Paris mon Amour Vol. II | 25 Books of Hours from Paris 1380 - 1460 | Cat. 80

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LXXX Heribert Tenschert 2017



LXXX Dis Manibus Otto Pächt • Eleanor Spencer Expiandis


Nr. 12


II 25 Stundenbücher aus Paris 1380 – 1460 Von Perrin Remiet, Jean de Nizières, Jacquemart de Hesdin, Pseudo-Jacquemart, Paul von Limburg, Mazarine-Meister, Boucicaut-Meister, Bedford-Meister (Haincelin de Haguenau), Dunois-Meister (Jean Haincelin), Laval-Meister, Meister des Royal Alexander, Conrad von Toul (Meister der Münchener Legenda Aurea), Meister von Popincourt, Meister des Harley-Froissart (Philippe de Mazerolles), Coëtivy-Meister, Meister des Etienne Sauderat, Meister des Jean Rolin, François le Barbier Père (Maître François), Meister des FoucaultBoccace

Katalog lxxx Heribert Tenschert 2017


Antiquariat Bibermühle AG Heribert Tenschert Bibermühle 1–2 · 8262 Ramsen · Schweiz Telefon: +41 (52) 742 05 75 · Telefax: +41 (52) 742 05 79 E-Mail: tenschert@antiquariat-bibermuehle.ch www.antiquariat-bibermuehle.com

Wichtiger Hinweis: Viele der abgebildeten Miniaturen sind leicht vergrößert wiedergegeben, zur besseren Identifikation der Sujets und der beteiligten Buchmaler. Die exakten Größen finden sich in der dinglichen Beschreibung, die man jeweils heranziehen möge.

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Autor: Prof. Dr. Eberhard König (mit Dr. Christine Seidel) Gestaltung, Redaktion, Lektorat: Heribert Tenschert Fotos: Martin & Heribert Tenschert Satz und PrePress: LUDWIG:media gmbh, Zell am See Druck und Bindung: Passavia GmbH & Co. KG, Passau ISBN: 978-3-906069-22-7


Inhaltsverzeichnis Band II 12 Das Lux­emburg-Stun­den­buch: Ein Haupt­werk der Bed­ford-Grup­pe und des Mei­sters der Münchener Legenda Aurea aus Pa­ris, wohl für Ja­cquette von Lu­xem­burg, vom Jou­ve­nel-Ma­ler über­ar­bei­tet und vom Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus er­gänzt . . . . . . . . . 321 13 Ein bril­lant er­hal­te­nes Stun­den­buch vom Mei­ster der Mün­che­ner Legenda Aurea, Con­rad von Toul, im ori­gi­na­len Ein­band . . . . . . . . . . . . . . . . 383 14 Das Na­nterre-Stun­den­buch: Ein Mei­ster­werk vom Bed­ford-Mei­ster und vom Du­nois-Mei­ster aus der Samm­lung des Kar­di­nals Ca­mil­le de Neu­f ville de Villeroy . . . . . . . . . 407 15 Vollständiges Stun­den­buch aus der Spät­zeit des Bed­ford-Stils . . . . . . . . . . . . 433 16 Das Pop­in­court-Stun­den­buch: spä­ter in den Samm­lun­gen Hen­ry Yates Thompson, Dyson Perr­ins, Ro­bert Da­non und Hel­mut Beck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 17 Ein Stun­den­buch vom Mei­ster des Brot­her­ton-Bre­viers in Lee­ds . . . . . . . . . . 473 18 Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch vom Mei­ster des Harley Froiss­art . . . . . . . . . . . . . . . 485 19 Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch vom Co­ëtivy-Mei­ster und dem Mei­ster des Étienne Sau­de­rat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 20 Ein un­be­kann­tes Mei­ster­werk vom Co­ëtivy-Mei­ster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 21 Edou­ard Rahirs ein­zi­ges Stun­den­buch: Ein Werk des Co­ëtivy-Mei­sters aus Pa­ris für den Ge­brauch von Ren­nes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 22 Ein klas­si­sches Stun­den­buch vom Mei­ster des Jean Rolin . . . . . . . . . . . . . . . . 563 23 Das Pa­ri­ser Stun­den­buch des Fran­çois de Da­gues und der Kath­erine Ferrault aus Le Mans, vom Mei­ster des Jean Rolin . . . . . . . 585 24 Ein Stun­den­buch aus der Samm­lung Frédéric Spit­zer, von Fran­çois Le Bar­bier dem Äl­te­ren, bis­her als Maître Fran­çois be­kannt . . . . . . . . . . . . . . 599 25 Ein Stun­den­buch vom Mei­ster des Foucault-Boccace, ei­nes Kon­kur­ren­ten des Mei­sters von Jean Rolin und von Fran­çois Le Bar­bier dem Äl­te­ren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 Bibligraphie: Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Bibligraphie: Auf­sät­ze und Mo­no­gra­phi­en . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 630 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637

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12 Das Lux­emburgStun­den­buch: Ein Haupt­werk der Bed­ford-Grup­pe und des Mei­sters der Legenda Aurea aus Pa­ris, wohl für Ja­cquette von Lu­xem­burg, vom Jou­ve­nel-Ma­ler über­ar­bei­tet und vom Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus er­gänzt


12 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Blau, Rot und Gold, in Tex­tura. Pa­ris, um 1430: Bed­ford- oder Du­nois-Mei­ster (Hain­celin oder Jean Hain­celin) und Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea (Con­rad von Toul), über­ar­bei­tet vom Jou­ve­ nel-Mei­ster und mit Bor­dü­ren vom Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus 44 Bil­der und 16 Halb­fi­gu­ren im Rand­schmuck: 22 als gro­ße Mi­nia­tu­ren mit Rund­bo­ gen­ab­schluß in Dop­pel­stab­rah­men über vier Zei­len Text mit dreiz­ei­li­ger Dorn­blatt-In­ itia­le, drei­sei­ti­ge Dorn­blatt-Zier­lei­ste und Voll­bor­dü­ren aus Dorn­blatt mit Akanthus und Blu­men in den Ecken und den Mit­ten in­nen und au­ßen; zwei Bild-In­itia­len in Voll­bor­dü­ ren wie die Text­sei­ten. Die vier er­hal­te­nen Blät­ter des Ka­len­ders mit Voll­bor­dü­ren, dar­in je­weils fünf Bild­fel­der auf Recto und je­weils vier Halb­fi­gu­ren oder Sze­nen auf Ver­so. Alle Text­sei­ten mit Voll­bor­dü­ren, die in zwei Ar­beits­kam­pa­gnen ge­schaf­fen wur­den; zu­nächst Dop­pel­stab-Zier­lei­ste au­ßen mit Dorn­blatt-Bor­dü­ren in Text­spie­gel­hö­he in­nen und au­ ßen; dann über­all er­gänzt durch Akanthus und Blu­men auf Dorn­blatt oben und un­ten, ei­ni­ge mit Fi­gu­ren und Tie­ren be­lebt. Alle klei­ne­ren In­itia­len in Dorn­blatt: Zwei dreiz­ei­ lig; zu den Psal­men­an­fän­gen zweiz­ei­lig, zu den Psal­men­ver­sen ein­zei­lig. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 265 Blatt Per­ga­ment; dazu je­weils ein Dop­pel­blatt mo­der­nes Per­ga­ment als Vor­sät­ze. Ge­bun­ den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die er­ste Ka­len­der­la­ge 1(12-8: die drei äu­ße­ren Dop­pel­blät­ter und das in­ne­re feh­len), Lage 4(4), 10(8-2: vor fol. 66 und 69 je­weils ein Blatt ent­fernt); 11(8-1: vor fol. 73 ein Blatt ent­fernt); 13(4). In ei­ni­gen La­gen (so 21-24) die in Tin­ te ge­schrie­be­nen ori­gi­na­len Blatt­zäh­lun­gen der er­sten La­gen­hälf­te in der rech­ten un­te­ren Ecke noch sicht­bar. Reklam­an­ten (mit Aus­nah­me der Kur­si­ve auf fol. 177v) in der glei­chen Schrift wie der Text: re­gel­mä­ßig, auf fol 129v zweiz­ei­lig. Groß-Ok­tav (205 x 145 mm; Text­spie­gel: 92 x 64 mm). Rot reg­liert zu 15, im Ka­len­der zu 17 Zei­len; nur die Senk­rech­ten un­ten bis zum Rand aus­ ge­zo­gen. Un­be­schnit­ten, wohl noch mit den al­ten Holz­deckeln er­hal­ten. Der Ka­len­der um acht Blatt be­raubt, ge­bräunt und auf fol. 1 eine klei­ne Fehl­stel­le im un­te­ren Bor­dü­ren­strei­fen. Ge­sich­ter des Jo­han­nes und in der In­itia­le zum Ma­rien­ge­bet Ob­secro minimal berie­ben. Spu­ren from­ men Ge­brauchs an we­ni­gen Rän­dern, in den Ma­le­rei­en ma­kel­los. Floral gemusteter roter Ausbrenner-Samt über Goldfadenfond. Ganzgoldschnitt. Pro­ve­ni­enz: Wap­pen fin­den sich an zwei Stel­len: als Zeich­nung im Sil­ber ei­nes Fen­sters auf fol. 9 und voll­far­big als der rote Löwe Lu­xem­burgs auf Sil­ber (fol. 165), dort als Wap­pen des se­li­gen Kar­di­nals Pe­ter von Lu­xem­burg (1369-1387). Die da­mit er­öff­ne­te Ge­bets­fol­ge ist sel­ ten, kommt aber auch im Wie­ner Bed­ford-Stun­den­buch (ÖNB , cod. 1855) vor. Im Bild er­ scheint eine Sta­tu­et­te des hei­li­gen Ja­kob­us. Jo­han­nes der Täu­fer wird in den Suff­ragien durch

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ein sonst in Stun­den­bü­chern nicht zu find­en­des Ge­bet für die Fest­ta­ge des Hei­li­gen mit fünfz­ ei­li­ger Bild-In­itia­le her­vor­ge­ho­ben. Auf­grund der Be­to­nung des Täu­fers könn­te das schließ­lich ohne Be­stel­ler­wap­pen aus­kom­men­ de Ma­nu­skript, wie Paolantonacci 2013 mein­te, für Jo­hann von Lu­xem­burg (um 1400-1466) be­stimmt ge­we­sen sein, der je­doch das lu­xem­bur­gi­sche Wap­pen mit dem ro­ten Strich des Ba­ stards trug: Die­ser 1433 in den Or­den vom Gol­de­nen Vlies auf­ge­nom­me­ne Fürst (sie­he sein Bild­nis im Haager Wap­pen­buch, KB , 76 E 10, fol. 55) ist nicht mit je­nem Jo­hann von Lu­ xem­burg (1398-1441) zu ver­wech­seln, der 1430 Je­an­ne d’Arc in Co­mpiègne ge­fan­gen nahm und an die Eng­län­der ver­kauf­te. We­gen des text­lich un­be­grün­de­ten Hin­wei­ses auf Ja­kob­us im Zu­sam­men­hang mit Lu­xem­ burg ist vor allem aber an Ja­kob­äa oder Ja­cquette von Lu­xem­burg als Auf­trag­ge­be­rin zu den­ ken. Sie hat­te der Her­zog von Bed­ford, nach­dem sei­ne er­ste Frau Anna von Bur­gund 1432 im Kind­bett ge­stor­ben war, im dar­auf fol­gen­den Jahr ge­hei­ra­tet. Nach Bed­fords Tod 1435 ging sie – die spä­te­re Lady Rivers – nach Eng­land. Für un­ser Stun­den­buch er­gä­be sich in bei­den Fäl­len das glei­che Sze­na­rio: An­ge­sichts der Feind­ schaft mit Karl VII. mag Ja­cquette oder der Ba­stard Jo­hann das Buch nicht mehr er­hal­ten ha­ben, nach­dem die Bur­gun­der am 21. Sep­tem­ber 1435 Frie­den mit Karl VII. ge­schlos­sen hat­ten und die Eng­län­der beim Ein­zug des kö­nig­li­chen Konnet­abels Ar­thur Richemont am 13. April 1436 Pa­ris flucht­ar­tig ver­las­sen hat­ten. Viel­leicht zeu­gen die Blatt­gold-Kro­nen, die bei der zwei­ten Aus­stat­tungs­kam­pa­gne in we­ni­ gen Bor­dü­ren, so fol. 14, hin­zu­ge­kom­men sind, von ei­ner Über­nah­me des Stun­den­buchs durch ei­nen Ge­treu­en des fran­zö­si­schen Kö­nigs. Auf des­sen Par­tei wei­sen auch Sta­chel­schwei­ne hin (fol. 97v, fol. 128 und – hin­ter ei­nem Baum ver­steckt – auf fol. 128v), die an den vom Her­zog Lud­wig von Orlé­ans (er­mor­det 1407) ge­grün­de­ten Rit­ter­or­den den­ken las­sen und als Zei­chen sei­nes Hau­ses bei Kö­nig Lud­wig XII. wie­der zu Eh­ren ka­men. Im vor­de­ren Deckel Ex­li­bris von An­dré Hachette mit A und H li­giert; dazu die Nr. 23 in Rot; auf dem Vor­satz ge­gen­über ein klei­ner Stem­pel des­sel­ben Be­sit­zers. Ven­te Hachette, Pa­ris, 16.12.1953, lot 20: frs. 2.000.000,- Zu­schlag; Pa­ris, Millon, 27.04.2012, Ein­zel­ka­ta­log: € 2.018.672,-. Text Der Text weist er­staun­li­che Über­ein­stim­mun­gen mit den drei weit­ge­hend vom Bed­ ford-Mei­ster selbst ge­stal­te­ten be­rühm­ten Stun­den­bü­chern auf, dem na­men­ge­ben­den Stun­den­buch der Anne de Bourgogne und des John of Lan­ca­ster, Her­zogs von Bed­ford (Lon­ don, BL , Add. Ms. 18850), dem so­ge­nann­ten Lamoig­non-Stun­den­buch (Lis­sa­bon, Fund­ ação Ca­louste Gulbenkian, LA 237) und dem Wie­ner Stun­den­buch (ÖNB , cod. 1855): Die auf­fäl­lig­ste Ge­mein­sam­keit be­steht durch die Horen zu den Sie­ben Wo­chen­ta­gen, die je­weils an Buß­psal­men und Li­ta­nei an­schlie­ßen. Die Ka­len­der stim­men weit­ge­hend über­ein. fol. 1: Ka­len­der in fran­zö­si­scher Spra­che, ein­ge­rich­tet wie im Bed­ford-Stun­den­buch und im So­bie­ski-Stun­den­buch (Winds­or Ca­stle): je­der Tag be­setzt, die Gol­de­ne Zahl in Gold, der Sonn­tags­buch­sta­be A als Dorn­blatt-In­itia­le, die üb­ri­gen in Schwarz; die Kür­zel der

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rö­mi­schen Ta­ges­zäh­lung ab­wech­selnd blau und gol­den. Die An­fangs­buch­sta­ben, meist S, in Dorn­blatt, die ein­fa­chen Hei­li­gen­ta­ge ab­wech­selnd in Rot und Blau, Fe­ste in Gold. Die Hei­li­gen­aus­wahl stimmt ex­akt mit dem Pa­ri­ser Be­stand im Bed­ford-Stun­den­buch über­ein (mit Aus­nah­me des Am­bro­si­us-Fests am 4.4., das dort ir­rig mit Bo­ni­fa­ti­us be­ setzt ist); or­tho­gra­phisch be­steht grö­ße­re Über­ein­stim­mung als zum in we­ni­gen Po­si­ tio­nen ab­wei­chen­den So­bie­ski-Stun­den­buch. fol. 5: Per­ik­open, mit Ab­schluß­ge­be­ten: Jo­han­nes (fol. 5), Lu­kas (fol. 7), Mat­thä­us (fol. 9) und Mar­kus (fol. 11); kur­ze Pas­sa­ge aus der Jo­han­nes-Pas­si­on (fol. 12v). fol. 14v: Ge­bets­fol­ge: Acht Ver­se des hei­li­gen Bern­hard: Il­lu­mi­na domi­ne ocu­los meos; Ma­rien­ge­be­te: Fünf Freu­den Mariae (der Ru­brik zu­fol­ge co­mmemo­ra­tio de quinque fest­is B. M. V.): Ave cuius co­nceptio (fol. 15); Ob­secro te (re­di­giert für ei­nen Mann: fol. 16); O in­ teme­rata (re­di­giert für ei­nen Mann: fol. 20); In­violata et in­tegra (fol. 23v). fol. 25: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris, mit drei voll­stän­di­gen Nok­tur­nen zur Mari­en-Lau­des: Matutin (fol. 25 mit drei Nok­tur­nen), Lau­des (fol. 49), Prim (fol. 60), Terz (An­fang fehlt vor fol. 66), Sext (An­fang fehlt vor fol. 69), Non (An­fang fehlt vor fol. 73), Ves­p er (fol. 77), Komplet (fol. 84). fol. 90: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 102v) mit Pa­ri­ser Hei­li­gen, vor al­lem Mar­cel­lus, Lud­wig, Mau­rus, Bo­ni­tus, Medericus (Saint Merry), Mag­lorius. Bei den Frau­en wird vor den ty­pi­schen Pa­ri­ser Hei­li­gen Op­por­tuna, Petronilla, Gen­ovefa, Avia und Baltil­dis (baptil­dis) eine hei­li­ge Gem­ma ge­nannt. Lero­quais (1927, I, S. LXII) kennt ein ein­zi­ges Bild mit ei­ner Hei­li­gen die­sen Na­mens; es zeigt die ge­krön­te Mär­ty­re­rin aus Saintes (im Pa­ri­ser Stun­den­buch latin 18017, fol. 152v). Zum 20.6. wird die­sel­be er­wähnt im Pa­ ri­ser Psal­ter der Bibl. Ste. Ge­ne­viève, ms. 2693 (Lero­quais 1940-41, II , S. 161; bei­des 2. Hälf­te des 15. Jhs.). Als Jung­frau wird Gem­ma in Bre­vie­ren des frü­hen 14. Jhs. für St. Vaast in Ar­ras ge­nannt (Ar­ras, Bibl. mun., ms. 229 am 23.8.: Lero­quais I, 1934, S. 40; ms. 725 in der Li­ta­nei: eben­da S. 64). Reiz­voll wäre, mit Paolantonacci, hier an Gem­ma von Gor­iano Sicoli in den Abruz­zen, auch Santa Gem­ma Recl­usa ge­nannt, zu den­ken. Sie ist am 12. oder 13.5.1426 (nicht erst 1439) ge­stor­ben, ih­rem Tod folg­ten Wun­der am Grab (Acta Sancto­rum, Mai, III , 1680-88, S. 182). Soll­te sie ge­meint sein, wäre das für ein Stun­den­buch er­staun­lich ak­tu­ell; dann lie­fer­te ihr Tod zu­gleich den Ter­mi­nus ante quem non für un­se­re Hand­schrift. fol. 112: Horen der Wo­chen­ta­ge: Tri­ni­tät zum Sonn­tag (fol. 112); für die Ver­stor­be­nen zum Mon­tag (fol. 120v); Hei­lig Geist zum Diens­t ag (fol. 129v); Alle Hei­li­gen zum Mitt­ woch (fol. 136); Al­tar­sa­kra­ment zum Don­ners­tag (fol. 142); Hei­lig Kreuz zum Frei­tag (fol. 150); Jung­frau Ma­ria zum Sams­t ag (fol. 157v). fol. 165: Ge­bet des Pe­ter von Lu­xem­burg (or(aci)o devo­ta quam fecit sanc­tus pe­trus de lucebourg quondam car­din­alis): Deus pa­ter qui cre­asti, mit an der Li­ta­nei ori­en­tier­ten Bit­ten, die sich an die Per­so­nen der Tri­ni­tät, Ma­ria, die drei Erz­en­gel, Jo­han­nes den Täu­fer, Pe­ trus, Pau­lus, An­dre­as, Jo­han­nes den Evan­ge­li­sten und Martial von Li­mo­ges als Apo­stel (!), Ste­phan, Lo­renz und Vin­zenz, Mar­tin, Ni­ko­laus und Be­ne­dikt, Ma­ria Mag­da­le­na,

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Mar­tha, Agnes und Ka­tha­ri­na und je­weils an die Hei­li­gen­grup­pen rich­ten; für ei­nen Mann (Respice me peccato­rem, fol. 165v) ein­ge­rich­tet; Ja­kob­us wird nicht ge­nannt. fol. 169: Ge­be­te an die Per­so­nen der Tri­ni­tät: Pa­ter de celis (fol. 169), Fili redemp­tor (fol. 169v), Spi­ri­tus sancte (fol. 170). fol. 170v: Ge­bet des Beda Ve­ne­rabilis über die Sie­ben Wor­te Jesu am Kreuz: Domi­ne ihesu xp(ist)e qui septe(m) verba. fol. 172v: Ge­bet an Chri­stus: Domi­ne ih(es)u xp(ist)e vere deus qui de sinu patris. fol. 177: Pas­si­ons­ge­bet: Deus qui volu­isti p(ro) re­de­mpt­ione mundi a iud­eis re­pro­bari. fol. 178: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris (Ot­to­sen 2007, S. 183-188): Ves­ per (fol. 178), die fol­gen­den Stun­den ru­bri­ziert: Matutin (fol. 186v), 1. Le­sung (fol. 191v eben­falls ru­bri­ziert und durch In­itia­le her­vor­ge­ho­ben); Lau­des (fol. 217). fol. 225 Suff­ragien: Tri­ni­tät (fol. 225), Hei­lig Kreuz (fol. 225v), Mi­cha­el (fol. 226), Jo­ han­nes der Täu­fer (fol. 226v) mit ei­nem Ge­bet in die s(an)c(t)i ioha(n)nis et in oc­tab(a) (fol. 227), Pe­trus (fol. 227), Pau­lus (fol. 227v), An­dre­as (fol. 228), Jo­han­nes Evan­ge­ list (fol. 228v), Ja­kob­us (fol. 229), Bar­tho­lo­mä­us (fol. 229v), Mat­thä­us (fol. 230), Tho­ mas (fol. 230), Phil­ipp­us und Ja­kob­us (fol. 230v), Si­mon und Juda (fol. 231), Mat­thi­as (fol. 231v), Bar­nabas (fol. 232), Mar­kus (fol. 232v), Lu­kas (fol. 233), Un­schul­di­ge Kindl­ein (fol. 233v), Steph­anus (fol. 234), Cle­mens (fol. 234v), Vin­zenz (fol. 235), Lo­renz (fol. 235), Dio­ny­si­us (fol. 235v), Chri­stoph­orus (fol. 236), Ge­org (fol. 237), Eustachius (fol. 237), Se­ ba­sti­an (fol. 238), Co­smas und Da­mian (fol. 238v), Tho­mas von Can­ter­bu­ry (fol. 238v), Eutropius (fol. 239), Quint­inus (fol. 240), La­za­rus (fol. 240v), Mar­tin (fol. 241), Ni­ko­laus (fol. 241v), An­to­ni­us Ab­bas (fol. 241v), Clau­di­us (fol. 242), Au­gu­stin­us (fol. 242v), Kö­nig Lud­wig (fol. 243), Anna (fol. 243v), Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 244), Ka­tha­ri­na (fol. 244v), Agnes (fol. 245), Mar­ga­re­ta (fol. 245v), Gen­ovefa (fol. 246), Op­por­tuna (fol. 246v), Bar­ ba­ra (fol. 247), Avia (fol. 247v), Apol­lo­nia (fol. 248), Alle Hei­li­gen (fol. 248v), in Epi­de­ mie-Zei­ten (Tem­po­re epidimie: fol. 249), De quibusdam s(an)c(t)is speci­ale don­um a do­mi­no ha­ben­tib(u)s (fol. 250). fol. 251: Ge­be­te zur Mes­se: zur El­evat­ion der Ho­stie: Ave verum cor­pus (fol. 251), zur El­ evat­ion des Kelchs: Ave sang­uis Domi­ni (fol. 251v), O an­ima xpristi sanctifica me (fol. 251v), Domi­ne ih(es)u xp(ist)e qui hanc sacratiss­imam ca­rnem (fol. 252), Ge­bet mit 2000 Jah­ren Ab­laß: Ave domi­ne ih(es)u xpi­ste ver­bum patris (fol. 252v), zu Kar­frei­tag: Ave caro xpisti cara (fol. 253v), vor Emp­fang der Ho­stie: Fons mi­se­ri­cor­die (fol. 253v), vor der Kom­mu­ ni­on: Domi­ne non sum dign(us) (fol. 254v), nach der Kom­mu­ni­on: Domi­ne ih(es)u xp(ist) e (fol. 254v). fol. 256: Fran­zö­si­sches Ge­bets­p aar: quinze ioies nostre dame: Doulce dame de miseri­corde, mit ein­ge­scho­be­nen Ave Ma­ria (fol. 256); de­vo­tes requ­estes: Doulz dieu, mit ein­ge­scho­be­ nen Pa­ter noster (fol. 261v).

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fol. 264v: Drei wei­te­re Ge­be­te (die er­sten bei­den ge­reimt in kur­zen Ver­sen): Ihesus qui te lessas esten­dre (fol. 264v), Ma­rie qui ih(es)us portas (fol. 264v). Sancte vraye croix (fol. 265). fol. 265v: nach Texten­de auf Recto leer und nicht reg­liert. Schrift und Schrift­de­kor Das Ma­nu­skript ge­hört zu den aus­ge­zeich­ne­ten Stun­den­bü­chern, die man in Pa­ris in der er­sten Hälf­te des 15. Jahr­hun­derts ge­schaf­fen hat. Die stren­ge Tex­tura mit dem leuch­ ten­den Rot der Ru­bri­ken wäre wie die Fa­rb­wech­sel im Ka­len­der mit ei­nem dunk­le­ren Rot­ton, Blau und Gold be­reits im er­sten Vier­tel des 15. Jahr­hun­derts ge­nau­so mög­lich. Dazu paßt die do­mi­nie­ren­de Rol­le des Dorn­blatt-De­kors, der bei den ein­zei­li­gen In­itia­ len ein­setzt. Mit sei­nem Groß­ok­tav-For­mat ist die­ses Buch zwar nicht so groß wie die zum Ver­gleich her­an­zu­zie­hen­den be­rühm­ten Stun­den­bü­cher des Bed­ford-Mei­sters; der Schmuck der In­itia­len wirkt je­doch sub­ti­ler und klein­tei­li­ger. Zei­len­füll­strei­fen sind be­ son­ders auf­fäl­lig; denn vie­le von ih­nen sind in sich noch ein­mal auf eine sel­ten zu find­ en­de Art wie an we­ni­gen Stel­len im Lon­do­ner Bed­ford-Stun­den­buch mit je ei­ner Gold­ lei­ste oder rund­her­um ge­rahmt. Ein Ver­gleich mit dem spä­ten Haupt­werk des Ate­liers für den Her­zog von Bed­ford, dem Pa­ri­ser Salis­bu­ry-Bre­vier, latin 17294 der Bibliothèque na­tio­na­le, ver­bie­tet sich; denn die da­für ein­ge­setz­te Schrift läßt die Dis­zi­plin ver­mis­sen, die hier noch herrscht; zu­dem ste­hen die ein­zei­li­gen In­itia­len dort im Zei­len­ver­lauf und sind mit Fe­der­werk und nicht mit Flä­chen­de­kor ge­schmückt. Die Aus­stat­tung des Buchs mit Rand­schmuck er­folg­te of­fen­sicht­lich in ver­schie­de­nen Etap­pen. Zur frü­he­sten Ar­beits­kam­pa­gne ge­hö­ren alle Sei­ten mit gro­ßen Mi­nia­tu­ren. In be­ster Tra­di­ti­on des zwei­ten Jahr­zehnts nach 1400 be­herrscht Dorn­blatt mit sehr eng ge­zo­ge­nen Spi­ral-Ran­ken den Ge­samt­ein­druck. Den Text mit dem Kopf­bild um­ge­ben von drei Sei­ten brei­te Zier­lei­sten, die in den un­te­ren Ecken gern kräf­ti­ge Kno­ten bil­den. Nur ein­mal – und das ohne hier­ar­chi­sche In­ten­ti­on – fin­den in sol­chen Lei­sten auch mit Buch­ma­ler­far­ben ge­stal­te­te Blu­men Platz (fol. 12v). Ins Zen­trum der Spi­ral­ran­ken sind mit Buch­ma­ler­far­ben Blü­ten ge­setzt. In den vier Ecken der Buch­sei­te und in der Mit­te der brei­ten Au­ßen­bor­dü­re sprie­ßen aus dem Dorn­ blatt der Zier­lei­sten far­bi­ge Ele­men­te. Bun­ter, ge­ra­de­zu übers­chwän­glich be­leb­ter Akanthus herrscht hier vor; in der Mit­te der äu­ße­ren Bor­dü­ren­strei­fen, sel­te­ner auch in den Ecken kön­nen Blu­men oder Erd­bee­ren er­schei­nen, meist aus dem Akanthus ent­sprin­ gend. Das ge­schieht meist eher bei­läu­fig, ge­winnt aber an Be­deu­tung, wenn bei­spiels­wei­ se zum Ma­ri­en­bild auf fol. 256 eine klei­ne Vase hin­zu­kommt oder zum Pfingst­bild auf fol. 129v ein re­gel­rech­ter Blu­men­topf auf ei­nem Bo­den­strei­fen steht und den Akanthus ganz ver­drängt. Ake­lei wird zur Tau­fe Chri­sti (fol. 136) tref­fend wie­der­ge­ge­ben. Am schön­sten und für die Bed­ford-Grup­pe be­son­ders cha­rak­te­ri­stisch sind die Veil­chen, die bei der Ma­rien­ver­kün­di­gung (fol. 25) und in ei­ner brei­ten Scha­le bei der An­be­tung des Kin­des (fol. 60) dar­an er­in­nern, daß die­se Blu­me im Lon­do­ner Stun­den­buch ge­ra­de­zu Er­ken­nungs­merk­mal des Ate­liers ist und bei den Brü­dern Lim­burg in an­de­rer Ge­stalt vor­kommt (sie­he dazu un­ser Buch Das Ge­nie der Zeich­nung, 2016, S. 40-43).

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In der­sel­ben Art wie die Bor­dü­ren zu den gro­ßen In­cipits be­glei­ten senk­rech­te Rand­ strei­fen aus Dorn­blatt mit be­schei­de­ne­rem bun­ten Akanthus alle Text­sei­ten ein­schließ­ lich der bei­den durch Bild-In­itia­len her­vor­ge­ho­be­nen Stel­len. Au­ßen wird der Text­spie­ gel je­weils durch ei­nen zier­li­chen Dop­pel­stab ab­ge­setzt, der in der Mit­te gern Kno­ten aus­bil­det und aus des­sen En­den kur­ze Akanthus­for­men sprie­ßen. Auf Ver­so sprie­ßen die­se Zier­lei­sten, wo mög­lich, aus zweiz­ei­li­gen In­itia­len; auf Recto wei­chen sie nicht sel­ ten dem vor­ab ge­schrie­be­nen Text aus. Da sich die senk­rech­ten Rand­strei­fen über­all im Buch strikt an der Höhe des Text­spie­ gels ori­en­tie­ren, muß es ei­nen Zu­stand des Lay­outs ge­ge­ben ha­ben, in dem un­ab­hän­gig von den zweiz­ei­li­gen In­itia­len durch­weg ein brei­ter Rand­strei­fen die Schrift nach au­ßen, ein schma­le­rer nach in­nen be­glei­te­te. Stun­den­bü­cher sol­cher Ge­stalt sind ex­trem sel­ten; das ein­zi­ge uns be­kann­te Bei­spiel, Ro­sen­berg Ms. 4, wird un­ten noch dis­ku­tiert wer­den. Aus der zu­nächst er­reich­ten un­ge­wöhn­li­chen Ge­stalt der Text­sei­ten er­gab sich der Wunsch nach Er­gän­zung oben und un­ten. Sie er­folg­te je­doch in ei­nem frem­den Stil: Mit groß­zü­gi­ger Li­ni­en­füh­rung, die durch kla­re Tin­ten­kon­tu­ren be­tont wird, brei­ten sich in ein­zig­ar­ti­gem künst­le­ri­schen Schwung Akanthus­blät­ter aus. Auch im Ko­lo­rit setzt sich die­ser Rand­schmuck vom Ge­wohn­ten ab: Gold und Sil­ber so­wie an vie­len Stel­len, wo man auf Me­tall­fo­lie ver­zich­te­te, eine silb­ri­ge Wir­kung von Weiß und Grau be­stim­men den Ein­druck; das gilt auch für Blu­men, die sich dem zeich­ne­ri­schen Drang zu prä­zi­ser Sti­li­sie­rung beu­gen müßen. Am eng­sten ver­wandt sind Ar­bei­ten ei­nes Mei­sters, den ich 1976 ir­rig im Ok­to­ber der Très Riches Heu­res er­ken­nen woll­te, und der in­zwi­schen nach dem Bar­tho­lo­mä­us An­ glicus fr. 135-136 der BnF ge­nannt wird. Zwei Ex­em­pla­re des Boèce (ein Blatt im Lou­ vre, Inv. 9838 mit Wien, ÖNB , cod. 2653, und Sankt Pe­ters­burg, Er­mi­ta­ge, ms. 14035) und eine ge­nia­li­sche Wie­der­ho­lung ei­ner Ci­ce­ro-Hand­schrift des frü­hen Bed­ford-Mei­ sters (Mai­land, Trivulziana ms. 693 nach latin 7789 der BnF) ent­hal­ten Bor­dü­ren der glei­chen Art. Ge­stei­gert fin­den sie sich aus­ge­rech­net in je­nem ge­ra­de schon er­wähn­ten Stun­den­buch, Ms. 4 der Samm­lung Alex­an­dre Ro­sen­berg in New York (sie­he mein Buch über Bart­hélemy d’Eyck 1996, S. 83-86, so­wie zu­letzt Reynaud im Aus­st.-Kat. Lou­vre 2011, S. 163-164, zu Nr. 84). Durch fi­gür­li­che Ele­men­te, die in un­se­ren Bor­dü­ren ver­ streut auf­tre­ten, vor al­lem Vö­gel und Af­fen, ver­rät der Ma­ler sei­ne Her­kunft vom Mei­ ster der Marguerite d’Orlé­ans, be­son­ders ein­drucks­voll auf fol. 131v, wo ein Bo­gen­schüt­ ze, von zwei Hun­den be­glei­tet, ei­nen Bä­ren ver­folgt, der in eine Baum­kro­ne flie­hen will. Si­cher sind die waa­ge­rech­ten Bor­dü­ren erst ent­stan­den, nach­dem die senk­rech­ten text­ be­glei­ten­den Rand­strei­fen ge­malt wa­ren. Vir­tuo­se spie­le­ri­sche Ver­bin­dun­gen des Akanthus mit ei­ner zweiz­ei­li­gen In­itia­le be­le­gen kei­nen en­ge­ren Zu­sam­men­hang zwi­schen den un­ter­schied­li­chen Künst­lern, son­dern nur das Kön­nen des Mei­sters des Bar­tho­lo­ mä­us An­glicus. Pro­ble­ma­tisch ist je­doch der Ka­len­der: Dort las­sen sich die bei­den Ar­ beits­p ha­sen nicht so ent­schie­den tren­nen, win­den sich doch die mo­der­ne­ren Akanthus­ for­men um Bild­fel­der, die von ei­nem der bei­den Haupt­mei­ster der Mi­nia­tu­ren ge­schaf­fen wur­den.

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Die Bil­der Der Ka­len­der Der spek­ta­ku­lär il­lu­mi­nier­te Ka­len­der be­stä­tigt be­reits den ein­zig­ar­ti­gen Cha­rak­ter des Ma­nu­skripts, auch wenn nur ein Drit­tel von ihm er­hal­ten ist: Die hier frucht­ba­re Tra­ di­ti­on setzt mit Jean Pucel­les Il­lu­mi­nie­rung des Bel­le­ville-Bre­viers aus den 1320er Jah­ren (Pa­ris BnF, latin 10484) ein und lebt in zwei der be­deu­tend­sten Stun­den­bü­cher des Her­ zogs von Berry (Pa­ris, BnF, latin 919 und 18014) fort. In­halt­li­cher Kern ist die Gleich­ set­zung des Jah­res­laufs mit dem Apo­sto­li­schen Glau­bens­be­kennt­nis. Da der Glau­be als Weg zum Pa­ra­dies be­grif­fen wird, kom­bi­nie­ren die äl­te­sten Bei­spie­le men­schen­lee­re Mo­nats­bil­der im obe­ren Rand mit der Pa­ra­die­ses­p for­te, aus der die Jung­frau Ma­ria ein Ban­ner mit ei­nem Bild­mo­tiv aus dem Cre­do hißt. Im Bas-de-page hin­ge­gen weist je ein Pro­phet auf den je­wei­li­gen Ar­ti­kel des Glau­bens­be­kennt­nis­ses hin, den ei­ner der Apo­ stel dann aus­spricht. In äl­te­ren Bei­spie­len neh­men die Pro­phe­ten Stei­ne aus der Syn­ago­ ge für die Kir­che, wäh­rend ih­nen die Apo­stel ei­nen wei­ßen Schlei­er von den Schul­tern zie­hen. Für die Tier­kreis­zei­chen war zu­nächst kein Platz. Ein­zel­ne Ele­men­te die­ser Ikon­ographie ha­ben auf un­ter­schied­li­che Wei­se fort­ge­lebt; so durch­zieht den Ka­len­der ei­nes von uns als Nr. 10 in Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter V be­schrie­ be­nen Pa­ri­ser Stun­den­buchs der Ab­bau der Syn­ago­ge zu­gun­sten der Kir­che; und im Bre­ vier des Mar­tin von Ar­agon (Pa­ris, BnF, Roth­schild 2529) wird die Him­mels­p for­te mit der Jung­frau Ma­ria ne­ben der Ent­hül­lung der Pro­phe­ten durch die Apo­stel zum The­ ma gro­ßer Kopf­bil­der. Auf­wändi­ger um­ge­stal­tet hat der Bed­ford-Mei­ster den Grund­ge­ dan­ken im Wie­ner Stun­den­buch: Dort wird über dem Text für die Mo­nats­bil­der brei­ter Raum ge­schaf­fen; und im äu­ße­ren Rand kommt ein zwei­tes Mo­nats­bild hin­zu, wäh­rend un­ten, nicht mehr im Bas-de-Page, son­dern in der Bor­dü­re Ma­ria über der Pa­ra­die­ses­ pfor­te und das Paar aus Pro­phet und Apo­stel ein­fach mit ih­ren Sprü­chen und den Ar­ ti­keln des Cre­do ne­ben­ein­an­der ste­hen. Zwei Köp­fe in den In­itia­len KL wei­sen je­weils auf die wich­tig­sten Hei­li­gen des Mo­nats. Erst beim Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea kom­men die Tier­kreis­zei­chen hin­zu; er reiht im un­te­ren Rand der Recto-Sei­ten des So­bie­ski-Stun­den­buchs Pro­phe­ten, Zodiak, Mo­nats­ar­beit und Apo­stel, rückt dazu in die Mit­te des äu­ße­ren Bor­dü­ren­strei­fens eine wei­te­re Mo­nats­ar­beit, wäh­rend auf Ver­so Halb­fi­gu­ren von fünf Hei­li­gen aus dem je­wei­ li­gen Mo­nat Platz fin­den. In ei­nem an­de­ren Tra­di­ti­ons­strang hat­te der Bed­ford-Mei­ ster in sei­nem Lon­do­ner Haupt­werk Zodiak und Mo­nats­bil­der un­ter den Text ge­stellt. In un­se­rer Hand­schrift ent­wickelt der Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea aus all die­ sen Ele­men­ten eine ori­gi­nel­le neue Lö­sung. Das Lay­out wird per­fek­tio­niert, in­dem im Ti­tel nicht nur der Mo­nats­na­me, son­dern auch das Et für den Mond­zy­klus eine ein­zei­ li­ge Dorn­blatt-In­itia­le er­hält, so daß die An­fangs­buch­sta­ben ge­ra­de­zu eine senk­rech­te Lei­ste bil­den. Wie im Bed­ford-Stun­den­buch er­hal­ten auf Recto alle Dar­stel­lun­gen ab­ge­ schlos­se­ne Bild­fel­der: Zwei Recht­ecke sind un­ter dem Text vor­ge­se­hen für das Mo­nats­ bild und – da­von ab­ge­rückt in der rech­ten Ecke – den Zodiak; denn im Mit­tel­al­ter setz­te

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man den Wech­sel des Tier­kreis­zei­chens in die Mo­nats­mit­te. Mit Gold­ran­ken ver­zier­te blaue oder rote Fonds hin­ter­fan­gen die Ge­stal­ten, un­ab­hän­gig da­von ob sie als Ar­beit auf die Erde oder als Stern­zei­chen in den Him­mel ge­hö­ren. Den In­halt des je­wei­li­gen Ar­ti­ kels aus dem Cre­do ver­an­schau­licht ein Me­dail­lon im obe­ren Rand. Dar­auf wei­sen von rechts je ein Pro­phet und ein Apo­stel, die von­ein­an­der ge­trennt in Me­dail­lons sit­zen und de­ren Sprü­che in Blau und Rot je­weils über ihr Bild­feld ge­schrie­ben sind. Hin­zu kom­ men auf Ver­so, nun aber wie im So­bie­ski-Stun­den­buch, aus dem Ran­ken­werk ent­sprin­gen­ de Ge­stal­ten oder Sym­bo­le, die sich aus dem Fest­zy­klus des ein­zel­nen Mo­nats er­klä­ren. So er­gibt sich eine be­mer­kens­wer­te Ab­fol­ge, in der bis auf das Mo­nats­bild April, das in den Lon­do­ner Bed­ford Hours ähn­lich vor­kommt, je­des Mo­tiv frei ent­wickelt ist. Un­ter dem Zei­chen der Kreu­zi­gung Chri­sti steht der April; auf das zen­tra­le Bild­me­ dail­lon wei­sen Za­cha­ri­as und Jo­han­nes der Evan­ge­list. Ein vor­neh­mer Herr hat im Mo­ nats­bild ei­nen fri­schen grü­nen Ast ge­bro­chen, wäh­rend der Stier vor ei­ner Fels­land­schaft ruht und auf­schaut. Ein nicht durch At­tri­bu­te ge­kenn­zeich­ne­ter Geist­li­cher, Ge­org mit dem Dra­chen, Mar­kus mit dem Lö­wen und eine hei­li­ge Äb­tis­sin zei­gen sich auf Ver­so. Im Mai be­setzt der Ab­stieg in den Lim­bus mit Je­sus, der Adam und Eva aus dem Höl­ len­ra­chen be­freit, die obe­re Bor­dü­re, von Osea und Tho­mas er­läu­tert. Ein Mann mit ei­ ner Blu­me und ein Falk­ner spa­zie­ren un­ten, wäh­rend zwei nack­te Män­ner als Zwil­lin­ge mit­ein­an­der rin­gen. Ja­kob­us und Phil­ipp­us, ein gol­de­nes Kreu­zes­zei­chen, Jo­han­nes der Evan­ge­list und der Pa­ri­ser Bi­schof Germ­anus be­set­zen die Bor­dü­re auf Ver­so. Dem Pfingst­wun­der ist der Ar­ti­kel des Cre­do im Au­gust ge­wid­met; da­von han­delt Joel, auch wenn er sich – viel­leicht be­wußt – vom Wun­der, das die Kir­che kon­sti­tu­ier­te, ab­ wen­det, wäh­rend Bar­tho­lo­mä­us mit dem Zei­ge­fin­ger nach oben deu­tet. Zum Dre­schen des Korns paßt, daß das Stern­zei­chen der Jung­frau mit ih­rem Palm­we­del zwi­schen zwei rei­fen Gar­ben steht. Lo­renz, die him­mel­fah­ren­de Ma­ria, Kö­nig Lud­wig und als klei­ne Sze­ne die Ent­haup­tung des Täu­fers wer­den auf Ver­so her­vor­ge­ho­ben. Die Kir­che ist nun als In­sti­tu­ti­on be­grün­det; das zeigt das Me­dail­lon über dem Sep­ tem­ber, und das er­kennt der Pro­phet Micha an, wäh­rend der Apo­stel Mat­thä­us dar­auf weist. Schon wird Wein im Bot­tich ge­tre­ten, mit ei­nem Stille­ben aus Ge­fä­ßen und ei­ nem Wein­faß drum her­um; eine ver­hei­ra­te­te Frau mit schwar­zer Hau­be hält die Waa­ ge vor ei­nem blau­en Grund, der sti­li­sier­ter Him­mel ist. Die Ma­rien­ge­burt, der Apo­stel Mat­thi­as, Mi­cha­el im Kampf mit dem Teu­fel und der Kar­di­nal Hie­ro­ny­mus zei­gen sich auf Ver­so. Die Bil­der zu den Per­ik­open und zum Ma­rien­ge­bet: Evan­ge­li­sten­por­träts er­öff­nen die vier Per­ik­open, in de­nen die Fleisch­wer­dung und die Bot­schaft Jesu aus­ge­drückt wird, wäh­rend der kur­ze Ab­schnitt aus der Pas­si­on nach Jo­ han­nes mit der Gei­ße­lung be­bil­dert ist. Die Evan­ge­li­sten wer­den ähn­lich dar­ge­stellt wie in den Stun­den­bü­chern in Lon­don, Wien und Lis­sa­bon; doch nur Jo­han­nes folgt der dort be­nutz­ten Vor­la­ge, die dann spä­ter noch in un­se­rer Nr. 15 va­ri­iert wer­den soll­te.

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Jo­han­nes auf Patmos ist in Stun­den­bü­chern sel­ten so lie­be­voll und de­tail­reich dar­ge­stellt wor­den wie in die­sem Bei­spiel (fol. 5), das an das etwa gleich­zei­ti­ge Bild im Stun­den­buch der Marguerite d’Orlé­ans (lat. 1156B der BnF) den­ken läßt: Man blickt von dür­ren Fel­sen aus, auf de­nen Ech­sen le­ben, über das von vie­len En­ten be­leb­te Was­ser auf das win­zi­ge Ei­land, das nur als Sockel für die pla­sti­sche Ge­stalt des am Bo­den sit­zen­den ju­gend­li­chen Evan­ge­li­sten kon­zi­piert ist. Er hält mit der Lin­ken ein Schrift­band, des­sen Schwung bis zum Bo­den reicht, und schreibt so kon­zen­triert, als neh­me er sei­ne Um­ge­bung gar nicht wahr. Am Bo­den ne­ben ihm ist ge­ra­de der Streit von Teu­fel und Ad­ler um sein Schreib­ zeug im Gan­ge; und es zeigt sich – ganz un­ge­wöhn­lich in die­sem Zu­sam­men­hang – ein En­gel: Der weist schwe­bend zur Licht­er­schei­nung, die im Bo­gen­schei­tel den recht dunk­ len Him­mel über ei­ner dif­fe­ren­zier­ten Land­schaft er­hellt. Nah­sich­ti­ger sind die drei an­de­ren Evan­ge­li­sten ge­zeigt, in In­te­rieurs, die von hel­len Dia­phrag­ma-Bö­gen ge­rahmt wer­den, mit je­nem er­staun­li­chen Sinn für stille­ben­haf­te Aus­schmückung, der beim Maza­rine-Mei­ster im na­men­ge­ben­den Stun­den­buch und beim Boucicaut-Mei­ster im Bessonn­el­le-Stun­den­buch (Pa­ris, BnF, lat. 1161) vor­ge­prägt und dann beim Bed­ford-Mei­ster aus­ge­lebt wird. Der Zu­schnitt der Mi­nia­tu­ren va­ri­iert; denn der ein­ge­zo­ge­ne Bo­gen des Jo­han­nes­bilds kehrt erst bei Mar­kus wie­der; des­halb wir­ken Lu­kas und Mat­thä­us mit ih­ren fla­che­ren Bö­gen mo­der­ner. Zwi­schen dem auf den Bild­rah­men be­zo­ge­nen Dia­phrag­ma und dem da­hin­ter lie­gen­den Raum läßt sich kei­ne schlüs­si­ge Kon­ti­nui­tät her­stel­len; die­ser Um­stand sorgt für ma­le­ri­sche Un­ord­nung. Bei Lu­kas (fol. 7) wird schon im rah­men­den Bo­gen mit Au­ßen und In­nen ge­spielt; denn ein dün­nes Säulchen links soll an­deu­ten, man sehe den Raum von au­ßen. Der Evan­ge­list sitzt zwar rechts vor ei­ner bild­par­al­le­len Wand mit sil­ber­nen Fen­stern und ei­nem pracht­ vol­len ro­ten Bro­kat­tuch, doch öff­net sich links der Blick über ei­nem Gärt­chen zum best­ irnten Him­mel, durch den Schrei­ben wie zu­wei­len im Spät­mit­tel­al­ter als Nacht­ar­beit be­grif­fen wird. Die dy­na­mi­sche Schrä­ge, die vom Bü­cher­pult rechts über das Schreib­pult in der Mit­te zur nied­ri­gen Gar­ten­mau­er links führt, ver­steht sich nicht als Per­spek­ti­ve, son­dern als ein vi­ta­les Ge­stal­tungs­ele­ment, das der Stier, ganz um­wickelt vom Schrift­ band, nach links vorn hin durch­bricht. Bei Mat­thä­us (fol. 9) sorgt die ins Bild ein­be­schrie­be­ne Ar­chi­tek­tur wie­der­um für eine wi­der­sprüch­li­che Wir­kung; denn un­ten setzt das Bild mit ei­ner Stu­fe ein, von der schräg ge­stell­te nied­ri­ge Bö­gen aus­ge­hen, auf die dann am Bild­rand zwei dün­ne Säu­len ge­stellt sind, die den Maß­werk­rah­men tra­gen. Die Rück­wand, über der hier ein Holz­ge­wöl­be an­ge­deu­tet ist, ver­läuft wie­der bild­par­al­lel. Schräg schließt sich nach rechts eine Sei­ten­ wand an, die fast ganz aus dem Fen­ster be­steht, in das der Lu­xem­bur­ger Löwe als Wap­ pen­schei­be ein­ge­setzt ist. Da auch der mit herr­li­chem blau­en Gold­bro­kat aus­ge­schla­ge­ne Thron des grei­sen Evan­ge­li­sten schräg steht, wirkt es, als sei der Bild­raum eine Art Sechs­ eck. Eine sil­ber­ne Vase mit ro­ten Blu­men und ein ka­sten­förmi­ges Buch­pult mit dreh­ba­ rem Stän­der schie­ben sich links als stille­ben­haf­tes Bei­werk ein. Der Evan­ge­list schreibt nicht, son­dern liest in ei­nem blau ge­bun­de­nen Fo­li­an­ten, un­ge­ach­tet der Tat­sa­che, daß

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ihm sein En­gel von rechts ein auf­ge­schla­ge­nes Buch prä­sen­tiert und das Schreib­zeug mit Tin­ten­faß und Fut­te­ral hält. Mar­kus mit dem Lö­wen (fol. 11) er­hält wie­der ei­nen ein­ge­zo­ge­nen Bo­gen; die Bin­nen­ar­ chi­tek­tur wirkt ru­hi­ger; eine nied­ri­ge Stu­fe mit seit­lich er­ho­be­nen Blöcken er­öff­net den Blick. Bild­par­al­lel ver­lau­fen die Rück­wand und die Holz­ton­ne; da­vor spannt sich aber ein Joch ei­nes Kreuz­rip­pen­ge­wöl­bes; und nach rechts bricht der Raum hin­ter ei­nem schräg ge­stell­ten Mö­bel­stück aus, auf dem ein Ker­zen­stän­der, ein Buch, das Schreib­zeug und eine Vase mit ro­ten Nel­ken ver­teilt sind. Da­vor steht der Löwe, recht klein, und hält das Schrift­band im Maul, auf das der Evan­ge­list ge­ra­de un­ver­ständ­li­che Buch­sta­ben schreibt, wäh­rend im fort­lau­fen­den Text die Wor­te (ev)an­gely sec­undum marc­um zu ah­nen sind. Aus ei­nem Pas­si­ons­zy­klus stammt das Bild zur Pas­si­on nach Jo­han­nes. Über­ein­stim­ mend mit dem In­cipit, in des­sen letz­ter Zei­le flagellavit steht, ent­schied man sich für die Gei­ße­lung (fol. 12v): Un­ter ei­nem Kreuz­rip­pen­ge­wöl­be, vor Maß­werk­fen­stern, wie sie eher zu ei­ner Ka­pel­le pas­sen wür­den, spannt sich ein ro­tes Bro­kat­tuch. Da­vor steht, ohne ar­chi­tek­to­ni­sche An­bin­dung die graue Stein­säu­le, de­ren Schaft ein Kelch­ka­pi­tell als Ba­sis und Ka­pi­tell hat. In ei­ner ge­ra­de­zu fil­mi­schen Ab­fol­ge von links nach rechts, wie man sie zu­wei­len bei die­sem The­ma fin­det, kniet ein er­ster Scher­ge, um sei­ne Gei­ßel zu bin­den; ein zwei­ter holt zum Schlag aus, der drit­te, nun auf der rech­ten Sei­te, hat die Arme schon über den Kopf ge­ho­ben, wäh­rend der vier­te, rechts vorn, sei­ne Gei­ßel nach dem Schlag sin­ken läßt. Hin­ter den Säu­len­schaft ge­bun­den er­trägt der Er­lö­ser die Pein. Für das Ob­secro te, das als ein­zi­ges der bei­den gro­ßen Ma­rien­ge­be­te über­haupt be­bil­dert ist, hat man nur eine statt­li­che sechsz­ei­li­ge In­itia­le vor­ge­se­hen. Spä­ter wur­den die­se Tex­ te ge­wöhn­lich mit grö­ße­ren Mi­nia­tu­ren aus­ge­stat­tet; un­ser Stun­den­buch ist also im­mer noch ei­nem recht frü­hen Brauch ver­pflich­tet: Ma­ria am Web­stuhl (fol. 17) ar­bei­tet in ei­nem schlich­ten In­nen­raum, der von links und mit der Längs­wand und der Holz­ton­ne bild­par­al­lel ge­se­hen wird. An ei­nem ro­ten Web­stuhl sitzt Ma­ria mit of­fe­nem Haar und webt eine grü­ne Bor­te. Wie zu­wei­len bei Mari­en-Non (so in Berrys Gran­des Heu­res, Pa­ ris BnF, fr. 919, fol. 34) er­scheint rechts über ihr in Halb­fi­gur ein En­gel, um der Tem­ pel­jung­frau Brot und ei­nen Krug zum Trin­ken zu brin­gen. Die Bil­der zum Mari­en-Of ­fi­zi­um Zur Ent­ste­hungs­zeit un­se­res Stun­den­buchs lag der Zy­klus für das Mari­en-Of ­fi­zi­um in Pa­ris fest. Hier er­hal­ten sind nur fünf der einst acht Text­an­fän­ge. Die Mi­nia­tu­ren ent­ spre­chen, zu­min­dest in der Grund­kon­zep­ti­on, Bil­dern aus der Bed­ford-Tra­di­ti­on. Dazu ge­hört, daß zur Ves­p er zwar wie ge­wohnt die Flucht nach Ägyp­ten dar­ge­stellt wird; doch hat­ten sich Haupt­wer­ke der Bed­ford-Grup­pe der Vor­ga­be im Maza­rine-Stun­den­buch an­ ge­schlos­sen und statt der Flucht in eine Land­schaft die An­kunft an ei­nem Stadt­tor ge­ zeigt, das ent­we­der Ein­laß in Ägyp­ten oder in eine Stadt wie Heliopolis ge­währt. Vor ei­ner halb­run­den Ap­sis, die mit ei­nem ro­ten Bro­kat an ei­ner Stan­ge ab­ge­trennt wird, also in ei­nem sa­kra­len Raum, spielt die Ver­kün­di­gung an Ma­ria zur Matutin (fol. 25).

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Kunst­voll spielt der drei­tei­lig ge­staf­fel­te Dia­phrag­ma­bo­gen im In­nen­raum mit der Form der Mi­nia­tur, die wie­der von ei­nem ein­ge­zo­ge­nen Bo­gen bekrönt ist. Ma­ria hat sich von ih­rem Falt­stuhl, der links un­ter ei­nem Bal­da­chin auf ei­nem nied­ri­gen höl­zer­nen Po­dest steht, er­ho­ben, um kniend in ih­rem Buch zu le­sen, das ei­nen nicht le­ser­li­chen Text zeigt. Doch dann ist sie des von rechts hin­zu­tre­ten­den En­gels ge­wahr ge­wor­den, hat sich ihm zu­ge­wen­det und kreuzt nun die Un­ter­ar­me in hei­li­ger Ver­wir­rung, die er­kenn­bar aus ih­ rer Mi­mik spricht. Ga­bri­el, in gol­de­ner Dal­ma­tika und ei­nem silb­rig grau­en Chor­man­tel, ist be­reits in die Knie ge­sun­ken und ver­kün­det mit ei­nem Zep­ter in der Rech­ten auf ei­ nem mun­ter ge­wun­de­nen Spruch­band aue grat­ia ple­na domi­nus tecum. Win­zig er­scheint als Bü­ste Gott­va­ter vor ei­nem der sil­ber­nen Fen­ster rechts oben; gol­de­ne Strah­len, nicht aber wie so oft die Tau­be sen­det er aus. Ähn­lich dif­fe­ren­ziert wie beim Jo­han­nes­bild steigt die Land­schaft in der Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 49) auf zum ho­hen Ho­ri­zont. Ein Berg und zwei Bäu­me in der Mit­ tel­ach­se schlie­ßen un­ter den gol­de­nen Strah­len aus dem Bo­gen­schei­tel die bei­den Frau­ en zu­sam­men. Links da­hin­ter taucht eine Burg oder eine Stadt auf, aus der die Jung­frau ge­kom­men ist, rechts hin­ge­gen nur eine Müh­le, de­ren rau­schen­der Bach steil nach un­ten fließt. Die Er­zäh­lung ver­langt ei­gent­lich Ma­ri­as Weg übers Gebirg zum Haus von Eli­sa­ beth und Za­cha­ri­as, der selbst­ver­ständ­lich kein Mül­ler war. Eine Magd, die ein grau­es Beu­tel­buch trägt, setzt ne­ben dem klas­si­schen Fa­rb­klang von Blau mit Gold und Rosa mit Grau bei den Haupt­fi­gu­ren ei­nen mun­te­ren Ak­zent; denn das jun­ge Mäd­chen mit dem ele­gan­ten Kranz um die Haar­ka­lot­te trägt über ei­nem gol­de­nen Un­ter­kleid ein mit wei­ßem Pelz ver­bräm­tes leuch­ten­des Zin­no­ber, das auch bei Eli­sa­beth wie­der­kehrt als Fut­ter ih­res ro­sa­far­be­nen Man­tels. Zur Prim wird die An­be­tung des Kin­des (fol. 60) in ei­ner ganz und gar un­ge­wohn­ten Ar­ chi­tek­tur ge­zeigt: Die Tra­di­ti­on ver­langt den Stall von Beth­le­hem, viel­leicht in Rui­nen von Da­vids Pa­last. Hier aber steht das Ge­bäu­de zu­min­dest auf säu­ber­li­chem Stein­fun­ da­ment und ver­fügt rechts über ei­nen Ka­min, in dem Feu­er lo­dert. Holz­stüt­zen tra­gen das Dach des nach rechts mit gut ge­fug­ter Mau­er ge­schlos­se­nen Ge­bäu­des, das nur links schad­haft ist und ins Freie blicken läßt, wo wie in den gro­ßen Bed­ford-Stun­den­bü­chern be­reits drei Hir­ten her­ein­schau­en. Un­ter ei­ner in der Mit­te ge­öff­ne­ten Gau­be steht ein Bal­da­chin, wie man ihn auch als Bett­him­mel kennt; doch fehlt das Wo­chen­bett. Da­vor kniet Ma­ria, ganz in Blau, und mit ge­kreuz­ten Un­ter­ar­men den nackt am Bo­den lie­gen­ den Kna­ben an­be­tet, wäh­rend der grei­se Jo­seph links nie­der­ge­kniet ist und die Hän­de zum Ge­bet fügt. Der Bo­den ist mit Äh­ren be­streut; Ochs und Esel lu­gen zwi­schen dem Zieh­va­ter und der Jung­frau di­rekt über dem Je­sus­kna­ben her­vor. Gott­va­ter er­scheint im Krei­se der Se­ra­phim, wäh­rend sechs sil­ber­ne Vög­lein, zu klein für Tau­ben, in der Gau­ be und von rechts über Ma­ri­as Haupt her­ab­flie­gen. Zu den schön­sten Mi­nia­tu­ren un­se­res Ma­nu­skripts ge­hört die An­kunft in Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 74): Un­ter den gol­de­nen Strah­len aus dem Bo­gen­schei­tel wird die Hei­li­ge Fa­mi­lie mit dem Esel in­so­fern be­son­ders wir­kungs­voll her­vor­ge­ho­ben, als die wil­de Fel­ sen­land­schaft in vie­len un­ter­schied­li­chen Farb­tö­nen und Hel­lig­keit­en auf­l euch­tet: Über

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ein Fels-Repoussoir mit ei­nem Frucht­baum blickt man auf die ge­pfla­ster­te Stra­ße vor dem Stadt­tor rechts. Eine Ech­se, die neu­gie­rig auf­blickt, macht deut­lich, durch wel­che Wild­nis Jo­seph den brau­nen Esel ge­führt hat. Der Zieh­va­ter blickt zu Ma­ria, die sich mit in­ni­gem Ge­sichts­aus­druck zum in Weiß ge­wickel­ten Kna­ben neigt, des­sen rech­te Schul­ter nackt ist. In dem Mo­ment, da zwei Män­ner zur Be­grü­ßung aus dem Stadt­tor blicken, stürzt ein ver­gol­de­ter nack­ter Göt­ze von ei­nem Söl­ler her­ab. Ganz und gar er­staun­lich ist auch die Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 84): Vor tief­ blau­em Grund, der oben mit gol­de­nen Ster­nen besät, zu den Sei­ten aber mit Gold­ran­ken ver­ziert ist, steht Got­tes Thron, mit höchst un­ge­wöhn­li­cher grau­er Be­span­nung, die mit Weiß und Grau geo­me­trisch ge­mu­stert ist. Der Bal­da­chin ragt weit vor; auf ihm sin­gen drei mit oxid­iertem Sil­ber mo­del­lier­te Che­rub­im von ei­nem Blatt, des­sen Text und No­ ten nicht les­bar sind. Ma­ria kniet von links vor ih­rem Sohn und kreuzt da­bei die Un­ter­ ar­me. Sie trägt ein mit Gold best­irntes Kleid un­ter ih­rem gol­de­nen Man­tel, der wie Jesu ro­sa­far­be­ner mit kräf­ti­gem Grün ge­füt­tert ist. Ein En­gel hält den Man­tel, ein zwei­ter kommt aus der Höhe her­ab, um der Mut­ter­got­tes die Kro­ne auf das Haupt zu set­zen. Je­sus, der eine ähn­li­che Kro­ne trägt, sitzt auf­recht mit ei­ner gro­ßen gol­de­nen Spha­ira und seg­net, wäh­rend ein drit­ter En­gel ne­ben ihm die Har­fe spielt. Da­vids Buße zu den Buß­psal­men Die Buße Kö­nig Da­vids zu den Buß­psal­men (fol. 90) bie­tet die Mög­lich­keit für ein wei­ te­res groß­ar­ti­ges Bild des Men­schen in bi­zar­rer Land­schaft: Un­ten kniet nach links ge­ wen­det Kö­nig Da­vid in ro­tem Man­tel, ge­krönt; die Har­fe hat er vor sich ab­ge­legt. Er hat in die­ser Mi­nia­tur sicht­lich die Welt des hell leuch­ten­den Pa­lasts rechts hin­ter sich ge­ las­sen, um in der Wild­nis zu bü­ßen. Sie er­weist sich als eine schrof­fe Fels­land­schaft, die wie ein Kelch auf­ragt. Da steht, zwar zier­lich, aber mit dem Flam­men­schwert ein En­gel und weist nach oben, wo in Halb­fi­gur Gott­va­ter im Kreis der Se­ra­phim am Him­mel er­ scheint und sich zu Kö­nig Da­vid her­ab­neigt. Die Horen zu den ein­zel­nen Wo­chen­ta­gen Für die Horen zu den Wo­chen­ta­gen hat­te sich kei­ne gül­ti­ge Bild­fol­ge ent­wickelt; in Frank­reich sind sie sel­ten; sie kom­men je­doch in Haupt­wer­ken des Bed­ford-Mei­sters vor. Für den Man­gel an Ver­traut­heit mit die­sen Tex­ten spricht schon der Um­stand, daß im Lon­do­ner Bed­ford-Stun­den­buch die Ab­fol­ge vom sonst ge­wohn­ten Brauch ab­weicht; denn dort wer­den am Diens­t ag die Hei­li­gen und am Mitt­woch der Hei­li­ge Geist ver­ehrt; hier hin­ge­gen gilt die­sel­be Ord­nung wie im Wie­ner Stun­den­buch. Nach der in flim­mern­den Far­ben ge­mal­ten Mi­nia­tur zu den Buß­psal­men wirkt das er­ste Bild zu den Wo­chen­tags-Horen ge­ra­de­zu be­ru­higt; da­bei spielt der Wech­sel des ver­ant­ wort­li­chen Ma­lers ent­schei­dend mit: Die himm­li­sche Er­schei­nung Got­tes ist dies­mal das ei­gent­li­che Bild­the­ma: Der Sonn­tag ist als dies domi­nic­alis der Drei­ei­nig­keit ge­wid­met; des­halb zeigt sich die Tri­ni­tät mit den vier Evan­ge­li­sten (fol. 112) in der auch in Lon­don und Wien zi­tier­ten Tra­di­ti­on der Be­bil­de­rung von Psalm 109, bei der die An­fangs­wor­te

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Dixit domi­nus do­mi­no meo durch eine fast zu ei­ner Ge­stalt ver­schmel­zen­den Ein­heit von Sohn und Va­ter aus­ge­drückt wer­den. Von den Mi­nia­tu­ren des Bed­ford-Mei­sters zu den er­sten Ma­rien­stun­den und zu den Buß­psal­men löst sich die­ses Bild je­doch ent­schie­den: Im Kör­per wird die Ein­heit be­schwo­ren; denn mit den Knien rücken die bei­den Ge­stal­ ten so eng zu­ein­an­der, als trenn­ten sie sich erst im Ober­kör­per hin zu den Häup­tern, die hin­ge­gen sehr viel schär­fer von­ein­an­der ge­schie­den wer­den, al­ler­dings durch die wei­ße Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes ver­bun­den blei­ben. Wäh­rend eine rie­si­ge Tia­ra die bei­den Köp­fe beim Bed­ford-Mei­ster über­fängt, ge­nügt Chri­stus hier sei­ne Dor­nen­kro­ne, so daß die Tia­ra al­lein dem Va­ter zu­steht. Un­ter dem gol­de­nen Man­tel, der bei­der Schul­tern um­spannt, wird bei Chri­stus der nack­te Ober­kör­per des Schmer­zens­manns sicht­bar. Das Buch, das sie hal­ten, ver­kün­det in drei Zei­len, die über die bei­den Sei­ten hin zu le­ sen sind: sancta/ trini/tas sit/ nome(n)/ domi/ ni be(nedictum). Mit Schwarz ge­mu­ster­tes Blatt­gold brei­tet sich un­ter den Fü­ßen und zu den Sei­ten die­ses eins ge­wor­de­nen Paars aus, das kei­nen Thron nö­tig hat. Erst ein feu­rig ro­ter Schein, der sich um das Gold legt, bil­det die klas­si­sche Form der Man­dorla. Se­ra­phim um­ge­ben die Gott­heit im Him­mels­ zen­trum, das von tie­fem Blau um­ge­ben ist. Bei­de Be­rei­che sind durch ei­nen schar­fen, sehr klar kon­tu­rier­ten Fa­rb­wech­sel ge­trennt, nach­dem über Da­vids Haupt der Über­gang von der Vi­si­on Got­tes im Krei­se der Se­ra­phim zum Him­mel ma­le­risch flie­ßend ge­stal­tet war. Im mit Sil­ber geh­öhten Blau, das auch durch den bekrö­nen­den Se­ra­ph bi­zarr kon­ tu­riert wird, er­schei­nen kei­ne Che­rub­im. Viel­mehr zei­gen im Bo­gen­schei­tel zwei En­gel eine Schrift­rol­le, wäh­rend in den vier Ecken die vier Evan­ge­li­sten mit ih­ren We­sen hocken: Jo­han­nes links oben, Mat­thä­us ge­gen­über, Lu­kas links un­ten und Mar­kus dann rechts; sie er­gän­zen das Got­tes­bild zur Majestas Domi­ni. Von ähn­lich kon­kre­ter Mal­wei­se ge­prägt ist dann das Bild vom nächt­li­chen To­ten­dienst in der Kir­che zu den Mon­tags­ho­ren (fol. 120v): Wie­der rücken im Ge­gen­satz zu den viel klein­tei­li­ger ge­mal­ten Mi­nia­tu­ren des Bed­ford-Mei­sters in Lon­don und Wien die Ge­ stal­ten nä­her an die vor­de­re Bild­ebe­ne. In ei­ner auf den Maza­rine- und den BoucicautMei­ster zu­rück­ge­hen­den Tra­di­ti­on, die ih­rer­seits sie­nesische Vor­bil­der ver­ar­bei­tet hat­te, wird der Blick in ei­nen Kir­chen­chor ge­währt. Vor dem Al­tar un­ter den sil­ber­nen Fen­ stern steht ein Ka­ta­falk mit bren­nen­den Ker­zen. Am Sän­ger­pult links ste­hend stim­men drei Geist­li­che das To­ten­of ­fi­zi­um an (des­sen Text in die­sen Bü­chern an ganz an­de­rer Stel­le folgt), wäh­rend zwei Pleurants im Chor­ge­stühl ge­gen­über sit­zen. Der Ma­ler hat das dreh­ba­re Pult wie in sei­nen wun­der­ba­ren Stille­ben der Evan­ge­li­sten­por­träts auf ei­ nen mit Fo­li­an­ten be­stück­ten Bü­cher­ka­sten mon­tiert. Die stär­ke­re Nah­sicht ver­langt eine we­sent­li­che Ver­än­de­rung bei Ka­ta­falk und Cha­pel­le ard­en­te: Hat­te der Bed­fordMei­ster mit zwei Re­gi­stern ge­ar­bei­tet und den Ka­ta­falk mit ro­tem Tuch be­deckt und dar­über dann die blaue Cha­pel­le ge­spannt und de­ren Decke mit fran­zö­si­schen Kö­nigs­ li­lien ge­mu­stert, so ge­nügt hier eine ein­zel­ne Form, die ganz mit den Li­lien auf Blau be­ setzt ist, ob­wohl kein prä­zi­ser Zu­sam­men­hang mit der Kö­nigs­fa­mi­lie be­ste­hen dürf­te. Das Pfingst­wun­der zu den Diens­tags­ho­ren von Hei­lig Geist (fol. 129v) spielt in ei­ner Ka­pel­le, die mit den drei Fen­stern an den Raum den­ken läßt, in dem Je­sus auf fol. 12v ge­gei­ßelt wur­de. Nur ist dies­mal das mitt­le­re Fen­ster nicht mit Maß­werk aus­ge­stat­tet,

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son­dern mit recht­ecki­gen Fen­ster­flü­geln, die sich öff­nen, da­mit die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes aus dem Him­mel in den Raum schwe­ben kann. Ein solch prak­ti­scher Sinn war dem Bed­ford-Mei­ster fern, wie die Bei­spie­le in Lon­don und Wien zei­gen. Ma­ria sitzt in ih­rem lan­gen blau­en Man­tel links der Bild­mit­te, ihr ge­gen­über steht oder kniet Pe­trus als bär­ti­ger Greis, wäh­rend Jo­han­nes mit dem Locken­kopf rechts vorn ge­meint sein dürf­te. Eine er­staun­li­che Ent­schei­dung hat der für den ge­sam­ten Wo­chen­tags­zy­klus ver­ant­ wort­li­che Ma­ler bei den Mitt­wochs­ho­ren von Al­ler­hei­li­gen ge­trof­fen; denn die­sen Text er­öff­net die Tau­fe Chri­sti (fol. 136). Das mag zwei un­ter­schied­li­che Grün­de ha­ben: Als er­ste Er­schei­nung der Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes im bi­bli­schen Be­richt ist die­se Sze­ ne ei­gent­lich ne­ben dem Pfingst­wun­der der wich­tig­ste Be­leg für den Hei­li­gen Geist. Da im Lon­do­ner Bed­ford-Stun­den­buch der Mitt­woch dem Hei­li­gen Geist zu­ge­ord­net war, könn­te der Ma­ler, der ja die Ru­brik auf fol. 135v nicht vor Au­gen hat­te, das Bild ir­rig an die­ser Stel­le ein­ge­malt ha­ben. Viel­leicht aber stand ihm auch vor Au­gen, daß Jo­han­nes, des­sen wich­tig­ste Tat die Tau­fe Chri­sti war, alle an­de­ren Hei­li­gen über­rag­te. Die Her­ vor­he­bung des Täu­fers, der in den Suff­ragien als ein­zi­ger ein Bild, wenn auch nur eine gro­ße In­itia­le er­hielt, mag eben­so vom Na­mens­p a­tron des Auf­trag­ge­bers be­stimmt ge­ we­sen sein. In cha­rak­te­ri­sti­scher Wei­se un­ter­schei­det sich die wun­der­ba­re Land­schaft von den hoch ge­türm­ten Pan­ora­men im Ma­rien­of ­fi­zi­um und im Da­vid­bild. Der Ein­zug des Ab­schluß­ bo­gens be­stimmt die Gren­ze von Erde und Him­mel, die nicht vom Ho­ri­zont, son­dern von der Sil­hou­et­te der dar­über hin­aus­ra­gen­den Ber­ge, Bäu­me und Ge­bäu­de be­stimmt ist. Un­ter ei­ner en-face ge­ge­be­nen Er­schei­nung Gott­va­ters im Kreis der Se­ra­phim wird die Tauf­sze­ne – und nicht der sonst gern iso­liert die Bild­mit­te ein­neh­men­de Je­sus – ge­ zeigt. Statt ei­nes Flus­ses scheint ein See ge­meint zu sein, auf des­sen lin­kem Ufer, weit vorn, in Be­deu­tungs­p er­spek­ti­ve deut­lich klei­ner, wür­di­ge Män­ner als Zu­schau­er ste­ hen, der er­ste spon­tan be­tend. Der ganz nack­te Je­sus ver­deckt die Scham mit der lin­ken Hand, seg­net mit der Rech­ten und neigt den Blick. Jo­han­nes, deut­lich äl­ter mit grau­em Bart und Haar, in ei­nen gol­den schim­mern­den Man­tel ge­hüllt, hält die sil­ber­ne Fla­sche mit dem Tauf­was­ser so en­er­gisch über das Haupt des Got­tes­sohns, daß die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes nach links aus­wei­chen muß. Der En­gel mit Chri­sti Rock, der hier mit gol­de­nen Mu­stern ver­ziert ist, kniet rechts. Die da­durch be­wirk­te enge Ver­bin­dung mit der Haupt­grup­pe eben­so wie die Ein­gren­zung des Was­sers durch Ber­ge und zwei Städ­te im Hin­ter­grund un­ter­schei­det die Kom­po­si­ti­on von ähn­li­chen Bil­dern in stil­ver­wand­ ten Hand­schrif­ten, so im Salis­bu­ry-Bre­vier des Her­zogs von Bed­ford (Pa­ris, BnF, latin 17294, fol. 278v) und im sti­li­stisch spä­te­ren Stun­den­buch der Isa­beau de Croix, das ge­ra­ de im Kunst­han­del auf­ge­taucht ist (fol. 185). In­halt­lich setzt sich un­ser Ma­ler von dem ge­nann­ten Bei­spiel da­durch ab, daß er mit prak­ti­schem Ver­stand dem Täu­fer nicht auch noch ein Buch in die Hand gibt. Das Letz­te Abend­mahl ge­hört in Zy­k len der Wo­chen­tags-Horen zum Don­ners­tag (fol. 142), wur­de es doch am Vor­abend des Kar­frei­tag ge­fei­ert: In ei­nem en­gen Zen­tral­ bau, der in der Art sie­nesisc­her Ar­chi­tek­tu­ren des 14. Jahr­hun­derts durch drei ge­staf­felt

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hohe Bö­gen von au­ßen sicht­bar ist und des­sen fünf­tei­li­ges Kreuz­rip­pen­ge­wöl­be Sinn für die ar­chi­tek­to­ni­schen Not­wen­dig­kei­ten ver­mis­sen läßt, ha­ben sich die zwölf Jün­ger mit Je­sus in ih­rer Mit­te ver­sam­melt: Sie drän­gen sich, so daß ihre Zahl nur von den Nimben her be­stimmt wer­den kann. Ge­gen den ikono­gra­phi­schen Brauch, ent­we­der das Brot für Ju­das zu zei­gen oder Petri Nach­fra­ge bei Jo­han­nes, der an der Brust des Herrn ru­ hen müß­te, steht hier die Kom­mu­ni­on des ju­gend­li­chen Lieb­lings­jün­gers im Zen­trum, die sonst so gut wie nie dar­ge­stellt ist. Ju­das er­scheint – wie auch in den kom­po­si­to­risch ver­wand­ten Bil­dern des Bed­ford-Mei­sters in Lon­don und Wien – auf we­nig ver­trau­te Wei­se; denn er wird mit der Rücken­fi­gur in der Mit­tel­ach­se ge­meint sein. Wie bei An­ drea del Ca­stagno im Re­fek­to­ri­um von Sant’Apol­lo­nia in Flo­renz aus den 1440er Jah­ren trägt er ei­nen auf­fäl­li­gen schwar­zen Haar­schopf. Vom Brauch weicht auch ab, daß sich ei­ner der Apo­stel noch recht ver­traut zu dem als ein­zi­gem Knien­den beugt; von der Phy­ sio­gno­mie her könn­te Pe­trus mit die­sem Jün­ger ge­meint sein; dann wür­de er hier sei­ne Nach­fra­ge di­rekt an den Ver­rä­ter rich­ten. Mit dem in Stun­den­bü­chern ge­nau­so for­mu­lier­ten Text ge­hö­ren die Horen von Hei­lig Kreuz zum Frei­tag. Wie auch sonst üb­lich wer­den sie von ei­nem Bild der Kreu­zi­gung (fol. 150) ein­ge­lei­tet, wo­bei der Ma­ler dies­mal ganz auf die Ver­ge­gen­wär­ti­gung in Land­ schaft ver­zich­tet. Als habe er ein al­ter­tüm­li­ches An­dachts­bild im Sinn, brei­tet er ei­nen kost­ba­ren Fond aus gol­de­nen, ro­ten und blau­en Ka­ros, wie er um 1410 Mode war. Da­ bei be­setzt er die Sze­ne aber sehr dicht mit Fi­gu­ren: Golgatha wird durch To­ten­schä­del und Kno­chen un­ten als Schä­del­stät­te be­zeich­net. Groß ra­gen die Ge­stal­ten der Mut­ter­ got­tes und des Lieb­lings­jün­gers links und des Zen­tu­rio mit sei­nem Ge­sprächs­p art­ner rechts auf. Zwei hei­li­ge Frau­en links und ein Mann rechts wir­ken da eher als Füll­sel. Von Jo­han­nes be­schwich­tigt, schaut Ma­ria zum Sohn auf, des­sen Sei­ten­wun­de den Tod be­ weist. Der Zen­tu­rio hin­ge­gen sen­det ein Spruch­band aus mit den Wor­ten: vere fi­lius dei erat iste. Ge­wis­se Mühe hat es den Ma­ler ge­ko­stet, dann auch noch die bei­den Schäc­her an ih­ren vom Bo­gen­ab­schluß des Bil­des be­schnit­te­nen Kreu­zen un­ter den Kreu­zes­ar­ men Jesu un­ter­zu­brin­gen. Zu den er­staun­lich­sten Bil­dern ge­hört die Mond­si­chel­ma­don­na in der Son­ne zum Sonn­ abend (fol. 157v) am Ende die­ses Zy­klus: Aus der Apo­ka­lyp­se stammt die Vor­stel­lung von der ver­folg­ten Mut­ter mit ih­rem Kind, die auf dem Mond steht und in die Son­ne ge­klei­det ist. Des­halb fin­det man vor al­lem im Spät­mit­tel­al­ter un­ge­zähl­te Bei­spie­le in je­ dem Me­di­um der Bild­kün­ste; und im­mer ist da­mit die Jung­frau Ma­ria als Mut­ter­got­tes ge­meint. So auch hier in ei­ner gran­dio­sen Dar­stel­lung der auf­recht ste­hen­den Kö­ni­gin der En­gel, die in ih­ren blau­en, in­nen gol­den aus­ge­schla­ge­nen Man­tel ge­hüllt ist. Sie hält den in gol­den schim­mern­des Pur­pur­rot ge­klei­de­ten Je­sus­kna­ben so, daß er nach links aus dem Bild her­aus­blickt, wäh­rend sie zu En­geln schaut, von de­nen drei un­ten rechts ein gro­ßes Buch ge­öff­net ha­ben, aus dem sie ge­wiß ge­ra­de sin­gen, wäh­rend über ih­ren mun­ter bun­ten Flü­geln ein vier­ter die Har­fe schlägt. Raf ­fi­niert ist das Ge­wicht der Haupt­fi­gur nach links ver­scho­ben; von dort müß­te sich im Sin­ne der Le­se­rich­tung der Be­ter oder die Be­te­rin des Stun­den­buchs nä­hern, und da­hin schaut des­halb auch der Je­sus­kna­be.

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Ein un­ge­wohn­tes Hei­li­gen­bild Pe­ter von Lu­xem­burg (1369-1387) war als Kle­ri­ker Spiel­ball im Schisma zwi­schen Rom und Avi­gnon. Vom Ge­gen­papst Cle­mens VII . mit nur 15 Jah­ren zum Erz­bi­schof von Metz und Kar­di­nal er­ho­ben, ver­such­te er, sich ge­gen ei­nen Kon­kur­ren­ten durch­zu­set­ zen, den der deut­sche Kö­nig Wen­zel und der rö­mi­sche Papst Ur­ban VI . un­ter­stütz­ten. Pe­ter von Lu­xem­burg wur­de dann aber nach Avi­gnon ge­ru­fen, wo er im Geruche der Hei­lig­keit starb, als Stadt­pa­tron ver­ehrt, aber erst 1527 vom Medici-Papst Cle­mens VII . se­lig ge­spro­chen. Als Hei­li­gen zeigt ihn die Mi­nia­tur mit dem Ge­bet des Pe­ter von Lu­xem­burg (fol. 165). Durch zwei un­ter­schied­li­che Bö­gen ei­nes ar­chi­tek­to­ni­schen Rah­mens, der an das Lu­ kas­bild (fol. 7) er­in­nert, blickt man auf sei­nen Thron­sitz, des­sen blau­er Be­zug mit gol­ de­nen Ster­nen ge­mu­stert ist, und auf ein Bet­pult, das wie ein Al­tar mit ei­nem gol­de­nen Ret­abel be­stückt ist. Der lu­xem­bur­gi­sche rote Löwe auf Sil­ber ver­rät die Fa­mi­lie des in Rot ge­hüll­ten Kar­di­nals, dem ein En­gel den Kar­di­nals­hut bringt, wäh­rend der ju­gend­ li­che Prä­lat von sei­nem un­le­ser­lich be­schrie­be­nen Buch auf­schaut und in va­ger Ana­lo­ gie zur Stig­ma­tisat­ion des hei­li­gen Fran­zis­kus schaut, wie der Ge­kreu­zig­te mit gol­de­nen Strah­len im Dun­kel­blau ei­nes Bo­gens er­scheint, der in der schrä­gen Stirn­wand des mit Holz­ton­ne ge­wölb­ten Raums ge­öff­net ist. Die Mi­nia­tur wird durch das leuch­ten­de Zin­ no­ber zwi­schen tie­fem Blau und den Schwung in der Ge­wan­dung der Haupt­fi­gur be­lebt. Die Dar­stel­lung steht un­ter dem Zei­chen des Pil­ger­hei­li­gen Ja­kob­us, des­sen Sta­tu­et­te zwi­schen den bei­den Bö­gen steht. Das läßt an Ja­cqueline oder Ja­cquette von Lu­xem­burg (1415-1472) den­ken, die John of Lan­ca­ster, Her­zog von Bed­ford, nach dem Tod sei­ner er­sten Ge­mah­lin Anna von Bur­gund ge­hei­ra­tet hat­te. Das Bild zum To­ten­of ­fi­zi­um Wie in sol­chen Stun­den­bü­chern ge­wohnt, wird nur die To­ten-Ves­p er be­bil­dert. Da die oft ge­zeig­te To­ten­fei­er in der Kir­che be­reits auf fol. 120v die Mon­tags­ho­ren der Ver­ stor­be­nen er­öff­net hat­te, wird nun die im Bed­ford-Stil be­son­ders in­ten­siv durch­dach­te Sze­ne des To­ten auf dem Fried­hof (fol. 178) dar­ge­stellt. An­ders als in den üb­ri­gen Va­ ri­an­ten die­ses The­mas, von de­nen wir in die­sem Ka­ta­log ei­ni­ge be­schrei­ben, wird das Gen­re­haf­te ganz aus­ge­schal­tet, das sonst die­se Sze­ne be­stimmt: Von den Prie­stern, Pleurants und so­gar den To­ten­grä­bern ver­las­sen, liegt ein nack­ter Leich­nam auf ei­nem stei­ ner­nen Grab­deckel mit­ten in der von ei­ner ro­sa­far­be­nen Mau­er um­frie­de­ten Wie­se, die durch höl­zer­ne Grab­kreu­ze und ein ho­hes Me­tall­kreuz als Fried­hof ge­kenn­zeich­net ist. Die nack­te See­le hat den Kör­per ge­ra­de ver­las­sen und schwebt mit hoff­nungs­voll aus­ge­ streck­ten Ar­men zu Gott­va­ter, der sich mit Se­ra­phim in ei­nem gol­de­nen Strah­len­kranz im Bo­gen­schei­tel en-face zeigt. Wie in der zu Recht be­rühm­ten Mi­nia­tur des To­ten auf dem Fried­hof in den Gran­des Heu­res de Rohan (Pa­ris, BnF, latin 9471, fol. 159) ver­sucht ein Teu­fel der See­le hab­haft zu wer­den, wäh­rend ein En­gel, eher der Erz­en­gel Mi­cha­el als nur ein schlich­ter Schutz­en­gel, mit dem gol­de­nen Kreuz­stab die See­le schützt, da­

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mit sie von den En­geln auf­ge­nom­men wer­den kann, die un­ter der himm­li­schen Gloriole her­an­schwe­ben. Eine Bild-In­itia­le zu den Suff­ragien In der be­son­ders rei­chen Fol­ge von Suff­ragien fin­det sich nur ein Bild, und zwar auf fol. 227 in ei­ner fünfz­ei­li­gen In­itia­le, die nicht ein­mal ei­nem Suff­ragium zu­ge­ord­net ist, son­dern ei­nem sehr un­ge­wöhn­li­chen Text, der sich als Ge­bet ver­steht, das man zu Fe­sten und Ok­ta­ven Jo­han­nes des Täu­fers spre­chen soll. Da steht vor tie­fem Blau un­ter gol­de­ nen Strah­len der ins Ka­mel­fell ge­hüll­te grau­bär­ti­ge Hei­li­ge, weist auf das Lamm, des­ sen win­zi­ge Ge­stalt erst durch ei­nen schräg nach rechts auf­stei­gen­den Fel­sen Wir­kung er­hält, und spricht zu Män­nern, die ihm in die Ein­öde ge­folgt sind. Bil­der zu den fran­zö­si­schen Schluß­ge­be­ten Das für Pa­ri­ser Stun­den­bü­cher ty­pi­sche Ma­rien­ge­bet zu den XV Freu­den Ma­ri­as Doulce dame lei­tet ein zau­ber­haf­tes Bild der Ma­don­na im Zelt (fol. 256) ein. Vor mit Gold­ran­ ken ge­mu­ster­tem dunk­len Blau er­hebt sich ein run­des wei­ßes Zelt, des­sen gol­de­ne Spit­ze mit ei­nem Fähn­chen in den lee­ren Blatt­rand vor­stößt. En­gel ge­ben uns Ein­blick in die­ se ver­wun­sche­ne Welt, in­dem sie von bei­den Sei­ten her­an­flie­gen, um die Zelt­pla­nen zu öff­nen. Grö­ße­re En­gel sit­zen un­ten auf ei­ner Wie­se; der eine spielt eine Porta­tiv-Or­gel, der an­de­re eine Har­fe. Auf ei­nem ro­ten Stuhl sitzt die Got­tes­mut­ter mit ei­ner ho­hen Kro­ne. Auf ih­rem Schoß steht das Je­sus­kind in ei­nem gold­ge­mu­ster­ten ro­ten Rock und trinkt an ih­rer Brust. Blu­men sprie­ßen in sil­ber­nen Va­sen vorn links und hin­ten rechts, dazu ein Bäum­chen in ei­nem ir­de­nen Topf in der Mit­te vorn. Am köst­lich­sten aber sind die zar­ten ro­ten Ro­sen, die im Zelt wach­sen und wie ein Mu­ster den Thron um­ge­ben. Das fol­gen­de Her­ren­ge­bet der VII Kla­gen des Herrn Doulz dieu er­öff­net ein un­ge­mein dich­tes Bild des Jüng­sten Ge­richts (fol. 261v): Auf ei­nem gol­de­nen Bo­gen thront Je­sus, mit den Fü­ßen auf ei­ner gol­de­nen Wel­ten­ku­gel; sein Nim­bus be­rührt den Bo­gen­schei­ tel, wäh­rend zwei rot glü­hen­de Se­ra­phim die Po­sau­nen bla­sen. Die Rech­te hat der Wel­ ten­rich­ter zum Se­gen er­ho­ben, die Lin­ke weist ab­weh­rend zu den Ver­damm­ten. Doch um­ge­ben ihn di­rekt die Apo­stel, die hier nicht zu Ge­richt sit­zen, son­dern wie die Mut­ ter­got­tes und Jo­han­nes der Täu­fer für die Men­schen als Für­bit­ter ein­tre­ten. Der­weil wird un­ten nicht die Auf­er­ste­hung der To­ten, son­dern be­reits auf eine un­ge­mein ir­ri­tie­ ren­de Wei­se der Ge­richts­p ro­zeß ge­zeigt: In der Mit­te steht ein En­gel mit der Waa­ge, in der ein Er­lö­ster schwer ge­nug für die Gna­de ist, wäh­rend der Ver­damm­te be­reits ins Höl­len­maul rechts un­ten stürzt. Von er­schüt­tern­dem Pes­si­mis­mus zeu­gen die Ge­scheh­ nis­se zu bei­den Sei­ten: Wäh­rend ein zwei­ter En­gel auf den ein­zi­gen hier ge­zeig­ten Er­ lö­sten war­tet, beugt sich zwar ein Teu­fel vor der Macht der En­gel; ein zwei­ter aber hat links, wo man di­rekt un­ter der Mut­ter­got­tes Er­lö­ste er­war­ten wür­de, drei nack­te Auf­ er­stan­de­ne mit ei­ner schwar­zen Ket­te ge­bun­den. Er wird sie nach rechts schaf­fen, wo ein zwei­ter schwar­zer Teu­fel den beim Wä­gen Ver­damm­ten ins gro­ße Höl­len­maul mit lo­dern­dem Feu­er stößt.

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Zum Stil Die Ar­beit an den Mi­nia­tu­ren in die­sem Stun­den­buch war of­fen­bar zu­nächst klar zwi­ schen zwei Künst­lern auf­ge­teilt, de­ren hier­ar­chi­sche Stel­lung bei die­sem Auf­trag eben­ so deut­lich zu Tage tritt. Die bei­den Ma­ler ver­fü­gen je­der über ihr ei­ge­nes Vor­la­gen­ ma­te­ri­al; und schon des­halb ver­tre­ten sie eine un­ter­schied­li­che Op­tik, die sich eben­so in Pin­sel­füh­rung und Fa­rb­be­hand­lung zeigt. Doch kommt in un­se­rem Ma­nu­skript ein son­der­ba­res Fak­tum hin­zu: Ge­sich­ter von jun­gen Frau­en und En­geln, be­son­ders klar er­kenn­bar das Ant­litz der Jung­frau Ma­ria, sind we­der von der ei­nen noch der an­de­ren Hand. Hän­de­schei­dung, die sich in den mei­sten Fäl­len recht gut auf phy­sio­gno­mi­sche Ei­gen­ar­ten ver­las­sen kann, ge­rät des­halb an Gren­zen. Die er­ste gro­ße Mi­nia­tur mit Jo­han­nes auf Patmos, so­dann die er­sten bei­den Bil­der zum Mari­en-Of ­fi­zi­um, und schließ­lich die Er­öff­nung von Buß­psal­men und To­ten-Ves­p er ver­ ra­ten eine Sicht, in der Land­schaft wie eine Ta­pis­se­rie bis zum An­satz des bekrö­nen­den Ab­schluß­bo­gens der Mi­nia­tu­ren auf­ragt, wäh­rend ein gol­de­nes Licht im Bo­gen­schei­tel nach un­ten strahlt. Far­be wird ma­le­risch auf­ge­tra­gen, in vie­len klei­nen Stri­chen; und es wirkt, als sei die aus­füh­ren­de Hand nicht im­mer ganz si­cher, der ver­ant­wort­li­che Ma­ ler also be­reits ei­ni­ger­ma­ßen be­tagt. Dazu könn­te pas­sen, daß grei­se Ge­stal­ten wie die Eli­sa­beth der Heim­su­chung und der bär­ti­ge Da­vid zu den Buß­psal­men be­son­ders ein­ drucks­voll und er­grei­fend ge­lun­gen sind. Licht brei­tet sich weich über die Ob­jek­te; Schat­ten sorgt in der Land­schaft für le­ben­di­ ge Ef­fek­te; aber die Fi­gu­ren er­hal­ten kaum pla­sti­sche Kraft. Den Got­tes­er­schei­nun­gen im Krei­se der En­gel bei den Buß­psal­men und der To­ten-Ves­p er kommt das so­gar zu­gu­ te; denn Über­wirk­li­ches über­zeugt auf er­staun­li­che Wei­se. Das gilt be­son­ders, wenn die Mi­nia­tur zum To­ten­of ­fi­zi­um aus dem ver­trau­ten Gen­re der To­ten­bil­der aus­bricht und den Kampf um die See­le des auf dem Fried­hof lie­gen­den Ver­stor­be­nen ge­stal­tet. Evo­kat­ion des Gött­li­chen ist weit we­ni­ger Sa­che des zwei­ten Ma­lers, der den Ka­len­der, die rest­li­chen vier Bil­der zu den Per­ik­open, wohl auch die In­itia­le mit Ma­ria am Web­ stuhl, die sie­ben Bil­der zu den Wo­chen­tags-Horen, den be­ten­den Pe­ter von Lu­xem­burg, die Mi­nia­tu­ren zu den XV Freu­den und VII Kla­gen eben­so wie die Bild-In­itia­le mit der Jo­han­nes­p re­digt ge­malt hat. Er rückt Ge­stal­ten und Ge­gen­stän­de stär­ker in den Vor­der­grund, ist ein Mei­ster des spie­ le­risch ein­ge­füg­ten Stille­bens, schmückt In­te­rieurs phan­ta­sie­voll aus, ohne sie schlüs­sig mit dem bild­rah­men­den Bo­gen zu kom­bi­nie­ren. Land­schaf­ten wir­ken bei ihm kom­pak­ ter und kla­rer. Mit sei­ner Pin­sel­füh­rung ar­bei­tet die­ser Ma­ler auf rund­li­che pla­sti­sche Wir­kung hin. Selbst wenn bei­de Künst­ler ihre Far­ben wohl aus den­sel­ben Quel­len be­ zo­gen, so weiß die­ser Ma­ler doch viel mehr Wir­kung mit dem kost­ba­ren Blau und den ein­drucks­vol­len Flä­chen ver­schie­de­ner Rot­tö­ne zu er­zie­len. Am klar­sten un­ter­schei­den sich die bei­den Hän­de in un­se­rem Stun­den­buch dort, wo von ih­nen ge­mal­te Köp­fe ei­ner ge­mein­sa­men Grund­idee ver­pflich­tet sind: Das gilt für die di­rekt auf­ein­an­der fol­gen­den Mi­nia­tu­ren zu den Buß­psal­men und den Tri­ni­tät­sho­

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ren mit dem grei­sen Da­vid und Gott­va­ter. Wei­ches Zer­flie­ßen der Form, das für den ei­ nen cha­rak­te­ri­stisch ist, läßt der zwei­te nicht zu; des­halb mag er ein we­nig jün­ger sein. Die Land­schaft der Tau­fe Chri­sti be­stä­tigt die­sen Ein­druck, zu­mal über der er­staun­ lich tref­fen­den Raum­er­schlie­ßung bis zu den Ar­chi­tek­tu­ren in der Tie­fe eine so ding­ lich greif­ba­re Got­tes­er­schei­nung mit rund­li­chen Se­ra­phim schwebt, daß man er­kennt, wie stark die Wirk­lich­keit bei un­se­rem zwei­ten Ma­ler Vor­rang vor dem Vi­sio­nä­ren hat. Seit den Bei­trä­gen von Eleanor Spencer, vor al­lem ih­rem Buch über die So­bie­ski Hours von 1977, sind sich Ken­ner ei­nig, daß in die­sem Ge­gen­satz das Ne­ben­ein­an­der des Bed­ ford-Stils und des Mei­sters der Münch­ner Legenda Aurea zu Tage tritt. Im Lon­do­ner Bed­ford-Stun­den­buch, das für ei­nen un­be­kann­ten Auf­trag­ge­ber ge­schaf­fen wur­de und dann erst Wap­pen und Bild­nis­se des Her­zogs­paars von Bed­ford er­hielt, tritt der zwei­ te Ma­ler nur in letz­ten Hin­zu­fü­gun­gen auf, mit de­nen die Hand­schrift zum Ge­schenk für Hein­rich VI . von Eng­land ein­ge­rich­tet wur­de, wohl im Blick auf sei­ne Krö­nung zum fran­zö­si­schen Kö­nig am 16. De­zem­ber 1431 in der Pa­ri­ser No­tre Dame. Da das Bed­ford-Stun­den­buch aber in die­ser letz­ten Kam­pa­gne be­son­ders ein­präg­sa­me und des­halb ei­nem brei­te­ren Pu­bli­kum be­kann­te Mi­nia­tu­ren von un­se­rer zwei­ten Hand er­ hielt, ver­drän­gen die­se Ar­bei­ten in der all­ge­mei­nen Wahr­neh­mung zu­wei­len den kon­ kur­rie­ren­den Stil des ei­gent­li­chen Bed­ford-Mei­sters. So re­prä­sen­tiert eine der ein­ge­ füg­ten Mi­nia­tu­ren in Wikipe­dia den Bed­ford-Mei­ster; und selbst auf dem Um­schlag mei­nes Buchs über die Lon­do­ner Bed­ford Hours hat man ein sol­ches Bild ge­setzt, weil die schlich­te Wucht, mit der die­ser Künst­ler auf­tritt, fas­zi­niert. Im­mer­hin er­öff­net dort ein Pa­ra­die­ses­bild von der Hand des Bed­ford-Mei­sters selbst die um 1430 hin­zu­ge­füg­ten Mi­nia­tu­ren aus dem Al­ten Te­sta­ment. Die­ser Um­stand be­tont zu­gleich, wie in­ten­siv der äl­te­re Mei­ster, der auch in un­se­rem Stun­den­buch die wich­ tig­sten Mi­nia­tu­ren ge­schaf­fen hat, sei­nen Vor­rang be­haup­te­te. Par­al­lel ne­ben­ein­an­der und doch in glei­cher Wei­se hier­ar­chisch ge­stuft ar­bei­ten bei­de im So­bie­ski-Stun­den­buch. Dort er­hielt der Bed­ford-Mei­ster eben­falls die wich­tig­sten Auf­ga­ben, in­dem er er­neut die Ma­rien­stun­den über­nahm, wäh­rend der an­de­re Ma­ler bei­spiels­wei­se die Pas­si­on zu den Horen von Hei­lig Kreuz ge­stal­tet hat. Ge­nau in die­ser Zeit wird un­ser Stun­den­buch ent­stan­den sein: Der Bed­ford-Stil do­mi­ niert; der Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea aber steht na­he­zu gleich­wer­tig ne­ben der viel­leicht um ein Jahr­zehnt äl­te­ren Stil­la­ge. Im Ka­len­der zeigt sich, daß Kon­zep­te der Bed­ford-Werk­statt, die der Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea um 1430 im So­ bie­ski-Stun­den­buch noch be­rei­chert hat­te, von die­sem Künst­ler nun noch ein letz­tes Mal per­fek­tio­niert wer­den – und das in klei­ne­rem For­mat. Sti­li­stisch er­reicht der Ma­ler hier die Höhe, die selb­stän­di­ge Wer­ke wie das hin­rei­ßen­de Lon­do­ner Stun­den­buch Add. Ms. 18192, ms. 2164 der Mai­län­der Trivulziana, Ms. 291 in Ein­sie­deln und auch Roth­ schild 2535 der Pa­ri­ser Na­tio­nal­bi­blio­thek ver­kör­pern. Schon in frü­he­ren Bü­chern, so in Ka­ta­log 66 (Das Pa­ri­ser Stun­den­buch um 1400) ha­ben wir vor­ge­schla­gen, im Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea den sonst wohl lei­der nicht

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do­ku­men­tier­ten Con­rad von Toul zu er­ken­nen. Der Bed­ford-Stil wird gut be­grün­det mit Hain­celin de Haguenau, der 1409 Valet de Cham­bre des 1415 ver­stor­be­nen Da­uph­ins Lou­is de Guyenne wur­de, und Jean Hain­celin ver­bun­den. Dar­aus ist in der jüng­sten Li­ te­ra­tur na­he­zu Ge­wiß­heit ge­wor­den, man kön­ne bei­de als Va­ter und Sohn un­ter­schei­ den, zu­mal man seit Spencer zwei auf­ein­an­der fol­gen­de, ver­wandt­schaft­lich eng ver­bun­ de­ne Stilla­gen un­ter­schei­det. Da­ge­gen ste­hen aber die Be­den­ken der Rouses von 2000, die mei­nen, mit den un­ter­schied­lich ge­schrie­be­nen Na­men sei wohl doch nur ein und der­sel­be Buch­ma­ler ge­meint, der dann eben von 1403 an ein hal­bes Jahr­hun­dert tä­tig ge­we­sen sein müß­te. An­ge­sichts der stark mit äl­te­rer Buch­kunst ver­bun­de­nen Do­mi­nanz des Dorn­blatts in un­se­rem Stun­den­buch, die selbst­ver­ständ­lich auch vom Auf­trag be­stimmt ge­we­sen sein mag, ge­hö­ren die Mi­nia­tu­ren im Bed­ford-Stil in die Zeit des Über­gangs vom äl­te­ren Bed­ ford-Mei­ster zum jün­ge­ren Du­nois-Mei­ster. Des­sen na­men­ge­ben­des Werk, Ms. Hen­ry Yates Thompson 3 der Bri­tish Lib­rary, wird erst nach der Rück­er­obe­rung von Pa­ris in der zwei­ten Hälf­te der 1430er Jah­re ent­stan­den sein. Die cha­rak­te­ri­sti­schen rund­köpfi­ gen und kurz­wüchsi­gen Ge­stal­ten dort feh­len hier. Des­halb könn­te man den al­tern­den Bed­ford-Mei­ster selbst für die An­la­ge un­se­res Buchs ver­ant­wort­lich se­hen. Pro­ble­ma­tisch blei­ben drei Mi­nia­tu­ren im Ma­rien­of ­fi­zi­um: Die Flucht nach Ägyp­ten wirkt, als habe sie der Bed­ford-Mei­ster kon­zi­piert, aber der Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea aus­ge­malt; denn die tep­pich­haft an­stei­gen­de Land­schaft mit den himm­ li­schen Strah­len aus dem Bo­gen­schei­tel ist noch ganz dem äl­te­ren Stil ver­pflich­tet; die Far­ben aber eben­so wie die Köp­fe der Män­ner, die aus dem Tor tre­ten ha­ben die Kraft des nur we­nig jün­ge­ren Künst­lers. Ma­ria trägt in der Flucht nach Ägyp­ten noch den vor al­lem für den Mei­ster der Münch­ ner Legenda Aurea cha­rak­te­ri­sti­schen blau­en Man­tel mit gol­de­nem Fut­ter über ei­nem im sel­ben Blau ge­hal­te­nen Kleid. Bei der An­be­tung des Kin­des zur Prim und der Ma­ rien­krö­nung zur Komplet aber trägt die Mut­ter­got­tes ein mit Gold ge­mu­ster­tes Kleid, das an Bil­der der Äh­ren-Ma­don­na den­ken läßt; ein gol­de­ner Gür­tel schmückt sie beim Weih­nachts­bild. Die ei­gen­ar­ti­ge Bild­an­la­ge, die stark von zen­tra­ler Wir­kung be­stimmt ist, fin­det sich we­der beim Bed­ford-Mei­ster, noch beim Mei­ster der Münch­ner Legenda Aurea. Ein ein­drucks­vol­ler Ma­ler, der of­fen­bar zum Bed­ford-Kreis ge­sto­ßen ist, tritt hier her­vor, viel­leicht eine Hand, die bei den er­sten Ar­bei­ten im Stun­den­buch der Marguerite de Foix des Lon­do­ner Victo­ria & Al­bert Mu­se­ums (Sal­ti­ng Ms. 1222) mit­ge­wirkt hat. Alle Ma­rien­köp­fe, so­gar die des Ver­kün­di­gungs­bil­des oder auch der hin­rei­ßen­den Mond­ si­chel-Ma­don­na, so­wie fast alle Kin­des- und En­gels­ge­sich­ter, wur­den von ei­ner vier­ten Hand über­malt. Am schlüs­sig­sten läßt das Chri­stus­kind des zu­letzt ge­nann­ten Bil­des den Mei­ster des Jou­ve­nel des Urs­ins er­ken­nen, des­sen re­la­tiv kur­zes Auf­tre­ten von den 1430er bis in die 1450er Jah­re in mei­nem Buch von 1482 um­ris­sen wur­de, ehe Avril und Reynaud ge­wis­se Kor­rek­tu­ren zu dem dort ent­wor­fe­nen Bild in der Pa­ri­ser Aus­stel­lung von 1993 bei­steu­er­ten.

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Das Auf­tre­ten die­ses Ma­lers in un­se­rem 1982 noch nicht prä­sen­ten Ma­nu­skript er­öff­net neue Aspek­te: Ich hat­te den im Loire­ge­biet tä­ti­gen Ma­ler viel­leicht et­was zu ent­schie­ den von Pa­ri­ser Trends sei­ner Zeit ab­ge­setzt; in sei­ner Fouquet-Aus­stel­lung 2003 or­te­te ihn Avril vage im Fahr­was­ser des Du­nois-Mei­sters. Ster­ling wie­der­um hat­te schon 1990 im zwei­ten Band sei­ner Pa­ri­ser Ma­le­rei 1300-1500 die von mir an der Loire an­ge­sie­del­te Stil­fol­ge von Jou­ve­nel-Mei­ster und Mei­ster des Gen­fer Boccaccio ganz nach Pa­ris ver­ setzt und mit den dort do­ku­men­ta­risch be­leg­ten Ma­ler­na­men von An­dré d’Ypres und Co­lin d’Ami­ens ver­bun­den. So nahe wie hier kommt der Jou­ve­nel-Mei­ster den Pa­ri­ser Buch­ma­lern sonst nie. Für sei­ nen Ein­satz in die­sem Buch er­ge­ben sich meh­re­re Op­tio­nen: Die Ma­rien­ge­sich­ter könn­ ten, wie das im 15. Jahr­hun­dert von un­se­rem Prov­ost-Stun­den­buch bis zu Jean Co­lombes Stun­den­buch des Lou­is de Laval im­mer wie­der be­ob­ach­tet wer­den kann, von den Pa­ri­ser Ma­lern be­wußt leer­ge­las­sen wor­den sein, da­mit ein an­de­rer sie voll­en­de­te. Daß der aber jün­ger und des­halb wohl auch we­ni­ger aus­ge­wie­sen sein dürf­te, spricht da­ge­gen. Des­halb er­hält die Vor­stel­lung Ge­wicht, das Buch sei zu­nächst in ei­nem Auf­trag an­ge­ legt wor­den, der in die en­ge­re Um­ge­bung des 1435 in Rouen ver­stor­be­nen Her­zogs von Bed­ford ge­hör­te. Nach dem Ab­zug der Eng­län­der sei es dann an eine Per­son ge­langt, die sich zu Karl VII . be­kann­te. Die Ge­sich­ter wä­ren ver­mut­lich nicht mehr in Pa­ris selbst ge­malt wor­den. Die Kö­nigs­kro­ne und die an meh­re­ren Stel­len auf­tau­chen­den Sta­chel­ schwei­ne könn­ten da­mit zu­sam­men­hän­gen. An die­ser Stel­le kommt der am stärk­sten ir­ri­tie­ren­de Um­stand ins Spiel: Die Er­gän­zun­ gen der Bor­dü­ren stam­men nicht aus dem en­ge­ren Jou­ve­nel-Kreis, son­dern vom Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus, fr. 135-136. Die­ser Künst­ler ge­hört eben­so wie der Jou­ve­nelMei­ster in die Nach­fol­ge des Mei­sters der Marguerite d’Orlé­ans und da­mit ins Loire-Tal, viel­leicht auch nach Le Mans, wie Ni­cole Reynaud mein­te. Von die­sem Künst­ler ist nur ein Stun­den­buch be­kannt: Ms. 4 der New Yor­ker Samm­lung Alex­an­dre P. Ro­sen­berg (Aus­st.-Kat. New York 1982, Nr. 35). In ge­ra­de­zu pa­ra­do­xer Wei­se stimmt die­se Hand­ schrift mit un­se­rem Stun­den­buch über­ein; denn alle Text­sei­ten sind dort mit senk­rech­ ten Bor­dü­ren­strei­fen zu bei­den Sei­ten des Text­felds aus­ge­stat­tet, se­hen also heu­te noch so aus wie un­se­re Text­sei­ten, be­vor der Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus die waa­ge­ rech­ten Bor­dü­ren­strei­fen er­gänz­te. Der Ein­druck drängt sich auf, der Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus habe sich bei sei­ nem ein­zi­gen Stun­den­buch aus­ge­rech­net in die­ser Hin­sicht an un­se­rem Ma­nu­skript ori­en­tiert und des­sen höchst un­ge­wöhn­li­ches Lay­out über­nom­men. Wie stark ihn un­ ser Stun­den­buch be­ein­druckt hat, be­wei­sen zwei ent­schie­de­ne Rück­grif­fe auf ein­zel­ne Bil­der: Der Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus wie­der­holt ex­akt die Ma­ria des Pfingst­ wun­ders in ei­ner Va­ri­an­te der ge­sam­ten Kom­po­si­ti­on. Vor al­lem aber macht er sich die Dar­stel­lung zur To­ten-Ves­p er bis in die Dis­p o­si­ti­on der Grab­deckel zu Ei­gen. Dort aber er­setzt er die Got­tes­er­schei­nung durch eine Va­ri­an­te, die er eben­falls aus un­se­rem Stun­ den­buch kennt – Gott­va­ter im Krei­se der Se­ra­phim, wie er über der Tau­fe auf fol. 136 er­scheint. Da er sich nun auf Mi­nia­tu­ren in un­se­rem Buch be­zieht, die von zwei ver­schie­

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de­nen Ma­lern aus­ge­führt wur­den, dien­te die­ses un­ser Ma­nu­skript selbst dem jün­ge­ren und orts­frem­den Mei­ster als Quel­le! Ein er­staun­li­ches und be­ein­drucken­des Bei­spiel Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei der frü­hen 1430er Jah­re, eher vom Bed­ford-Mei­ster selbst als vom Du­nois-Mei­ster, also von Hain­celin de Haguenau, an­ge­legt und vom Mei­ster des Münch­ner Legenda Aurea, also Con­rad von Toul, mit pracht­vol­len Mi­nia­tu­ren ver­se­hen. Der Auf­trag wird aus dem en­ge­ren Um­kreis des Her­zogs von Bed­ford, Gou­ver­neur in Pa­ris, stam­men, am ehe­sten aus der Fa­mi­lie Lu­xem­burg, ent­we­der für Jo­hann, Ba­stard von Lu­xem­burg, oder, eher noch, für Ja­cquette de Lux­emburg, Bedfords zweite Frau, die spä­te­re Lady Rivers. Bei der Rück­er­obe­rung von Pa­ris 1435 un­voll­en­det, dürf­te das Buch in die Hän­de ei­nes Kö­nigs­t reu­en ge­langt sein, für den dann der Jou­ve­nel-Mei­ster die wich­ tig­sten Frauenge­sich­ter aus­mal­te und der Mei­ster des Bar­tho­lo­mä­us An­glicus den Rand­de­kor auf spek­ta­ku­lä­re Wei­se er­gänz­te. An­ge­sichts der Viel­falt ent­schei­den­ der Stil­ten­den­zen ist die­ses ei­nes der in­ter­es­san­te­sten Ma­nu­skrip­te aus dem zwei­ ten Vier­tel des 15. Jahr­hun­derts, ein­drucks­voll im Ge­gen­satz der dar­an be­tei­lig­ten Tem­pe­ra­men­te und von ei­ner Wir­kung, in der hi­sto­ri­sche Be­deut­sam­keit und äs­ the­ti­sche Bril­lanz auf un­er­hör­te Wei­se zu­sam­men­tref­fen. LI­T E­R A­T UR: Ugo Paolantonacci, Les Heu­res Hachette, Pa­ris 2012 (=ven­te Pa­ris, Millon, 27.4.2012), ein gan­zer die­sem Ma­nu­skript ge­wid­me­ter Ka­ta­log.

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13 Ein bril­lant er­hal­te­nes Stun­den­buch vom Mei­ster der Mün­che­ner Leg­enda Au­rea, Con­rad von Toul, im ori­gi­na­len Ein­band


13 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Blau und Rot, Fest­ta­ge in Gold, ge­schrie­ben in Tex­tura. Pa­ris, 1430-40: Mei­ster der Mün­che­ner Legenda Aurea: Con­rad von Toul 16 gro­ße Mi­nia­tu­ren über vier Zei­len in mit Gold­lei­sten um­ran­de­ten Voll­bor­dü­ren, durch­weg mit Dorn­blatt­de­kor, des­sen Ran­ken in far­bi­gen Blü­ten en­den: vierz­ei­lig die In­itia­len; drei­sei­tig die brei­ten Zier­lei­sten; die Ran­ken mit bun­tem Akanthus und Blu­ men in den Ecken. Alle Text­sei­ten mit Bor­dü­ren­strei­fen aus Dorn­blatt au­ßen; die klei­ne­ren In­itia­len im Flä­chen­de­kor in Gold auf ro­ten und blau­en Grün­den mit wei­ßem De­kor: drei­ zei­lig zum Ma­rien­ge­bet O in­teme­rata, zweiz­ei­lig zu den Psal­men­an­fän­gen, ein­zei­lig zu den Psal­men­ver­sen; Zei­len­fül­ler der glei­chen Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 176 Blatt Per­ga­ment, je­weils ein flie­gen­des und ein fe­stes Vor­satz aus al­tem Per­ga­ment vor­ne und hin­ten. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1 (12), die ori­gi­nal un­re­gel­mä­ßig ge­plan­te Lage 3 (6+1) ohne Ver­lust, Lage 13 (6+1) am Ende des Ma­ rien­of­fi­zi­ums, eben­falls ohne Text­ver­lust, so­wie Lage 16 (4). Groß-Ok­tav (225 x 158 mm, Text­spie­gel 108 x 59 mm). Rot reg­liert zu 15, im Ka­len­der zu 16 Zei­len; ho­ri­zon­ta­le Reklam­an­ten in klei­ner Bast­arda mit ver­zier­tem An­fangs­buch­sta­ben, weit­ge­hend er­kenn­bar, aber schon für den er­sten Ein­band ge­trimmt. Kom­plett und ma­kel­los er­hal­ten. Blind­ge­präg­ter Pa­ri­ser Kalb­le­der­ein­band des 15. Jahr­hun­derts auf vier ech­te Bünde; Rücken­ kompartim­en­te mit sich kreu­zen­den Streich­li­ni­en, Deckel ganz be­deckt von De­kor in Blind­ prä­gung: der äu­ße­re Rah­men ge­bil­det durch Ein­zel­stem­pel in Wap­pen­schild­form mit je­weils drei fle­urs-de-lis; in­ne­rer Rah­men aus vier Streich­li­ni­en­fileten, dar­in wei­te­rer Rah­men aus Ein­zel­prä­gung mit recht­ecki­gem Lö­wen­stem­pel, ge­folgt von noch­ma­li­gem Fi­let­en­rah­men, der wie­der­um ein Hoch­recht­eck ein­schließt aus Stem­peln mit Mo­no­gramm IM (Iesus Ma­ria?), der in­ne­re Be­zirk wird ge­bil­det aus zwei ver­ti­ka­len Rei­hen mit be­herr­schen­dem Li­lien­stem­pel in Rau­ten­form (das Über­wie­gen der fle­urs-de-lis ließ Théo­phile Belin 1908 über eine kö­nig­ li­che Pro­ve­ni­enz spe­ku­lie­ren; sie ist kei­nes­wegs aus­ge­schlos­sen, aber aus die­sen In­di­zi­en nicht schlüs­sig be­leg­bar). Spä­te­re Per­ga­ment­vor­sät­ze, Gold­schnitt mit dem ur­sprüng­li­chen ge­mal­ten Akanthus- und Blu­men­de­kor in meh­re­ren Far­ben, oxy­dier­te Wap­pen­ma­le­rei auf Vor­der­schnitt. Halb­ma­ro­ quin-Etui mit Samt­füt­te­rung von J. & St. Brock­man, Ox­ford. Bis auf eine un­auf­fäl­li­ge Ver­ stär­kung der Ge­len­ke (ca. 1900-1910) ist der Ein­band völ­lig un­re­stau­riert, die Stem­pel scharf und be­stens les­bar. Pro­ve­ni­enz: Das Wap­pen des Auf­trag­ge­bers auf dem seit­li­chen Rand des Buch­blocks über Gold­schnitt ist nicht mehr zu ent­zif­fern; aus der Oxy­da­ti­on wäre zu ent­neh­men, daß der Fond Sil­ber war.

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Um die Wen­de zum 20. Jahr­hun­dert war das Ma­nu­skript im Be­sitz von Théo­phile Belin, dem da­mals füh­ren­den Hand­schrif­ten­händ­ler in Frank­reich; in sei­nem auf­wen­dig­sten Ka­ta­log „Ca­talogue de livres ra­res et précieux“, 1908, ist es un­ter Nr. 324 mit 3 ganz­sei­ti­gen Ta­feln ab­ ge­bil­det: 15.000.- Gold­francs. Ver­kauft wur­de es an den Samm­ler Jean Her­sent (1862-1946, Sohn von Hil­de­vert Her­sent, dem be­rühm­ten Bau­in­ge­nieur und Er­fin­der), dem auch ei­ni­ge der ge­druck­ten Stun­den­bü­cher un­se­rer Samm­lung Horae b. m. v. ge­hör­ten (u. a. Nrn. 90, 149, vgl. DBF17,1131f.): Ex­li­bris auf dem er­sten flie­gen­den Vor­satz. Zu­letzt eu­ro­päi­sche Pri­ vat­samm­lung. Text fol. 1: Ka­len­der, je­der Tag mit Hei­li­gen be­setzt, Hei­li­gen­na­men ab­wech­selnd rot und blau, die Gol­de­ne Zahl in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Braun, Sonn­tags­buch­sta­ ben a in Gold auf Rot und Blau, Iden und No­nen in Rot und Blau, die Fest­ta­ge in Gold. Die Hei­li­gen­aus­wahl mit Gen­ovefa und Dio­ny­si­us weist eben­so wie die dia­lek­ta­le Fär­ bung auf Pa­ris. fol. 13: Per­ik­open, be­gin­nend mit Jo­han­nes als Suff­ragium (fol. 13), Lu­kas (fol. 15), Mat­ thä­us (fol. 16v) und Mar­kus (fol. 18). Fol. 19v: Ma­rien­ge­be­te für ei­nen Mann re­di­giert: Ob­secro te (fol. 19v), 23v: O in­teme­rata. fol. 28: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris: Matutin (fol. 28), Lau­des (fol. 53), Prim (fol. 64v), Terz (fol. 70v), Sext (fol. 75), Non (fol. 79v), Ves­p er (fol. 84), Komplet (fol. 91). fol. 97: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 109). Die knap­pe Hei­li­gen­aus­wahl weist nach Pa­ ris (so Gen­ovefa). fol. 114: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 114) und Horen von Hei­lig Geist (fol. 117v). fol. 121: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris. fol. 168: Fran­zö­si­sche Ge­be­te an Ma­ria und Je­sus: Doulce Dame (fol. 168); Doulx dieu (fol. 173v). Schrift und Schrift­de­kor: Noch in Tex­tura ge­schrie­ben, er­weist sich die­ses Ma­nu­skript in un­se­rer Fol­ge von vier Hand­schrif­ten, die vom sel­ben Künst­ler aus­ge­malt wur­den, als das spä­te­ste Bei­spiel: Die Schrift ist nied­ri­ger und ein we­nig un­ru­hi­ger ge­wor­den. Die klei­ne­ren Zier­buch­sta­ben sind ein­heit­lich im Flä­chen­de­kor ge­hal­ten; da­bei wird den zweiz­ei­li­gen In­itia­len gern eine in den Rand­strei­fen aus­grei­fen­de Art von zacki­gen Ver­zie­run­gen an­ge­fügt. Auf den Bild­sei­ten herrscht zwar der Dorn­blatt­de­kor; doch wer­den die Bor­dü­ren nun von Blatt­gold um­ran­det, so daß sie tep­pich­haft fest ge­fügt wir­ken. Das auf die re­la­tiv spä­te Ent­ste­hung deu­ten­de Mit­tel der Rah­mung durch ein­fa­ches, nicht mit Tin­ten­li­ni­en ver­stärk­tes Blatt­gold fin­det sich auch in den Bil­dern. Als ein­zi­ge Mi­nia­tur er­hielt Da­vids

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Buße zu Be­ginn der Buß­psal­men ei­nen tra­di­ti­ons­ge­mäß als Dop­pel­stab aus­ge­führ­ten Rah­men, bei dem in die Blatt­gold­lei­ste ein Fa­rb­strei­fen ein­ge­fügt wur­de, der in Rot und Blau ge­färbt und mit ei­ner wei­ßen Li­nie geh­öht ist; ge­ar­bei­tet ist, wo­bei bei­de Tei­le von ei­ner schwar­zen Tin­ten­li­nie ge­trennt wer­den. Al­len üb­ri­gen Mi­nia­tu­ren fehlt die­ses De­ tail; und so mö­gen wir hier mit der Buße Da­vids zu dem wich­tig­sten In­cipit ei­nes Stun­ den­buchs ne­ben der Mari­en-Matutin, die äl­te­ste Mi­nia­tur der Bild­fol­ge vor uns ha­ben. Wo Land­schaft die Bil­der be­herrscht, wa­ren Bin­nen­strei­fen vor­ge­se­hen, die die Gold­ lei­ste zum Dop­pel­stab er­gän­zen soll­ten. Das un­ter­blieb bei In­te­rieurs, de­ren in weiß­ grau­em Stein ge­hal­te­ne Bin­nen­rah­mung als Dia­phrag­ma dient und of­fen­bar die zur Ent­ste­hungs­zeit des Bu­ches be­reits alt­mo­di­sche Aus­bil­dung des Dop­pel­stabs über­flüs­ sig mach­te. Die Bil­der: Die Per­ik­open wer­den nur mit ei­ner Mi­nia­tur, Jo­han­nes auf Patmos (fol. 13), er­öff­net. Auf ei­nem klei­nen Ei­land, das fast die gan­ze Bild­flä­che ein­nimmt, sitzt der Evan­ge­list in ro­tem Ge­wand, in ei­nen wei­ten blau­en Man­tel ge­hüllt, und schreibt den Be­ginn sei­nes Evan­ge­li­ums auf eine brei­te Schrift­rol­le. Ne­ben ihm sitzt sein Sym­bol­tier, der Ad­ler, und reckt den Hals nach dem hei­li­gen Text. Der blond ge­lock­te Evan­ge­list wird als Jüng­ling auf ei­ner In­sel dar­ge­stellt, ob­wohl die Apo­ka­lyp­se wäh­rend der Ver­ban­nung auf Patmos ent­stand. Al­ters­los wur­de er nach der Öl­mar­ter an der Porta Lati­na in Rom. Zwi­schen zwei Fels­spit­zen er­öff­net der Ma­ler den Blick auf eine be­frie­de­te Stadt am Ho­ri­zont, über der sich eine rote Son­ne mit gol­de­nen Strah­len auf dem tief­blau­en Fir­ma­ment aus­ brei­tet, das die leuch­ten­de Far­be des Man­tels raf ­fi­niert wie­der­holt. Zum Ob­secro te hat der Mei­ster der Mün­che­ner Legenda Aurea die Pi­età, also die Be­ wei­nung Chri­sti un­ter dem Kreuz ge­wählt (fol. 19v). Ma­ria, ganz in Blau, ist vor dem Kreuz, an dem die Mar­ter­werk­zeu­ge Chri­sti hän­gen, nie­der­ge­sun­ken und hält ih­ren to­ten Sohn in den Ar­men. Vor ihr liegt noch der un­ge­näh­te Rock Chri­sti, ob­wohl die Scher­gen be­reits bei der Kreuz­auf­rich­tung ihr Wür­fel­spiel ge­trie­ben hat­ten; nun wird auch das Klei­dungs­stück zum Sym­bol der Pas­si­on. Von links ist ein En­gel hin­zu­ge­tre­ ten und prä­sen­tiert die in ein Tuch ge­hüll­ten Nä­gel, wäh­rend er sich trau­ernd der Mut­ ter zu­wen­det. Sie wird be­glei­tet von zwei Frau­en, die ihre Ge­sich­ter ver­hül­len und so an Pleurants er­in­nern, die bei Be­gräb­nis­sen den Sarg des Ver­stor­be­nen be­glei­ten. Die Sze­ ne ist so zeit­lich von dem ei­gent­li­chen Ge­sche­hen der Pas­si­on ge­löst und wird zu ei­nem Bild der An­be­tung und des Ge­den­kens des Op­fers am Kreuz. ­fi­zi­um be­ginnt auf fol. 28 mit der Ver­kün­di­gung an Ma­ria. Un­ter ei­nem Das Ma­rien­of ro­ten, in­nen mit ei­nem grü­nen Bro­kat aus­ge­schla­ge­nen Bal­da­chin links hat Ma­ria vor ih­rem Bet­pult Platz ge­nom­men. Ihre Arme schüt­zend vor die Brust er­ho­ben, wen­det sie sich über die lin­ke Schul­ter, denn von rechts tritt der in ein gol­de­nes Ge­wand ge­klei­ de­te En­gel mit ei­nem auf­ge­wir­bel­ten Schrift­band hin­zu, um die Bot­schaft zu ver­kün­ den. Wie durch ei­nen maß­werk­ver­zier­ten Tor­bo­gen aus hel­lem Ge­stein wird das Bild ge­rahmt, so daß der In­nen­raum, der mit ei­ner fla­chen Rund­ton­ne ge­wölbt ist, nur den

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Fond der Sze­ne zu bil­den braucht. Rechts blicken wir auf ein klei­nes Fen­ster, durch das die gött­li­chen Strah­len in das Zim­mer fal­len und win­zig klein die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes her­ab­schwebt. Zu den Lau­des folgt die Heim­su­chung (fol. 53). Auf ei­ner Erd­schol­le vor ei­ner stei­len Ge­ birgs­ket­te trifft Ma­ria auf ihre Base Eli­sa­beth, die vor der Got­tes­mut­ter auf die Knie ge­ sun­ken ist, um de­ren Leib zu füh­len. Aus der Stadt im Hin­ter­grund ist Ma­ria über das Gebirg ge­stie­gen. Con­rad von Toul stat­tet die­se Sze­ne gern et­was rei­cher aus als üb­lich und so wird die blau ge­wan­de­te Ma­ria mit blond ge­lock­tem Haar von Jo­seph be­glei­tet, der zwi­schen den bei­den Frau­en auf­taucht und Eli­sa­beth die Hand auf die Schul­ter legt. Auch die­se Sze­ne wird von ei­ner gol­de­nen Strah­len­son­ne be­leuch­tet, die am obe­ren Bild­ rand von in ei­nem Rund an­ge­leg­ten Wol­ken­bah­nen und tief­blau­em Fond ein­ge­faßt wird. Die Ge­burt Chri­sti (fol. 64v) zur Prim wird in der mit­tel­al­ter­li­chen Buch­ma­le­rei sel­ten in der tat­säch­li­chen Weih­nacht ge­zeigt; und auch in un­se­rer Mi­nia­tur strahlt eine gol­ de­ne Son­ne, die hier auch als Mor­gen­stern ver­stan­den wer­den kann, auf den bild­par­al­ lel ge­stell­ten Stall und des­sen schad­haf­tes Stroh­dach, über das Tau­ben lau­fen. Ein ro­ ter Bal­da­chin hängt hin­ter der Got­tes­mut­ter, die in blau­em Ge­wand und mit mäch­ti­ger Ge­stalt das Zen­trum der Sze­ne bil­det. Sie hat das nack­te Chri­stus­kind auf ein wei­ßes Tuch vor sich auf den Bo­den ge­legt und be­tet es an. Ochs und Esel ha­ben sich links zu dem Kind ge­sellt, und Jo­seph, halb von den tra­gen­den Bal­ken des Stall­dachs über­schnit­ ten, tritt mit zum Ge­bet ge­fal­te­ten Hän­den hin­zu. Zur Terz auf fol. 70v ge­stal­tet der Ma­ler mit der Hir­ten­ver­kün­di­gung eine wun­der­bar dy­ na­mi­sche Sze­ne. Mit ge­reck­tem Hals dreht sich ein Hir­te in blau­en Strümp­fen und ro­ter Kap­pe gen Him­mel, um zu der Er­schei­nung des blau­en En­gels in den Wol­ken über den schrof­fen Fels­kan­ten auf­zu­schau­en, der dort er­scheint und das Glo­ria in Ex­celsis prä­sen­ tiert. Das strahlt auf den Hir­ten, der sich auf sei­nen Stock stützt und mit der Hand die Au­gen schützt. Ein zwei­ter taucht hin­ter ei­ner klei­nen Baum­grup­pe auf und bläst Flö­te. Vorn im un­weg­sa­men Ge­län­de ha­ben sich die Scha­fe ver­sam­melt und gra­sen oder blicken auf­ge­regt in die Höhe. Drei, von de­nen ei­nes ein gol­de­nes Glöck­chen um den Hals trägt, sind zu dem auf­ge­schreck­ten Schä­fer ge­tre­ten und fol­gen sei­nem Blick. Die An­be­tung der Kö­ni­ge (fol. 75) zur Mari­en-Sext fin­det in ei­nem fast hö­fi­schen Am­ bi­en­te statt. Nicht mehr in ei­nem ver­fal­le­nen Stall, son­dern in ei­nem um­frie­de­ten und mit ro­tem Bro­kat ver­han­ge­nen Gar­ten hat die Got­tes­mut­ter un­ter ei­nem Bal­da­chin aus Gold­bro­kat Platz ge­nom­men. In ih­ren Hei­li­gen­schein mit Pin­sel­gold ein­ge­schrie­ben ist eine Kro­ne, die die Got­tes­mut­ter den Hei­li­gen Drei Kö­ni­gen gleich­stellt, dem ele­gan­ten Sinn des Ma­lers ent­spre­chend. In ein ro­tes Kleid­chen ge­hüllt sitzt der Kna­be auf dem Schoß sei­ner Mut­ter und wen­det sich zu dem äl­te­sten Kö­nig. Der hat sei­ne Kro­ne be­ reits ab­ge­nom­men und kniet, sein Ge­schenk in ein wei­ßes Tuch ge­hüllt, vor dem Kna­ben. Die bei­den an­de­ren ha­ben sich hin­ter ihm auf­ge­reiht und tra­gen noch ihre Kro­nen. Der jüng­ste von ih­nen wirkt mit sei­nem ge­schlitz­ten Man­tel, des­sen blau­er Stoff mit Gold wie mit fleur-de-lis ver­ziert ist, wie ein fran­zö­si­scher Kö­nig; an­däch­tig und zu­gleich wür­dig steht er hin­ter dem äl­te­sten. Auch Jo­seph wohnt der Sze­ne bei, et­was bei­läu­fig taucht er

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hin­ter Ma­ri­as Bal­da­chin auf und faßt grü­ßend an sei­nen Hut. Vor ei­ner Blend­bo­gen­rei­ he mit ro­sa­far­be­nem Eh­ren­tuch wie in ei­nem Thron­saal emp­fängt die Mut­ter­got­tes die drei Kö­ni­ge; das ver­wan­delt da­bei die Sze­ne in eine aus­ge­spro­chen ze­re­mo­ni­ell ver­stan­ de­ne Sze­ne hö­fi­scher Ehr­er­bie­tung. Die Dar­brin­gung im Tem­pel (fol. 79v) ist wie­der eine je­ner dich­ter be­völ­ker­ten Sze­nen, die als ty­pisch für den Mei­ster der Mün­che­ner Legenda Aurea gel­ten kön­nen. In ei­nem schräg nach rechts fluch­ten­den Al­tar­raum hat der in vol­lem Or­nat ge­zeig­te Prie­ster Simeon, als ein­zi­ger ne­ben Ma­ria nim­biert, die Hän­de aus­ge­brei­tet um das nack­te Chri­ stus­kind in Emp­fang zu neh­men, das ihm Ma­ria über den Al­tar reicht. Ihre Be­glei­te­rin im Pro­fil, die nicht als Mäd­chen, son­dern durch die wei­ße Hau­be als Ma­tro­ne ge­zeigt wird, trägt ein brau­nes Kleid und ein wei­ßes Kopf­tuch. Statt ei­nes Tau­ben­körb­chens hält sie nur die Ker­ze zum Fest von Ma­ria Licht­meß. Auch hier ist Jo­seph wie­der an­we­ send: Hin­ter dem Al­tar­tisch taucht er zwi­schen Ma­ria und Simeon auf und greift sich dies­mal an sei­ne rote Müt­ze. Wie schon zur Ver­kün­di­gung rahmt auch hier ein wei­ßer Bo­gen als Dia­phrag­ma den Blick in den In­nen­raum. Daß die­ser Ma­ler gern schräg auf­ra­gen­de spit­ze Berg­gip­fel mit ver­ein­zel­ten klei­nen Baum­grüppchen ein­setzt, um da­hin­ter eine klei­ne Stadt­an­sicht in der Fer­ne zu zei­gen, kehrt in der Flucht nach Ägyp­ten (fol. 84) wie­der. Be­mer­kens­wert ist eben­so, wie Con­rad von Toul den Blick in das Bild mit ei­ner Fels­kan­te er­öff­net, auf der sich die Haupt­grup­ pe be­wegt. Hier ist es die be­herr­schen­de Got­tes­mut­ter, die als Bild­mit­tel­punkt wür­dig auf dem grau­en Esel sitzt. In ein ro­tes Tuch hat sie das klei­ne Chri­stus­kind ge­hüllt und blickt sanft auf den Sohn. Jo­seph, der sei­nen Beu­tel an ei­nem Stab über der Schul­ter trägt, führt den Esel so­eben nach links aus dem Bild, also un­ge­wohn­ter Wei­se zum Falz hin. Den Sinn des Ma­lers für den kom­po­si­to­ri­schen Sym­bol­ge­halt, der mit nur we­ni­gen stra­te­gisch ein­ge­setz­ten, aber kräf­ti­gen Far­ben aus­kommt, zeigt Ma­ri­as Nim­bus, der in Punzierung mit ei­nem Strah­len­kranz ver­ziert ist: Er er­hebt sich zwi­schen den zwei aus­ ein­an­der­strebenden Berg­spit­zen und be­tont so nicht nur das kom­po­si­to­ri­sche, son­dern auch das in­halt­li­che Bild­zen­trum. Eine gol­den strah­len­de Son­ne im Bo­gen­schei­tel ver­ kün­det zu­gleich Got­tes An­we­sen­heit. Zur Komplet, der letz­ten Ge­bets­stun­de des Ma­rien­of ­fi­zi­ums, wird wie ge­wohnt die Ma­ rien­krö­nung (fol. 91) ge­zeigt. Über ei­nem grü­nen Ka­chel­grund thront links un­ter ei­nem gol­de­nen Bal­da­chin der Sohn in Ge­stalt ei­nes Kö­nigs und seg­net die Mut­ter, die vor ih­ rem Thron auf die Knie ge­sun­ken ist und ihre Hän­de vor der Brust ver­schränkt, wäh­rend ihr ein klei­ner En­gel von oben die Kro­ne auf das blond­ge­lock­te Haupt setzt. Ele­men­te wie der Wol­ken­kranz und das dar­über lie­gen­de tief­blaue Fir­ma­ment, das in al­len Mi­nia­tu­ren als himm­li­sches Phä­no­men der Ge­wand­far­be der Mut­ter­got­tes ge­gen­über­ge­stellt wird, ver­ra­ten den fei­nen Sinn des Ma­lers für be­stim­men­de Bild­har­mo­ni­en und Fa­rb­be­zü­ge. Land­schaft aus stei­len schol­li­gen Fel­sen, Baum­grüppchen und ei­ner leuch­ten­den Stadt im Hin­ter­grund dient bei Da­vids Buße zu den Buß­psal­men (fol. 97) dazu, jene Ein­öde zu be­zeich­nen, in die sich der bi­bli­sche Kö­nig zu­rück­zog, um Gott um Ver­ge­bung zu bit­ten. In ro­tem Man­tel, mit ei­ner blau­en Geld­kat­ze am Gür­tel kniet Da­vid auf ei­ner

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Wie­se und hat die Har­fe be­reits vor sich ab­ge­legt; sei­ne Kro­ne aber trägt der grau­bär­ti­ ge Kö­nig noch im­mer auf dem Haupt. Fle­hend er­hebt er die Hän­de und blickt auf zu ei­ ner klei­nen Got­tes­er­schei­nung, die nun im ro­ten Auge ei­nes Strah­len­kran­zes er­scheint. Durch den Dop­pel­stab als Rah­mung ist dies die ein­zi­ge tra­di­ti­ons­ge­mäß voll­en­de­te Mi­ nia­tur, mit­hin viel­leicht auch die äl­te­ste. Die Hei­lig-Kreuz-Horen er­öff­nen wie ge­wohnt mit ei­nem Bild der Kreu­zi­gung (fol. 114), die der Ma­ler in ein mäch­ti­ges Bild der Kla­ge un­ter dem Kreuz ver­wan­delt: Der kräf­ tig kon­tu­rier­te Kör­per Chri­sti hängt am Kreuz, das vor dem tief­blau­en kon­zen­tri­schen Fir­ma­ment vor gol­de­nen Ster­nen, Son­ne und Mond auf­ge­rich­tet ist. Golgatha, die Schä­ del­stät­te, die der Ma­ler durch Kno­chen am Fuße des Kreu­zes prä­zi­siert, ist nur ein flach ge­wölb­ter Hü­gel, auf dem Ma­ria und Jo­han­nes un­ter das Kreuz ge­tre­ten sind und den Er­lö­ser be­wei­nen. Statt wie der durch sei­ne narr­ativen Hym­nen rhythmisierte Text aus dem Pas­si­ons­ge­sche­hen zu er­zäh­len, ist der Tod Chri­sti als der Zeit ent­ho­ben be­grif­fen. Auf ähn­li­che Wei­se wird die Ein­gangs­mi­nia­tur zu den fast im­mer auf die Hei­lig-KreuzHoren fol­gen­den Hei­lig-Geist-Horen be­grif­fen. Am be­sten ließ sich das Wir­ken des Hei­ li­gen Gei­stes im Pfingst­wun­der (fol. 117v) fas­sen: In ei­nem Kir­chen­in­te­rieur, das vom fast wei­ßen Stein­bo­gen als Dia­phrag­ma ge­rahmt wird, hat sich Ma­ria in­mit­ten der Apo­stel vor ei­nem ro­ten Eh­ren­tuch nie­der­ge­las­sen, das den ro­ten Ster­nen­fond in der zen­tra­len Ge­wöl­be­kap­pe wie­der auf­greift. Über Ma­ria er­scheint die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes, die rote und gol­de­ne Strah­len aus­sen­det. Daß der Ma­ler hier nur sechs statt der zwölf Jün­ger Chri­sti zeigt, ver­bin­det sich wohl mit sei­nem Sinn für gro­ße, schwe­re Fi­gu­ren, die in sei­nen Mi­nia­tu­ren grund­sätz­lich mehr Raum be­an­spru­chen und in ei­nem raf ­fi­nier­ ten Wech­sel von Grün, Hell­rot und Dun­kel­blau die Mut­ter­got­tes rah­men. Auch hier zeigt sich in der Bild­kom­po­si­ti­on der stren­ge Sinn des Ma­lers für aus­ge­wo­ge­ne und kla­ re Fa­rb­har­mo­ni­en, die als be­mer­kens­wer­tes Ele­ment die Blick­re­gie und Bild­hier­ar­chie sei­ner Mi­nia­tu­ren len­ken. Auch zur To­ten­ves­p er er­öff­net der Ma­ler den Blick in den Chor­raum und den Al­tar durch ei­nen hel­len Dia­phrag­ma­bo­gen, der sich ent­lang des Bild­ran­des zum obe­ren Ab­ schluß der Mi­nia­tur hin zu ei­ner po­ly­go­na­len Ni­sche mit hän­gen­der Ar­katur ent­wickelt. Hier wird auf fol. 121 das nächt­li­che To­ ten­ of ­fi­ zi­ um be­gan­gen. Rechts im Pro­fil steht ein Geist­li­cher und singt ge­mein­sam mit ei­nem zwei­ten aus ei­nem Chor­buch. Durch den mit ei­nem blau­en Tuch über­deck­ten Sarg wer­den sie von den schwarz ge­wan­de­ten Pleurants ge­trennt, die ihre Ge­sich­ter in Trau­er ver­hüllt ha­ben. Da die To­ten­vigil in der Nacht ge­le­sen wird, ste­hen Ker­zen um den Sarg den Ver­stor­be­nen zur nächt­li­chen An­dacht. Zum Ma­rien­ge­bet Doulce dame thront Ma­ria im Hortus co­ncl­usus (fol. 168) mit dem in ein wei­ßes Hemd­chen ge­klei­de­ten Chri­stus­kind un­ter ei­nem ro­ten Bal­da­chin und ist zu­ gleich als milch­spen­den­de Mut­ter ge­zeigt. Ins Gold von Ma­ri­as Nim­bus ist wie bei der An­be­tung der Kö­ni­ge eine Kro­ne ein­ge­tra­gen. Er­neut blicken wir rechts auf eine hohe Gar­ten­mau­er mit Blend­bo­gen­fries, die wie dort mit ei­nem Eh­ren­tuch ver­hängt wur­de. An der Stel­le der drei Kö­ni­ge sitzt nun ein in Albe ge­klei­de­ter En­gel und mu­si­ziert auf ei­ner Har­fe.

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Das Her­ren­ge­bet auf fol. 173v wird auch hier von ei­ner Dar­stel­lung des Wel­ten­rich­ters zwi­schen Ma­ria und Jo­han­nes ein­ge­lei­tet. Wie zu ei­nem Tri­umph­bo­gen for­men die po­ sau­nen­den Che­rub­im am Fir­ma­ment ei­nen Halb­kreis um den Got­tes­sohn, der selbst vor ei­nem hell­blau­en Him­mels­fond sitzt. Un­ter den Fü­ßen des auf dem Re­gen­bo­gen thro­ nen­den Schmer­zens­manns er­he­ben sich die See­len der Ver­stor­be­nen als win­zi­ge Ge­stal­ ten zwi­schen Ma­ria, die hier zum er­sten­mal nicht in ein blau­es, son­dern in ein gol­de­ nes Ge­wand ge­klei­det ist, und Jo­han­nes dem Täu­fer. Sie zei­gen, daß Chri­sti tri­um­pha­le Wie­der­kehr das Jüng­ste Ge­richt für die Men­schen bringt. Zu­schrei­bung, Lo­ka­li­sie­rung und Da­tie­rung: Alle Mi­nia­tu­ren sind im rei­fen Stil des Mei­sters der Münch­ner Legenda Aurea, in dem wir Con­rad von Toul er­ken­nen, aus­ge­führt. Von Text und Kon­zep­ti­on her han­delt es sich frag­los um ein Pa­ri­ser Werk, für das die­se Hand­schrift ge­ra­de­zu mu­ster­gül­tig ist. Schon der Rand­schmuck ver­rät eine recht spä­te Ent­ste­hungs­zeit. Dazu paßt die Auf­hel­ lung der Pa­let­te, die groß­zü­gi­ge Le­ben­dig­keit der Be­we­gung, vor al­lem aber die ge­gen­ über un­se­ren bei­den vor­he­ri­gen Num­mern auf­fäl­li­ge Licht­haltigkeit der Him­mel. Noch ist der Ma­ler ganz kon­zen­triert; sei­ne Prä­zi­si­on wird in spä­te­ren Wer­ken nach­las­sen. Da­mit zeigt er sich hier noch ganz auf der Höhe sei­nes Kön­nens. Die­ses Stun­den­buch von der Hand des Mei­sters der Münch­ner Legenda Aurea, den wir als Con­rad von Toul iden­ti­fi­zie­ren, ist ein her­aus­ra­gen­des, ma­kel­los er­hal­te­nes Bei­spiel ei­nes ungemein reich aus­ge­stat­te­ten Pa­ri­ser Horari­ums, das von der be­son­ de­ren Kunst­fer­tig­keit der Pa­ri­ser Buch­ma­ler der er­sten Hälf­te des 15. Jahr­hun­derts zeugt. Der dich­te Dorn­blatt­de­kor ist auf je­der Sei­te aus fein ge­schnit­te­nem und po­ lier­tem Blatt­gold ge­bil­det und er­gänzt so die rei­che Blatt­ver­gol­dung der In­itia­len und Zei­len­fül­ler im Text­ver­lauf. Künst­le­ri­sche Raf ­fi­nes­se und tech­ni­sche Per­fek­ ti­on zei­gen sich auch in den fa­rb­star­ken Mi­nia­tu­ren: Fest ge­form­te Fi­gu­ren fül­len präch­tig die Bil­der des Ma­lers, der viel Sinn für re­du­zier­te, aber edle Fa­rb­ak­kor­de be­sitzt und sei­ne Mut­ter­got­tes gern mit ei­nem be­son­ders fi­li­gran ver­edel­ten Hei­li­ gen­schein auf­tre­ten läßt. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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14 Das Na­nterreStun­den­buch: Ein Mei­ster­werk vom Bed­ford-Mei­ster und vom Du­nois-Mei­ster aus der Samm­lung des Kar­di­nals Ca­mil­le de Neu­f ville de Villeroy


14 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Rot und Blau, Fest­ta­ge in Gold, in Tex­tura von zwei Schreibern. Pa­ris, c. 1435-40: Bed­ford- und Du­nois-Mei­ster (Hain­celin de Haguenau und Jean Hain­celin) 16 gro­ße Mi­nia­tu­ren mit Rund­bo­gen­ab­schluß in Dop­pel­stab­rah­men über vier Zei­len Text mit vierz­ei­li­gen Dorn­blatt-In­itia­len; mit tep­pich­haft dich­ten Voll­bor­dü­ren aus Blu­men und Akanthus, die nach in­nen mit ei­nem Dop­pel­stab, nach au­ßen mit ei­ner Gold­lei­ste ge­rahmt sind; alle Text­sei­ten mit dich­ten Dorn­blatt­bor­dü­ren in Höhe des Text­fel­des am äu­ße­ren Rand, de­ren Maße durch ei­ge­ne Reg­lierung de­fi­niert sind. Die klei­ne­ren In­itia­ len in Flä­chen­de­kor: zweiz­ei­lig für Psal­men­an­fän­ge; ein­zei­lig für Psal­men­ver­sen; Zei­len­fül­ler der glei­chen Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 189 Blatt Per­ga­ment, dazu zwei Vor­satz­blät­ter Per­ga­ment vorn und ei­nes hin­ten so­wie je ein Dop­pel­blatt Mar­mor­pa­pier. Ge­bun­den in La­gen zu vor­wie­gend acht Blatt, da­von ab­wei­chend die La­gen 1 (12-2), 2 (8-2), 3 (8-2), 7 (8-1), 9 (2), 10 (8-1), 12 (8-4), 22 (8-1), 23 (2); die an­ schlie­ßen­den Qua­ter­nio­nen La­gen ohne Lücken. Aus Buch­sta­ben und Zah­len zu­sam­men­ge­ setz­te Bin­der­mar­ken in der er­sten Hälf­te ei­ni­ger La­gen. Ho­ri­zon­ta­le Reklam­an­ten so ein­ge­ tra­gen, daß sie schon vom er­sten Buch­bin­der weit­ge­hend ge­trimmt wur­den. Groß-Ok­tav (228 x 155 mm, Text­spie­gel: 94 x 63 mm). Rot reg­liert zu 15, im Ka­len­der zu 17 Zei­len. Um ei­ni­ge Blät­ter be­raubt, im ver­blie­be­nen Be­stand vor­züg­lich er­hal­ten: so breit­ran­dig, daß die Ein­stich­lö­cher für die Reg­lierung noch sicht­bar sind. Bei der Bin­dung des mittleren 17. Jahr­ hun­derts blieb der von der Buch­ma­ler­werk­statt mit ei­ner cha­rak­te­ri­sti­schen Bor­dü­ren­ma­le­rei ge­schmück­te Schnitt un­ver­sehrt. In der Hand­schrift noch ein viel­leicht ori­gi­na­ler Sei­ten­fin­der mit sechs Bänd­chen um ei­nen mit Bro­kat ge­schmück­ten be­weg­li­chen Steg. Ge­bun­den in ro­tes Ma­ro­quin der Mit­te des 17. Jahr­hun­derts, mit gold­ge­präg­tem Kar­di­nals­ wap­pen des Ca­mil­le de Neu­fville de Villeroy, als Erz­bi­schof von Lyon Pri­mas von Frank­reich (1606-1693, Erz­bi­schof ab 1653, Er­nen­nung zum Kar­di­nal strit­tig): d’azur au che­vron d’or, accompagné de trois croisettes an­crées du même. Pro­ve­ni­enz: Das Buch wur­de, wie die weib­li­chen For­men in den Ma­rien­ge­be­ten ver­ra­ten, be­ wußt auf eine Frau ein­ge­rich­tet; der um­fang­rei­che Be­stand an un­ge­wohn­ten Tex­ten in fran­zö­ si­scher Spra­che kann die­sen Aspekt noch un­ter­strei­chen. Auf dem Schnitt mag ein Y er­kenn­ bar sein. Ein ein­drucks­vol­les Bild zeigt die er­ste Be­sit­ze­rin, mit ih­rer auf­wen­di­gen Hau­be der Zeit um 1440 ent­spre­chend, im Ge­bet zur Ma­don­na (fol. 141v). Dort wie un­ter dem Bild der hei­li­gen Gen­ovefa (fol. 162v) fin­den sich Schil­de: Zu­nächst ein Al­li­anz­wap­pen: Sil­ber mit zwei blau­en Wel­len un­ter ei­nem ro­ten Tur­nier­kra­gen so­wie auf Rot ein gol­de­ner Löwe mit ei­nem win­zi­gen schwarz­grundi­gen Schild. Die hei­li­ge Gen­ovefa be­tont ent­we­der den Be­zug zu Pa­ris oder läßt den Na­men der Dame er­ken­nen; je­doch hat man auf dem ent­spre­chen­den Blatt das zu­nächst wie auf fol. 141v aus­ge­führ­te Al­li­anz­wap­pen durch die Far­ben des Man­nes über­deckt.

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Das hier als Wap­pen des Man­nes ein­ge­setz­te Sil­ber mit zwei blau­en Wel­len fin­det sich als Far­ben ei­ner Frau in ei­nem Stun­den­buch für den Ge­brauch von Ami­ens, das für Phil­ip­pot de Na­nterre be­stimmt war: Sot­heby’s Lon­don, 9.7.1973, lot 68, spä­ter in der Pa­ri­ser Weil­ler-Auk­ ti­on 30.11.1998, lot 1. Dort wur­de es nach Riet­stap, S. 295, als Na­nterre be­stimmt; Riet­stap spricht von „D’ar­gent à trois fa­sces ondées d’azur“, Segoin hin­ge­gen kennt zwei wie in un­se­rer Hand­schrift. Der drei­tei­li­ge Tur­nier­kra­gen be­zeich­net ei­nen Sohn zu Leb­zei­ten des Va­ters. Mathieu de Na­nterre und des­sen Ge­mah­lin Guille­met­te le Clerc könn­ten ge­meint sein; Mathieu war der äl­te­ste Sohn von Si­mon de Na­nterre. Ein Si­mon de Na­nterre war 1409 und 1418 Prä­si­dent des Pa­ri­ser Par­la­ments; Mathieu nahm das­sel­be Amt von 1461 bis 1465 ein, wur­de dann nach Tou­louse ver­setzt, dann wie­der nach Pa­ris ge­holt, wo er etwa 1487 starb. Guille­met­te le Clerc könn­te als Wap­pen Rot mit ei­nem gol­de­nen Lö­wen ge­habt ha­ben; ihre ein­zi­ge Toch­ter hieß Ge­ne­viève; sie hei­ra­te­te 1475 Jean IV de Viste, des­sen Fa­mi­lie mit den be­rühm­ten Ein­horn­tep­pi­chen im Pa­ri­ser Cluny-Mu­se­um aus der Zeit um 1500 ver­bun­den ist (doch sieht Car­men Decu Teodorescu, in Bulle­tin mo­nu­men­tal 168-4, 2010, S. 355-367, die­ se Se­rie heu­te als ei­nen Auf­trag von An­toine II le Viste, eben­falls Prä­si­dent des Par­la­ments). Ur­sprüng­lich ent­hielt die Hand­schrift auf den vor­de­ren Deck­blät­tern Pil­ger­zei­chen; erst nach de­ren Ab­nah­me trug sich ein Be­sit­zer auf dem Ver­so vorn ein: „Ca­stillon“. Ca­mil­le de Neu­fville war ein Pa­ten­kind von Ca­mil­lo Bor­ghe­se, der sich als Papst Paul V. nann­ te (1605-1621) und den Pe­ters­dom voll­en­de­te. Der spä­te­re Erz­bi­schof war von Je­sui­ten in Rom er­zo­gen wor­den, dien­te als Lieutenant du Roi, ver­dank­te sei­nen Auf­stieg der Kö­ni­gin Anne von Öster­reich, die ihn für sei­ne Treue zu Lud­wig XIV. wäh­rend der Fron­de be­lohn­te; er hat­ te in Vimy, das ihm zu Eh­ren in Neu­ville um­ge­tauft wur­de, sei­nen Sitz mit ei­ner der be­deu­ tend­sten Bi­blio­the­ken sei­ner Zeit, die über 5000 Bän­de, dar­un­ter das ge­wich­tig­ste Werk des Bed­ford-Mei­sters ent­hielt, das heu­te als Salis­bu­ry-Bre­vier des Her­zogs von Bed­ford be­kannt ist: latin 17294 der Pa­ri­ser Na­tio­nal­bi­blio­thek (vgl. den La Vallière-Ka­ta­log I, 1784, Nr. 273, wo er als Pro­ve­ni­enz aus­ge­wie­sen wird); er be­saß im üb­ri­gen noch eine wei­te­re stil­ver­wand­te Hand­schrift: Sot­heby’s, 27. Juli 1920, Nr. 508A, mit zwei Ab­bil­dun­gen auf Ta­feln. Nach­dem er sich 1653 noch ge­wei­gert hat­te, das Amt des Erz­bi­schofs von Lyon an­zu­neh­men, um schließ­lich 1654 als Erz­bi­schof konsekriert zu wer­den, küm­mer­te er sich, nach dem Vor­ bild des hei­li­gen Karl Bor­romäus vor­bild­lich um sei­ne Erz­di­öze­se, ver­hielt sich den Janse­ni­sten ge­gen­über re­la­tiv to­le­rant und hand­hab­te die Be­keh­rung oder Ver­trei­bung der Re­for­mier­ten mil­der als sonst in Frank­reich üb­lich. Die No­tiz zur Hand­schrift für den Ave­ry Sale, An­ders­on, New York, 1919, be­zieht sich auf ei­nen heu­te ver­lo­re­nen Brief von Theo­dore Child, der das Buch vor 1811 be­ses­sen hat. Laut Mo­no­gramm und Jah­res­zahl auf dem zwei­ten Deck­blatt vorn um 1811 im Be­sitz ei­nes „G. Y. A. (?)“. Kup­fer­stich-Ex­li­bris von Sa­mu­el Putnam Ave­ry (1893 in Lon­don ge­sto­chen von C. W. Sher­born) im vor­de­ren Deckel.; in des­sen Auk­ti­on der An­ders­on Gal­le­ries, New York, 10.11.1919, lot 631, mit Abb: 4350 Dol­lar. Grace Phil­lips Johnson, Sale Chri­stie’s N. Y. 1977, Nr. 95; Bri­tish Rail Pen­si­on Fund; 1988 an J. Paul Getty Jr. ver­kauft. Leuch­ten­des Mit­tel­ al­ter II, 1990, Nr. 44. Bibliotheca Phi­lo­soph­ica Her­me­tica, Am­ster­dam: J. R. Rit­man Sale, Sot­heby’s Lon­don, 2000, lot 21;. Eu­ro­päi­sche Pri­vat­samm­lung.

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Der Text fol. 1: Ka­len­der in fran­zö­si­scher Spra­che mit Pa­ri­ser Hei­li­gen, Hei­li­gen­ta­ge in Rot und Blau, Fe­ste in Gold; Gol­de­ne Zahl in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz, Sonn­ tags­buch­sta­be a in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen, rö­mi­sche Ta­ges­zäh­lung al­ter­nie­ rend in Blau und Rot. Die Mo­na­te Sep­tem­ber und Ok­to­ber vom Schrei­ber ver­tauscht; der hei­li­ge Lud­wig am 25.8. und Dio­ny­si­us am 9.10. in Gold. Die Mo­na­te Ja­nu­ar und Fe­bru­ar feh­len. fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes (fol. 11), Lu­kas (An­fang fehlt vor fol. 12), Mat­thä­us (fol. 13) und Mar­kus (fol. 14v). fol. 15: Ma­rien­ge­be­te: Ob­secro te (re­di­giert für eine Frau, An­fang fehlt vor fol. 15), O in­ teme­rata (An­fang fehlt vor fol. 17). fol. 20: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris: Matutin (An­fang fehlt vor fol. 20), Lau­des (fol. 38v), Prim (fol. 47v), Terz (An­fang fehlt vor fol. 52), Sext (fol. 55), Non (fol. 58v), Ves­p er (fol. 62), Komplet (fol. 68). fol. 74: Buß­psal­men: (An­fang fehlt vor fol. 74), mit Li­ta­nei (fol. 82v). fol. 91: Horen von Hei­lig Kreuz und Horen von Hei­lig Geist (nur zwei Blatt er­hal­ten). ­fi­zi­um: fol. 131v leer. fol. 93: To­ten­of fol. 132: Ge­bets­fol­ge in fran­zö­si­scher Spra­che: Ma­rien­ge­bet: Doulce dame (fol. 132), ge­ folgt vom Her­ren­ge­bet Doulx dieu (fol. 138). Glo­rie­use vierge (fol. 141); An­nen­ge­bet: Tressaincte dame (fol. 152). fol. 154: Ge­reim­te Hei­li­gen­ge­be­te in Fran­zö­sisch, je­weils ge­folgt von ei­nem Suff­ragium in La­tein: Se­ba­sti­an: Die­ux qui don­nas (fol. 154), Mar­ga­re­te: No­ble vierge (fol. 156) und Mar­ga­re­ten­ge­bet für schwan­ge­re Frau­en: Ma dame saincte margarite; (fol. 160v), Gen­ ovefa: Vierge doulce (fol. 162v), Chri­stoph­orus: Saint xpistofle martir (fol. 164), Math­ urin: O glo­rie­ux Saint Math­urin – mit Suff­ragium in Fran­zö­sisch (fol. 165v), Ka­tha­ri­ na (fol. 167), Fi­acrius (fol. 173), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 174), Pe­trus (fol. 174v), Pau­lus (fol. 175), Ja­kob­us (fol. 175), Jo­han­nes der Evan­ge­list (fol. 176), An­dre­as (fol. 176v), Mar­ kus (fol. 176v), Bar­nabas (fol. 177), Steph­anus (fol. 177v), Lau­ren­ti­us (fol. 178), Dio­ny­si­us (fol. 178v), Co­smas und Da­mian (fol. 179), Hyp­po­lyt (fol. 179v), Bla­si­us (fol. 180), Mar­ tin (fol. 180v), Be­ne­dikt (fol. 181), Lud­wig von Frank­reich (fol. 181v), Aegidius (fol. 182), Fran­zis­kus (fol. 182v), An­to­ni­us (fol. 183), Mau­rus (fol. 183v), Clau­di­us (fol. 184). fol. 185v: Ge­bet des Pe­ter von Lu­xem­burg (sie­he auch Nr.12, fol. 165). Fol. 189v: Texten­de.

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Schrift und Schrift­de­kor Eine sehr stol­ze Tex­tura geht hier mit dem ge­wohn­ten Schrift­de­kor aus Gold­buch­sta­ ben auf blau­en und wein­ro­ten Flä­chen zu­sam­men. Die tep­pich­haft dich­ten Rand­strei­ fen au­ßen sind noch nicht kon­tu­riert, aber op­tisch durch far­bi­ge Ele­men­te in den Ecken ak­zen­tu­iert. Hin­ge­gen wer­den die Bor­dü­ren der Bild­sei­ten nach in­nen durch Dop­pel­stä­be und nach au­ßen durch ein­fa­che Gold­lei­sten be­grenzt. Auf ei­ni­gen Blät­tern fin­den sich un­ten Bo­ den­strei­fen, die je­weils nur die Mit­te ein­neh­men, so daß die Ecken un­ten mit blau-gol­de­ nem Akanthus be­setzt wer­den kön­nen, der zu­wei­len schon auf Höhe der In­itia­len links und auch rechts wie­der­kehrt. Die Bild­fol­ge fol. 11: Jede der vier Per­ik­open war be­bil­dert; doch ist die Mi­nia­tur mit dem hei­li­gen Lu­kas ver­lo­ren: Jo­han­nes auf Patmos (fol. 11) wird in ei­ner küh­nen Sicht ge­zeigt, in der das Ei­land von oben zu se­hen ist, ganz von grau­blau­em Was­ser mit sil­ber­nen Lich­tern um­ge­ben, wo­bei der Ho­ri­zont hoch im ab­schlie­ßen­den Bo­gen, knapp un­ter ei­nem gol­de­nen Licht liegt, das Got­tes Gna­de aus­drücken soll. Sol­che Land­schafts­bil­der sind in der west­li­chen Ma­ le­rei un­ge­mein sel­ten. Mat­thä­us (fol. 13) hat sich in ei­nem ho­hen Kir­chen­ge­bäu­de nie­der­ge­las­sen; eine leicht nach rechts ver­setz­te Säu­le teilt die Mi­nia­tur in zwei Bo­gen­fel­der. Von links un­ter dem brei­te­ren Bo­gen, reicht ihm der En­gel das Tin­ten­faß; dort lie­gen zwei Bü­cher auf ei­ner Art An­rich­te, rechts sitzt der Evan­ge­list mit sei­nem Buch und streckt die Fe­der zum Tin­ten­faß hin. Ro­ter und vio­let­ter Bro­kat gren­zen sei­nen Raum vom Kir­chen­schiff da­ hin­ter ab. Mar­kus (fol. 14v) schließ­lich sitzt in ei­ner klei­nen Ka­pel­le und schreibt, wäh­rend der recht gro­ße Löwe mit sei­ner rech­ten Pran­ke ein ge­schlos­se­nes Buch be­wacht. fol. 20: Die Bil­der im Ma­rien­of ­fi­zi­um re­prä­sen­tie­ren gu­ten Pa­ri­ser Brauch: Bei der Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 38v) faßt ein ho­her Fel­sen im Hin­ter­grund die bei­den Haupt­fi­gu­ren zu­sam­men; Ma­ria ist von links ge­kom­men, von Jo­seph be­glei­tet, wäh­rend ihr Eli­sa­beth al­lein ent­ge­gen­tritt. Das Haus des Za­cha­ri­as wird nicht ge­zeigt. Ge­gen Bi­bel­text und Bild­tra­di­ti­on ste­hen bei der An­be­tung des Kin­des zu Prim (fol. 47v) zwei Stäl­le in Beth­le­hem ein­an­der ge­gen­über: Hin­ter ei­nem Fel­sen, der an eine ech­te Ge­ burts­höh­le den­ken läßt, taucht links ein spit­zer Gie­bel auf, un­ter dem das rote Wo­chen­ bett mit ei­nem best­irnten ro­ten Bal­da­chin steht; da­vor kniet die Mut­ter­got­tes. Rechts hin­ge­gen sind Esel und Ochs un­ter ei­nem schrä­gen Holz­ver­schlag im Tier­stall ge­gen­über un­ter­ge­bracht; da­vor sinkt Jo­seph in die Knie und nimmt sei­nen dunk­len Hut ab. Ein Flecht­zaun links und ein Lat­ten­zaun tref­fen in der Mit­te auf­ein­an­der; da­vor ist die mit

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Wei­den­ge­flecht um­ge­be­ne kreis­run­de Krip­pe mit dem nack­ten Kna­ben ge­stellt. Gol­de­ ne Strah­len sen­ken sich aus dem Stern im Bo­gen­schei­tel zu ihm her­ab; ein paar Strah­ len gel­ten auch der Mut­ter­got­tes links. Ein bart­lo­ser Hir­te ist be­reits zum Zaun ge­kom­ men, mit be­ten­den Hän­den. Für die An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 55) rückt der Stall mit dem spit­zen Gie­bel nach rechts; hier steht nun die Krip­pe mit Esel und Ochs hin­ter Ma­ria. Die Mut­ter­got­ tes sitzt auf dem ro­ten Bett mit ei­nem gro­ßen wei­ßen Kis­sen und hält den nack­ten Kna­ ben. Ihm reicht der äl­te­ste Kö­nig ein ro­tes Käst­chen mit gol­de­nen Mün­zen, wäh­rend der mitt­le­re den Kron­hut ab­nimmt. Er trägt Robe courte wie der jüng­ste, der mit dem Pelz­be­satz sei­nes ro­ten Wams­es dann doch noch ele­gan­ter wirkt, wie er vor dem Blick auf ein Ge­wäs­ser und Be­fe­sti­gun­gen da­hin­ter auf­tritt. In ei­ner Kom­po­si­ti­on, die im­mer noch an sie­nesische Va­ri­an­ten des The­mas von Am­ brogio Lo­renz­ettis Al­tar­bild in den Uf ­fi­zi­en den­ken läßt, steht un­ter ei­nem drei­fach ge­staf­fel­ten Bo­gen ein Al­tar, zu dem Ma­ria bei der Dar­brin­gung im Tem­pel zur Non (fol. 58v) mit ih­rer Magd ge­kom­men ist, die Ker­ze und Tau­ben­körb­chen mit­bringt. Den nack­ten Je­sus­kna­ben reicht sie dem grei­sen Simeon, der in pracht­vol­lem Chor­man­tel da­ steht und die mit wei­ßem Tuch be­deck­ten Arme aus­streckt. Land­schaft mit auf­fäl­li­gen stei­len Fel­sen ist eine Stär­ke die­ses Stun­den­buchs; da­von pro­fi­tiert das ele­gan­te Bild der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 62): Der Esel ist im glei­chen Grau wie die Fel­sen ge­färbt. Auf ei­nem ro­ten Sat­tel­tuch sitzt die Mut­ter­got­tes, die ih­rem Wickel­kind (wie in un­se­rer Nr. 14) die Brust gibt, wäh­rend sich Jo­seph zu ihr um­dreht. Zur al­ter­tüm­li­chen, aber sehr kost­ba­ren Mu­ste­rung des Fonds mit win­zi­gen Ka­ros auf Blatt­gold kehrt der Ma­ler bei der Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 68) zu­rück. Auf die vorn knien­de Mut­ter­got­tes, der ein En­gel auf ei­ner Wol­ke die Kro­ne bringt, war­tet eine mit ro­sa­far­be­nem Bro­kat be­deck­te Bank, die sich bild­par­al­lel er­streckt, wäh­rend die Gott­heit, hier wie­der Gott­va­ter mit Bü­gel­kro­ne, un­ter ei­nem Bal­da­chin auf ei­nem da­ ne­ben ge­stell­ten Thron sitzt und seg­net. fol. 93: Das To­ten­of ­fi­zi­um er­öff­net mit ei­nem Be­gräb­nis auf ei­nem Fried­hof: Die Kom­ po­si­ti­on wirkt lot­recht mit dem knapp über dem un­te­ren Bild­rand aus­ge­ho­be­nen Grab, in das zwei Män­ner ei­nen in Lei­nen ein­ge­näh­ten To­ten bet­ten. Drei Prie­ster in schwar­ zen Chor­män­teln und ein ju­gend­li­cher Akolyth mit dem Weih­was­ser­behälter voll­zie­hen die Ze­re­mo­nie, ih­nen ge­sel­len sich noch wei­te­re hin­zu, die aus der Ka­pel­le hin­ten tre­ten, wäh­rend die Pleurants mit ih­ren schwar­zen Ka­pu­zen rechts ei­nen ge­schlos­se­nen Block bil­den. Ein Bein­kno­chen und ein Schä­del lie­gen links vor der schräg nach rechts oben zu­rück­wei­chen­den Fried­hofs­mau­er. In de­ren Schat­ten schwebt ein schwar­zer Teu­fel; ihn wehrt ein En­gel mit lan­gem Kreuz­stab ab, der die See­le des Ver­stor­be­nen zu Gott bringt. fol. 132: Ein ein­drucks­vol­les Bild der dies­mal in ei­nen mit Her­me­lin ge­füt­ter­ten blau­ en Man­tel ge­klei­de­ten Ma­don­na mit En­geln er­öff­net die XV Freu­den Mariä (fol. 153): Der Bo­den ist grün ge­fliest. Eine Zier­ar­chi­tek­tur um­gibt die Ge­stal­ten mit ei­nem Rund­

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bo­gen hin­ter Ma­ria und schräg dazu ge­stell­ten Sei­ten­tei­len, die ih­rer­seits von je ei­nem Säulchen ge­teilt wer­den. Links greift ein En­gel in die Har­fe, rechts hin­ge­gen stecken zwei En­gel die Köp­fe zu­sam­men, um ge­mein­sam von ei­nem Schrift­band ab­zu­sin­gen. Wie die Baum­kro­nen über der Ar­chi­tek­tur ste­hen, ge­mahnt das Bild an flo­ren­ti­ni­sche Ma­don­ nen­bil­der wie Do­me­ni­co Ve­ne­zia­nos Sacra Con­versa­zi­one aus Santa Lu­cia degli Mag­noli von 1446 in den Uffzien. Die Sie­ben Kla­gen des Herrn be­gin­nen mit ei­nem Bild des Jüng­sten Ge­richts (fol. 158): Auf dem Re­gen­bo­gen sitzt der Wel­ten­rich­ter als Schmer­zens­mann vor ei­ner feu­ri­gen Man­dorla; zwei En­gel gren­zen sei­ne Er­schei­nung mit ih­ren lan­gen Po­sau­nen ab ge­gen Ma­ria, die links in wei­ßem Ge­wand und mit ge­senk­tem Haupt ver­harrt, wäh­rend der Täu­fer im Ka­mel­fell auf­recht be­tet. Aus ih­ren Grä­bern wa­chen drei Nack­te auf, ein Mann vorn links wen­det sich nur müh­sam zur Mit­te, wäh­rend ein zwei­ter Mann ne­ben ihm und eine Frau rechts zu­ver­sicht­lich auf­schau­en. In ei­nem Palas­traum, in den ein En­gel­chen durch ein Fen­ster von hin­ten her­ein­blickt, be­geg­nen sich vor ei­nem Blick in die Land­schaft die Ma­don­na und eine Be­te­rin zum Ge­bet Glo­rie­use vierge (fol. 141): Wie in Bil­dern der Lu­kas­ma­don­na von Rogier van der Wey­den (Bo­ston, Mu­se­um of Fine Arts) hat sich die Mut­ter­got­tes mit dem in ein wei­ ßes Hemd­chen ge­klei­de­ten Kna­ben in das Haus be­ge­ben, in dem die Sze­ne spielt; denn hier steht das Bet­pult der Dame, die in das glei­che Rot ge­klei­det ist, das auf der Frau­en­ sei­te im Na­nterre-Wap­pen un­ten er­scheint. Die Er­zie­hung Mari­ens wird zum An­nen­ge­bet: Tressaincte dame (fol. 152) ge­zeigt: Anna thront mit ei­nem Buch auf dem Schoß; da­hin­ein schreibt die Jung­frau Ma­ria, die sonst bei die­sem The­ma erst Le­sen lernt. Das Bild ist ähn­lich dis­p o­niert wie die vor­aus­ge­hen­de Mi­nia­tur; denn wie­der steht links ein ho­her Thron, wäh­rend die schrä­ge Wand rechts ei­ nen Blick in Land­schaft zu­läßt. Doch ge­ra­de die Ver­wandt­schaft der Mi­nia­tu­ren macht deut­lich, wie un­ter­schied­lich die stei­le­re Raum­kon­zep­ti­on und das sehr viel kost­ba­rer wir­ken­de Ko­lo­rit nun sind; am deut­lich­sten wird das in den un­ge­mein bril­lant ge­mal­ ten Bro­ka­ten und den wun­der­ba­ren Fa­rb­wir­kun­gen im Rot und Grün des Bal­da­chins. fol. 156: Ge­gen den Brauch, Mar­ga­re­te mit dem Dra­chen im Dun­kel ih­res Ker­kers zu zei­gen, blickt man hier von au­ßen auf das vor­sprin­gen­de Ge­bäu­de mit dem schwe­ren Ei­ sen­git­ter, hin­ter dem, fast noch im Ta­ges­licht, das Wun­der ge­sche­hen ist: Noch ragt das Mant­elen­de aus dem Ra­chen des Un­ge­heu­ers, das die Hei­li­ge ver­schluckt hat; da bricht sie schon mit­hil­fe des win­zi­gen gol­de­nen Kreu­zes aus dem Rücken aus. Die Kom­po­si­ti­ on er­in­nert an Bild­zy­klen der Lim­burgs zur Ka­tha­ri­nen- und Hie­ro­ny­mus-Le­gen­de in den New Yor­ker Bel­les Heu­res. Noch ein­mal keh­ren die stei­len Pro­por­tio­nen des An­nen­bil­des bei der hei­li­gen Gen­ ovefa (fol. 162v) wie­der: In ei­nem ho­hen Raum, der dies­mal sym­me­trisch ge­zeigt wird, mit dem­sel­ben Bo­den aus grü­nen und grau­en Flie­sen, die ge­schickt pla­stisch her­vor­ge­ ho­ben wer­den, und ei­nem ähn­lich be­zau­bern­den Bro­kat als Eh­ren­tuch hin­ter der Hei­li­ gen, steht Gen­ovefa und hält eine hohe Ker­ze, von links ist ein En­gel be­müht, die Flam­me

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am Bren­nen zu hal­ten, wäh­rend sie von rechts ein schwar­zer Teu­fel mit ei­nem Bla­se­balg lö­schen will. Die bild­par­al­le­le Bank hin­ten und eine An­rich­te mit Zinn­ge­rät un­ter dem Fen­ster­aus­blick rechts zei­gen, wie in­ten­siv man sich hier mit alt­nie­der­län­di­schem Rea­ lis­mus aus­ein­an­der­setzt. Zu­schrei­bung, Lo­ka­li­sie­rung und Da­tie­rung: Als ein mu­ster­gül­ti­ges Bei­spiel ei­nes Pa­ri­ser Lu­xus-Stun­den­buchs aus dem zwei­ten Vier­ tel des 15. Jahr­hun­derts ver­rät die­se Hand­schrift den do­mi­nie­ren­den Stil, den man lan­ge als das Wir­ken der Bed­ford-Werk­statt be­griff. Nach be­deu­ten­den Ar­bei­ten von Eleanor Spencer über die bei­den na­men­ge­ben­den Hand­schrif­ten in Lon­don (Add. Ms. 18850) und Pa­ris (lat. 17294), ih­rem Buch über das So­bie­ski-Stun­den­buch in Winds­or Ca­stle, Bei­ trä­gen von Ca­therine Reynolds, die aus de­ren un­ver­öf­fent­lich­ter Dis­ser­ta­ti­on ge­speist sind, und mei­nen ei­ge­nen Ar­bei­ten zum nun ins zwei­te Jahr­zehnt ge­setz­ten Bed­ford-Stun­ den­buch in Lon­don hat sich die Ein­schät­zung ver­än­dert: Die Ar­bei­ten des ei­gent­li­chen Bed­ford-Mei­sters set­zen nun schon in den Jah­ren kurz nach 1400 ein; was Mill­ard Meiss noch als Bed­ford-Trend be­zeich­ne­te, wird weit­ge­hend dem Mei­ster zu­ge­schrie­ben, wäh­ rend ein Stil­nach­fol­ger Sta­tur ge­won­nen hat, den man nach H. Yates Thompson Ms. 3 in Lon­don als Du­nois-Mei­ster be­zeich­net. Die schon lan­ge dis­ku­tier­te Ver­bin­dung mit zwei in den Quel­len ge­nann­ten Na­men be­ kommt da­durch neu­es Ge­wicht: Hain­celin de Haguenau und Jean Hain­celin. Die Li­te­ ra­tur hat sich dar­auf ge­ei­nigt, bei­den den­sel­ben Vor­na­men zu ge­hen: Hans oder Jean, ohne viel dar­über nach­zu­den­ken, wie aus Hain­celin Hans wird und war­um der dann nicht wie Jean Hain­celin ein­fach auch den in Pa­ris ver­trau­ten Vor­na­men Jean trug. Des­ halb kann ich mir vor­stel­len, daß der eine der bei­den Heinz, also Hein­rich hieß; und ich bin auch nicht ein­mal si­cher, ob der Orts­na­me zu Recht mit der Frei­en Reich­stadt im El­saß zu iden­ti­fi­zie­ren ist: Hagnau bei Meers­burg am Bo­den­see kommt ge­nau­so­gut in Fra­ge – und hat den be­mer­kens­wer­ten Reiz, daß dort Ste­phan Loch­ner her­stammt, des­ sen Kunst in Köln blüh­te und gar nicht so­weit von un­se­rem Stil ent­fernt ist. Pro­ble­ma­tisch bleibt hier die Be­stim­mung der bei­den her­aus­ra­gen­den Bil­der am Ende der Hand­schrift; sie ver­bin­den sich auf das Eng­ste mit der wun­der­ba­ren Va­ri­an­te von Jan van Eycks Ant­wer­pen­er Brun­nen­ma­don­na im Stun­den­buch der Hunting­ton Lib­ rary (San, Ma­rino, Ms. HM 1100, fol. 182; sie­he Van Bu­ren 1999). Die Haupt­mi­nia­tu­ren ste­hen zwi­schen Bed­ford- und Du­nois-Mei­ster. Da un­ge­k lärt bleibt, wann der äl­te­re Künst­ler sei­ne Tä­tig­keit be­en­de­te, mag die Fra­ge hier of­fen blei­ ben. Ein stol­zes Stun­den­buch des spä­ten Bed­ford-Stils, noch ohne Zei­chen sin­ken­der Ar­ beits­kraft, zwar nicht voll­stän­dig er­hal­ten, aber in den über­kom­men­en Mi­nia­tu­ren von un­er­hör­ter Schön­heit und Strahl­kraft, mit zwei Bil­dern, die an­schau­lich wer­

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den las­sen, mit wel­chem Ehr­geiz man in Pa­ris ver­such­te, es den be­sten Ta­fel­ma­lern der alt­nie­der­län­di­schen Kunst in der Buch­ma­le­rei gleich­zu­tun. Wie das hier als Nr. 16 be­schrie­be­ne Pop­in­court-Horarium zeugt die­ses ein­drucks­ vol­le und kost­ba­re Stun­den­buch für die Fa­mi­lie Na­nterre vom neu­en Selbst­be­wußt­sein ei­ner in Pa­ris und in der Île de France an­ge­sie­del­ten Käu­fer­schicht, die als Ju­ri­sten (das Par­la­ment in Pa­ris war ein Ge­richts­hof) und in der Ver­wal­tung zu Ver­mö­gen und An­se­hen ka­men. LI­T E­R A­T UR: Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter II , 1990, Nr. 44. Zu Na­nterre: Lou­is Moréri, Le grand dictionna­ire hi­storique, Nouv­el­le édit­ion avec suppléments de Gou­jet, revu par Drouet, Bd. 7, Pa­ris 1759, S. 911.

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15 Vollständiges Stun­den­buch aus der Spät­zeit des Bed­ford-Stils


15 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Rot, Blau und Gold, in Tex­tura. Pa­ris, um 1450: der spä­te Bed­ford-Mei­ster 15 gro­ße Mi­nia­tu­ren mit fla­chem Rund­bo­gen­ab­schluß in Dop­pel­stab­rah­men, da­von eine mit vier run­den Bild­me­dail­lons, um­ge­ben von drei­sei­ti­gen Zier­stä­ben in glei­cher Art so­wie mit Gold ge­rahm­ten Voll­bor­dü­ren aus Dorn­blatt mit blau-gol­de­nem und ro­tem Akanthus in den Ecken und der Mit­te au­ßen, ver­streut Blu­men­de­kor; vierz­ei­li­ge Dorn­ blatt-In­itia­len zu vier Zei­len Text; Die bei­den bild­lo­sen Ma­rien­ge­be­te mit ent­spre­chen­den vierz­ei­li­gen In­itia­len und Dop­pel­stab mit drei­sei­ti­ger Bor­dü­ren­klam­mer glei­cher Art au­ ßen; alle Text­sei­ten mit Bor­dü­ren­strei­fen am äu­ße­ren Rand; klei­ne­re In­itia­len in Blatt­gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen: zweiz­ei­lig bei Psal­men­an­fän­gen, ein­zei­lig zu den Psal­men­ver­ sen Zei­len­fül­ler der glei­chen Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 160 Blatt be­son­ders fei­nes Per­ga­ment, vor­ne und hin­ten je ein flie­gen­des und ein fe­stes Vor­ satz aus mo­der­nem Per­ga­ment. Ge­bun­den in 22 La­gen zu vor­wie­gend acht Blatt, da­von ab­ wei­chend die Kalend­erlagen 1 und 2 (6) so­wie die La­gen 4 (4), 12 (4) und 21 (4). Groß-Ok­tav (205 x 148 mm, Text­spie­gel: 110 x 70 mm). Rot reg­liert zu 16 Zei­len in Text und Ka­len­der; ho­ri­zon­ta­le Reklam­an­ten. Voll­stän­dig und breit­ran­dig er­hal­ten mit Re­sten von al­tem Gold­schnitt und Be­ma­lung; ein, zwei Ge­sich­ter je­doch, nach­dem sie of­fen­bar Spu­ren from­men Ge­brauchs zeig­ten, vor ge­rau­ mer Zeit leicht re­tu­schiert. Mo­der­ner Ein­band: al­ter grü­ner Samt mit Schräg­ran­ken­mu­ster auf fe­sten Deckeln, dazu eine sil­ber­ne Schlie­ße. Pro­ve­ni­enz: Auf dem zwei­ten Vor­satz Ein­trag von 1665 ei­nes Moriau, Pfar­rer von St.-Prie; er hat­te das Buch von sei­nem Va­ter ge­erbt, der es sei­ner­seits von Ger­maine Mutele, der Mut­ ter von Anne Lau­rent er­hal­ten hat­te, die ih­rer­seits mit Mo­ri­aus Groß­va­ter, ei­nem Ad­vo­ka­ten Fran­çois Gir­ard in Au­xerre ver­hei­ra­tet war (heu­te se­pa­rat be­wahrt). Auf dem text­lo­sen Blatt 152 ein Ein­trag: Mathe­rat de Vassy / 1773; die Vassy wa­ren eine alte nor­man­ni­sche Fa­mi­lie: Dictionna­ire de la No­bles­se, Bd. 19, Pa­ris 1876, Sp. 523-534. Sot­heby’s Lon­don, 3. Fe­bru­ar 1913, lot 498. Eben­da, 6.12.1983 (Ver­stei­ge­rung des Evan­ge­ li­ars Hein­richs des Lö­wen!), Nr. 94. Text fol. 1: Fran­zö­si­scher Ka­len­der mit Pa­ri­ser Hei­li­gen, Hei­li­gen­ta­ge in Rot und Blau, Fest­ ta­ge in Gold; Gol­de­ne Zahl in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz, Sonn­tags­ buch­sta­be a in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen, rö­mi­sche Ta­ges­zäh­lung al­ter­nie­rend in Gold, Blau und Rot. Die Mo­na­te Sep­tem­ber und Ok­to­ber vom Schrei­ber ver­tauscht; Gen­ovefa (3.1.), Yvo (19.5.), Dio­ny­si­us (9.10.) und Lud­wig (25.8.) als Fest; dazu Me­

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tra­nnus (30.1.), Op­por­tuna (22.4.), For­tu­na­tus (5.5.), Mathurinus (Mathelin, ei­gent­lich Trans­latio 10.5.), Germ­anus (28.5.), Lan­de­ricus (10.6.), Ger­vasius (19.6.), Fara (7.12.). fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes als Suff­ragium (fol. 13), Lu­kas (fol. 14v), Mat­thä­us (fol. 16) und Mar­kus (fol. 18). fol. 19: Ma­rien­ge­be­te: Ob­secro te (re­di­giert für ei­nen Mann), O in­teme­rata (fol. 22). ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris, mit drei vol­len Nok­tur­nen zur Mafol. 25: Ma­rien­of tutin: Matutin (fol. 25), Lau­des (fol. 46), Prim (fol. 56), Terz (fol. 61v), Sext (fol. 65v), Non (fol. 69v), Ves­p er (fol. 73v), Komplet (fol. 79v). fol. 85: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 96v), de­ren sehr knap­pe Hei­li­gen­aus­wahl die für Pa­ris ty­pi­schen Dio­ny­si­us, Ger­vasius und Pro­thasius, sonst aber kei­ne nur lo­kal ver­ehr­ ten Hei­li­gen an­ruft. fol. 99v: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 99v) und Hei­lig Geist (fol. 105). ten­ of ­fi­ zi­ um. Ves­p er (fol. 110v), Matutin (fol. 117, von ei­ner Ru­brik ein­ge­ fol. 110v: To­ lei­tet). fol. 151v-152v: leer. fol. 153: Fran­zö­si­sches Ma­rien­ge­bet: Doulce dame (fol. 153); Her­ren­ge­bet Doulx dieu (fol. 158). Schrift und Schrift­de­kor: Die­ses groß­zü­gig an­ge­leg­te Ma­nu­skript ist ein cha­rak­te­ri­sti­sches Werk ei­nes gu­ten Pa­ ri­ser Schrei­bers. Die Tex­tura mit den In­itia­len, die im Text­ver­lauf Flä­chen­de­kor für einbis zweiz­ei­li­ge Buch­sta­ben ein­setzt und dazu Dorn­blat­tran­ken mit klei­nen Blü­ten und Blätt­chen in Buch­ma­ler­far­ben stellt, zeigt den An­spruch, der die­ses Werk prägt. Sinn für De­ko­ra­ti­ons­hier­ar­chie be­dingt, daß die bei­den bild­lo­sen Ma­rien­ge­be­te mit vierz­ei­li­ gen Dorn­blatt-In­itia­len und Dop­pel­stab mit drei­sei­ti­ger Bor­dü­ren­klam­mer glei­cher Art au­ßen her­vor­ge­ho­ben wer­den. Die Bild­sei­ten mit den gro­ßen Dorn­blatt-In­itia­len bau­en auf dem Sy­stem der Dorn­blat­ tran­ken mit ge­mal­ten Ele­men­ten in den Ecken auf. Blau-gol­de­ner, zu­wei­len auch mit kräf­ti­gem Rot ge­stal­te­ter Akanthus über­wiegt da­bei. Zu Text und Bild wer­den die Bor­ dü­ren mit Dop­pel­stä­ben be­grenzt, die auch als Bild­rah­men die­nen; nach au­ßen hin­ge­ gen durch eine ein­fa­che Gold­li­nie. Nur die Mari­en-Matutin wird noch üp­pi­ger ge­stal­tet: Dich­tes ge­mal­tes Blatt­werk läßt dem Dorn­blatt nur die Rol­le ei­nes Grund­mu­sters. Statt der Dop­pel­stä­be als in­ne­re Be­ gren­zung ge­nü­gen nun Gold­lei­sten nach in­nen und au­ßen. Vier von Akanthus ge­rahm­ te run­de Bild­me­dail­lons knüp­fen an die Pracht äl­te­rer Stun­den­bü­cher aus der Bed­fordWerk­statt an.

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Die Bild­fol­ge Die Per­ik­open er­öff­nen mit ei­ner ein­zel­nen Mi­nia­tur, die wie in Pa­ris üb­lich nur Jo­han­ nes auf Patmos (fol. 13) zeigt: Der blond­ge­lock­te Evan­ge­list sitzt auf ei­nem spitz auf­ra­ gen­den Ei­land. Links ne­ben ihm hat sich der Ad­ler mit aus­ge­brei­te­ten Schwin­gen nie­ der­ge­las­sen und hält das Tin­ten­faß an ei­nem Band im Schna­bel. Ihm ge­gen­über will ein Teu­fel die Ar­beit des Schrei­ben­den zu stö­ren. Mit bei­den Hän­den jon­gliert er eben­falls ein Tin­ten­faß, um den Evan­ge­li­sten bei der Nie­der­schrift fehl­zu­lei­ten. Doch Jo­han­nes hat sich eif­rig über sein Schrift­band ge­beugt. Sein ro­ter Man­tel um­hüllt ihn wie eine Scha­le, die ih­rer­seits vom Ufer der In­sel um­ge­ben wird. Die Was­ser­flä­che wird zum ho­ hen ge­run­de­ten Ho­ri­zont fast weiß, un­ter recht kräf­tig blau­em Him­mel. Die Ver­kün­di­gung an Ma­ria (fol. 25) zur Mari­en-Matutin fin­det un­ter ei­nem Ton­nen­ ge­wöl­be in ei­ner mit vie­len Bö­gen ge­schmück­ten Ar­chi­tek­tur statt, die sich zum frei­en Him­mel öff­net. Dort er­scheint Gott in klei­ner Halb­fi­gur, der in der Lin­ken die Spha­ira hält und mit der Rech­ten die Tau­be des hei­li­gen Gei­stes seg­net, die er so­eben zur Jung­ frau ge­sandt hat. Un­ter ei­nem grü­nen, in­nen mit Alt­ro­sa aus­ge­schla­ge­nen Bal­da­chin und auf ro­tem La­ger kniet Ma­ria vor ih­rem Bet­pult. Von rechts, viel­leicht aus dem bild­par­ al­le­len Bo­gen ist der Erz­en­gel Ga­bri­el her­zu­ge­tre­ten, in bläu­lich schat­tier­ter Albe und ­fl at­tert, mit ei­nem in­nen grün, au­ßen in Alt­ro­sa ge­tön­tem Chor­man­tel, der be­wegt auf um auf ähn­lich auf­ge­wir­bel­tem Schrift­band den Gruß zu ent­bie­ten. In wei­chem Ko­lo­ rit, mit locker auf­ge­tra­ge­ner Far­be wer­den das Blau von Ma­ri­as Ge­wan­dung und das mit kräf­ti­ge war­me Rot, das sie um­gibt, so­wie das Gold des Bet­pults und des Kis­sens, auf dem Ma­ria kniet, mit dem Far­ben­paar von leuch­ten­dem Grün und mat­tem Alt­ro­sa so­ wie Weiß und hel­len Zwi­schen­tö­nen ge­rahmt. In den Ecken der Voll­bor­dü­re for­men die fei­nen Akanthus­ran­ken ganz in der Tra­di­ti­ on der Bed­ford-Werk­statt klei­ne Me­dail­lons, die dem Ma­ler zu­sätz­lich Raum für Bil­ der bie­ten: Hier sind es Sze­nen aus der Ma­ri­en­le­gen­de, die im Uhr­zei­ger­sinn zu le­sen sind: Links oben wird Joa­chims Lamm­op­fer vom Tem­pel zu­rück­ge­wie­sen; rechts folgt die Ver­kün­di­gung an Joa­chim bei den Hir­ten, dar­un­ter der Kuß an der Gol­de­nen Pfor­ te und in der lin­ken un­te­ren Ecke wird schließ­lich die Ma­rien­ge­burt ge­zeigt. Die Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 46) fin­det wie ge­wohnt in ei­ner Land­schaft statt: vor spitz auf­ra­gen­den und gol­den schim­mern­den Ber­gen trifft die ele­gant ge­streck­te Ma­ ria mit blond ge­lock­tem Haar auf ihre Base Eli­sa­beth, die sich mit ver­hüll­tem Haupt als äl­te­re ver­hei­ra­te­te Frau prä­sen­tiert. De­mü­tig öff­net sie die Arme, um Ma­ria zu be­grü­ ßen. Ihr vio­let­tes Ge­wand mit dem zu Alt­ro­sa ab­ge­tön­ten Rot ih­res Man­tels fügt sich farb­lich gut in die Land­schaft, wäh­rend Ma­ria im himm­li­schen Blau alle Auf­merk­sam­ keit auf sich zieht. Als Kunst­griff der at­mo­sphä­ri­schen Dar­stel­lung setzt der Ma­ler zu­ dem ra­sche Gold­höhun­gen auf Berg­spit­zen und Wölk­chen, die die Sze­ne in glän­zen­des Licht tau­chen. Die An­be­tung des Kin­des zur Mari­en-Prim (fol. 56v) er­weist sich als eine ähn­lich wie die Ver­kün­di­gung ge­schich­te­te Kom­po­si­ti­on. Das schräg ins Bild ra­gen­de Stall­dach ist

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links so hoch an­ge­setzt, daß der Ma­ler den um­ge­ben­den Bret­ter­zaun in die bild­par­al­lel ge­stell­te über­dach­te Krip­pe über­führt, in dem Ochs und Esel dem hei­li­gen Ge­sche­hen bei­woh­nen. Am Fuß ih­res fast bild­be­herr­schen­den Betts kniet die Mut­ter­got­tes auf dem über den Bo­den ge­brei­te­ten Saum des ro­ten und mit Ster­nen ver­zier­ten Bett­be­zugs und be­tet den nack­ten Chri­stus­kna­ben an, der auf ih­rem blau­en Man­tel­saum liegt und wie der Mor­gen­stern selbst strahlt. Jo­seph, viel klei­ner als Ma­ria dar­ge­stellt, hat sei­nen Stab bei­sei­te ge­legt und ver­neigt sich im Pro­fil vor dem Got­tes­sohn. Die Ker­ze in sei­ner Hand sym­bo­li­siert da­bei Wei­he und Nacht, also die Weih­nacht, die in die­ser Zeit so gut wie nie bei Dun­kel­heit ge­zeigt wird. Un­ter dem Zei­chen von „puer na­tus est“ steht wie schon beim frü­hen Bed­ford-Mei­ster (Kö­nig 2007, S. 28-30) die Hir­ten­ver­kün­di­gung zur Terz (fol. 61v). Die­sen Je­saias-Vers (Is. 9,6), mit dem auch die Weih­nachts­mes­se be­ginnt, ver­kün­det ein En­gel im Ab­schluß­ bo­gen der weit­räu­mi­gen Mi­nia­tur: Vor den Mau­ern von Beth­le­hem, die knapp un­ter dem waa­ge­recht ver­lau­fen­den Ho­ri­zont ste­hen, brei­tet sich das Ge­län­de mit Scha­fen, ei­ nem auf­recht sit­zen­den Hund und zwei Hir­ten, die bei­de er­grif­fen auf­schau­en: der eine links vorn am Bo­den sit­zend, hat sei­ne Sack­pfei­fe ab­ge­setzt und den Kopf so zu­rück­ge­ wor­fen, daß ihm der Hut ab­fällt, wäh­rend der an­de­re rechts in ei­ner fast tän­ze­ri­schen Be­we­gung in­ne­hält und den Hut zieht. Daß Ma­ler die An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 65v) in ei­nem ganz an­ders ge­bau­ten Stall als die Weih­nacht zei­gen, ist nicht sel­ten, fällt hier aber be­son­ders stark auf: In den Ab­schluß­bo­gen des Bil­des ragt über ei­nem dop­pel­ten Rund­bo­gen, des­sen stei­ner­ne Kon­ struk­ti­on dar­an den­ken läßt, daß die Sze­ne in den Rui­nen von Da­vids Pa­last spielt, eine Decke, de­ren Bal­ken in der per­spek­ti­vi­schen An­sicht ge­ra­de­zu ra­di­al aus­strah­len. Die Fi­ gu­ren sind je­doch eher auf die Schrä­ge be­zo­gen, die von der lin­ken Sei­ten­wand be­stimmt ist: Aus ei­nem stei­ner­nen Bo­gen schau­en Ochs und Esel über das Kopf­en­de von Ma­ri­ as Bett; die Mut­ter­got­tes ba­lan­ciert auf zwei Fin­gern ein Gold­käst­chen, das Jo­seph mit bei­den Hän­den er­grei­fen will. Da­für muß er sich über ei­nen Flecht­zaun beu­gen, der die Sze­ne nach rechts hin­ten be­grenzt, wo vor frei­em Him­mel ein Zieh­brun­nen steht. Den Ka­sten hat Ma­ria vom äl­te­sten Kö­nig er­hal­ten, der den Fuß des nack­ten Kna­ben küs­ sen will, der sei­ner­seits eine gol­de­ne Ku­gel in der Hand hält. Die bei­den an­de­ren Kö­ni­ ge knien zu bei­den Sei­ten; der mitt­le­re ist rechts ge­ra­de im Be­griff, sei­nen Kron­hut ab­ zu­neh­men; der jüng­ste und mo­disch­ste drängt von links ins Bild. Auf­fäl­lig viel Gold ist mit kräf­ti­gem Pin­sel­strich im Bild ver­teilt. Vor ei­ner mit pur­pur­nem Da­mast ab­ge­trenn­ten Ap­sis spielt die Dar­brin­gung im Tem­ pel zur Non (fol. 69v): Im Wi­der­spruch zu de­ren zen­tra­ler Aus­rich­tung, die noch von ei­nem run­den Ziborium un­ter­stri­chen wird, ragt der Al­tar rechts schräg nach vorn. Ein An­te­pen­di­um aus grü­nem Bro­kat wirkt, als sei der üb­li­che Stein­block ge­meint; doch wird die Tisch­plat­te, wie man rechts sieht, von Säu­len ge­hal­ten, so daß man un­ter dem wei­ßen Tuch rechts ei­nen Fuß Simeons, das mit Pelz ver­bräm­te Un­ter­ge­wand und den Saum sei­ner vio­let­ten Tu­ni­ka sieht. Die Fi­gu­ren fol­gen der Le­se­rich­tung: Von ei­ner ju­ gend­li­chen Magd, die hier nur das Tau­ben­körb­chen trägt, be­glei­tet, ist Ma­ria auf den

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Al­tar­stu­fen nie­der­ge­kniet. Sie streckt die von ei­nem wei­ßen Tuch ver­deck­ten Hän­de aus, und es wirkt, als sei ab­wei­chend vom ikono­gra­phi­schen Brauch der Mo­ment ge­meint, in dem sie den nack­ten Kna­ben wie­der auf­nimmt, nach­dem sie ihn Simeon an­ver­traut hat­te. Bar­häup­tig neigt sich der Greis, von ei­nem al­ten Mann be­glei­tet, den man mit Jo­ seph ver­wech­seln könn­te, der aber eher zu den Prie­stern ge­hört. Vor ei­ner Stadt in der Fer­ne und ei­ner Ku­lis­se zwei­er steil auf­ra­gen­der Fel­sen schrei­tet der Esel bei der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 73v) nach rechts. Wie­der folgt die blon­de Magd in ro­tem Kleid. Jo­seph hin­ge­gen führt das Tier und blickt zu Ma­ria zu­ rück, die in ei­ner un­ge­wohn­ten ikono­gra­phi­schen Wen­dung auf der Flucht dem Kind die Brust gibt; Clark 2016, der auf die­ses Mo­tiv in Add. Ms. 31835, fol. 80v (sei­ne Fig. 60) ge­sto­ßen ist, kennt nur ein wei­te­re Bei­spiel, im Neville-Stun­den­buch, BnF, latin 1158, fol. 91 (sei­ne Ill. 164). Die recht spä­te Ent­ste­hung die­ser Mi­nia­tu­ren wird von der Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 79v) un­ter­stri­chen: Über Got­tes Thron hängt wie beim Al­tar der Dar­brin­gung im Tem­pel ein wei­ßes Ziborium. Den blau­en Him­mel gren­zen Kreis­seg­men­te mit feu­ ri­gen Se­ra­phim ein, die vom Bo­gen­ab­schluß in die Mi­nia­tur hin­ein­ra­gen. Eine im Bed­ ford-Stil sonst kaum zu find­en­de Ar­chi­tek­tur in gold­gehöhten Braun­tö­nen spannt sich als nied­ri­ge­re Front mit vier Maß­werk­bö­gen zwi­schen zwei seit­li­chen Zier­gie­beln. Von die­ser Fas­sa­de trennt den schlich­ten mit gold­gehöhtem Rosa be­deck­ten Thron­ka­sten grü­ner Bro­kat. Ma­ria kniet links mit ge­kreuz­ten Ar­men; zwei Se­ra­phim, de­ren un­te­res Flü­gel­paar noch vom Bro­kat ver­deckt ist, er­schei­nen mit der Kro­ne, wäh­rend ein grei­ser Gott­va­ter, wie ein Kai­ser ge­krönt, die Krö­nung der Mut­ter­got­tes seg­net. fol. 85: Ge­ra­de­zu auf­ge­wühlt wirkt das Bild von Da­vids Buße zu den Buß­psal­men: Un­ ter frei­em Him­mel, in dem Gott­va­ter mah­nend er­scheint, kniet der grei­se Kö­nig zwi­ schen ei­nem Ka­sten mit dreh­ba­rem Bü­cher­pult, wie ihn auch Evan­ge­li­sten ha­ben und auf dem er den Psal­ter ge­öff­net hat, links und ei­nem Bal­da­chin rechts, un­ter dem ein Kis­sen sicht­bar wird. Ein­ge­grenzt wird der ge­flie­ste Raum durch eine bild­par­al­le­le Wand mit Maß­werk­fen­stern, die den Ein­druck schafft, ei­gent­lich habe der Ma­ler ein In­te­rieur wie­der­ge­ben wol­len, es dann aber zum Him­mel ge­öff­net, um Gott ein­be­zie­hen zu kön­ nen. Der Kö­nig win­det sich ge­ra­de­zu; und auch die Hand des Ma­lers wirkt ei­gen­tüm­ lich un­si­cher, su­chend und in der Ge­stal­tung des Raums vor al­lem auf der lin­ken Bild­ sei­te in­kon­se­quent. Doch so­bald man sich den Künst­ler als Greis vor­stellt, er­hält die­se Mi­nia­tur eine be­son­de­re Qua­li­tät, als sei sie schwin­den­den Kräf­ten ab­ge­run­gen. fol. 99v: Die Horen er­öff­nen mit den ge­wohn­ten Er­ken­nungs­bil­dern: Doch bei der Kreuz-Matutin ist das Bild the­ma­tisch als Lan­zen­stich (fol. 99v) prä­zi­siert: In ei­ner Land­schaft, die im Mit­tel­grund Ber­ge zu bei­den Sei­ten an­stei­gen läßt und hin­ ten zu ei­ner Stadt führt, die kaum als Je­ru­sa­lem kon­zi­piert sein dürf­te, steht das Kreuz un­ter Son­ne und Mond. Von Frau­en be­glei­tet und von Jo­han­nes ge­hal­ten blickt Ma­ria fle­hent­lich auf zu ih­rem to­ten Sohn, wäh­rend auf der Sei­te ge­gen­über der grei­se Zen­ tu­rio auf ei­nen Schild ge­stützt zwei Män­nern Chri­stus als Got­tes Sohn be­kun­det. Blut

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dringt nicht nur aus der Sei­ten­wun­de, son­dern fließt ent­lang der Arme und rinnt von Kreu­zes­stamm auf den Fel­sen. Auch das Pfingst­wun­der zur Geist-Matutin (fol. 105) ist the­ma­tisch prä­zi­siert: Eng ge­ drängt sit­zen die Apo­stel, vom Be­trach­ter durch eine getreppte Mau­er ge­trennt, um ei­ nen Bü­cher­ka­sten in ei­nem holz­ver­tä­fel­ten Raum. Un­ter Holz­ton­ne öff­net sich hin­ten ein Fen­ster; dort er­scheint die Tau­be mit schwin­gen­den feu­ri­gen Flam­men. Von Schlaf links vorn bis zu hel­ler Auf­re­gung rei­chen die Re­ak­tio­nen; doch im Zen­trum der Kom­ po­si­ti­on wird die Ein­tracht der Got­tes­mut­ter mit dem Lieb­lings­jün­ger Jo­han­nes ge­zeigt, wo­bei Pe­trus links ne­ben Ma­ria nur eine Ne­ben­rol­le zu­kommt. fol. 110v: Zur Be­bil­de­rung des To­ten­of ­fi­zi­ums hat man im Bed­ford­kreis die Bei­set­zung auf dem Fried­hof be­vor­zugt; gern se­hen mo­der­ne Be­trach­ter dar­in Bil­der vom Pa­ri­ser Fried­hof der Un­schul­di­gen Kindl­ein. Da­von kann hier aber nicht die Rede sein; denn in dem­sel­ben auf­ge­reg­ten Sinn für im Raum ge­kipp­te Bild­ele­men­te, den wir schon bei Da­ vid spü­ren konn­ten, ist hier ein klei­ner Fried­hof ohne Karrner ge­zeigt: Das frisch aus­ ge­ho­be­ne Grab steht schräg, so daß un­ten links Platz bleibt, ei­nen Schä­del mit Kno­chen und den Spa­ten der To­ten­grä­ber zu zei­gen, die jetzt in die Gru­be stei­gen, um den ein­ ge­näh­ten Leich­nam zur letz­ten Ruhe zu bet­ten. Ge­bracht wur­de der Tote in dem Sarg, des­sen Deckel eine wei­te­re Schrä­ge rechts un­ten be­schreibt. Drei Prie­ster in schwar­zen Chor­män­teln ste­hen zwi­schen dem Sarg und der klei­nen Ka­pel­le hin­ten, wäh­rend sich drei Pleurants links eng zu­sam­men­drän­gen; wie­der wird ge­gen Raum­lo­gik ver­sto­ßen, sind sie doch viel zu kurz. Zu­dem ste­hen hin­ter ih­nen fünf bren­nen­de Ker­zen, die ei­ gent­lich die Pleurants hal­ten müß­ten. Über zwei ge­kreuz­ten Bein­kno­chen er­hebt sich ein Bild­stock vor der schräg um eine Ecke ge­führ­ten Fried­hofs­mau­er. Über ihr schwebt be­ reits der Schutz­en­gel des Ver­stor­be­nen, um des­sen als Klein­kind ge­zeig­te See­le zu Gott zu füh­ren, ohne daß wie bei die­sem Bild­the­ma ge­wohnt, ihn ein Teu­fel da­bei auf­hält. fol. 153: Wie Da­vids Bal­da­chin zu ver­ste­hen ist, er­hellt bei der Dar­stel­lung der Ma­don­ na mit mu­si­zie­ren­den En­geln zu den XV Freu­den Mariä: Die Got­tes­mut­ter sitzt auf ei­ nem ro­ten Kis­sen un­ter ei­nem ent­spre­chen­den grü­nen Bal­da­chin, nun in ei­nem Raum, der links hin­ten durch ein Fen­ster er­leuch­tet wird. Ihr blau­er Man­tel ist mit wei­ßem Pelz ge­füt­tert, viel­leicht Her­me­lin ohne schwar­ze Schwänz­chen, wie das in der Köl­ner Ma­ le­rei um Ste­phan Loch­ner üb­lich war und in un­se­rer Nr. 18 zu­wei­len vor­kommt, al­ler­ dings dort bei der Dar­brin­gung und der Ma­rien­krö­nung eher aus Nach­läs­sig­keit, nach­ dem Ma­ri­as Man­tel­fut­ter aus wei­ßem Pelz bei der Ver­kün­di­gung, der Heim­su­chung und der Weih­nacht mit kräf­ti­gen Schwarz be­setzt war. Ein En­gel mit Lau­te mu­si­ziert; nach der Har­fe ei­nes zwei­ten En­gels greift in­ter­es­siert das in ein gol­de­nes Hemd­chen ge­klei­de­te Je­sus­kind. fol. 158: Das Jüng­ste Ge­richt zu den Sie­ben Kla­gen des Herrn zeigt den Wel­ten­rich­ ter vor ei­ner feu­rig ro­ten Man­dorla mit zwei klei­nen En­geln in der Höhe, die ihre ge­ schwun­ge­nen Po­sau­nen zur Erde wen­den, so daß sie eine Zä­sur zu Ma­ria und Jo­han­nes dem Täu­fer schaf­fen. Je­sus wen­det sich zu Ma­ria, die nach­denk­lich da­sitzt, wäh­rend der

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Täu­fer in­stän­dig die Hän­de aus­streckt. Aus ih­ren Grä­bern un­ten stei­gen drei Tote auf, zwei Män­ner mit gu­ter Hoff­nung, eine Frau rechts vorn aber ver­zwei­felt. Zum Stil Sti­li­stisch steht das Ma­nu­skript dem Stun­den­buch der Jan­ne de Ca­villiere, MA 26 der Pu­ blic Lib­rary in New York, nahe, das 2005 von Jim Marrow im Aus­st.-Kat. Splendor of the Wo­rld als Nr. 52 vor­ge­stellt wur­de. Für den ge­schätz­ten Kol­le­gen han­delt es sich bei der Hand­schrift, die für eine bei der Por­te de Bau­det woh­nen­de Dame in Pa­ris be­zeugt ist, um ein Werk des Du­nois-Mei­sters. Die­se Zu­schrei­bung müß­te dann ei­gent­lich auch für un­ser Buch gel­ten, das zu­dem noch ein we­nig spä­ter ent­stan­den sein dürf­te als das Ma­ nu­skript in New York. Die am frappierendsten übereinstimmenden Miniaturen sind uns in letzter Minute begegnet: In Ms. Parm. 1649 in der Biblioteca Palatina in Parma; vgl. Farinelli 2001, Nr. 34 mit fünf Abb.: die Verkündigung (ebenda S. 62) und die Flucht (S. 60) sowie die meisten übrigen kanonischen Miniaturen sind eindeutig von der Hand unseres Malers, in den späteren Partien waren der Meister von Jean Rolin (Kreuzab­ nahme, S. 197) und sogar der Meister der Philippa von Geldern (Hiob, S. 199) betei­ ligt – ein weiterer Beweis für die sehr späte Zeitstellung der Bedfordminiaturen, die der Hauptmeister in Parm. 1649 nicht mehr fertigstellen konnte. Die Be­bil­de­rung un­se­res Stun­den­buchs ver­rät durch­weg ein und die­sel­be Hand; und sie zeigt auch, daß es sich um ei­nen al­ten, ge­ra­de­zu grei­sen Ma­ler han­deln muß, des­sen Mo­to­rik nicht mehr sei­ner rei­fen Schaf­fens­zeit ent­spricht. Da­bei be­ein­druckt aber wie bei an­de­ren Wer­ken hoch be­tag­ter Künst­ler zu­gleich, wie frei der Ma­ler ge­gen Nor­men ver­stößt. In ei­ner Zeit, da man auch in sei­ner Pa­ri­ser Werk­statt die neue Kunst der Al­ ten Nie­der­län­der wahr­nahm, setzt er sich un­be­küm­mert über die Be­mü­hun­gen hin­weg, Raum lo­gisch zu ge­stal­ten. Statt des­sen in­ter­es­siert ihn die Flä­che; er ar­bei­tet mit er­ staun­li­chen Schrä­gen, hebt die Er­schlie­ßung der Bild­tie­fe im Bild des Fried­hofs auf und läßt den bü­ßen­den Da­vid in sei­ner Reue ge­ra­de­zu form­los wer­den. Wäh­rend der Du­nois-Mei­ster oh­ne­hin kurz­wüchsige Fi­gu­ren mit run­den Köp­fen be­vor­ zug­te, sich stär­ker dem Ein­fluß der alt­nie­der­län­di­schen Ta­fel­ma­le­rei öff­ne­te und so­gar Bild­mo­ti­ve Jan van Eycks in sei­ne Ar­bei­ten in­te­grier­te, um in sei­nen spä­ten Wer­ken zu­ neh­mend be­ru­hig­te Flä­chen zu ge­stal­ten, mag man es hier mit dem spä­ten Bed­ford-Mei­ ster selbst zu tun ha­ben. Der hät­te dann aber fast ge­nau­so­lan­ge ge­lebt wie sein Nach­fol­ger. Ein voll­stän­dig er­hal­te­nes Pa­ri­ser Stun­den­buch im spä­ten Bed­ford-Stil, des­sen ein­ drucks­vol­le Mi­nia­tu­ren von ei­nem Künst­ler zeu­gen, der zwar nicht mehr über die Kraft sei­ner be­sten Jah­re ver­fügt, aber mit der Art er­staunt, wie er sou­ve­rän alle An­for­de­run­gen an fein­ma­le­ri­sche Tech­nik und säu­ber­li­che Or­ga­ni­sa­ti­on bei­sei­te schiebt, um ei­ni­ge ge­ra­de­zu er­grei­fen­de Al­ters­wer­ke zu schaf­fen. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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16 Das Pop­in­courtStun­den­buch: spä­ter in den Samm­lun­gen Hen­ry Yates Thompson, Dyson Perr­ins, Ro­bert Da­non und Hel­mut Beck


16 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, mit la­tei­ni­schen Ru­bri­ken in Rot und Blau so­wie ei­ nem fran­zö­si­schen Ka­len­der in Gold, Blau und Rot, in Bast­arda. Pa­ris, um 1440-45: Mei­ster des Pop­in­court-Stun­den­buchs (auch Hoo-Mei­ster) und ein zwei­ter Pa­ri­ser Buch­ma­ler der 1440er Jah­re 26 Bil­der: drei­zehn gro­ße Mi­nia­tu­ren mit Bo­gen­ab­schluß über vier Zei­len Text mit dreioder vierz­ei­li­gen Dorn­blatt-In­itia­len in Voll­bor­dü­re mit drei­sei­ti­ger Dorn­blatt-Zier­lei­ste, meist um den Text­spie­gel, zu­wei­len auch in der Mit­te der Dorn­blatt­bor­dü­ren mit blaugol­de­nem Akanthus und Blu­men in Ecken und Mit­te au­ßen; zwölf Bil­der in Recht­ecken oder run­den Me­dail­lons mit den Tier­kreis­zei­chen in brei­ten drei­sei­ti­gen Ran­ken­klam­ mern von au­ßen, die mit Blu­men oder Akanthus zum Bild­feld und an den En­den des Rand­sch­mucks in­nen be­lebt sind; eine Bild-In­itia­le von vier Zei­len Höhe; aus zweiz­ei­li­ gen In­itia­len sprießt ein Dop­pel­stab mit ei­ner Ran­ken­klam­mer von links; alle ein­fa­chen Text­sei­ten mit Dorn­blatt­bor­dü­re au­ßen, so daß sich auf Recto mit den Au­ßen­bor­dü­ren in Höhe des Text­spie­gels fast der Ein­druck von Voll­bor­dü­ren er­gibt; so auch bei der ein­ zi­gen Bild-In­itia­le. Ein­zei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf ro­ten und blau­en Grün­den mit wei­ßem Li­ni­en­de­kor, am Zei­len­be­ginn; Zei­len­fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert 178 Blatt Per­ga­ment; die fe­sten Vor­sät­ze Pa­pier, vorn vier flie­gen­de, nicht foli­ier­te Vor­sät­ze, mit 15 Zei­len reg­liert wie der Text­block das er­ste Dop­pel­blatt auf den Kopf ge­stellt; hin­ten ein ur­sprüng­lich text­lo­ses Qua­ter­nio aus fe­ste­rem Per­ga­ment, das eben­falls wie der Buch­block reg­liert ist (fol. 167-174). Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die vier Vor­ satz­blät­ter vorn, die Kalend­erlagen 1-2 (6), Lage 3 (8+1; das End­blatt hin­zu­ge­fügt), Lage 11 (8+1; fol. 86 mit fünf Zei­len Texten­de vom sel­ben Schrei­ber, ohne Rand­schmuck, hin­zu­ge­ fügt). Kei­ne Reklam­an­ten. Klein-Ok­tav (142 x 100 mm; Text­spie­gel: 64 x 46 mm). Rot reg­liert zu 15, im Ka­len­der zu 17 Zei­len. Voll­stän­dig, breit­ran­dig und ohne Be­nut­zungs­spu­ren er­hal­ten. Hi­storistisc­her Fan­fa­re-Ein­band auf fünf sicht­ba­re Bünde mit zwei Sil­bers­chließen per­fekt er­ hal­ten: Capé vor 1867: der brau­ne Grund mit Zeich­nung in Gold­prä­gung ist mosai­ziert mit schwar­zen Bän­dern und ro­ten Fel­dern. Gold­schnitt. In­nen­deckel mit ro­tem Ma­ro­quin; mit Pur­pur-Sei­de be­spann­te Vor­sät­ze aus Pa­pier. In ei­nem au­ßen mit glat­tem, in­nen mit Wild­le­ der be­spann­tem Schu­ber, au­ßen mit brei­ten Per­ga­ment­strei­fen; run­des Schild mit der Num­ mer 77; das klei­ne Ex­li­bris von Dyson Perr­ins mit Nr. 41. Die­ser Schu­ber wie­der­um in ei­nem Papp­schu­ber mit blind­ge­präg­tem Be­sit­zer­zei­chen des Ehe­paars Beck, das im In­nen­deckel wie­ der­kehrt. Pro­ve­ni­enz: Wap­pen auf Blau zei­gen ein ge­zack­tes gol­de­nes Kreuz (croix eng­rêlée), in den Fel­dern fünf­blätt­ri­ge rote Ro­sen: auf fol. 21v un­ter Texten­de mit Helm­zier und Wap­pen­weib­

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chen, be­schrif­tet mit pop­in­court und han­gest; auf fol. 109v in der Bor­dü­re von ei­nem En­gel ge­hal­ten und in der Mi­nia­tur des To­ten­dien­stes dort als Decke des Ka­ta­falks: Die Be­te­rin un­ter dem Kreuz auf fol. 157v, de­ren Ehe­mann dort kei­ne He­ral­dik trägt, trägt ei­nen Rock mit ei­nem Al­li­anz­wap­pen, auf der Frau­en­sei­te drei gol­de­ne Kreu­ze (croix mol­ines) auf Rot ver­bin­det, wohl Pop­in­court und Le Bègue, auch wenn Pop­in­court sonst kei­ne Ro­sen zeigt und Le Bègue in an­de­ren Far­ben ge­hal­ten ist. Der Name pop­in­court und die Far­ben der zu­ge­hö­ ri­gen Wap­pen könn­ten zeit­ge­nös­si­sche Über­ar­bei­tung ver­ra­ten. Als die frü­he­sten na­ment­lich ge­si­cher­ten Be­sit­zer kön­nen Jean de Pop­in­court (gest. 25.1.1480), Sei­gneur von Lian­court im Beau­va­isis und Sar­cel­les bei Pa­ris und sei­ne Ge­mah­lin Ca­therine le Bègue gel­ten. Nach­dem schon im Jahr 1400 ein Jean de Pop­in­court (gest. 1403) 1. Prä­si­dent des Pa­ri­ser Par­la­ments ge­we­sen war, er­hielt der jün­ge­re Jean, ein Nef­fe oder Groß­nef­fe, 1472 das­sel­be Amt. Das Pa­ri­ser Hôtel der Fa­mi­lie in der rue Pop­in­court (zeit­wei­lig Pin­court) gab dem 11. Ar­ron­dis­se­ment den noch heu­te ge­läu­fi­gen Spitz­na­men ar­ron­dis­se­ment de Pop­in­court. Die Be­stim­mung von Wap­pen und Be­sit­zer­paar wird ge­stützt durch den Ge­burts­ein­trag auf fol. ii, der dem En­kel Guillaume de Plessis (1491-1550) gilt; denn die ein­zi­ge Er­bin, Clau­dine (gest. 1510), hat­te 1463 Jean de Plessis (gest. 1494) ge­hei­ra­tet: „L’an iiiiciiijxx/Et unze le xxive Jour de Jan­vier/ fu né guillaume/ Du­plesseys…“. Guillaume, Claud­ines 7. Sohn, Maître d’hôtel von Hen­ri II und für den Kö­nig Le­gat in der Schweiz, ver­merkt am Ende der Hand­ schrift ei­gen­hän­dig sei­ne 1527 im Schloß von Écouen voll­zo­ge­ne Hei­rat mit Fran­çoise de Ter­ nay, die der Mut­ter des Kö­nigs Franz I., Lou­ise de Savoie als fi­lle d’hon­neur ge­dient hat­te. Da­nach hat er die Ge­bur­ten zwei­er Töch­ter Sidoine (cydoisne) und Yo­lan­de in Lian­court 1528 und 1529 mit den­sel­ben Da­ten no­tiert, die auch Père Ans­elme (Histo­ire généalogique IV, 1728, S. 755) nennt (als habe die­ser Hi­sto­ri­ker Zu­gang zum Livre de rai­son in un­se­rem Ma­nu­skript ge­habt). Lian­court, und da­mit viel­leicht auch das Stun­den­buch, ging spä­ter durch Hei­rat an die La Roch­efoucauld. Der Name Han­gest auf fol. 21v er­klärt sich viel­leicht da­durch, daß vor der schließ­lich gül­ti­gen Ehe eine Ver­bin­dung mit ei­nem Mit­glied der seit dem 12. Jahr­hun­dert in der Pik­ar­die nach­ ge­wie­se­nen Fa­mi­lie Han­gest ge­plant war (ei­nem Jean de Han­gest, der aus der in Gen­lis an­ ge­sie­del­ten bur­gun­di­schen Li­nie stamm­te und mit Ma­rie d’Am­boise ver­hei­ra­tet war, ge­hör­te un­se­re Nr. 23 in Tour de France, Bd. II). Co­llect­ion Em­ma­nu­el Mar­tin, Livres ra­res et précieux, Pa­ris 5.2.1877, Nr. 23; Bot­tini, San Remo: 1896 an Hen­ry Yates Thompson, des­sen Nr. 35 (Be­sit­zer­zei­chen mit Hin­weis auf Bd. I, Nr. 35); in des­sen Auk­ti­on, Sot­heby’s 14.5.1902, an Picke­ring und Chatto. Von J.&J.Leigh­ ton 1906 an Charles Wil­li­am Dyson Perr­ins, der das Ms. zu­nächst als Nr.15 zähl­te, dann als Nr. 41 (im klei­nen run­den Ex­li­bris): Sein Wap­pen­ex­li­bris mit In­itia­len DP und Loth­rin­ger­ kreuz, dar­an an­ge­hängt sein ho­ri­zon­tal ge­teil­tes Wap­pen mit drei Lö­wen­köp­fen, dar­un­ter ein w-förmi­ger Che­vron mit drei Ha­ge­but­ten. In der Dyson-Perr­ins-Auk­ti­on Sot­heby’s 2.12.1959, lot 77: an Berès (des­sen Schild­chen auf dem Vor­satz, cat. 60, Nr. 7); von dort an Ro­bert Da­ non: des­sen Auk­ti­on Pa­ris 21.3.1973, lot 7; schließ­lich Beck, Ms. 29 (blind ge­präg­tes Ex­li­bris mit der Nr. auf dem Vor­satz): de­ren Auk­ti­on Sot­heby’s Lon­don, 16.6.1997, lot 24. Auf dem Ver­so des als i ge­zähl­ten zwei­ten Vor­satz­blat­tes eine län­ge­re Aus­füh­rung zu Vor­be­ sit­zern.

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Text fol. 1: Ka­len­der in fran­zö­si­scher Spra­che, ab­wech­selnd in Blau und Rot, Fe­ste in Gold, je­der Tag be­setzt, die Gol­de­ne Zahl in Gold, die Sonn­tags­buch­sta­ben A als gol­de­ne In­ itia­len auf blau­en und ro­ten Fel­dern, die Sonn­tag­buch­sta­ben b-g und die rö­mi­sche Ta­ ges­zäh­lung in der­sel­ben Far­be wie die Ein­trä­ge zu den Hei­li­gen, auch wenn dort Gold ver­wen­det ist. Die Or­tho­gra­phie der stark dia­lek­tal ge­färb­ten Ein­trä­ge und die Hei­li­ gen­aus­wahl wei­sen auf Pa­ris. fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes (fol. 13), Lu­kas (fol. 14), Mat­thä­us (fol. 15v), Mar­kus (fol. 17). fol. 18: Ma­rien­ge­bet, re­di­giert für ei­nen Mann: Ob­secro te; auf dem hin­zu­ge­füg­ten fol. 21 än­dert sich in der 8. Zei­le die Schrift. fol. 22: Mari­en-Of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris: Matutin (fol. 22, mit drei Nok­tur­ nen), Lau­des (fol. 44), Prim (fol. 55v), Terz (fol. 61v), Sext (fol. 66), Non (fol. 70), Ves­p er (fol. 74), Komplet (fol. 81); fol. 86 nur fünf Zei­len, ohne Bor­dü­re, fol. 86v leer. fol. 87: Buß­psal­men mit Li­ta­nei (fol. 99), die schlan­ke Hei­li­gen­aus­wahl, ohne Gen­ovefa, pa­ri­se­risch mit Ger­vasius am Ende der Mär­ty­rer. fol. 102v: Horen des Hei­li­gen Kreu­zes (fol. 102v) und des Hei­li­gen Gei­stes (fol. 106). fol. 109v: To­ten­of ­fi­zi­um: Ves­per (fol. 109v), Er­ste Nok­turn (fol. 117v, nicht mar­kiert), Lau­des (fol. 143 mit Ru­brik). fol. 157v: Ma­rien­ge­be­te: Stabat ma­ter (fol. 157v), Ma­rie­nsuffragium: O ma­ria plas­ma nati (fol. 159v, auch in Nr. 10, für den Ge­brauch von Sarum), mit Schluß­ge­bet, in dem Gott um die Für­bit­te der Jung­frau ge­be­ten wird: In­ter­veniat pro nobis quesu­mus domi­ne nunc et in hora mortis nostre apud clementiam tuam beata et glo­ri­osa, sempit­er­na virgo ma­ ria (fol. 160v), Heu ma­ter mi­se­ri­cor­die (fol. 161). fol. 162v: Ge­be­te an Chri­stus: zu den fünf Wun­den: Domi­ne ihu xpe fili dei vivi precor te per sanctissima quinque vulnera (fol. 162v), zu den Sie­ben Wor­ten am Kreuz: Domi­ne ihu xpe qui sept­em verba (fol. 163v), O Beat­issime domi­ne ihu xpe. Respicere digneris su­per me (fol. 164v). fol. 165: Texten­de; ab 165v leer. fol. 166: Livre de rai­son des Guillaume Du­plessis von 1527-1529. Schrift und Schrift­de­kor Die­ses Stun­den­buch ist ein­heit­lich mit brau­ner Tin­te in Bast­arda ge­schrie­ben. Die Schrift­sor­te muß zur Ent­ste­hungs­zeit des Ma­nu­skripts nicht mehr er­stau­nen; denn ge­ gen 1450 ver­zich­te­te man vor al­lem bei zier­li­chen Stun­den­bü­chern zu­neh­mend auf die Tex­tura. Da­bei hat man in Pa­ris an­ders als im Loire­ge­biet, wo eine stär­ker for­ma­li­sier­te Bast­arda üb­lich war, nied­ri­ge­re Buch­sta­ben und hel­le­re Tin­ten ein­ge­setzt; da­für ist un­ ser Ma­nu­skript ein gu­tes Bei­spiel.

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Im Schrift­de­kor bleibt die hier­ar­chi­sche Stu­fung von Flä­chen­de­kor für die ein­zei­li­gen In­itia­len und die Zei­len­fül­ler gül­tig. Un­ge­wöhn­lich ist die kon­zep­tio­nell un­ter­schied­li­ che Aus­stat­tung von Ka­len­der und Text­sei­ten, auch wenn sie of­fen­bar der­sel­ben Hand ver­dankt wird: Man geht von brei­ten, streng recht­eckig be­grenz­ten und tep­pich­haft mit Dorn­blatt ge­füll­ten Rand­fel­dern aus, die nur punk­tu­ell, meist in der Mit­te, mit ei­nem Blü­ten- oder Frucht­zweig in Buch­ma­ler­far­ben be­lebt sind. Im Ka­len­der wer­den sie auf den Recto-Sei­ten von au­ßen um den Text­spie­gel her­um­ge­legt; das zweiz­ei­li­ge KL er­hält hin­ge­gen kei­nen Rand­schmuck. Im Text hin­ge­gen wer­den alle zweiz­ei­li­gen In­itia­len von ei­nem Dop­pel­stab be­glei­tet, der nur sel­ten mit dem Buch­sta­ben ver­bun­den ist; von die­ ser Zier­lei­ste geht je­weils eine Ran­ken­klam­mer von links mit far­bi­gen Ele­men­ten in den Ecken aus; de­ren Ver­ti­ka­le läßt zum Falz hin oft die tep­pich­hafte Dich­te ver­mis­sen. Auf Recto-Sei­ten sorgt die über­all ein­ge­setz­te Au­ßen­bor­dü­re in Höhe des Text­spie­gels für eine be­son­ders präch­ti­ge Wir­kung. Akanthus, der auf den Text­sei­ten kei­ne gro­ße Rol­le spielt, be­setzt auf den Bild­sei­ten ge­ mein­sam mit stark sti­li­sier­ten Blu­men­zwei­gen die Ecken und die Mit­te. Zwar kommt Rot noch vor; doch ge­winnt die Farb­kom­bi­na­ti­on von Blau und mit Rot mo­del­lier­tem Gold sicht­lich Ober­hand, wie das um die Mit­te des 15. Jahr­hun­derts über­all in Frank­ reich zu be­ob­ach­ten ist. Be­mer­kens­wert ist die Do­mi­nanz stren­ger For­men: Dorn­blatt be­stimmt auch bei den wich­tig­sten Text­an­fän­gen den Ein­druck; Zier­lei­sten be­hal­ten den Cha­rak­ter brei­ter Bal­ken; sie wer­den be­vor­zugt um den Text­spie­gel ge­legt, kön­nen aber auch als Mit­tel­ach­se der Bor­dü­re die­nen; sie sind durch­weg vom Dorn­blatt­de­kor aus kon­zi­piert, auch wenn die Blatt­gold­strei­fen mit Blü­ten be­setzt sein mö­gen. An den Ecken kön­nen die Lei­sten aus­set­zen zu­gun­sten von präch­tig ge­mal­tem Ran­ken­werk. Prin­zi­pi­ell kann die Lei­ste zum Falz hin als ein­fa­cher Dop­pel­stab ge­bil­det sein. Im Sin­ ne ei­ner ge­wis­sen Text­hier­ar­chie aber er­hal­ten die Mari­en-Matutin, der Be­ginn der Buß­ psal­men, die Geist-Matutin und die letz­te Bild­sei­te auf der schma­len Sei­te eine Lei­ste mit Flä­chen­de­kor; dar­aus bricht dann aber der Schmuck der Kreuz-Matutin und der To­ten-Ves­p er aus, wo der De­kor auch zum Falz hin un­ver­än­dert fort­ge­setzt wird und da­mit die präch­tig­ste Wir­kung ent­fal­tet. Die Bil­der fol. 1: Zwölf Tier­kreis­zei­chen, auf die Erde ge­holt, in un­ter­schied­lich zu­ge­schnit­te­nen Bild­flä­chen, die un­ab­hän­gig von ih­rer Form dem zu­wei­len weit aus­grei­fen­den Zei­len­ en­de aus­wei­chen: Was­ser­mann als nack­ter jun­ger Mann mit zwei gol­de­nen Krü­gen, Fi­ sche in Was­ser vor Mu­ster­grund; Wid­der und Stier in Land­schaft; Zwil­lin­ge nackt, mit zwei Ober­kör­pern aus ei­nem Kör­per, der sich über dem Na­bel teilt; Krebs als Hum­mer; Löwe vor Mu­ster­grund; Jung­frau zwi­schen zwei dicken Korn­gar­ben; Mäd­chen mit der Waa­ge vor Mu­ster­grund; Skor­pi­on auf Wie­se un­ter best­irntem Blau; Schüt­ze als Ken­ taur, Stein­bock als Halb­fi­gur im Am­mons­horn. fol. 21v: Frau­en­bü­ste in der Helm­zier des Wap­pens Pop­in­court. ­fi­zi­um ent­spricht Pa­ri­ser Tra­di­ti­on: fol. 22: Der Zy­klus zum Mari­en-Of

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Die Ma­rien­ver­kün­di­gung zur Matutin (fol. 22) fin­det un­ter ei­nem Dia­phrag­ma­bo­gen in ei­ner klei­nen Ka­pel­le statt, die links in ei­nen wei­te­ren Sa­kral­raum ge­öff­net und zur Mit­ te mit drei sil­ber­nen Fen­stern aus­ge­stat­tet ist, wäh­rend sich rechts die rund­bo­gi­ge Tür be­fin­det, durch die Ga­bri­el ein­ge­tre­ten ist, wäh­rend im Okulus über der Tür eine sehr klei­ne Got­tes­er­schei­nung die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes aus­sen­det. Für die un­ge­mein pracht­vol­le Wir­kung die­ser klei­nen, aber ge­ra­de­zu ge­drängt vol­len Mi­nia­tur sor­gen die kost­ba­ren Far­ben: Blau sind Kleid und Man­tel der Jung­frau eben­so wie die Tu­ni­ka des En­gels und die Ge­wöl­be­kap­pen. Blau ist auch Ga­bri­els rech­ter Flü­gel, der lin­ke hin­ge­gen wird in blas­sem Grün ge­ge­ben, das im Flie­sen­mu­ster und im Holz­ge­wöl­be des Ne­ben­ raums links wie­der­kehrt so­wie in der Bild­mit­te ein Kis­sen färbt. Rot greift von rechts aus ein; denn Ga­bri­els Chor­man­tel, das Eh­ren­tuch und der Ein­band von Ma­ri­as Buch sind mit un­ter­schied­li­cher Leucht­kraft ge­färbt, wäh­rend Gott­va­ter fast schril­les Rot trägt. Wäh­rend Blatt­gold nur für Ma­ri­as Nim­bus ein­ge­setzt ist, sind mit Pin­sel­gold, das auch zur Höhung der Ar­chi­tek­tur dient, die In­nen­sei­te von Ma­ri­as Man­tel und die brei­te mit Per­len ge­schmück­te Bor­te von Ga­bri­els Chor­man­tel eben­so wie die Mu­ster ei­nes ro­ten Eh­ren­tuchs hin­ter den bei­den Fi­gu­ren ge­malt. Ge­ra­de­zu pas­t os auf­ge­tra­gen wird Gold auf Ga­bri­els Man­tel­schlie­ße und der Li­lien­va­se. Eine er­staun­li­che Wir­kung wird bei der Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 44) er­zielt, die un­ter Got­tes Licht in ei­ner weit nach oben an­stei­gen­den Land­schaft ge­zeigt wird; denn Jo­seph schrei­tet hin­ter Ma­ria so aus, daß sein Kopf zwi­schen den nimbierten Häup­tern der bei­den Frau­en auf­taucht und da­durch in den Fa­rb­klang von Blau und Gold bei Ma­ria so­wie Rosa, Blau­grau und Weiß bei Eli­sa­beth kräf­ti­ges Rot drängt. Ein rund um­zäun­ ter Gar­ten im Mit­tel­grund links mag als Hortus co­ncl­usus und da­mit als An­spie­lung auf ei­nes der wich­tig­sten Bei­wor­te Ma­ri­as die­nen. Land­schaft spielt auch bei der An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 55v) eine wich­ti­ge Rol­le; denn der Stall schiebt sich wie bei ei­ner An­be­tung der Kö­ni­ge von links ins Bild. Er ist üp­pig aus­ge­stat­tet mit ei­nem gro­ßen ro­ten Wo­chen­bett, das von ro­ten Vor­hän­gen um­ge­ben ist. Ma­ria kniet links vor dem Kind, das sie auf eine mit Wei­den­ge­flecht ver­ se­he­ne Krip­pe ge­legt hat. Jo­seph ist mit sei­nem Geh­stock von rechts her­an­ge­tre­ten und sinkt mit ei­ner fas­sungs­los er­ho­be­nen Hand ins Knie. Durch ver­än­der­te Ge­wand­far­ben wird die Wir­kung der Haupt­fi­gu­ren der Heim­su­chung, wie­der­holt; denn der Zieh­va­ter trägt nun wie Eli­sa­beth Rosa und Blau­grau über ei­nem mat­te­ren Rot. Bei der Hir­ten­ver­kün­di­gung zur Terz (fol. 61v), die vor Beth­le­hem spielt, das links oben als be­fe­stig­te Stadt er­scheint, schau­en drei Män­ner zu ei­nem En­gel auf, des­sen Spruch­ band die feh­ler­haft ge­schrie­be­nen Wor­te „gl(ori)a i(n) E(c)cel­cis pro“ trägt. Die Land­ schaft ist ge­schickt ge­glie­dert: Ein Weg grenzt die Her­de rechts vorn von den links ein we­nig zu­rück­ge­setz­ten Hir­ten ab, de­ren Be­we­gung durch ei­nen spitz nach rechts an­stei­ gen­den Fel­sen un­ter­stützt wird. Der Hund wirkt wie ein Schar­nier zwi­schen Mensch und Tier. Im Mit­tel­grund schlän­gelt sich ein Bach un­ter­halb ei­nes Ber­ges und der Hü­gel mit der Stadt links wird durch eine säu­ber­lich an­ge­ord­ne­te Baum­rei­he be­grenzt.

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Für die Kö­nigs­an­be­tung zur Sext (fol. 66) wird der Stall des Weih­nachts­bilds wie­der­ holt; doch nun sind die ro­ten Tü­cher nicht mehr sicht­bar. Ein grü­ner Vor­hang ist nach links zu­rück­ge­zo­gen. Dort sitzt Jo­seph, auf sei­nem Stuhl ein­ge­schla­fen, die Füße auf ei­ nem blau­en, gol­den best­irnten Kis­sen, wäh­rend Ma­ria ihr ro­tes Bett nun un­ter ei­nem grau­wei­ßen Bett­him­mel oder Bal­da­chin un­ter dem Gie­bel des Stalls wie ei­nen Thron be­setzt. Das Kind greift nach dem Gold im Kelch des äl­te­sten Kö­nigs, des­sen Kro­ne am Bo­den rollt. Die bei­den jün­ge­ren Kö­ni­ge wen­den sich im Ge­spräch ein­an­der zu; statt des Sterns leuch­tet wie bei der Heim­su­chung eine klei­ne Gloriole im Schei­tel der Mi­nia­tur. Bei der Dar­brin­gung zur Non (fol. 70) war­tet Simeon, die Hän­de mit gol­de­nem Tuch be­deckt, un­ter ei­nem ro­ten Bal­da­chin auf den nack­ten Kna­ben. Ma­ria ist von rechts her­ zu­ge­tre­ten und dreht ihr Ant­litz zum Be­trach­ter. Ihr folgt die Magd mit dem Tau­ben­ körb­chen und der Ker­ze ohne Hei­li­gen­schein. Die Ar­chi­tek­tur ist ei­gent­lich sym­me­ trisch auf eine klei­ne zen­tra­le Ap­sis mit drei sil­ber­nen Fen­stern aus­ge­rich­tet; doch öff­net sich rechts der Bo­gen, un­ter dem Ma­ria ein­ge­tre­ten ist, in ei­nen ge­wölb­ten Ne­ben­raum, wäh­rend nicht nur der rote Bal­da­chin, son­dern auch ein da­von her­ab­hän­gen­des grü­nes Tuch links die Sicht neh­men. Als dy­na­mi­scher Land­schafts­ma­ler er­weist sich der ver­ant­wort­li­che Künst­ler auch bei der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 74): Der Esel trabt en­er­gisch vor­an; leicht nach rechts ge­neigt schrei­tet Jo­seph vor­aus. Zwei Fels­spit­zen ra­gen schräg nach rechts auf. Ma­ria hat das Kind mit ge­kreuz­ten ro­ten Bän­dern in Weiß ge­wickelt. Die Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 81) ver­eint in ei­nem en­gen Raum un­ter best­irntem Blau und Wol­ken den Stuhl für Ma­ria und den Thron un­ter ei­nem Bal­da­chin für den mit pur­pur­ner Tia­ra ge­krön­ten Chri­stus, der seg­net, wäh­rend zwei En­gel­chen hin­ter der ro­ten Bro­kat­ab­sper­rung von hin­ten mit der Kro­ne auf­tau­chen, was an den Krö­nungs­t ep­ pich Karls VII . im Lou­vre den­ken läßt (E. An­toine, Le dais de Charles VII. Une acquisit­ ion ex­cept­ion­el­le pour le Lou­vre, Dijon 2010). fol. 87: Zu den Buß­psal­men kniet Da­vid bü­ßend, noch um­hegt von der mit ei­nem ro­ ten Eh­ren­tuch be­spann­ten Mau­er sei­nes Pa­last­gar­tens, im Frei­en. Mit Kro­ne auf dem Haupt und der gol­de­nen Au­monière am Gür­tel, die Har­fe ne­ben sich am Bo­den, wen­det sich der Kö­nig mit of­fe­nen Hän­den im Ge­bet zu Gott, der im Kreis gol­de­ner En­gel vor Rot als Bü­ste er­scheint. Die Ma­le­rei ar­bei­tet zwar mit den glei­chen Far­ben, wirkt aber, als sei sie von an­de­rer Hand. fol. 102v: Auch zu den Horen sind die ge­wohn­ten Er­ken­nungs­bil­der ge­schal­tet: Vor gol­de­nem Ka­ro­mu­ster, das in ei­nem seich­ten Bo­gen best­irntem Blau mit Son­ne und Mond weicht, wird die Kreu­zi­gung zur Kreuz-Matutin (fol. 102v) ge­zeigt: Der Ge­kreu­ zig­te, mit Ma­ria und Mag­da­le­na links und Jo­han­nes mit Buch rechts, senkt im Tod das Haupt zur Mut­ter. Das Pfingst­wun­der der Aus­gießung des Hei­li­gen­gei­stes zur Geist-Matutin (fol. 106) spielt in ei­nem mit blau­er Holz­ton­ne ge­wölb­ten, ver­mut­lich nicht sa­kral ver­stan­de­nen

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Raum. Die Stirn­wand ist zwar mit ei­nem gro­ßen Maß­werk­fen­ster ver­se­hen, die Fen­ster in den sym­me­trisch in die Tie­fe fluch­ten­den Sei­ten­wän­den aber sind wie in pro­fa­nen Bau­ten recht­wink­lig ge­schnit­ten. Vor dem Bo­gen in der Mit­te er­scheint die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes über Ma­ria und Jo­han­nes als den Haupt­fi­gu­ren; links ist noch Pe­trus an der Ton­sur zu er­ken­nen; die mei­sten der ins­ge­samt elf Apo­stel aber sind nur durch ihre Nimben er­kenn­bar. fol. 109v: Zum To­ten­of ­fi­zi­um das Chor­ge­bet mit drei Prie­stern links und zwei Pleurants rechts vor gol­de­nem Ret­abel; die be­son­de­re Wap­pen­form der Pop­in­court in­spi­riert hier zu ei­ner sehr un­ge­wöhn­li­chen Ge­stal­tung des Ka­ta­falks: Das ge­zack­te gol­de­ne Kreuz be­stimmt das Deck­tuch. In der Bor­dü­re un­ten ein En­gel mit dem Wap­pen. fol. 157v: Zum Stabat ma­ter wird statt des be­schei­de­nen Bil­des der Klei­nen Kreu­zi­gung ein volk­rei­cher Kalv­ari­en­berg ge­zeigt: Zwi­schen den schräg ge­stell­ten Kreu­zen mit den in klei­ne­rem Maß­stab ge­ge­be­nen Schäc­hern spannt sich Chri­sti Kreuz, über dem wie­der­ um Son­ne und Mond, nun aber in hel­lem Him­mel, die kos­mi­sche Di­men­si­on des Gesch­ ehens an­deu­ten. Der Kreu­zes­tod ist be­reits ein­ge­tre­ten; doch noch drängt sich hin­ten eine dich­te Schar von Sol­da­ten, ei­ner von ih­nen ist Step­ha­ton mit dem Es­sig­schwamm; doch für Longinus, der den Lan­zen­stich aus­ge­führt hat, und für den Zen­tu­rio, der im Ge­kreu­zig­ten wahr­haft Got­tes Sohn er­kann­te, wä­ren meh­re­re Kan­di­da­ten zu nen­nen. Viel­leicht hat­te der Ma­ler vor, alle Gu­ten à dextre, also für die Be­trach­ter links hin­ter Ma­ria, den hei­li­gen Frau­en und dem Lieb­lings­jün­ger Jo­han­nes zu ver­sam­meln; doch si­ cher konn­te er den Be­ter und die Be­te­rin rechts nicht zu den Bö­sen zäh­len. fol. 161: Zum Ma­rien­ge­bet Heu ma­ter mi­se­ri­cor­die wird als letz­tes Bild eine vierz­ei­li­ge In­ itia­le ge­schal­tet, die vor bril­lan­tem Blatt­gold die Ma­don­na mit Kind als Halb­fi­gur zeigt. Zum Stil Mit Aus­nah­me des Da­vid­bil­des sind alle Bil­der, die Me­dail­lons im Ka­len­der, die BildIn­itia­le am Schluß und die gro­ßen Mi­nia­tu­ren zwei­fels­frei von ein und der­sel­ben Hand aus­ge­führt, die in vie­ler Hin­sicht der Bed­ford-Werk­statt ver­pflich­tet ist und zur Ge­ne­ ra­ti­on des Du­nois-Mei­sters ge­hört. Aus­gangs­p unkt für die Be­nen­nung des Ma­lers ist ent­we­der un­ser Stun­den­buch (Plo­tzek 1987) oder das etwa grö­ße­re und mit 28 Mi­nia­ tu­ren aus­ge­stat­te­te, noch in Tex­tura ge­schrie­be­ne Stun­den­buch des Kanz­lers der Nor­man­ die Tho­mas Lord Hoo von 1444, das seit 1874 der Roy­al Irish Aca­demy in Du­blin ge­hört (RIA MS 12 R 31: sie­he Wil­li­ams 1975). Wer ihn nach Tho­mas Hoo nennt, be­tont den Be­zug zur eng­li­schen Be­sat­zung in Rouen, geht aber vom ikono­gra­phisch un­ge­wöhn­lich­ sten Werk aus; wer hin­ge­gen un­ser Stun­den­buch zum Aus­gangs­p unkt nimmt, be­greift den Künst­ler von sei­ner Ver­wur­ze­lung in der Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei her. Am be­sten er­kennt man den Buch­ma­ler an sei­nen zar­ten, zu­wei­len rüh­ren­den Frau­en­ ge­sich­tern. Un­se­re Be­schrei­bun­gen ha­ben be­reits auf zwei her­vor­ra­gen­de Ei­gen­schaf­ten hin­ge­wie­sen: Der Pop­in­court- oder Hoo-Mei­ster ist ein be­gab­ter Land­schaf­ter und kann bril­lant mit Far­ben um­ge­hen. Dem Bed­ford-Mei­ster ver­dankt er die Wir­kung von Blau

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und Gold bei Ma­ri­as Ge­wan­dung eben­so wie die schö­nen brei­ten mit Per­len be­setz­ten gol­de­nen Bor­ten von Chor­män­teln. Die Ver­kün­di­gung von rechts, die fei­nen sil­ber­nen Fen­ster, die Dich­te des Fi­gu­ren­re­li­efs – all das hat er bei dem äl­te­ren Pa­ri­ser Ma­ler ken­ nen­ge­lernt. Auf ei­gen­tüm­li­che Wei­se blei­ben in der Kunst die­ses Ma­lers wie auch im Rand­de­kor sei­ner Hand­schrif­ten al­ter­tüm­li­che Züge er­hal­ten: So greift er in den bei­den Bil­dern der Kreu­zi­gung im Pop­in­court-Stun­den­buch zwei ver­schie­de­ne Stil­stu­fen auf: In der „Klei­nen Kreu­zi­gung“ zur Matutin der Horen kom­bi­niert er das um 1410 be­lieb­te Ka­ ro­mu­ster mit best­irntem Blau; daß sei­ne Mi­nia­tur nicht sehr viel frü­her ent­stan­den sein kann, merkt man nur an der man­gel­haf­ten Ab­gren­zung bei­der Sphä­ren, die so in der äl­te­ren Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei un­mög­lich ge­we­sen wäre. Hin­ge­gen ver­mag er den volk­rei­ chen Kalv­ari­en­berg vor ei­nen hel­len Him­mel zu stel­len, der sich über ei­ner fer­nen Stadt­ land­schaft er­hebt. In sei­nen Land­schaf­ten setzt der Ma­ler zur Raum­ord­nung Wege und Flüs­se, vor al­lem aber Baum­rei­hen ein. Der stei­le An­stieg sei­ner Mi­nia­tu­ren zu er­staun­lich ho­hem Ho­ri­ zont ist si­cher noch ganz dem Bed­ford-Mei­ster selbst ver­pflich­tet. Doch ist des­sen gern ein we­nig ma­le­ri­sche Mal­wei­se nun ab­ge­löst durch ei­nen zu­wei­len ge­ra­de­zu pas­t o­sen Fa­ rb­auf­trag, ins­be­son­de­re bei dem be­wußt dick auf­ge­tra­ge­nen Gold, das zu Höhung und Be­le­bung dient. Wie zu­wei­len in der Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei zu be­ob­ach­ten ist, hat die­ser Mei­ster ei­nem Kol­le­gen ein wich­ti­ges Bild über­las­sen: Der Be­ginn der Buß­psal­men wur­de von ei­nem Ma­ler ge­stal­tet, den wir schon in ei­nem Pa­ri­ser Heils­spie­gel (Samm­lung Re­na­te Kö­nig, Ms. 33. Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter, Neue Fol­ge III , Nr. 8; zu­letzt van Euw in Aus­st.-Kat. Köln 2001, Nr. 33) ken­nen ge­lernt ha­ben: Er hat das am 4. Mai 1441 von Bertran de Beau­vau, ei­nem kö­nig­li­chen Kam­mer­her­ren in Pa­ris er­wor­be­ne fr. 541 der BnF aus­ge­ malt; sein durch­weg mit Pa­ris ver­bun­de­nes Œuvre un­ter­streicht noch ein­mal die auch von der Pro­ve­ni­enz un­se­res Stun­den­buchs her na­he­lie­gen­de Lo­ka­li­sie­rung in die Haupt­ stadt. In Pa­ris ist das Pop­in­court-Stun­den­buch in den 1440er Jah­ren ent­stan­den. Im hier be­schrie­be­nen Stun­den­buch be­ein­druckt die Le­ben­dig­keit der dicht ge­ dräng­ten Bil­der mit an­spre­chen­den Phy­sio­gno­mi­en, pracht­vol­len Far­ben, die üp­pig mit Gold auf­ge­wer­tet wer­den, und Land­schaf­ten, in de­nen die Fi­gu­ren oft recht raf ­fi­ niert ge­setzt sind. Das Pop­in­court-Stun­den­buch ver­bin­det sich mit der Ge­schich­te ei­ ner in der Haupt­stadt und ih­rer na­hen Um­ge­bung an­säs­si­gen Fa­mi­lie, nach der man noch heu­te ein gan­zes Ar­ron­dis­se­ment nennt. Künst­le­risch er­weist es sich als ein Haupt­werk, das die Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei der 1440er Jah­re wür­dig ver­tritt und den Ma­ler in all sei­nen cha­rak­te­ri­sti­schen Ei­gen­ar­ten vor Au­gen tre­ten läßt. In sei­nen für die mei­sten an­de­ren Wer­ke des Mei­sters ty­pi­schen Mi­nia­tu­ren ist es ein vor­züg­ li­cher Aus­gangs­p unkt für die Be­nen­nung ei­nes Buch­ma­lers, der wie hier Fa­mi­li­en

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be­dien­te, die in der Pa­ri­ser Ge­schich­te eine be­mer­kens­wer­te Rol­le spiel­ten, je­doch auch für die eng­li­sche Be­sat­zung, zu­wei­len so­gar in Rouen ge­ar­bei­tet hat. LI­T E­R A­T UR:

Yates Thompson I, Nr. 35; Plo­tzek 1983, Nr. 21; De Hamel 1997, Nr. 24.

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17 Ein Stun­den­buch vom Mei­ster des Brot­her­ton-Bre­viers in Lee­ds


17 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, in schwar­zer Tex­tura, mit ro­ten Ru­bri­ken. Pa­ris, um 1440: Mei­ster des Brot­her­ton-Bre­viers in Lee­ds Sechs gro­ße Mi­nia­tu­ren, da­von fünf mit ge­mu­ster­ten Grün­den aus Gold, Rot und Blau, über vier Zei­len Text mit dreiz­ei­li­gen Dorn­blatt-In­itia­len, mit brei­ten Zier­lei­sten mit Flä­chen aus Gold, Rot und Blau in Voll­bor­dü­ren aus Dorn­blatt mit bun­tem Akanthus und we­ni­gen Blu­men. Neun Pracht­sei­ten mit vierz­ei­li­ger Dorn­blatt-In­itia­le, Dop­pel­stabZier­lei­ste links und von links um den Text­spie­gel grei­fen­der drei­sei­ti­ger Dorn­blatt-Bor­ dü­re mit Blü­ten. Die Ein­gangs­sei­te des Ka­len­ders mit Voll­bor­dü­re, die üb­ri­gen Sei­ten des Ka­len­ders mit Bor­dü­ren­strei­fen aus Dorn­blatt mit blau-gol­de­nem Akanthus und Blu­ men au­ßen, auf Recto zu­züg­lich ei­nes Strei­fens Dorn­blatt­bor­dü­re links. Zwei Sei­ten mit vierz­ei­li­gen gol­de­nen Zier­buch­sta­ben auf ro­ten und blau­en Flä­chen mit ent­spre­chen­den Bor­dü­ren­strei­fen au­ßen. Die üb­ri­gen Zier­buch­sta­ben in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen: ei­ner dreiz­ei­lig, bei Psal­men­an­fän­gen zweiz­ei­lig, bei Psal­men­ver­sen ein­zei­lig. Ver­sa­li­en nicht be­han­delt. 206 Blatt Per­ga­ment; dazu je ein Dop­pel­blatt Pa­pier als fe­stes und flie­gen­des Vor­satz. Ge­bun­ den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1 (12), die Lage 3 (4+1 – End­blatt hin­zu­ge­fügt), 11 (4), 15 (8-2 – die bei­den mitt­le­ren Blät­ter ent­fernt), 20 (8+1 – End­ blatt hin­zu­ge­fügt), 23 (6), 27 (4). Reklam­an­ten be­schnit­ten, nur an we­ni­gen Stel­len er­hal­ten. Zu 15, im Ka­len­der zu 16 Zei­len, rot reg­liert. Klei­nes Quarto (176 x 126 mm; Text­spie­gel: 92 x 60 mm). Be­stens er­hal­ten, bis auf ein Dop­pel­blatt kom­plett. In ei­nem fran­zö­si­schen Ein­band der Wen­de vom 18. zum 19. Jahr­hun­derts: Ro­tes Ma­ro­quin mit Gold­prä­gung: Rand­lei­ste mit Wein­laub-Or­na­ment auf den Deckeln, Zier­strei­fen auf dem glat­ten Rücken, in der Art von Mairet. Pro­ve­ni­enz: Trotz der für ei­nen Mann ein­ge­rich­te­ten Ge­be­te, de­ren letz­tes auf fol. 178v dem Be­ter das Epi­the­ton „pecca­tori“ gibt, er­scheint auf fol. 179 eine Frau, ver­mut­lich eine Do­mi­ni­ ka­ne­rin, im Ge­bet zur Hl. Katharina. Daß mit dem Ge­nus nicht sorg­sam um­ge­gan­gen wur­ de, zei­gen Ge­be­te auf fol. 166 und 174, die eine „peccatrix“ nen­nen. Ei­ner si­cher nicht zeit­ge­nös­si­schen No­tiz am Texten­de (fol. 206) zu­fol­ge aus dem Jahr 1409. Im 19. Jahr­hun­dert in Frank­reich (laut No­tiz auf dem vor­de­ren Vor­satz). Ed­ward Hil­ton Young, für den 1935 der Adels­ti­tel ei­nes „Lord Ken­net, of the Dene“ ein­ge­ führt wur­de (1879-1960), des­sen Wap­pen­ex­li­bris im Vor­der­deckel (sie­he The Co­mplete Pee­ ra­ge XIII, 1940, S. 555). Im Buch soll eine No­tiz ge­le­gen ha­ben, die be­rich­tet, der Band sei etwa 1928 in Bu­da­pest von ei­nem Münch­ner Buch­händ­ler er­wor­ben und von Mag­gs 1938 an Lord Ken­net ver­kauft wor­ den.

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Der Text fol. 1: Ka­len­der, in fran­zö­si­scher Spra­che, je­der Tag be­setzt, ein­fa­che Tage ab­wech­selnd rot und blau, Fe­ste in Gold. Die Schreib­wei­se dia­lek­tal ge­färbt; die Hei­li­gen­aus­wahl mit Gen­ovefa (3.1.), Ni­ko­laus (9.5. als Fest), Mar­tin (4.7. und 11.11. – bei­de als Fest), Lud­wig (25.8. als Fest), Dio­ny­si­us (9.10. als Fest) für den Ge­brauch von Pa­ris. fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes (fol. 13 – mit Ein­füh­rungs­t ext Valde honorandus est beatus jo­ han­nes und Ge­bet Eccle­si­am tuam), Lu­kas (fol. 14v), Mat­thä­us (fol. 15v), Mar­kus (fol. 17). fol. 18: Ma­rien­ge­be­te, für ei­nen Mann re­di­giert: Ob­secro te (fol. 18), O in­teme­rata (fol. 21v). fol. 26: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris: Matutin (fol. 26), Lau­des (fol. 47v), Prim (fol. 57v), Terz (fol. 62v), Sext (fol. 66v), Non (fol. 70), Ves­p er (fol. 73v), Komplet (fol. 80); fol. 85/v leer. fol. 86: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 98); die Hei­li­gen­aus­wahl we­nig spe­zi­fisch; auf­fäl­ lig sind Ar­nulf und Gen­ovefa. fol. 103v: Horen: des Hei­li­gen Kreu­zes (fol. 103v), des Hei­li­gen Gei­stes (fol. 109v); Ende fehlt. fol. 113: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um für den Ge­brauch von Pa­ris (An­fang fehlt). fol. 157: Suff­ragien: Tri­ni­tät (fol. 157), Ma­ria (fol. 157v), Mi­cha­el (fol. 158), Jo­han­nes der Täu­fer (fol. 158v), Pe­ter und Paul (fol. 159), Ja­kob­us (fol. 159v), Steph­anus (fol. 160), Ni­ ko­laus (fol. 160v), Ma­ria Mag­da­le­na (fol. 161), Mi­cha­el (fol. 161v), für den Ta­ges­ver­lauf und den Be­such der Mes­se (fol. 162); In viam pacis (fol. 176v – in Stun­den­bü­chern des Her­zogs von Berry wird die­ser Text ans Ende ge­stellt, al­ler­dings durch Psal­men er­gänzt; sie­he fol. 223v in den Bel­les Heu­res in New York); Sancta ma­ria ma­ter domi­ni nostri ihesu xpristi, succurre michi pecca­tori (fol. 178v); die­ses ist das sech­ste in ei­nem Stun­den­buch nach­ge­wie­se­ne Bei­spiel! fol. 179: Horen: der hei­li­gen Ka­tha­ri­na (fol. 179), der Emp­fäng­nis Mari­ens (fol. 186). fol. 190: Pas­si­on nach Jo­han­nes. fol. 193v: Suff­ragien für die Wo­chen­ta­ge. fol 197: XV Joyes. fol. 203: VII Requ­estes. fol. 206: Sainte vraye croix aouree. Texten­de mit kal­li­gra­phisch ein­ge­tra­ge­ner Jah­res­zahl 1409 in der un­ter­sten Zei­le. fol. 206v: leer.

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Schrift und Schrift­de­kor Mit sei­ner gra­vi­tä­ti­schen Tex­tura ge­hört die­ses Ma­nu­skript ins zwei­te Vier­tel des 15. Jahr­ hun­derts. Noch war nicht ent­schie­den, ob der Akanthus wie bei den Bild­sei­ten voll­far­big blei­ben durf­te oder wie im Ka­len­der zur spä­ter ka­no­nisch wer­den­den Be­schrän­kung auf Blau und Rot fin­den muß­te; ent­spre­chend kommt die Rand­zier der Bild­sei­ten eben­so wie jene der Text­an­fän­ge mit gro­ßen Dorn­blatt-In­itia­len ohne eine Grenz­li­nie nach au­ ßen aus, wäh­rend die Bor­dü­ren im Ka­len­der senk­recht rot geran­det sind. Die Da­tie­rung wird er­schwert durch Rück­grif­fe auf äl­te­re For­men wie die brei­ten Zier­ lei­sten mit Flä­chen aus Gold, Rot und Blau. Die Bild­fol­ge Das Buch ist zu­rück­hal­tend be­bil­dert; mit Aus­nah­me des letz­ten Bil­des sind alle Mi­nia­ tu­ren mit teu­ren Ka­ro­grün­den aus Blatt­gold mit Blau und Rot ver­se­hen: fol. 26: Als ein­zi­ges Bild zum Ma­rien­of ­fi­zi­um dient die Ma­rien­ver­kün­di­gung (fol. 33) mit dem En­gel von links und Ma­ria un­ter ei­nem Bal­da­chin an ih­rem Bet­pult vor dem Ka­ro­mu­ster, in dem sich Gott­va­ter in ei­nem Him­mels­seg­ment zeigt, und dar­un­ter ei­ner Mau­er mit ei­nem Bro­kat als Eh­ren­tuch. Die Mö­bel wir­ken wie Ver­satz­stücke aus ei­nem In­te­rieur­bild, in dem die Ver­kün­di­gung in ei­nem ge­wölb­ten Sa­kral­raum ge­zeigt wür­de. fol. 86: Bei Da­vids Buße zu den Buß­psal­men ist der Schau­platz wie eher in Rouen als in Pa­ris üb­lich eine Art Pa­last-Ter­ras­se, doch hier nicht un­ter frei­em Him­mel, son­dern wie­der vor Mu­ster­grund, in dem wie bei der Ma­rien­ver­kün­di­gung Gott in ei­nem Him­ mels­seg­ment er­scheint. Vor Da­vid liegt sei­ne Kro­ne; er hat ein Buch­pult mit zwei Eta­ gen, dar­auf zwei Ge­bet­bü­cher und die Har­fe. fol. 103v: Zur Kreuz-Matutin wird die Kreu­zi­gung mit nur drei Per­so­nen ge­zeigt: der Er­lö­ser flan­kiert von Ma­ria links und Jo­han­nes rechts. Die Land­schaft zeigt nur Wie­ sen zwi­schen Fel­sen und Baum­grup­pen. fol. 109v: Die Aus­gießung des Hei­li­gen Gei­stes wird in un­ter ei­nem ge­staf­fel­ten drei­tei­ li­gen Bo­gen, vor weit­ge­hend zu­rück­ge­dräng­tem Ka­ro­mu­ster ge­zeigt. Ge­meint ist eine recht enge Ka­pel­le, wie sie beim Bed­ford-Mei­ster häu­fi­ger zu fin­den ist. Im Fen­ster in der Mit­tel­ach­se er­scheint die Tau­be mit wei­ßen, nicht feu­ri­gen Strah­len über der nach links ge­wen­de­ten Ma­ria, die ne­ben dem ju­gend­li­chen Jo­han­nes sitzt, mit Pe­trus im Rücken; die hier ver­sam­mel­ten Apo­stel rea­gie­ren un­ter­schied­lich, ei­ner kau­ert am Bo­den und blickt auf ein auf­ge­schla­ge­nes Buch. fol. 179: Be­bil­dert sind schließ­lich die un­ge­wohn­ten Horen: Ka­tha­ri­na (fol. 179) steht wie im Boucicaut-Stun­den­buch (Pa­ris, Mus­ée Ja­cquem­art-An­dré, ms. 2: Abb. bei Meiss 1968 und Châtelet 2000) ma­je­stä­tisch im Raum; sie er­scheint ge­ krönt, mit Palm­zweig, ne­ben sich das Rad, und wen­det sich zu ei­ner Frau, die in schwar­

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zem Non­nen­ha­bit, von ih­rem Schutz­en­gel der ge­krön­ten Hei­li­gen emp­foh­len, an ih­rem Bet­pult kniet. Wie bei der Ver­kün­di­gung ist eine Mau­er mit ei­nem Bro­kat be­spannt. ­fi­niert Der Kuß an der Gol­de­nen Pfor­te be­wirkt die Emp­fäng­nis Mari­ens (fol. 186): Raf wer­den Tor­for­men in­ein­an­der ge­stellt. Von der gol­de­nen Lei­ste um die Mi­nia­tur führt der Blick zum Stein­rah­men des Bil­des, in den ein zier­li­cher gol­de­ner Maß­werk­bo­gen ein­ be­schrie­ben ist, der ver­mut­lich die „Gol­de­ne Pfor­te“ be­deu­ten soll; dann folgt der grün ge­flie­ste Raum, in dem sich Joa­chim und Anna küs­sen, die vor ei­nem drei­fach ge­staf­fel­ ten Rund­bo­gen ste­hen. Der Ma­ler Die Mi­nia­tu­ren ste­hen zwi­schen dem Bed­ford-Ate­lier und je­nen neu­en Stil­rich­tun­gen, die sich um 1440 in Pa­ris durch­set­zen und von Ma­lern wie dem Mei­ster des Étienne Sau­de­rat ver­tre­ten wer­den, um dann schließ­lich in der Ge­stalt des Mei­sters des HarleyFroiss­arts so­gar ent­schei­dend auf flä­mi­sche Buch­ma­le­rei zu wir­ken. Die ein­zel­nen Per­ sön­lich­kei­ten sind nicht leicht zu fas­sen. So fin­det man un­se­ren Ma­ler un­ter je­nen, die mit dem Bed­ford-Mei­ster und dem Du­nois-Mei­ster für den Her­zog von Bed­ford am Salis­ bu­ry-Bre­vier latin 17294 der Pa­ri­ser Na­tio­nal­bi­blio­thek mit­ge­ar­bei­tet ha­ben. Dem von Ca­therine Reynolds nach ei­nem Bild zu den Re­li­qui­en des Erz­mär­ty­rers dort (fol. 529v) als Steph­anus-Ma­ler be­zeich­ne­tem Stil steht er zu­min­dest sehr nahe. Uns scheint je­doch die be­ste und klar­ste Ar­beit sei­ner Hand ein Pa­ri­ser Bre­vier, das mit der Samm­lung Brot­her­ton an die Uni­ver­si­tät Lee­ds ge­langt ist: In die­ser zwei­spal­tig ge­ schrie­be­nen Hand­schrift recht statt­li­chen For­mats aus der Zeit um 1440 ist der Künst­ler auf sich ge­stellt und ver­mag in den wei­ten Räu­men sei­ne an­mu­ti­gen Fi­gu­ren auf eine für die Zeit fort­schritt­li­che Wei­se in schlich­ten von Licht durch­flu­te­ten Land­schaf­ten un­ter­ zu­brin­gen. Da­bei schwin­gen im­mer noch ge­ra­de­zu ana­chro­ni­stisch Er­in­ne­run­gen an die Pa­ri­ser Ma­le­rei des frü­hen 15. Jahr­hun­derts mit, wenn bei­spiels­wei­se klei­ne Bäum­chen im Vor­der­grund beim Ein­stieg ins Bild für eine ge­wis­se Di­stanz sor­gen sol­len. Eben­so ein Werk von der Hand un­se­res Mei­sters ist das Ms. Lud­wig IX 6, heu­te im Getty Mu­ se­um, Los An­ge­les, vgl. Plo­tzek, Hand­schrif­ten der Samm­lung Lud­wig II (1982), S. 103114, mit Abb. 91-110, hier noch dem Bed­ford-Mei­ster selbst ge­ge­ben, so­wie Fit­zwilliam Mu­se­um, Ms. 81, mit fünf Mi­nia­tu­ren von sei­ner Hand (vgl. Cam­bridge Il­lu­mi­nat­ions, 2006, no 90, mit Fa­rb­ab­bil­dung). Das Tem­pe­ra­ment die­ses Ma­lers ist ver­hal­ten wie beim Mei­ster des Étienne Sau­de­rat. Mit rüh­ren­der Un­schuld blicken Ge­stal­ten wie Ga­bri­el und die Jung­frau in der Ver­kün­ di­gung, die in ei­nem knapp be­mes­se­nen Raum spielt, der wie bei den Nach­fol­gern des Bed­ford-Mei­sters üb­lich durch eine bild­par­al­le­le Bar­rie­re, die mit tex­ti­lem Mu­ster be­ spannt ist, nach hin­ten ab­ge­schlos­sen wird. Hier prangt dar­über noch der tra­di­tio­nel­le Mu­ster­grund aus Gold, Blau und Rot, si­cher ein Zei­chen für die recht frü­he Ent­ste­hung des Bu­ches, etwa zu je­ner Zeit, als die am schließ­lich un­voll­en­de­ten Salis­bu­ry-Bre­vier be­ tei­lig­ten Künst­ler durch den Tod des Her­zogs von Bed­ford 1434 ih­ren Auf­trag­ge­ber ver­lo­ren hat­ten.

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Ein be­mer­kens­wer­tes Stun­den­buch aus Pa­ris: Reich il­lu­mi­niert, aber nur spar­sam be­bil­dert von ei­nem Ma­ler aus dem Um­feld des Bed­ford-Mei­sters, der bei­spiels­wei­se am un­voll­en­de­ten Salis­bu­ry-Bre­vier für den Her­zog von Bed­ford mit­ge­ar­bei­tet hat. Ihn nen­nen wir hier nach ei­nem präch­ti­gen Bre­vier, das mit der Samm­lung Brot­her­ ton an die Uni­ver­si­tät Lee­ds ge­langt ist. Mit ei­ni­gen sonst sel­ten zu find­en­den Tex­ten und dem Bild ei­ner Non­ne, der er­sten Be­sit­ze­rin, der die hei­li­ge Ka­tha­ri­na er­scheint. LI­T E­R A­T UR: John Alex­an­der Syming­ton, The Brot­her­ton Lib­rary. A Ca­talogue of An­cient Man­uscripts and Early Prin­ted Books, Co­llected by Ed­ward Al­len, Ba­ron Brot­her­ton of Wake­field, Lee­ds 1931, S. 16-19.

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18 Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch vom Mei­ster des Harley Froiss­art


18 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Rot und Blau, Fest­ta­ge in Gold, Tex­tura. Pa­ris, c. 1450: Mei­ster des Harley-Froiss­art: Phil­ippe de Mazer­ol­les (?) 14 gro­ße Mi­nia­tu­ren mit Rund­bo­gen­ab­schluß über drei Zei­len Text; zwei die­ser Bild­sei­ ten mit ge­schlos­se­nem Fond in Pin­sel­gold, blau-ro­tem Akanthus und Schrift­bän­dern, die dreiz­ei­li­gen In­itia­len mit blau­em Akanthus auf Gold; die üb­ri­gen Bild­sei­ten meist mit dreiz­ei­li­ger, ein­mal mit zweiz­ei­li­ger Dorn­blatt-In­itia­le, beim Suff­ragium ohne Zier­buch­ sta­ben, in Voll­bor­dü­ren mit aus ei­nem Bo­den­strei­fen sprie­ßen­dem Blu­men und blau-gol­de­ nem Akanthus, von ei­ner schma­len Gold­lei­ste ge­rahmt. Eine vierz­ei­li­ge blaue Dorn­blattIn­itia­le mit Bor­dü­ren­strei­fen au­ßen. Psal­men­an­fän­ge mit zweiz­ei­li­gen Dorn­blatt-In­itia­len; Psal­men­ver­se an Zei­len­be­ginn mit ein­zei­li­gen Gold­buch­sta­ben auf ro­ten und blau­en Flä­chen; Zei­len­fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 214 Blatt Per­ga­ment, vor­ne ein flie­gen­des Vor­satz aus Per­ga­ment so­wie fe­ste Vor­sät­ze Per­ga­ ment; ge­bun­den vor­wie­gend in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1(12) so­wie die La­gen 8(6) und 19(4), also voll­stän­dig. Re­ste ho­ri­zon­ta­ler Reklam­an­ten. Zu 11, im Ka­len­der zu 16 Zei­len, rot reg­liert. Duo­dez (110 x 80 mm, Text­spie­gel 56 x 36 mm). Voll­stän­dig und sehr gut er­hal­ten. Mo­der­ner ro­ter Samt­ein­band mit ei­ner Schlie­ße, Gold­schnitt. Pro­ve­ni­enz: Auf dem Vor­satz das Ex­li­bris „Bibliothèque de / An­dré Guil­lot-Le Co­mte“. Text fol. 1: Ka­len­der in fran­zö­si­scher Spra­che, in der für Pa­ris cha­rak­te­ri­sti­schen Or­tho­gra­ phie: je­der Tag be­setzt, Hei­li­gen­ta­ge in Rot und Blau, Fest­ta­ge in Gold, gol­de­ne Zahl in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Gold, Sonn­tags­buch­sta­be A in Gold auf ro­tem und blau­em Grund; der Grund­be­stand pa­ri­se­risch, dazu ei­ni­ge nord­fran­zö­si­sche, nor­man­ni­ sche und eng­li­sche Hei­li­ge wie Ulphe am 31.1. (Ami­ens), Kö­nig Ed­ward am 18.3. (West­ min­ster, Salis­bu­ry, Win­che­ster), Ildevert am 27.5. (Rouen), Grimbaldus (Grum­baut) am 8.7. (Win­che­ster), Gau­gerici (Gau­ger) am 24.9. (Ele­va­tio, Cam­brai), Ur­si­nus am 30.12. (Rouen und Bour­ges). fol. 13: Jo­han­nes­p erikope als Suff­ragium. fol. 16v: Ma­rien­ge­bet: Ob­secro te, für ei­nen Mann re­di­giert; wei­te­re Ma­rien­ge­be­te als Suff­ragien: Ave cuius co­nceptio (fol. 23v), Ave Ma­ria grat­ia ple­na (fol. 26) und In omni tribulat­ione (fol. 28).

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fol. 29: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris, mit drei voll­stän­di­gen Nok­tur­ nen: Matutin (fol. 29), Lau­des (fol. 48), Prim (fol. 67), Terz (fol. 76), Sext (fol. 82), Non (fol. 88), Ves­p er (fol. 94), Komplet (fol. 99v). fol. 107: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 129), mit den in Pa­ris be­son­ders ver­ehr­ten Steph­ anus, Dio­ny­si­us, Ger­vasius und Pro­thasius, Mau­rus, Germ­anus und Fi­acrius, Gen­ovefa und Op­por­tuna, je­doch kei­nem der un­ge­wöhn­li­chen nord­fran­zö­si­schen und eng­li­schen Hei­li­gen des Ka­len­ders. fol. 137: Horen von Hei­lig Kreuz und Horen von Hei­lig Geist (fol. 145). fol. 151: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris. fol. 213: Suff­ragien eben­falls mit Pa­ri­ser Prä­gung: Hei­li­ger Geist (fol. 207), Dio­ny­si­us (fol. 207v), Co­smas (fol. 209), Mau­rus (fol. 210), Mag­da­le­na (fol. 211), Gen­ovefa (fol. 212), Avia (fol. 213), Alle Hei­li­gen (fol. 214). Schrift und Schrift­de­kor Noch ist die­ses Stun­den­buch in Tex­tura ge­schrie­ben, in ei­ner schlich­ten Art. Der Schrift­ de­kor folgt Pa­ri­ser Brauch; Flä­chen­de­kor wird für ein­zei­li­ge Zier­buch­sta­ben und Zei­ len­fül­ler, Dorn­blatt hin­ge­gen für die grö­ße­ren In­itia­len ein­ge­setzt. Da­bei kommt dem Ma­rien­ge­bet Ob­secro te eine vierz­ei­li­ge Dorn­blatt-In­itia­le mit tep­pich­haftem Rand­strei­ fen au­ßen zu, der wie die Bor­dü­ren der Bild­sei­ten mit blau-gol­de­nem Akanthus und sti­ li­sier­ten Blu­men ge­füllt ist. Bei den Bild­sei­ten ist Dorn­blatt nur noch in In­itia­len prä­sent; auf un­ge­wöhn­li­che Wei­ se ver­bin­det sich Akanthus am Rand mit den Zier­buch­sta­ben. Dar­in drückt sich die um die Mit­te des 15. Jahr­hun­derts auf­kom­men­de Ten­denz aus, die ein­zel­nen De­ko­ra­ti­ ons­fa­mi­li­en nicht mehr streng zu tren­nen. Eine wei­te­re Ei­gen­art ist auf­fäl­lig und ex­trem sel­ten: Wie zeit­glei­che Pa­ri­ser Hand­schrif­ten be­reits in die­sem Ka­ta­log be­le­gen, ge­hö­ ren Akanthus­blät­ter ei­gent­lich in die Ecken, Blu­men aber in die Mit­te der Rand­strei­fen. Hier hin­ge­gen nimmt man den Um­stand be­son­ders ernst, daß der Schmuck von ei­nem Bo­den­strei­fen aus­geht, aus dem Pflan­zen, nicht aber Akanthus sprie­ßen kann. Des­halb kann Akanthus nur in den Ecken oben sei­nen an­ge­stamm­ten Platz be­haup­ten, wird aber un­ten aus den Ecken ver­drängt, um sich links mit den Dorn­blatt-In­itia­len zu ver­bin­den und rechts ein­fach ein Stück hö­her zu rücken. Eine be­son­de­re Stu­fe der De­ko­ra­ti­ons­hier­ar­chie ist der Mari­en-Matutin und dem Be­ginn der Buß­psal­men vor­be­hal­ten. Dort wer­den die In­itia­len mit blau­em Akanthus und nicht mehr mit Dorn­blatt ge­füllt. Der Fond wird mit Pin­sel­gold aus­ge­malt. Je drei Schrift­bän­ der be­set­zen die Mit­ten der Rand­strei­fen. Weil die ge­wohn­te Kom­bi­na­ti­on mit Gold vor die­sem Fond kei­nen op­ti­schen Wert hat, ist Akanthus nun blau und rot.

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Bild­fol­ge fol. 13: Für die Per­ik­open ge­nügt ein Er­öff­nungs­bild mit Jo­han­nes auf Patmos: Auf der In­sel sitzt vor ei­nem schroff nach rechts auf­stei­gen­den Fel­sen der ju­gend­li­che Evan­ge­list, en-face zum Be­trach­ter ge­wen­det, mit ei­nem Schrift­band auf dem Schoß, auf dem das In­cipit des Evan­ge­li­ums steht, und greift mit der Rech­ten weit nach links aus, um sei­ne Fe­der im Tin­ten­faß zu net­zen, das ihm der Ad­ler mit­samt des Fut­te­rals für Fe­dern und Mes­ser hält. Das Ei­land ist von Was­ser um­flos­sen, im Hin­ter­grund wei­tet sich der Blick über eine mit rei­fem Korn oder Raps be­bau­te In­sel zum Fest­land mit Dör­fern und ei­ner Stadt oder Burg im Grau der Fer­ne. fol. 29: In ei­ni­gen De­tails setzt sich der Zy­klus zum Ma­rien­of ­fi­zi­um vom Ge­wohn­ten ab; dazu ge­hört, daß Ma­ri­as blau­er Man­tel mit Her­me­lin ge­füt­tert ist und daß Sze­nen wie die Ma­rien­ver­kün­di­gung und die An­be­tung des Kin­des ganz un­ter frei­em Him­mel spie­len. In ei­ner Bor­dü­re auf de­ren mit Pin­sel­gold ge­füll­tem Grund drei Schrift­bän­der mit Preis­ un­gen der Jung­frau Ma­ria ste­hen: Ave re­gi­na celo­rum ave, Re­gi­na celi letare qu(ia) q(uem) meru(isti porta­re), Ecce an­cila (d)om(ini) fiat mich(i), wird die Ma­rien­ver­kün­di­gung zur Matutin (fol. 29) ge­zeigt: Der Pa­ri­ser Bed­ford-Tra­di­ti­on fol­gend ist der En­gel von rechts – hier durch ein Burg­tor – ein­ge­tre­ten. Un­ter frei­em Him­mel ist er in ei­ner Art Pa­last­hof auf dem Flie­sen­bo­den nie­der­ge­kniet und grüßt mit den Wor­te Ave gracia ple­na domi­nus (tecum). Die Jung­frau kniet vor ihm, in ei­nem mit Her­me­lin ge­füt­ter­ten blau­en Man­tel und senkt das Haupt im Ge­bet. Ein stei­ner­nes Ge­wöl­be, das sich wie ein gro­ßer Bal­da­ chin über ihr er­hebt, be­tont ihre Be­deu­tung. Ein Quer­ge­bäu­de hin­ten mit ei­nem Turm und ei­nem gol­de­nen Er­ker ver­sper­ren die Sicht in die Land­schaft. Gott­va­ter zeigt sich in ei­ner klei­nen Him­mels­er­schei­nung rechts oben. Die Kom­po­si­ti­on wird ver­ständ­li­ cher, wenn man die Va­ri­an­te von der Hand des Jean-Rolin-Mei­sters in un­se­rer Nr. 22 ein­be­zieht. Vor ei­ner mit Tür­men be­setz­ten Land­schafts­ku­lis­se, die ge­nau auf Höhe des Bo­gen­an­ sat­zes en­det, tref­fen Ma­ria und Eli­sa­beth ein­an­der bei der Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 48). Mit Her­me­lin ge­füt­tert ist hier nicht nur Ma­ri­as dun­kel­blau­er, son­dern auch Eli­sa­beths grau­blau­er Man­tel; ein tie­fes Pur­pur­rot kommt mit dem Kleid der äl­te­ren Frau hin­zu. Die kah­le Land­schaft be­steht im we­sent­li­chen aus zwei tei­gi­gen Fel­sen mit Baum­rei­hen da­zwi­schen. Ähn­lich wie die Ma­rien­ver­kün­di­gung spielt die An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 67) un­ter frei­em Him­mel; das ge­schieht vor ei­nem bild­par­al­le­len blau­en Bro­kat zwi­schen Ge­bäu­den. Daß rechts der Stall von Beth­le­hem ge­meint ist, ver­steht man am ehe­sten, wenn man hier die Kö­nigs­an­be­tung auf fol. 82 so­wie Ver­sio­nen des The­mas aus Ita­li­en und in un­se­rer Lim­burg-Hand­schrift ein­be­zieht (fol. 87v so­wie Gent­ile da Fa­briano in ei­nem Ni­ko­laus­bild der Uf ­fi­zi­en: Kö­nig 2016, S. 58-61). Sie zei­gen zu­wei­len auf ähn­ li­che Wei­se ein schrä­ges Dach über Ma­ria, un­ter dem hier ein Eh­ren­tuch ge­spannt ist. Auf ei­nem grau­en Est­rich, der mit gol­de­nen Äh­ren be­streut ist, knien Jo­seph links vor

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ei­nem hö­he­ren Ge­bäu­de und Ma­ria rechts, der Zieh­va­ter fas­sungs­los, die Jung­frau mit zum Ge­bet ge­füg­ten Hän­den. Die ka­sten­förmige Krip­pe ist dem Ma­ler so un­ge­schickt hin­ter Jo­seph ge­ra­ten, daß sie bei­de ei­gent­lich das nack­te Kind gar nicht se­hen kön­nen. Die Hir­ten­ver­kün­di­gung zur Terz (fol. 76) wird ei­nem al­ten Mann, der Jo­seph äh­nelt, und ei­nem blon­den Jüng­ling zu­teil. In sei­nem pracht­voll blau­en Wams kniet der äl­te­re, wäh­rend der jün­ge­re steht. Sie er­he­ben sich über die Scha­fe, die ver­streut gra­sen; so recht se­hen kön­nen sie den En­gel im Bo­gen­ab­schluß der Mi­nia­tur nicht. Dort ver­kün­det er nicht das Glo­ria, son­dern wie schon in frü­hen Haupt­wer­ken des Bed­ford-Mei­sters die Wor­te, mit de­nen die Weih­nachts­mes­se ein­setzt: „puer na­tus“ (sie­he zu die­ser Ei­gen­art des Bed­ford-Mei­sters Kö­nig 2007, S. 10-12). Bei der An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 82) wird der Stall von Beth­le­hem wie bei der Prim nur durch ein schrä­ges Vor­dach an­ge­deu­tet; das ro­sa­far­be­ne Eh­ren­tuch ist ge­gen ein kür­ze­res, nun schwarz­grundi­ges aus­ge­tauscht. Dies­mal ist der Schau­platz wie ge­ wohnt eine sonst lee­re Land­schaft mit Tür­men von Beth­le­hem ge­gen den Him­mel. Ma­ ria, de­ren Man­tel ne­ben den brei­ten Her­me­lin­kra­gen der bei­den äl­te­ren Kö­ni­ge nicht ganz so kon­se­quent wie sonst ge­füt­tert ist, sitzt auf ei­nem für die­se Epi­so­de sonst kaum zu find­en­den Po­dest, das mit ro­sa­far­be­nem Tuch ver­deckt ist. Sie prä­sen­tiert den Kna­ ben, der wie Jo­han­nes auf Patmos mit sei­nen blon­den Locken zum Be­trach­ter schaut. Der äl­te­ste kniet vor ihr und reicht ei­nen gol­de­nen Kelch; der mitt­le­re schickt sich an, nie­der­zu­knien; der jüng­ste aber, ele­gan­ter als die an­de­ren, dreht sich in sei­ner Robe courte und setzt mit Schwarz ei­nen be­son­de­ren Ak­zent, trägt er die­se sel­te­ne Far­be doch als Bein­kleid und Sen­del­bin­de, was an bur­gun­di­sche Hof­klei­dung un­ter Phil­ipp dem Gu­ ten und Karl dem Küh­nen den­ken läßt. Die Dar­brin­gung im Tem­pel zur Non (fol. 88) spielt in ei­nem en­gen mit Holz­ton­ne ge­ wölb­ten Ka­pel­len­raum, der nach links zur Land­schaft of­fen ist. Bild­par­al­lel ist ein wein­ ro­ter Bro­kat ge­spannt; da­vor kniet Ma­ria und reicht dem grei­sen Simeon das Kind, das er auf ei­nem so fül­li­gen wei­ßen Tuch auf­nimmt, daß der Al­tar­ka­sten bei­na­he vom Ma­ ler ver­ges­sen und of­fen­bar als höl­zern dar­ge­stellt wur­de. Ma­ri­as Man­tel­fut­ter ist nun rein weiß; ihre Be­glei­te­rin trägt zum wein­ro­ten Kleid eine schwar­ze Hau­be. Ker­zen oder Tau­ben­körb­chen sind nicht zu se­hen. Bei der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 94) wird der nach rechts schrei­ten­de Esel, auf dem Ma­ria mit dem in Weiß ge­wickel­ten Kind sitzt, von Jo­seph, der vor­aus­geht, und der Magd, die der Hei­li­gen Fa­mi­lie folgt, ge­rahmt. Die Magd, wie­der in Wein­rot, aber mit wei­ßer Schür­ze, trägt ei­nen Korb auf der nun grau­ge­färb­ten Hau­be; Jo­seph hin­ge­ gen ein schwar­zes Bün­del. Doch wie sich ein tei­gi­ger Fel­sen über sei­ner ho­hen grau­en Müt­ze türmt, wirkt es, als trü­ge er auch die­sen. Die Land­schaft ist nur knapp be­mes­sen: ein von ei­ner Baum­rei­he ab­ge­schlos­se­ner Hü­gel. Der Ein­druck von zwei schräg ge­stell­ten Ge­bäu­den wie bei der Prim stellt sich an­ge­sichts der bei­den Thron­bal­da­chine bei der Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 99v) wie­der ein: Vor dem lin­ken, der mit ro­sa­far­be­nem Bro­kat aus­ge­schla­gen ist, kniet die Mut­ter­got­tes

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in ih­rem Blau, das er­neut nur mit Weiß ge­füt­tert ist. Gott­va­ter als Greis in Rosa und Blau­grau thront hin­ge­gen vor blau­em Bro­kat. Den Blick schließt in der Mit­te eine nied­ ri­ge Mau­er, die mit ei­nem gelb­gol­de­nen Tuch be­hängt ist. Die Art, wie der eine En­gel die Kro­ne bringt, vor al­lem aber die bei­den Thron­bal­da­chine las­sen an den Thron­be­hang für Karl VII . den­ken, der vor we­ni­gen Jah­ren vom Lou­vre er­wor­ben wur­de (An­toine 2010); bei­de sind mit flam­mend gol­de­nen Son­nen be­setzt. fol. 107: Flie­sen­bo­den un­ter frei­em Him­mel und das Geschie­be von zwei schräg ge­stell­ ten Ge­bäu­den, zwi­schen de­nen ein Eh­ren­tuch den Blick be­grenzt, las­sen bei Da­vids Buße zu den Buß­psal­men an die Ma­rien­ver­kün­di­gung den­ken. Nun steht links der Pa­last, ei­ gen­ar­tig ver­hängt durch ein blau­es Bro­kat­tuch, wäh­rend rechts ein Al­tar mit grü­nen Vor­ hän­gen zu bei­den Sei­ten ein­ge­rich­tet ist. Der grei­se Da­vid kniet, mit der Kro­ne auf dem Haupt und nun ei­nem rein wei­ßen Pelz­kra­gen (als habe der Ma­ler ein­fach zu­wei­len die schwar­zen Her­me­lin­schwänz­chen ver­ges­sen) und be­tet. Im Bo­gen­ab­schluß der Mi­nia­ tur zeigt sich Gott in ei­nem Wol­ken­kranz. Wie bei der Ver­kün­di­gung hat auch dies­mal die Bor­dü­re ei­nen mit Pin­sel­gold aus­ge­mal­ten Fond; drei Schrift­bän­der wen­den sich an Gott: Tibi soli pen­am et malum, Mi­se­re­re mei domi­ne sec­und(um), As­p er­ges me domi­ne ysopo. fol. 139: Die Horen er­hal­ten die ge­wohn­ten Er­ken­nungs­bil­der: Die Kreu­zi­gung zur Kreuz-Matutin (fol. 139) zeigt den to­ten Chri­stus am Kreuz wie ein auf­ra­gen­des Y, von dem er­schreckend viel Blut nach un­ten tropft. Links kau­ern Ma­ ria und Jo­han­nes. Rechts steht vor ei­nem zwei­ten Sol­da­ten der grei­se Zen­tu­rio mit ho­ hem her­me­lin­ver­bräm­tem Hut, senkt den Blick und stützt sich mit der Lin­ken auf ei­nen blau­en Schild, auf dem ein sil­ber­ner Schräg­bal­ken eben­falls in Sil­ber aus­ge­führ­te Zei­ chen teilt: à dextre ein Ka­stell, à sene­stre drei Ster­ne. Das Pfingst­wun­der zur Geist-Matutin (fol. 145) ge­hört zu den frü­hen Bei­spie­len, die die­se bis da­hin meist um eine zen­tra­le Ach­se ge­ord­ne­te Sze­ne dy­na­misch zu ei­ner Sei­te wen­den, so daß die Mut­ter­got­tes, nun wie­der mit Her­me­lin­fut­ter, die Apo­stel an­führt, die Er­schei­nung des Hei­li­gen Gei­stes zu er­le­ben. Dazu wen­den sich alle in dem en­gen, mit ei­ner Holz­ton­ne ge­wölb­ten Ka­pel­len­raum nach rechts, zu ei­nem Al­tar, über dem sich ein Bo­gen­feld öff­net; dar­in zeigt sich die Tau­be des Hei­li­gen Gei­stes mit feu­ri­gen Strah­len und klei­nen Flämm­chen, die aber nicht in den In­nen­raum zu Ma­ria, Pe­trus und den an­de­ren Apo­steln ein­drin­gen. fol. 151: Zum To­ten­of ­fi­zi­um wird ein Be­gräb­nis ge­zeigt, in ei­ner Kom­po­si­ti­on aus Weiß und Schwarz mit leuch­ten­dem Blau, die des Ma­lers Stär­ken un­ter­streicht: Auf ei­ner mit blau­em Tuch be­deck­ten Bah­re liegt der in wei­ßes Lei­nen ein­ge­näh­te Tote, des­sen Lei­ chen­tuch ein gro­ßes schwar­zes Kreuz zeigt. Ihn wird der To­ten­grä­ber zur Ruhe bet­ten, der in die Gru­be ge­stie­gen ist und in Rosa ge­klei­det ist. Ein jun­ger Akolyth und ein Prie­ ster in strah­lend wei­ßer Albe und blau­em Chor­man­tel spren­gen Weih­was­ser. Hin­ter ih­ nen ste­hen ganz in Schwarz ge­hüll­te Pleurants; ein welt­li­cher Herr ist links vorn zum Kopf­en­de des Gra­bes ge­tre­ten, auch er in Schwarz, aber mit ro­sa­far­be­nem Bein­kleid.

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fol. 213: Zur Ikon­ographie der in Pa­ris be­son­ders ver­ehr­ten hei­li­gen Avia ge­hört eine Epi­so­de, die sich als Par­al­le­le zum Mar­ty­ri­um des Pa­ri­ser Pa­tron Dio­ny­si­us, also Saint Den­is, ver­ste­hen läßt. So wie er vor der Hin­rich­tung im Ker­ker von Chri­stus selbst die letz­te Kom­mu­ni­on er­hielt, so er­schien Avia die Jung­frau Ma­ria mit Kelch und Ho­stie. So steht denn hier links der Ker­ker, aus des­sen ver­git­ter­tem Fen­ster die in Rot ge­klei­ de­te Hei­li­ge de­mü­tig be­tend blickt, wäh­rend Ma­ria, von ei­nem En­gel als Meß­die­ner be­ glei­tet, die Ho­stie reicht und den Kelch hält. Dies­mal trägt sie wie­der ih­ren Man­tel mit Her­me­lin ge­füt­tert. Zum Stil Un­ser Ma­nu­skript ist ein sel­te­nes Bei­spiel für ein Pa­ri­ser Stun­den­buch, das von ei­nem Il­ lu­mi­na­tor aus­ge­malt wur­de, den man haupt­säch­lich aus pro­fa­nen Hand­schrif­ten kennt, die im drit­ten Vier­tel des 15. Jahr­hun­derts in Brügge ent­stan­den sind: Be­kannt wur­de er durch ein Bil­der­buch mit Mi­nia­tu­ren aus dem Froiss­art für Phil­ippe de Co­mmynes, Harley 4380 der Bri­tish Lib­rary (Aus­st.-Kat. Lon­don 2003, Nr. 68). Als Mei­ster des Harley-Froiss­art ver­tritt er eine gern über­se­he­ne Ten­denz: Wäh­rend man im­mer wie­der dar­auf hin­weist, wie stark die Pa­ri­ser Kunst von frem­den Ein­flüs­sen be­stimmt ist, ver­ gißt man gern, daß Künst­ler eben­so­gut aus der Me­tro­po­le in den Nor­den ge­hen moch­ ten. Ana­log zum 1481/82 ver­stor­be­nen Wil­lem Vrelant, des­sen Brüg­ger Buch­ma­le­rei sich, wie Fa­rquhar 1974 dar­ge­legt hat, aus Pa­ris und Rouen her­lei­ten läßt, stammt der Stil des Harley-Froiss­art aus dem Um­feld des Du­nois-Mei­sters, also der Pa­ri­ser Bed­ ford-Tra­di­ti­on. Nun ist Pas­cal Schan­del 2011 eine er­staun­li­che Ent­deckung zu die­sem Stil ge­lun­gen: Al­ les, was die Quel­len über Phil­ippe de Mazer­ol­les, den 1479 in Brügge ver­stor­be­nen Hof­ ma­ler Karls des Küh­nen von Bur­gund er­ken­nen las­sen, deu­tet dar­auf hin, daß nie­mand an­ders als die­ser 1454 in Pa­ris und dann 1467 als bur­gun­di­scher Valet de cham­bre do­ ku­men­tier­te Ma­ler und Buch­ma­ler den Froiss­art für Co­mmynes und die ent­schei­den­den Wer­ke für Karl den Küh­nen und Ed­ward IV. von Eng­land ge­schaf­fen hat. Är­ger­lich an die­sen Schluß­fol­ge­run­gen für uns ist der Um­stand, daß wir eine in sich ge­schlos­se­ne und über­zeu­gen­de The­se von Mara Hof­mann und Ina Net­te­koven vor­ge­legt ha­ben, der zu­ fol­ge sich hin­ter dem Na­men Mazer­ol­les ein künst­le­risch stär­ke­rer Cha­rak­ter ver­birgt: der Mei­ster von Fit­zwilliam 268, von dem wir in Il­lu­mi­na­tio­nen 5, 2004 ein un­er­hört schö­nes Stun­den­buch als un­be­kann­tes Haupt­werk prä­sen­tier­ten. Bei­de Stil­grup­pen tref­fen auf­ein­an­der bei den Aus­ga­ben der Mi­li­tär-Or­don­nanz Karls des Küh­nen von 1473. Von her­aus­ra­gen­der Qua­li­tät ist das Lon­do­ner Ex­em­plar Add. Ms. 36619, das wohl für den Her­zog selbst be­stimmt war; es stammt vom Mei­ster von Fit­zwilliam 268, also so­zu­sa­gen un­se­rem Mazer­ol­les, wäh­rend alle an­de­ren von Schan­ dels Mazer­ol­les aus­ge­führt wur­den. Die Ge­gen­sei­te er­klärt die gro­ße Dis­kre­panz zu den schlich­ten Bild-In­itia­len im üb­ri­gen Be­stand (fünf der zwan­zig sind er­hal­ten in Den Haag, Ko­pen­ha­gen, Mün­chen, Pa­ris und Wien, dar­un­ter cod. gall. 18 und ms. fr. 23963) so: Aus­ge­rech­net der Hof­ma­ler des Her­zogs habe für das auf­wen­di­ge Front­ispiz im

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wich­tig­sten Ex­em­plar der Or­don­nanz ei­nen bril­lan­te­ren Kol­le­gen ein­ge­setzt. Was ver­ wir­rend klin­gen mag, ist doch nicht ganz un­wahr­schein­lich: So hat Jean Co­lombe in sei­ nem ei­gent­li­chen Haupt­werk, dem Stun­den­buch des Lou­is de Laval, latin 920 der BnF, ei­ner Fouquet-Hand aus­ge­rech­net die wich­tig­sten Ge­sich­ter über­las­sen (sie­he dazu zu­ letzt Sei­del 2017). Ge­wich­ti­ger sind wei­te­re Ar­gu­men­te: Ein Dop­pel­blatt des 1467/68 von Mazer­ol­les für Karl den Küh­nen er­gänz­ten Schwar­zen Stun­den­buchs ist im Lou­vre auf­ge­taucht; die Rand­me­dail­lons stam­men vom Mei­ster des Harley-Froiss­art (MI 1091: Schan­del 2011, ill. 238). Im sel­ben Stil aus­ge­malt ist eine gan­ze An­zahl von Roy­al Man­uscripts der Bri­ tish Lib­rary; sie bil­den den ei­gent­li­chen Kern­be­stand an flä­mi­schen Hand­schrif­ten in eng­li­schem Kö­nigs­be­sitz: Roy­al 14 E i-ii, 14 E iv-vi, 15 E i, 16 G ix, 17 F ii-iii, 18 D ixx, 18 E iii-viv, 19 E i und 19 E v. Für sie hat Ed­ward IV. bei sei­nem zwei­ten Exil in den Nie­der­lan­den Mazer­ol­les 1479 kurz vor des­sen Tod be­zahlt. Da­mit müß­te der Mei­ster von Fit­zwilliam 268 in die An­ony­mi­tät zu­rück­fal­len, der Ma­ ler un­se­res Stun­den­buchs aber er­hiel­te mit Phil­ippe de Mazer­ol­les den Na­men ei­nes we­ nig­stens 1454 in Pa­ris do­ku­men­tier­ten Künst­lers, der sei­ne Ver­si­on des spä­ten Bed­fordStils in den Nie­der­lan­den zu ei­ner un­ge­mein de­ko­ra­ti­ven Buch­ma­le­rei fort ent­wickeln soll­te. Ein voll­stän­dig er­hal­te­nes Pa­ri­ser Stun­den­buch ele­gan­ten klei­nen For­mats von ei­ nem der be­mer­kens­wer­te­sten Künst­ler, die in ei­ner Zeit, da die Haupt­stadt all­zu gern Ten­den­zen aus dem Nor­den auf­nahm, sei­ner­seits Pa­ri­ser Kunst in die Nie­der­ lan­de brach­ten: vom Mei­ster des Harley-Froiss­art, in dem man nach neue­sten Er­ kennt­nis­sen wohl Phil­ippe de Mazer­ol­les er­ken­nen soll­te, der 1454 in Pa­ris nach­ge­ wie­sen ist und ab 1467 in bur­gun­di­schen Dien­sten als Valet de cham­bre des Her­zogs Karls des Küh­nen stand. Un­ab­hän­gig von der viel­leicht dann doch strit­ti­gen Na­ mens­fra­ge las­sen Text und Ge­stal­tung kei­nen Zwei­fel an der Tat­sa­che, daß die hier be­schrie­be­ne Hand­schrift noch in Pa­ris ent­stan­den ist. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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19 Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch vom Co­ëtivy-Mei­ster und dem Mei­ster des Étienne Sau­de­rat


19 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Rot und Blau, Fe­ste in Gold, in Tex­tura. Pa­ris, um 1450: vom Mei­ster des Étienne Sau­de­rat an­ge­legt und voll­en­det, mit vor­ züg­li­chen Mi­nia­tu­ren vom Mei­ster des Olivier de Co­ëtivy. Drei­zehn Bil­der, da­von zehn als gro­ße Mi­nia­tu­ren mit teil­wei­se ein­ge­zo­ge­nem Rund­bo­ gen­ab­schluß, ein­fa­chen Gold­rah­men, über vier Zei­len Text mit dreiz­ei­li­ger Dorn­blatt-In­ itia­le und drei­sei­ti­ger brei­ter Zier­lei­ste, meist mit Dorn­blatt­de­kor, zwei­mal mit Blu­men. Mit rot mo­del­lier­ter gol­de­ner Li­nie kon­tu­rier­te Voll­bor­dü­ren, zwei nur mit Blu­men und Akanthus, die an­de­ren mit Dorn­blat­tran­ken, die ge­mal­ten Ele­men­te nur in den Ecken, meist mit ei­nem grö­ße­ren fi­gür­li­chen Ele­ment auf ei­nem Bo­den­strei­fen (da­von vier mit En­gel oder Hei­li­gen) so­wie in der Re­gel zwei wei­te­ren Mo­ti­ven, häu­fig ein Her­me­lin, sonst Vö­gel; eine wei­te­re Sei­te mit dreiz­ei­li­ger Bild-In­itia­le und zwei Bild­fel­dern in der Bor­ dü­re, die auf Pin­sel­gold dicht mit Blu­men und Akanthus be­setzt ist. Alle Text­sei­ten mit Dorn­blatt­bor­dü­re au­ßen. Zweiz­ei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­an­fän­gen mit Dorn­blatt­de­ kor; ein­zei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen, Zei­len­ fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 199 Blatt Per­ga­ment, dazu je zwei Vor­sät­ze: Kol­la­ti­on un­tun­lich, es feh­len ei­ni­ge Blät­ter, un­ ter an­de­rem fünf bis sechs mit Mi­nia­tu­ren. Ok­tav (160 x 115 mm; Text­spie­gel: 80 x 47 mm). Zu 14, im Ka­len­der zu 17 Zei­len. Rote Reg­lierung kaum sicht­bar. Ge­bun­den in gold­ge­mu­ster­te rote Sei­de über Holz­deckeln, mit sie­ben sicht­ba­ren Bün­den. In den Bil­dern sehr gut er­hal­ten, eine Rei­he von Blät­tern au­ßen fach­ge­recht an­ge­rän­dert. Pro­ve­ni­enz: Ein Wap­pen in der Bor­dü­re von fol. 13 nur mit Blau aus­ge­füllt: von der Rück­ sei­te her sind drei gol­de­ne Stier­köp­fe („ren­contre de bœuf“) zu er­ken­nen, also evtl. das Wap­ pen der Fa­mi­lie Boiveau im Bur­gund oder der flä­mi­schen Fa­mi­lie Van der Co­ets (Ren­es­se II, 529). Auf­fäl­lig sind die in den mei­sten Bor­dü­ren zu find­en­den Her­me­li­ne. Sie mö­gen auf eine Be­zie­hung zur Bre­ta­gne hin­wei­sen, wie man sie in ei­nem zwei­ten hier be­schrie­be­nen Stun­den­ buch des Co­ëtivy-Mei­sters (Nr. 20) und beim na­men­ge­ben­den Werk fin­det, war es doch für Olivier de Co­ëtivy, ei­nen der rang­höch­sten bre­to­ni­schen Mi­li­tärs un­ter Karl VII. be­stimmt. W. E. Mil­ler F. S. A., in sei­ner Nach­laß-Auk­ti­on Sot­heby’s, 25.-26.3.1941, lot 281. Text fol. 1: Ka­len­der fol. 13: Per­ik­open, Jo­han­nes (fol. 13, als Suff­ragium), Lu­kas (fol. 15). fol. 16v: Ma­rien­ge­bet, für ei­nen Mann re­di­giert fa­mulo tuo (fol. 19v): Ob­secro te.

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fol. 21v: Suff­ragium der hei­li­gen Bar­ba­ra und Ma­rien­ge­bet: Re­gi­na celi letare al­lel­uia (fol. 22v). fol. 23: Ma­ rien­ of ­fi­ zi­ um für den Ge­brauch von Pa­ris, die An­fän­ge von Matutin, Terz, Sext und Non feh­len: Matutin (fol. 23), Lau­des (fol. 36), Prim (fol. 50v), Terz (vor fol. 58), Sext (vor fol. 60), Non (vor fol. 67), Ves­p er (fol. 71v), Komplet (fol. 80v). fol. 87: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 103), die nur we­ni­ge un­spe­zi­fi­sche Hei­li­ge nennt, ohne Tren­nung von Mär­ty­rern und Be­ken­nern. fol. 108v: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 108v) und Hei­lig Geist (fol. 108v – An­fang fehlt). fol. 125: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris. fol. 164: Fran­zö­si­sche Ge­be­te: XV Joies: Doulce dame (fol. 164), VII Requêtes: Doulz dieu (fol. 170). fol. 173v: Suff­ragien und Ge­be­te: dar­un­ter ein fran­zö­si­sches Mar­ga­re­ten­ge­bet (fol. 174v), Ge­be­te an Ma­ria und Chri­stus so­wie die Zehn Ge­bo­te in Fran­zö­sisch (fol. 192); Texten­ de fol. 199. Schrift und Schrift­de­kor Die Tex­tura mit der recht hel­len Tin­te für den Text, dem dunk­le­ren Rot für die Ru­bri­ ken und den pracht­vol­len Schrift­far­ben im Ka­len­der ver­tritt gute Pa­ri­ser Schrift­kunst um 1450. Dazu paßt die Zu­ord­nung des Schrift­de­kors mit gelb la­vier­ten Ver­sa­li­en, ein­ zei­li­gen In­itia­len in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen samt der zu­ge­hö­ri­gen Zei­len­ fül­ler. Auch das Dorn­blatt für alle grö­ße­ren Zier­buch­sta­ben von Psal­men­an­fän­gen an ver­steht sich in die­sem Sinn. Bor­dü­ren zum Text sind nicht von In­itia­len ab­hän­gig; sie tre­ten über­all als Strei­fen in der­sel­ben Höhe wie der Text­spie­gel auf. Auf ei­nen Zu­sam­men­hang von Ran­ken in zweiz­ei­li­gen Buch­sta­ben mit dem Dorn­blatt der Rand­strei­fen ist ver­zich­tet. Der Rand­ schmuck ist noch ganz vom Dorn­blatt do­mi­niert. In Buch­ma­ler­far­ben ge­malt sind nur ein­zel­ne grü­ne Blätt­chen so­wie ver­streu­te Blü­ten und Früch­te. Tep­pich­haft wird das Ran­ken­werk von ro­ten Rand­li­ni­en nach un­ten au­ßen und oben, aber nicht zum Text­ spie­gel hin ein­ge­grenzt. Auf den mit Mi­nia­tu­ren ge­schmück­ten Sei­ten wird der Rand­schmuck von gol­de­nen, mit Rot mo­del­lier­ten Li­ni­en um­faßt. Über­all blei­ben die aus äl­te­rer Tra­di­ti­on stam­men­den brei­ten Zier­lei­sten prä­sent; sie sind um den Text­spie­gel ge­legt, meist mit kräf­ti­gen Dorn­ blatt­mo­ti­ven be­setzt, zu­wei­len aber mit Blü­ten in Buch­ma­ler­far­ben. Im Rand­schmuck be­haup­tet Dorn­blatt meist sei­nen an­ge­stamm­ten Platz, von den Ecken aus ein­ge­rahmt mit sti­li­sier­ten Blu­men oder blau-gol­de­nem Akanthus. Auf den mei­sten Bild­sei­ten tre­ten Fi­gu­ren auf, in drei Fäl­len Hei­li­ge und ein­mal ein En­gel mit dem Kreuz, sonst Drôlerien, dar­un­ter ein ein­drucks­vol­ler Tanz­bär. Meist ste­hen sie auf Bo­den­strei­fen, sel­te­ner un­ten, lie­ber in der Mit­te der Au­ßen­bor­dü­ren. Vö­gel kom­men auf den mei­sten Bild­sei­ten hin­

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zu. Nur auf we­ni­gen Bild­sei­ten ver­drängt das in Buch­ma­ler­far­ben ge­ge­be­ne Blatt­werk das Dorn­blatt ganz und gar; das ist beim Da­vid­bild der Fall, und aus­ge­rech­net dort fällt die Be­le­bung der Bor­dü­re fort. Hin­ge­gen nimmt die ein­zi­ge mit Bil­dern be­setz­te Bor­dü­re (fol. 13) ei­nen ei­ge­nen Rang in­ner­halb ei­ner De­ko­ra­ti­ons­hier­ar­chie ein: Pin­sel­gold schafft ei­nen Fond, wie er in der Ent­ste­hungs­zeit des Buchs noch sel­ten zu fin­den ist. Sti­li­sier­te Blu­men ste­hen ne­ben blau-gol­de­nem Akanthus; die Tat­sa­che, daß sich des­halb des­sen Gold kaum vom Un­ter­ grund ab­hebt, wird hier nicht wei­ter be­ach­tet (sie­he hin­ge­gen un­se­re Nr. 21). Die­ser mit Bil­dern durch­setz­te Rand­schmuck ver­rät die aus­füh­ren­de Hand recht klar; die Phy­sio­gno­mie von Jo­han­nes auf Patmos ver­bin­det sich mit den weib­li­chen Hei­li­gen zu Mari­en-Lau­des und Mari­en-Prim. Sie setzt sich zu­gleich ge­gen die Ma­nier ab, in der die auf­fäl­lig­sten Haupt­bil­der ge­malt sind. Am Ende wird sich her­aus­stel­len, daß un­ ser Stun­den­buch von zwei Ma­lern ge­stal­tet wur­de: Der ge­nia­lere hat kaum am Rand­ schmuck mit­ge­ar­bei­tet; so ent­steht der Ein­druck, man habe es mit ei­nem Buch zu tun, das von ei­nem ein­ge­ses­se­nen Pa­ri­ser Buch­ma­ler im we­sent­li­chen vor­be­rei­tet wur­de, ehe denn die­ser be­deu­ten­de­re Künst­ler für eine bril­lan­te Mit­ar­beit ge­won­nen wur­de. Die be­son­ders auf­wen­di­ge Bor­dü­re zur letz­ten Mi­nia­tur mag auf ei­nen Kon­zep­ti­ons­ wan­del zu­rück­ge­hen, wie er sich zu­wei­len er­gibt, wenn ei­nem nor­ma­len Buch­block noch ein paar un­ge­wohn­te Tex­te wäh­rend der Ar­beit hin­zu­ge­fügt wur­den. Die Bil­der fol. 13: Nur die er­ste Per­ikope wird mit drei klei­nen Sze­nen aus der Ge­schich­te des Evan­ ge­li­sten Jo­han­nes be­bil­dert (fol. 13): Zur dreiz­ei­li­gen In­itia­le kom­men Bild­fel­der in den Rand­strei­fen au­ßen und un­ten: Von ei­nem Pre­digt­stuhl aus ver­kün­det er das Evan­ge­ li­um vor Kai­ser Dom­itian. Der läßt ihn dann in der näch­sten Sze­ne die Öl­mar­ter an der Porta Lati­na in Rom er­lei­den. Das ova­le Bild ist dann un­ten dem Jo­han­nes auf Patmos ge­wid­met: Der Bild­rand schmiegt sich um die In­sel, auf der Jo­han­nes sitzt – zwi­ schen dem Teu­fel, der ihm links das Schreib­zeug ge­stoh­len hat, und dem Ad­ler rechts, der von ei­nem Faß aus den Teu­fel be­äugt, ohne schon ein­zu­grei­fen. Der Fond der dicht mit Akanthus und Blu­men be­setz­ten Bor­dü­re ist in Blatt­gold aus­ge­führt. Nicht nur das win­zi­ge For­mat der Bil­der, son­dern auch ihre Mach­art wer­den er­wei­sen, daß sie nicht vom ge­nia­len Haupt­ma­ler die­ses Ma­nu­skripts, son­dern von dem stam­men, der für den Grund­be­stand ver­ant­wort­lich war. fol. 23: Lei­der feh­len im Ma­rien­of ­fi­zi­um vier Bil­der; der er­hal­te­ne Be­stand be­weist je­ doch, daß eine Bil­der­fol­ge aus­ge­führt war, wie sie für Pa­ris cha­rak­te­ri­stisch ist: Der Zy­ klus war of­fen­bar von ein­zel­nen Ge­stal­ten in den Bor­dü­ren be­glei­tet, dar­un­ter zwei weib­ li­chen Hei­li­gen. Die Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 36) er­weist sich als Va­ri­an­te der für den Co­ëtivyMei­ster üb­li­chen Kom­po­si­ti­on: Ma­ria ganz in Blau ist von links zu Eli­sa­beth ge­kom­men, de­ren ro­sa­far­be­nes Kleid un­ter dem eben­falls in Rosa ge­hal­te­nen Man­tel mit brei­ten wei­

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ßen Pelz­strei­fen ver­brämt ist; dar­un­ter wer­den noch die brau­nen Är­mel ei­nes Un­ter­klei­ des sicht­bar. Die Ge­ste bleibt un­klar, als such­ten bei­de nach den Hän­den und dem Leib der an­de­ren. Ein Flecht­zaun grenzt den Vor­der­grund ab und be­glei­tet den Weg noch ein Stück hin­auf zur ein­drucks­vol­len Burg des Za­cha­ri­as, aus der die äl­te­re Frau der Jung­ frau ent­ge­gen­ge­kom­men ist. Saf­ti­ges Grün er­füllt die Land­schaft, tie­fes dunk­les Blau kenn­zeich­net den Him­mel. Im rech­ten Rand­strei­fen steht die Pa­ri­ser Pa­tro­nin Gen­ovefa, an der ho­hen Ker­ze er­ kenn­bar, um de­ren Flam­me Teu­fel und En­gel strei­ten; weit dar­über schaut ein krumm­ schnabli­ger Vo­gel, viel­leicht ein Neun­tö­ter, zum Haupt­bild. Noch dunk­ler ist der Him­mel über der An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 50v), de­ren Kom­po­si­ti­on zum Grund­be­stand der Vor­la­gen des Co­ëtivy-Mei­sters ge­hört: Nacht wird auch im dunk­len Grün der Land­schaft und im fast schwar­zen Stall von Beth­le­hem aus­ ge­drückt. Ma­ria kniet links und hat den nack­ten Kna­ben auf ein recht­ecki­ges Stück ih­ res blau­en Man­tels ge­legt. Hin­ter ihr la­gern Esel und Ochs. Von rechts ist Jo­seph her­zu­ ge­tre­ten, hat sei­nen ho­hen Filz­hut auf den Bo­den ge­stellt und ist über sei­nem Stock ins Knie ge­sun­ken. An­ders als sonst zu­wei­len wird der Blick in die Land­schaft nicht durch ein Mäu­er­chen, son­dern durch dun­kel­brau­ne Fel­sen ab­ge­grenzt. In der Fer­ne rechts sind die Scha­fe auf der Wei­de, ihr Hir­te blickt auf zum Stern, ne­ben dem die Si­chel des zu­ neh­men­den Mon­des im best­irnten Him­mel er­scheint. Die hei­li­ge Ka­tha­ri­na, mit dem Schwert und dem Bruch­stück des Ra­des liest in der Bor­ dü­re links un­ten ein Buch. Ein schwarz ge­tupf­tes wei­ßes Tier, viel­leicht ein miß­ver­stan­ de­ner Her­me­lin mit ro­tem Hals­band bäumt sich über der Hei­li­gen auf, wäh­rend ein grü­ner Vo­gel, viel­leicht ein Sit­tich, rück­lings fällt. Land­schafts­ma­le­rei be­herrscht der Co­ëtivy-Mei­ster; des­halb sind Dar­stel­lun­gen der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 71v) in sei­nem Œuvre be­son­ders ein­drucks­voll: So schrei­tet die Hei­li­ge Fa­mi­lie hier auf ei­nem Weg, der aus der Stadt im Hin­ter­grund her­ab­führt, nach rechts. Wie­der wirkt der Him­mel nacht­blau. Ein Halb­we­sen aus ei­nem ge­rin­gel­ten Dra­chen­schwanz und dem Ober­kör­per ei­nes Nar­ ren mit Nar­ren­stab be­glei­tet das Bild, wäh­rend un­ter dem Text der Her­me­lin mit dem ro­ten Hals­band wie­der­kehrt. Von der Hand, die bei der Jo­han­nes-Per­ikope und den weib­li­chen Hei­li­gen zu Lau­des und Prim greif­bar wur­de, ist die Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 80v): Vor tie­fem Blau, das mit gol­de­nen Ster­nen ge­mu­stert ist, er­hebt sich eine brau­ne mit Gold geh­öhte bild­ par­al­le­le Zier­ar­chi­tek­tur mit dem Thron, der in der Bild­mit­te un­ter ei­nem ro­sa­far­be­nen Ziborium auf die Mut­ter­got­tes war­tet und – dazu im Win­kel – dem sehr viel rei­cher aus­ge­stat­te­ten Got­tes­t hron rechts. Von ei­nem En­gel in wei­ßer Tu­ni­ka ge­stützt, kniet Ma­ria in der Bild­mit­te und be­tet ge­senk­ten Haupts, wäh­rend ein En­gel mit der Kro­ne hin­ter der Ar­chi­tek­tur auf­taucht und der in päpst­li­chen Or­nat ge­klei­de­te Chri­stus die Rech­te seg­nend hebt.

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Ein Bär ist in der Bor­dü­re ne­ben dem Bild an ei­nen Baum ge­bun­den. Der Bo­den­strei­fen un­ter ihm ist eben­so mit ro­ten Früch­ten besät wie je­ner un­ter dem Her­me­lin un­ten. Ein Vo­gel links oben kommt noch hin­zu. fol. 87: In Le­se­rich­tung von links nach rechts auf­ge­baut ist das Bild von Da­vids Buße zu den Buß­psal­men. Vor ei­nem schräg ge­stell­ten Bau, eher ei­ner Ka­pel­le als ei­nem Pa­last, von dem aus eine Mau­er den Gar­ten vorn ab­grenzt, kniet der Kö­nig im Pur­pur­man­tel über blau­em Ge­wand, mit brei­tem Her­me­lin­kra­gen. Die Har­fe ist mit ih­rer Spit­ze in die Wie­se ge­rammt und steht nun über dem dort ab­ge­leg­ten Kron­hut. Ein ganz in glü­hen­ dem Rot er­schei­nen­der En­gel faßt das Schwert von Got­tes Zorn an der Schnei­de, wäh­ rend der Blick über ei­nen grü­nen Hü­gel an ei­ner Burg ent­lang in die Fer­ne ge­führt wird. Ein Vo­gel un­ten so­wie ein klei­ner ro­ter Schmet­ter­ling und eine fet­te Flie­ge be­le­ben die Bor­dü­re. fol. 108v: Auch die Kreu­zi­gung zur Matutin der Hei­lig-Kreuz-Horen (fol. 108v) stammt von der zwei­ten Hand: In das stei­le Bild­feld mit sei­nem Bo­gen­ab­schluß sind die drei Kreu­ze ge­zwängt. Ein ei­gen­tüm­li­ches künst­le­ri­sches Tem­pe­ra­ment sorgt für Be­we­gung in die­sem schon durch die leicht nach rechts ge­rück­te Stel­lung von Chri­sti Kreuz nicht ganz sym­me­tri­schen Bild. Die bei­den Schäc­her­kreu­ze sind recht nah zur Mit­te ge­rückt. Links ent­steht um die Grup­pe der zu­sam­men­bre­chen­den Ma­ria mit Jo­han­nes und ei­ ner wei­te­ren hei­li­gen Frau eine Lee­re, die bis zur wei­ßen Stadt­mau­er blicken läßt, die für die Wir­kung ei­nes recht nied­ri­gen Ho­ri­zonts un­ter dem Him­mel mit Son­ne, Mond und Ster­nen sorgt. Rechts hin­ge­gen herrscht Ge­drän­ge: Ein Rei­ter führt Sol­da­ten an, de­ren Hel­me ei­nen schwar­zen Block im Mit­tel­grund bil­den, wäh­rend vor ihm zwei wei­ te­re Sol­da­ten ste­hen. Ein Vo­gel zeigt sich links oben. Auf ei­nem Bo­den­strei­fen kniet ein mit wei­ßer Hals­krau­ se ge­schmück­ter Affe und bän­digt eine gel­be Schlan­ge. Un­ten aber trägt ein En­gel das Kreuz als wich­tig­stes un­ter den Arma Chri­sti. fol. 125: Ein Be­gräb­nis auf ei­nem Fried­hof zeigt der zwei­te Ma­ler zum To­ten­of ­fi­zi­um. Links steht die nied­ri­ge Ka­pel­le; hin­ten ver­sperrt ein Karrner den Blick: Aus dem Lau­ ben­gang un­ten schau­en Men­schen, wäh­rend im Ge­bälk dar­über un­ge­zähl­te To­ten­schä­ del zu se­hen sind. Ein vor­neh­mer Herr sieht zu, wie zwei To­ten­grä­ber den ein­ge­näh­ten Leich­nam vorn zur letz­ten Ruhe bet­ten. In Schwarz ge­klei­de­te Pleurants be­glei­ten den Prie­ster und sei­ne bei­den Akoly­then. Ein Vo­gel rechts oben, ein kühn zu­sam­men­ge­setz­tes Misch­we­sen auf ei­nem Bo­den­strei­ fen in der Mit­te rechts und wie­der der Her­me­lin un­ten be­le­ben die Bor­dü­re. fol. 170: In ei­ner wun­der­ba­ren Vi­si­on des Jüng­sten Ge­richts zu den VII Kla­gen des Herrn kehrt der Co­ëtivy-Mei­ster wie­der: Der Wel­ten­rich­ter thront auf dem Re­gen­bo­ gen in ei­ner gelb leuch­ten­den Man­dorla vor dun­kel­blau­em Grund, den Strah­len er­hel­ len. Zu sei­nen Fü­ßen scha­ren sich links und rechts als Halb­fi­gu­ren aus Wol­ken­krän­zen auf­tau­chend Ma­ria mit wei­te­ren Hei­li­gen, von de­nen nur die Nimben zu er­ken­nen sind,

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links und Jo­han­nes der Täufer, wohl mit Apo­steln rechts. Un­ter ih­nen bläst ein ein­zi­ger En­gel die Po­sau­ne des Jüng­sten Ge­richts und weckt da­mit die To­ten auf, die sich in ih­ ren ge­öff­ne­ten Grä­bern auf­rich­ten. Edel, wie die Mi­nia­tur aus­ge­führt ist, er­staunt, daß sie nur links und un­ten mit der sonst ge­wohn­ten Gold­lei­ste, rechts aber di­rekt mit der Dorn­blatt­zier­lei­ste ge­rahmt ist. Der Täufer, der hier wie sonst mit Maria als wichtigster Fürbitter auftritt, erscheint ohne gestischen Bezug nochmals neben dem Haupt­bild, von dem er sich so­gar bei sei­ner Wei­ sung des Lam­mes ab­wen­det. Rechts oben und un­ter dem Text tau­chen nun zwei Her­ me­li­ne mit Hals­band auf. fol. 174v: Im Bild der hei­li­gen Mar­ga­re­te im Ker­ker und ei­ner Be­te­rin ver­bin­det der Co­ ëtivy-Mei­ster auf ein­drucks­vol­le Wei­se die Kost­bar­keit der Buch­ma­le­rei mit Ele­men­ten der Dar­stel­lung: Die Le­gen­de will, daß die Hei­li­ge im dun­kel­sten Ker­ker von Beelzebub, der ihr als Dra­che auf­lau­ert, ver­schlun­gen wird, dann aber durch die Kraft ih­res klei­nen Kreu­zes des­sen Rücken durch­bricht. Den Rah­men der Mi­nia­tur be­glei­ten Säu­len, die im Bo­gen­ab­schluß ei­nen mit blau­em Zier­rat ein­ge­leg­ten Bo­gen tra­gen. Schwe­re Ei­sen­ git­ter vor schwar­zem Grund deu­ten das Ge­fäng­nis an; sie hän­gen von oben her­ab, aber spa­ren den Raum für den Dra­chen, die Hei­li­ge, den nach oben ge­rin­gel­ten Dra­chen­ schwanz und die Be­te­rin aus. Mit gro­ßer Sorg­falt ist das grü­ne Un­we­sen ge­stal­tet, aus des­sen Ra­chen nur das Ende des pur­pur­nen Man­tels her­aus­schaut. Grün ist auch Mar­ ga­re­tes Kleid, an­mu­tig ihre Hal­tung, wie sie den Kopf im Ge­bet zu dem klei­nen Kreuz neigt und sich da­mit zu­gleich zur Be­te­rin wen­det, die in ih­rem tief­blau­en Kleid mit ei­ nem dun­kel­ro­ten Kopf­putz ne­ben ihr kniet. Von der zwei­ten Hand ist wie­der der Rand­schmuck mit ei­nem En­gel, der ne­ben dem Haupt­bild die Lau­te spielt, und mit zwei fun­kelnd schö­nen Vö­geln. fol. 192: Den Ab­schluß des er­hal­te­nen Bild­zy­klus bil­det eine un­ge­mein ein­drucks­vol­le Dar­stel­lung vom Ma­rien­tod zum fran­zö­si­schen Ma­rien­ge­bet O trescertaine es­pe­rance: Wie so oft beim Co­ëtivy-Mei­ster wi­der­spricht die Be­we­gung im Bild der Le­se­rich­tung: Bild­par­al­lel steht das Ster­be­bett mit dem Kopf­en­de links, um das die Apo­stel noch ein­ mal ver­eint wer­den. Vorn hockt Jo­han­nes vol­ler Me­lan­cho­lie, wäh­rend ein zwei­ter sich nach links be­tend wen­det. Ein klei­ner En­gel schwebt über dem Kis­sen der ent­schla­fe­ nen Mut­ter­got­tes, wäh­rend von rechts Pe­trus mit den an­de­ren Apo­steln ein­drin­gen, der Apo­stel­fürst wie ge­wohnt als der Liturg im Chor­man­tel, der Weih­was­ser auf die Tote sprengt. Der­weil ist de­ren See­le von En­geln er­ho­ben und schwebt vor dem ro­ten Bett­ him­mel, ohne daß sich die Gott­heit zeigt. Drei klei­ne­re Sing­vö­gel und ein pracht­vol­ler Pfau, der ein Rad schlägt, be­le­ben die Rän­ der.

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Zum Stil Auf den er­sten Blick könn­te man mei­nen, zwei Buch­ma­ler hät­ten sich die Ar­beit an die­ sem einst noch präch­ti­ger aus­ge­schmück­ten Stun­den­buchs so ge­teilt, daß der be­gab­te­re von bei­den als Haupt­mei­ster dem an­de­ren gleich­sam die schlech­te­re Hälf­te über­las­sen hät­te: In der Tat von un­er­hör­ter Bril­lanz ist der Künst­ler, den man nach dem zwi­schen 1450 und 1473 ent­stan­de­nen Stun­den­buch des Olivier de Co­ëtivy und der Marguerite de Valo­is in Wien (ÖNB , Cod. 1929: Pächt und Thoss I, 1974, S. 29-32, mit Abb. 32-41) nennt. Ei­ni­ge sei­ner Mi­nia­tu­ren hier er­gän­zen auf ein­drucks­vol­le Wei­se, was man be­ reits von ihm weiß, das gilt vor al­lem für die bei­den letz­ten Bil­der, die fast die un­er­hör­te Qua­li­tät von Nr. 20 in un­se­rem Ka­ta­log Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter, Neue Fol­ge IV er­rei­chen. Die­ser künst­le­ri­schen Wucht kann der an­de­re Ma­ler nicht viel ent­ge­gen­set­zen: Sei­ne Mi­nia­tu­ren ver­tre­ten eine Ma­nier, die um die Mit­te des 15. Jahr­hun­derts für die Pa­ri­ ser Kunst cha­rak­te­ri­stisch ist. Ähn­lich blei­che In­ka­rn­ate kennt man vom Du­nois-Mei­ ster eben­so wie vom Mei­ster des Jean Rolin, mit dem die­ser eng­ste Nach­fol­ger des Bed­ ford-Mei­sters zu­wei­len zu­sam­men­ge­ar­bei­tet hat. Doch bei­de Ma­ler kom­men für un­ser Buch nicht in Fra­ge. Eher ha­ben wir es mit ei­ner Va­ri­an­te je­nes Stil zu tun, der 1991 an­ge­sichts von ver­mut­ lich Pa­ri­ser Er­gän­zun­gen im Stun­den­buch der Marguerite d’Orlé­ans iden­ti­fi­ziert wur­ de (Kö­nig 1991, S. 49-53): Haupt­werk des Ma­lers ist ein Livre des Pro­priétés des choses, das 1447 von ei­nem Schrei­ber Es­tienne Sau­de­rat aus Au­xerre ko­piert wur­de (Ami­ens, Bibl. mun., ms. 399: Kö­nig 1991, Abb. 1). Auf­trag­ge­ber war ein Jean de Chalon aus der Fa­mi­lie, die 1370 die Graf­schaft Au­xerre an die fran­zö­si­sche Kro­ne ver­kauft hat­te. Der Mei­ster des Étienne Sau­de­rat war of­fen­bar für die ge­sam­te Ge­stal­tung des Ma­nu­ skripts ver­ant­wort­lich; ge­nau be­se­hen stammt auch die Ge­stalt der Be­te­rin auf fol. 174v von sei­ner Hand. Als in Pa­ris um 1450 an­ge­se­he­ner Künst­ler wird er es ge­we­sen sein, der den Mei­ster des Olivier de Co­ëtivy ge­won­nen hat, die schön­sten Mi­nia­tu­ren ein­zu­ma­len. Ein ent­schei­den­der Mo­ment in der Ge­schich­te der Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei könn­te da­mit in die­sem Ma­nu­skript an­schau­lich vor Au­gen tre­ten: Die Haupt­stadt zog Künst­ler aus dem Nor­den an, die zu­wei­len den alt­an­säs­si­gen Buch­ma­lern deut­lich über­le­gen wa­ren; sie bot den Frem­den Be­tä­ti­gung und wur­de zu­gleich da­durch künst­le­risch be­rei­chert. Die Mi­nia­tu­ren des Sau­de­rat-Mei­sters er­kennt man am be­sten am Ko­lo­rit: Er ver­fügt of­fen­bar nicht über das mei­ster­li­che Blau, das die Him­mel über Heim­su­chung, Weih­ nacht und Flucht so er­staun­lich leuch­ten läßt. Ent­we­der ver­läßt sich der Sau­de­rat-Ma­ ler auf ei­nen ähn­lich stark­far­bi­gen ein­heit­li­chen blau­en Fond hin­ter der Ma­rien­krö­nung oder hellt in den Rand­bil­dern zu Jo­han­nes, bei Da­vid und der Kreu­zi­gung den Him­mel so auf, wie das in Pa­ris üb­lich war. Viel­leicht mar­kiert un­ser Stun­den­buch den Mo­ment, in dem der auch als Ta­fel­ma­ler und Ent­wer­fer von Glas­ma­le­rei her­vor­ge­tre­te­ne Co­ëtivy-Mei­ster in Pa­ris an­kommt und zu­nächst bei Ein­hei­mi­schen mit­ar­bei­tet. Des­halb wüß­te man gern, wel­cher der bei­den Künst­ler die heu­te ver­lo­re­ne Ver­kün­di­gung ge­schaf­fen hat!

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Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch, das durch die Vor­lie­be für Her­me­li­ne in den Bild­bor­dü­ ren ei­nen bre­to­ni­schen Be­zug ha­ben dürf­te. In der Ge­schich­te der Pa­ri­ser Buch­ma­ le­rei re­prä­sen­tiert es viel­leicht ei­nen hi­sto­risch au­ßer­or­dent­lich wich­ti­gen Mo­ment: Vom Schrift­de­kor und den Bor­dü­ren her nicht viel spä­ter als um 1450 zu da­tie­ren, er­weist sich das Ma­nu­skript in Text, Rand­schmuck und Bil­dern als ein cha­rak­te­ri­ sti­sches, in Tei­len auch un­ge­wöhn­li­ches Pa­ri­ser Stun­den­buch. An­ge­legt von ei­nem so­li­den Ma­ler aus dem Um­feld des Du­nois-Mei­sters, den man erst 1991 als den Mei­ ster des Étienne Sau­de­rat de­fi­niert hat, brilliert das Werk durch un­er­hört schö­ne und le­ben­di­ge Mi­nia­tu­ren ei­nes Künst­lers, der Ta­fel­bil­der, Glas­fen­ster und Buch­ ma­le­rei­en ge­stal­tet hat. Die­ser Co­ëtivy-Mei­ster, der si­cher aus dem Nor­den in die Haupt­stadt ge­kom­men ist, ver­füg­te of­fen­bar in der Ent­ste­hungs­zeit noch nicht über eine ei­ge­ne Werk­statt; um so be­mer­kens­wer­ter ver­blüfft er hier durch sei­ne Mi­nia­tu­ ren, die Bild­ge­dan­ken for­mu­lie­ren, wie sie in den 1460er Jah­ren in Brügge und Gent auf­ge­grif­fen wer­den soll­ten und bis ins 16. Jahr­hun­dert le­ben­dig blie­ben. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist un­ver­öf­fent­licht.

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20 Ein un­be­kann­tes Mei­ster­werk vom Co­ëtivy-Mei­ster


20 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, in schwar­zer Tex­ tura. Pa­ris, um 1455/60: Mei­ster des Olivier de Co­ëtivy: Hen­ry de Vulcop? Acht Bil­der: sie­ben gro­ße Mi­nia­tu­ren über vier Zei­len Text mit vier­sei­ti­gen Bor­dü­ren aus blau-gol­de­nem Akanthus und sti­li­sier­ten Blü­ten und Früch­ten, ein klei­nes ova­les Bild­chen ohne be­glei­ten­den De­kor im obe­ren Rand; zahl­rei­che drei­sei­ti­ge Bor­dü­ren der­sel­ben Art auf den An­fangs­sei­ten der Ma­rien­stun­den, ca. 200 brei­te Bor­dü­ren die­ser Art auf al­len Text­sei­ten mit zweiz­ei­li­gen Dorn­blatt­in­itia­len; zwei- bis vierz­ei­li­ge Dorn­blatt-In­itia­len in Blau oder Rot mit wei­ßem Li­ni­en­de­kor auf Gold­grund. Ein­zei­li­ge In­itia­len in Blatt­gold auf far­bi­gen Grün­den mit Dorn­blatt­de­kor, Zei­len­fül­ler der glei­chen Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 164 Blatt Per­ga­ment, in mo­der­ner Foli­ie­rung von 2-165; zwei Per­ga­ment­vor­sät­ze vorn und hin­ten. Ge­bun­den vor­wie­gend in La­gen zu acht Blatt, die ge­naue Kol­la­ti­on läßt sich auf­grund der en­gen Bin­dung nicht be­stim­men. Kei­ne Reklam­an­ten. Zu 15 Zei­len, im Ka­len­der zu 17 Zei­len. Rot reg­liert. Ok­tav (181 x 127 mm; Text­spie­gel 95 x 59 mm). Ro­ter Ma­ro­quin­band des 18. Jahr­hun­derts auf fünf ech­te Bünde, Rücken­kompartim­en­te reich ver­gol­det und mit dem Mo­no­gramm IHS bzw. MA (ge­krönt); Deckel in „Du Seuil“-Ver­gol­ dung mit dop­pel­tem Ka­sten­rah­men aus je drei Gold­fileten, vorn im Dor­nen­kranz „IHS “, hin­ten, ge­krönt „MA“; Steh- und In­nen­kan­ten­ver­gol­dung, al­ter, in Gir­lan­den­form ge­punz­ter Gold­schnitt. Kei­ne Hin­wei­se zur Pro­ve­ni­enz. Text fol. 2: Ka­len­der mit vor­aus­ge­hen­den An­ga­ben in fran­zö­si­scher Spra­che zu den be­weg­li­ chen Fe­sten: Que­res prime lune apres les non­nes du jan­vier (fol. 2), mit ei­ner kur­zen Re­ ka­pi­tu­la­ti­on in La­tei­nisch, in Schwarz und Rot; die zwölf Mo­na­te von fol. 4 an: in fran­zö­ si­scher Spra­che, je­der Tag be­setzt, Gol­de­ne Zahl und Fe­ste in Rot; Sonn­tags­buch­sta­ben b-g und ein­fa­che Tage in Braun, Sonn­tags­buch­sta­ben A als Flä­chen-In­itia­len in Gold auf Rot und Blau, rö­mi­sche Ta­ges­zäh­lung ab­wech­selnd rot und braun. fol. 16: Per­ik­open: Jo­han­nes (fol. 16), Lu­kas, Mat­thä­us und Mar­kus. fol. 21: Ma­rien­ge­bet: Ob­secro te (fol. 21); fol. 28v leer. fol. 29: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris: Matutin (fol. 29), Lau­des (fol. 39v), Prim (fol. 50), Terz, Sext, Non, Ves­p er, Komplet; fol. 79v leer. fol. 80: Buß­psal­men mit Li­ta­nei. fol. 97v: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 97v) und Horen von Hei­lig Geist (fol. 101v).

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fol. 105: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris. fol. 149: Ge­be­te in fran­zö­si­scher Spra­che: Quinze joies (fol. 149); Sept requ­estes de nostre Sei­gneur (fol. 155). fol. 165: Texten­de. Schrift und Schrift­de­kor Die ge­wähl­te Schrift, eine sorg­fäl­ti­ge Tex­tura in hel­ler Tin­te mit hell­ro­ten Ru­bri­ken, ver­ rät eine kon­ser­va­ti­ve Ten­denz, zu der auch der recht spar­sa­me Bild­schmuck paßt. Die ein­zei­li­gen In­itia­len sind wie in vie­len Pa­ri­ser Hand­schrif­ten um die Mit­te des 15. Jahr­ hun­derts eben­so wie die Zei­len­fül­ler in Flä­chen­de­kor ge­hal­ten. Daß zweiz­ei­li­ge Buch­ sta­ben dann in den Dorn­blatt­de­kor wech­seln, ge­hört zum Brauch; doch ver­wun­dert durch­aus, daß ih­nen Bor­dü­ren­strei­fen au­ßen zu­ge­ord­net wer­den. Hö­her be­wer­tet sind dann ei­ni­ge In­cipits: der An­fang des Jo­han­nes-Evan­ge­li­ums auf fol. 15, aber nicht die üb­ri­gen Per­ik­open, und das Ma­rien­ge­bet Ob­secro te. Sie er­hal­ten zur drei bzw. vierz­ei­li­gen Dorn­blatt-In­itia­le Ran­ken­klam­mern, die sich von au­ßen um den Text­spie­gel le­gen, wäh­rend die Ma­rien­stun­den von Lau­des bis Komplet zu den vieroder fünfz­ei­li­gen Zier­buch­sta­ben mit brei­te­ren Bor­dü­ren ver­se­hen sind, die auf Ver­so auf drei Rand­strei­fen von links be­schränkt sind, auf Recto aber zu vier­sei­ti­gen Voll­bor­ dü­ren wer­den. Alle Text­bor­dü­ren, von den ein­fa­chen Strei­fen au­ßen zu den Voll­bor­dü­ren bei­spiels­wei­ se auf fol. 50 be­ste­hen aus sti­li­sier­tem Blatt­werk in Buch­ma­ler­far­ben, aus Blau, Blau­grau und Gold zu­sam­men­ge­füg­tem Akanthus, Blu­men- und Frucht­zwei­gen mit grü­nem und in dün­nem Mu­schel­gold ge­färb­tem Laub. Dorn­blatt ist zu ei­nem Rest­mu­ster ge­wor­den, das sich mit kur­zen Tin­ten­li­ni­en und win­zi­gen gol­de­nen Blätt­chen ge­ra­de noch hal­ten kann. Die Flä­chen sind mit ro­ten Rand­li­ni­en ab­ge­grenzt, je­doch nur an den lan­gen Sei­ ten in­nen und au­ßen, wäh­rend die schma­len En­den, so bei den Text­bor­dü­ren, kon­tur­ los blei­ben. Bei den Text­bor­dü­ren sind die Zier­lei­sten ver­schwun­den; wie brei­te Tep­pi­che le­gen sich die Bor­dü­ren um Schrift- und Bild­feld. Bo­den­strei­fen deh­nen sich fast über die gan­ze Brei­te; doch an kei­ner Stel­le sind sie von Tie­ren oder Vö­geln be­setzt. So bleibt denn der gan­ze Rand­schmuck un­be­lebt. Der Schritt zu Kom­par­ti­ment­bil­dung wird noch nicht voll­zo­gen. Die Bild­fol­ge fol. 2: Im obe­ren Rand ein kaum drei Text­zei­len ho­hes, mit ro­tem Band um­ge­be­nes Bild der Pi­età: Vor Gold­grund das Kreuz, da­vor Ma­ria sit­zend mit dem to­ten Chri­stus auf dem Schoß. fol. 29: In die Pa­ri­ser Buch­ma­le­rei bringt der Ma­ler un­se­res Stun­den­buchs ei­nen neu­ en Sinn für In­te­rieurs, wie das Bild zur Ver­kün­di­gung zur Mari­en-Matutin an­schau­lich

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zeigt: Die Be­geg­nung der Jung­frau mit dem Erz­en­gel Ga­bri­el fin­det in ei­nem mit Holz­ ton­ne ge­wölb­ten Palas­traum statt, der nach rechts zu ei­ner bild­par­al­le­len Wand fluch­ tet; un­ter de­ren gro­ßem recht­ecki­gen Fen­ster steht eine mit grü­nem Stoff be­spann­te Bank. Auch die lin­ke Wand ist mit ei­nem et­was klei­ne­ren Fen­ster ge­öff­net; nä­her zum Be­trach­ter aber hebt ein Bal­da­chin den Platz her­vor, an dem die Jung­frau zum Ge­bet kniet. Wie in Rogier van der Wey­dens be­rühm­ter Lu­kas-Ma­don­na, von der meh­re­re Ex­em­pla­re er­hal­ten sind (als Ori­gi­nal gilt das Bild im Mu­se­um of Fine Arts in Bo­ston), hal­ten Schnü­re das Tuch. Mit ei­nem gro­ßen Buch in den Hän­den kniet Ma­ria vor ih­rem höl­zer­nen Bet­pult, auf dem eine ge­lösch­te Ker­ze steht. Von rechts ist Ga­bri­el ein­ge­tre­ ten und nie­der­ge­kniet. Ohne Schrift­band und Zep­ter er­läu­tert er mit ei­ner spre­chen­ den Ge­ste sei­ner Hän­de, was es mit der win­zi­gen Tau­be auf sich hat, die sich in dün­nen Gold­strah­len zu Ma­ria nie­der­senkt. Die Jung­frau ist ganz in ein wun­der­bar kraft­vol­les Blau ge­klei­det, das auf den En­gels­flü­geln wie­der­kehrt, die in­nen gol­den sind. Das Rosa des Bro­kats, mit dem der Bal­da­chin in­nen aus­ge­schla­gen ist, und das zar­te Grün von des­sen Au­ßen­sei­te, das auch auf der Bank wie­der­kehrt, schmücken die Dal­ma­tika, die Ga­bri­el über sei­ner Albe trägt. Ein­drucks­voll sind die fei­nen Schlag­schat­ten am Bo­den, ins­be­son­de­re beim Bet­pult. fol. 80: Mei­ster­schaft in der Dar­stel­lung von Au­ßen­ar­chi­tek­tur ver­rät das Bild von Da­ vid als Bü­ßer zu den Buß­psal­men: Wie­der ge­gen die Le­se­rich­tung kniet der Kö­nig nach links ge­wandt; mit dem leuch­tend blau­en Kron­hut in den Hän­den schaut er auf zum En­ gel, der das feu­ri­ge Schwert von Got­tes Zorn an der Schnei­de faßt. Da­vid ist zur Buße durch ein of­fe­nes Tor auf eine Wie­se ins Freie ge­tre­ten. Hin­ter der bild­par­al­le­len Mau­er, an der sei­ne gro­ße Har­fe lehnt und ei­nen schö­nen Schlag­schat­ten wirft, rich­tet sich die Per­spek­ti­ve der kö­nig­li­chen Was­ser­burg nach links: Es wirkt, als sei Da­vid aus dem gro­ ßen ka­pel­len­ar­tig auf­ra­gen­den Bau ge­kom­men; der of­fen­bar vor der Be­fe­sti­gungs­an­la­ge steht. In der Bild­tie­fe schrei­tet hin­ge­gen ein Mann mit sei­nem Hund über eine Brücke in ein Burg­tor. Stein­far­be, Grün und das zar­te Grau­blau des Him­mels prä­gen den Ein­ druck des Bil­des; da­vor ste­hen Rosa und Blau in Da­vids Ge­wan­dung; sie wer­den in Dä­ chern und Turm­spit­zen va­ri­iert. fol. 97v: Bei der Kreu­zi­gung zur Matutin der Hei­lig-Kreuz-Horen spannt sich der Quer­ bal­ken so, daß er vom Bo­gen­ab­schluß der Mi­nia­tur ab­ge­schnit­ten wird. Groß und ein­ drucks­voll be­herrscht der blei­che Leib des Er­lö­sers den Ein­druck. Ihn flan­kiert Blau, Ma­ri­as Ge­wan­dung und das Wams des Zen­tu­rio, der mit gro­ßer Ge­ste Chri­sti Got­tes­ sohn­schaft be­zeugt. Am Fuße des Kreu­zes kniet Mag­da­le­na in hel­lem Rosa und Grün. Schau­platz ist eine Sen­ke, von der eine Stra­ße auf­steigt zu ei­ner Stadt, die von ei­ner gro­ ßen go­ti­schen Kir­che be­herrscht wird. fol.101v: Von den flan­kie­ren­den Fen­stern her als pro­fa­ner Bau cha­rak­te­ri­siert ist der Saal, in dem das Pfingst­wun­der zur Matutin der Hei­lig-Geist-Horen ge­schieht: Ein ro­ sa­far­be­ner Bal­da­chin nimmt in der Bild­mit­te den größ­ten Raum ein. Auf ihm thront Ma­ria un­ter der Tau­be und liest in ei­nem Buch. Wäh­rend sie of­fen­bar als be­reits ganz vom Hei­li­gen Geist er­grif­fen ver­stan­den wird, sen­ken sich Flam­men auf die Apo­stel, die

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sich mit dem ju­gend­li­chen Jo­han­nes links und dem ton­sur­ierten Pe­trus rechts vorn um die Got­tes­mut­ter ver­sam­melt ha­ben. Ma­ria ist hier also schon Ver­kör­pe­rung der Kir­ che; der Raum, in dem das Wun­der spielt, aber ist noch nicht sa­kral. fol. 105: Licht im Raum ist eine Stär­ke des Ma­lers; doch die per­spek­ti­vi­sche Kon­struk­ ti­on be­herrscht er nicht si­cher; das zeigt sich bei der Fei­er des To­ ten­ of ­fi­ zi­ ums in ei­nem wei­ten Kir­chen­chor, der sich wie ein brei­ter Trich­ter öff­net. Der Blick über ei­nen links vorn wie ein Repoussoir wir­ken­den Ple­urant hin­weg wen­det sich nach links, also er­neut ge­gen die Le­se­rich­tung. Dort steht der Al­tar mit dem Ta­ber­na­kel un­ter ei­nem run­den Ziborium. Schräg da­vor, wie man vor al­lem an dem Flie­sen­bo­den se­hen kann, ist der Ka­ta­falk ge­stellt, mit nur zwei Ker­zen links und ei­nem ho­hen Kreuz am Kopf­en­de. Auf der Ge­gen­sei­te bringt bild­par­al­lel ein­ge­rich­te­tes Chor­ge­stühl mit drei wei­te­ren Pleurants et­was Ruhe in die Kom­po­si­ti­on; die wird aber gleich wie­der ge­stört durch ein Sei­ten­ por­tal links, durch das welt­li­che Be­ter ein­tre­ten. Der­weil ha­ben Prie­ster rechts den Ge­ sang des To­ten­of ­fi­zi­ums an­ge­stimmt; auch sie wol­len in ih­ren viel zu kur­zen Pro­por­tio­ nen mit den schwe­ren Köp­fen nicht so recht in die an­spruchs­voll kon­zi­pier­te, aber nicht ganz ge­lun­ge­ne Kom­po­si­ti­on pas­sen. Ge­ni­al aber wir­ken die Far­ben: Das Stein­grau do­ mi­niert; das Schwarz der Pleurants und der in Gold­bro­kat ge­ge­be­nen Chor­män­tel der Sän­ger kommt hin­zu. Doch erst durch Blau wird eine groß­ar­ti­ge Wir­kung er­zeugt: Es be­stimmt die Bro­ka­te, die den Ka­ta­falk be­decken, als An­te­pen­di­um des Al­tars die­nen und hin­ter dem Chor­ge­stühl ge­spannt sind. Alt­ro­sa ant­wor­tet die­ser Haupt­far­be nur zag­haft im Ziborium, dem Ge­wand des er­sten Be­ters, der ge­ra­de in den Chor tritt und den Kap­pen der Sän­ger. fol. 149: In ei­nem ähn­li­chen Raum wie die Aus­gießung des Hei­li­gen Gei­stes, nur mit klei­ ne­rem Aus­schnitt, der den et­was brei­ter ge­stal­te­ten und mit Wan­gen ver­se­he­nen Thron nä­her her­an­rückt, sitzt Ma­ria mit Kind zu den Fünf­zehn Freu­den: Die Jung­frau reicht dem Kna­ben die Brust und be­weist da­mit, daß sie wahr­haft Mut­ter ist. Der Thron­bal­ da­chin ist wie­der mit Fä­den an der Holz­ton­ne be­fe­stigt. En­gel in wei­ßen Tu­ni­ken flan­ kie­ren ihn und zie­hen die Vor­hän­ge zu­rück. Auch wenn die mit Aus­nah­me des Blaus zar­ten Far­ben, Rosa, Hell­grün und der Gold­schim­mer auf dem Holz nicht recht dazu pas­sen, läßt die­se Mi­nia­tur an die vie­len Ma­don­nen­bil­der von Hans Memling den­ken, fol. 155: Ein Bild der Tri­ni­tät er­öff­net die Sie­ben Kla­gen des Herrn: Von En­gels­chö­ ren der Che­rub­im in zar­tem Blau und der Se­ra­phim fast in Oran­ge um­ge­ben, er­scheint eine hel­le Man­dorla; dar­in thro­nen Sohn und Va­ter mit der Tau­be, in ei­nen ge­mein­sa­ men ro­sa­far­be­nen Man­tel ge­hüllt. Die Kom­po­si­ti­on geht auf Bil­der zu Psalm 109 (Dixit domi­nus do­mi­no meo) zu­rück, wie sie im Lon­do­ner Bed­ford-Stun­den­buch um 1415 und im Stun­den­buch der Marguerite d’Orlé­ans um 1430 vor­ge­prägt sind (Lon­don, BL , Add. Ms. 18850, fol. 113v, und Pa­ris, BnF, lat. 1156B, fol. 163: Kö­nig 1991 und Kö­nig mit Sei­del 2013, S. 108-109).

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Zum Stil Phy­sio­gno­mi­en von Frau­en und Män­nern las­sen je­nen aus­ge­zeich­ne­ten Ma­ler und Buch­ ma­ler er­ken­nen, der im drit­ten Vier­tel des 15. Jahr­hun­derts in Pa­ris ge­ar­bei­tet hat und den man nach dem zwi­schen 1450 und 1473 ent­stan­de­nen Stun­den­buch des Olivier de Co­ ëtivy und der Marguerite de Valo­is in Wien (ÖNB , Cod. 1929: Pächt und Thoss I, 1974, S. 29-32, mit Abb. 32-41) nennt. Mi­nia­tu­ren glei­chen In­halts dort bie­ten Va­ri­an­ten der­ sel­ben Bild­vor­stel­lun­gen, die in un­se­rem Ma­nu­skript aus­ge­führt sind. Eine ge­wis­se Ver­ spielt­heit ver­bin­det bei­de Wer­ke. Als ein Mei­ster glei­cher­ma­ßen des In­te­rieurs wie der Land­schaft er­weist sich der Künst­ ler. Die Be­schrän­kung auf nur we­ni­ge Mi­nia­tu­ren hat ihn viel­leicht dazu in­spi­riert, den De­tails grö­ße­re Auf­merk­sam­keit zu schen­ken. Die un­ge­mein fei­ne stri­cheln­de, oft punk­ ten­de Mal­wei­se zeich­net sei­ne Kunst hier eben­so aus wie das sehr zu­rück­hal­ten­de und vor­neh­me Ko­lo­rit. Be­son­ders fällt der Sinn für sacht aus­ge­führ­te Schlag­schat­ten auf. Die Dis­kus­si­on um den Na­men des Ma­lers be­wegt die Li­te­ra­tur nun schon seit ei­nem Jahr­hun­dert. Von Ent­wür­fen für Tro­ja-Tep­pi­che (vor­wie­gend im Lou­vre) aus­ge­hend hat sich Ni­cole Reynaud 1973 da­für aus­ge­spro­chen, es han­de­le sich um ei­nen der Brü­der Vulcop. In ih­rer Aus­ein­an­der­set­zung mit ei­nem Ta­fel­bild der Auf­er­weckung des La­za­ rus (eben­falls im Lou­vre) hat sie dann aber, was in ih­rem Werk sonst kaum ein­mal pas­ siert ist, ihre Mei­nung ge­än­dert. Ih­rem Vor­schlag, ihn in ei­ner über drei Ge­ne­ra­tio­nen in Pa­ris tä­ti­ge Fa­mi­lie aus Ie­pern und Ami­ens un­ter­zu­brin­gen und als Co­lin d’Ami­ens an­zu­spre­chen, ha­ben sich wei­te Krei­se an­ge­schlos­sen. Die­se The­se über­leb­te auch den Vor­schlag von Charles Ster­ling, der im zwei­ten Band sei­ner Ge­schich­te der Pa­ri­ser Ma­ le­rei 1990 zwei der do­ku­men­tier­ten Na­men kühn auf die Stil­fol­ge an­wen­de­te, die sich vom Jou­ve­nel-Mei­ster (sie­he hier Nr. 12) zum Mei­ster des Gen­fer Boccaccio er­gibt; der äl­te­re die­ser bei­den wäre dem­nach An­dré d’Ypres, der jün­ge­re hin­ge­gen Co­lin d’Ami­ens. Da­mit hat sich Ster­ling nicht durch­set­zen könn­ten, weil nie­mand sonst die­se bei­den Stil­ va­ri­an­ten in Pa­ris an­ge­sie­delt sieht; und des­halb schien der Fall mit der be­rühm­ten Pa­ri­ ser Aus­stel­lung von 1993 ge­löst. In­zwi­schen ist man aber von ver­schie­de­ner Sei­te so­zu­ sa­gen auf die zwei­te Hälf­te der Geschichts­kon­struk­ti­on zu­rück­ge­kom­men, die Ster­ling um­ris­sen hat­te: Mit an­de­ren Grenz­zie­hun­gen zwi­schen den ein­zel­nen Per­so­nal­sti­len griff Ster­ling ein Brü­der­paar auf, Con­rad und Hen­ry de Vulcop, die sich sei­ner Mei­nung nach hin­ter dem et­was äl­te­ren Stil des Dreux Budé und dem un­se­res Co­ëtivy-Mei­sters ver­ber­gen. Ein grund­le­gen­der Bei­trag zu un­se­rem schon ge­nann­ten Ka­ta­log Neue Fol­ge IV schließt sich der Über­zeu­gung an, man dür­fe im Co­ëtivy-Mei­ster Hen­ry de Vulcop se­hen. Wei­te­re For­schun­gen von Car­men Decu Teodorescu wer­den die­se Li­nie wei­ter ver­fol­gen. Auch wenn die Be­bil­de­rung auf ein in Pa­ris sel­te­nes Min­dest­maß be­schränkt ist, brilliert die­ses voll­stän­dig er­hal­te­ne Stun­den­buch durch die Kunst des Ma­lers, den man als Co­ëtivy-Mei­ster kennt und für des­sen Iden­ti­fi­zie­rung wi­der­sprüch­li­che Vor­

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schlä­ge im Raum ste­hen. Die Mi­nia­tu­ren va­ri­ie­ren auf in­tel­li­gen­te Wei­se das, was man im frag­men­ta­risch er­hal­te­nen und wohl etwa zur glei­chen Zeit ge­schaf­fe­nen Wie­ner Ma­nu­skript fin­det. Auch hier er­staunt der Sinn für Licht und Raum­dar­stel­ lung trotz der Schwä­chen in der per­spek­ti­vi­schen Kon­struk­ti­on. Ver­wandt­schaft zu alt­nie­der­län­di­scher Ma­le­rei höch­ster Qua­li­tät prägt die Kom­po­si­tio­nen bis in ge­ wis­se De­tails; doch setzt sich das zar­te Ko­lo­rit ent­schie­den von der Bunt­heit ab, die von Rogier van der Wey­den bis zu Hans Memling die gro­ße Ta­fel­ma­le­rei in Brüs­sel und Brügge prägt. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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21 Edou­ard Rahirs ein­zi­ges Stun­den­buch: Ein Werk des Co­ëtivyMei­sters aus Pa­ris für den Ge­brauch von Ren­nes


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21 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Ren­nes, mit ei­nem Pa­ri­ser Ka­len­der. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Gold oder Blau, mit ei­nem Ka­len­der in Blau und Rot, Fe­ste in Gold, in Bast­arda. Pa­ris, um 1460: Co­ëtivy-Mei­ster: Hen­ry de Vulcop? 23 gro­ße Mi­nia­tu­ren mit fla­chem Rund­bo­gen­ab­schluß über drei oder vier Zei­len Text mit ent­spre­chend be­mes­se­nen Dorn­blatt-In­itia­len in Dop­pel­stab-Gold­rah­men, an drei Sei­ten ge­rahmt von Dorn­blatt­lei­sten; Bor­dü­ren mit vor­wie­gend blau-gol­de­nem Akanthus und Blu­men, von fei­nen gol­de­nen Li­ni­en nach au­ßen be­grenzt: die wich­ti­ge­ren In­cipits mit Kompartim­en­ten von Gold- und Per­ga­ment­grund; bei den Ma­rien­stun­den von Lau­des bis Komplet und den Suff­ragien­bil­dern nur Per­ga­ment­grund mit klei­nem Bo­den­strei­fen un­ten, von je drei Vö­geln be­lebt. Der Ka­len­der bild­los, aber mit Voll­bor­dü­ren der­sel­ben Art, zum Text­spie­gel mit drei­sei­ti­gen Dop­pel­stä­ben be­grenzt. Alle Text­sei­ten mit Bor­ dü­ren­strei­fen au­ßen. Zweiz­ei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­an­fän­gen in Dorn­blatt; ein­zei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen am Zei­len­be­ginn, Zei­ len­fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 238 Blatt Per­ga­ment, dazu je zwei flie­gen­de Vor­sät­ze vorn und hin­ten. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die bei­den Kalend­erlagen 1-2 (6) so­wie die La­gen 11 (6), 14 (6), 15 (10), 17 (6), die um ein End­blatt er­gänz­te Lage 18 (8+1) und schließ­lich die Lage 22 (10) und die End­la­ge 31 (4). Re­gel­mä­ßig Reklam­an­ten in der­sel­ben Schrift wie der Text. Ok­tav (168 x 122 mm) Text­spie­gel: 87 x 60 mm). Rot reg­liert zu 15, im Ka­len­der zu 16 Zei­len. Im 17. Jahr­hun­dert wur­de ge­mu­ster­ter ro­ter Samt über die ori­gi­na­len Holz­deckel ge­zo­gen; aus die­ser Zeit das Mar­mor­pa­pier in den Vor­sät­zen so­wie der Be­zug mit ro­ter Sei­de. Zwei Schlie­ ßen ver­lo­ren. In ei­nem Halb­ma­ro­quin-Schu­ber. Pro­ve­ni­enz: Voll­stän­dig und vor­züg­lich er­hal­ten; doch wur­den of­f en­bar die Wap­pen in den In­itia­len von fol. 25, 36v, 64v und 69 be­reits im 15. Jahr­hun­dert aus­ge­kratzt und über­malt; des­halb kei­ne les­ba­ren Hin­wei­se auf die Be­stel­ler. Es wird sich wie bei Olivier de Co­ëtivy, der dem an­ony­men Ma­ler sei­nen Na­men ge­ge­ben hat, um Bre­to­nen in Pa­ris ge­han­delt ha­ben, die ih­ren hei­mat­li­chen Ge­brauch be­wah­ren woll­ten, da­bei aber kei­ne spe­zi­el­len Wün­sche zum Ka­ len­der hat­ten; bre­to­nisch sind ei­ni­ge un­ge­wohn­te Hei­li­gen in den Suff­ragien so Her­vé und der in mo­der­ner Schrift mit Stift als „St. Meen“ auf fol. 203 cha­rak­te­ri­sier­te Menn­anus. Pa­ris, Auk­ti­on Pri­vat­samm­lung Edou­ard Rahir V, 19.-21.5. 1937, no. 1372; Lyon, Lar­ danchet, cat. 43, 1939, no. 1253; Sot­heby’s Lon­don, 2.12. 1986, lot 58; da­nach Pri­vat­samm­ lung USA . Text fol. 1: Ka­len­der fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes (fol. 13), Lu­kas, Mat­thä­us und Mar­kus.

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fol. 20: Ma­rien­ge­bet Ob­secro te; fol. 24v leer. fol. 25: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Ren­nes: Matutin (fol. 25), Lau­des (fol. 36v), Prim (fol. 48), Terz (fol. 55), Sext (fol. 60), Non (fol. 64v), Ves­p er (fol. 69), Komplet (fol. 76v). fol. 83: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 83), Horen von Hei­lig Geist (fol. 91), Mon­tags­ho­ ren der To­ten (fol. 98). fol. 106: Buß­psal­men, je­der mit ei­ner Text­se­quenz, die sich auf die Sie­ben Tod­sün­den be­zieht und da­mit ei­nen Be­zug zu den we­ni­gen Stun­den­bü­chern her­stellt, in de­nen die­ se Deu­tung der Buß­psal­men bild­lich be­tont wird (so zum Du­nois-Stun­den­buch, Lon­don, BL , H. Y. Thompson Ms. 3), mit Li­ta­nei (fol. 130). fol. 137: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, wohl für den Ge­brauch von Ren­nes (Ot­to­sen 1993, S. 162, B735, S. 311). fol. 190: Suff­ragien: Tri­ni­tät, Kreuz, Frie­den, Jung­frau Ma­ria, Jo­han­nes Evan­ge­list, Eutropius, Clau­di­us, Maturinus, Adri­an, Huervius (Her­vé), Ag­ripp­anus, er­neut das Kreuz (nun mit der Bit­te um Schutz durch die Na­men Got­tes und die Kreu­zes­zei­chen für ei­ nen Be­ter, der be­zeich­net ist als N. porta­tor huius car­te), Jo­han­nes der Täu­fer, Mi­cha­el, Ni­ko­laus, Ani­anus, Menn­anus, Se­ba­sti­an, Ka­tha­ri­na, Apol­lo­nia, Ma­ria mit ih­ren Fest­ ta­gen, Anna, Ma­ria Mag­da­le­na, An­dre­as, Pe­ter und Paul, Mar­tin, Chri­stoph­orus, Ju­li­ an, Vincentius, Steph­anus, Lau­ren­ti­us, An­to­ni­us Ab­bas, Fi­acrius, Fran­zis­kus, Eligius, Mau­rus, Alle Hei­li­gen. fol. 222v: Jo­han­nes­p as­si­on. fol. 224v: Ge­be­te: dar­un­ter die Ver­se des Hei­li­gen Bern­hard (fol. 229v); Bedas Ge­bet mit den Sie­ben Wor­ten Chri­sti am Kreuz (fol. 231v); Meß­ge­be­te (fol. 233v). Schrift und Schrift­de­kor Die­ses Ma­nu­skript ist in ei­ner ele­gan­ten Bast­arda ge­schrie­ben; von be­son­de­rem Auf­ wand zeu­gen die Ru­bri­ken, die nicht nur im oh­ne­hin schon un­ge­wöhn­li­chen Blau, son­ dern auch in Gold ge­schrie­ben sind. Für die be­son­de­re Sorg­falt zeugt die Art, wie die Schrift­grö­ße für die An­ti­phonen sehr deut­lich re­du­ziert ist. Der fort­schritt­li­chen Schrift wi­der­spricht in ge­wis­ser Wei­se der Um­stand, daß die Hier­ar­chie der ein­fa­chen In­itia­ len äl­te­rem Pa­ri­ser Brauch folgt: Flä­chen­de­kor dient für ein­zei­li­ge Zier­buch­sta­ben und zu­ge­hö­ri­ge Zei­len­fül­ler, Dorn­blatt­de­kor für alle grö­ße­ren In­itia­len, die vor­züg­lich sind, so­weit sie nicht die ur­sprüng­li­che He­ral­dik ver­decken. Rand­schmuck ent­spricht der fort­schritt­li­che­ren Ten­denz: Dorn­blatt herrscht zwar bei den Text­bor­dü­ren vor; sie wer­den aber von groß­formigem blau-gol­de­nen Akanthus be­ herrscht, der die Mit­ten be­setzt. Zu­dem en­den die Rand­strei­fen in er­staun­li­cher Re­gel­ mä­ßig­keit mit Dorn­blatt, das sich um eine Blü­te oder Frucht win­det.

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Auf den Bild­sei­ten bleibt dem Dorn­blatt­de­kor eine wich­ti­ge Funk­ti­on; denn sie be­stim­ men die Zier­lei­sten; und das ge­schieht auf ei­gen­tüm­li­che Wei­se: Fast über­all wer­den die Lei­sten in glei­cher Brei­te auch zum Falz hin aus­ge­führt, was ih­nen ei­nen stär­ker de­ko­ ra­ti­ven, we­ni­ger funk­tio­na­len Cha­rak­ter gibt und vor­aus­weist auf ge­ra­de­zu ana­chro­ni­ sti­schen Ein­satz im 16. Jahr­hun­dert. Die Bild­bor­dü­ren hin­ge­gen sind fort­schritt­lich ori­en­tiert: Dorn­blatt ist auf ein Grund­ mu­ster re­du­ziert; durch­weg wer­den die Fel­der mit gol­de­nen Li­ni­en um­ge­ben. Zwei Klas­ sen sind zu un­ter­schei­den: Die ein­fa­che­ren In­cipits, das heißt au­ßer der Matutin alle Ma­ rien­stun­den, und die Suff­ragien er­hal­ten Rand­schmuck mit ei­nem Bo­den­strei­fen, auf dem ein Vo­gel sitzt; zwei wei­te­re Vö­gel kom­men als Be­le­bung der mit sti­li­sier­ten Blu­men und Akanthus ge­füll­ten Flä­chen vor. Hin­ge­gen wer­den Blu­men und Akanthus bei den Bor­dü­ren der an­de­ren be­bil­der­ten Text­an­fän­ge ge­schie­den: Vor Per­ga­ment­grund steht der Akanthus, weil des­sen gol­de­ne Par­ti­en auf Kompartim­en­ten, die schon in Gold­grund ge­hal­ten sind, nicht gut wir­ken. Kom­par­ti­ment­bor­dü­ren sind wohl ge­ra­de in der Ent­ste­hungs­zeit un­se­res Stun­den­buchs auf­ge­kom­men. Das gibt dem Ma­nu­skript eine hi­sto­risch be­mer­kens­wer­te Note. Die Bil­der fol. 13: Zu den Per­ik­open ist nur ein Bild ge­schal­tet, Jo­han­nes auf Patmos, und hier zeigt sich, wie ein­drucks­voll der Ma­ler aus we­ni­gen Ele­men­ten Land­schaft ge­stal­tet: Vorn ist das nied­ri­ge Fel­sen­ufer der In­sel von leb­haf­ten Mee­res­wel­len um­spült; in leich­ter Schrä­ ge er­hebt sich das Ei­land, von un­ter­schied­lich ho­hen Bäu­men be­setzt. Vor ih­nen sitzt der Evan­ge­list in sei­ner ro­sa­far­be­nen Tu­ni­ka und schreibt auf ein Schrift­band, das nach links aus­schwingt und dort vom Ad­ler ge­hal­ten wird. Er taucht hin­ter dem Bild­rand auf und neigt eben­so wie Jo­han­nes sei­nen nimbierten Kopf. Der obe­re Kon­tur der Flü­gel und der Hei­li­gen­schein des Evan­ge­li­sten bil­den mit dem Ho­ri­zont eine ein­drucks­vol­le Li­nie. fol. 20: Das Ob­secro te er­öff­net mit ei­nem Bild der Thro­nen­den Ma­don­na: Un­ter dem En­gels­gruß ave gracia ple­na, der auf den Bal­da­chin ge­schrie­ben ist und da­mit dem Be­trach­ter in den Mund ge­legt wird, zeigt sich die milch­spen­den­de Jung­frau. Ihr ro­ter Thron er­scheint vor ei­nem ganz und gar ir­re­al wir­ken­den vio­let­ten Grund. fol. 25: Ma­rien­of ­fi­zi­um mit dem üb­li­chen Zy­klus: Durch ei­nen kost­bar mit gol­de­nen Ster­nen ver­zier­ten Stein­bo­gen blickt man in den kah­ len Sa­kral­raum, in den Ga­bri­el durch eine ge­schlos­se­ne Tür links bei der Ver­kün­di­gung zur Matutin (fol. 25) ein­ge­tre­ten ist; nun kniet er in sei­ner Albe und dem mit glei­ßen­dem Gold er­leuch­te­ten ro­ten Chor­man­tel und brei­tet noch die ro­ten Flü­gel. Die Tau­be senkt sich auf gol­de­nen Strah­len her­ab zur Jung­frau Ma­ria, die de­mü­tig in ein Buch ver­tieft auf dem Flie­sen­bo­den sitzt. Wie in man­chen Ver­kün­di­gungs­bil­dern (sie­he Kö­nig 1996, S. 51-68) wer­den die Be­rei­che der Jung­frau und des En­gels in der Ar­chi­tek­tur­ku­lis­se ge­ schie­den; dazu dient hier ein Bün­del von Ge­wöl­be­vor­la­gen: zum En­gel ge­hört die Tür, zu Ma­ria die Per­spek­ti­ve auf die Kir­che.

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Vor der Ku­lis­se ei­ner hell ge­färb­ten Burg, de­ren rund ge­schlos­se­ne Bau­kör­per ty­pisch für den Ma­ler sind, und vor ei­nem Flecht­zaun, der an ein Kom­po­si­ti­ons­ele­ment im Sep­tem­ ber­bild von Berrys Très Riches Heu­res in Chan­tilly den­ken läßt, tref­fen bei der Heim­su­ chung zu den Lau­des (fol. 36v) Ma­ria, ganz in Blau, und Eli­sa­beth mit Rosa über Vio­lett, auf­ein­an­der. Wäh­rend die Jung­frau ihr Haupt senkt, prüft die äl­te­re, eben­falls sicht­bar schwan­ge­re Frau ge­ra­de­zu be­frem­det de­ren schwan­ge­ren Leib – nach der­sel­ben Bild­vor­ la­ge, die auch im Wie­ner Co­ëtivy-Stun­den­buch dien­te (ÖNB , Cod. 1929, fol. 24v). Un­ter nacht­blau­em Him­mel vor dem dunk­len Stall, in dem Ochs und Esel kau­ern, ist die Jung­frau Ma­ria bei der An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 48) nie­der­ge­kniet. Sie hat den nack­ten Kna­ben auf ein recht­ecki­ges Stück ih­res Man­tels ge­legt. Jo­seph ist von rechts hin­zu­ge­tre­ten, auf sei­nen Stock ge­stützt nie­der­ge­kniet und hat den Filz­hut ab­ge­ nom­men; ein Flecht­zaun grenzt die Sze­ne zum noch nacht­blau­en Him­mel ab. Die Schlicht­heit der Land­schaft und ein schlüs­si­ger Ein­satz der Far­ben sor­gen bei der Ver­kün­di­gung an die Hir­ten zur Terz (fol. 55) für über­zeu­gen­de Wir­kung: Links un­ten dreht sich der Hir­ten­hund, des­sen Fell das­sel­be Grau hat wie das Schuh­werk der Hir­ ten, um und schaut auf, wie ein Hir­te auf­recht ste­hend und zwei wei­te­re noch am Bo­den kau­ernd zum En­gel auf­blicken, der vor dem Him­mel die Bot­schaft glo­ria in ex­celsis deo et in ter(ra pax homi­ni­bus) ver­kün­det. Der nächt­lich blaue Grund, das Rosa des Ge­wan­ des und das Weiß des Spruch­ban­des keh­ren in der Ge­wan­dung der Hir­ten wie­der und sor­gen vor dem zar­ten Grün der Wei­de mit den Scha­fen, die in Grup­pen oder ein­zeln gra­sen und im Mit­tel­grund un­ter ei­nem Baum ge­schart sind, für ei­nen wun­der­ba­ren Ef­ fekt. Der Ma­ler setzt sich mit dem Phä­no­men des Ho­ri­zonts aus­ein­an­der, in­dem er den ste­hen­den Hir­ten mit dem Kopf vor den Him­mel ra­gen läßt. Vor dem­sel­ben Stall, den man zur Prim sah, spielt die An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 60); nur ist nun die ab­schlie­ßen­de Mau­er nied­ri­ger, und ein schräg zur Bild­mit­te ab­ fal­len­der Hü­gel wird sicht­bar: Vor Ma­ria mit dem auf ih­rem Schoß lie­gen­den und ein­ fach in den Him­mel schau­en­den nack­ten Kna­ben ist der äl­te­ste Kö­nig nie­der­ge­kniet. Sein Ge­schenk steht vorn am Bo­den, wäh­rend Jo­seph hin­ter der Jung­frau die Hän­de nach der Gabe aus­streckt, die der zwei­te Kö­nig auf ei­nem wei­ßen Tuch reicht. Ge­nau­so hält auch der jüng­ste Kö­nig sein Prä­sent, wäh­rend er zum Stern auf­schaut, der im Bo­ gen­schei­tel prangt. Sehr un­ge­wohnt ist bei der Dar­brin­gung zur Non (fol. 64v), daß der grei­se Simeon mit ei­nem Be­glei­ter zum Por­tal des Tem­pels ge­kom­men ist. Dort hat er das nack­te Kind auf ei­nem Tuch ent­ge­gen­ge­nom­men. Doch der Kna­be wen­det sich be­reits zu­rück zur Jung­ frau, die mit dem Zieh­va­ter Jo­seph von rechts her­an­ge­tre­ten ist. Ähn­lich hat ei­ner der Brü­der Lim­burg die Sze­ne be­grif­fen, in der al­ler­dings viel fi­gu­ren­rei­che­ren und sei­ten­ ver­kehr­ten Zeich­nung un­se­res Stun­den­buchs, fol. 88, wo auch der Al­tar ins Por­tal ge­ rückt ist (Kö­nig 2016, S. 55). Spä­ter wird man die Dar­brin­gung in flä­mi­scher Buch­ma­ le­rei ähn­lich wie hier vom Al­tar lö­sen, so im Breviarium Gri­mani, fol. 514v (Kö­nig und Hey­der 2016, Abb. 62). In­halt­li­che Grün­de für eine sol­che Art der Dar­brin­gung sind

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in un­se­rem Ka­ta­log LM NF IV, 2007, zu Nr. 20, auf S. 255 er­ör­tert: Ma­ri­as Rei­ni­gung wäre Vor­aus­set­zung ge­we­sen, den Tem­pel über­haupt be­tre­ten zu dür­fen. Be­son­ders schlüs­sig ist die Land­schaft bei der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 69) ge­stal­tet: Hin­ter ei­nem Wie­sen­strei­fen taucht die Hei­li­ge Fa­mi­lie auf; sie hat die Stadt links hin­ten auf der Stra­ße ver­las­sen, hin­ter der ein Hü­gel an­steigt. In ih­ren Man­tel ge­ hüllt, drückt die Jung­frau Ma­ria ihr Wickel­kind an sich, wäh­rend Jo­seph lie­be­voll zu ihr schaut. Die Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 76v) wird ähn­lich wie das Ma­don­nen­bild auf fol. 20 al­lein vom Thron be­stimmt, der dies­mal in Grün vor dun­kel­blau­em Fond steht. Weit au­ßen ra­gen die Thron­wan­gen em­por. Der in Jesu Ge­stalt mit ei­ner spit­zen Tia­ra ge­zeig­te Gott hat so auf ei­ner Sei­te Platz ge­nom­men, daß die vor ihm knien­de Jung­frau nach ih­rer Krö­nung, die ge­ra­de durch ei­nen En­gel voll­zo­gen wird, zu sei­ner Rech­ten sit­ zen kann. Das tie­fe Blau ih­rer Ge­wan­dung bil­det mit dem ro­sa­far­be­nen Man­tel Got­tes und dem Weiß der Tu­ni­ken von Gott und En­gel vor dem Grün des Throns den oft in die­sen Mi­nia­tu­ren wie­der­hol­ten Fa­rb­klang. fol. 83: Wäh­rend die Horen von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist mit den üb­li­chen Er­ken­ nungs­bil­dern er­öff­nen, er­staunt die Dar­stel­lung zu den Mon­tags­ho­ren der Ver­stor­be­nen, zeigt sie doch die Gott­heit, an die sich das Stun­den­ge­bet rich­tet: Un­ter best­irntem Nacht­him­mel, der für die Son­nen­fin­ster­nis steht, zeigt sich vor der Ku­lis­se der Stadt Je­ru­sa­lem die Kreu­zi­gung zur Kreuz-Matutin (fol. 83) in ei­nem sehr un­ge­wohn­ten Mo­ment: Der Tod am Kreuz ist ein­ge­tre­ten; die Got­tes­mut­ter ist hilf­los in die Knie ge­sun­ken, von Jo­han­nes ge­hal­ten, wäh­rend zwei Frau­en ihr stumm bei­ste­hen; hin­ter ei­nem Wie­sen­stück, das als Repoussoir ein­ge­setzt ist, er­scheint noch auf sei­nem Schim­mel der rö­mi­sche Zen­tu­rio und ein Mann des Fuß­volks; doch die an­de­ren, un­ ter ih­nen der Ho­he­prie­ster, ha­ben sich auf den Heim­weg zur Stadt ge­macht. Wie sie im Mit­tel­grund er­schei­nen, er­in­nert an die be­rühm­te eyck­ische Mi­nia­tur im Tu­ri­ner Stun­ den­buch, fol. 48v, und ihre Va­ri­an­ten in Ve­ne­dig und Padua (Bœspflug und Kö­nig 1998, S. 176-179). Der Brauch, bei der Aus­gießung des Hei­li­gen Gei­stes zur Geist-Matutin (fol. 91) Ma­ ria ge­gen den Be­richt in der Apo­stel­ge­schich­te ei­nen pro­mi­nen­ten Platz zu ge­ben, wird sel­ten ein­mal so gut ver­ständ­lich wie in die­ser Mi­nia­tur, die er­neut an spä­te­re Ent­wick­ lun­gen in der flä­mi­schen Buch­ma­le­rei den­ken läßt wie fol. 205v im Breviarium Gri­mani (Kö­nig und Hey­der 2016, S. 122): Die Aus­gießung des Hei­li­gen Gei­stes be­grün­det die Kir­che, und Ma­ria thront hier im Zen­trum ei­nes Zen­tralb­aus als Ver­kör­pe­rung der Kir­che, und schaut un­ter ih­rem die Stirn be­decken­den Man­tel von ih­rem Buch zum ju­ gend­li­chen Jo­han­nes auf, der im Kreis der Apo­stel sitzt, wäh­rend über dem Bo­gen der Ar­chi­tek­tur die Tau­be er­scheint. Aus der Tra­di­ti­on der Be­bil­de­rung von Psalm 109 (Dixit domi­nus do­mi­no meo) er­klärt sich die Bild­for­mel der Thro­nen­den Tri­ni­tät zu den Mon­tags­ho­ren der To­ten (fol. 98): Wie eine Ge­stalt mit zwei Ober­kör­pern sit­zen Je­sus und Gott­va­ter, in ei­nen ge­mein­sa­

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men ro­sa­far­be­nen Man­tel ge­hüllt, zwi­schen sich die Tau­be, mit ei­nem Buch, das ver­kün­ det: Ego sum al­pha et o, novissi­mus et pri­mus quoniam in. Ähn­lich ha­ben äl­te­re fran­zö­si­ sche Buch­ma­ler die Tri­ni­tät ge­stal­tet, so im Bed­ford-Stun­den­buch und im Stun­den­buch der Marguerite d’Orlé­ans (Lon­don, BL , Add. Ms. 18850, fol. 113v, und Pa­ris, BnF, lat. 1156B, fol. 163: Kö­nig 1991 und Kö­nig mit Sei­del 2013, S. 108-109). fol. 106: In sei­ner Schlicht­heit über­rascht das Bild von Da­vid als Bü­ßer zu den Buß­psal­ men: Nach links ge­wen­det kniet der grau­bär­ti­ge Kö­nig, hat die Hän­de – fas­sungs­los – nicht zum Ge­bet ge­fügt und schaut auf, ohne den En­gel Got­tes so recht se­hen zu kön­nen, der di­rekt über sei­nem bekrön­ten Haupt er­scheint, mit der Hand um die Schnei­de das glü­hen­de Schwert hält und auf den Zorn Got­tes weist, der sich hier nicht zeigt. Da­vids Zep­ter steht wack­lig im In­nen­raum auf ei­nem Tisch; sei­ne Har­fe lehnt an der nied­ri­gen Mau­er, die den Pa­last­gar­ten vom Blick über eine Wie­se und eine Burg zum Meer trennt. Die Kan­te die­ser Mau­er und der Mee­res­ho­ri­zont bil­den ge­mein­sam mit der Schrä­ge von Land­schaft und Burg die ent­schei­den­den Kom­po­si­ti­ons­li­ni­en. fol. 137: Die Karg­heit, die man­che Mi­nia­tu­ren prägt, sorgt beim Be­gräb­nis vor ei­nem Blick in eine Kir­che zum To­ten­of ­fi­zi­um für eine be­son­ders ir­ri­tie­ren­de Wir­kung: Auf ei­ nem Fried­hof, der nach hin­ten von ei­nem Lau­ben­gang be­grenzt wird, fin­det ein Be­gräb­ nis statt: Vor dem Blick in ei­nen Sa­kral­raum wird der in wei­ßes Lei­nen ein­ge­näh­te Tote von zwei To­ten­grä­bern sacht in das aus­ge­ho­be­ne Grab ge­legt. Ein Prie­ster liest, be­glei­tet von drei Akoly­then, von de­nen ei­ner das Weih­was­ser be­reit­hält. Zwei Geist­li­che tra­gen Stan­gen mit vier­tei­li­gen ro­ten Wap­pen, de­ren In­halt nicht les­bar ist. Pleurants drän­gen aus dem In­nen­raum nach rechts. fol. 190: Suff­ragien: Ei­nen sehr un­ge­wöhn­li­chen Sinn für ikono­gra­phi­sche Ein­fäl­le be­weist der Salva­tor mit den Arma Chri­sti zur Tri­ni­tät (fol. 190): Vor ei­nem blau­grau­en mit sil­ber­nen Ster­nen ge­schmück­ten Him­mel, ohne je­den Blick auf die Erde er­scheint der Er­lö­ser, ohne daß ge­zeigt wäre, wor­auf er sitzt, zwi­schen Kreuz und Gei­ßel­säu­le, drei Nä­gel, Seil und Gei­ ßel schwe­ben ne­ben den grö­ße­ren Arma Chri­sti. Das Buch in Chri­sti Hand ver­kün­det in ei­ner schwer les­ba­ren Va­ri­an­te zu fol. 98: Ego sum al­pha et o, novissim(us) et prim(us) et…querum. Der Rit­ter­hei­li­ge Adri­an (fol. 196) steht in ei­ner Burg, mit Ham­mer über dem Am­boß in der Rech­ten und Schwert in der Lin­ken, zu Fü­ßen ruht der Löwe. Mi­cha­els Dra­chen­kampf (fol. 201) ist ganz auf die iko­ni­sche Dar­stel­lung des in Gold ge­pan­zer­ten aber in flam­men­dem Rot von Flü­geln, Man­tel und Schild er­schei­nen­den Erz­en­gels kon­zen­triert, der den af­fen­ar­ti­gen ge­hörn­ten Teu­fel auf ei­nem nied­ri­gen Bo­ den­strei­fen nie­der­ge­wor­fen hat und selbst vor zart grau­blau­em Him­mel er­scheint. Se­ ba­sti­ans Pfeil­mar­ter (fol. 203v) fin­det auf ei­ner Wie­se in­ner­halb ei­ner Burg­mau­er statt; da­bei wird die Kon­fron­ta­ti­on der zwei Bo­gen­schüt­zen und des fast nack­ten Mär­ty­rers, den sie an ei­nen Baum ge­bun­den ha­ben, vom wei­ter zu­rück­ge­setz­ten Don­jon in der Bild­ mit­te do­mi­niert.

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Das Bild der hei­li­gen Ka­tha­ri­na (fol. 205) ist ganz auf die Er­schei­nung der Hei­li­gen kon­zen­triert, die aus je­dem Er­zähl­zu­sam­men­hang her­aus­ge­löst in ei­ner Ka­pel­le un­ter ei­nem Bal­da­chin zwi­schen zwei Fen­stern er­scheint und in ihr Buch schaut, wäh­rend sie sich mit der Rech­ten auf das Schwert stützt, mit bei­den Bei­nen auf ei­nem bart­lo­sen Kö­ nig ste­hend, der in die­ser Ver­si­on kaum äl­ter als sie selbst ist. Wie bei der thro­nen­den Ma­don­na zum Ob­secro te sorgt ein vom Bo­den des Bild­rands be­ schnit­te­ner Bal­da­chin, der dies­mal tief­blau ist, bei der Sal­bung in Betha­nien zum Suff­ ragium der hei­li­gen Mag­da­le­na (fol. 212) für die hier­ar­chi­sche Über­hö­hung der Haupt­fi­ gur. Doch Chri­stus sitzt an ei­nem ei­gen­tüm­lich schräg ge­stell­ten Tisch zwi­schen Pe­trus zur Rech­ten und Jo­han­nes zur Lin­ken, der sich zu ei­nem Apo­stel um­dreht, der eben­so wie ein wei­te­rer vorn vom rech­ten Bild­rand ab­ge­schnit­ten wird. Da­vor ist Mag­da­le­na in ro­sa­far­be­nem Man­tel nie­der­ge­kniet, um mit ih­rem Gold­haar die nack­ten Füße des Er­ lö­sers zu sal­ben. Von be­son­de­rem Reiz ist das Bild des Chri­stoph­orus (fol. 215v): Auf die Be­gren­zung des Was­sers durch zwei Ufer ist ver­zich­tet; so sieht es aus, als schrei­te der Rie­se aus dem nur zum Ho­ri­zont hin durch Land mit Burg ge­schlos­se­nen Ge­wäs­ser auf das Fel­sen­ufer rechts. Er trägt den Je­sus­kna­ben, der eine Spha­ira mit gol­de­nem Kreuz hält. Ihn er­war­tet der Ein­sied­ler mit ei­nem Stab, der wohl als Fackel ge­dacht ist; denn auf ge­ra­de­zu ein­zig­ ar­ti­ge Wei­se ist die An­we­sen­heit des Ein­sied­lers hier ver­stan­den: So gut wie im­mer spielt die­se Sze­ne in der Buch­ma­le­rei am hellich­ten Tag; hier aber spannt sich ein Nacht­him­ mel mit Ster­nen und weist auf eine be­son­de­re Qua­li­tät des Ma­lers hin. Von ein­drucks­vol­ler Schlicht­heit ist die letz­te Mi­nia­tur; sie zeigt die Stig­ma­tisat­ion des hei­li­gen Fran­zis­kus (fol. 220), der vor ei­ner Gar­ten­mau­er sein Buch ins Gras ge­legt hat und nun kniend den Ge­kreu­zig­ten im Him­mel er­blickt, wäh­rend sei­ne fünf Wun­den schon auf­ge­bro­chen sind. Bei der Vi­si­on ist auf das Se­ra­phische ver­zich­tet: Ein klei­nes Kru­zi­fix mit le­ben­di­gem Er­lö­ser schwebt gold­strah­lend her­ab. Zum Stil Das Buch ge­hört zu den schön­sten Wer­ken ei­nes der be­sten Ma­ler und Buch­ma­ler des 15. Jahr­hun­derts in Pa­ris. Man nennt ihn nach dem zwi­schen 1450 und 1473 ent­stan­ de­nen Stun­den­buch des Olivier de Co­ëtivy und der Marguerite de Valo­is in Wien (ÖNB , Cod. 1929: Pächt und Thoss I, 1974, S. 29-32, mit Abb. 32-41), des­sen zehn Mi­nia­tu­ren Va­ri­an­ten der­sel­ben Bild­vor­stel­lun­gen bie­ten, die in un­se­rem Ma­nu­skript mit stren­ge­ rem Sinn für die Kom­po­si­ti­on aus­ge­führt sind. Zu den Hö­he­punk­ten un­se­res Ka­ta­logs Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter, Neue Fol­ge IV von 2007 ge­hör­te Nr. 20, ei­nes der bril­lan­te­sten Wer­ke des Künst­lers, das in sei­ner Fa­rb­kraft noch deut­lich über das na­men­ge­ben­de Ma­nu­skript in Wien hin­aus­geht. Dort ge­sell­te sich mit Nr. 22 noch ein wei­te­res Buch des­sel­ben Stils hin­zu. Zur Dis­kus­si­on um den Na­men sie­he die vo­ri­ge Nr. 20.

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Ein voll­stän­dig er­hal­te­nes, bril­lant schö­nes Haupt­werk des Ma­lers, den man als Co­ ëtivy-Mei­ster kennt und um des­sen Iden­ti­fi­zie­rung im­mer noch ge­run­gen wird, sehr viel bil­der­rei­cher als das nur frag­men­ta­risch er­hal­te­ne, wohl frü­her ent­stan­de­ne Wie­ner Ma­nu­skript, mit ei­nem er­staun­li­chen Sinn für Licht und Raum­dar­stel­lung. Zu­gleich ein Bei­spiel da­für, daß nicht nur der aus der Bre­ta­gne stam­men­de Olivier de Co­ëtivy, son­dern auch an­de­re Lands­leu­te in Pa­ris solch herr­li­che Bü­cher ha­ben aus­ma­len las­sen. In die­sem Fall ha­ben die Be­stel­ler, de­ren Wap­pen ge­tilgt wur­den, so­gar die Of ­fi­zi­en nach dem Brauch von Ren­nes ko­pie­ren las­sen, ohne sich all­zu sehr um den Ka­len­der und die Li­ta­nei zu küm­mern. Nur in den Suff­ragien tre­ten mit Her­vé und Méen zwei in der Haupt­stadt kaum be­kann­te Hei­li­ge auf. Mit der wie­der zu­neh­men­den Zu­ver­sicht, man könn­te die­sem ge­nia­len Buch­ma­ler sei­nen ­Na­men zu­rück­ge­ben, möch­ten wir ihn Hen­ry de Vulcop nen­nen. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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22 Ein klas­si­sches Stun­den­buch vom Mei­ster des Jean Rolin


22 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Wein­rot und Hell­rot, mit ei­nem Ka­len­der in Rot, Blau und Gold, in Tex­tura. Pa­ris, um 1450: Mei­ster des Jean Rolin, mit Er­gän­zun­gen vom Ma­ler von Wal­ters 205: Bour­ges oder Poi­tiers, um 1460 14 gro­ße Mi­nia­tu­ren mit rund­bo­gi­gem Ab­schluß und zwei hi­sto­ri­sier­te In­itia­len in rotblau­em Akanthus mit Gold- und Sil­ber­höhungen: 11 Kopf­mi­nia­tu­ren über vier Zei­len Text und dreiz­ei­li­gen Akanthus­in­itia­len in Rot, Blau, Grün und Vio­lett mit be­son­ders fei­nem Kan­ten­de­kor in Far­be oder Gold, dazu vier­sei­ti­ge Akanthus­bor­dü­ren auf Dorn­ blatt­rest mit Früch­ten, Blu­men, Vö­geln, In­sek­ten und Drolerien; auf fol. 32 zwei Bild­ me­dail­lons; er­gänzt 3 wei­te­re gro­ße Mi­nia­tu­ren, eben­falls in vier­sei­ti­gen Akanthus- und Blatt­werk­bor­dü­ren; zu den hi­sto­ri­sier­ten In­itia­len drei­sei­ti­ge Dorn­blatt­bor­dü­ren; zweiz­ ei­li­ge Kom­par­ti­ment-In­itia­len in Gold auf Rot und Blau mit wei­ßem Li­ni­en­de­kor, dazu Bor­ dü­ren­strei­fen mit Tin­ten­spi­ral­werk und Akanthus, jede Text­sei­te mit ei­nem ein­sei­ti­gen Tin­ten­ spi­ral­bor­dü­ren­strei­fen mit Blatt­werk und Akanthus, ein­zei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­ver­sen und Zei­len­fül­ler in der glei­chen Art; gelb la­vier­te Ver­sa­li­en, in den er­gänz­ten Tex­ten rot an­ ge­stri­che­ne Ver­sa­li­en. 203 Blatt Per­ga­ment, je 1 fe­stes Vor­satz vor­ne und hin­ten aus Pa­pier; ge­bun­den vor­wie­gend in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend Lage 1 (3), die Ka­len­der­la­ge 2 (12), Lage 11 (8-1, 8. Blatt ent­fernt), Lage 14 (4), Lage 15 (8+1, 9. Blatt mit dem Suff­ragium ein­ge­fügt), Lage 24 (8-1, 8. Blatt ent­fernt), Lage 25 (8-1, 8. Blatt ent­fernt) und Lage 26 (2+1, 3. Blatt er­gänzt); fast durch­weg ho­ri­zon­ta­le Reklam­an­ten. Zu 15, im Ka­len­der zu 17 Zei­len, rot reg­liert. Ok­tav (170 x 120 mm, Text­spie­gel 85 x 56 mm). Ro­ter Ma­ro­quin-Ein­band des 17. Jahr­hun­derts mit fla­chem Rücken, Deckel und Rücken nur mit gold­ge­präg­ten Dop­pel­li­ni­en um­ris­sen, also im Stil der Janse­ni­sten­ein­bän­de, mit Lö­chern für zwei ent­fern­te Sei­den­bän­der; Gold­schnitt. Pro­ve­ni­enz: Théo­phile Belin, sein Pre­sti­ge-Ka­ta­log von 1906, Nr. 13: 4.500 Gold­francs. Ver­ kauft – wie un­se­re Num­mer 13! – an Jean Her­sent, den Sohn von Hil­de­vert Her­sent (Ex­li­ bris). P. Sou­rget, Chartres, Ka­ta­log VI, 1989, Nr. 3: frs. 1.000.000,-. Zu­letzt in ei­ner fran­ zö­si­schen Pri­vat­samm­lung. Text fol. 1: Suff­ragium der hei­li­gen Mo­ni­ka (fol. 1), Mag­da­le­nen­ge­bet der Kla­ge un­ter dem Kreuz (fol. 2): Ma­ria unxit pe­des ihesu et ex­tercit (ir­rig für ex­tersit) ca­pillis ca­pitis sui…, Suff­ragium des hei­li­gen Au­gu­stin­us (fol. 2v). fol. 4: Ka­len­der in fran­zö­si­scher Spra­che, je­der Tag be­setzt, Hei­li­gen­ta­ge al­ter­nie­rend in Rot und Blau, Fest­ta­ge in Gold, Gol­de­ne Zahl in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in

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Schwarz, Sonn­tags­buch­sta­be a in Gold, Iden und No­nen den Hei­li­gen­ta­gen fol­gend in Rot und Blau; nach Pa­ri­ser For­mu­lar. fol. 16: Per­ik­open, be­gin­nend mit Jo­han­nes als Suff­ragium (fol. 16), Lu­kas (fol. 17v), Mat­ thä­us (fol. 19) und Mar­kus (fol. 21). fol. 22: Ma­rien­ge­be­te: Ob­secro te (fol. 22), für ei­nen Mann re­di­giert, ge­folgt vom O in­ teme­rata (fol. 26v). fol. 31: Suff­ragien: Chri­stoph­orus (fol. 31). fol. 32: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris: Matutin (fol. 32), Lau­des (fol. 58), Prim (fol. 71), Terz (fol. 78), Sext (fol. 83), Non (An­fang fehlt, fol. 87), Ves­p er (fol. 91v), Komplet (fol. 99v). fol. 106 (auf ei­nem hin­zu­ge­füg­ten Blatt, in ab­wei­chen­der Schrift): Suff­ragium des 1446 von Eu­gen IV. hei­lig­ge­spro­che­nen hei­li­gen Ni­ko­laus von Tolentino. fol. 107: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 107) und Horen von Hei­lig Geist (fol. 111v). fol. 116: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 129), dar­un­ter vie­le Pa­ri­ser Hei­li­ge. ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris: Ves­p er (fol. 134), Matutin (An­fang fol. 134: To­ nicht her­vor­ge­ho­ben, fol. 142v), Lau­des (mit ei­ner Ru­brik her­vor­ge­ho­ben, fol. 171). fol. 187: Ma­rien­ge­bet: Doulce dame (An­fang fehlt, fol. 187), Her­ren­ge­bet: Doulx dieu (An­ fang fehlt, fol. 194). fol. 196v: Suff­ragien: Gen­ovefa (fol. 196v), Appolonia (fol. 197), Se­ba­sti­an (fol. 198), Anna (fol. 199), Avia (fol. 200), Bar­ba­ra (fol. 200v). fol. 201: Sün­den­ab­laß­ge­bet des hei­li­gen Gre­gor: O bone Ihesu o du­lcissime… fol. 203v: Texten­de. Schrift und Schrift­de­kor In der Wahl der Tex­tura zeigt sich eine ver­brei­te­te kon­ser­va­ti­ve Ten­denz in der Pa­ri­ser Buch­kunst, die vom ein­fa­chen Schrift­de­kor mit den gelb la­vier­ten Ver­sa­li­en, den Psal­ men­ver­sen am Zei­len­be­ginn und den ein- bis zweiz­ei­li­gen Gold­buch­sta­ben auf Flä­chen in Wein­rot und Blau eben­so be­stä­tigt wird wie vom Ka­len­der in Rot und Blau mit den Fe­sten in Gold. Tep­pich­hafte Bor­dü­ren in Dorn­blatt mit we­ni­gen Blät­tern und Blü­ten in den Buch­ma­ler­far­ben un­ter­strei­chen die­sen Ein­druck. Auf den Bild­sei­ten im Buch­block löst man sich je­doch we­nig­stens bei den gro­ßen In­itia­ len von die­ser kon­ser­va­ti­ven Ein­stel­lung: Hier wird das Dorn­blatt von flei­schi­gem Blatt­ werk er­setzt, das zur Fa­mi­lie des Akanthus ge­zählt wer­den kann und in un­se­rer Nr. 18 als be­son­de­re Aus­zeich­nung für die bei­den wich­tig­sten In­cipits dient.

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Auch bei den Bor­dü­ren kommt et­was in Be­we­gung: Noch hat sich der blau-gol­de­ne Akanthus nicht durch­ge­setzt; auch der Platz, den er im Rand­schmuck ein­nimmt, er­ staunt, be­setzt er doch nicht plump die Ecken, son­dern rückt oben ein Stück weit her­ ab, wäh­rend er un­ten in den Ecken die Blu­men flan­kiert, die von ei­nem nicht sehr brei­ ten Bo­den­strei­fen aus sprie­ßen. Die ab­rupt en­den­den Dop­pel­stä­be, die von drei Sei­ten um das Text­feld ge­legt sind, und die schlich­ten ro­ten Rand­li­ni­en der Bor­dü­ren, in de­ nen Dorn­blatt nur noch als Rest­mu­ster ge­dul­det ist, le­gen eine re­la­tiv frü­he Ent­ste­hung des Bu­ches nahe. Vö­gel und die we­ni­gen Säu­ge­tie­re und Gro­tes­ken, mit de­nen durch­weg die Mit­ten un­ten und au­ßen be­setzt sind, be­stär­ken die vor­züg­li­che Qua­li­tät der Ar­beit. Die Ein­rich­tung der Er­öff­nungs­sei­te zum Ma­rien­of ­fi­zi­um schreibt sich mit den bei­den run­den Me­dail­lons aus der Ma­ri­en­le­gen­de in die Tra­di­ti­on der Bed­ford-Werk­statt ein. Die fast zeit­ge­nös­si­schen Hin­zu­fü­gun­gen ver­ra­ten eine re­gio­na­le Schu­le, die mit Pa­ris we­nig zu tun hat. Vom ver­ant­wort­li­chen Ma­ler aus bleibt of­fen, ob das Buch so­mit schon bald nach Poi­tiers oder Bour­ges ge­langt ist. Die Bil­der fol. 2: Ma­ria Mag­da­le­na am Fuß des Kreu­zes wird zum Ge­bet Ma­ria unxit pe­des ihesu ge­zeigt: Wäh­rend der Text mit der Er­in­ne­rung an die Sal­bung in Betha­nien ein­setzt, löst das Bild die Hei­li­ge und das Kreuz Chri­sti aus der bi­bli­schen Er­zäh­lung: Mit ge­lö­ sten blon­den Locken kniet Mag­da­le­na in blau­em Kleid und ro­tem Man­tel vor dem lee­ren Kreuz, das, wenn auch mit dem Titulus inri be­zeich­net, nur als gol­de­nes Zei­chen vor dem dra­ma­tisch be­wölk­ten Him­mel über Hü­geln steht, die nicht das Hei­li­ge Land zu Chri­sti Leb­zei­ten, son­dern Frank­reich und da­mit die Um­welt der Be­nut­zer des Bu­ches dar­stel­len. Sti­li­stisch ge­hört die mar­kant pla­sti­sche Ma­le­rei nicht zur Pa­ri­ser Buch­ma­ le­rei, son­dern stammt mit der Bor­dü­re vom Ma­ler von Wal­ters 205. fol. 22: Die Ma­rien­ge­be­te er­öff­nen zwei hi­sto­ri­sier­te In­itia­len: zum Ob­secro te eine thro­ nen­de Ma­ria mit Kind (fol. 22), zum O in­teme­rata die Pi­età mit Jo­han­nes und Ma­ria, die den to­ten Chri­stus un­ter dem Kreuz hält (fol. 26v); die blau­en In­itia­len sind mit Sil­ ber geh­öht. fol. 32: Zum Ma­rien­of ­fi­zi­um der ver­trau­te Zy­klus: Zur Matutin die Ver­kün­di­gung an Ma­ria (fol. 32) in der­sel­ben Bild­for­mel, die auch der Mei­ster des Harley-Froiss­art ver­wen­de­te; da­bei wird die Kom­po­si­ti­on ver­ständ­li­cher, weil der Ma­ler nä­her an den Ur­sprün­gen zu sein scheint: Auch hier der En­gel, Pa­ri­ser Bed­ ford-Tra­di­ti­on ge­mäß, von rechts – und wie in Nr. 18 durch ein Burg­tor – ein­ge­tre­ten. Un­ter frei­em Him­mel ist er in ei­ner Art Pa­last­hof auf dem Flie­sen­bo­den nie­der­ge­kniet und grüßt mit den Wor­te Ave gracia ple­na domi­nus tecum. Die Jung­frau kniet nun nicht vor ihm, son­dern vor ih­rem Bet­pult, nur in Blau ge­klei­det und senkt das Haupt im Ge­bet. Was dort nur funk­ti­ons­lo­se Zier­ar­chi­tek­tur war, ist hier ein mo­nu­men­ta­ler Stein­bau, in dem ein ho­her Bal­da­chin Platz fin­det, wo­bei man nicht recht er­ken­nen kann, ob er Ma­ ri­as Bett oder ei­ner Bank dient. Ein Quer­ge­bäu­de hin­ten mit ei­nem Turm und wie­der

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ei­nem auf­fäl­li­gen Er­ker ver­sper­ren die Sicht in die Land­schaft. Die Got­tes­er­schei­nung, nun vor Blatt­gold, rückt in die Mit­te. Kreis­run­de Me­dail­lons mit dem Kuß an der Gol­ de­nen Pfor­te un­ten und, in et­was klei­ne­ren Ma­ßen, Mariä Tem­pel­gang er­gän­zen das Haupt­bild in den Bor­dü­ren. Die zwei­te Sze­ne ver­zich­tet auf jü­di­sche Prie­ster und zeigt nur ein Ge­bet des von den El­tern be­glei­te­ten Mäd­chens vor ei­nem christ­li­chen Al­tar. Von ei­nem Hü­gel her­ab­ge­kom­men ist Ma­ria in Be­glei­tung ei­nes En­gels; um sie zu emp­ fan­gen, hat die grei­se Eli­sa­beth ihr statt­li­ches Haus rechts ver­las­sen und sinkt nun bei der Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 58) in die Knie. Wun­der­bar rah­men Ro­sa­tö­ne in der Dal­ma­tika des En­gels und dem Kleid der Al­ten das leuch­ten­de Blau, in das die Jung­ frau ge­hüllt ist, vor dem zar­ten Grün von Wie­se und Bäu­men, ne­ben dem Grau der Stei­ ne und un­ter dem lich­ten Him­mel­blau. Bei der An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 71) sind Ma­ria und der grei­se Jo­seph ne­ben­ ein­an­der vor dem recht­ecki­gen wei­ßen Tuch nie­der­ge­kniet, das an ein Al­tar­tuch den­ ken las­sen soll, auf dem der Leib des Herrn, hier der nack­te Je­sus­kna­be, ge­legt ist. Der Stall links hin­ter ih­nen, in dem Ochs und Esel ver­har­ren, ist nur ein zu al­len Sei­ten of­ fe­nes Ge­stell mit schad­haf­tem Dach. Über den Flecht­zaun blicken zwei Hir­ten, die be­ reits her­bei­ge­eilt sind, wäh­rend ein drit­ter sich wei­ter hin­ten im Wort­sin­ne auf den Weg macht. Gol­de­ne Strah­len sen­ken sich vom Stern auf das Kind. Kom­po­si­ti­onell ein­drucks­voll ist die Ver­kün­di­gung an die Hir­ten zur Terz (fol. 78): Um die Haupt­grup­pe zwei­er Hir­ten und zwei­er Hun­de vor ei­ner dich­ten Schaf­her­de vorn, fließt ein Bach; ein Holz­steg er­laubt, ihn nach links zu über­que­ren, wo ein drit­ter Hir­ te mit ei­ner zwei­ten Her­de fast schon im Mit­tel­grund er­scheint. Der Ver­lauf des Bachs da­hin­ter wird nicht wei­ter ver­folgt; denn nach rechts hin er­hebt sich ein fel­si­ger Berg; von links fließt ein brei­te­rer Fluß um ei­nen wei­ter ent­fern­ten, nied­ri­ge­ren Berg of­fen­bar hin zu der be­fe­stig­ten Stadt, die den Ho­ri­zont be­setzt. Zwei En­gel zei­gen sich vor Gold­ grund und ver­kün­den – in be­ster Bed­ford-Ma­nier – den In­troi­tus zur Weih­nachts­mes­ se: puer na­tus est nobis et. Die Wür­de des Bil­des wird auch da­durch un­ter­stri­chen, daß bei den Hir­ten auf alle Bunt­far­ben ver­zich­tet ist. Bei der An­be­tung der Kö­ni­ge zur Sext (fol. 83) kehrt der Stall von Beth­le­hem mit sei­ nem von links ins Bild ra­gen­den Gie­bel fast ganz so wie­der, wie er zur Prim schon ge­ zeigt wur­de; nur ist nun der Flecht­zaun nach links ge­rückt, um den Kö­ni­gen freie Bahn zu ge­ben. Das brau­chen sie in die­ser un­ge­wöhn­li­chen Dar­stel­lung: Wäh­rend Ma­ria vorn auf dem Bo­den in ei­ner De­muts­for­mel am Bo­den sitzt und mit dem nack­ten Je­sus­kna­ ben den äl­te­sten Kö­nig emp­fängt, pre­schen die bei­den jün­ge­ren von rechts her­an zu Jo­ seph, der noch im Schat­ten des Stalls steht. Wie in ei­nem hef­ti­gen Bal­lett be­we­gen sie sich par­al­lel, die Rücken ein­an­der zu­ge­wen­det, rei­ßen – der vor­de­re mit links, der hin­ te­re mit rechts ihre Kron­hü­te vom Kopf und hal­ten mit weit aus­ge­streck­tem Arm ihre Ge­schen­ke in die Luft. Ei­lig be­wegt sich die Hei­li­ge Fa­mi­lie bei der Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­p er (fol. 91v) auf ei­nem Weg vorn; denn hin­ter ih­nen, di­rekt nach ei­ner Bie­gung des We­ges fol­gen die

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Sol­da­ten des He­ro­des. Sie ha­ben ge­ra­de ei­nen Bau­ern bei der Korn­saat nach den Flie­ hen­den ge­fragt; der aber ist schon in den Ge­nuß des Korn­wun­ders ge­kom­men; denn gelb sind die Äh­ren hoch­ge­schos­sen. Daß der Mann be­reits die Si­chel zur Hand hat, ist viel­leicht dann doch ein we­nig über­trie­ben. Die zwei stump­fen Tür­me in der Stadt am Ho­ri­zont las­sen an No­tre Dame in Pa­ris den­ken! Wol­ken in präch­ti­gem Blau, von Sil­ber durch­zo­gen, deu­ten am un­te­ren Bild­rand auf un­ge­wohn­te Art an, daß die Ma­rien­krö­nung zur Komplet. (fol. 99v) im Him­mel statt­ fin­det. Dort kniet die Mut­ter­got­tes, von ei­nem En­gel be­glei­tet, vor ei­ner mit Bro­kat be­ häng­ten Mau­er, über den sich ein wei­te­rer En­gel mit der Kro­ne beugt. Got­tes Thron mit pracht­vol­ler Maß­werk­ar­chi­tek­tur steht rechts; dar­auf sitzt der grei­se Gott­va­ter mit Chor­man­tel und Tia­ra ei­nes Pap­stes. Wie­der tief­blau ist der Fond; dort sind Ton in Ton En­gel er­kenn­bar, je­doch nicht wie ge­wohnt Che­rub­im, son­dern ju­gend­li­che Ge­stal­ten in Al­ben und Chor­män­teln. Die Horen mit den ge­wohn­ten Er­ken­nungs­bil­dern: Zur Matutin von Hei­lig Kreuz ist die Kreu­zi­gung (fol. 107) mit den Frau­en um Ma­ria und den Sol­da­ten um den Zen­tu­rio auf ei­nem Platz dar­ge­stellt, der durch ei­nen Schä­ del und Kno­chen als Golgatha be­zeich­net ist. Wie so oft ist es kein Berg, son­dern eine Sen­ke, im Mit­tel­grund stei­gen zu bei­den Sei­ten fel­si­ge Hü­gel an, ehe dann eine Stadt den Ho­ri­zont be­setzt. Son­ne und Mond am Him­mel flan­kie­ren den Titulus inri. Ma­ ria wen­det sich sacht zu Jo­han­nes um, of­fen­bar weil sie das vie­le Blut nicht mehr er­trägt, das von Chri­sti Ar­men tropft. Der Haupt­mann hin­ge­gen tritt en­er­gisch zum Kreuz, im ver­lo­re­nen Pro­fil. Beim Pfingst­wun­der zur Matutin von Hei­lig Geist (fol. 111v) scha­ren sich die Apo­stel um ein dreh­ba­res Buch­pult in ei­ner Ka­pel­le. Durch das Fen­ster ist die Tau­be ge­kom­men und zeigt sich nun, ein we­nig be­engt, un­ter ei­nem ro­sa­far­be­nen Ziborium über Ma­ria, die von links mit Jo­han­nes auf­schaut. Von be­son­de­rem Zau­ber ist das Bild mit Kö­nig Da­vids Buße zu den Buß­psal­men (fol. 116): Die lin­ke Bild­hälf­te nimmt eine ge­ra­de­zu aben­teu­er­li­che Zier­ar­chi­tek­tur ein mit ei­ner ex­trem dün­nen Säu­le, hin­ter der in herr­lich sat­tem Blau der Kö­nigs­t hron steht. Von ihm ist Da­vid auf­ge­stan­den, um nun auf ei­nem zur Ar­chi­tek­tur nicht recht pas­sen­ den Flie­sen­bo­den zu knien. Den Kron­hut hat er ab­ge­legt, die Har­fe lehnt vor ihm; auf­ merk­sam be­trach­tet ihn sein Wind­hund, wie er da mit er­ho­be­nen Hän­den kniet und nicht recht auf­schaut zu Gott, der sich in ei­nem Him­mels­seg­ment vor best­irntem Blau zeigt. Der Blick führt über ei­nen Fluß zu ei­ner fer­nen Stadt, die mit zwei stump­fen Tür­ men, die al­ler­dings hin­ter ei­ner be­fe­stig­ten Brücke ste­hen, vage an No­tre Dame und da­ mit an Pa­ris den­ken läßt. Im­mer noch in ge­wis­ser Wei­se der Tra­di­ti­on der Bed­ford-Werk­statt ver­pflich­tet ist das Bild ei­ner Be­er­di­gung auf ei­nem Fried­hof zum To­ten­of ­fi­zi­um (fol. 134); doch herrscht nun eine kon­se­quen­te­re Bild­ord­nung, die an­ders als in un­se­ren Nrn. 14 und 15 von par­ al­le­ler Schich­tung aus­geht: Das frisch aus­ge­ho­be­ne Grab mit den zwei Män­nern, die den

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in wei­ßes Tuch ein­ge­näh­ten Leich­nam zur letz­ten Ruhe bet­ten, nimmt den gan­zen Vor­ der­grund ein. Dar­über baut sich die Grup­pe der drei in schwar­ze Chor­män­tel ge­hüll­ten Prie­ster bild­par­al­lel auf. Für De­tails ist hier kein rech­ter Sinn; denn die drei be­gnü­gen sich da­mit, in ein ge­mein­sa­mes Buch zu schau­en; Kreuz und Weih­was­ser wer­den nicht ge­zeigt. Von links kom­men Män­ner, an­ge­führt von ei­nem vor­neh­men Herrn, der sich die Nase zu­hält und drei Pleurants. Rechts er­hebt sich die Ka­pel­le; den Blick nach hin­ ten be­grenzt der Karrner, der bis hin­auf in zwei Zier­gie­bel sorg­fäl­tig mit gereih­ten To­ ten­schä­deln ver­ziert ist. Nach­ge­tra­gen hat der Ma­ler von Wal­ters 205 in den bil­der­los kon­zi­pier­ten Suff­ragien ein Klein­bild mit dem Se­ba­sti­ans­mar­ty­ri­um (fol. 196v) und hat dazu auch den Bor­dü­ ren­strei­fen au­ßen an drei Sei­ten zu ei­ner Voll­bor­dü­re er­gänzt. Da­bei paßt die Sze­ne, in der zwei Bo­gen­schüt­zen vor ei­nem Fel­sen ste­hen, der eine mit dem Pfeil zie­lend, der an­ de­re den Bo­gen span­nend, und Se­ba­sti­an mit ih­ren Pfei­len spicken, nicht recht zu der Land­schaft mit ih­ren win­zi­gen Baum­rei­hen schon zu den Fü­ßen des Hei­li­gen. Dem Ab­laß­ge­bet mit den Sie­ben Ver­sen des Hei­li­gen Gre­gor wird ein un­ge­wohn­tes Bild der Gre­gors­mes­se (fol. 201v) vor­an­ge­stellt: Vor vio­let­tem Fond, auf dem die Arma Chri­ sti de­ko­ra­tiv ver­teilt sind, steht ein stei­ner­ner Sar­ko­phag, über dem ein gro­ßer En­gel wie bei ei­ner En­gel­spietà den to­ten Er­lö­ser so hält, daß aus des­sen lin­ker Hand Blut in den Meß­kelch flie­ßen kann, den der Papst auf dem par­al­lel zum Sar­ko­phag ste­hen­den Al­tar ne­ben dem Meß­buch ab­ge­stellt hat. Chri­sti Blut und nicht wie ge­wohnt Chri­sti Kör­per wird da­durch hier zum zen­tra­len The­ma der Vi­si­on des rechts un­ten knien­den Pap­stes. Zum Stil Der ge­sam­te Buch­block ist ein schö­nes, ma­kel­los er­hal­te­nes Bei­spiel für die Kunst ei­nes Buch­ma­lers, des­sen Stil zu­nächst von Paul Dur­rieu un­ter dem Na­men Ja­cques de Be­ san­çon sub­sum­miert wur­de, ehe man er­kann­te, daß da­mit drei auf­ein­an­der fol­gen­de Ge­ ne­ra­tio­nen er­faßt wa­ren. Als der äl­te­ste und frü­he­ste Buch­ma­ler in die­ser Rei­he kommt dem Schöp­fer un­se­rer Mi­nia­tu­ren eine be­son­ders pro­mi­nen­te Rol­le zu; doch bleibt er als ein­zi­ger noch heu­te an­onym. In ih­rer Ar­beit über ein be­deu­ten­des Ex­em­plar von Susos Hor­lo­ge de Sapience, die zu den rez­en­te­ren Er­wer­bun­gen in Brüs­sel ge­hört (KBR , IV, 111) hat Eleanor Spencer (Sciptorium XVII , 1963, S. 277-299) den Mei­ster zu ei­nem Mo­ ment iden­ti­fi­ziert, da sei­ne un­ge­mein prä­zi­se und neu­ar­ti­ge Kunst mit dem spä­ten Bed­ ford-Stil zu­sam­men­trifft. Klar­heit über den Rang des Künst­lers schaf­fen Auf­trä­ge für Jean Rolin (1408-1483), den Sohn des bur­gun­di­schen Kanz­ler Nico­las Rolin, der 1448 zum Kar­di­nal er­ho­ben wur­de und für sein Bis­tum Au­tun (im Amt ab 1436) eine gan­ ze An­zahl von ähn­lich ge­stal­te­ten Meß­bü­chern an­le­gen ließ (Lyon, Bibl. mun., Ms. 517; Au­tun, Bibl. mun., Ms. 108A und 114A, so­wie ein Kanon­bild in der Samm­lung Wil­ den­stein des Mus­ée Marmottan-Mo­net, Pa­ris). Für Spencer stand fest, daß der Ma­ler aus den Nie­der­lan­den nach Pa­ris ge­kom­men ist, Charles Ster­ling hin­ge­gen hat ver­sucht, ihn aus ei­ner nicht aus­rei­chend do­ku­men­tier­

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ten Buch­kunst des fran­zö­si­schen Bur­gunds her­zu­lei­ten. For­schun­gen von Pe­ter Rolfe Monks sind noch nicht im er­for­der­li­chen Um­fang pu­bli­ziert. Der Ma­ler des Bil­des der hei­li­gen Mag­da­le­na un­ter dem Kreuz und der zwei letz­ten Mi­nia­tu­ren wird nach ei­nem Stun­den­buch für den Ge­brauch von Bour­ges, Bal­ti­more, Wal­ters 205 be­nannt. Er war es auch, der die Aus­ma­lung von Pa­ris, BnF, Ms. lat. 16234 be­gon­nen hat, ei­nem Werk des Schrei­bers Phili­bert Deb­rest in Bour­ges, der eine Rei­he von hu­ma­ni­sti­schen Tex­ten in pseu­do­hu­ma­ni­sti­scher Schrift ko­piert hat. Sein Stil ver­ bin­det sich al­ler­dings auch mit Poi­tiers. Ein bis­her un­be­kann­tes, ein­drucks­vol­les Werk des Mei­sters von Jean Rolin, re­la­tiv früh ent­stan­den und eng mit un­se­rem Stun­den­buch vom Mei­ster des Harley-Froiss­ art ver­bun­den: Fast voll­stän­dig und in sehr schö­nem Zu­stand er­hal­ten. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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23 Das Pa­ri­ser Stun­den­buch des Fran­çois de Da­gues und der Kath­erine Ferrault aus Le Mans vom Mei­ster des Jean Rolin


23 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Rom. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Blau, mit ei­nem Ka­len­der in fran­zö­si­ scher Spra­che, in Blau, Rot und Gold in Bast­arda. Pa­ris, ca. 1460: Mei­ster des Jean Rolin 30 Bil­der und eine An­zahl von mehr oder we­ni­ger text­be­zo­ge­nen Bild-In­itia­len: acht gro­ße Mi­nia­tu­ren mit ge­zack­tem Rund­bo­gen­ab­schluß in ein­fa­chen Gold­lei­sten über vier Zei­len Text mit hi­sto­ri­sier­ten oder Akanthus-In­itia­len, in Voll­bor­dü­ren auf Per­ga­mentoder Gold­grund mit zwei oder drei Gro­tes­ken; 22 Rand­bil­der mit Bo­gen­ab­schluß in den Voll­bor­dü­ren des Ka­len­ders, mit je­weils ei­ner Gro­tes­ke un­ten; alle Text­sei­ten mit Bor­ dü­ren­strei­fen au­ßen in der Höhe des Text­spie­gels, durch­weg mit je ei­nem gro­tes­ken Mo­ tiv. Zwei In­cipits mit dreiz­ei­li­gen hi­sto­ri­sier­ten In­itia­len; vie­le zweiz­ei­li­ge In­itia­len mit Köp­fen. Zweiz­ei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­an­fän­gen, wo sie nicht mit Köp­fen be­lebt sind, mit Akanthus- oder Gold-Buch­sta­ben auf Flä­chen in Rot und Blau; ent­spre­chen­de ein­zei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf ro­ten und blau­en Grün­den mit wei­ßem Li­ni­en­ de­kor, Zei­len­fül­ler in glei­cher Art. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 233 Blatt Per­ga­ment, vor­ne und hin­ten je zwei flie­gen­de Vor­sät­ze aus Per­ga­ment; fe­stes und flie­gen­des Vor­satz mar­mo­riert; Doublü­ren. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­ chend die er­ste Ka­len­der­la­ge 1(12-1: An­fangs­blatt fehlt), Lage 4(6-2: nach ei­nem lee­ren Blatt zwei wei­te­re lee­re ent­fernt), Lage 5(8-1, er­stes Blatt ent­fernt), Lage 8(8-1, zwei­tes Blatt ent­ fernt), Lage 10(8-1: zweit­letz­tes Blatt, nur Text, fehlt), Lage 11(8-1, zwei­tes Blatt ent­fernt), Lage 16(2, das zwei­te Blatt leer vor Zä­sur), Lage 19(8+1, das lee­re fol. 144 hin­zu­ge­fügt), Lage 20(8-1: des er­ste Blatt fehlt), Lage 22(4), Lage 31(6-1: An­fangs­blatt ent­fernt). Duodez (119 x 85 mm; Text­spie­gel: 58 x 37 mm). Zu 15, im Ka­len­der zu 17 Zei­len, rot reg­liert. Im 19. Jahr­hun­dert ge­bun­den in dun­kel­grü­nes Ma­ro­quin, mit Doublü­ren und Mar­mor­ierung der in­ne­ren Vor­sät­ze. Gold­schnitt mit ele­gan­ter Ran­ken­ma­le­rei aus der Zeit des Ein­bands. Pro­ve­ni­enz: Am Ende ein un­ge­mein um­fang­rei­ches Livre de rai­son der Fa­mi­lie des Fran­çois de Da­gues und sei­ner Frau Kath­erine Ferrault aus Le Mans aus der Zeit von 1532-1616, mit zahl­rei­chen Si­gna­tu­ren. Auf dem ur­sprüng­lich leer ge­blie­be­nen fol. 162 un­ter ei­nem un­le­ser­lich ge­mach­ten, nicht sehr viel äl­te­ren Ex­li­bris der Be­sitz­ein­trag ei­nes Co­nstant Huet vom 1. Ja­nu­ar 1809. Text fol. 1: Ka­len­der in fran­zö­si­scher Spra­che, je­der Tag be­setzt, Gol­de­ne Zahl und Fe­ste in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben a in Gold auf ro­ten und blau­en Flä­chen, b-g in Schwarz, rö­ mi­sche Ta­ges­zäh­lung und ein­fa­che Hei­li­gen­ta­ge ab­wech­selnd blau und rot. Hei­li­gen­aus­ wahl mit Fe­sten von Dio­ny­si­us (9.10.), Mar­cel­lus (3.11.) deu­tet auf Pa­ris; Ja­nu­ar fehlt.

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fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes, als Suff­ragium mit zwei Ge­be­ten am Schluß (fol. 12), Lu­ kas (fol. 14), Mat­thä­us (fol. 16) und Mar­kus (fol. 18). fol. 19: Ma­rien­ge­be­te, re­di­giert für ei­nen Mann: Ob­secro te (fol. 19), O in­teme­rata (fol. 24). fol.29: Suff­ragien: Tri­ni­tät, im Text­ver­lauf (fol. 29), Jo­han­nes Bap­tista (fol. 29v); Pe­trus (fol. 30v), Steph­anus (fol. 31), Ka­tha­ri­na (fol. 31v). fol. 32v-33v leer. fol. 34: Ma­ rien­ of ­fi­ zi­ um für den Ge­brauch von Rom: Matutin (fol. 34, An­fang fehlt), Lau­ des (fol. 48) Prim (fol. 64, An­fang fehlt), Terz (fol. 70), Sext (fol. 76), Non (fol. 80, An­ fang fehlt), Ves­p er (fol. 85), Komplet (fol. 95v), Ad­vents-Of ­fi­zi­um mit Eg­rediatur virga so­wie drei Le­sun­gen, be­gin­nend mit Missus est an­gel­us ga­bri­el, (fol. 100v); da­nach Psal­ men­grup­pen für die Matutin ver­schie­de­ner Wo­chen­ta­ge (fol. 108, 113), fol. 119/v leer. fol. 120: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 135v), mit rei­chem Be­stand, ein­schließ­lich wich­ ti­ger Pa­ri­ser Hei­li­gen, dar­un­ter Gen­ovefa. fol. 144/v leer. fol. 145: Horen von Hei­lig Kreuz (fol. 145, An­fang fehlt) und Hei­lig Geist (fol. 154). fol. 161v-163v ur­sprüng­lich leer; auf fol. 162 Be­sitz­ein­trag von Co­nstant Huet vom 1.1.1809; schon auf fol. 47 im un­te­ren Rand­strei­fen fand sich ein sol­cher ge­tilg­ter Be­ sitz­ein­trag. fol. 164: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris: Ves­p er (fol. 164), Matutin (fol. 175, nicht mar­kiert), Lau­des (fol. 207, nicht mar­kiert). fol.223v: ur­sprüng­li­ches Texten­de. fol. 224-232: Livre de rai­son der Fa­mi­lie des Fran­çois de Da­gues und sei­ner Frau Kath­ erine Ferrault aus Le Mans aus der Zeit von 1535-1616; fol. 232v leer. Schrift und Schrift­de­kor Wie eine be­mer­kens­wer­te Grup­pe Pa­ri­ser Stun­den­bü­cher ist die­ses Ma­nu­skript in ei­ ner klei­nen, ecki­gen Bast­arda ge­schrie­ben, mit blau­en Ru­bri­ken. Psal­men­ver­se set­zen am Zei­len­be­ginn ein und er­hal­ten gol­de­ne Buch­sta­ben auf blau­en und wein­ro­ten Flä­chen; die vie­len Zei­len­fül­ler ge­hö­ren zur sel­ben Art. Die zweiz­ei­li­gen und grö­ße­ren In­itia­len hin­ge­gen er­wei­sen sich als sehr viel fort­schritt­li­cher, sind sie doch aus hel­lem Akanthus ge­bil­det; ihre Bin­nen­fel­der sind mit Blu­men, häu­fig auch mit Köp­fen, zu­wei­len in Text­ an­spie­lung ge­füllt. Be­son­de­rer Reich­tum ent­wickelt sich in den vor­züg­li­chen text­be­glei­ten­den Bor­dü­ren­ strei­fen, die durch­weg mit ei­ner gro­tes­ken Fi­gur be­setzt sind. Die­sel­be Qua­li­tät auch in den Bild­bor­dü­ren, von de­nen ei­ni­ge mit Gold­grund ar­bei­ten.

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Die Bil­der fol. 1: Ka­len­der mit Mo­nats­bil­dern auf Recto, Tier­kreis­zei­chen auf Ver­so; die Tier­kreis­ zei­chen ganz auf die Erde ge­holt, in­dem je­weils hin­ter der Ge­stalt aus dem Zodiak eine Burg im Hin­ter­grund auf­taucht – mit Aus­nah­me der Jung­frau, die so­gar ge­ra­de­zu sinn­ wid­rig in ei­nen Burg­hof ge­stellt ist. Die Bil­der ver­ra­ten ganz be­son­de­re An­mut und war­ ten oft mit Mo­ti­ven auf, die man sonst kaum fin­det. Das be­ginnt be­reits mit dem er­sten Mo­nats­bild: Zum Fe­bru­ar (der Ja­nu­ar fehlt), wo ein Mann mit dem Rücken zum Ka­ min steht, die Schu­he aus­ge­zo­gen hat und die rech­te Fuß­soh­le nackt zum Feu­er hält. Die Fi­sche schwim­men in ei­nem Fluß un­ter ei­ner Burg. Ein Mann trimmt im März Wein­ stöcke; der Wid­der schrei­tet nach links. Im April sitzt eine jun­ge vor­neh­me Frau mit spit­zer Hau­be an ei­nem schräg nach rechts wei­sen­den Gar­ten­spa­lier, of­fen­bar um ei­nen Kranz zu schmücken; der dunk­le Stier schrei­tet nach rechts. In die­sel­be Rich­tung rei­tet ein vor­neh­mes Paar im Mai; wie eine Par­odie zum Sün­den­fall wir­ken die Zwil­lin­ge, die als nack­tes Kin­der­paar in ei­nem um­zäun­ten Gar­ten, frei­lich un­ter zwei Bäu­men ein­an­der fas­sen. Der Schnit­ter im Juni er­scheint vor stei­len Heu­hau­fen; vom Krebs hat­ten fran­zö­ si­sche Buch­ma­ler nur eine un­ge­fäh­re Ah­nung. Auf das schlich­te Bild der Korn­ern­te vor ei­ner Burg folgt im Juli der Löwe, der auf­merk­sam an ei­ner Stra­ße sitzt, die zu ei­ner an­ de­ren Burg führt. Dre­schen im Au­gust fin­det in ei­ner Scheu­ne statt; die Jung­frau mit der Mär­ty­rer­pal­me steht in ei­nem Burg­hof, von gött­li­chem Licht er­hellt. In den Bot­tich für die Wein­kel­ter im Sep­tem­ber kippt ein zwei­ter eine Büt­te voll Trau­ben; ein jun­ges Mäd­ chen führt die Waa­ge in der Land­schaft spa­zie­ren. Der Sä­mann schrei­tet im Ok­to­ber auf dem Acker nach rechts; der Skor­pi­on, die un­ge­wöhn­lich­ste Ge­stalt in die­sem Ka­len­der, ist eine Art grü­nes Kro­ko­dil mit lan­gem Schwanz. Der Schwei­ne­hirt im Ei­chen­wald ge­hört zum No­vem­ber; als Schüt­ze wird ein Ken­taur ge­zeigt, der nach rechts prescht, aber nach links mit dem gro­ßen Bo­gen zielt. Schwei­ne­schlach­ten mit Frau, die das Blut auf­fängt, be­stimmt den De­zem­ber; als Halb­we­sen steckt der Stein­bock in ei­nem Am­mons­horn. fol. 13: In den In­itia­len zu den Per­ik­open klei­ne Köp­fe bei Jo­han­nes (fol. 12) und Mat­ thä­us (fol. 16); der Hun­de­kopf bei Mar­kus (fol. 18) be­weist, daß da­mit nicht die Evan­ ge­li­sten ge­meint sind. fol. 19: Von ei­ner ge­wis­sen Fer­ne zu den Tex­ten zeugt, daß bei den Ma­rien­ge­be­ten zwar zu­nächst Ma­ri­as Kopf das Ob­secro te er­öff­net (fol. 19), dann aber das Schweiß­tuch der Ve­ro­ni­ka dem O in­teme­rata vor­an ge­stellt ist, das dort nicht an­ge­spro­chen wird (fol. 24). fol. 34: Vom Zy­klus des Ma­rien­of ­fi­zi­ums, der kei­ne Ab­wei­chung vom Brauch bot, sind vier Mi­nia­tu­ren er­hal­ten; da­bei fällt auf, daß un­ser Ma­nu­skript zu den be­mer­kens­wer­ ten Bei­spie­len ge­hört, die auf bunt­far­bi­ge Klei­dung der Haupt­fi­gu­ren ver­zich­ten, so daß eine Art Grisaille-Wir­kung ent­steht: Die Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 48) mit Ma­ria auf dem Weg zur Burg von Za­cha­ ri­as und Eli­sa­beth schafft den ir­ri­gen Ein­druck, die Äl­te­re sei über’s Gebirg ge­kom­men. Ein run­der Flecht­zaun sorgt für eine ei­gen­tüm­li­che Di­stanz der Be­trach­ter zur Sze­ne

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und scheint das in un­ge­zähl­ten spä­te­ren flä­mi­schen Bor­dü­ren wie­der­keh­ren­de Mo­tiv vor­ weg­zu­neh­men, bei dem die rund um­zäun­ten Wie­sen mit klei­nen wei­ßen Ka­nin­chen be­ lebt sind (z. B. Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter III , Nr. 19, drei­mal: Abb. S. 345 und 349). In der In­itia­le er­scheint ein Bär­ti­ger, wohl Eli­sa­beths Gat­te Za­cha­ri­as, der Va­ter des Täu­fers. Bei der Hir­ten­ver­kün­di­gung zur Terz (fol. 70) sitzt ein Hir­ten­paar vorn; die Frau hat – höchst un­ge­wohnt für die Nacht­stun­de, die ei­gent­lich evo­ziert wer­den müß­te, ei­nen Be­ cher in der Hand und auf ei­nem Tuch ein Brot; ihr Hund macht Männ­chen. Wei­ter hin­ ten sitzt ein wei­te­rer Hir­te, der mit sei­nem Hir­ten­stab bis zu den Gold­strah­len reicht, die vom En­gel aus­ge­hen. Eine hin­rei­ßen­de Was­ser­land­schaft er­streckt sich bis zur Stadt im Hin­ter­grund; in der In­itia­le er­scheint Ve­ro­ni­ka mit dem Schweiß­tuch. Bei der Kö­nigs­an­be­tung zur Sext (fol. 76) sitzt Ma­ria wie in vie­len un­se­rer Pa­ri­ser Bei­ spie­le links; vor ihr kniet wie ge­wohnt der äl­te­ste Kö­nig; der mitt­le­re steht un­ter dem Gie­bel des Stalls, wäh­rend der jüng­ste als Rücken­fi­gur zum Stern auf­schaut, des­sen Strah­len durch ein Loch im schad­haf­ten Dach nach un­ten drin­gen. Die Flucht zur Ves­p er (fol. 85) folgt wie ge­wohnt der Le­se­rich­tung und ist nach rechts ge­rich­tet. Jo­seph, im stren­gen Pro­fil, geht ei­lig vor­aus. Wie in Nr. 22 gibt Ma­ria dem Kind die Brust, al­ler­dings so nach links ge­dreht, daß Jo­seph, dreh­te er sich um, ihre Brust nicht se­hen könn­te. Das Korn­wun­der, das dort eben­falls ge­zeigt wur­de, rückt so weit nach vor­ne, daß Ma­ri­as Kopf die Sze­ne un­ter­bricht: Links ist das Korn schon hoch auf­ ge­schos­sen; der Bau­er ver­fügt auch dies­mal be­reits über eine Si­chel, ob­wohl er ja zum Säen auf sein Feld ge­gan­gen war, und schaut sich um zu den Sol­da­ten, die rechts hin­ter ei­nem Hü­gel auf­tau­chen. Die Stadt in der Fer­ne meint wohl Beth­le­hem. Dies­mal hat die Bor­dü­re ei­nen Fond aus Pin­sel­gold; in der In­itia­le wird ein weib­li­ches Haupt, viel­leicht Ma­ria, vor blau­em Grund in ei­nem grü­nen Bil­der­rah­men ge­zeigt. Bei der Ma­rien­krö­nung zur Komplet (fol. 95v) kniet die Mut­ter­got­tes sehr ju­gend­lich vor dem für sie frei­ge­hal­te­nen Teil von Got­tes Thron, wo ein grü­nes Samt­kis­sen auf dem ro­sa­far­be­nen Tuch für sie be­reit steht. Hin­ter der bild­par­al­le­len Thron­leh­ne taucht ein En­gel auf und setzt ihr die Kro­ne auf das Haupt. Farb­lich ein­drucks­voll ist in ei­nem tief­ blau­en Wol­ken­kranz der gol­de­ne Fond, wo sich un­ter ei­nem tief­blau­en run­den Ziborium eine dich­te Mas­se von Se­ra­phim drängt. fol. 120: Zu den Buß­psal­men wird ein Ge­bet Kö­nig Da­vids ge­zeigt: Der Greis, der sei­ne Kro­ne auf dem Haupt be­hält, die Har­fe aber links in ei­nen Tor­bo­gen ab­ge­stellt hat, kniet in ei­ner go­ti­schen Ka­pel­le vor ei­nem von zwei Ker­zen flan­kier­ten gol­de­nen Schrein. Vom zier­li­chen Ge­bäu­de wird die rech­te Au­ßen­wand in küh­ner Per­spek­ti­ve ver­kürzt ge­zeigt. Im Pro­fil schaut Da­vid auf, die Hän­de fas­sungs­los er­ho­ben, ohne daß ein En­gel oder gar Gott er­schie­ne. Ob der ele­gan­te Frau­en­kopf in der In­itia­le Bat­hseba oder gar eine Be­te­ rin aus der Ent­ste­hungs­zeit des Ma­nu­skripts sein soll, bleibt un­ge­klärt. fol. 154: Zur Matutin von Hei­lig Geist hat man sich beim Pfingst­wun­der in ei­nem recht ge­räu­mi­gen spät­go­ti­schen Sa­kral­raum ver­sam­melt, der of­fen­bar po­ly­go­nal be­grif­fen wird: Für Ma­ria ist in der Mit­te zwi­schen zwei Fen­ster­paa­ren ein ho­her Thron er­rich­

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tet. Dar­über und un­ter der her­ab­ra­gen­den Zier­ar­chi­tek­tur er­scheint die Tau­be des Hei­ li­gen Gei­stes in ro­ter Glo­rie. Die Apo­stel, un­ter de­nen nur Jo­han­nes vorn links er­kenn­ bar ist, rücken zu den Sei­ten, die ganz vorn sit­zen­den schau­en im ver­lo­re­nen Pro­fil auf. fol. 164: Zum To­ten­of ­fi­zi­um wird mit der Beich­te am Ster­be­bett aus ei­nem nir­gend­wo als Ge­samt­heit greif­ba­ren Zy­klus von Mu­ster­blät­tern zu Ster­ben und Be­gra­ben, aus dem in Stun­den­bü­chern je­weils nur Ein­zel­bil­der ge­wählt wer­den konn­ten, eine sehr sel­te­ne Sze­ne ge­wählt. Be­son­ders gern ha­ben sich die bei­den Buch­ma­ler mit Na­men Fran­çois Le Bar­bier, die in der bis­he­ri­gen Li­te­ra­tur un­ter Maître Fran­çois und Mei­ster des Ja­cques de Be­san­çon ge­führt wer­den, die­ser Bil­der be­dient; hier aber ha­ben wir es mit de­ren Vor­ gän­ger, dem Mei­ster des Jean Rolin zu tun. Das Ster­be­bett ist noch leer: Vorn sitzt ein Geist­li­cher mit ro­sa­far­be­nem Bonn­et und nimmt ei­nem Mann be­sten Al­ters, der eher wirkt, als sei er der zu­wei­len am Ster­be­bett des Va­ters ge­zeig­te Sohn, weil er noch sein Kurz­schwert im Gür­tel hat und wie ein Rei­sen­der den Hut über der Schul­ter hän­gen hat, tröst­lich die Beich­te ab; ein Hund schaut zu. Ein gött­li­cher Gold­strahl dürf­te drei Ärz­ten hin­ten die Dring­lich­keit ver­rät, die sie auch m Urin­ge­fäß er­ken­nen. Zum Stil Die Aus­ma­lung stammt vom Mei­ster des Jean Rolin und sei­ner Werk­statt; der Mei­ster hat alle gro­ßen Mi­nia­tu­ren aus­ge­führt, nicht aber die un­ge­zähl­ten Köp­fe in In­itia­len und die Gro­tes­ken in den Bor­dü­ren. Das Ma­nu­skript ist in der rei­fen Zeit des Künst­lers um 1460 ent­stan­den und ver­bin­det sich mit an­de­ren Stun­den­bü­chern des­sel­ben Stils durch den be­wuß­ten Ver­zicht auf bunt­far­bi­ge Ge­wän­der. Da­mit rückt es in en­gen Be­zug zum spä­ter von Jean Fouquet er­gänz­ten Stun­den­buch des Si­mon de Varie, das in drei Bän­de auf­ge­teilt wur­de, die heu­te in der Kö­nig­li­chen Bi­blio­thek in Den Haag und im GettyMu­se­um in Los An­ge­les lie­gen (Marrow 1994). Ein be­mer­kens­wer­tes Stun­den­buch vom Mei­ster des Jean Rolin, zwar ei­ni­ger Blät­ ter be­raubt, im er­hal­te­nen Be­stand aber un­ver­sehrt und durch den Ein­band und den be­mal­ten Gold­schnitt ein sehr schö­nes Ma­nu­skript klei­nen For­mats. Im Ver­zicht auf Bunt­far­ben bei den Ge­wän­dern ein cha­rak­te­ri­sti­sches frü­hes Bei­spiel für eine Art von Halb­grisaille, die ge­ra­de von den drei Ge­ne­ra­tio­nen Pa­ri­ser Buch­ma­ler ge­ schätzt wur­de, die Dur­rieu un­ter dem Na­men Ja­cques de Be­san­çon zu­sam­men­ge­ faßt hat­te und in de­nen man heu­te den Schöp­fer die­ses Buchs und die ihm nach­fol­ gen­den Fran­çois Le Bar­bier den Äl­te­ren und den Jün­ge­ren er­kennt. Un­ge­mein reich im Rand­schmuck und in den vie­len mit Köp­fen be­setz­ten zweiz­ei­li­gen In­itia­len, ein­ drucks­voll in den Mi­nia­tu­ren und viel­leicht ein­zig­ar­tig im To­ten­bild. Die­ses Ma­ nu­skript mit sei­nem un­ge­wohnt dich­ten Livre de Rai­son von 1532 bis 1616 mit den vie­len Si­gna­tu­ren und durch das wie­der­auf­le­ben­de In­ter­es­se zu Be­ginn des 19. Jahr­ hun­derts ist ein über Jahr­hun­der­te hoch­ge­schätz­tes Mo­nu­ment äl­te­rer Spi­ri­tua­li­tät. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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24 Ein Stun­den­buch aus der Samm­lung Frédéric Spit­zer, von Fran­çois Le Bar­bier dem Äl­te­ren, bis­her als Maître Fran­çois be­kannt, mit Er­gän­zun­gen für ein Mit­glied der Fa­mi­lie Rais


24 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­der in Rot, Blau und Gold, in Bast­arda. Pa­ris, um 1470: Maître Fran­çois, also Fran­çois Le Bar­bier der Äl­te­re, mit Hin­zu­fü­ gun­gen aus der Zeit Alex­an­ders VI. nach 1492 Ins­ge­samt 15 gro­ße Mi­nia­tu­ren: da­von zwölf mit Rund­bo­gen in Gold­lei­sten über vier Zei­ len In­cipit mit dreiz­ei­li­ger far­bi­ger In­itia­le auf Blatt­gold, mit vier­sei­ti­gen Bor­dü­ren mit blau-gol­de­nem Akanthus in den Ecken und Blu­men in den Mit­ten, un­re­gel­mä­ßig von Vö­ geln und gro­tes­ken We­sen be­lebt; hin­zu­ge­fügt ein text­lo­ses Bild in drei­sei­ti­gen Bor­dü­ren so­wie ein wei­te­res Voll­bild und ein etwa eine hal­be Sei­te ein­neh­men­des Bild ohne Rand­ schmuck. Alle Text­sei­ten des ur­sprüng­li­chen Buch­blocks mit Bor­dü­ren­strei­fen aus Blu­ men und Akanthus au­ßen. Blatt­gold­buch­sta­ben auf ro­ten und blau­en Flä­chen: Zweiz­ei­lig zu den Psal­men­an­fän­gen, auf Recto-Sei­ten zu­wei­len mit recht­eckig be­grenz­ten Bor­dü­ren­strei­ fen links; ein­zei­lig zu den am Zei­len­be­ginn ste­hen­den Psal­men­ver­sen; Zei­len­fül­ler der glei­chen Art. Hin­zu­ge­füg­te Par­ti­en mit Pin­sel­gold-Buch­sta­ben auf ab­wech­selnd wein­ro­ten und blau­en Flä­chen; in die­ser Art auch der Ka­len­der, der al­ler­dings of­fen­bar zum al­ten Buch­block ge­hört. Ver­sa­li­en gelb la­viert. 190 Blatt Per­ga­ment. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, durch Text­ver­lu­ste und Hin­zu­fü­ gun­gen zahl­rei­che Ab­wei­chun­gen: 1(2+1), Ka­len­der­la­ge 2(12), Lage 3(2+1), 4(8-1, End­blatt fehlt), 5(4), 6(8-1, Ein­gangs­blatt fehlt), 9(8-1, Blatt­ver­lust vor fol. 55), 12(8-1, Blatt­ver­lust vor fol. 79), 12 (8-1, Blatt­ver­lust vor fol. 87). 16(4), 17(8-1, Ein­gangs­blatt fehlt), 20(6-1, Ein­gangs­ blatt fehlt), 21(8+1, Ein­gangs­blatt hin­zu­ge­fügt), nach der re­gel­mä­ßi­gen Lage 25(8) die letz­ten zwölf Blät­ter nicht zu kol­la­tio­nie­ren. Zu 12, im Ka­len­der zu 17 Zei­len; rot reg­liert. Duo­dez (133 x 95 mm, Text­spie­gel: 70 x 49 mm). Zwar mit Blatt­ver­lu­sten, in den Ma­le­rei­en aber vor­züg­lich er­hal­ten. Neu­er ro­ter Samt­band über den al­ten Holz­deckeln; zeit­wei­lig als Vor­sät­ze die­nen­de Blät­ter von den Deckeln ge­löst. Pro­ve­ni­enz: Auf dem nach 1492 hin­zu­ge­füg­ten fol. 17 ein Wap­pen: vier­ge­teilt, in 1 und 4 aus Gold ein schwar­zes Kreuz mit ei­nem ro­ten Kreis links oben; in 2 und 3 Sil­ber mit drei acht­ecki­gen Ster­nen und ei­nem Dolch in Schwarz: Rais oder Retz be­zie­hungs­wei­se Texor von Ravisi. Of­fen­bar ge­hör­te das Buch zu­min­dest um 1500 der Fa­mi­lie des be­rüch­tig­ten Gilles de Rais (1406-1440), der als Mar­schall Karls VII. ne­ben Je­an­ne d’Arc kämpf­te und durch sei­ ne Ver­bre­chen als In­bild ei­nes „Blau­barts“ zu sin­ist­rem Ruhm kam und des­sen Toch­ter, Ma­ rie de Rais, 1442 Pri­gent VII de Co­ëtivy, den Bru­der des mehr­fach zi­tier­ten Olivier de Co­ ëtivy, hei­ra­te­te. Wie das Schild­chen im Vor­der­deckel mit den In­itia­len F. S. zeigt, ge­hör­te das Buch im 19. Jahr­ hun­dert Frédéric Spit­zer (1815-1892), der die wohl um­fang­reich­ste Pri­vat­samm­lung mit­tel­al­ ter­li­cher Kunst hin­ter­ließ, de­ren fast 3500 Ob­jek­te 1893 in über mehr als zwei Mo­na­te ver­

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teil­ten Auk­tio­nen ver­stei­gert wur­den; dar­un­ter be­fan­den sich je­doch nur 39 Ma­nu­skrip­te und we­ni­ge Ein­zel­mi­nia­tu­ren; un­ser Stun­den­buch war Nr. 3018, ver­stei­gert am 1. Juni 1893. Es er­schien als Nr. 21 von Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter V, 1993. Seit­her in ei­ner fran­zö­si­schen Pri­ vat­samm­lung. Text fol. 1: Hin­zu­fü­gung aus der Zeit Alex­an­ders VI . (1492-1503): Oracio nova pape alex­ andri: O domi­ne ih(es)u xp(ist)e fili dei vivi, mit Ab­laß­ver­spre­chen. Sie­ben Ver­se des Hei­ li­gen Gre­gor: Domi­ne ih(es)u xp(ist)e adoro te in cruce pend­en­tem (fol. 1v); fol. 2v-3v text­los. fol. 4: Ka­len­der in la­tei­ni­scher Spra­che, ob­wohl nicht je­der Tag be­setzt ist, wie bei Ka­ len­da­ri­en in fran­zö­si­scher Spra­che bei den ein­fa­chen Hei­li­gen­ta­gen ab­wech­selnd wein­rot und blau, Fe­ste in Gold. Gol­de­ne Zahl und Sonn­tags­buch­sta­ben a blau; Sonn­tags­buch­ sta­ben b-g schwarz. Die Hei­li­gen­aus­wahl we­nig aus­sa­ge­kräf­tig; fol. 16 leer. fol. 16v: Bi­bel­text zur Fuß­wa­schung, mit den Wap­pen der Fa­mi­li­en Rais und Textor: Joh. 13,1-15, in der Ru­brik ir­rig be­zeich­net als In­itium s(an)cti eva(n)gel­ii sec­undu(m) johan­ ne(m); fol. 17v-18v leer. fol. 19: Per­ik­open in ei­ner ir­ri­gen Rei­hen­fol­ge; denn die Er­zäh­lung von der An­be­tung der Kö­ni­ge nach Mar­kus wird vor den Lu­kas­be­richt über die Ver­kün­di­gung ge­stellt; dazu gibt es dann fal­sche An­ga­ben in den Ru­bri­ken: Jo­han­nes (fol. 19), Mat­thä­us wird als Lu­ kas ru­bri­ziert (fol. 21) und Lu­kas als Mar­kus (fol. 23), Mar­kus schließ­lich als Mat­thä­us (fol. 25, Text bricht ab). fol. 26: Ma­rien­ge­bet Ob­secro te (An­fang fehlt; männ­li­che und weib­li­che di­rekt hin­ter­ein­ an­der: ego sum fact­urus… Et michi an­cille tue N. im­petres.); fol. 29v leer. fol. 30: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Rom, ein­ge­schal­tet die Horen von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist: Mari­en-Matutin (fol. 30, An­fang fehlt), Mari­en-Lau­des (fol. 41), Kreuz-Matutin (fol. 54), Geist-Matutin (fol. 55, ohne Domi­ne labia mea ape­ries und des­ halb bild­los), Mari­en-Prim (fol. 56), Mari­en-Terz (fol. 62), Mari­en-Sext (fol. 68), Mari­ en-Non (fol. 73), Mari­en-Ves­p er (fol. 79, An­fang fehlt), Mari­en-Komplet (fol. 87, An­fang fehlt); Sal­ve re­gi­na (fol. 90); Psal­men­grup­pen für an­de­re Wo­chen­ta­ge (fol. 90v); Ad­vents­ of ­fi­zi­um (fol. 100). fol. 110: Buß­psal­men (An­fang fehlt) mit Li­ta­nei (fol. 122v) mit Hei­li­gen aus Re­gio­nen süd­lich der Loire: Martial von Li­mo­ges nach den er­sten Päp­sten; Justus und Pa­stor; Hono­ra­tus; be­son­ders vie­le Frau­en, dar­un­ter Rad­egun­dis von Poi­tiers; fol. 132v leer. fol. 133: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Rom: Ves­p er (ru­bri­ziert „vigilie mortuo­ rum“, An­fang fehlt). fol. 181: Suff­ragien: Jo­han­nes Evan­ge­list (fol. 181), Se­ba­sti­an (auf fol. 181v an­ge­kün­ digt, fehlt), Ni­ko­laus (fol. 182), Mar­tin (auf fol. 182v an­ge­kün­digt, fehlt), Apol­lo­nia (fol. 183). Hin­zu­ge­füg­te Fran­zis­ka­ner-Suff­ragien: Fran­zis­kus (fol. 184), An­to­ni­us von

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Padua (fol. 184), ge­folgt von (S)ur­git xp(ist)us cum tropheo (fol. 184v); (V)exil­la regis pro­ deunt (fol. 186). Suff­ragium des Eutropius von Saintes (fol. 187); zum Na­men Jesu: La moitié du nom de Ihésus. fol. 188: Ge­be­te zu ein­zel­nen Hei­li­gen­grup­pen: (O) vous se­ra­ph­ins… und so fort fol. 189: Suff­ragium Mi­cha­el. fol. 189v: Got­tes­ge­bet: Pa­ter omnis creature. fol. 190: O fons vite. fol.190v: aus Joh. 13 der­sel­be Text in der­sel­ben Schrift wie fol. 16v, bricht in der 7. Zei­ le ab; Texten­de. Schrift und Schrift­de­kor Zwi­schen Tra­di­ti­on und Neue­rung steht der Schrift­de­kor: Die Bast­arda hat­te sich be­ reits seit Jahr­zehn­ten durch­ge­setzt; doch lebt in der Aus­stat­tung mit Flä­chen­de­kor äl­ te­re Pa­ri­ser Tra­di­ti­on fort. Auch war dem Il­lu­mi­na­tor der Brauch kaum noch ver­traut, zweiz­ei­li­gen In­itia­len ei­ge­ne Bor­dü­ren­strei­fen zu­zu­ord­nen, die bei ei­nem durch­ge­hen­den Text­de­kor mit Rand­schmuck au­ßen nur auf Recto-Sei­ten nö­tig wa­ren. Ei­gent­lich ge­hö­ ren sol­che Ele­men­te zum Dorn­blatt­de­kor, aus dem dann das Bor­dü­ren­stück sprie­ßen müß­te; doch von Dorn­blatt ist bei den In­itia­len eben­so­we­nig zu se­hen wie in den Ran­ ken. Dem of­fen­bar hier zu Tage tre­ten­den Miß­ver­ständ­nis ent­spricht der Um­stand, daß man dann doch über wei­te Strecken auf sol­che Ele­men­te ver­zich­tet hat. Die Rand­strei­fen sind tep­pich­haft dicht ge­füllt und von ein­fa­chen ro­ten Li­ni­en um­grenzt, die in der glei­ chen Art wie die durch­weg gut sicht­ba­re Reg­lierung aus­ge­führt sind. Der Blu­men­de­kor ist stark sti­li­siert, Akanthus auf Blau und Gold be­schränkt. Die Vö­gel in den Bor­dü­ren schei­nen we­nig­stens im Ma­rien­of ­fi­zi­um von der Hand des Haupt­ma­lers zu stam­men. In den gro­ßen In­itia­len der Bild­sei­ten tre­ten neue­re Ten­den­zen auf: Sie sind mit sti­li­sier­ tem Akanthus ge­füllt, zur Mari­en-Non so­gar be­reits in je­nen weiß­li­chen Tö­nen, die um 1500 do­mi­nie­ren soll­ten. Pin­sel­gold statt Blatt­gold er­laubt, die dar­in ein­ge­bet­te­ten For­ men flüs­si­ger zu ge­stal­ten, wo­bei noch weit­ge­hend ein um­ge­ben­der Blatt­gold­strei­fen bei­ be­hal­ten bleibt. Bil­li­ger und mo­der­ner sind die In­itia­len der Per­ik­open und Suff­ragien: Der Buch­sta­be wird in dun­kel­ro­tem oder dun­kel­blau­em Akanthus auf der je­wei­li­gen Ge­gen­far­be aus­ge­bil­det und dann mit Gold und Sil­ber als ein Ge­bil­de aus Blatt­for­men mo­del­liert. In glei­cher Art sind die KL im Ka­len­der ge­stal­tet. Hin­zu­fü­gun­gen aus den Jahr­zehn­ten um 1500 ma­chen aus die­sem Ko­dex eine Art Schrift­mu­ster­buch: Eine be­son­ders fei­ne Zier­schrift, der Bast­arda des Buch­blocks ver­ wandt, wird auf fol. 16v/17 21zei­lig ein­ge­setzt, mit ei­ner fort­schritt­li­chen Pin­sel­gold-In­ itia­le auf wein­ro­tem Grund. Der Text soll­te of­fen­bar zu­nächst auf fol. 190v ge­schrie­ben wer­den; dort hat der Schrei­ber sie­ben Zei­len aus­ge­führt und die Ar­beit ab­ge­bro­chen, um das dann vorn ein­ge­füg­te Dop­pel­blatt zu be­nut­zen. Ähn­lich ge­stal­tet sind In­itia­len

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auf fol. 1v-2, wo al­ler­dings eine al­ter­tüm­lich stei­le Tex­tura mit sand­far­big la­vier­ten Ver­ sa­li­en ein­ge­setzt ist. Bast­arda wie im Buch­block dient für die Fran­zis­ka­ner-Suff­ragien auf fol. 184, wo die Ru­bri­ken in ei­ner hell­ro­ten Tin­te ge­schrie­ben sind, die auch für zweiz­ei­li­ge Lom­bar­den be­nutzt wird. Auf fol. 184v-186v kehrt eine ähn­li­che Tex­tura wie auf fol. 1v/2 wie­der, nun al­ler­dings mit leer ge­blie­be­nen Räu­men für die In­itia­len. Auf fol. 187 ge­nügt dann eine fast kur­si­ve Ge­brauchs­schrift, die auf fol. 188 noch ein­mal ver­grö­bert wird. Schön­ schrift nach dem Vor­bild von fol. 16v/17 wird für das Mi­cha­els-Suff­ragium auf fol. 189 aus­p ro­biert. Drei wei­te­re Hän­de ha­ben dann die Tex­te auf fol. 189v und 190 in ab­neh­ men­der Qua­li­tät ge­schrie­ben. Zu den Hin­zu­fü­gun­gen ge­hö­ren auch Er­gän­zun­gen und Kor­rek­tu­ren im Buch­block, so meh­re­re Zei­len un­ter dem Text von fol. 167v und 176v. Die Bil­der fol. 1v: Über den Ver­sen des Kir­chen­va­ters Gre­gor wird in ei­nem recht­ecki­gen Bild der In­halt der Gre­gors­vi­si­on ge­zeigt: Vor ei­ner mit far­bi­gen Säu­len­schäf­ten be­setz­ten Wand zeigt sich der Schmer­zens­mann im mit Pin­sel­gold geh­öhten Sar­ko­phag, mit über dem Schoß ge­kreuz­ten Ar­men, aus sei­nen Wun­den blu­tend, das Haupt ge­senkt. fol. 3: Zwi­schen zwei text­lo­sen Sei­ten ein bart­lo­ser Bi­schof in ei­ner Land­schaft, na­men­ los, als Hoch­recht­eck mit Bor­dü­ren links, un­ten und rechts. fol. 18: Ohne Rand­schmuck ein gro­ßes text­lo­ses Bild der Fuß­wa­schung Chri­sti: Schau­ platz ist eine Raum­ecke in ei­nem flach­ge­deck­ten Zim­mer mit ei­nem gro­ßen Fen­ster­aus­ blick in die Land­schaft, den Re­nais­sance­säu­len rah­men. Rechts kniet Je­sus vor ei­ner gro­ ßen Scha­le nie­der, um Pe­trus, der sich mür­risch sträubt, mit sei­ner wei­ßen Schür­ze den rech­ten Fuß zu trock­nen. Durch ei­nen Bo­gen links drän­gen die an­de­ren Apo­stel mit den ju­gend­li­chen Brü­dern Jo­han­nes und Ja­kob­us her­ein. Eine In­schrift am Ge­wand­saum be­ zeich­net Pe­trus; bei Ja­kob­us sind die Buch­sta­ben durch­ein­an­der ge­ra­ten. fol. 19: Die vom Schrei­ber in der Text­fol­ge an­ge­rich­te­te Un­ord­nung nimmt der Ma­ler nicht zur Kennt­nis; sei­ne Bil­der ver­ra­ten, daß er die ein­zel­nen Tex­te kennt und bei der Ar­beit an noch un­ge­bun­de­nen Blät­tern die Ru­bri­zie­rung nicht vor Au­gen hat­te; in gu­ ter Tra­di­ti­on er­öff­net er die Per­ik­open durch vier Evan­ge­li­sten­por­traits: Jo­han­nes auf Patmos (fol. 19) sitzt auf dem nach vorn kreis­run­den Ei­land, das sich mit Bäu­men hin­ter ihm wun­der­bar in die Tie­fe er­streckt, in ei­ner wei­ten Fluß­land­schaft vor der Ku­lis­se ei­ner Stadt; der Ad­ler hält sein Schreib­zeug. Jo­han­nes schreibt in ein Buch, wäh­rend die drei an­de­ren auf Schrift­bän­der schrei­ben, die sie auf die Knie ge­legt ha­ben. In der Bor­dü­re un­ten ein nack­ter Kna­be, der ein Misch­we­sen mit Ka­mels­kopf und ei­ nem bär­ti­gen Men­schen­kopf an der Brust rei­tet. Die drei wei­te­ren Mi­nia­tu­ren sind als be­mer­kens­wer­te In­te­rieurs ge­stal­tet und mit Dia­ phrag­men ein­ge­faßt. De­ren Maß­werk teilt bei Mat­thä­us und Lu­kas als Dop­pel­bo­gen

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mit ei­nem hän­gen­den Schluß­stein die Räu­me so, daß je­weils eine Hälf­te dem un­ter ei­ nem Bal­da­chin sit­zen­den Evan­ge­li­sten und die an­de­re sei­nem At­tri­buts­we­sen zu­ge­teilt ist. Da­bei wech­selt die Le­se­rich­tung; denn Mat­thä­us sitzt rechts, Lu­kas links. Mat­thä­us (fol. 21) sitzt vor ei­nem lee­ren Bü­cher­pult; denn ihm ge­nügt die In­spi­ra­ti­on durch den En­gel, der ihm ein Buch ge­öff­net vor­hält, da­mit der Evan­ge­list dar­aus auf sein Schrift­ band no­tie­ren kann. Lu­kas (fol. 23) hin­ge­gen, der eben­falls auf ein Schrift­band schreibt, hat ein blau ge­bun­de­nes Buch vor den Stier auf den Bo­den ge­legt und ein zwei­tes auf dem Bü­cher­pult hin­ten ab­ge­stellt. Mar­kus (fol. 25) sitzt un­ter ei­nem Bett­him­mel vor ei­ nem schräg im Raum ste­hen­den Ka­sten, der ein dreh­ba­res Buch­pult trägt und blät­tert ein Buch, aus dem er ab­schreibt. Der Löwe ist weit nach rechts ge­drängt und blickt den Be­trach­ter an. fol. 30: Das Ma­rien­of ­fi­zi­um wird ab­wei­chend von in Pa­ris ge­wohn­ter Norm von ei­nem Pas­si­ons­zy­klus er­öff­net. Da­mit wird die ein­zi­ge Er­zäh­lung, die sich in der christ­li­chen Tra­di­ti­on im Ab­lauf ei­nes ein­zel­nen Ta­ges von Nacht bis er­neu­tem Ein­bruch der Nacht hin­zieht, auf das täg­li­che Stun­den­ge­bet be­zo­gen. Das ge­schieht un­ab­hän­gig von den ein­ ge­füg­ten Stun­den des Hei­li­gen Kreu­zes, weil die dort am An­fang (fol. 54v) be­rich­te­te Ge­fan­gen­nah­me be­reits zu den Mari­en-Lau­des (fol. 41) dar­ge­stellt ist. Der­ar­tig ge­stal­te­te Stun­den­bü­cher fin­den sich oft in West­frank­reich; das pro­mi­nen­te­ste Bei­spiel war für Guy de Laval be­stimmt, wur­de für uns von Ga­brie­le Bartz ana­ly­siert, gibt ei­nem be­deu­ten­den Ma­ler sei­nen Not­na­men und wird heu­te in der Samm­lung Re­na­te Kö­nig auf­be­wahrt (Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter, Neue Fol­ge III, 2000, Nr. 6 und kurz dar­auf in ei­nem spä­ter auch als Mo­no­gra­phie er­schie­ne­nen Bei­trag zu Nr. 8 der Köl­ner Aus­stel­ lung von 2001; sie­he auch die in die­sem Jahr er­schei­nen­de Mo­no­gra­phie der Au­to­rin). Der Zy­klus setzt zu den Mari­en-Lau­des mit der Ge­fan­gen­nah­me Chri­sti (fol. 41) ein: Un­ter dem ge­gen den Nacht­him­mel ra­gen­den Gar­ten­tor bil­det die Grup­pe des Ju­das­ kus­ses das Zen­trum des Fi­gu­ren­re­li­efs, das von links un­ten nach rechts an­steigt. Da bricht Mal­chus ins Knie, wäh­rend Pe­trus sein Schwert in die rote Schei­de steckt. Un­be­ irrt vom Kuß des Ver­rä­ters und vom Tritt ei­nes von rechts an­grei­fen­den Sol­da­ten streckt Je­sus die Hand aus, um das ab­ge­schla­ge­ne Ohr wie­der an­zu­set­zen. Im Ko­lo­rit kämp­fen Bunt­far­ben mit dem Wunsch, nächt­li­chen Ein­druck zu schaf­fen; da­durch ent­steht eine Fa­rb­kom­po­si­ti­on, die auf ei­gen­ar­ti­ge Wei­se ge­gen­sätz­li­che Fi­gu­ren mit­ein­an­der ver­bin­ det: Ju­das trägt das­sel­be Vio­lett, das Jesu Un­ge­näh­ten Rock kenn­zeich­net, und dar­über eben­falls ei­nen ro­ten Man­tel, des­sen Far­be im Wams des Mal­chus wie­der­kehrt. Die üp­ pi­ge Gold­höhung al­ler drei ro­ten Flä­chen ver­bin­det mit der nur rot mo­del­lier­ten gol­de­ nen Tu­ni­ka Petri, des­sen pracht­voll blau­er Man­tel wie­der­um im Wams des An­grei­fers rechts eine Par­al­le­le fin­det. Ei­gent­lich müß­te nun das Ver­hör durch den Ho­hen­prie­ster fol­gen; statt­des­sen wird be­ reits zur Kreuz-Matutin die Gei­ße­lung (fol. 54) ge­zeigt: Säu­len mit hell­grü­nen Schäf­ten tra­gen ei­nen gol­de­nen Bo­gen als Bin­nen­rah­mung der Mi­nia­tur; eine leicht mit Rosa ge­ tön­te Säu­le trägt das Ge­wöl­be ei­nes durch schräg ge­stell­te Wän­de ge­schlos­se­nen Po­ly­ gons. An die­se Säu­le ist Chri­stus ge­bun­den; zwei Scher­gen schla­gen von den Sei­ten auf

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ihn ein. Selbst sie tra­gen das Vio­lett, das ei­gent­lich Jesu Rock aus­zeich­net. Ro­tes Schuh­ werk vorn blitzt auf. Daß bei­de Farb­tö­ne in un­se­rem Stun­den­buch ge­ra­de­zu für den Ma­ler zum Pro­gramm wer­den, zeigt Je­sus vor Pi­la­tus zur Mari­en-Prim (fol. 56): Pi­la­tus und die drei Män­ner um ihn tra­gen Vio­lett, das bei Chri­stus durch den ro­ten Man­tel fast ver­deckt ist. Ro­tes Schuh­werk sorgt wie­der für ei­nen gar nicht ins Ge­samt­ko­lo­rit in­te­grier­ten Ef­fekt. Je­sus, ganz in die Fi­gu­ren­grup­pe links mit ih­rer Isokeph­alie ein­ge­bun­den, trägt die Dor­nen­ kro­ne; Pi­la­tus ei­nen ho­hen Hut, wie er da auf sei­nem Thron un­ter ei­nem run­den Bal­da­ chin sitzt und sich vor­beugt, um die Hän­de zu wa­schen. Die Kreuzt­ragung zur Mari­en-Terz (fol. 62) va­ri­iert ei­nen al­ten Bild­ge­dan­ken des Boucicaut-Mei­sters, wie er im Ber­li­ner Stun­den­buch (Kup­fer­stich­ka­bi­nett, Ms. 78 C 4) aus­ge­prägt ist: Aus dem Stadt­tor von Je­ru­sa­lem links führt der Weg nach rechts oben; da­bei sorgt die neue Be­herr­schung des Raums da­für, daß das Ge­drän­ge vor der Stadt in deut­li­chen Kon­trast zur schlich­ten Öff­nung in die Land­schaft tritt, ohne daß Golgatha ge­zeigt wür­de. Ma­ria in ih­rem blau­en Ge­wand folgt ih­rem Sohn, der das Kreuz mit dem Quer­bal­ken nach vorn trägt und von drei Scher­gen ge­sto­ßen und ge­zerrt wird. Das Ge­ sicht des Lieb­lings­jün­gers Jo­han­nes taucht hin­ter der er­ho­be­nen Faust ei­nes Pei­ni­gers auf. Kom­po­si­ti­onell über­ra­schend ist die Kreuz­annagelung zur Mari­en-Sext (fol. 68); man könn­te fast den Ein­druck be­kom­men, der Ma­ler habe es auf äs­t he­ti­sches Al­ter­nie­ren von Mi­nia­tur zu Mi­nia­tur an­ge­legt; denn wie bei der Gei­ße­lung wird das Per­so­nal er­neut stark re­du­ziert: Auf ei­nem an­stei­gen­den Hü­gel, mit dem Quer­bal­ken rechts oben liegt das Kreuz, an das Jesu Hän­de und Füße nur ge­bun­den sind. Es geht nicht um sinn­vol­le Ab­läu­fe, son­dern um Ge­sten, die Grau­sam­keit aus­drücken sol­len: Vorn zerrt ein Scher­ ge den Strick, der um die Füße ge­bun­den ist und drängt nach rechts; er bringt auf­fäl­li­ ge Far­ben ins Bild: über wei­ßen Bein­klei­dern ist sein Wams pracht­voll blau, und sei­ne Müt­ze leuch­tet rot. Zwei wei­te­re, durch Pro­por­tio­nen und mat­te­re Farb­tö­ne zu­rück­ge­ nom­men, sind da­bei, Jesu rech­te Hand fest­zu­zur­ren und nun auch an­zu­na­geln. Gei­ster­haft wirkt die Kreu­zi­gung zur Mari­en-Non (fol. 73): Un­ter ei­nem dunk­len Him­ mel, in dem die Son­ne wie ein Stern von Beth­le­hem leuch­tet und der sil­ber­ne Mond durch Oxy­da­ti­on ganz schwarz ge­wor­den ist, steht Chri­sti Kreuz über ei­nem Kno­chen und ei­nem Schä­del, der den Be­griff Golgatha als Schä­del­stät­te ver­an­schau­licht. Jo­han­ nes und Ma­ria ste­hen links, zu ih­nen ist der tote Chri­stus ge­wen­det, wäh­rend Sol­da­ten rechts of­fen­bar dem vor­neh­men Herrn zu­hö­ren, der er­staun­li­cher Wei­se als Rücken­fi­ gur am Bild­rand steht, in lan­ger Robe und mit ho­hem Hut, aber auf ein Schild ge­stützt; das be­ste Ele­ment die­ses links nicht recht über­zeu­gen­den Bil­des ist der bart­lo­se Sol­dat, der mit sei­ner Hand auf den Er­lö­ser zeigt und fragt, ob der wirk­lich Got­tes Sohn ist. fol. 181: In den Suff­ragien wird nun auch Jo­han­nes Evan­ge­list (fol. 181) in sei­nem Stu­dio ge­zeigt, wo er un­ter dem Dia­phrag­ma als zar­ter Jüng­ling ne­ben ei­ner Tru­he mit dreh­ba­ rem Buch­pult steht. In der Hand hält er den ver­gif­te­ten Kelch, aus dem er mit sei­ner Se­ gens­ge­ste ein grü­nes Un­ge­heu­er ver­treibt. Im Hin­ter­grund des ein­drucks­voll be­leuch­te­

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ten Raums spannt sich ein blau­er Bro­kat. Tie­fer Schat­ten links und dif­f u­ses Licht rechts ge­ben den Ge­gen­stän­den eine er­staun­li­che Prä­zi­si­on. Un­ter ei­nem Dop­pel­bo­gen mit hän­gen­dem Schluß­stein, wie er bei Mat­thä­us und Lu­ kas zu fin­den war, je­doch in ei­nem Raum, der mit dem ro­ten Bro­kat und den schräg ge­ stell­ten Sei­ten­wän­den an die Sze­ne der Gei­ße­lung er­in­nert (auch wenn hier kei­ne Säu­le steht) wird der Bot­tich mit den drei Jüng­lin­gen und, rechts da­ne­ben ste­hend, Ni­ko­laus (fol. 182) ge­zeigt: Die Nack­ten rich­ten sich be­tend auf zum hei­li­gen Bi­schof, des­sen Se­ gens­hand die Bild­mit­te ein­nimmt. Zum Stil Der Buch­block ist ein­heit­lich il­lu­mi­niert. Das graue Vio­lett als Klei­der­far­be, die von Jesu Un­ge­näh­tem Rock ver­traut ist, hier aber un­ter­schieds­los Gu­ten wie Bö­sen zu­kommt, ist ne­ben den klei­nen Par­ti­en von leuch­ten­dem Rot ge­ra­de­zu eine Er­ken­nungs­far­be des ver­ ant­wort­li­chen Künst­lers, der dazu Grün und Blau be­vor­zugt und be­son­ders fein Braun­ tö­ne dif­fe­ren­ziert, die in Rot wie Schwarz über­ge­hen kön­nen. Nur die rei­nen Far­ben Blau, Zin­no­ber und Grün so­wie das nur sel­ten be­nutz­te Gelb kom­men ohne Gold­ höhung aus. Ge­schickt weiß der Ma­ler mit Schat­ten um­zu­ge­hen. Da er Haut eher grau tönt und so­gar Ge­sich­ter kaum mit Rot be­lebt, gibt der Ma­ler den Fi­gu­ren ein kla­res Re­li­ef. Raum­tie­fe in­ter­es­siert ihn we­ni­ger als die Ge­schlos­sen­heit von Fi­gu­ren­grup­pen. Bei den Evan­ge­li­ sten und den Hei­li­gen der Suff­ragien könn­te der Ein­druck ent­ste­hen, sie sei­en von an­de­ rer Hand; viel­leicht aber ist nur die In­ten­si­tät der Durch­ar­beit an­ge­sichts der ge­rin­ge­ren Be­deu­tung die­ser Par­ti­en ge­min­dert. Im Haupt­mei­ster wird man ohne Zö­gern den so­ge­nann­ten Maître Fran­çois er­ken­nen. Ihn hat der Ge­ne­ral des Trinit­ari­er­or­dens Ro­bert Gag­uin, der 1488 eine Über­set­zung von Cä­sars De bel­lo gallico vor­leg­te, die ih­rer­seits ei­nem wich­ti­gen Pa­ri­ser Buch­ma­ler den Not­na­men gibt (Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter VI , Nr. 35), in ei­nem Brief an Charles de Gau­ court als „eg­regius ma­gi­ster Franc­iscus“ be­zeich­net. Da­bei be­zog sich Gag­uin auf ein mo­ nu­men­ta­les Ex­em­plar der Cité de Dieu, also der fran­zö­si­schen Fas­sung der Schrift De civit­ate Dei des Kir­chen­va­ters Au­gu­stin­us – ms. fr. 18-19 der Pa­ri­ser Na­tio­nal­bi­blio­thek, die ganz und gar ei­gen­hän­dig aus­ge­führt sind. Seit neue­stem je­doch meint man, den Na­men des Künst­lers end­lich zu ken­nen: Mathieu Deldicque hat in der Re­vue de l’art 2014 den über­zeu­gen­den Vor­schlag ge­macht, Va­ter und Sohn Fran­çois le Bar­bier, die bei­de als Buch­ma­ler ge­ar­bei­tet ha­ben und ver­mut­lich mit den Druckern Jean Bar­bier und Symphorien Bar­bier ver­wandt wa­ren, mit un­se­rem Mei­ster und dem jün­ge­ren Ja­cques de Be­san­çon als Fran­çois le Bar­bier den Äl­te­ren, des­ sen Le­bens­en­de im Dun­keln bleibt, und Fran­çois le Bar­bier den Jün­ge­ren, der wohl 1501 ver­stor­ben ist, zu iden­ti­fi­zie­ren. Die­se hoch­will­kom­me­ne Prä­zi­sie­rung sorgt da­für, ganz im Sin­ne von Eleanor P. Spencer, die ihr Le­ben lang über die­sen Ma­ler ge­forscht hat, end­lich die letz­ten Zwei­fel zu be­sei­ti­gen, man habe es mit ei­nem Sohn Fran­çois von Jean

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Fouquet zu tun; sie sorgt auch für eine will­kom­me­ne Di­stan­zie­rung von der Fa­mi­lie der d’Ypres oder d’Ami­ens. Al­ler­dings bleibt ein Pro­blem: Der Name sagt nichts über die Her­kunft des in Pa­ris an­säs­si­gen Fran­çois Le Bar­bier, der ver­mut­lich 1455/56 ein Haus auf dem Pont Neuf No­tre-Dame ge­mie­tet hat. Die Her­kunft aber ist von In­ter­es­se, nach­ dem be­reits Eleanor Spencer enge Be­zü­ge zu flä­mi­scher Ma­le­rei ge­se­hen hat. Mit Maître Fran­çois ha­ben wir uns be­reits in un­se­rem Ka­ta­log Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter Neue Fol­ge I, 1997, aus­führ­lich aus­ein­an­der­ge­setzt, weil uns da­mals ein ein­drucks­vol­ler Boccace vor­lag. In er­ster Li­nie tritt der Künst­ler in der Be­bil­de­rung gro­ßer Text­hand­ schrif­ten her­vor. Doch hat er auch eine be­mer­kens­wer­te An­zahl vor­züg­li­cher Stun­den­ bü­cher ge­stal­tet. Un­ge­wohnt ist in der hier vor­ge­stell­ten Hand­schrift die Aus­rich­tung auf den Ge­brauch von Rom, die Ein­schal­tung der Horen von Hei­lig Kreuz und Hei­lig Geist ins Ma­rien­of ­fi­zi­um und schließ­lich die Be­bil­de­rung der Ma­rien­stun­den von Lau­ des an mit ei­nem Pas­si­ons­zy­klus. Ge­ra­de die­se Ei­gen­schaft ver­bin­det man eher mit der Loire­ge­gend und der Bre­ta­gne, zu­mal sie im Stun­den­buch des Guy de Laval be­son­ders pro­mi­nent auf­tritt. Die be­son­de­re Ge­stal­tung des Ma­rien­of ­fi­zi­ums er­hält durch die spä­te­ren Hin­zu­fü­gun­ gen für die Fa­mi­lie Texor de Ravisi oder bes­ser Rais viel­leicht ei­nen hi­sto­ri­schen Sinn: Der Buch­block könn­te be­reits für die­se Fa­mi­lie ge­schaf­fen wor­den sein. Die hin­zu­ge­füg­ten Mi­nia­tu­ren stam­men aus zwei deut­lich un­ter­schie­de­nen Mal­kul­tu­ ren, die nicht ge­nau­er de­fi­niert wer­den kön­nen. Durch ihr dunk­les Ko­lo­rit ver­bin­den sich der Schmer­zens­mann und die Fuß­wa­schung (die für die Rais ge­malt wur­de) ge­gen den na­men­lo­sen Bi­schofs­hei­li­gen. Am ein­drucks­voll­sten ist da­bei der Schmer­zens­mann, zu­mal der Wahl des Su­jets ein klu­ger Ge­dan­ke zu­grun­de liegt: In­dem statt der Dar­ stel­lung der Gre­gors­vi­si­on nur der geist­li­che Kern der Vi­si­on ge­zeigt wird, ver­setzt der Ma­ler die Be­ter in die Rol­le des Kir­chen­va­ters, dem der Schmer­zens­mann beim Meß­ op­fer er­schie­nen ist. Ein ein­drucks­vol­les Werk von Fran­çois Le Bar­bier dem Äl­te­ren, den man bis 2014 nur als Maître Fran­çois kann­te: Un­ter den gu­ten Stun­den­bü­chern des Ma­lers nimmt die hier vor­ge­stell­te Hand­schrift ei­nen be­mer­kens­wer­ten Platz ein, bie­tet sie doch den wich­tig­sten Pass­ions-Zy­klus we­nig­stens bis zur Kreu­zi­gung und dazu ganz vor­ züg­li­che Evan­ge­li­sten­por­traits. Wohl für Mit­glie­der der Fa­mi­lie Rais ge­schaf­fen und zu­min­dest für sie mit zwei ein­drucks­vol­len Bil­dern nach 1492 er­gänzt. LI­T E­R A­T UR:

LM V, 21.

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25 Ein Stun­den­buch vom Mei­ster des FoucaultBoccace, ei­nes Kon­kur­ren­ten des Mei­sters von Jean Rolin und von Fran­çois Le Bar­bier dem Äl­te­ren


25 • Stun­den­buch. Horae B. M. V. für den Ge­brauch von Pa­ris. La­tei­ni­sche und fran­zö­si­sche Hand­schrift auf Per­ga­ment, Ru­bri­ken in Rot, mit ei­nem Ka­len­ der in Rot und Blau, Fest­ta­ge in Gold, ge­schrie­ben in Tex­tura. Pa­ris, um 1460: Mei­ster des Foucault-Boccace und ein Mit­ar­bei­ter Acht gro­ße Mi­nia­tu­ren mit fla­chem Rund­bo­gen­ab­schluß, ge­rahmt von drei­sei­ti­ger Zier­ lei­ste, die zum Falz mit ei­nem Dop­pel­stab über­geht, über vier Zei­len Text mit dreiz­ei­li­gen Dorn­blatt­in­itia­len; vier­sei­ti­ge Akanthus­bor­dü­ren mit dich­tem grün-gol­de­nen Blatt­werk, Blü­ten und wun­der­ba­ren voll­far­bi­gen Vö­geln und In­sek­ten, ge­rahmt mit Rot oder Gold; eine vierz­ei­li­ge Dorn­blatt­in­itia­le mit geo­me­tri­schem Mu­ster zum Ma­rien­ge­bet. Zweiz­ ei­li­ge Dorn­blatt-In­itia­len in Rot oder Blau auf Gold, jede Text­sei­te mit ei­ner Bor­dü­re au­ßen mit Blatt­werk und Akanthus, aus den zweiz­ei­li­gen In­itia­len zu Psal­men­an­fän­gen auf Recto zu­sätz­lich in den Rand aus­strah­len­des Dorn­blatt, ein­zei­li­ge In­itia­len zu den Psal­men­ver­sen in Gold auf rot-blau­em Grund mit wei­ßem Li­ni­en­de­kor, Zei­len­fül­ler in der glei­chen Art. Ver­ sa­li­en gelb la­viert. 192 Blatt Per­ga­ment, vor­ne und hin­ten je 1 flie­gen­des und 1 fe­stes Vor­satz aus Per­ga­ment. Ge­bun­den in La­gen zu acht Blatt, da­von ab­wei­chend die Ka­len­der­la­ge 1 (12) so­wie die La­gen 2(8-1, 7. Blatt fehlt), 4(8-1, Ein­gangs­blatt fehlt), 9 (8-1, 7. Blatt fehlt), 10(8-1, 4. Blatt. fehlt), 11(8-1, 8. Blatt fehlt), 12 (6), 15 (6), 22 (8-1, 2. Blatt fehlt) und die End­la­ge 25 (4). Zu 15, im Ka­len­der zu 17 Zei­len, rot reg­liert. Ok­tav (159 x 114 mm, Text­spie­gel 77,5 x 51,5 mm). Ro­ter Samt­ein­band, eine Schlie­ße, Gold­schnitt. Pro­ve­ni­enz: Sot­heby’s Lon­don, 12.7.1939, lot 9: £ 60.0.0, an Jo­seph. Text fol. 1: Ka­len­der für Pa­ri­ser Ge­brauch, je­der Tag be­setzt, Hei­li­gen­ta­ge in Rot und Blau, Fest­ta­ge in Gold, Gol­de­ne Zahl in Gold, Sonn­tags­buch­sta­ben b-g in Schwarz, Sonn­ tags­buch­sta­be A in Blatt­gold auf rot-blau­em Grund, Iden und No­nen in den­sel­ben Far­ ben wie die Hei­li­gen­ta­ge. fol. 13: Per­ik­open: Jo­han­nes (fol. 13), Lu­kas (fol. 14v), Mat­thä­us (fol. 16) und Mar­kus (fol. 17v). fol. 19: Ma­rien­ge­bet: Ob­secro te (An­fang fehlt), für eine Frau re­di­giert; O in­teme­rata (fol. 22v). fol. 27: Mari­en-An­ti­phon: Ave re­gi­na celo­rum, auf ei­nem sonst lee­ren Blatt. fol. 27v: leer. fol. 28: Ma­rien­of ­fi­zi­um für den Ge­brauch von Pa­ris, mit drei voll­stän­di­gen Nok­tur­nen zur Mari­en-Matutin: Matutin (fol. 28, An­fang fehlt), Lau­des (fol. 51v), Prim (fol. 63),

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Terz (fol. 69), Sext (An­fang fehlt vor fol. 73), Non (fol. 77), Ves­p er (fol. 80v), Komplet (fol. 88). fol. 94: Buß­psal­men, mit Li­ta­nei (fol. 107), dar­un­ter die Pa­ri­ser Hei­li­gen Dio­ny­si­us, Lud­ wig, Op­por­tuna und Gen­of­eva. Clau­di­us un­ter den Be­ken­nern spricht für eine re­la­tiv spä­te Ent­ste­hung der Hand­schrift. fol. 112: Horen von Hei­lig Kreuz (An­fang fehlt) und Horen von Hei­lig Geist (An­fang fehlt, fol. 114). fol. 117: To­ ten­ of ­fi­ zi­ um, für den Ge­brauch von Pa­ris. fol. 165: Ge­be­te in fran­zö­si­scher und la­tei­ni­scher Spra­che: XV Joyes: Doulce dame (An­ fang fehlt, fol. 165), VII Requ­estes: Doulx dieu (fol. 170v), Ave domi­ne ihesu xpe (fol. 174), Ver­se des hei­li­gen Bern­hard: Il­lu­mi­na occu­los meos (fol. 175), Omnipotens sempiterne deus qui ezechie regi vide (fol. 176). fol. 176v: Suff­ragien: Tri­ni­tät (fol. 176v), Hei­lig Kreuz (fol. 177), Mi­cha­el (fol. 177v), Jo­ han­nes Bap­tista (fol. 178), Pe­trus und Pau­lus (fol. 178v), Chri­stoph­orus (fol. 179), Se­ba­ sti­an (fol. 180v), Ni­ko­laus (fol. 181v), Anna (fol. 182v). fol. 183: Ge­be­te zur Le­sung wäh­rend des Kirch­gangs und der Mes­se: Quant on se veult co­ nf­es­ser: Per sancto­rum omnium… (fol. 183), Devant qu’on recoive le corps n(ost)re s(eig­neu) r. (fol. 183v), Domi­ne Ihesu xpe fili dei… (fol. 184), En rece­vant le corps: Domi­ne non sum digna… ge­schrie­ben für eine Frau (fol. 184), Apres la recept­ion du corps: Vera susceptio co­ rporis et sang­uinis tui deus… (fol. 184v). fol. 184v: Suff­ragien: Vincentius (fol. 184v), Lau­ren­ti­us (fol. 185), Steph­anus (fol. 185v), Co­smas und Da­mian (fol. 186), Fi­acrius (fol. 186v), Gen­of­eva (fol. 187), Bar­ba­ra (fol. 187v), Mar­ga­re­te (fol. 188), Ka­tha­ri­na (fol. 188v), Avia (fol. 189), Agnes (fol. 189v), Tho­mas (fol. 190). Schrift und Schrift­de­kor Kon­ser­va­ti­ve Ten­den­zen drücken sich in der Wahl der Tex­tura aus, zu der der Flä­chen­ de­kor für die ein­zei­li­gen Gold-In­itia­len und der Dorn­blatt­de­kor zu den zweiz­ei­li­gen Zier­buch­sta­ben paßt. Bor­dü­ren­strei­fen zu al­len Text­sei­ten auf dem Au­ßen­rand wa­ren üb­lich; äl­te­rem Brauch folgt die Zu­ord­nung von Bor­dü­ren­stücken zu den zweiz­ei­li­gen In­itia­len, die sich nur auf Recto zei­gen läßt. Die Text­bor­dü­ren sind recht auf­wen­dig mit in Buch­ma­ler­far­ben aus­ge­führ­ten Mo­ti­ven be­rei­chert, dar­un­ter gern auch Akanthus­ mo­ti­ve. Auch auf den Bild­sei­ten zeigt sich ein ge­wis­ses Ver­har­ren in Tra­di­tio­nen; denn so fort­ schritt­lich die wun­der­ba­ren Blatt­ranken mit dem ele­gan­ten blau-gol­de­nen Akanthus auch sein mö­gen, so be­haup­tet Dorn­blatt doch bei den brei­ten Zier­lei­sten sei­nen Platz. Mit ra­schen Stri­chen, aber er­staun­lich tref­fend sind Vö­gel skiz­ziert, die ei­ni­ge Bor­dü­ren be­le­ben. Die fe­sten Gold­rän­der ge­ben dem Rand­schmuck Halt.

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Bild­fol­ge fol. 13: Zu den Per­ik­open ge­nügt wie so oft ein ein­zi­ges Bild; es zeigt Jo­han­nes auf Patmos: In ein gol­de­nes Ge­wand ohne Man­tel ge­hüllt sitzt der ju­gend­li­che, ge­ra­de­zu mäd­ chen­haft wir­ken­de Evan­ge­list auf der In­sel, die vorn und links von Was­ser be­grenzt wird, wäh­rend rechts der Ad­ler mit dem Schreib­zeug im Schna­bel steht, vor ei­nem Fel­sen in dem­sel­ben Grau­ton wie das Ge­fie­der. Ein schlan­ker dür­rer Baum steht hin­ter Jo­han­nes; ge­gen den Him­mel er­he­ben sich in der Fer­ne die Tür­me der Stadt Ephe­sus. Fol. 28: Nur vier der einst acht Bil­der zum Ma­rien­of ­fi­zi­um blie­ben von Blatt­räu­bern ver­ schont; sie las­sen er­ken­nen, daß auch hier der ge­wohn­te Brauch für die Be­bil­de­rung galt. Die Heim­su­chung zu den Lau­des (fol. 51v) rückt die Aus­ma­lung un­se­res Stun­den­buchs sehr viel en­er­gi­scher ins Um­feld des­sen, was man bis­her dem Maître Fran­çois gab: Von ei­nem dunk­len Berg wird die Jung­frau Ma­ria her­ab­ge­stie­gen sein. Nun steht sie, ganz in Blau ge­klei­det vor Eli­sa­beth, de­ren Haus wie eine licht­durch­flu­te­te, mit Maß­werk ge­schmück­te Ka­pel­le die rech­te Bild­hälf­te ein­nimmt. Die grei­se Frau trägt Rosa, dazu aber in dem­sel­ben Blau wie Ma­ria eine Hau­be. Im Hin­ter­grund ste­hen wie­der Tür­me vor dem Him­mel. Die An­be­tung des Kin­des zur Prim (fol. 63) schließt sich der Tra­di­ti­on an, den Stall von links ins Bild ra­gen zu las­sen; un­ter dem Gie­bel kniet Ma­ria und be­tet den nack­ten Kna­ ben an, den sie auf ih­ren Man­tel­saum ge­legt hat. Jo­seph ist von rechts ge­kom­men und eben­falls nie­der­ge­kniet. Zwi­schen bei­den steht ein klei­ner En­gel in grü­ner Tu­ni­ka; hin­ ter Ma­ria la­gert der Esel und dreht von links sei­nen Kopf zur Mit­te, hin­ter Jo­seph der Och­se. Ein glän­zen­des brau­nes Bro­kat­tuch grenzt den Vor­der­grund ge­gen die nur sum­ ma­risch be­han­del­te Land­schaft ab. Das an­mu­tig­ste Bild in die­sem Ma­nu­skript ist die Hir­ten­ver­kün­di­gung zur Terz (fol. 69): Ein et­was zu gro­ßer Hir­te sitzt links un­ten und bläst die Sack­pfei­fe; ein zwei­ter steht rechts, sehr viel kür­zer und mit sei­nen schwar­zen Schu­hen so mit dem Schuh­werk des an­de­ren ver­schmol­zen, daß die For­men nicht recht un­ter­schie­den wer­den kön­nen. Sein Haupt wen­det er im Pro­fil nach links, nur von der Flä­che, nicht von der Tie­fen­di­men­si­ on her zu der auf­fäl­lig­sten Ge­stalt ge­wen­det: eine ganz in Weiß ge­klei­de­te Hir­tin, de­ren Sitz im Halb­rund von ei­nem Flecht­zaun um­ge­ben wird. Von ei­ner wohl nur im Som­mer zu ma­chen­den Be­ob­ach­tung in­spi­riert ist die Dar­stel­lung der Schaf­her­de: Sie drängt sich un­ter ei­nem Baum links im Mit­tel­grund auf eine Wei­se, als han­de­le es sich um eine run­ de Mau­er aus ab­ge­schlif­fe­nen grau­en Stei­nen. Vor den Tür­men ei­ner Stadt am Ho­ri­zont rich­tet sich die Flucht nach Ägyp­ten zur Ves­ per (fol. 80v) nach rechts, wie in un­se­ren Ma­nu­skrip­ten üb­lich. Da­hin schrei­tet der Esel mit ge­senk­tem Kopf, von Jo­seph ge­führt, wäh­rend die Mut­ter­got­tes lie­be­voll auf ihr Wickel­kind blickt, das sie im Arm trägt. Ma­ria sitzt im Da­men­sitz auf ei­nem Sat­tel­tuch mit wun­der­ba­rem ro­ten Gold­bro­kat.

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fol. 94: Nach links ge­wen­det kniet Da­vid in Buße zu den Buß­psal­men vor ei­nem wie­der licht­durch­flu­te­ten Pa­last­bau, der wie eine Ka­pel­le wirkt, auf ei­ner Wie­se, die durch eine nied­ri­ge Mau­er von der Land­schaft da­hin­ter ge­trennt ist. Die Har­fe und den Kron­hut hat er ab­ge­legt; doch trägt er eine Schei­be auf dem Kopf, die wie ein ne­ga­ti­ver Kreuz­ nim­bus wirkt, ist sie doch grau und mit Schwarz ge­nau­so vier­tei­lig ge­mu­stert wie Chri­ sti Hei­li­gen­schein im Tri­ni­täts­bild von fol. 170v. Er be­tet zu Gott, der sich links oben über den Tür­men ei­ner Stadt in ei­ner Him­mels­er­schei­nung zeigt. fol. 117: Aus der auch in un­se­rer Nr. 23 be­nutz­ten Se­rie von Bild­vor­la­gen zu den Ster­ be- und Be­gräb­nis­ri­ten, die im Um­feld von Fran­çois Le Bar­bier dem Äl­te­ren und dem ­fi­zi­um her­an­ Jün­ge­ren für Stun­den­bü­cher dien­ten, stammt auch das hier zum To­ten­of ge­zo­ge­ne Bild der Le­sung der To­ten­vigil am Ster­be­bett: Wie in die­sem Zy­klus üb­lich steht das Bett bild­par­al­lel, mit der Kopf­sei­te links, also in der Le­se­rich­tung nach rechts ge­wen­det, mit ei­nem Stuhl links. Der Bett­him­mel be­steht aus ro­tem Bro­kat, an den ein gol­de­nes Bild­chen mit ei­nem Kreuz ge­hef­tet ist. Der Ster­ben­de wird von sei­ner Ehe­frau be­glei­tet, die zum Be­trach­ter ge­wen­det hin­ter der Längs­sei­te des Bet­tes steht. Mit of­ fe­nen Au­gen blickt er noch zu dem Mönch am Fußen­de, der laut vor­liest. Er trägt über der schwar­zen Sou­ta­ne ein wei­ßes Skapulier. fol. 170v: Über kraft­voll blau­en Wol­ken steht Got­tes Thron; ihn be­setzt die Tri­ni­tät in der Bild­for­mel, die sich aus dem ge­wohn­ten Bild zu Psalm 109 (Dixit domi­nus do­mi­ no meo) her­lei­tet: In ei­nen ge­mein­sa­men ro­sa­far­be­nen Man­tel ge­hüllt zei­gen Sohn und Va­ter, die Tau­be zwi­schen ih­ren Häup­tern, das of­fe­ne Buch des Le­bens. Ihr stei­ner­ner Thron wird von En­gel­grup­pen ge­rahmt, die im feu­ri­gen Rot der Se­ra­phim ge­hal­ten sind. Krei­se aus dem­sel­ben Rot, Gelb und Blau hin­ter­fan­gen den Sitz, über dem sich noch ein ho­her stei­ner­ner Bo­gen er­hebt. Zum Stil Die Bil­der schöp­fen, wie die Dar­stel­lung zum To­ten­of ­fi­zi­um, aber auch Da­vids Buße zeigt, aus den Bild­vor­la­gen, die seit den An­fän­gen des Mei­sters von Jean Rolin in des­sen Pa­ri­ser Fa­mi­lie ver­wen­det wur­den. Dem ent­spricht auch der Fa­rb­ge­schmack mit den küh­len Grund­far­ben. In mei­nem Buch (mit Ga­brie­le Bartz), Boccaccio und Pe­tra­rca in Pa­ ris, (Leuch­ten­des Mit­tel­al­ter. Neue Fol­ge I) Bi­ber­müh­le 1997, bin ich auf die­sen bis da­hin gar nicht von sei­nem Um­feld ge­schie­de­nen Buch­ma­ler ge­sto­ßen. Er ist ein Zeit­ge­nos­se eher von Maître Fran­çois, also Fran­çois le Bar­bier dem Äl­te­ren; An dem mo­nu­men­ta­len Boccace, den ich da­mals be­schrie­ben habe und der ein­mal Nico­las Foucault ge­hört hat, war er vom Front­ispiz an füh­rend be­tei­ligt. Der Künst­ler wird wie sein be­rühm­te­rer Zeit­ge­nos­se beim Mei­ster des Jean Rolin ge­ lernt ha­ben. Mit Fran­çois le Bar­bier d. Ä. teilt er den Sinn für hel­le Far­ben, gibt Blau und Grün ei­nen leich­ten Grau­ton. An­ders als je­ner glie­dert er sei­ne Bil­der stär­ker geo­ me­trisch; das tritt in die­sem Ma­nu­skript be­son­ders klar in der Heim­su­chung zu Tage: In gro­ßen Schrä­gen staf­felt er Ber­ge und Wie­sen; am leich­te­sten er­kennt man ihn an den

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säu­ber­lich in Drei­ecke ge­glie­der­ten Baum­kro­nen, die ei­gen­tüm­lich flä­chig an­ge­legt sind, wäh­rend bei­spiels­wei­se in Nr. 24 Bäu­me pla­stisch ge­run­det sind. Der Mei­ster des Foucault Boccace hat auch an den Wharncliffe Hours in Mel­bourne (Man­ion 1981) mit­ge­ar­bei­tet und dort bei­spiels­wei­se Jo­han­nes auf Patmos ge­malt. Des­ sen Bild hat er hier al­ler­dings ei­nem Mit­ar­bei­ter über­las­sen. In Zeich­nung und Ma­le­rei steht des­sen Ar­beits­wei­se der Werk­statt der Schöf­fen von Rouen nahe; das spricht aus dem Jo­han­nes­ge­sicht eben­so wie dem Da­vid zu den Buß­psal­men und wird von der mit recht kräf­ti­gen Schraf­fen ar­bei­ten­den Mo­del­lie­rung be­stä­tigt. Ein Pa­ri­ser Stun­den­buch aus dem Or­bit der be­deu­ten­den Ge­ne­ra­ti­ons­fol­ge, die vom Mei­ster Jean Rol­ins über Fran­çois le Bar­bier père zu Fran­çois le Bar­bier fils führt, mit al­ter­tüm­li­chen Zü­gen im be­mer­kens­wert auf­wen­di­gen und gu­ten Schrift- und Rand­de­kor. Die be­sten Mi­nia­tu­ren hat eine in­ter­es­san­te Hand aus dem Um­feld der bei­den bes­ser er­forsch­ten Ma­ler ge­schaf­fen. Wir sind 1997 im Boccace, der einst Nico­las Foucault ge­hört hat, auf ihn ge­sto­ßen, aber noch nicht dazu ge­kom­men, sein Œuvre aus­rei­chend ab­zu­stecken. LI­T E­R A­T UR:

Das Ma­nu­skript ist bis­her nicht pu­bli­ziert.

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Bibliographie Aus­stel­lungs­ka­ta­lo­ge Bal­ti­more 1988: Time Sanctified. The Book of Hours in Medi­eval Art and Life, von Ro­ger S. Wie­ck, New York 1988. Ber­lin 1980: Das christ­li­che Ge­bet­buch im Mit­tel­al­ter. And­achts- und Stun­den­bü­cher in Hand­schrift und Früh­druck, von Ger­ard Ach­ten, Ber­lin 1980; zwei­te Auf­la­ge Ber­lin 1987. Cam­bridge 2016: Co­lour. The Art & Science of Illu­min­ated Man­uscripts, hrsg. von Stel­la Pan­ayotova u. a., Cam­bridge (Lon­don) 2016. Köln 1987: An­dachts­bü­cher des Mit­tel­al­ters in Pri­vat­be­sitz, von Joa­chim M. Plo­tzek, Köln 1987. Köln 1993: Va­ti­cana. Li­tur­gie und An­dacht im Mit­tel­al­ter, hrsg. von Joa­chim M. Plo­tzek, Köln 1993. Köln 2001: ars viv­endi – ars mo­r i­endi, hrsg. von Joa­chim M. Plo­tzek und Ul­ri­ke Sur­ mann, Köln (Mün­chen) 2001. Lon­don 2011: Roy­al Man­uscripts. The Ge­ni­us of Il­lu­mi­na­ti­on, hrsg. von Scot McKend­ rick u. a., Lon­don 2011. Los An­ge­les und Lon­don 2003: Illuminating the Re­nais­sance. The Tri­umph of Flemish Manu­script Painting in Europe, hrsg. von Thom Kren und Scot McKendrick, Los An­ge­ les und Lon­don 2003. New York 1982: The Last Flowe­ring. French Painting in Man­uscripts. 1420-1540, von John Plum­mer un­ter der Mit­ar­beit von Gre­gory Clark, New York 1982. New York 1998: Painted Prayers. The Book of Hours in Medi­eval and Re­nais­sance Art, von Ro­ger S. Wie­ck, New York 1998. Nim­we­gen 2005: De Gebro­eders Van Lim­burg. Nijmeegse Meesters aan de Fran­se Hof (1400-1416), hrsg. von Rob Dückers und Pi­eter Roelofs, Nim­we­gen 2005. Pa­ris 1993: Les man­uscrits à pein­ture en France 1440-1520, von F. Avril und N. Reyn­ aud, Pa­ris 1993. Pa­ris 2004: Pa­ris 1400. Les arts sous Charles VI, hrsg. von Eli­sa­beth Tabu­ret-Delahaye u. a., Pa­ris 2004. Pa­ris 2011: Les Enluminures du Lou­vre. Moyen Age et Re­nais­sance, hrsg. von Fran­çois Avril, Ni­cole Reynaud und Dom­inique Cord­ellier, Pa­ris 2011. Pa­ris und Brüs­sel 2011: Mi­nia­tur­es fla­man­des 1404-1482, hrsg. von Bern­ard Bous­man­ ne und Thierry Del­court, Pa­ris und Brüs­sel 2011.

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Bibliographie

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Register Zum rascheren Auffinden von Autoren, Übersetzern und Bearbeitern (1); Buchmalern (2), Schreibern (3); Buchbindern (4); sowie Auftraggebern und Provenienzen (5). Die Num­ mern beziehen sich auf diejenigen des Katalogs. Da es sich bei den Handschriften durch­ gehend um Stundenbücher handelt, werden diese im Register nicht eigens aufgeführt. A

E

Alençon, Françoise de (5) 2 Ashburnham, Earl of (5) 2 Avery, Samuel Putnam (5) 14

Elst, Charles van der (5) 1

B Barrois, Joseph (5) 2 Beck, Helmut (5) 16 Bedford-Meister (2) 12, 14, 15 Belin, Théophile (5) 13, 22 Berès, Pierre (5) 8, 16 Berry, Jean Duc de (5) 4 Boiveau, Familie (5) 19? Boucicaut-Meister (2) 6 Boucicaut-Nachfolger (2) 8 Bourbon, Cathérine de (5?) 3 British Rail Pension Fund (5) 14 Brockman, James (4) 1, 13 Brugalla (4) 2 Budé, Jean (5) 2

C Castelnau, Familie (5) 4 Clore, Charles (5) 3 Coëtivy-Meister (2) 19, 20, 21 Collection Arcana (5) 1, 21 Conrad von Toul (2) 10, 11, 12, 13 Corlieu, Jean de (5) 6 Corlieu, Thomas de (5) 6

D Dagues, François de (5) 23 Danon, Robert (5) 2, 16 Dunois-Meister (2) 11, 12, 14

F Ferrault, Kathérine (5) 23 François le Barbier Père (2) 24 Friedlaender, Helmut (5) 11

G Getty Jr., J. Paul (5) 14 Girard, François (5) 15 Guillot-Le Comte, André (5) 18 Guise-Meister (2) 7

H Hachette, André (5) 12 Haincelin de Haguenau (2) 12, 14, 15 Hangest, Familie (5) 16 Hersent, Jean (5) 13, 22 Hoo-Meister (2) 16 Huet, Constant (5) 23

J Jacquemart de Hesdin (2) 3 Jacquette de Luxembourg (5) 12 Jean Haincelin (2) 11, 12, 14 Johnson, Grace Phillips (5) 14 Joseph [Buchhändler] (5) 25 Jouvenel-Meister (2) 12

K Kraus, Hans Peter (5) 15

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Register

L

O

La Gabetière, Seigneur de (5) 11 Laurent, Anne (5) 15 Laval-Meister (2) 7 Le Begue, Cathérine (5) 16 Le Clerc, Guillemette (5) 14 Lenfumé, M. (5) 8 Liancourt, Familie (5) 16 Limburg, Paul? von (2) 4 Lusignan, Familie (5) 6

O’Moydon, Jacobus (5) 10 Orléans, Louis de (5) 4

M Mairet (4) 17 Maître François (2) 24 March, Dom Bartolomé (5) 2 Martin, Emmanuel (5) 16 Mazarine-Meister (2) 5 Mazerolles, Philippe de (2) 18? Meister der Maria von Geldern (2) 1 Meister der Münchener Legenda Aurea (2) 10, 11, 12, 13 Meister des Bartholomäus Anglicus (2) 12 Meister des Brotherton-Breviers (2) 17 Meister des Etienne Sauderat (2) 19 Meister des Foucault-Boccace (2) 25 Meister des Harley-Froissart (2) 18 Meister des Jean Rolin (2) 22, 23 Meister des Londoner Alexander (2) 9 Meister von Walters 205 (2) 22 Michault, Louis (5) 9 Miller, W. E. (5) 19 Milward, N. (5) 10 Moriau (5) 15 Murray, Charles Fairfax (5) 2 Mutele, Germaine (5) 15

N Nanterre, Geneviève de (5) 14 Nanterre, Mathieu de (5) 14? Neufville de Villeroy, Camille de (5) 14 Nizières, Jean de (2) 2

P Perrins, Charles Dyson (5) 2, 16 Plessis, Guillaume de (5) 16 Poictevin, Pierre (5) 3 Popincourt, Jean de (5) 16 Popincourt-Meister (2) 16 Pseudo-Jacquemart (2) 3

R Rahir, Edouard (5) 21 Rais (Retz), Familie (5) 24 Remiet, Perrin (2) 1 Ritman, Joost (5) 14 Rosainville, Aubert de (5) 11 Rosenthal, Erwin (5) 2

S Sourget, Patrick (5) 22 Spitzer, Frédéric (5) 24

T Talbot-Meister (2) 9 Ternay, Françoise de (5) 16 Texor de Ravisi (5) 24 Thompson, Henry Yates (5) 10, 16 Troussier, Jean de (5) 11

V Van der Coets, Familie (5) 19? Vassy, Matherat de (5) 15 Vever, Henri (5) 10 Vignay, Jean de (1) 2 Visconti, Valentina (5) 4 Vulcop, Henri de? (2) 19, 20, 21

Y Young, Edward Hilton, Lord Kennet (5) 17

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II

LXXX Heribert Tenschert 2017


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