sind die Achsen der symmetrischen Architektur wieder sichtbar, wie auch die wuchtige Ausgestaltung, die im Eingang über zwei Stockwerke reicht. Wer hier eintritt, fühlt sich klein. Die Stirnseite, vor der Hitler seine Reden zur Bedeutung der Kunst hielt, ist wieder sichtbar – und sie sieht fast aus wie ein Altar. Der Künstler Christian Philipp Müller hat sie mit formgeschnittenen Buchsbäumen und einem Poster akzentuiert – einer Aufnahme von einer Nachkriegsmodenschau. Müller verklammert zwei historische Momente zu einem Bild der Hilflosigkeit: Ist es richtig, heute hier immer noch die Kunst zu feiern? Oder Schönheit? Sogar Partys? Die Goldene Bar auf der Rückseite ist ein beliebter Treffpunkt.

Umzug zum Tag der deutschen Kunst vor dem Haus der Deutschen Kunst, 1939.

letzten Kriegsjahren so getarnt war, dass es von Bombenschäden verschont blieb. Als 1946 ein Ort gesucht wurde, an dem man Ausländern einen Überblick über neue deutsche Produkte geben konnte, empfahl es sich als „das einzige Gebäude, das über Heizung und Kantine verfügt“. Auf diese „Exportschau“ und ihren Gegensatz zu Hitlers rassistischen Kunstvorstellungen spielt Müller in der Mittelhalle ironisch an, wenn er dort, wo Hitler von der „freudigsten und innigsten Zustimmung der gesunden breiten Masse des Volkes“ sprach, das Riesenfoto eines Mannequins von der ersten Nachkriegsmodeschau zwischen zwei Lorbeerbäumen postiert. In den drei Sälen der Südgalerie vermitteln Einzelobjekte, Film- und Fotodokumente und Zitate ein intensives Gefühl der Geschichtsbrüche. Im ersten Saal, dem Eröffnungsjahr 1937 gewidmet, läuft ein im Film überliefertes Festzugspektakel: 18 Männer tragen das acht Meter lange Modell des Hauses wie einen Sarg auf den Schultern durch München. Entdeckt man das auch acht Meter lange, aber in weißer Schokolade gefertigte Modell des Kultbaus auf einem schwarzen Katafalk, kann man sich des Lächelns nicht erwehren.

Die Künstlerfaschingsfeste trieben den Nazigeist auf ihre Weise aus Im zweiten Saal treffen die Objekte, die 1937 brutal voneinander geschieden wurden, erstmals wieder aufeinander. Nun hängen die Bilder von Hitlers und Zieglers Gnaden nicht wie damals an den Wänden, sondern mit dem Rücken zum Eintretenden an quer gestellten stählernen Gittern. Die Werke aber, die nebenan als „Entartete Kunst“ zusammengepfercht waren –Marc, Beckmann, Schlemmer, Lehmbruck, Belling – hängen dafür jetzt an den Wänden. Sie treffen dort auf Bilder – in Ausstellungen zur Moderne entdeckt– von Picasso, Klee, Hofer, Nay, Winter, Geiger und Ende. Im dritten Saal werden die Errungenschaften des neu formierten Hauses mit Katalogen und Plakaten dokumentiert. Hier leben auch die Faschingsfeste wieder auf, mit denen Münchner Künstler das Haus auf ihre Weise entnazifizierten. Fazit: Der Wandel nach 1945 hätte kaum glücklicher ausfallen können. GOTTFRIED KNAPP

„Geschichten im Konflikt: Das Haus der Kunst und der ideologische Gebrauch von Kunst 1937 – 1955“ im Haus der Künsten in München bis 13. Januar 2013. Der Katalog erscheint erst im Februar.

„Das wird ein Schlag ins Kontor“

Die Ewigkeit der Rasse sollte im Dritten Reich sich abzeichnen in der Ewigkeit der Bauwerke „Das ist eine Frage, die sich jede Generation – und jeder neu berufene Ausstellungsmacher – hier stellen muss“, sagt Detlef Hoffmann, ein Kunsthistoriker, der in Oldenburg lehrte und in München lebt. Er ist als Berater im Denkmalschutz gefragt, vor allem bei den Hinterlassenschaften des Dritten Reichs – einer Zeit, in der Architektur, vor allem öffentliches Bauen, Königsdisziplin der Kunst war, ein Rahmen, eine Fassung für Propaganda, für Aufmärsche, Reden, Ausstellungen. Auch als ein Bild des Rassenwahns: „Der Nationalsozialismus verkündet die Ewigkeit der Rasse . . . Die immer wieder betonte Unveränderlichkeit der Rasse soll sich in der Ewigkeit der Bauwerke abzeichnen“, erkennt Hoffmann. Die Erkenntnis, dass man diese schon bei der Eröffnung in diffuser Weise ewig wirkenden Bauten, indem man sie erhält und aufwendig pflegt, in ihrer zentralen Aussage bestätigt, ist ein Paradox. Der Kunsthistoriker hält es im Übrigen für bemerkenswert, wiewenig Bauten ausgerechnet des Dritten Reichs von den Siegern zerstört wurden, die zwar den Ehrentempel am Münchner Königsplatz sprengten, Zentrum des Totenrituals der NSDAP – aber schon an den Parteibauten dort nur die Hoheitszeichen abmontierten, damit sie als Musikhochschule oder Universitätsinstitute weiter verwendet werden konnten. Den Zwiespalt, mit dem die Gegenwart jetzt pathetische Portikus-Architekturen, travertinverkleidete Fassaden und weite Aufmarschfelder konserviert, bringt der Denkmalschutz auf die Formel „Unbequeme Baudenkmale“ – wobei die von der Bundesrepublik zu pflegenden Hinterlassenschaften kontaminierter sind, als etwa die gar nicht unähnlichen faschistischen in Italien. „Das Fundament der Bauten des deutschen Nationalsozialismus ist eben immer der Massenmord“, sagt Detlef Hoffmann. Wer mit dem Rücken zur Fassade vor dem Haus der Kunst steht und auf die Staatskanzlei blickt, erkennt, dass Traufhöhe, Steinverkleidung und Gesimse wie aufeinander abgestimmt wirken. „Die repräsentative Architektur des Nationalsozialismus müsste als Fremdkörper im Stadtbild stehen“, sagt Detlef Hoffmann. Die zeitgemäße Nutzung sei dagegen kein Problem – solange sich jeder Nutzer immer wieder bewusst macht, an welchem Ort er sich einrichtet. „Ich erinnere mich beispielsweise an diesen Teppich, den Ai Weiwei hier ausgerollt hat. Das Muster war eine exakte Kopie der Maserung der Steinplatten. Eine zutiefst irritierende Verdoppelung – unter der dieser Ewigkeitsanspruch für eine Zeit einfach verschwand.“ CATRIN LORCH

FOTO: SZ PHOTO/VLADIMIR EFIMOV

Die Pole, zwischen denen sich die Ausstellung zur Geschichte des Hauses der Kunst bewegt, sind nirgends prägnanter zu fassen als in den extrem unterschiedlichen Exponaten auf der Pariser Weltausstellung 1937 : Im „Deutschen Haus“ thronte in der Mitte auf monströsem „Ehrenpodium“ ein neun Meter langes Modell des „Hauses der Deutschen Kunst“, darüber ein GemäldeTriptychon von Hitlers Lieblingsmaler, dem Präsidenten der Reichskammer der bildenden Künste, Adolf Ziegler, der für die „Säuberung“ deutscher Museen von „entarteter Kunst“ zuständig war. Unter dem anmaßenden Titel „Die vier Elemente“ hat Ziegler in Paris, im Zentrum der Moderne, vier brav gebürstete germanische Nackedeis so affektiert und verklemmt auf Holzsitzen posieren lassen, dass jeder Gedanke an „Elementares“ im Keim erstickt. Im spanischen Pavillon fiel Picassos apokalyptische Kriegs-Vision „Guernica“ mit nun tatsächlich elementarer Wucht über die Besucher her. Dieses kubistisch-expressive Gemälde beschwor jene Nacht im April 1937, in der die baskische Stadt Guernica durch deutsche und italienische Bomber zerstört wurde. Dann die wunderbare Wendung nach dem Krieg: Picassos Monument kreatürlichen Leidens – heute im Museum Reina Sofia in Madrid in eigenem Raum hinter Panzerglas – wurde nach 1945 ein einziges Mal in Deutschland gezeigt – im „Haus der Kunst“ , ausgerechnet in Hitlers architektonischem Lieblingsobjekt, in dem doch der „kranken“ Moderne seine angeblich „gesunde“ Version von Kunst gegenübergestellt werden sollte. Doch der Bau wurde in den ersten Nachkriegsjahren, nach temporärer Umwidmung als „Officer’s Club“ der Amerikaner und nach einer Folge von Ausstellungen, die als Entnazifizierungs-Akte gefeiert wurden, zu einem der wichtigsten Ausstellungsforen der Bundesrepublik umgeformt. Zum 75-jährigen Bestehen – Einweihung war am 18. Juli 1937 – gibt es eine Ausstellung, die als geschickt verdichtetes Resümee kritischer Überlegungen zur Geschichte, aber auch als intelligente Visualisierung der in den historischen Ereignissen enthaltenen bildnerischen Extremgegensätze gefeiert werden könnte. Im dramaturgischen Entwurf des Schweizer Konzeptkünstlers Christian Philipp Müller wird das Haus selber zum Objekt von Reflexion und Befragung. So hat Müller über den Säulenportikus an der Prinzregentenstraße Tarnnetze herunterlappen lassen, die daran erinnern, dass das Haus in den

Münchner Kunst-Sommer 1937. Adolf Hitler eröffnet das neue Haus der deutschen Kunst und propagiert diese als erhabene, fanatische Mission. Sein Propagandaminister Joseph Goebbels lässt in aller Hast die berüchtigte Ausstellung „Entartete Kunst“ zusammenstümpern VON WILLIBALD SAUERLÄNDER

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m 19. Juli 1937 herrschte in Süddeutschland strahlendes Hochsommerwetter. In der Kunststadt München wurde mit viel uniformierten Statisten zum ersten Mal der „Tag der deutschen Kunst“ begangen. Hitler eröffnete das „Haus der deutschen Kunst“, dessen monumentale Säulenfront vom Münchner Volksmund als die „Weißwurstgalerie“ bezeichnet wurde. Eines der ersten Gemälde, das man im Inneren bewundern konnte, zeigte Hitler als Ritter hoch zu Ross, den „Mann, welcher doch von jedem Pferd gefallen wäre“, wie mir Paul Frankl, ein damals entlassener Kunstgeschichtsprofessor, der später nach Amerika flüchtete, aber als neugieriger Jude den Mut gehabt hatte, die Ausstellung im neuen Haus zu besuchen, amüsiert 1961 in Princeton erzählte. Ich war 1937 13 Jahre alt, erinnere mich aber lebhaft an den Tag. Hitler hatte in seiner Eröffnungsrede den Entwurf des Architekten Adolf Abel für einen neuen Glaspalast am Botanischen Garten als „ein Gebäude, das ebenso gut eine sächsische Zwirnfabrik wie die Markthalle einer mittleren Stadt, unter Umständen auch ein Bahnhof, ebenso gut allerdings auch ein Schwimmbad hätte sein können,“ verspottet. Er wollte einen Monumentalbau als Bedeutungsträger und bekam ihn ja auch von Paul Ludwig Troost. Nun war Adolf Abel ein Freund meines Vaters und der offenbar zutiefst erschrockene Mann floh aus München und traf gegen Abend bei uns in Oberschwaben ein. Diese Anekdote ist nicht weiter von Belang. Aber damit sind wir eigentlich schon fast beim Thema der „Entarteten Kunst“, vor allem aber bei Hitlers Rede, in der sich ein bräsiges Weihepathos mit paranoiden Drohungen mischte. „Kunst“, so hatte er sich schon auf dem Reichsparteitag 1933 vernehmen lassen, „ist eine erhabene, zum Fanatismus verpflichtende Mission.“ Hitlers Festansprache war lang und ausschweifend. Noch auf den alten Fotografien meint man zu sehen, wie die Größen des Regimes mit Göring und Goebbels an der Spitze ihm zwar devot ihr Ohr leihen, aber auch ersichtlich gequält in ihren Stühlen hängen. Mit selbstgefälliger Eitelkeit spielte Hitler sich als der Verkünder einer neuen Ära auf, in welcher die deutsche Kunst sich wieder zu völkischer Ewigkeit erheben werde. „Das nationalsozialistische Deutschland aber will wieder eine ,deutsche Kunst‘ und diese soll und wird wie alle schöpferischen Werte eines Volkes eine ewige sein.“ Es ist hier nicht der Ort, darüber nachzusinnen, an welchen Abfäl-

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len einer völkischen idealistischen Ästhetik sich der Diktator mit solchen Sätzen verschluckt hatte. An einigen Stellen seiner öligen Rede schlägt der Ton in den blanken Hass auf die Kunst der „Systemzeit“ um. „Systemzeit“ war für die Nazis bekanntlich das Schimpfwort für die Weimarer Republik. Die messianische Verkündigung einer neuen nationalen Kunstblüte verbindet sich mit der Drohung von Ausmerzung und Vernichtung. Es ist jener gehetzte Wortausstoß, wie man ihn aus Hitlers ideologischen, politischen und rassistischen Reden kennt, der nun den weltanschaulichen Streit um die deutsche Kunst aufheizt. Immer wurde es dann besonders schlimm, wenn Hitler von seiner Entschlossenheit zu bellen begann. So schrie er am Tag der deutschen Kunst: „Ich will daher in dieser Stunde bekennen, dass es mein unabänderlicher Entschluss ist, genau so wie auf dem Gebiet der politischen Verwirrung nunmehr auch hier mit den Phrasen im deutschen Kunstleben aufzuräumen.“ „Aufräumen“, das war eine der Schreckensvokabeln des Vernichtungswahns der Nazis, der nun auch auf die Säuberung der Kunst übertragen wurde. Aber gegen Ende seiner Ansprache geht Hitler noch einen Schritt weiter und droht: „Wir werden von jetzt ab einen unerbittlichen Säuberungskrieg führen gegen die letzten Elemente unserer Kulturzersetzung.“ Er eröffnete einen Kunsttempel, aber diese schauerliche Wort-Copula von Säuberung und Krieg lässt nicht an das Gedeihen der Musen denken, sondern an jene Ausrottungs-Aktionen, die er wenig mehr als zwei Jahre später mit dem Überfall auf Polen einleitete und ebenfalls mit den Worten „Ich habe mich daher nunmehr entschlossen“ ankündigte.

„Augenfehler“ attestierte Hitler den entarteten Künstlern Damit sind eigentlich die traumatischen Antriebe schon benannt, die in München im Juli 1937 dazu führten, dass neben dem neuen Elysium, „Haus der deutschen Kunst“, eine höllische Gegenschau mit dem der Tier- und Rassenkunde entlehnten, infamen Titel „Entartete Kunst“ den Volksgenossen als bildliche Choque-Therapie offeriert wurde. Wir werden sehen: damit sind wir gar nicht weit von der medizinischen Hygiene entfernt. Mit dem Blick auf expressionistische Bilder schwadronierte Hitler hämisch: „Ich will mich nun gar nicht in einen Streit darüber einlassen, ob diese Betreffenden (also die verfemten Künstler) das nun wirklich so sehen, son-

dern ich möchte im Namen des deutschen Volkes es nur verbieten, dass (sie) die Ergebnisse ihrer Fehlbetrachtungen der Mitwelt als Kunst vorsetzen wollen.“ Mit diesem Satz hatte Hitler die Drohung der Zensur ausgesprochen, die später durch Malverbote für „entartete“ Künstler exekutiert wurde. Aber dann ging er noch einen Schritt weiter. Er sprach über die „Augenfehler“ der entarteten Künstler und fuhr fort: „Es wäre zu untersuchen, ob diese etwa durch Vererbung zustande gekommen sind.“ „Das“, so folgerte er, „wäre dann wichtig für das Reichsinnenministerium, das sich dann mit der Frage zu beschäftigen hätte, wenigstens eine weitere Vererbung derartiger grauenvoller Störungen zu unterbinden.“ Aus diesen drohenden Worten hört man Hitlers ganzen traumatischen Hass auf die Entarteten heraus. Er möchte das von den Nazis nicht allzu lange nach ihrer Machtübernahme erlassene Gesetz zur „Verhütung erkrankten Nachwuchses“ auf die entarteten Künstler anwenden. Hier ging es nicht mehr um einen platonischen Streit über ästhetische Fragen, sondern um die Übertragung der Rassenhygiene auf das Gebiet der bildenden Künste. Im gleichen Jahr erhielten die deutschen psychiatrischen Anstalten erste statistische Anfragen, deren Beantwortung dann 1940 zur selektiven Grundlage für die Ermordung der „unheilbar“ Kranken wurde. Die Ausstellung „Entartete Kunst“, welche am 19. Juli, einen Tag später, eröffnet wurde, würdigte Hitler nur einer beiläufigen Erwähnung als „die Ausstellung der Verfallszeit, die wir ebenfalls dem Besuch der deutschen Volksgenossen öffnen und empfehlen“. „Sie wird“, so fügte er finster hinzu, „für viele eine heilsame Lehre sein.“ Seine Erfindung war sie nicht, und er hat sie am 16. Juli, während des Aufbaus, für nicht mehr als zehn Minuten besucht. Diese Denunziations-Schau war der Phantasie des abtrünnigen Intellektuellen Joseph Goebbels entsprungen, des in seiner giftigen Hetze gegen Kulturbolschewisten und Juden besonders lautmäuligen Propagandaministers. Für ihn waren alle öffentlichen Einrichtungen des geistigen Lebens, Presse, Rundfunk, Film und Wochenschau, immer nur Instrumente der Propaganda. Warum dann nicht auch die Kunstausstellung, welche die Entartung an den Pranger stellte? In seinem Rückblick vom 14. 11. 1937 schrieb Carl Linfert in der Frankfurter Zeitung: „Dieses Unternehmen (hatte) einen polemischen, verurteilenden Zweck, der in der ganzen langen Zeit, in der man Kunst als ein höheres Sondergebiet des Lebens ansah, völlig ohne Beispiel und

unvergleichbar ist.“ Spitzer kann man es auch im freien Nachhinein nicht sagen. Doch kommen wir zum Ablauf der Ereignisse im Juni/Juli 1937. Am 30. Juni, keine drei Wochen vor der Eröffnung, notierte Goebbels: „Ich bespreche die von mir geplante Verfallskunst-Ausstellung. Habe Ermächtigung, die diesbezüglichen Stücke in allen Museen zu beschlagnahmen.“ Darauf bereiste eine Kommission von parteinahen „Fachleuten“ in nur 14 Tagen die deutschen Museen und wählte nach ihrem Gutdünken „Entartete“ aus. Eine Spedition sorgte für den Versand nach München. Dort hatte der Gauleiter in den Räumen des Museums für klassische Abgüsse an den Hofgartenarkaden Platz machen lassen. Das war ganz nahe bei dem neuen Kunsttempel. Die schäbige Bühne für den bösen Spuk war aufgebaut, Goebbels triumphierte: „Das wird ein Schlag ins Kontor.“

Am Ende glich die Ausstellung „Entartete Kunst“ eher einer Geisterbahnfahrt Für den Aufbau der Schandschau standen zwischen dem Ende der Museumsbereisung um den 15. Juli und der Eröffnung am 19. Juli nur wenige Tage zur Verfügung. Noch am 18., als das Haus der deutschen Kunst eröffnet wurde, notierte Goebbels: „Verfallsausstellung. Dort wird fleißig gearbeitet.“ Die „sachkundigen Männer", welche den Aufbau in ihre Hand nehmen, waren wenig bekannte Maler, welche die Moderne hassten, wie der Präsident der Reichskammer der bildenden Künste Adolf Ziegler, der wegen seiner Aktfiguren alsbald als der „Maler des deutschen Schamhaares“ bekannt wurde, oder Wolfgang Willrich, der Verfasser eines hasserfüllten Pamphlets über die „Säuberung des Kunsttempels“ und noch andere, zum Beispiel ein österreichischer Jurastudent namens Pistauer, den offenbar der „studentische Führungsdienst“ entsandt hatte. Sie pferchten in die neun engen Räume am Hofgarten nicht weniger als 600 entartete Objekte, ließen die Wände mit antibolschewistischen und antisemitischen Hasstiraden beschmieren. Außer dem diffusen Schlagwort „Entartung“ lag kein Konzept für die Ausstellung vor, kein Kriterium für die Auswahl der Objekte. Zwischen den „sachkundigen Männern“ kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen. Bilder wurden aufgehängt und dann wieder als offenbar nicht genügend „entartet“ entfernt. Am Ende glich das Ergebnis mehr einer Geisterbahnfahrt als einer Kunstausstellung.

So hat es auch nie einen Katalog gegeben, sondern nur einen irrwischhaften „Führer durch die Ausstellung“, dessen wüste Beschimpfungen an den Ton von Streichers Stürmer erinnerten, wenn es etwa hieß: „Das moralische Programm des Bolschewismus schreit in dieser Abteilung vonallen Wänden“, oder auf der gegenüberliegenden Seite: „Die Dirne wird zum sittlichen Ideal erhoben“. Die Inschriften an den Wänden schrien „Unter der Herrschaft des Zentrums freche Verhöhnung des Gotterlebens“ und wiesen auf Bilder von Beckmann und Nolde mit christlichen Themen hin, oder „Offenbarung der jüdischen Rassenseele“, für die als erschreckendes Beispiel Chagalls „Rabbiner“ gezeigt wurde. An Werken des besonders verhassten Otto Dix wurde die „Verhöhnung des deutschen Frauenideals: Kretin und Hure“ und die „bewusste Wehrsabotage“ durch die „Beschimpfung der deutschen Helden des Weltkriegs“ denunziert. Wo die Physiognomie der entarteten Bilder sich nicht mehr abbildhaft auf die Zersetzung der Volksgesundheit und der staatstragenden Moral beziehen ließ, wie bei den abstrakten Kompositionen Kandinskys, half man sich mit dem lärmenden Aufschrei „Verrückt um jeden Preis“ und suggerierte die Verbindung zur Geisteskrankheit. Auf Seite 2 des genannten Führers wird gefragt: „Was will die Ausstellung ,Entartete Kunst‘?“ und geantwortet: „Sie will die gemeinsame Wurzel der politischen und der kulturellen Anarchie aufzeigen, die Kunstentartung als Kunstbolschewismus im ganzen Sinne des Wortes entlarven.“ Die totalitäre Diktatur, welche die ganze Nation in eine straff organisierte Marschkolonne zwingen wollte – das war die „Klarheit“, von der Hitler schwärmte –, verfemte eine Kunst, welche die Brüche und Unsicherheiten in der modernen, offenen Gesellschaft zu ihrem sensiblen Thema gemacht hatte. So wie die französische Rechte schon während des Ersten Weltkrieges gegen den ebenfalls als jüdisch diffamierten Kubismus den „Retour à l’Ordre“ eingefordert hatte, nur viel radikaler verlangten die Nazis dieEinreihung der Kunstin die nationale Marschkolonne. Aber abseits von den Aufmärschen und Kunstfesten unterhielten sie die Lager, die Mord- und Folterstätten, in denen das Leiden und Grauen nicht mehr wie in der modernen Kunst zu einem Spiegel der sensiblen Empfindung gemacht wurde, sondern krude exekutiert. In dieser Perspektive erscheint die Ausstellung „Entartete Kunst“ wie die Ausgeburt der Angst des Regimes vor der Aufdeckung seiner eigenen verbrecherischen Fratze. svra039 SZ20120718S1599335


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