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LXXXII Gewidmet dem Andenken von Janet Backhouse und Myra D. Orth, die auf diesem verschatteten Gebiet erste Wegmarken gesetzt haben
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V StundenbÜcher aus Paris – Darunter das Stundenbuch der Katharina von Aragon, zwei Stundenbücher des Anne de Montmorency und das Stundenbuch von Henri II und Diane de Poitiers in Form einer Bourbonlilie aus dem Besitz von Eugène de Beauharnais und Viscount Combermere: Vom Martainville-Meister, Jean Pichore, Jean Coene, Gotha-Meister, Meister der Philippa von Geldern, Etienne Poncher-Meister, Etienne Colaud, Meister des d’Urfé-Psalters, dem Meister des François II de Rohan, Noël Bellemare, Martial Vaillant, Meister des Gouffier-Psalters, Charles Jourdain
KataLog LXXXii Heribert Tenschert 2018
Antiquariat Bibermühle AG Heribert Tenschert Bibermühle 1–2 · 8262 Ramsen · Schweiz Telefon: +41 (52) 742 05 75 · Telefax: +41 (52) 742 05 79 E-Mail: tenschert@antiquariat-bibermuehle.ch www.antiquariat-bibermuehle.com
Wichtiger Hinweis: Viele der abgebildeten Miniaturen sind leicht vergrößert wiedergegeben, zur besseren Identifikation der Sujets und der beteiligten Buchmaler. Die exakten Größen finden sich in der dinglichen Beschreibung, die man jeweils heranziehen möge.
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Autoren: Prof. Dr. Eberhard König, Dr. Christine Seidel, Dr. h. c. Heribert Tenschert Gestaltung, Redaktion, Lektorat: Heribert Tenschert, Maria Danelius Fotos: Athina Nalbanti, Heribert Tenschert Satz und PrePress: LUDWIG:media gmbh, Zell am See Druck und Bindung: Passavia GmbH & Co. KG, Passau ISBN: 978-3-906069-32-6
Inhaltsverzeichnis Band IV und V Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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47 Das Stundenbuch der Katharina von Aragon – Als Geschenk von König Ludwig XII und Anne de Bretagne (?): Ein unerhört reiches Pariser Manuskript vom Martainville-Meister und Jean Pichore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 48 Ein Stundenbuch, nach 1461 im Poitou oder der Loire-Region geschrieben, um 1500 vom Martainville-Meister vollendet . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 49 Das Pelée-Chaperon- Stundenbuch vom Martainville-Meister, zuletzt im Besitz des Comte de Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 50 Ein Stundenbuch vom Martainville-Meister, eventuell aus dessen Frühzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 51 Das Brevier des Dichters Octovien de Saint-Gelais: Ein frühes Hauptwerk von Jean Pichore aus der Zeit um 1494 . . . . . . . . . . . . . 187 52 Ein Stundenbuch als Panorama der Pariser Buchmalerei um 1500 – mit Miniaturen von Jean Pichore, Jean Coene, dem Meister der Philippa von Geldern und einem überragenden weiteren Maler . . . . . . . . . 217 53 Ein Stundenbuch für den Gebrauch von Coutances vom Martainville-Meister, in Zusammenarbeit mit Jean Pichores Werkstatt . . . . . . 237 54 Ein Stundenbuch mit mehr als 100 Bildern von Jean Pichore und seiner Werkstatt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 55 Das Stundenbuch der Marguerite de Coësmes und des Charles d‘Angennes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 56 Das monumentale Stundenbuch der Madame Giraud de Prangey-Escertaines: seltenes Beispiel einer Pariser Handschrift für den Gebrauch von Langres . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
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57 Das Lignieres-Stundenbuch – von Jean Coene ganz eigenhändig ausgemalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 58 Ein mit 158 Bildern ungemein reiches Stundenbuch vom Gotha-Meister mit mehreren alttestamentarischen Zyklen und einem Totentanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 59 Ein Pariser Stundenbuch mit 124 Bildern vom Meister der Philippa von Geldern, dem Meister des Étienne Poncher und einem bislang unbekannten Meister mit Vorliebe für explizite Aktdarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 60 Ein Stundenbuch von Etienne Colaud und dem Meister des d’Urfé-Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 61 Ein Stundenbuch mit 99 Bildern von Etienne Colaud und dem Hauptmeister der Statuten des Michaelsordens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 62 Das Stundenbuch des Pierre Palmier, Erzbischof von Vienne, illuminiert von Etienne Colaud und Martial Vaillant . . . . . . . . . . 457 63 Das Stundenbuch des Pierre Duchesnay und der Antoinette Cain: Ein unbekanntes Werk vom Meister des Gouffier-Psalters . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 64 Das Erste Stundenbuch des Anne de Montmorency, Connétable de France, mit herrlichen Miniaturen von Noël Bellemare. . . . . . . 493 65 Das Zweite Stundenbuch des Anne de Montmorency, Konnetabel von Frankreich, ein Hauptwerk des Meisters des François de Rohan aus dem Jahr 1539 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 66 Ein Stundenbuch in Form der französischen Königslilie: Die Maquette für das Amienser Stundenbuch des französischen Königs Henri II . – später im Besitz von Napoleon, Eugene de Beauharnais und Viscount Combermere . . . . . . . . . . . . . 561 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591
56 Das monumentale Stundenbuch der Madame Giraud de Prangey-Escertaines: seltenes Beispiel einer Pariser Handschrift für den Gebrauch von Langres, im 19. Jahrhundert als Manuskript König Karls X. gestaltet
STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Langres. Lateinische und französische Handschrift auf Pergament, in Schwarz, Rubriken vorwiegend in Blau, im Kalender nur die Feste in Blau und Rot, in Bastarda. Paris, ca. 1515 - 1520: Jean Coene 64 Bilder: 16 große Miniaturen in RenaissanceArchitekturen mit Putten und Incipits von meist sechs Zeilen und vierzeiligen Initialen aus weißem Akanthus, die teilweise als Trompel’œil vor Bild und Rahmen gesetzt sind; 24 siebenzeilige Kleinbilder auf 23 mit entsprechend belebten Rahmen der gesamten Seite; 24 Kalenderbilder in zwölf Bordü renstreifen mit prächtigen dreizeiligen Initialen und rahmenden Goldleisten oder Kno tenstöcken; alle Textseiten mit Bordürenstreifen außen und Goldleisten um die Textfel der, zuweilen mit eindrucksvollen Gesichtern, Grotesken oder vorzüglich beobachteten Tieren, vor allem Vögeln. Die kleineren Initialen als goldene Lettern auf Flächen, bei den zweizeilige Initialen zu den Psalmenanfängen in Rot und Blau diagonal geteilt; einzeilige Initialen zu den Psalmenversen in Gold auf roten und blauen Gründen; Zeilenfüller in gleicher Art. Versalien gelb laviert. 128 Blatt feines Kalbspergament, das letzte leer; zwei Blatt Pergament als Vorsatz vorne; irrig foliiert mit 65bis, 75bis und 104bis. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die beiden Kalenderlagen 1-2(6), die um ein Blatt für eine Miniatur am Ende ergänzte Lage mit den Perikopen 3(4+1), sowie die Doppelblätter 8-9(2) und 17(2). Ohne Reklamanten. Trotz einiger unregelmäßiger Lagen vollständig erhalten, auf dem textlosen Blatt fol. 17/v vor dem Beginn des Marienoffiziums sind als Rückstände eingenähter Pilgerabzeichen Nahtlöcher zu erkennen. Quart (230 x 160 mm; Textspiegel: 132 x 80 mm). Zu 20, im Kalender zu 17 Zeilen; braun regliert. Vollständig und brillant erhalten, mit Ausnahme weniger kleiner Grotesken, so auf fol. 1 oben, vom Buchbinder völlig verschont; in den Farben frisch und stark. Mit dem heutigen Einband hat Roger Devauchelle (1905–1993) einen königlichen Einband wiederhergestellt, der zu unbekanntem Zeitpunkt bei Gruel in Paris geschaffen wurde und zwar eher für Karl X. (König von Frankreich und Navarra 1824–1830, gest. 1836) gedacht war als für dessen Enkel Henri duc de Chambord; dabei wurden Emails des 19. Jahrhundert wiederverwendet: Grünes Maroquin mit semé von fleurs de lis und Jakobsmuscheln, jeweils in Gold, mit Emailplatten des 19. Jahrhunderts und der Letter C sowie in der Mitte Frankreichs Königswappen mit Krone, umgeben vom Collier des Michaelsordens. Signatur DEVAUCHELLE auf dem inneren Deckel vorn. Mit den Wappen der Familie Giraud de Prangey auf fol. 1 (Blau, durch einen silbernen Streifen horizontal geteilt, oben drei silberne Mondsicheln, unten ein springender Hirsch, ebenfalls silbern) und denen der Familie Escertaines (auf Blau ein goldener Hirsch) auf fol. 4. Diese Familie hatte durch Wollkämmerei Reichtum angehäuft; deshalb wird die Beterin, die auf fol.
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17v ohne Wappen erscheint, vom heiligen Blasius begleitet, den man hier wie auf fol. 117v als Bischof mit dem Wollkamm als Marterinstrument dargestellt hat. Trotz der Bestimmung für diese Frau sind die Mariengebete (siehe die entsprechenden Formeln auf fol. 105 et 107) in männlichen Formeln redigiert. Wahrscheinlich sind auf fol. 65bis König Franz I. und seine Frau Claude de France im Profil dargestellt. Die französischen Königslilien unter dem Michaelsbild am Anfang der Suffragien, fol. 112v, gehören zum originalen Bestand. Hingegen wurden die Königswappen in der Form von France moderne, also drei goldene Lilien auf Blau, auf fol. 43, 58 und 75, in der Bekrönung der Miniaturen über die Wappen der Giraud de Prangey gemalt – am deutlichsten sichtbar auf fol. 58. Diese Übermalung wird erfolgt sein, als man den Prachteinband mit Königslilien im 19. Jahrhundert schuf – entweder für Karl X. oder dessen Enkel Henri duc de Chambord, den Sohn des 1820 ermordeten duc de Berry, der nach Karls Abdankung im Zuge der Revolution 1830 als Henri V zum König proklamiert wurde und 1883 kinderlos gestorben ist. Von besonderem Interesse wäre die Rolle des gerade erst von der Kunstgeschichte wieder entdeckten Graphikers und Daguerrotypisten Joseph-Philibert Girault de Prangey aus Langres (1804-1892), der ebenso wie ein etwa zeitgenössischer Bischof von Cambrai aus der Familie der Beterin stammt. Je nachdem, wann man den Einband von Gruel datiert, käme Joseph-Philibert, der wohlhabend war und als Orientalist große Verdienste hatte, als derjenige in Frage, der ein Werk aus altem Familienbesitz (als Monarchist oder für königliche Käufer) passend gestalten ließ; dann aber wäre eher an den glücklosen Henri V zu denken. Anfang des 20. Jahrhunderts war das Manuskript im Besitz von Théophile Belin, dem führenden Handschriftenhändler in Paris: In seinem Katalog Nr. 273 vom Februar 1903, Nr. 227, (und abermals mit korrigierter Beschreibung im Katalog 279 unter Nr. 3309) ist es mit großem Aplomb für 10.000,- Goldfrancs angeboten: als für Königin Claude de France gedacht! Zwei moderne Exlibris: das ältere von John Roland Abbey, einem der größten englischen Sammler des 20. Jahrhunderts, in dessen Tenth Cat. of the Celebrated Library. The Property of the Late Major J. R. Abbey, Sotheby’s London, 20.6.1978, es als Nr. 2994 beschrieben wird (£ 16.500,- an Traylen). Dazu das Exlibris eines Schweizer Sammlers: awf (Adrian Flühmann). Unser Katalog Catena aurea, 1985, Nr. 26. Text fol. 1: Kalender in französischer Sprache, nur wenige Tage besetzt; einfache Heiligentage in Schwarz; Feste in Blau oder Rot. Zum Teil in Paris ungewohnte Bezeichnungen der Hochfeste, so L’apparition n(ost)re seigneur am 6.1. Sorgfältig mit Heiligen von Langres und aus dem Burgund besetzt: auffällig sind Fest und Translation der beiden Hauptpatrone von Langres Didier und Urbain sowie des heiligen Mammès, dem die Kathedrale von Langres gewidmet ist: gregoire evesque (Translation dieses Bischofs von Langres: 4.1.); les sains gemeaulx (in Rot, gemeint sind Speosippus, Eleosippus und Meleosippus sowie die heilige Leonilla, kappadokische Märtyrer, deren Reliquien in der Kirche St.-Géome in Langres verehrt werden: 17.1.); translation de didier (19.1.); urbain (23.1.); anathorne (30.1.); blaise (als Fest: 4.2.); gengoul (als Fest: 11.5.); fale (Patron der Gemein-
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de Saint-Phal im Norden von Burgund: 16.5.); didier (als Fest: 23.5.); winebaud (29.5.); claude (6.6.); ferreul et forge (Ferreolus und Ferrucius von Besançon: 16.6.); thibault (Patron von St.-Thibaut: 8.7.); arnoul (18.7.); memer (Mamms, als Fest: 17.8.); menge (Bischof von Châlons-sur-Saône: 19.8.); ladre (Lazarus, Autun: 1.9.); reyne (Regina von Autun, als Fest: 7.9.); cire (12.9.); invencion des sains gemeaulx (18.9.); seigne (Gründer von St.Seine-l’Abbaye bei Cestres im heutigen Bistum Dijon:) 19.9.; andorche (Andochius Saulieu) 24.9.; translation saint memer (Mammès, Translatio: 10.10.); vinard (Langres:) 11.10.; sainte bouloigne (Bolonia von Vignory:) 16.10.; valier (Erzdiakon von Langres: 22.10.); benigne (Dijon: 3.11.). fol. 13: Perikopen: Johannes (fol. 13), Lukas (fol. 14v), Matthäus (fol. 15v) und Markus (fol. 16v). fol. 17v: Marienoffizium für den Gebrauch von Langres, ausdrücklich durch die Rubrik secundum Lingonensem vs(u)m auf fol. 17v bestätigt: Matutin (fol. 18), Laudes (fol. 26), Prim (fol. 33), Terz (fol. 37), Sext (fol. 40), Non (fol. 43), Vesper (fol. 46), Komplet (fol. 51). fol. 55: Horen von Heilig Kreuz (fol. 55) und Heilig Geist (fol. 58). fol. 61v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 69) mit einer bewußt auf Langres eingestellten Heiligenauswahl, so unter den Märtyrern: Benignus, Mammes, Desiderius, Speosippus, Eleosippus, Meleosippus, Blasius, Gengulfus, Ferreolus, Ferrucius, Simphorianus und zugleich den in Paris gewohnten Dionysius und Mauritius, sodann unter den Bekennern Lupus, Amator, Claudius, Hubertus und die Gründer verschiedener Mönchsorden; unter den Frauen Leonilla. fol. 75: Totenoffizium, für den Gebrauch von Langres. fol. 104: Mariengebete, für einen Mann redigiert: Obsecro te (fol. 104), O intemerata (fol. 106). fol. 111v: Sieben Verse des heiligen Bernhard. fol. 112v: Suffragien: Michael (fol. 112v), Johannes der Täufer (fol. 113), Petrus und Paulus (fol. 113v), Jakobus (fol. 114), Stephanus (fol. 114v), Laurentius (fol. 115), Sebastian (fol. 115), Christophorus fol. 116), Desiderius (fol. 117), Blasius (fol. 117v), Nikolaus (fol. 118), Martin (fol. 118v), Claudius (fol. 119), Antonius Abbas (fol. 120), Anna (fol. 120v), Maria Magdalena (fol. 121), Katharina (fol. 121v), Margarete (fol. 122), Barbara (fol. 122v), Apollonia (fol. 123), Maurus (fol. 124). fol. 124v: Textende. Schrift und Schriftdekor Während andere Stundenbücher desselben Stils noch eine niedrige Textura verwenden, ist dieses sehr auf wendig gestaltete Manuskript in einer markanten Bastarda geschrieben. Die Schrift unterscheidet sich in mancher Hinsicht vom Pariser Brauch; so wird der Kalender zwar in französischer Sprache gegeben, aber mit einer begrenzten Zahl sorgsam
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bestimmter Heiliger; der in der Hauptstadt übliche Wechsel von Blau und Rot für die einfachen Heiligentage in Kalendarien, die auf jedem Tag besetzt sind, wird hier auf die Feste übertragen, die in entsprechenden Pariser Handschriften mit Gold hervorgehoben wurden, während einfache Heiligentage hier in Schwarz geschrieben sind. Die brillanten blauen Rubriken, teilweise mit schönen Kadellen, entsprechen burgundischer Ästhetik; sie stehen zumindest auf fol. 17v im Widerspruch zur Ausmalung. Deshalb mag das Buch in der Bischofsstadt Langres geschrieben und dann in eine Pariser Werkstatt geschickt worden sein, die entsprechend auch die farbigen Initialen ausführte. Statt der um sich greifenden Sitte, die Textseiten nicht mehr mit Randschmuck zu versehen, kommen in Kalender wie Text zu den Bordürenstreifen außen noch Leisten um die Textfelder hinzu. Entsprechend reich ist der Dekor der vom Prinzip der Kompartimente ausgehenden Randstreifen, die im Kalender auf den Recoseiten zu architektonisch gerahmten Bildfeldern für zwei übereinander gestellte Darstellungen werden. Eindrucksvoll ist die Phantasie für figürliche Elemente wie den Narren auf fol. 95, mitten im Totenofzium, aber auch Schmetterlinge und Vögel, seltener Grotesken verblüffen; auf fol. 65bis kommen zu den Putten noch François Premier und zwei wohl karikierte Hofdamen hinzu. Zierbuchstaben im Textverlauf sind als goldene Lettern auf rote und blaue Flächen gesetzt, die bei zweizeiligen Initialen in Rot und Blau diagonal geteilt sind, während die Farben bei einzeiligen alternieren. Auf deren Stufe wird der Schriftdekor von fol. 104 an herabgesetzt: Die zweizeiligen Initialen, z.B. neben allen Bildern zu den Suffragien, werden den einzeiligen gleichgestellt und erhalten nur noch einfarbige Fonds; in diesem Teil des Manuskripts steht auch die 4-zeilige Initiale zur einzigen großen Miniatur entsprechend in Pinselgold vor diagonal geteiltem blau-roten Grund. 39 Bildseiten sind durch Renaissance-Architekturen gerahmt, unabhängig davon, ob es sich um die 16 großen oder die insgesamt 24 kleinen Miniaturen handelt (von denen in einem Fall zwei auf einer Seite erscheinen). Diese Rahmen berücksichtigen die unterschiedliche Randbreite und sind deshalb zum Falz hin nur mit einer Säule, nach außen aber mit komplexeren Kombinationen aus Säule und Pfeiler besetzt. Die rafnierten Erfindungen gehörten offenbar zum Vorlagenschatz der Werkstatt und wurden deshalb in unserem Stundenbuch mehrfach wiederholt und auch variiert. Eindrucksvoll ist das Spiel von Putten, die meist damit beschäftigt sind, Festons zu binden, zuweilen die Tücher zu halten, auf die das Incipit geschrieben ist oder am Schaft einer dicken Säule nach oben zu klettern. Unter den Kleinbildern zu den Suffragien kommen naturalistisch gemalte Tiere hinzu, am prächtigsten zwei sehr kleine Bären auf Reco und Verso von fol. 120; hier hätte sich Durchpausen angeboten; aber man hat die Tiere dann doch frei gezeichnet. Die Bilder fol. 1: Den Kalender begleiten zwölf Bildstreifen in den sonst mit Bordüren besetzten Feldern auf den Reco-Seiten; in einer gemeinsamen Architektur, die von Grotesken bekrönt ist, sind jeweils zwei Bildfelder übereinander geordnet. Als Bekrönung dienen in
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Gold-Camaïeu als Verzierung der Architektur zu verstehende figürliche Elemente, darunter eine muntere Folge von Begegnungen zwischen Hund und Putto, die Putten bis auf zwei Ausnahmen flügellos: ein Reiter im Januar; ein stehender Putto im Februar; ein Putto auf einem Bären reitend im März; ein Putto, der einen anderen auf einer Karre zieht, im April; ein Vogel, der die Flügel breitet, im Mai; die Halbfigur eines Puttos, aus einem Gefäß auftauchend im Juni; ein Hund mit einem Putto, der blaue Flügel hat, über dem Löwen im Juli; Hund und sitzender Putto voneinander abgewendet im August; ein Hund der den ihm zugewandten Putto anspringt, im September; auf einen Stock gestützter Hund mit Leine, vom Putto mit einem Stock erzogen, im Oktober; Putto mit zwei Hunden, die sich zu ihm aufrichten, um von ihm umarmt zu werden, im November; Putto mit blauen Flügeln, der mit einem kräftigen Stock ausholt, um den Hund an der Leine zu schlagen, im Dezember. Beim Mahl im Januar sitzt ein bartloser Mann vor dem Kamin am bereits mit Speisen gedeckten Tisch und hält einen metallenen Becher; eine Frau bringt eine weitere Platte herein. Zum Wärmen am Kamin im Februar sitzt ein Bärtiger und hält die Hände zum offenen Feuer, das Funken sprüht. Zum Trimmen der Weinstöcke im März tritt ein Bauer mit einer Sichel von links ins Bild. Zum Stelldichein im Garten im April sitzt ein junges Paar vor einer Hecke, der Mann mit ungewohnt auf wendig geschmückten Ärmeln. Zum Ausritt im Mai sitzt ein junges Paar auf einem weißen Zelter, so weit nach vorn gerückt, daß der Kopf des Pferdes vom Bildrand abgeschnitten ist und der Blick in die Landschaft verdeckt wird. Bei der Heumahd im Juni hält der barfüßige Bauernbursche die Sense so, daß nur der schräge Stiel mit einem Griff ins Bild paßt; hinter ihm liegt das Gras in einer sauberen Linie am Boden. Ein Bauer steht bei der Kornernte im Juli mit seiner Sichel etwas ratlos in einer runden Lücke des Kornfelds. Im August holt ein junger Mann in einer nach rechts zur Landschaft geöffneten Scheune beim Dreschen so weit aus, daß vom Dreschflegel nur der Stab zu sehen ist. Zur Kelter im September ist ein junger Mann in den Bottich gestiegen, vor der Weinpresse, mit schwarzem Fond. Ruhig schreitet der Sämann bei der Aussaat im Oktober am unteren Bildrand über kahlem Acker; im Sockel unten in blauen Lettern semin. Der Schweinehirt holt zum Abschlagen der Eicheln im November vor herbstlich gebräunten Eichen aus. Vor einer Mauer, die einen steinernen runden Turm im Hintergrund von einem Fachwerkhaus vorn trennt, spielt das Schweineschlachten im Dezember, bei dem ein junger Mann einem Schwein die Kehle geschlitzt hat, eine Frau fängt das Blut in einer Kasserolle auf. Zwar sollten die Sternbilder am Himmel stehen, doch sind Mensch oder Tier auf der Erde in Landschaften gezeigt mit weiten Blicken bis zum Blau der Ferne: Der Wasser mann, ein nackter Knabe, dessen Geschlecht vom Wappen verdeckt wird, begießt mit einem Tonkrug trockenes Land mit dürren Bäumen. Menschenleer ist das Bild der Fi sche in einem Fluß am unteren Bildrand. Der Widder besetzt ganz die kahle weite Landschaft. Der Stier trabt als ein mächtiger brauner Bulle durchs Bild, verdeckt den Ausblick und läßt nur wenig Platz für dunklen Himmel und Wiese. Hinter einem blauen Schild mit goldenem Hirschen verbirgt sich das Zeichen der Zwillinge als ein junges Paar, nackt vor einem dichten Wäldchen. Der Krebs, wie in Frankreich gewohnt als Lan-
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gust e, schwimmt wie die Fische vorn in einem Gewässer. Der Löwe ist viel kleiner als die bisher gezeigten Tiere; in der Art, wie er oft in Lukasbildern erscheint, blickt er am Bo den hockend zwischen Bäumen aus dem Bild. Die Jungfrau steht mit ihrem Palmzweig weit vorn neben einem Baum. Menschenleer ist das Bild der Waage, die an einer durch das Bild gespannten Stange hängt, über rasch getupfter Landschaft. Sehr klein, als sei sich der Maler nicht sicher, was er darzustellen habe, zeigt sich der geflügelte (!) Skorpi on vor einer Felslandschaft. Nach links springt der Schütze durchs Bild und zielt nach rechts, als Kentaur aus einem Schimmel und einem bartlosen Menschen mit mädchen haft langem Haar zusammengesetzt. Der Steinbock schließlich, ein weißer Ziegenbock in einem Ammonshorn, zeigt sich in karger Winterlandschaft und kahlen Bäumen. fol.13: Die Perikopen beginnen mit einer großen Miniatur in prachtvoller Rahmenarchi tektur, die auf das im Layout angelegte Ungleichgewicht von innen und außen so reagiert, daß links nur eine Säule, rechts aber zwei Säulen mit kostbarem blauen Steinspiegel zwi schen ihnen den plastisch modellierten Bogen tragen, der mit zwei hängenden Schluß steinen drei kleinere Bögen über die Bildfläche schlägt; Putten mit kleinen Fähnchen sitzen an beiden Seiten: Johannes auf Patmos (fol. 13), der unverändert jugendliche Evan gelist, hat links vor einem Felsen Platz genommen und schreibt auf eine Schriftrolle, zu der sich sein Adler mit Blick wendet. Gewässer, die unter dem Schriftfeld beginnen und rechts wie ein Fluß in die Tiefe führen, sollen den Ort als Insel bezeichnen; eine Wind mühle auf hohem Felsen und nicht die Stadt Ephesus beherrscht den Blick ins Blau der Ferne. Dieselbe Vorlage diente für Nr. 57 in diesem Katalog. Die Incipits mit den drei weiteren Evangelist en, die als Halbfiguren gezeigt werden und wie gewohnt in Innenräumen an ihren Evangelien arbeiten, erhalten siebenzeilige Klein bilder in ähnlich prachtvollen Architekturen wie die großen Bildseiten. Die Bildmotive entsprechen einem Vorlagenschatz, den derselbe Maler in unserer Nr. 57 ebenso ver wendete; doch geben die mit spielenden Putten (mit einer Ausnahme durchweg in GoldCamaïeu) besetzten Architekturen, die das gesamte Schriftfeld einfassen, den Incipits sehr viel mehr Gewicht. Wieder reagieren die Säulen auf das Layout; bei allen drei Ver so-Seiten stehen links breitere Gebilde mit jeweils zwei Säulen, rechts, also zum Falz hin, jedoch nur jeweils eine: Lukas (fol. 14v) sitzt rechts und schreibt auf ein Blatt, von seinem Stier beäugt. Matthäus (fol. 15v) tut es ihm seitenverkehrt nach, vom Engel be gleitet. Markus (fol. 16v) sitzt links, schreibt auf ein Blatt, das glatt über das Pult hinab fällt; rechts neben ihm sein Löwe. fol. 17v: Auch das Marienof fizium ist nach den Vorlagen bebildert, die für Nr. 55 und 57 gedient haben; es beginnt aber mit einer aufwendig gestalteten Doppelseite, bei der die in Blau geschriebene vierzeilige Rubrik mit einer nach oben ausgreifenden Kadel le zeigt, daß dieses Verso erst nachträglich ein Vollbild erhielt; die Rubrik zur MarienTerz zeigt, wie die Kadelle ungestört ausgesehen haben mag. Dargestellt ist eine Beterin und der heilige Blasius in einer die ganze Seite umfassenden Zierarchitektur: In einem mit niedrigem Vorhang geschmückten Kirchenraum kniet Madame Giraud de Pran
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gey-d’Escertaines, begleitet vom Bischof Blasius, der an seinem Marterinst rument, dem Wollkamm, erkennbar ist. Das Bild der vornehmen Dame war bereits geplant, als die Verkündigung (fol. 18) konzipiert wurde: Maria kniet, in ihrem blauen Mantel über ei nem Kleid in rötlichem Violett, links unter einem mit Weinrot ausgeschlagenen Balda chin, dessen Außenseite mit schönem Blau bespannt ist. Sie müßte sich eigentlich zu ih rem Betpult wenden; dann würde sie Gabriel anschauen, der von rechts gekommen und ins Knie gesunken ist; doch durch die Beterin und deren Patron ist die Jungfrau abge lenkt; so schaut sie nach links in Richtung der anderen Bildseite. Um ein paar Fliesen zurückgesetzt, weist der Erzengel, der ein goldenes Lilienzepter faßt, mit seiner Rechten direkt nach oben, wo von der Taube des Heiligen Geistes goldene Strahlenbündel aus gehen. Nach rechts hin öffnet sich der Raum zu einer imposanten Berglandschaft in der Ferne; zu Seiten einer Säulengruppe stehen jeweils drei Engel und blicken auf Maria. In der Bekrönung des Rahmens steht in weißen Lettern der Engelsgruß: ave gracia ple na dominvs t(ecvm). Zur Heimsuchung (fol. 26), die die Laudes eröffnet, erhält die Begegnung von Maria zur Linken und Elisabeth viel Raum, der durch zwei Bäume, links und mittig, und den Berg mit dem Haus gestaltet wird, vor dem der greise Zacharias sitzt: Maria steht zwar so weit vorn, daß ihr Gewandsaum von der Tafel mit dem Incipit abgeschnitten ist; doch wird die Landschaft darunter fortgesetzt. Die Greisin ist den gewundenen Weg aus ihrem mit Renaissance-Fassade geschmückten Haus herabgekommen; beide reichen sich die rech ten Hände. Nach strikten Prinzipien von Dekorationshierarchie müßte diese Bildseite die absolute Spitze markieren; denn in überbordender Phantasie sind Putten, hautfar ben wie auch in Gold-Camaïeu eingesetzt: Drei goldene spielen unter dem Schriftfeld, während acht kleine lebendig gefärbte Nackte am Säulenschaft hochklettern, mit ihren Händchen die Füßchen der höher Angekommenen stützen oder sich hinter der Säule verstecken. Dazu kommt ein Schneckenpaar in Gold als krönender Abschluß oben. Zur Prim folgt die Anbetung des Kindes (fol. 33) im Stall, der von links mit schadhaf tem Dach ins Bildfeld ragt. Davor knien Maria links und Joseph rechts, beide mit zum Gebet gefügten Händen. Das Kind, von dem gerade Goldstrahlen ausgehen, liegt auf einem rechteckigen weißen Tuch, das wohl an Altartuch gemahnen soll und glatt auf dem Boden ausgelegt ist; um der kleinen Gestalt mehr plast ische Präsenz zu geben, ist es von einem goldenen Oval umfangen. Der Knabe führt die Hand zum Munde, als wolle er am Daumen lutschen, interessiert betrachtet vom Esel, während der Ochse zu Maria aufblickt. Hinter der aus groben Brettern gezimmerten Rückwand, die nach oben ab bricht, haben sich bereits zwei Hirten eingefunden. Goldene Putten spannen oben den Dekor und spielen unten; die Bekrönung des Rahmens ist mit Perlen und Edelsteinen geschmückt. Die Terz, deren Incipit als an den Seiten eingerollter Pergamentstreifen von drei goldenen Putten gehalten wird, eröffnet mit der Hirtenverkündigung (fol. 37), die sich in charakte rist ischer Weise vom Vorlagenwesen löst: Ein Engel, als recht kleine Halbfig ur, in weißem Hemd mit roten Flügeln, erscheint vor Gold in Wolken: Drei Hirten unterschiedlichen
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Alters und eine Hirtin schauen auf; der jüngste liegt als Rückenfigur vorn und schützt die Augen, der ältest e kniet links neben ihm und richtet sich mit seinem Hirtenstab auf, der mittlere rechts betet. Hauptfigur ist eine junge Frau, die erstaunt von ihrem Spinn rocken abläßt und aufschaut. Zwischen ihnen drängt sich die Schafherde; rechts stehen auf einem Hügel stolze Gebäude in der schönen weiten Landschaft. Recht niedrige gol dene Prophetenstatuetten umgeben den Schaft der dicken Säule rechts. Für die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 40) sitzt Maria in einer – verglichen mit der Weihnacht – viel stärker ruinierten Ecke des aus Brettern gezimmerten Stalls; nun hält sie das Kind in einer bis zum Bauch reichenden Windel auf dem Schoß. Die goldenen Gaben sind Gefäßen für kirchlichen Gebrauch ähnlich, aber nicht genau präzisiert als Utensilien für die Feier der Messe. In der Mitte hält einer der weiteren Könige, die al tersmäßig nicht diff erenziert sind, einen polygonalen Becher mit Deckel, während der dritte rechts hinten ein Ziborium mit kugelförmigem Oberteil bringt. Die Gestalten verteilen sich so frei im Raum, daß die gewohnte Ordnung nicht mehr zu gelten scheint. Wieder sind goldene Putten bemüht, die Architektur zu schmücken, deren Bogen mit den Namen der Könige in Blau beschriftet werden sollte; wo nur für rex iaspar rex melchior rex Platz war. Die Non, deren Incipit auf weichem Tuch zu stehen scheint, dessen Enden von einem gol denen Putto unten zusammengehalten werden, wird wie gewohnt von der Darbringung im Tempel eröffnet (fol. 43): Der gestaffelte dreiteilige Bogen mit seinen zwei hängen den Schlußsteinen erinnert an den Rahmen des Johannesbildes; doch prangt nun in der Mitte ein Wappenschild mit France ancienne, also den drei goldenen Lilien auf Blau, von goldenen Putten gehalten. Die Bewegungsrichtung ist diesmal umgekehrt: Links steht Simeon am runden Altartisch, mit Mitra; er kreuzt die Arme und beugt sich über den nackten Jesusknaben, der auf einem oval gedrehten Tuch auf der weißen Decke liegt. Ma ria kniet betend, während Joseph mit dem Körbchen die zwei Tauben überreichen will, eine Magd die Kerze hält und ein etwas jüngerer Mann hinzukommt. Er wirkt ebenso wie Maria, Joseph und die Magd deutlich kleiner als der greise Simeon. Bei der Flucht nach Ägypten zur Vesp er (fol. 46) wird die schon von der Heimsuchung bekannte Säule, an deren Schaft acht Putten hochklettern, in Camaïeu wiederholt. Im Bild kommt anders als in vielen Pariser Handschriften der Zeit das Kornwunder hinzu; es wird mit mannshohem Korn links im Mittelgrund gezeigt. Vorn zieht die Heilige Fa milie in dem durch drei hohe Bäume im Mittelgrund gegliederten Bildfeld nach rechts: Maria, im Damensitz auf dem am Boden schnuppernden Esel, hält den in Gold-Cam aïeu gekleideten Jesusknaben auf dem Schoß, während Joseph den Zügel hält und fast im verlorenen Profil voranschreitet. Wieder ist die Rahmung durch goldene Engel belebt. Die Tendenz, sich immer stärker von den gewohnten Vorlagen zu lösen, erreicht ihren Höhepunkt bei der Marienkrönung zur Komplet (fol. 51): Gott mit den Zügen des Va ters sitzt gemeinsam mit der jugendlichen Jungfrau Maria auf einem golden schimmern den Thron mit konkaver Form. Der Vater segnet die Gottesmutter; die große Taube des Heiligen Geistes schwebt über dem Mittelpfosten der Rücklehne, der mit der oberen
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Kante an Christ i Kreuz denken läßt. Kreise von Seraphim und außen Cherubim umge ben die Erscheinung, die vor allem durch den schmalen Bildstreifen unter dem Incipit als Himmel bezeichnet ist; dort schaut ein goldener Engel, der als Rückenfigur gezeigt wird, ins Weite; oben streiten sich zwei Putti um einen Stab. Eine goldene Propheten statue steht vor dem Pilast er außen. fol. 55: Die Erkennungsbilder der Horen gehören zum fest en Brauch. So wird die KreuzMatutin mit der Kreuzigung (fol. 55) eröffnet: Dabei erweist sich, daß unser Maler die Regeln der Persp ektive mit raf finiertem Einsatz des Horizonts ebenso überraschend nutzen kann wie die Möglichkeit, im Rahmen das Bild zu ergänzen: Das Hauptbild wirkt auf den ersten Blick auf Maria, Johannes und Magdalena unter Christi Kreuz beschränkt; doch sind die Soldaten nur ein Stück in die Tiefe hinter den Hügel Golgatha gerückt; ihre unzählbare graue Masse erreicht mit den Köpfen gerade einmal die Kniehöhe des Erlösers. Über den Lanzen mit zwei roten Standarten führt der Blick auf Gebirge im Blau der Ferne. Doch der Hauptmann, der Jesus als Gottes Sohn erkennt, findet im polygonalen Pfeiler rechts mit einem Teil der Truppe hinter sich Platz, noch erheblich niedriger als die Soldaten und in Gold-Camaïeu. Diesmal endet das Bildfeld über dem Incipit; unten spielen vor einem mit goldenen Tränen besetzten blauen Fond geflügelte Putten mit Dekor für den Rahmen, auf dessen Inschrift im Bogen oben ein weiterer Putto weist; in blauen Lettern steht dort die Bitte: salva nos per v(ir)tvte (sic!) sancte. Bei der Matutin des Heiligen Geistes prangt über dem Pfingstwunder (fol. 58) erneut das französische Königswappen im Rahmen: Bei der Darbringung im Tempel war der selbe Rahmen eingesetzt; dazu gehört nun ebenfalls der Putto unten, der die Enden des Tuchs faßt, auf die das Incipit geschrieben ist. Wieder wird dem Bas-de-page ein blau er Fond hinterlegt; das Bild endet also oberhalb des Incipits. Unter der Taube des Hei ligen Geistes, von der wellenförmige goldene Strahlen ausgehen, sitzt, leicht nach links aus der Bildmitte verschoben und sacht nach rechts gewendet, die Muttergottes; zu ih rer Rechten kniet der greise Petrus, auf der anderen Seite der jugendliche Johannes; die zahllosen Nimben der hinter beiden Knienden deuten an, daß weit mehr als die verblie benen elf Apost el des Wunders der Ausgießung des Heiligen Geist es gewahr werden. fol. 61v: Wie bei der Marien-Matutin eröffnen die Bußpsalmen mit zwei Bildern, deren eines auf Verso die – hier nur zweizeilige – in Blau geschriebene Rubrik enthält, wäh rend auf dem Recto das Incipit den unteren Teil des gerahmten Feldes einnimmt. Dies mal sind die Rahmen wenigstens in den außen stehenden Pilastern, nicht aber in ihrer Gesamtform aufeinander abgestimmt; die Bildthemen ihrerseits bilden keine Folge von links nach rechts; denn auf Verso wird die brutale Folge dessen gezeigt, was auf Rec to gerade erst beginnt. Buchmaler verfügten ebenso wie Drucker von Stundenbüchern über Bilderserien zu bestimmten Themen, aus denen für das einzelne Buch dann meist nur eine oder best enfalls zwei Motive ausgewählt werden konnten. So verband man die Bußpsalmen mit der Geschichte von David und Bathseba: Der König schaut der Ehefrau seines treuen Dienstmanns, des Hethiters Urias, beim Bade zu, fordert sie auf, in seinen
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Palast zu kommen, schwängert sie, schickt Urias durch einen Brief, den der Betrogene selbst befördern muß (siehe das Bild in Nr. 57), in den Tod, wird dann vom Propheten Nathan angeklagt, tut Buße und zeugt dann mit Bathseba den späteren König Salomo. Mit Bathseba im Bade (fol. 62), dem um 1500 für die Bebilderung der Bußpsalmen be liebtest en Thema, beginnt die Geschichte. Das Bild ist ganz darauf ausgerichtet, die ver führerische Schönheit der jungen Frau zu zeigen: Bathseba steht ganz nackt im sechsecki gen Becken und schaut versonnen auf die kleine goldene Brunnenfigur eines Kriegers – in anderem Zusammenhang würde man den Kriegsgott Mars erkennen, hier aber ist viel leicht metaphorisch an Urias selbst zu denken, der ja in Davids Sold steht. Bathseba ist allein, badet offenbar im Garten des Palasts, der links im Mittelgrund steht. Von dort schaut David, von einem jungen Mann begleitet, heraus, während vor dem Rosenspalier weit hinten zwei winzige Figuren spazierengehen. Durch die Kombination der beiden Bildseiten ist Bathsebas versonnener Blick auf die Urias-Schlacht gerichtet, die auf fol. 61v den gesamten Raum innerhalb des Rahmens einnimmt. Während unten, durch die zwei Zeilen Rubrik unterbrochen, die Leichen der Erschlagenen liegen, wird im Zentrum des Bildes ein stolz in Gold gerüst eter Reiter auf einem Schimmel von der Lanze seines von rechts heranreitenden Gegners durchbohrt. Da sich der Maler nicht sicher sein konnte, daß man das Bild richtig las, hat er vrie in goldenen Lettern auf die weinrote Schabracke des Schimmels geschrieben. fol. 75: Noch einmal wird die mit dem königlichen Wappen geschmückte Bordüre für das Totenof fizium verwendet; nun steht ihre Pracht in eigenartigem Konflikt zu Hiob mit seinen Freunden. Der Greis hockt in einem weißen Tuch, das wie ein Leichentuch wirkt, auf dem Dung, links im Bild, vor seinem Haus, das – in solchen Miniaturen un gewohnt, aber der biblischen Geschichte entsprechend – eine Ruine ist. Hiob blickt auf zu den Freunden und diskutiert sichtlich mit ihnen; es sind vier, während in der Bibel nur drei zu Wort kommen. Sie sind aufwendig gekleidet, der linke wirkt wie ein in fal sche Farben gekleideter Kanoniker. fol. 104: Von den Mariengebeten ist nur das erst e bebildert: Als Kopfminiatur über dem Incipit in einem Rahmen mit einem ineinander verdrehten Säulenpaar erscheint die Ma donna mit Kind zum Obsecro te, während das O intemerata bildlos bleibt: Als Halbfigur erscheint Maria über der silbernen Mondsichel vor goldenem Grund, von feurigen Se raphim im blauen Himmel mit Silberwolken umkränzt. Die Bildidee greift also den Ge danken an das in die Sonne gekleidete Apokalyptische Weib über dem Mond auf. Maria hat den in eine lockere Windel gehüllten nackten Knaben im Arm; beide wenden sich nach rechts; deshalb wird ein Bildgedanke zugrunde liegen, bei dem rechts Beter oder Beterinnen dargestellt waren. fol. 111v: Bildlos bleiben die Sieben Verse des heiligen Bernhard, die übrigens in Jean Fou quets Stundenbuch des Étienne Chevalier an dieselbe Stelle vor die Suffragien gesetzt waren.
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fol. 112v: Die Suff ragien erhalten siebenzeilige Kleinbilder mit Halbfiguren in ähnlich prachtvollen Architekturen wie die großen Bildseiten, nun in der Mehrzahl mit jeweils einem oder zwei kleinen Tieren, Schnecken, Insekten, aber auch zwei Bären auf dem Sockel unten, häufiger in der Bekrönung oben mit kurzen Inschriften versehen: Micha el mit dem Teufel (fol. 112v), einem gehörnten affenähnlichen Wesen, das er mit Lanze und Schild festhält; die blaugrundige Bordüre ist im unteren Streifen mit einem semé von Königslilien versehen. Johannes der Täufer (fol. 113) weist auf das Lamm, das er auf einem Buch hält; in der Bekrönung der Architektur soll die Inschrift in blauen Lettern vielleicht hic est vere p(ro)phe(ta) heißen. Petrus und Paulus (fol. 113v) als Greise in heftigem Gespräch über die Schrift, die als Buch erscheint, vor Renaissance-Architektur, mit Inschriften tv es petrvs in weißen Lettern und dann in blauen pavlvs doc. Jako bus als Pilger mit einem Buch; oben die Bitte s. iacobe ora pro me (fol. 114). Steph anus (fol. 114v) als Diakon vor blauem Tuch, mit einem Stein auf dem Haupt und der Bitte: S. Stephane ora pro nobis. Laurentius (fol. 115) als Diakon mit dem Rost, in Landschaft; darunter Sebast ian (fol. 115), zur Pfeilmarter an einen Baum gebunden, ohne seine Peiniger. Christ ophorus (fol. 116) mit dem Christ usknaben, auf dem Sockel unten eine Libelle mit weißen Flügeln. Desiderius (fol. 117) als segnender Bischof; un ten eine graue Schnecke. Blasius (fol. 117v) als Bischof vor Ehrentuch, mit dem Woll kamm, seinem Marterinst rument, dazu oben die Bitte in Blau: S. Blasi ora pro; unten eine Schnecke. Nikolaus (fol. 118) als Bischof vor Ehrentuch, mit den drei Knaben im Pökelfaß. Martins Mantelspende (fol. 118v) in der Landschaft, mit einer grünen Heuschrecke unten. Claudius (fol. 119) als Bischof vor Ehrentuch, mit einem Kreuzstab seg nend, mit einer grünen Kröte unten. Antonius Abbas (fol. 120) mit dem Schwein vor der Einsiedelei, oben in Weiß und dann Blau als anthoni pastor angesprochen, obwohl der Heilige ja in der Einsamkeit lebte; unten ein schwarzer Bär. Anna lehrt Maria lesen (fol. 120v) vor blauem und rosafarbenem Brokat mit reliefierter Rückwand, oben in Weiß als anna mater ausgewiesen; unten ein grauer Bär, nicht durchgepaust. Maria Mag dalena (fol. 121) mit dem Salbgefäß in der Landschaft; unten eine prächtige Fliege. Ka tharina (fol. 121v) als gekrönte Jungfrau, nur mit dem Schwert in der Landschaft; unten eine Schnecke. Margarete (fol. 122), vom Beelzebub in Form eines Drachens verschlun gen und aus dessen Rücken mit ihrem kleinen goldenen Kreuz wieder auftauchend; un ten Libelle und Schnecke. Barbara (fol. 122v) vor ihrem Turm in der Landschaft; unten, nicht genau durchgepaust, ein Insekt mit Stachel und eine Libelle. Apollonia (fol. 123) mit dünn angedeuteter Zange in der Landschaft; unten ein springender Putto. Maurus (fol. 124) im schwarzen Habit der Benediktiner vor blauem Tuch, das zu beiden Seiten wie ein außen mit Rosa bezogenes Zelt zurückgeschlagen ist. Zum Stil Dieses Manuskript ist ein bemerkenswertes Beispiel für Pariser Buchkunst im Dienst e von Auftraggebern aus entfernten Regionen mit eigener Lokaltradition. Wie weit die Analogie zum Stundenbuchdruck geht, ließe sich nur entscheiden, wenn man den Schreiber genauer fassen könnte. Seine vorzügliche Bastarda mit den blauen Rubriken
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ist entweder noch in der Bischofsstadt Langres oder in der Hauptstadt mit Blick auf burgundische Äst hetik geschrieben worden. Daß man in Paris dem Brauch gerecht wer den konnte, zeigt ein Unicum in unserem Katalog Horae (Nr. 103.1: Bd. VII , S. 28972906), das eine für den Gebrauch von Langres eingestellte Fassung von Simon Vostres Grandes Heures von 1519 bietet. Unser etwa gleichzeitig entstandenes Manuskript war bestimmt für eine wohlhabende Familie, die noch im 19. Jahrhundert durch eine bedeu tende Persönlichkeit in Langres vertreten war. Dekor und Bebilderung sind zweifellos in Paris entstanden; sonst hätte sich der verantwortliche Buchmaler mit Gehilfen nach Langres begeben müssen. Alle Miniaturen stammen von einem Buchmaler, von dem wir in unserem Katalog 38 Boccaccio und Petrarca in Paris (LM NF I, 1997) eine signierte Miniatur der Kreuzigung, die aus einem nicht mehr nachweisbaren Missale in Quartformat herausgelöst wurde, bekannt gemacht haben. Als ios. coene bezeichnet sich der Maler; er wird es besser ge wußt haben als die gegenwärtige französische Kritik, die zwar weiß, daß Jacques und Jean Coene als Buchmaler in Paris nachweisbar sind, aber in der Entstehungszeit des Kreuzi gungsbildes ebenso wie unseres Stundenbuchs einen weiteren dokumentarischen Hin weis vermissen. Wenn wir genügend dokumentierte Namen hätten, müßten wir nicht unentwegt mit Notnamen operieren. Wir zweifeln nicht, daß der Maler die Entrées der Claude de France ausgemalt hat, aber halten fest: er hieß offenbar Jean Coene, angesichts der Generationenfolge in solchen Familien vom erst en Träger des Namens an gerechnet, wird es Nr. IV gewesen sein. Der erst e Vertreter der Familie Coene, Jacques, den man nicht glücklich mit dem Boucicaut-Meist er im erst en Viertel des 15. Jahrhunderts gleichgesetzt hat, stammte aus Brüg ge. Flämische Züge sucht man bei unserem Jean Coene vergebens; der stand, wie unsere Miniaturen zeigen, entschieden in der Tradition der beiden Le Barbier, die wir in Band III gewürdigt haben; das zeig t sein Kolorit ebenso wie die Einbeziehung der Landschaft. In seiner Kunst entsteht jedoch eine bemerkenswerte Spannung durch die Art, wie er Renaissance-Motive verarbeitet: In den Miniaturen deutet er die neuartigen Architek turen nur an; in den in Gold-Camaïeu ausgeführten Ädikulen aber, mit denen er gan ze Text- und Bildfelder rahmt, bedient er sich mit amüsanter Phantasie der gebotenen Möglichkeiten und verblüfft durch die Vielfalt der Versionen. Mit 64 Bildern ist diese vollständig und brillant erhaltene Handschrift ein beson ders bemerkenswertes Beispiel Pariser Buchkunst für fremden lokalen Brauch. Nicht ganz geklärt ist die Bestimmung des Schreibers; das Buch mag aus Langres zur Aus malung nach Paris geschickt worden sein. Eine Dame aus der noch im 19. Jahrhun dert in Langres prominenten Familie Giraud de Prangey, die im Wollhandel erfolg reich war, wird nicht von ihrer Namensheiligen, sondern vom Nothelfer Blasius mit dem Wollkamm im Gebet zur Verkündigung begleitet (wir wissen nicht, ob Blaise zu jener Zeit auch als Frauenname gebräuchlich war).
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Als ein prächtiges und sowohl vollständig als auch makellos erhaltenes Beispiel von Renaissance-Dekor mit Putten und naturalist ischen Elementen überzeugt dieses Manuskript, in dem alle Textseiten mit meist historisierten Bordüren ausgestattet sind. Der gesamte gemalte Dekor stammt aus Paris, wo der Meist er der Entrées der Claude de France, der eine Missalienminiatur in unserem Besitz als Jos Coene si gniert hat, auch alle Miniaturen geschaffen hat. Literatur Zum Gebrauch von Langres siehe die inzwischen digital vorliegende, sehr umfangrei che Dissertation von Jacques Lauga, Les manuscrits liturgiques dans le diocèse de Langres à la fin du Moyen Age: Les commanditaires et leurs artistes, Paris IV, 2007, Nr. 26, S. 139 f.
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57 Das Lignieres-Stundenbuch – von Jean Coene ganz eigenhändig ausgemalt
STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Paris. Lateinische und französische Handschrift auf festem Pergament. Rubriken in Rot, Kalender in Rot und Braun, in brauner, nicht sehr regelmäßiger Textura. Paris, ca. 1510 - 1515: Jean Coene 15 Bilder, 10 große Miniaturen in ganzseitigen Flüssig goldrahmen über vier Zeilen Text, 5 kleine Miniaturen als historisierte Initialen, meist vierzeilig, einmal fünfzeilig. Zweiund einzeilige Initiale in Blattgold auf abwechselnd weinroten und blauen Gründen, mit weißem Binnendekor, ebensolche Zeichenfüller. 164 Blatt Pergament, dazu je zwei originale, leere Pergamentvorsatzblätter vorne und hinten. Vorwiegend gebunden in Quaternionen, aber Kalenderlage 1 und 2 mit zwei Ternionen, es fehlt das Anfangsblatt von Non, von den Heilig-Kreuz-Horen, das Anfangs- und Schlußblatt des Totenoffiziums sowie das Anfangsblatt der Suffragien. Rot regliert zu 15, im Kalender zu 17 Zeilen, kaum (waagrechte) Reklamanten. Oktav (164 x 117 mm, Textspiegel 92 x 59 mm). Farbfrisch und sehr breitrandig erhalten, allerdings nicht ganz vollständig: es fehlen die großen Miniaturen zu Non (Darbringung im Tempel), den Kreuz-Horen (Kreuzigung) und dem Totenoffiz (Hiob o.ä.); außerdem wohl eine historisierte Initiale zu den Suffragien. Dunkelroter Maroquineinband des mittleren 18. Jahrhunderts auf flachen Rücken, dieser mit Titelprägung „HEURES GOTIQUE” und flächendeckender Vergoldung „à la grotesque”, Deckel in drei Fileten-Rahmen, Steh- und Innenkantenvergoldung, Marmorpapiervorsätze, Goldschnitt. Provenienz: Am Textende vor und nach Matutin sowie vor den Bußpsalmen und am Ende französische Gebetseintragungen der Zeit, von kalligraphischem Ehrgeiz, aber ohne Signatur. Auf dem zweiten leeren Blatt vorn, umgeben von schönen Federzügen, der Name „Ligniere(s)” aus der Mitte des 16. Jahrhunderts (die Lignieres waren pikardischer Adel, bekannt ist Antoine de Lignieres, Seigneur de la Faloise etc., floruit 1551: er ist evtl. der Einträger des Namens auf Vorsatz, s. Dictionnaire de la noblesse … XII, Sp. 119). Der Rücken des Einbands gleicht denjenigen Einbänden, die der Duc de la Vallière ab 1750 für seine Bibliothek herstellen ließ, es ist jedoch nicht möglich, dieses Manuskript in den vier großen La Vallière-Versteigerungen 1767, 1772, 1777 und 1784 ausfindig zu machen. Zuletzt europäischer Privatbesitz. Text Zu Beginn zwei leere Blätter, das erste, nach den Klebe- und Wurmsuren zu schließen, war früher festes Vorsatz im originalen Einband. fol.1: Kalender nach dem Brauch von Paris, jeder Tag besetzt, Heiligennamen in Braun und Rot, Goldene Zahl in Rot, Sonntagsbuchstaben sämtlich in Braun, ebenso die rö-
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mische Tageszählung. Ausrichtung auf Paris, mit Genovefa, Vincent, Dionysius, aber auch Romanus für Rouen. fol. 13: Perikopen: Johannes (fol. 13), Lukas (fol. 14v), Matthäus (fol.16), Markus (fol. 18, mit falscher Rubrik „Secundum lucam”). fol. 19: Mariengebete: Obsecro te – für eine Frau; fol. 23: O Intemerata. fizium nach dem Brauch von Paris: Matutin (fol. 28); Laudes (fol. 39); fol. 28: Marienof Prim (fol. 52); Terz (fol. 58); Sext (fol. 62); Non (fol. 67, Anfang fehlt); Vesper (fol. 70); Komplet (fol. 77v). fol. 83: Horen von Heilig Kreuz (fol. 83, Anfang fehlt) und von Heilig Geist (fol. 86v). fol. 91: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 103v). fol. 110: To ten of fi zi um für den Gebrauch von Paris (fol. 110, Anfang fehlt). fol. 159: Suffragien (fol. 159, Anfang fehlt): Michael (fol. 159); Johannes der Täufer (fol. 160); Johannes der Evangelist (fol. 160v); Peter und Paul (fol. 161); Jakobus (fol. 161v); Anna (fol. 162); Barbara (fol. 163). fol. 164: Textende; fol. 164v – 165v mit zeitgenössischem Gebet von anderer Hand. Schrift und Schriftdekor Die Textura, obzwar mit deutlichen Auflösungsspuren, und die Ausstattung mit Blatt gold-Initialen auf alternierend rotem und blauem Grund, weist ins 15. Jahrhundert zu rück, ebenso wie die Einrichtung der Bildseiten mit drei oder vier Zeilen Incipit und ebensogroßen Dornblatt-Initialen. Dagegen sind die Rahmungen der großen Miniaturen in Flüssiggold als gemauerte Schmuckleist en im Renaissance-Stil mit Festons und Gir landen schon dem 16. Jahrhundert gehörig. Insgesamt ist die sekundäre Ausstattung auf das Notwendige beschränkt, so weisen die kleinen Miniaturen keinerlei Bordüren auf. Bildfolge Die Perikopen beginnen mit einer großen Miniatur von Johannes auf Patmos (fol.13). Der jugendliche Evangelist hat links vor einem Steinhügel Platz genommen und schreibt auf eine Schriftrolle, zu der sich sein Adler mit stechendem Blick wendet. Unten und rechts ist ein Flußlauf entworfen, im Mittelgrund sind ferne Burgen in lichtem Blau an gedeutet. Im Himmel soll eine dunkel dräuende Wolke wohl auf die Apokalypse voraus weisen. Sodann drei hist orische Initialen: Lukas (fol. 14v) schreibt rechts auf ein Blatt, beäugt von seinem Stier. Matthäus (fol. 16) tut es ihm seitenverkehrt nach, sein Engel leist et ihm Gesellschaft. Markus (fol. 18) sitzt links, schreibt auf ein ellenlanges Blatt, im Hintergrund sein Löwe. Die Mariengebete haben ebenfalls hist orisierte Initialen: Maria (fol. 19), zum Obsecro te, mit zum Gebet gefalteten Händen und riesigem Nimbus, umgeben von Flämmchen (?);
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Maria mit dem Kind zu O Intemerata (fol. 23), wobei der Sohn Gottes ein von Gold fizium beginnt wie immer mit der Verkün strahlendes Hemdchen anhat. Das Marienof digung (fol. 28): Maria thront, mit wunderbarem Umhang in Blau über einem violet ten Kleid, links unter einem luxuriösen, in Weinrot ausgeschlagenen Baldachin, wäh rend der Erzengel Gabriel von rechts her, schon ins Knie gesunken, mit seiner Rechten auf die Taube des Heiligen Geistes weist, von der Strahlen in Gold ausgehen. Dies ge schieht vor einem grünen Ehrentuch, das von einer gemauerten Wand hinterfangen ist. Zu den Laudes finden wir die Heimsuchung (fol. 39v), die sich ganz auf die bildfüllende Begegnung von Maria zur Linken und Elisabeth beschränkt, letztere ist einen gewun denen Weg aus einem von Bäumen umstandenen Haus mit Turm heruntergekommen; beide reichen sich die (linken) Hände. Zur Prim folgt wie immer eine Darstellung der Anbetung des Kindes (fol. 52) im Stall, der von links mit löcherigem Dach hereinragt. Davor knien Maria links und Joseph rechts, beide mit betenden Händen; das Kind, von dem schöne wellige Goldstrahlen ausgehen, liegt auf dem Umhang Marias und scheint am Daumen zu lutschen, interessiert betrachtet von Esel und Ochs in der Mitte. Hin ter einem Gatter haben sich bereits zwei Hirten eingefunden. Die Terz macht natürlich mit der Hirtenverkündigung (fol. 58v) auf: Ein Engel, ganz in Gold-Camaïeu gegeben, erscheint in einer dramatischen Wolke im Zentrum oben: Ein die Augen schützender bärtiger Hirte links und zwei weitere rechts, alle mit ihren houlettes, folgen dem Phäno men, während zwischen ihnen die Herde der Schafe sich drängt und weidet. Die Sext ist wie gewöhnlich der Anbetung der Könige (fol. 62v) vorbehalten. Unter dem gleichen schadhaften Stalldach der Geburt sitzt Maria mit dem Kind auf dem Schoß, vor dem der ältest e König mit einer Schatulle kniet. In der Mitte hält der zweite König ein Weihrauch(?)-Gefäß, während der jüngst e rechts hinten einen runden Kelch wie trium phierend reckt. Zur Vesper finden wir die Flucht nach Ägypten (fol. 70): Vor einer kon ventionellen Wald-, Hügel- und Bergkulisse bewegt sich die Heilige Familie nach rechts: Maria, im Damensitz auf dem witternden Esel, hält den in schrilles Orange gekleideten Jesus auf dem Schoß, während Joseph, fast übergroß, die Zügel handhabt. Eine Beson derheit scheint bemerkenswert: Das Kind schaut mit einer Inbrunst auf den Ziehvater, die das Weiß seiner Augäpfel über Gebühr hervortreten läßt. Zur Komplet ist eine üppige Darstellung der Marienkrönung (fol. 77v) zu finden: Ma jestätisch thront auf einem goldgemusterten Gestühl Gottvater links, mit der Rechten Maria segnend, die klein vor ihm kniet und betet; hinter einem Ehrentuch mit Flammen schweben zwei Engel mit der Krone heran; von rechts und oben schieben sich Wolken knäuel ins Bild, um den Ort der Handlung zu evozieren. Diese setzen sich sogar unter dem Text als Bas-de-page fort. Zu den Heilig-Geist-Horen erscheint die lebendige Darstellung eines Pfingstbildes (fol. 86v) mit Maria links im Gebet unter einem Baldachim. Petrus nimmt die Mitte ein, rechts, in schöner Symmetrie, kniet der jugendliche Johannes. Dahinter sind die übri gen Apost el versammelt, wo immer möglich zumindest mit größeren Gesichtspartien
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kenntlich. Über allem schwebt die Taube, von der goldene Strahlen ausgehen, aber kei ne Flammen. Die Bußpsalmen werden eingeführt von einer in Handschriften sehr seltenen Szene: Die Übergabe des „Marschbefehls“ von David an Uria, den Mann der Bathseba (fol. 91). David, mit vielsagendem Blick, hat auf einem weinroten, goldgemust erten Thron Platz genommen, mit der Linken reicht er die Missive an den von Kopf bis Fuß gerüsteten Botschafter weiter, der, ins Knie gesunken, nach ihr greift; zwei Berater stehen im Mit telgrund und gest ikulieren bezw. äugen vielsagend. Der verantwortliche Maler Dieser ist im vorliegenden Manuskript ohne jeden Zweifel zu bestimmen: Es handelt sich um Jean Coene, den andere, v.a. französische und amerikanische Kenner mit dem figen Notnamen „Meist er der Einzüge bezw. Begräbnisfeierlichkeiten der Anne de grif Bretagne” zu benennen belieben. Daß sich in unserem Besitz eine Missalienminiatur dieses Meist ers befindet, die im Goldrahmen unmißverständlich besagt: „de Jos Coene” und damit auf die flämische Herkunft der seit dem Ende des 14. Jahrhunderts für ihre Maler berühmten Familie Coene verweist, ignoriert man lieber (siehe Abb. der signier ten Miniatur in der Einleitung zu diesem Katalog). Auch unsere Nummern 40, 55 und 56 sind ganz oder teilweise von ihm verantwortet. Bei der vorliegenden hübschen Hand schrift, die leider auch dem Raubgriff der Vandalen ausgesetzt war – es fehlen drei Mi niaturen – hat er sich, um es sportlich auszudrücken, nicht gerade selbst übertroffen, wie dies in Nr. 56 so grandios der Fall ist. Dies ist also ein repräsentatives Pariser Stundenbuch um 1510, von sehr guter Er haltung (bis auf die drei fehlenden Miniaturen) und von der Hand jenes Künstlers geschmückt, der in seiner Karriere Aufträge von hoher und höchst er Stelle erhielt, häufig auch vom Königshof selbst. Glücklicherweise kennen wir seinen Namen aus der Signatur einer Pantokrator-Miniatur in unserem Besitz: Jos oder Jean Coene, aus einer altberühmten flämischen Familie von Malern und Illuminatoren. Im 16. Jahr hundert war die Handschrift im Besitz der Adelsfamilie de Lignieres, was für die Achtung spricht, die man diesem eher zurückhaltend illustrierten Manuskript noch in späterer Zeit entgegenbrachte. Literatur Das Manuskript ist bisher nicht publiziert. Zu Jean Coene: LM NF I (1997), Nr. 2.
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58 Ein mit 158 Bildern ungemein reiches Stundenbuch vom Gotha-Meister mit zwei alttestamentarischen Zyklen und einem Totentanz
Stundenbuch. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift auf Pergament, lateinische und französische Rubriken sowie Erläute rungen im Bas-de-page in Rot, in dunkelbrauner Fere-humanistica. Paris, ca. 1510–1520: Gotha-Meister 158 Bilder: auf jeder Buchseite, mit Ausnahme der 4 Vacat-Seiten und der 14 Vollbil der, zumindest ein Bild im breiten Außenrand einer die ganze Seite umgebenden golde nen Zierarchitektur, mit zweizeiligem Textfeld unten: 14 textlose Vollbilder in Archi tekturbordüren, 20 Kleinbilder im Textverlauf und 24 Kalenderbilder in Randstreifen, dazu 100 Figuren von Sibyllen und Propheten, Vorfahren Christi sowie Szenen aus dem Totentanz in den Bordüren der Textseiten. Dreizeilige mit Banderolen umwickelte blaue Initialen auf Rot zu den Incipits. Zweizeilige Initialen zu den Psalmenanfängen, einzeilige Initialen zu den Psalmenversen in Gold auf roten, blauen oder braunen Flächen. Zeilenfüller der gleichen Art oder als Knotenstöcke. Versalien gelb laviert. 65 Blatt Pergament, vorn und hinten je vier Papier- und zwei Pergamentvorsätze, der erste Papiervorsatz mit gemustertem schwarzen Papier bezogen. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die Kalenderlage 1(6) sowie die um weitere Blätter ergänzten Lagen 2 (8+1, 1. Blatt hinzugefügt), 3 (8+2, 3. + 10. Blatt hinzugefügt) sowie die Endlage 7 (4). Kei ne Reklamanten. Oktav (188 x 118 mm; Textspiegel 128 x 69 mm). Rot regliert zu 38, im Kalender zu 41 Zeilen. Komplett, breitrandig und völlig unbeschädigt erhalten, Mittelbrauner Maroquinband des späten 19. Jahrhundert auf fünf Bünde, Rücken in Kasten blindprägung, Deckel ganz bedeckt von mehreren ornamentalen oder figürlichen Rollenstem peln in Blindprägung nach Art des 15. Jahrhunderts. Vorsätze mit vergoldetem Papier und Monogramm „G“ bezogen, Silberschließen, Goldschnitt, signiert „Gruel“. Auf fol. 22v erscheint, vom Bildfeld in der Architekturbordüre außen abgeschnitten die unte re Hälfte des französischen Königswappens mit den drei Lilien, freilich ganz in Goldcamaīeu. Stempel „Biblioth. Broussonnet“ (19. Jahrhundert) auf fol. 1. Später: Sale Sotheby’s, 11/1929, Nr. 373: £ 230,- an Maggs. Danach Daniel Sicklès, Vente Paris, 12.12.1945, Nr. 11: 201.000,Francs Zuschlag, an Georges Wendling, mit seinem blauen Exlibris und Stempel. Zuletzt fran zösischer Privatbesitz. Text fol. 1: Kalender in lateinischer Sprache; jeder Tag besetzt: Goldene Zahl, Feste und Sonntagsbuchstaben A in Rot, Sonntagsbuchstaben b-g in Dunkelbraun. Heiligenaus wahl nordfranzösisch und wallonisch, darunter auffällig viele Heilige aus Tournai, aber auch aus Tours (Venantius 11.1.).
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fol. 7: leeres Recto einer eingefügten Bildseite. fol. 8: Perikopen: Johannes (fol. 8), Lukas (fol. 8v), Matthäus (fol. 9) Markus (fol. 9v). fol. 9v: Mariengebete, für einen Mann redigiert: Obsecro te (fol. 9v), O intemerata für Ma ria und Johannes (fol. 10v). fizium für den Gebrauch von Rom: Matutin (mit drei Psalmengruppen fol. 12: Marienof für die Wochentage, fol. 12), fol. 18 leeres Recto für eingefügte Bildseite, Laudes (fol. 19), fol. 23 leeres Recto für eingefügte Bildseite, Prim (fol. 24), Terz (fol. 26), Sext (fol. 28), Non (fol. 30), Vesper (fol. 32), Komplet (fol. 35). fol. 37: leeres Recto für eingefügte Bildseite. fol. 38v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 42); die Heiligenauswahl wenig aussagekräftig: die Pariser Heiligen Gervasius und Prothasius am Ende der Märtyrer. fol. 45: Horen von Heilig Kreuz (fol. 45) und Heilig Geist (fol. 46v). fol. 48: To ten of fi zi um, für den Gebrauch von Rom: Vesper (fol. 48), Matutin (fol. 50, nicht markiert), Laudes (fol. 57 mit einer Rubrik). fol. 61v: Suffragien: Trinität (fol. 61v), Johannes der Täufer (fol. 61v), Johannes der Evan gelist, Petrus und Paulus (fol. 62), Jakobus, Stephanus (fol. 62v), Christophorus (fol. 63), Se bastian (fol. 63v), Nikolaus, Antonius (fol. 64), Anna, Maria Magdalena (fol. 64v), Katha rina, alle Heiligen (fol. 65). fol. 65v: Textende. Schrift und Schriftdekor Mit 38 Zeilen im Text und im Kalender sogar 41 Zeilen, von denen mindestens acht leer blieben, gehört dieses Manuskript zu jenen Gebetbüchern aus dem frühen 16. Jahrhun dert, die darauf angelegt waren, das gesamte Textvolumen in einen schlanken und von den Proportionen her recht steilen Band zu passen. Als Schrift dient keine spätgotisch stilisierte Bastarda, sondern eine Art Fere-humanistica mit blaßroten Rubriken. Der Schriftdekor ist schlicht; die kleineren Initialen sind durchweg in Pinselgold auf unkon turierten farbigen Flächen gehalten, die ihrerseits mit Gold verziert sind; Zeilenfüller wirken plastischer als die Zierbuchstaben, selbst wenn sie nicht als Knotenstöcke, son dern mit Gold verzierte Flächen gebildet sind. Die dreizeiligen Initialen für die vierzehn wichtigsten Incipits vertreten eine andere Dekorationsart: Der Buchstabenkörper wird mit Banderolen umwickelt und erscheint immer blau auf Rot. Der Band ist überreich mit Bildern versehen; denn auf jeder Buchseite, mit Ausnahme der vierzehn Vollbilder erscheint zumindest ein Bild im breiten Außenrand einer die ganze Seite umgebenden goldenen Zierarchitektur. Diese Bilder werden zuweilen mehr schlecht als recht in einem zweizeiligem Textfeld unten erläutert; damit wird eine Tra
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dition aufgenommen, die wohl von Jean Colombe in Bourges entwickelt wurde, als es darum ging, den – ebenfalls im wesentlichen aus dem Alten Testament stammenden – Bilderreichtum im Stundenbuch für Louis de Laval, latin 920 der Pariser Nationalbiblio thek, verständlich zu machen. Im Buchdruck hat sich dann solche Beschriftung vor allem für die vielen Randbilder bewährt (horae ix, S. 4137-4218). Bei aller engen Mitwirkung des Malers an Stundenbuchdrucken wird man die Eintragungen auf Pinselgold jedoch direkter auf die von Colombe initiierte Tradition zurückführen. Auffällig ist auch, daß in gedruckten Stundenbüchern zwar wiederholt der Totentanz Thema war, ein Zyklus der Vorfahren Jesu nach dem Liber generationis von Matthäus aber fehlt. Die Bilder Den Text begleiten Randbilder, die bis auf das erste Bild und den Totentanz zur Beglei tung des Totenof fiziums vom Inhalt völlig losgelöst sind. Doch sind sie insofern auf die Textabschnitte eingestellt, als sie beispielsweise für die Matutin und die Komplet des Marienof fiziums gleichsam in sich Kapitel bilden: In der Matutin werden Jesu Vorfah ren von Adam bis Isai (Jesse) gezeigt; Jesse eröffnet dann aber auch die Laudes; und in der Komplet verdrängen die Sibyllen die Vorfahren fast ganz. Die Bildfelder am Rand: fol. 8: Die Johannesperikope wird von der Aussetzung des Johannes auf die Insel Pat mos begleitet; diese Bildwahl hat zwar nichts mit dem Text zu tun, der ja der Anfang des Evangeliums ist, paßt aber zu der inhaltlich irrigen doppelten Darstellung von Johannes auf Patmos auf dem Vollbild gegenüber und dem Kleinbild im Text. Die Gestalten, die dann die weiteren Perikopen und die Mariengebete begleiten, sind im unteren Randstreifen identifiziert als Hosea, Jeremia, Joel, die Persische Sibylle, Ezechiel und die Libysche Sibylle. fol. 12: Der Zyklus der Vorfahren Jesu in Randfiguren beginnt mit Abraham und rich tet sich nach dem Liber generationis im 1. Kap. des Matthäus-Evangeliums, bringt de ren Reihenfolge aber schon mit fol. 14 und 15 durcheinander; denn Aram (oder Ram) erscheint mit seinem Sohn Amminadab vor Perez und Hezron, dem Sohn und Enkel Judas; danach läuft die Reihe vernünftig weiter und erreicht über Boas und Obed Jesse am Ende der Matutin (fol. 17v). Mit Beginn der Laudes wird die Reihenfolge zunächst nicht fortgesetzt; denn Obed und Jesse werden noch einmal erwähnt; dann folgen Da vid und Salomo, beide jedoch nicht als Könige, sondern als Propheten gekennzeichnet; erst Rehabeam erhält auf fol. 20v eine Krone. Abija, der als guter Mann bezeichnet wird, muß wieder ohne sie auskommen, sein Sohn Asa aber ist wieder gekrönt. Josaphat, als besonders fromm bezeichnet, erhält nur ein Zepter (fol. 22). Es kommt wieder zu Ver wirrung, nachdem Ezechias le grant, also Hiskia auf fol. 26 erwähnt wird: Amon, Hiskias Enkel, und Manasse, Hiskias Sohn, werden auf fol. 26v und 27 vertauscht; und erst auf fol. 28 ist von Hiskia als Manasses Vater die Rede. Dann wird noch einmal gesagt, Ma nasse habe Amon gezeugt (fol. 28v); und die Folge springt zu Josias, der Jojachim zeugt
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(fol. 29). Zugleich wird an dieser Stelle deutlich, daß Maler wie moderne Betrachter durcheinanderkommen, weil man schließlich nicht mehr weiß, ob die Dargestellten den Vater oder den Sohn meinen. Mit Non beginnt die Serie der Vorfahren, die erst in der babylonischen Gefangenschaft gezeugt wurden, mit Jojachims Sohn Salatiel. Am Ende der Vesp er sind Achim und Eliud erreicht. Zu Beginn der Komplet (fol. 35) tritt gegenüber der Marienkrönung die Delphische Sibylle mit Christi Kreuz auf. Auf fol. 35v ist von Eleasar und Mattan, dem Großvater des Joseph, die Rede. Sibyllen verdrängen nun die Vorfahren, so die Samische mit einem Füllhorn oder auch nur Horn (fol. 36) und die Cumäische (fol. 36v). Mattan und Jakob, Jakob und Joseph werden dann zu Beginn der Bußpsalmen doch noch be rücksichtigt. Es folgen Propheten, die nicht alle identifizierbar sind; auf fol. 43v wird dann einer auf irritierende Weise so erklärt: „Ce prophete penitent & iuste (falsch geschrieben: uuste)/ se nomme mons(eigneur) s. Jehan baptiste.“ Entsprechend sonderbare Prophetensprü che, teils in Ich-Form folgen, bis dann die Erithreische Sibylle auf fol. 47 diesen Zyklus abschließt. fizium wird sodann von einem Totentanz begleitet, der mit Papst Das gesamte Totenof und König beginnt, bis zum Kleinkind und dann noch zu Mönch und Einsiedler führt. Zu den Suffragien wird auf fol. 61v noch einmal die Cumäische Sibylle in ganz anderer Gestalt als auf fol. 36v dargestellt; danach erscheinen Propheten mit lateinischen Sprü chen, deren Herkunft nicht im einzelnen geklärt werden konnte; sie sind namenlos und haben keine Attribute. Die Randbilder im Kalender: Im Kalender kommt zum Bildfeld außen noch ein weiteres unten hinzu: Der größere Raum außen nimmt die Monatsbilder auf; im sehr niedrigen unten hingegen finden die Tierkreiszeichen Platz; dem kommt – anders als beispielsweise in unserer Nr. 56 – ent gegen, daß man den Wechsel des Zodiak seinerzeit in die Mitte des Monats setzte. fol. 1: Zum Januar ist ein wohlhabender Mann beim Weintrinken am Tisch sitzend ge zeigt; am unteren Rand schüttet derweil der Wassermann als geflügelter Putto zwei Krüge in den Fluß (fol. 1). Zum Februar wärmt sich eine Dame am Feuer; drei, nicht die gewohnten zwei, große Fische schwimmen in einem Bach (fol. 1v). Im März schnei det ein Bauer die Weinreben zurück; der Widder in einer Landschaft erinnert an einen Ziegenbock (fol. 2). Im April ist ein Edelmann beim Spaziergang gezeigt, während der Stier zwischen zwei Felsen Stellung bezieht (fol. 2v). Im Mai ist der Ausritt eines ed len Herren gezeigt; die Zwillinge werden als nacktes Paar aus Mann und Frau in Halb figur gegeben (fol. 3). Zum Juni wird eine Frau bei der Schafschur gezeigt, während der Krebs sich wie eine Languste über ein trockenes Flußbett schiebt (fol. 3v). Im Juli begibt sich ein Bauer mit einer großen Sense zur Heumahd; ein kleiner Löwe steht im unteren Bildfeld in einer Landschaft (fol. 4). August ist der Monat für die Kornmahd mit gro
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ßen Garben, zwischen denen die Jung frau im unteren Bildfeld Platz genommen hat (fol. 4v). Im September beginnt hier bereits die Aussaat auf dem Feld; die Waage zeigt zwei große balancierte Schalen (fol. 5). Der Oktober is die Zeit der Weinkelter; der Skorpion erscheint im unteren Bildfeld (fol. 5v). Im November schlägt man Eicheln für die Schweine; der Schütze wird als Kentaur mit Pfeil und Bogen gezeigt (fol. 6). Zum Ende des Jahres werden die Schweine geschlachtet, ein Jüngling facht das Feuer an, vor dem die erlegten Tiere liegen; als Ziegenbock bildet der Steinbock das letzte Tierkreiszeichen des Kalenders (fol. 6v). Die textlosen Miniaturen und die Kleinbilder im Textfeld: fol. 8: Den Perikopen is ers im Zuge der Arbeit an diesem Manuskript mit fol. 7 ein textloses Blatt für ein Vollbild vorangesellt worden; zunächs sollten für alle vier Evangelisen 14- oder 15zeilige Bilder mit Ganzfiguren genügen. Nachdem fol. 7 als unregliertes Einzelblatt eingeschaltet wurde, sind zur Johannesperikope drei Bilder dem Evangelisen gewidmet. Eine ganzseitige Miniatur zeigt Johannes auf Patmos, der ungewöhnlicherweise nicht die Frau in der Sonne, sondern drei der vier Apokalyptischen Reiter sieht, die aus einer Wolke im Himmel ausbrechen (fol. 7v). Das Kleinbild zum Textanfang hat bereits Johannes auf Patmos (fol. 8) zum Thema; dort schreibt er, begleitet vom Adler. Für die folgenden Perikopen genügen entsprechende Evangelisenbilder in Interieurs: Lukas (fol. 8v), begleitet von dem Stier, beim Verfassen seines Evangeliums, Matthäus im Gespräch mit Engel (fol. 9) und Markus mit dem Löwen (fol. 9v). Auch die Mariengebete erhalten Kleinbilder: Marias Klage unter dem Kreuz (fol. 9v) leitet das Obsecro te ein, während dem O intemerata, das auch an Johannes gerichtet is, nur ein Bild der blond gelockten Madonna mit Kind in Wolken (fol. 10v) vorangesellt wird; da der Text in der siebtletzten Zeile einsetzt, is dafür nur ein entsprechend niedriges Hochrechteck freigehalten. fol. 11v: Das Marienofzium is mit dem gewohnten Zyklus versehen; dafür sind zu Laudes und Prim unreglierte Einzelblätter eingeschaltet; sons ergibt sich jeweils am Ende der vorausgehenden Stunde, daß dem neuen Incipit eine ganze leere Seite gegenüberseht. Die Matutin wird traditionell von der Verkündigung (fol. 11v) eröfnet. Aus der Tiefe des Bildraums und dem durch einen Bogen geöfneten Garten kommt der Erzengel von links, mit zum Segen erhobener Hand und begleitet von der Taube des Heiligen Geistes. Maria, die eben noch in ihr Gebet vertieft war, hebt überrascht die Hände und beginnt sich umzuwenden. Über Gabriel schwebt Gottvater und, als wäre die Taube nicht Hinweis genug auf die Fleischwerdung, gleitet das kleine nackte Chrisuskind auf den Strahlen herab. Vor die Laudes is ein nicht regliertes Einzelblatt eingesellt für die Heimsuchung (fol. 18v). Da die Matutin mitten auf fol. 17v endet und das neue Incipit am Anfang von fol. 19
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einsetzt, hat der Schreiber mit dieser Hervorhebung der zuweilen unbebilderten Stunde gerechnet: Die Jungfrau Maria ist, von zwei Engeln begleitet, über die links angedeute ten Hügel herabgestiegen und wird nun von der betagten Elisabeth begrüßt, hinter der ein von Pilastern flankierter Torbogen ihres stattlichen Hauses steht. Auffällig groß sind Hände und Arme der beiden Frauen. Zur Prim wurde ebenfalls ein Einzelblatt in den Lagenverbund eingeschaltet. Unter dem hohen Dach des persp ektivisch weit nach rechts hinten ragenden Stalls, der bis auf ein paar Kiesel leergefegt und geräumig wirkt, sind Maria und Joseph zur Anbetung des Kin des (fol. 23v) niedergekniet. Hinter ihnen erkennt man die Futterkrippe von Ochs und Esel, die demütig zwischen der Jungfrau und dem Ziehvater am Boden kauern und zum Kind sehen. Der nackte Knabe liegt auf einem weißen Tuch, das über ein ovales Wei dengeflecht gespannt ist. Rechts hinten blicken schon zwei Hirten von draußen herein. Obwohl schon zur Prim Hirten den Stall erreicht haben, folgt erst zur Terz die ganz seitige Miniatur mit der Hirtenverkündigung (fol. 25v): Hier ist viel Platz, die großen Leiber der Hirten in Szene zu setzen. Vorn links, von einem Hirtenhund beäugt, der rechts am unteren Bildrand aufrecht sitzt, hockt ein Hirte, hinter ihm steht ein zweiter, in die Bildtiefe gedreht; beide halten sich die Hand vor die Augen angesichts der golde nen Strahlen, die von der Erscheinung des Engels rechts oben ausgehen. Unter dem En gel, der vor Goldgrund in Wolken erscheint und ein leeres Schriftband trägt, steht noch ein dritter Hirte hinter der dicht gedrängten Schafherde. Die Anbetung der Könige (fol. 27v) zur Sext spielt nicht mehr im Stall, sondern in ei nem prächtigen Steinhaus, das zwischen Pilastern den Blick in die Weite öffnet und an einen stattlichen Palast denken läßt. Beiden Miniaturen ist immerhin gemeinsam, daß die Szenen ganz im Innenraum spielen, das Dach nicht wie in alter Tradition von außen sichtbar wird und damit der Blick auf den Stern von Bethlehem noch entschiedener aus geschlossen wird als in den meisten zeitgenössischen Weihnachtsbildern. Unter einem Baldachin sitzt Maria und hält den Knaben auf dem Schoß, der noch nackt, aber bereits in herrscherlicher Pose den ältesten König empfängt. Auf Knien präsentiert der seine Gabe, während die zwei jüngeren im Mittelgrund miteinander sprechen. Begleitet von einer Magd mit dem Taubenkorb und einer weiteren Frau sowie Joseph und drei weiteren Männern hat Maria bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 29v) das Gotteshaus betreten. Im Profil kniet sie vor dem Altar; dort hat sie den Knaben auf das Tuch gelegt, hinter dem Simeon, als Priester mit einer Mitra und einem Chorman tel, ganz ruhig unter dem Altarbaldachin steht. Während sich die Heilige Familie auf der Flucht nach Ägypten (fol. 31v) zur Vesp er vor den Schergen des Herodes retten kann, blickt sich Joseph, der den Esel mit seiner kostba ren Fracht in Sicherheit führt, um: Im Hintergrund hat die Armee des Herodes eine be festigte Stadt verlassen und trifft nun auf den Sämann, der vor einem Block von manns hohem Korn steht. Hier mag die Legende so verstanden sein, daß der Bauer bezeugt, er habe die Heilige Familie zuletzt gesehen, als das Korn noch ganz klein gewesen sei. Da
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im Kornwunder aber die Saat über Nacht zur Reife hochgeschossen war, geben die Sol daten, die davon nichts wissen, ihre Suche auf. fiziums bildet zur Komplet die Marienkrönung (fol. 34v). Den Abschluß des Marienof Vor einer tropfenförmigen leuchtenden Lichtaureole sitzen Christus und Maria auf ei nem Regenbogen, zwischen ihnen die Taube des Heiligen Geistes. Während Maria ihr gekröntes Haupt demutsvoll senkt, segnet sie der Heiland. Maria erscheint häufiger zur Rechten Christi, hier aber zu seiner Linken, rechts im Bild. Die Bußpsalmen werden wie in Nr. 56 durch eine prächtige Doppelseite eingeleitet, aus der Geschichte von Davids Ehebruch mit Bathseba. Wieder entsprechen links und rechts nicht der zeitlichen Abfolge der Erzählung; denn auf Verso wird Urias Tod (fol. 37v) auf dem Schlachtfeld und rechts Bathseba im Bade (fol. 38) gezeigt, die König David vom Balkon seines Palastes aus mit Blicken verschlingt. Als reizender Akt verhüllt sie gerade mal mit einem feinen weißen Tuch die Scham (nicht aber deren Behaarung), und greift damit ein in der Zeit äußerst beliebtes Thema auf. Daß der Tod des Uria auf dem vor hergehenden Blatt gezeigt wird, mag sich durch die Hierarchie der Bildthemen zueinan der erklären, nach der die Badende das eigentliche Erkennungsbild für den Text wäre. Den Heilig-Kreuz-Horen dient auch in diesem Manuskript die Kreuzigung (fol. 44v) als Erkennungsbild: Das Kreuz mit dem erstaunlich klein dargestellten Erlöser ist hoch an den rundbogigen Abschluß der Miniatur gerutscht, um Platz für die blockhaft ge schlossenen Gruppen der Beifiguren zu schaffen: links die klagende Maria und Johan nes, begleitet von weiteren Frauen, rechts der Centurio in goldener Rüstung, der soeben den Gottessohn erkannt hat, mit seinen Soldaten. Der Horizont liegt sehr tief, etwa auf Hüfthöhe der Beifiguren, und schafft damit den Eindruck, man blicke zu ihnen und zum allzu kühn verkleinerten Christus hoch. Zu den Heilig-Geist-Horen hat sich der Maler eine ungewöhnliche Formulierung des Pfingstwunders (fol. 46) überlegt. Auf eine Apsis hin ausgerichtet kniet Johannes hinter einem Betpult, zu dem sich von der anderen Seite her kommend Maria mit einem Buch zum Gebet gewandt hat. Auf ihrer Seite stehen die Apostel, ordentlich angereiht, mit Petrus im Vordergrund; während die Gruppe ihre Hände zum Gebet faltet, ist Johan nes der einzige, der durch den Ausdruck von Überraschung in seiner Haltung der Sze ne eine ungewöhnlich lebendige Dynamik verleiht. Zum Totenof fizium wählte man um 1500 gern das Hiobsthema. Auch hier wird Hiob auf dem Dung (fol. 47v) gezeigt: Die drei Freunde stehen diesmal links vor einem stattli chen Renaissancebau, während der nackte Dulder rechts vor einem schäbigen aus Holz gezimmerten Stallgebäude kniet und ihnen demütig zugewendet verharrt. Die 27 Szenen aus dem Totentanz in den äußeren Randstreifen passen mit ihren französischen Bezeich nungen im unteren Rand der Architekturbordüre nur inhaltlich, nicht aber wörtlich zum Text, der ja in seinen wesentlichen Partien aus dem Psalter und dem Buch Hiob stammt. Für die Suffragien sind Kleinbilder vorgesehen, die die Gebete einleiten: die Trinität (fol. 61v), Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 61v), Johannes der Evangelist mit
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dem Giftbecher (fol. 62), Petrus und Paulus (fol. 62), Jakobus (fol. 62v), die Steinigung des Stephanus (fol. 62v), Christophorus mit dem Christuskind (fol. 63), Sebastiansmar tyrium (fol. 63v), Nikolaus mit den drei Jünglingen (fol. 64), Antonius (fol. 64), Anna lehrt Maria lesen (fol. 64v), Maria Magdalena (fol. 64v), Enthauptung der Katharina (fol. 65), Alle Heiligen (fol. 65). Zum Stil Den Maler nennen wir nach einem Stundenbuch der heutigen Forschungsbibliothek G otha, das 1939 im Zuge von unverantwortlichen Veräußerungen aus öffentlichen deut schen Bibliotheken „als entbehrlich ausgeschieden“ wurde: Memb. II 70. Dieses Werk haben wir 2009 in Leuchtendes Mittelalter Neue Folge VI als Nr. 26 ausführlich beschrie ben; vier Jahre zuvor hatten wir den Band bereits in unserem Katalog Erleuchtete Stunden als Nr. 248, S. 117, vorgestellt; zwei Jahre danach konnte der Band von Gotha zurücker worben werden und durch Heft 312 der Serie patrimonia gewürdigt werden. Der für dieses Manuskript verantwortliche Hauptmaler war an einer ganzen Anzahl bedeuten der gedruckter Stundenbücher beteiligt. In dieser Handschrift brilliert der Maler durch seine Erfindungsgabe und den verschwen derischen Reichtum der Bilder. Ein erstaunlich bilderreiches Stundenbuch aus der Zeit, in der man durch klei ne Schrifttypen zwischen Bastarda und Antiqua bei erhöhter Zeilenzahl überaus schlanke Gebetbücher schuf, die einerseits der Tradition gerecht bleiben und an dererseits durch Bezüge vor allem auf das Alte Test ament neue Inhalte aufnehmen sollten. Mit Renaissance-Architekturen als Randschmuck für alle Textseiten, die zudem noch ein Randbild erhielten, dazu vierzehn eindrucksvollen textlosen Bild seiten repräsentiert dieser Band die Pariser Buchkunst des frühen 16. Jahrhunderts auf eindrucksvolle Weise. Den Maler nennen wir nach einem Stundenbuch, das auf kuriosem Weg von der be rühmten Gothaer Bibliothek veräußert und dann über uns wieder zurückerworben wurde. Er vertritt seinen eigenen Stil in einer Zeit, da viele Maler wie er auch zur Illuminierung von Stundenbuchdrucken eingesetzt wurden. Doch so eng er selbst auch mit dem Buchdruck verbunden war, so beweist dieses Manuskript doch, wie vielf ältig das Handschriftenwesen noch auf die neuen Herausforderungen reagie ren konnte. Literatur Das Manuskript ist unveröffentlicht. Zum namengebenden Manuskript siehe Nettekoven und Hopf 2007.
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59 Ein Pariser Stundenbuch mit 124 Bildern vom Meister der Philippa von Geldern, dem Meister des Étienne Poncher und einem bislang unbekannten Meister mit Vorliebe für explizite Aktdarstellungen
Stundenbuch. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift auf Pergament, Rubriken in Blau und hellem Rot, mit einem lateini schen Kalender in Schwarz, Rot und Blau auf Pinselgold; in Nachträgen am Schluß französi sche Rubriken zu den lateinischen Texten; in brauner Textura. Paris, ca. 1505-10: Meister der Philippa von Geldern und Meister des Etienne Pon cher (oder Meister der Marie Charlot) sowie ein dritter bedeutender Maler, der alle großen Miniaturen verantwortet: der Meister von Cailhava-Brölemann nach die sem Manuskript(?) 124 Bilder: 19 große Miniaturen in architektonischer Rahmung, davon sechs als Vollbil der, die übrigen mit acht oder neun Zeilen Incipit im Bildfeld mit vierzeiliger AkanthusInitiale; ein Kopfbild über 14 Zeilen Text mit vierzeiligem goldenen Zierbuchstaben auf blauem Grund in Vollbordüre. 18 kleine Miniaturen unterschiedlicher Größe im Textfeld; 32 figurative Bildfelder in den Bordüren, davon 24 im Kalender, dessen sechs Seiten auch Bordürenstreifen zum Falz haben, alle Kalender-Eintragungen auf Goldgrund; dazu 40 Bildfelder, fast von der Breite des Textspiegels im unteren Randstreifen. Alle Textseiten von außen mit dreiseitiger Klammer aus Kompartiment-Bordüren oder auch Bordüren auf Pergament- oder Goldgrund, zuweilen an Textenden nur im oberen Teil des Blattes, bis zur jeweils letzten benutzten Zeile herunter reichend. Zahlreiche Textbordüren mit einzelnen Grotesken. Zweizeilige Initialen zu den Psalmenanfängen mit Akanthusbuchsta ben, einzeilige zu den Psalmenversen in Gold auf roten und blauen Gründen, Zeilenfüller in gleicher Art. Versalien gelb laviert. 80 Blatt Pergament, vorne 2 fliegende und hinten 2 fliegende Vorsätze aus Papier, dazu Mar morpapier auf dem Deckel und dem erst en fliegenden Vorsatz; 1 fliegender Pergamentvorsatz vorne. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, die textlosen Vollbilder teilweise auf eingeschalte ten Blättern: davon abweichend die Kalenderlage 1 (4: das leere Endblatt für ein Vollbild ge nutzt), Lage 2 (8+1+4: mit eingeschaltetem Bild 14; die Johannes-Passion auf eingeschaltetem Binio fol. 10-13); 6 (8-2+1:vor Zäsur zwei Endblätter entfernt, das unreglierte fol. 43 mit Bild auf Verso zur Lage gehörig, das entsprechende fol. 46 eingeschaltet; das Vollbild auf fol. 48v auf Rückseite des Textendes); 7 (8+1: am Ende fol. 57 eingeschaltet); 10 (4); als Endlage hin zugefügt 11 (4-1: das leere Endblatt entfernt). Ältere, teilweise getrimmte Foliierung in Tinte rechts oben; keine Reklamanten. Vollständig erhalten; keine Verlust e durch Trimmen; ohne die geringst en Gebrauchsspuren, in den Farben von höchst er Brillanz. Unregelmäßige Lagen vor allem durch Hinzufügungen. Groß-Oktav (229 x 154 mm; Textspiegel: 145 x 80 mm, die goldene Leiste 152 x 86 mm). Rot regliert zu 32, der Kalender zweispaltig zu 33 Zeilen. Gebunden in auberginefarbenes Maroquin des frühen 19. Jahrhunderts, am unteren Ende des Rückens signiert koehler, auf fünf falsche Bünde, in einem Feld bezeichnet als heur es/ manus/crites, die übrigen Felder mit floralen Motiven in Goldprägung; die Deckel mit dreifacher Filetenrahmung und Blattwerk in den Ecken, Goldschnitt.
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Keine Hinweise auf Besteller und ältere Besitzer. Der Band befand sich Anfang des 19. Jahr hunderts in der berühmten Sammlung von Léon Cailhava aus Lyon und wurde auf dessen Auktion am 21.10.1845 in Paris von A. Fontaine für 525,- Goldfrancs (580,- mit Fontaines Kommission) für A. Brölemann ersteigert. Davon zeugt ein vorn eingefügter Brief von A. Fontaine vom 23.10.1845, der diese und andere Handschriften bei Jacques-Joseph Techener in Paris prüfen sollte. Dazu ein eingebundenes Blatt mit Bemerkungen des Sammlers, der in den Grotesken antikatholische Kritik erkennen möchte. Kupferstich-Wappen-Exlibris von Henry-August e Brölemann (1826-1904) im Innendeckel vorn, in dessen Katalog von 1897, Nr. 66. Lot 82 in der Auktion seiner Nichte, Madame Mallet, bei Sotheby’s London, 1926; die zugehörige Beschreibung auf dem erst en fliegenden Vorsatz vorn eingeklebt: £ 225,- an Maggs – unter "German manuscripts"! Zuletzt spanische Privatsammlung. Text fol. 1: Kalender: auf vergoldeten Textspiegel geschrieben, in lateinischer Sprache, je doch wie ein französischsprachiger Kalender zu jedem Tag besetzt; charakteristisch ist ein Verlust an Lateinkenntnis, wenn Laudomarus, Abt von Corbion in der Diözese Char tres am 19.1. als lomerii und am 9.9. lomeris falsch latinisiert wird. Jeweils zwei Mo nate pro Seite; die Textkolumnen mit Pinselgold grundiert; die Goldene Zahl und die Sonntagsbuchstaben A blau, die Sonntagsbuchstaben b-g schwarz; Heiligentage abwech selnd schwarz und rot, Feste blau. Die Bordüre nicht durch Goldleisten abgegrenzt; eine senkrechte Goldleiste hingegen trennt die Kolumnen. Die Heiligenauswahl wenig spe zifisch: Genovefa nur mit ihrer Translatio (26.11.) erwähnt; andere Pariser Lokalheilige wie O pportuna fehlen. Feste: Lupi et egidii (1.9., Saint Loup de Sens eigentlich am 2.9.); Dionysii (9.10.). Zahlreiche Heilige mit unterschiedlicher lokaler Zuordnung aus ver schiedenen Regionen Frankreichs. fol. 4: leer, mit Vollbild auf Verso. fol. 5: Perikopen: Johannes (fol. 5, als Suffragium), Lukas (fol. 6), Matthäus (fol. 6v) Mar kus (fol. 7). fol. 7v: Mariengebete für einen Mann redigiert: Obsecro te (fol. 7v), O intemerata (fol. 8v). fol. 9 auf eingeschaltetem Binio: Passion nach Johannes: Egressus est. fol. 14: leer, mit Vollbild auf Verso. fol. 15: Marienof fizium für den Gebrauch von Rom: Matutin (fol. 15: mit drei Psalmen gruppen für die Wochentage), Laudes (fol. 22), Prim (fol. 27), Terz (fol. 29), Sext (fol. 31), Non (fol. 33), Vesper (fol. 35), Komplet (fol. 38); Adventsoffizium mit hellroten Rubriken. fol. 43: leer, mit Vollbild auf Verso. fol. 44: Horen des Heiligen Kreuzes. fol. 46: leer, mit Vollbild auf Verso.
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fol. 47: Horen des Heiligen Geistes. fol. 48v: Vollbild. fol. 49: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 53), den Pariser Heiligen Gervasius und Prothasius am Ende der Märtyrer; Ordensheilige als eigene Gruppe, Clara und Elisabeth am Ende der Frauen. fol. 57: leer, mit Vollbild auf Verso. fol. 58: To ten of fi zi um, für den Gebrauch von Rom: Vesper (fol. 58), die weiteren von einer Rubrik eingeleitet: Matutin (fol. 61), Laudes (fol. 69v). fol. 74v: Suffragien: Trinität (fol. 74v), Michael (fol. 74v), Johannes der Täufer (fol. 75), Jo hannes der Evangelist (fol. 75), Peter und Paul (fol. 75v), Jakobus (fol. 75v), Laurentius (fol. 76), Sebast ian (fol. 76), Nikolaus (fol. 76v), Anna (fol. 76v), Magdalena (fol. 77), Kathari na (fol. 77), Margareta (fol. 77v). fol. 77v: ursprüngliches Textende. Später hinzugefügte Suffragien: Gottvater (fol. 77v), Sohn (fol. 78), Heiliger Geist (fol. 78), Fiacrius (fol. 78v). fol. 78v: Stabat mater dolorosa, in Form eines Suffragiums, durch die Rubrik bezeichnet als Deuota contemplatio beate marie. fol. 79v: Gebete zur Messe und anderen Anlässen in lateinischer Sprache mit französi schen Rubriken: Domine ihu xpe qui hanc sacratissimam carnem (fol. 79v mit deux mille ans de vraye pardon von Papst Bonifaz); am Ende Pour le tien amy qui est mort: Suscipe pi issime deus. Am Ende in etwas größerer Schrift: „Finis“. Schrift und Schriftdekor Das Buch gehört zu den sehr eng beschriebenen Manuskripten steilen Formats, die in weniger als hundert Blatt den Grundbestand von Stundenbuchtexten durch weite re Gebete ergänzen und mit reicher Bebilderung aufnehmen konnten. Das bedeutendste Beispiel sind die sogenannten Petites Heures der Anne de Bretagne (Paris, NAF 3027: Leroquais 1943, Nr. 1; Avril und Reynaud 1993, Nr. 238). Anders als dort ist für diese Aufgabe eine recht eckige, noch der Textura verwandte Schrift gewählt worden. Haupt farbe der Rubriken ist Blau; nur im Advents-Of fizium wechselt man bei den sehr aus führlichen Angaben zu einzelnen Texten zu hellem Rot. Der Schriftdekor mit der Zuordnung von Gold auf weinroten und blauen Flächen zu den einzeiligen Zierbuchstaben am Zeilenbeginn, hingegen weißem Akanthus mit Blumen zu den zweizeiligen Initialen, gehört zum Brauch der Zeit. Vierzeilige Initialen werden entsprechend den zweizeiligen gestaltet; nur der Zierbuchstabe zu Beginn der JohannesPassion weicht mit Gold auf Blau ab.
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Die mit Ausnahme des Kalenders und des Kopfbilds zur Johannes-Passion nur von au ßen als dreiseitige Klammern um den Textspiegel geleg ten Bordüren spielen mit den drei Möglichkeiten der zeitgenössischen Pariser Buchmalerei, ohne hierarchische Unter schiede zu bezeichnen: Akanthus in Blau und Gold steht neben Blumen auf Pergament grund; bunter Akanthus und Blumen werden auf Goldgrund gesetzt; als dritte Möglich keit werden aus beidem zusammengesetzte Kompartimentbordüren verwendet. Überall wird der Textspiegel in sonst ungewohnter Weise mit vier Goldleisten in kräftig schwar zer Konturierung abgesetzt; diese Leisten zur Markierung der Justifikation finden sich auch beim Judaskuß, der einzigen Miniatur, die als Kopfbild in Bordüren angelegt ist. Randbilder unter dem Text aus Tierfabeln Dieses Stundenbuch zeichnet sich durch eine unregelmäßig verteilte Folge von Bildern aus Tierfabeln aus; offenbar waren noch mehr Felder vorgesehen, die dann mit Ranken werk gefüllt wurden, so auf fol. 20/v, 23/v, 37v/38, 50/v, 55v, 59/v, 61/v, 62/v, 64/v, 69/v, 70/v. Auffällig ist auch der Umstand, daß menschliche Gestalten oder Köpfe teilweise nur vorgezeichnet, aber nicht ausgemalt sind. fol. 18: Der Kopf eines Hahns, vom Fuchs verschlungen, von Singvogel beobachtet. fol. 18v: Zwei Hähne streiten. fol. 19: Ein groteskes Halbwesen. fol. 19v: Ein Affe reitet ein hybrides Wesen. fol. 24: Ein Säugetier schaut einem Affen nach, der mit einer Lanze vor beischreitet. fol. 24v: Ein Kranich schnattert, während ein Affe sich am Schwanz seines grotesken Reittiers zu schaffen macht. fol. 25: Ein Hirsch im dichten Gehölz, von Jagd hunden verfolgt. fol. 25v: Ein Affe macht sich am Schwanz seines grotesken Reittiers zu schaffen. fol. 34: Eine Ente fliegt über zwei Küken, die im Wasser schwimmen. fol. 34v: Zum Nest mit den Jungen kommt ein Raubvogel herabgeflogen. fol. 36: Ein Affe beob achtet vom Ufer zwei Bleßhühner im Wasser. fol. 36v: Zwei junge Enten, von einem Af fen am Ufer beobachtet. fol. 39: Ein grotesker Vierbeiner mit Federschmuck eines Wie dehopfs. fol. 39v: Ein Kranich mit leicht geöffnetem Schnabel. fol. 41: Ein hybrides Tier sieht, wie ein Affe mit Kapuze eine Raupe mit Flügeln fliegen lassen will. fol. 41v: Ein Affe mit Kranich. fol. 42: Zwei hybride Tiere schauen zu einem fliegenden Singvogel auf. fol. 42: Einem hybriden Tier zeigt ein Affe den Hintern, während ein Singvogel mit geschlossenen Flügeln über ihnen schwebt. fol. 51: Ein Mensch, nur vorgezeichnet, trägt einen flachen Korb auf dem Kopf; ihm folgt ein Affe. fol. 51v: Ein Schwan flattert übers Wasser mit zwei schwimmenden bunten Küken. fol. 52: Ein hybrides Tier schaut sich um zu zwei Hunden, von denen einer auf den Rücken des anderen gesprungen ist, über denen eine geflügelte Riesenraupe fliegt. fol. 51v: Ein groteskes buntes Tier, von Affen geritten und mit langer Stange angefeuert. fol. 52: Ein Schreitvogel mit langem Schna bel und ein Jäger mit Armbrust, dessen Gesicht nur vorgezeichnet ist. fol. 52v: Fünf gro teske Vögel, zwei am Boden und drei in der Luft. fol. 60: Groteskes Reittier mit einem Affen. fol. 60v: Ein Halbwesen, an einem Baum festgebunden, und ein Affe mit einem Korb. fol. 62: Ein hybrider Vogel, wieder mit Kopffedern des Wiedehopfs. fol. 62v: Ein Schreitvogel schnappt nach Sack, den ein Affe trägt. fol. 66: Ein Kranich und ein hybrides Wesen gehen aufeinander zu. fol. 66v: Ein hybrides Tier mit Zaumzeug, von Ka
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puzenAfen gezogen. fol. 67: Ein hybrides Tier und Afe mit Bogen, ohne Pfeil. fol. 67v: Ein hybrides Kaninchen von Greif vogel verfolgt. fol. 68: Ein groteskes Tier mit Strick um den Hals, von kleinerem gezerrt. fol. 68v: Kranich bedroht kleinen Vogel am Ufer eines Teichs, darin schwimmen zwei Küken. fol. 71: Ein groteskes Tier sucht drei, die sich im Gebüsch verseckt haben. fol. 71v: Ein Afe reitet Groteske mit sichelförmigen Ohren. fol. 72: Ein Hirschkalb von Jagdhunden im Gebüsch verfolgt. fol. 72v: Ein Vogel erschreckt das groteske Reittier eines Afen. fol. 73: Ein grotesker Vogel will einen Af fen auf halten, der einen Vogel in seiner Kiepe trägt. fol. 73v: Zwei Afeneltern mit zwei Afenjungen beim Ernten roter Früchte. Die Bilder fol. 1: Kalender: Da jeweils zwei Monate auf eine Seite gesetzt sind und jeder ein Mo natsbild und ein Tierkreiszeichen erhält, aber nur in den äußeren und unteren Rand sreifen dafür Platz is, beziehen sich auf Recto die beiden Bilder unten auf die linke, die im Außenrand auf die rechte Spalte. Auf Verso wird das umgekehrt gehandhabt: Nun bezieht sich die Bordüre außen auf die linke, die unten auf die rechte Spalte. Die Tier kreiszeichen sind durchweg auf die Erde geholt, so daß sie in teilweise irritierender Har monie zu den Monatsbildern sehen, wenn beispielsweise das Zeichen der Jungfrau mit einer großen aufgesellten Garbe neben dem Bauern seht, der das Korn schneidet. In ungewöhnlicher Erscheinung als grüne gebogene Wesen gleichen Krebs und Skorpion einander. Die Reihenfolge entspricht der Norm: Älterer Herr am Speisetisch mit dem Wassermann als Putto; jüngerer Herr am Kamin mit den Fischen; Trimmen der Wein söcke mit Widder; Mädchen beim Blumenpflücken mit Stier; Ausritt eines Paares mit Zwillingen als nacktem Paar; Heuschneiden mit Krebs; Heurechen mit Löwe; Korn schneiden mit Jung frau; Weintreten und junge Frau mit der Waage; Sämann mit Skorpi on; Schweinehirt beim Eichelschlagen mit Schütze als Kentaur; Abflämmen des Schweins mit Steinbock im Ammonshorn. fol. 4v: Erschafung Evas: Gott mit Jesu Zügen und dessen Kreuznimbus, von einem Engel begleitet, seht unter Sonne und Mond und faßt Evas Hand, die aus Adams Seite aufseigt, vor Bäumen an einer von einem Flußlauf unten und rechts begrenzten Wiese. Die Kombination der Szene aus der Genesis mit dem Anfang des Johannesevangeliums geht zunächs einmal nur auf den Gleichklang von In principio zurück, war aber wohl auch durch die Analogie von Eva und Maria begründet. fol. 5: EvangelisenPorträts zu den Perikopen: Johannes auf Patmos als Vollbild mit vorgeschaltetem Incipit (fol. 5): Der jugendliche Evangelis sitzt wie in vielen anderen Pariser Stundenbüchern der Zeit (so in Nr. 56) vor einem links aufgetürmten Felsen, schreibt auf ein Schriftband, vom Adler beäugt; hier flattert sein goldener Mantel auf. Die dicke Säule des äußeren Rahmens enthält eine Nische mit der Halbfigur eines Ge lehrten in GoldCamaïeu. Die übrigen drei als Halbfiguren in 10zeiligen Kleinbildern: Lukas, mit dem Stier, malt ein Stafeleibild der Mater dolorosa (fol. 6); Matthäus mit dem Engel (fol. 6v) und Mar
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kus mit dem Löwen (fol. 7), jeweils vor einem Ehrentuch und auf ein ähnliches Schrift band schreibend wie Johannes. fol. 7v: Auch die beiden Mariengebete erhalten Kleinbilder mit Halbfiguren: Madonna (fol. 7v) mit dem in goldenen Kittel gekleideten Kind vor rosafarbenem Tuch zum Obse cro te. Mater dolorosa (fol. 8v) vor Pinselgoldgrund, vom selben Typus wie das Bild, an dem Lukas auf fol. 6 arbeitet zum O intemerata. fol. 9: Zur Johannespassion ein kleiner Zyklus von Passionsbildern aus einem Kopf bild über 12 Zeilen Incipit und Randbildern von etwa 10 Zeilen Höhe: Der Judaskuß mit Gebet im Garten Gethsemane im Hintergrund (fol. 9) is ähnlich konzipiert wie Johan nes auf Patmos: Von links senkt sich das Gelände bis zum Bach Kidron herab, der die rechte untere Bildecke umspielt; doch erhebt sich hinten in einer tieferen Bildebene der Ölberg mit dem Leidenskelch (und der Hosie). Die beiden Szenen sind gegenläufig ange legt: Jesus betet hinten nach links gerichtet, er wendet sich vorn, wo Judas vor der Solda tenschar von links an ihn herantritt, aber nach rechts. Dadurch gerät Petrus in die Bild mitte, wie er über dem zu Boden gesürzten Malchus sein Schwert in die Scheide seckt. In den Außenrändern dann Kleinbilder mit Halbfiguren, in Absimmung mit dem Text, wie in der Pariser Buchmalerei gewohnt, ohne die jüdischen Hohenprieser: Geißelung (fol. 9v), Dornenkrönung (fol. 10), Handwaschung des Pilatus (fol. 10v), Kreuztragung (fol. 11), Kreuzigung (fol. 11v), Grablegung (fol. 12). fol. 14v: Dem Marienofzium vorgeschaltet ein Vollbild der Vertreibung aus dem Para dies (fol. 14v); damit wird der auf fol. 4v begonnene Gedanke aufgenommen, diese Ho rae B. M. V. in den Zusammenhang von Eva und Maria zu sellen: In die architektoni sche Rahmung der Miniatur eingesellt is das Paradiesesor links, in dem der Erzengel Gabriel ein einfaches Schwert erhebt, um die nackten Ureltern zu vertreiben; so beugt sich Adam vor der recht niedrigen Mauer, während Eva aufrecht zu ihm und dem Engel blickt. Beide bemühen sich, ihre Scham zu bedecken; das gelingt nicht. Der Zyklus zu den Mariensunden entspricht der Norm: Den Vollbildern is jeweils das 8zeilige Incipit vorgeschaltet; es verdeckt anders als in Nr. 58 Partien von Gegensänden und Figuren: Neben der Verkündigung zur Matutin (fol. 15) erscheint in der Säule au ßen eine Gesalt aus dem Alten Tesament, vielleicht König David. In einem sattlichen RenaissanceRaum, der durch eine schräg nach rechts hinten führende Säulenreihe ins Freie blicken läßt, seht ein Baldachin mit einem Betpult. Von links is der Engel einge treten; nun beugt er das Knie und weis mit seinem Lilienzepter zur Taube. Maria kniet betend, immer noch zu ihrem Gebetbuch gewendet. Bei der Heimsuchung zu den Laudes (fol. 22) is Maria gegen ikonographischen Brauch nicht über’s Gebirg, sondern aus einer hellen Landschaft gekommen. Nun seht sie vor einem niedrigen Felsabbruch, zu dem die betagte Elisabeth aus ihrem Haus rechts oben herabgesiegen is, um vor der Jungfrau ins Knie zu sinken.
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Bei der Anbetung des Kindes zur Prim (fol. 27) werden charakteristische Pariser Ele mente in nüchterner Klarheit geboten: Der Stall ragt von links mit seinem schadhaften Dach und den oben abgebrochenen Wänden, die aus Brettern konstruiert sind, ins Bild. Joseph und Maria knien vor dem Knaben, der nackt auf eine ovale geflochtene Krippe gelegt ist, von Ochs und Esel und – hinter einem bildparallelen Zaun – von zwei Hir ten betrachtet. Bei der Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 29) sind die Figuren stärker in den Mittel grund gerückt, während Wasser unter dem Incipit den angenehmen Ort bezeichnet. Drei Hirten rasten hier; zu ihnen gehört auch die Hirtin, die links im Mittelgrund einen der Hirten an der Schulter faßt; der Engel erscheint in Gold-Camaïeu mit dem glor ia in excelsis auf einem goldenen Schriftband, als Halbfigur vor dunkelblauen Wolken. In derselben Art von schadhaftem Bretterverschlag wie die Weihnacht spielt auch die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 31): Von links hinten treten die Könige ein; der jüngste ist schon durch die Entfernung im Raum kleiner; aber bartlos, wie er ist, wirkt er fast noch wie ein Jugendlicher. Der älteste König kniet vor Maria, die ihm mit gesenktem Blick das nackte Kind präsentiert. Simeon unter dem Baldachin am Altar ist bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 33) seitenversetzt; denn hier steht er links, während Maria, die das Kind noch hält, von rechts gekommen ist. Joseph hält ein leeres Taubenkörbchen; und der Magd fehlt die Kerze. In verblüffender Analogie zu Darstellungen der Weisheit Salomos, vielleicht nach einer entsprechenden Bildvorlage, wird Herodes beim Kindermord von Bethlehem zur Vesp er (fol. 35) dargestellt. Er thront links, von einer Mutter angeklagt, die vor dem Thron mit einem lebenden Kind auf dem Arm kniet, während am unteren Bildrand unter dem Inci pit ein totes Kind liegt. Im hinteren Teil des Thronsaals steht ein Ratgeber und schaut zu, wie ein Soldat einen nackten Knaben mit dem Dolch abschlachtet. Im gedruckten Pariser Stundenbuch kommt der Kindermord seit Pichores Oktavserie von 1504/1506 vor (horae Ix, Nr. 22, Abb. 9 auf S. 3996), jedoch immer in einer an italienischen Vor bildern orientierten Zentralkomposition. Die Marienkrönung zur Komplet (fol. 38) erweist sich als eine bemerkenswerte Kompo sition: Schauplatz ist Gottes leuchtend blauer Thron im Himmel vor einer Mandorla mit goldenen Strahlen und umgeben von leuchtend gelbem Fond, den unten und von rechts blaue Wolkenbänder umranden. Gott in Jesu Gestalt sitzt auf dem Thron, während sich die Gestalt der blau gewandeten Jungfrau, über deren bereits gekröntem Haupt ein be tender Engel schwebt, aus dem Blau der Wolken löst und zum Thron gewendet ist. fol. 43v: Doppelseiten auf einem textlosen Vollbild und einem Bild mit vorgeschaltetem Incipit eröffnen die Matutin von Heilig Kreuz und Heilig Geist: Christus auf der Rast (fol. 43v): Der nur mit dem Lendenschurz Bekleidete sitzt auf dem Kreuz, neben ihm liegt sein Rock; aus einem Stadttor sind drei Männer getreten, deren erster auf ihn ein redet, als sei Hiob mit seinen drei Freunden gemeint. Offenbar ist eine Bildvorlage aus
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dem alttestamentlichen Zusammenhang hier auf Christus übertragen; der Platz vor dem Stadttor läßt zugleich an die Kreuztragung denken. Die Kreuzigung (fol. 44) kommt mit wenigen Figuren aus: Johannes und Maria links, einem greisen Soldaten in goldener Rüstung, der sich auf einen Stock stützt, und dem Hauptmann auf einem Schimmel, der einen dünnen goldenen Kommandostab schwingt, hinter ihm Reiter mit Lanzen in silbernen Rüstungen. Christi Abstieg in die Vorhölle (fol. 46v): Mit goldenem Kreuzstab und flatterndem ro ten Mantel schreitet der Auferstandene, dessen Stirn mit dem Blut von der Dornenkro ne gezeichnet ist, nach rechts, hält vor einem Baum an, der an den der Erkenntnis erin nern soll, und gelangt so zur Felsöffnung der Vorhölle, deren Funken hochschnellen. Der greise Adam und Eva als jugendliche Frau in unerhörter Nacktheit entsteigen betend mit anderen der Höllenpforte. Bei der Ausgießung des Heiligen Geistes zur Geist-Matutin (fol. 47) rückt die kniende Apostelschar, die von Petrus angeführt und nach rechts gewendet ist, mit Maria so über das Incipit, als sei das Bild als Kopfminiatur konzipiert. Über Marias Gebet schwebt die Taube und sendet feurige Goldstrahlen aus. fol. 48v: Zu den Bußpsalmen eine Doppelseite: Auf der zufällig leergeblieben Verso-Seite blieb Platz für ein Vollbild mit Davids Kampf gegen Goliath: Der Hirtenknabe holt im Mittelgrund mit seiner Schleuder noch einmal aus, während der Riese schon mit bluten der Stirn getroffen ist und nun in seiner goldenen Rüstung mit schwarzem Helm nach rechts taumelt. Im Hintergrund tobt eine Schlacht vor einem Heerlager, weiter entfernt erkennt man eine Brücke vor einer Stadt. Über dem Incipit das Bad der Bathseba (fol. 49), die in einem runden goldenen Brunnen sehr nackt steht. Während eine Magd ein Handtuch bereithält, schauen der greise König David und hinter ihm ein jüngerer Höf ling aus dem Palast. fol. 57v: Auch zum Totenof fizium werden zwei Bilder geschaltet: Das Vollbild nimmt das schon in Nr. 54 zu findende Thema aus dem Gleichnis vom Gastmahl des Reichen auf: Hauptfigur scheint der Reiche in seinen Höllenqualen zu sein; er weist mit dem Zei gefinger auf seine durstigen Lippen, umgeben von bunten Teufeln in einer Felsengrube. Ganz unverbunden ist die Erscheinung im Himmel über dem weiten Blick in die Land schaft. Da zeigt sich in einem Wolkenkranz Abraham mit einem malerischen Turban als Büste mit der Seele des armen Lazarus auf dem Arm. Der Textanfang der Totenvesp er gegenüber eröffnet mit Hiob auf dem Dung (fol. 58): Wie die meisten Varianten dieses Themas liegt der Misthaufen vor stattlichen Häusern, die besonders nahen sind freilich nur Fachwerkbauten: Hiob wendet sich wie in unserer Nr. 53 von den drei Freunden ab nach links. fol. 74v: Zu den Suffragien Kleinbilder mit Halbfiguren, vorwiegend vor Landschaft: auf fol. 74v die thronende Trinität mit Jesus und Gottvater, der Taube zwischen ihren Häuptern und dem aufgeschlagenen Buch des Lebens; darunter Michaels Kampf mit dem Teufel. Auf fol. 75 Johannes der Täufer mit dem Lamm und Johannes der Evange
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lis mit dem Schlangenkelch; am Rand außen die Taufe Chrisi mit Engel und Täufer so wie die Aussetzung auf Patmos; auf fol. 75v Petrus mit Schlüssel und Paulus mit Schwert sowie Jakobus als Pilger; auf fol. 76 Laurentius mit Ros und goldenem Palmzweig so wie Sebasians Pfeilmarter; auf fol. 76v Nikolaus mit den drei Knaben im Bottich und Anna, die der Jungfrau Maria das Lesen beibringt; auf fol. 77 Magdalena mit Salbgefäß in Felsenlandschaft und Katharina mit Palmzweig und dem Knauf des Schwerts; auf fol. 77v schließlich Margareta mit kleinem goldenen Kreuz aus dem Drachen auftauchend, durch die Gitter ihres Gefängnisfensers zu sehen. Zum Stil Das Buch is wesentlich geprägt von einem Maler, den man lange für einen Vertreter der Schule von Rouen im Sinne von Ritter und Lafond 1913 hielt. Noch unter diesem Ge sichtspunkt haben sich Pächt und Thoss 1977 um sein Œuvre verdient gemacht. John Plummer hat ihn 1982 (Nr. 9192) nach der französischen Fassung der Vie du Christ des Ludolf von Sachsen benannt, die 1506 für Philippa von Geldern, die zweite Frau Her zog Renés II . von Lothringen geschafen wurde (Lyon, Bibl. mun., ms. 5125). Avril und Reynaud haben dieses Manuskript 1993 ausgesellt und kommentiert. Spätesens von dem Zeitpunkt an hat man den Gedanken aufgegeben, der Meiser der Philippa von Gel dern habe möglicherweise eine Zeitlang in Rouen gearbeitet; er gilt seither als ein wich tiger Vertreter der Pariser Buchmalerei. Wir folgen diesen Vorarbeiten gern; uns inte ressiert an ihm selbsversändlich auch die Mitarbeit an Inkunabeln und Frühdrucken, insbesondere von Anthoine Vérard. Im Werk des Meisers der Philippa von Geldern nimmt das hier vorgesellte Stunden buch eine bemerkenswerte Rolle ein durch seinen Reichtum, die Vielfalt von Randbil dern, die in seiner Werksatt entsanden und vielleicht wie der unvollendet gebliebene Mann auf fol. 51 von ihm vorgezeichnet wurden. Besonders eindrucksvoll sind die Randbilder des Meisers der Philippa von Geldern zum Kalender. In ähnlichem Format finden sich viele Kleinbilder im Text, die, wie ein kur zer Blick beweis, von anderer Hand sind; sie sammen von dem Maler, dem wir in Band III dieses Katalogs drei Stundenbücher zuschreiben konnten (Nrn. 43, 44 und 45): Es is der Meiser des Étienne Poncher, den wir früher Meiser der Marie Charlot nannten; doch schließen wir uns nun Isabelle Delaunay an, die das Œuvre von Arbeiten für den Pariser Bischof Étienne Poncher (14641525) neu geordnet hat. Ihm sind die kleinen Mi niaturen mit den EvangelisenPorträts und die Passion einschließlich des Judaskusses zuzuschreiben; ebenso sammen die kleinen Marienbilder und die ebenfalls kleinforma tigen Miniaturen zu den Sufragien von seiner Hand. Ein Problem sellen die 19 großen Miniaturen dar: Sie sammen von einem Maler, der sich weder während all unserer Erkundungen der letzten 35 Jahre noch in den Fortschrit ten der wissenschaftlichen Handschriftenkunde ausfindig machen ließ. Zwar trif t man bei ihm auf Anklänge an die Meiser der Philippa von Geldern und von Martainville, dazu Pichore, Coene, PoncherMeiser u. a. – wie man überhaupt bei seinen Bildern
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von einem Resumé der Pariser Buchmalerei um 1500 sprechen könnte, sozusagen ein Strauß in einer Blume, aber die entscheidenden Charakteristika gehören ihm allein. Von diesen seien hier nur die besonders ins Auge fallende Vorliebe für den nackten mensch lichen Körper angeführt, und dabei vor allem den weiblichen Akt mit seinen anatomi schen Gegebenheiten in liebevoller Präzision: Verglichen mit der Eva des Limbo-Bildes ist die gefeierte Bathseba Bourdichons im zerschnittenen Stundenbuch für Ludwig XII . ein Muster künstlerischer Dezenz. Wer sich in unserem Cailhava-Brölemann-Manuskript die Erschaff ung der Eva, die Vertreibung aus dem Paradies (geradezu kokett kon frontiert mit der Verkündigung) vor allem auch die Limbo-Darstellung und natürlich die Bathseba (mit Schambehaarung – was kunsthistorisch bislang als völlig undenkbar hingestellt wurde) angelegen sein läßt, wird unserer Beurteilung des Malers als einer ganz eigenen Gestalt in der Buchmalerei zustimmen. Am nächsten kommen ihm noch illuminierte Metall- oder Holzschnitte in Pergamentdrucken, wie z. B. der Perceval von Galliot du Pré 1528, vergleiche den Katalog Francois Ier, Chantilly 2015, Nr. 146, oder aber der spät ansetzende Meister des Nicolas le Conte, vergleiche Orth I, Abb. 224 und comp. Ill. 29, dazu den Einzug in Jerusalem in weiland Breslauers Sammlung, s. Aus stellungskatalog N. Y. 1994, Nr. 12. Sehr interessant zu vergleichen ist das Manuskript Borghese 183 der Vaticana, im Aufbau, Layout (ebenfalls zwei Monate auf einer Seite im Kalender) und in der Größe sehr ähnlich, wohl ganz vom Philippa-Meister gestaltet, außer der Hiobs-Miniatur, die eventuell von unserem anonymen Hauptmaler stammt (vgl. Morello 1988, Abb. 30!). An der Erkenntnis, daß wir vor einem auf kürzere Sicht unauflösbaren Rätsel stehen, führt all das nicht vorbei: Sollten wir ihn nicht den Cailhava-Brölemann-Meister nennen? Mit 124 Bildern, darunter 19 großen Miniaturen ist dieses Pariser Stundenbuch ein eindrucksvolles Beispiel für die Kunst dreier Buchmaler, die auch an der Illuminie rung von gedruckten Stundenbüchern beteiligt waren: Gegenseitig stützt sich damit die Lokalisierung aller Buchmaler in Paris: Der Meist er der Philippa von Geldern, den man lange für Rouen in Anspruch genommen hat, steht so neben einem Illumi nator, der immerhin für Étienne Poncher, den 1525 verstorbenen Bischof von Pa ris, gearbeitet hat. Hinzu kommt ein enigmatischer Künstler, der hier alle großen Miniaturen verantwortet und auf dem Gebiet der Aktdarstellung Bahnbrechendes leist et. Reichtum des Dekors, strahlende Freiheit des künstlerischen Ausdrucks und überbordende Bilderzahl charakterisieren dieses Manuskript, das zugleich zu jenen Stundenbüchern des frühen 16. Jahrhunderts gehört, die mit kleiner Schrift bei ho her Zeilenzahl erlaubten, möglichst viele Texte in schmalen Bänden unterzubrin gen. Als besonderen Reiz bietet diese Handschrift neben den monumentalen ganz seitigen Miniaturen eine überraschende Folge von Randbildern aus dem Bereich der Tierfabel, wie sie sonst weder in Handschriften noch Frühdrucken zu finden ist. Literatur Das Manuskript ist bisher nicht publiziert.
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60 Ein Stundenbuch, von Étienne Colaud und dem Meister des d’Urfé-Psalters gestaltet
Stundenbuch. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Paris. Lateinische und französische Handschrift auf Pergament, Rubriken in Rot und Blau, mit ei nem Kalender in Schwarz, geschrieben in brauner Bastarda. Paris (der Buchblock vielleicht schon im 15. Jahrhundert angelegt), um 1505–1510: Etienne Colaud und der Meister des d’Urfé-Psalters 40 Bilder: 17 große Miniaturen mit Textstreifen, die meist als Trompe l’œil gestaltet und mit drei-, seltener vierzeiligen blau modellierten weißen Akanthusbuchstaben auf Pinsel goldgrund mit Blüten ausgestattet sind; 15 davon gerahmt von Architekturbordüren in Pinselgold in der Art italienischer Renaissancerahmen, zwei in traditionellen Bordüren, eine davon mit Dornblatt-Initiale; 23 Kleinbilder, die wie jede bildlose Textseite mit einem Bordürenstreifen außen versehen und mit bunten Akanthusranken, Blütenstielen, gele gentlich Groteskenschmuck, Tieren und Insekten auf Pinselgoldgrund ausgestattet ist; in Hinzufügungen vierzeilige Initialen in Pinselgold auf diagonal geteilten Flächen aus Rot und Blau; ein- und zweizeilige Initialen in Pinselgold auf roten oder blauen Flächen; Zeilenfüller derselben Art im Wechsel mit goldenen Knotenstöcken. Versalien gelb laviert. 122 Blatt Pergament, vorne 2 alte reglierte Vorsätze aus Pergament, dazu je ein fliegendes Vorsatz aus Papier vorne und hinten. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die Kalenderlagen 1–2(6) und 15(4). Ohne die gewohnte Zäsur vor den Bußpsalmen und mit eher zufällig sich ergebenden Lagenwechseln vor dem Marienoffizium, dem Totenoffizium, den Mariengebeten, die man deshalb auch vor das Marienoffizium hätte stellen können, und den Suffragien; die Mariengebete zur Passion am Ende in der wohl während der Arbeit hinzuge fügten Lage 16(8); keine Reklamanten. Rot regliert zu 25, im Kalender zu 20 Zeilen. Oktav (172 x 122 mm, Textspiegel 119 x 78 mm). Vollständig und sehr gut erhalten. Roter französischer Maroquin-Einband des frühen 17. Jahrhunderts à la Du Seuil, mit reich vergoldetem Rücken auf fünf Bünde, Deckel mit doppelter Filetenrahmung und eingestelltem Hochrechteck in Doppelfileten mit Eckfleurons, Steh- und Innenkantenvergoldung, Marmor papiervorsätzen, Goldschnitt. Provenienz: Gegenüber der Darbringungsminiatur findet sich am Fuß von fol. 44v folgender Eintrag des 16. Jahrhunderts: „En Temps Deu“(=Entendu?), also „zu gegebener Zeit“. Exlibris des 19. Jahrhunderts mit Monogramm A A M (?) und Devise „Sine angulis angulo“. Der Text fol. 1: Kalender, nicht jeder Tag besetzt, Heiligentage in Schwarz, Festtage in Rot, Gol dene Zahl in Rot, Sonntagsbuchstabe A in Rot, Sonntagsbuchstaben b-g in Schwarz, Römische Tageszählung in Rot; Pariser Heiligenauswahl. Mit jeweils vier französischen Merkversen für die Heiligenfolge am Ende eines jeden Monats.
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fol. 13: Perikopen: Johannes als Suffragium (fol. 13), Lukas (fol. 13v), Matthäus (fol. 14), Markus (fol. 16); Johannespassion (Beginn auf einem fehlgebundenen Blatt fol. 15 und dann von fol. 17 an bruchlos vollständig). fol. 21: Marienof fizium für den Gebrauch von Paris, von einer Rubrik auf fol. 20v einge leitet: Matutin (fol. 21), Laudes (fol. 31v), Prim (fol. 37), Terz (fol. 40), Sext (fol. 42v), Non (fol. 45), Vesper (fol. 47v), Komplet (fol. 51). fol. 54v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 60), darunter Pariser Heilige wie Dionysius, Ger vasius und Prothasius. fol. 64: Horen von Heilig Kreuz (fol. 64), von Heilig Geist (fol. 66v). fol. 69: Totenof fizium: Vesper (fol. 69), Matutin (nicht hervorgehoben: fol. 73), Laudes (mit einer Rubrik: fol. 84). fol. 93: Mariengebet: Obsecro te, für einen Mann redigiert, gefolgt von einem Gebet an den Erzengel Michael (fol. 95) und den Mariengebeten Ave gloriosissima dei genitrix (fol. 95) und Virgo maria mater dei (fol. 96). fol. 97: Herrengebete zum Fronleichnamsfest. fol. 101: Suffragien: Trinität (fol. 101), Michael (fol. 102v), Petrus und Paulus (fol. 103), Sebast ian (fol. 103), Antonius (fol. 103v), Rochus (fol. 104), Maria (fol. 104v), Johannes der Täufer (fol. 105), Johannes der Evangelist (fol. 105), Jakobus (fol. 105v), Laurentius (fol. 106), Stephanus (fol. 106), Dionysius (fol. 106v), Christ ophorus (fol. 107), Eustachius (fol. 108), Claudius (fol. 108v), Nikolaus (fol. 109), Maturinus (fol. 109v), Martin (fol. 110), Magdalena (fol. 110), Katharina (fol. 110v), Barbara (fol. 111), Genovefa (fol. 111v), Salve sancta facies (fol. 112). fol. 113: Mariengebet zur Passion Christi (ohne Rubrik): Pleurant Marie avec sa compaigne;, gefolgt von weiteren französischen Mariengebeten Glorieuse vierge pucelle (fol. 114v), Plus hault rocher (fol. 119). fol. 120: Textende. Schrift und Schriftdekor Das Buch ist in einer Bastarda geschrieben, wie sie in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhun derts üblich war. Der Schreiber hat eine gewisse Tendenz zur Auszierung seiner Schrift, läßt zuweilen in den Suffragien Zeilen dafür frei, hat aber nirgendwo Platz für Kadel len. Vielleicht blieb das Manuskript unbearbeitet liegen, bis man es im frühen 16. Jahr hundert in der Werkstatt von Étienne Colaud dekorieren und bebildern ließ. Das legt die Bildform der Miniatur zu den Bußpsalmen, die mit eingezogenem Bogenabschluß von einer traditionellen Bordüre umgeben ist, ebenso nahe wie die Dornblatt-Initiale zu den Marien-Laudes. Die wohl als Nachtrag zu verstehende letzte Lage wird aber bereits vom ersten Schreiber geschrieben sein.
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Mit Ausnahme der Bordüren zu den beiden abweichenden Bildseiten und der DornblattInitiale zur Heimsuchung dürften die gemalten Elemente hingegen ers aus der Zeit sammen, als man sich daran machte, das Buch nach dem Renaissance-Geschmack des frühen 16. Jahrhunderts zu vollenden. Dabei hat man die Textseiten mit traditionellen Bordürensreifen außen versehen, die nur an den vertikalen Rändern mit harten schwarzen Konturen begrenzt sind. Die kleinen Initialen verraten ebenso wie die Zeilenfüller, bei denen sich rote und blaue Flächen mit dem goldenen Knotensock abwechseln, Standard der Zeit um 1510; dazu gehören auch die größeren Initialen, die im Buchblock meis vierzeilig den Buchsabenkörper als weißen Akanthus blau modellieren und auf goldene Flächen mit Blüten sellen. Abweichend finden sich in den Hinzufügungen vierzeilige Initialen in Pinselgold auf diagonal geteilten Flächen aus Rot und Blau. Am Ende des Bandes wurde ein Bild der Kreuztragung ofenbar ers nachträglich eingesetzt; der Bordürensreifen außen war bereits mit Pinselgoldgrund ausgeführt; deshalb hat man diesen Dekor oben und unten einfach mit Kreissegmenten abgeschnitten und auf ungewöhnliche Weise zu einer breiten Säule umgewidmet; denn das zusätzliche Bild im Resfeld unter vier Zeilen Textende brauchte eine rahmende Architektur. Bildfolge Die Perikopen werden von neun- bis elfzeiligen Kleinbildern eröfnet, sie zeigen ganzfigurig Johannes auf Patmos: Auf einem schrofen Felsen hat sich links der Adler niedergelassen; zu der winzigen Erscheinung des Apokalyptischen Weibes auf der Mondsichel, das gekleidet is in die Sonne, schaut der jugendliche Evangelis auf (fol. 13). Lukas als Madonnenmaler (fol. 13v) sitzt in einem engen Raum vor einer Stafelei mit recht kleinem, noch ganz leerem Bild; die Jungfrau mit Kind is ihm erschienen und sitzt nun ungemein raumgreifend in einer Mandorla rechts. Nicht zum Incipit, das auf fol. 14 nur die letzten beiden Zeilen ausmacht, sondern auf fol. 14v hält der Engel ein Buch zur Inspiration von Matthäus an seinem Schreibpult. Das Gebet Chrisi auf dem Ölberg (fol. 15) schiebt sich als große Kopfminiatur zum Beginn der Johannesassion zwischen die Evangelisenporträts: Während die Jünger im Vordergrund schlafen und der HE rr auf dem Ölberg zu einem in blauem Camaïeu erscheinenden winzigen Engel betet, der mit dem Kreuz im Himmel erscheint, bahnen sich im Hintergrund bereits die Schergen mit Judas den Weg in den Garten. Hinter dem Stadttor erheben sich Gebirge im Blau der Ferne, vielleicht schneebedeckt. Ers danach folgt die Markuserikope, die von einem elfzeiligen Bild des Evangelisen Markus in seiner Schreibsube eingeleitet wird (fol. 16). Links vorn, zu seinen Füßen liegt der Löwe; rechts oben is ein roter Vorhang zurückgezogen, der eher das Bild enthüllt, als daß er zu einem Baldachin gehören könnte. Das Marienoffizium beginnt wie gewohnt mit einer prächtigen Verkündigung Mariä zur Matutin (fol. 21): Links fluchtet die Seitenwand mit bunten Steinsiegeln im Renaissance-Dekor nach hinten; dort öfnet sich der Raum und gibt den Blick frei auf einen ummauerten Garten als Symbol der Jungfrau, ohne einen Baum, der die Assoziation zu Eva erlauben würde. Von links kniet der Engel in einer antikisierenden Version
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des Diakonsgewandes, dessen Oberteil gegürtet is, und reckt die Linke so weit hoch, daß sie geradezu die goldene Gloriole um die Taube des Heiligen Geises berührt. Unter einem runden zeltartigen Baldachin is Maria an ihrem Betpult niedergekniet und wendet sich sacht um. Bei der Heimsuchung zur Laudes (fol. 31v) treten Maria und Elisabeth nicht allein auf: Maria wird von Joseph begleitet, während ihre Base Elisabeth hier als gutsituierte verheiratete Frau erscheint, die eine Dienerin bei sich hat. Behutsam legt die Alte ihre Hand auf den gesegneten Leib der Jungfrau. Vom Haus des Zacharias is nichts zu sehen; goldene Strahlen weisen von rechts oben zu Maria. Die Miniatur is ein echtes Kopf bild in einem bescheidenen Architekturrahmen innerhalb des Textsiegels, der mit harten Konturen gegen den mit Pinselgold gemalten Grund der Bordüre abgesetzt is. Zur Prim gehört die Anbetung des Kindes (fol. 37), die von Architektur ohne Bordüre gerahmt is. Der verfallene Palas Davids, der in der Pariser Buchmalerei selten assoziiert wird, erhebt sich wie eine Burgruine in der Mitte zwischen dem Blick auf Hügel und Ferne links und dem Giebel des Stalls rechts. Im Morgengrauen kniet links Joseph, von zwei Engeln in weißen Gewändern flankiert; größer als er ragt die Jungfrau Maria unter dem Giebel auf; die hat das nackte Jesuskind auf den Saum ihres blauen Mantels gebettet, unter dem sie selbs ein weißes Gewand trägt. Wieder von Architektur gerahmt is die Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 40): Links führen grüne Hügel hinab zur Ebene, in der sich die Schaf herde drängt; rechts seigen schrofe Felsen auf; vorn seht ein Hirte links, ein zweiter hockt rechts auf dem Boden. Zwischen den beiden liegt der Hirtenhund ruhig schlafend zusammengerollt. Hinter der Herde im Mittelgrund taucht ein dritter, bereits ein wenig dunkel abgetönt, auf. Im Himmel erscheint, als Ganzfigur verkürzt, ein in rote Tunika gehüllter Engel und simmt das Gloria in excelsis an. Von ihm gehen alternierend gerade und geflammte Goldsrahlen aus. Seitenverkehrt werden Stall und Ruine aus dem Weihnachtsbild für die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 42v) wiederholt. Während die Gottesmutter würdig unter dem Dach des Stalls mit dem nackten Sohn auf ihrem Schoß Platz genommen hat und von Joseph begleitet wird, der ebenso wie sie einen fas schwarzen Schatten auf die Seitenwand des Stalls wirft, drängen von rechts die Könige ins Bild. Der ältese hat seine Krone bereits zur Seite gelegt und reicht dem Knaben seine Gabe dar, während die beiden jüngeren in recht alter Tradition miteinander srechen; über dem mittleren erscheint ein Licht, der Stern von Bethlehem oder göttliches Zeichen, das goldene Strahlen zu Maria sendet. Bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 45) sind Maria und Joseph mit dem Taubenkörbchen gemeinsam mit der Kerzenträgerin von links gekommen und vor dem großen Altartisch niedergekniet, der von rechts schräg ins Bild ragt. Hinter dem Altar seht Simeon. Ein Akolyth mit Buch beobachtet die Szene von einem in die Tiefe zurückgesetzten Baldachin aus, der Prieser hat den Knaben bereits mit von einem Tuch verhüllten Händen entgegengenommen. Mariens Gewand is hier von kleinen goldenen Blumen übersät, die an Sterne erinnern mögen.
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Zur Vesper gehört die Flucht nach Ägypten (fol. 47v): Nach links, auf Verso also aus dem Buch heraus zieht ein nun plötzlich jugendlicher Joseph den Esel über den steini gen Weg. Lange blonde Locken fallen über die Schultern der Gottesmutter, die spiele risch den nackten Knaben an sich drückt. Von der Gefahr ist in dieser lieblichen Szene in einer Landschaft, die von schroffen Felsen rechts zu sanft ansteigenden Hügeln links führt, nichts zu spüren. Für die Marienkrönung zur Komplet ist im Himmel kein Thron vorgesehen (fol. 51). Gott in Gestalt des Vaters, mit weißem Bart, Tiara und Sphaira, steht auf Wolken und segnet die kniende Muttergottes, während zwei Engel ihr die Krone auf das Haupt set zen. Die Wolken haben sich geöffnet und erlauben einen Blick in die leuchtenden himm lischen Sphären. Die Bußpsalmen eröffnen wie im ersten Stundenbuch des Anne de Montmorency (Nr. 64) mit Davids Buße (fol. 54v) – zu einer Zeit, da, wie auch unser Katalog zeigt, Bath seba im Bade das Hauptthema für diesen Text geworden war – und in einem Layout mit Bordüre, das weit ins 15. Jahrhundert zurückweist. Wie in der Rouennaiser Buch malerei üblich, ist Davids Palast der Schauplatz; ungewöhnlich auch dort ist allerdings die Kennzeichnung des Raums als Schlafgemach, von dem der reuig kniende Greis zum feurigen Engel aufblickt, der ihn vor die Wahl zwischen Schwert und harpunenhaftem Speer stellt. Zur Kreuzigung (fol. 64), die die Heilig-Kreuz-Horen eröffnet, ist das Kreuz in einer felsigen Landschaft ohne jede menschliche Behausung vor dräuend blauem Himmel auf gerichtet. Maria in Blau und Johannes in Rot beten zum Erlöser, während Maria Mag dalena kostbar gekleidet den Kreuzstamm und die Füße Christi umschlingt. Zu den Heilig-Geist-Horen haben sich die Apostel und Maria für die Ausgießung des Heiligen Geistes (fol. 66v) in einem Kirchenraum versammelt. Im Kreis, dessen Mitte für die Muttergottes vorgesehen ist, knien sie, steil aufgerichtet, und blicken betend hoch zur Taube des Heiligen Geistes, von der dichte goldene Strahlen ausgehen. Vorn rechts sind Petrus und Johannes zu erkennen. Hiob auf dem Dung (fol. 69), der sich vor einer Scheune links niedergelassen hat und von zwei Freunden besucht wird, eröffnet die Totenvesper. Zum Mariengebet Obsecro te erscheint in einer prachtvollen Miniatur majestätisch die Mondsichelmadonna (fol. 93) in einem ovalen Strahlenkranz, wie eine flache Skulptur, von zwei Engeln, die auf den Spitzen der sehr großen Mondsichel zu schweben scheinen, gehalten und gleichzeitig von zwei weiteren bekrönt. Dem Suffragium der Trinität wird in einem durch sieben Zeilen Incipit eingeschränk ten und dadurch recht breit geratenen Bildfeld eine feierliche Inszenierung des Gnaden stuhls (fol. 101) vorangestellt. Unter einem Baldachin thront Gottvater mit einer Kaiser krone, die wie in der Entstehungszeit aus dem weltlichen Kronreif mit einer zentralen Mitra besteht, breitet die Arme aus und präsentiert das Kruzifix, über dem die Taube
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des Heiligen Geises schwebt. Zwei Engel haben den Baldachin aufgetan, der vor einer leuchtenden Aureole hinter den geöfneten Wolkenbahnen erscheint. Die daran anschließenden Sufragien erhalten keineswegs nur meis elf Zeilen hohe Kleinbilder, sondern in Einzelfällen auch Kopf bilder; wie bei den Evangelisen-Porträts sind die Darsellungen ganzfigurig angelegt; sie sellen meis die Hauptfigur in die Landschaft, seltener in Interieurs, und fügen, wo nötig, weitere Gesalten hinzu: Michael besiegt den Drachen (fol. 102v), Petrus und Paulus (fol. 103), Pfeilmarter Sebasians mit einem Peiniger (fol. 103), Rochus mit Engel und Hund (fol. 104), Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 105), Johannes der Evangelis mit dem Kelch (fol. 105), Jakobus als Pilger (fol. 105v), Laurentius mit dem Ros (fol. 106), Steinigung des Stephanus mit zwei Peinigern zu den Seiten (fol. 106), Dionysius beim Gang mit dem abgeschlagenen Kopf von zwei Engeln begleitet (fol. 106v). Ein Kopf bild hebt Chrisophorus (fol. 107) hervor, der das Chrisuskind zwischen zwei seilen Felsen durch das Wasser trägt. Wieder nur in einem Kleinbild wird Eusachius gezeigt, der beim Überqueren eines Flusses erleben muß, wie eines seiner zwei Kinder von einem Wolf und das andere von einem Löwen geraubt wird (fol. 108). Noch einmal ein Kopf bild wird Claudius, dem Lokalheiligen des Jura (fol. 108v) zugesanden, er thront als Bischof ohne Attribute. Für die reslichen Sufragien genügen dann Kleinbilder: Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich (fol. 109), Maturinus, der eine Besessene heilt (fol. 109v), Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt (fol. 110), Maria Magdalena mit Salbgefäß als Einsiedlerin vor dem Felsen von La Sainte Baume (fol. 110), Katharina mit Fragmenten des Rades und dem Schwert (fol. 110v), Barbara mit dem Turm (fol. 111), Genovefa, um deren Kerze Engel und Teufel sreiten (fol. 111v), in voller Breite des Textsiegels, nur sieben Zeilen hoch am Seitenende über einer einzeiligen Rubrik, wohl weil Miniatur und Text ers am Ende der Arbeit hinzugekommen sind: das Schweißtuch Chrisi zum Gebet Salve Sanca facies (fol. 111v) nicht von der heiligen Veronika, sondern von zwei Engeln präsentiert. fol. 112v: zum Mariengebet zur Passion Chrisi nach vier Zeilen Textende die Kreuztragung Chrisi: Wie zu Beginn des 15. Jahrhunderts gewohnt, hat der Zug der Soldaten mit Chrisus, Maria und Johannes das Stadttor links verlassen; das Kreuz wird wie noch beim Bedford-Meiser mit dem Stamm voraus getragen. Doch wird nicht nur radikale Isokephalie bei den Helmen der Soldaten vor bildparalleler Stadtmauer eingeführt; ersaunlicher noch is der Weg, der dann begangen werden soll: Rechts hinten sind Stufen einer Treppe in den Berg geschlagen; sie führen ofenbar hinauf nach Golgatha, einer Kuppe über seilen Felsen, auf deren Wiese bereits die beiden Schächerkreuze sehen. Zum Stil Während bei Marien-Laudes und den Bußpsalmen Bordüren und eine Dornblatt-Initiale von einem vorausgehenden Versuch zeugen, das Buch künslerisch auszusatten, erweis es sich in den wichtigen großen Miniaturen als eine einheitliche Arbeit aus dem Atelier von Étienne Colaud, dessen Œuvre von Handschriften der Statuten des Michaelsordens für Franz I. aus besimmt wurde, die um 1527 entsanden sind. Die erhalte-
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nen Manuskripte dieses Werkkomplexes sind jedoch so divers, daß sich daraus kein Stil einer bestimmten Hand ablesen läßt. Das ist eher möglich durch ein erst kürzlich aufge tauchtes Stundenbuch in Privatbesitz, das Colaud 1513 signiert hat. Damit rückt auch die Tätigkeit des Malers zumindest bis in die Jahre um 1510 zurück. So läßt sich unser Stundenbuch mit seinen recht graphisch begriffenen Bildern in ebenso strikt graphisch gestalteten Renaissance-Rahmen als ein frühes Werk von Étienne Colaud begreifen, das er in der Zeit um 1505–1508 begonnen hat. Eine Reihe von großen und die kleine ren Miniaturen am Ende (Heimsuchung, Darbringung, Flucht nach Ägypten, Marien krönung, Hiob, Mondsichel-Madonna, Gnadenstuhl) sowie die Suffragien-Kleinbilder und die Kreuztragung stammen von einer zweiten, durchaus kongenialen Hand, die wir hier nach einem Psalter der altberühmten Familie d’Urfé nennen (beginnend mit Pierre d’Urfé, der schon 1508 starb und sich gegen Ende seines Lebens im genannten Manuskript mit Namenseintrag verewigte, danach noch für Generationen bezeugt im Besitz dieser Adelsfamilie): Zuerst in Paris am 22.1.1996 als Nr. 2 der Tajan-Auktion verstei gert, taucht er, mit nahezu identischer erschöpfender Beschreibung in einer Pariser Auk tion am 21.11.2001 wieder auf; Nr. 56: ca. 500.000,- Francs, dort Umschlagabbildung: mit 30 Jahre zu früh angesetzter Datierung und irriger Lokalisierung. Ein vollständig erhaltenes Stundenbuch, das vielleicht schon im späten 15. Jahrhun dert von einem Pariser Schreiber nach lokalem Brauch angelegt und bereits durch ungewöhnliche Texte ergänzt wurde, aber kaum, daß es in die Hände von Buchma lern geraten war, unbearbeitet blieb. Erst um 1505–1510 gelangte das Buch in die Werkstatt des sehr verdienten Étienne Colaud; die Miniaturen gehören zu den frü hest en Arbeiten dieses im Pariser Buchwesen offenbar hoch angesehenen Künst lers, der auch als Buchhändler arbeitete. Ergänzt wurde er bei einer Reihe von gro ßen und der Mehrzahl der kleineren Miniaturen durch einen aus dem Psalter des Philippe d’Urfé bekannten, sehr begabten Meister, den wir hier nach diesem Manuskript benennen wollen. Literatur Das Manuskript ist bisher nicht publiziert. Zu Colaud liegt jetzt die posthum erschie nene Monographie von Marie-Blanche Cousseau aus dem Jahre 2016 vor, in der leider – durch den unzeitigen Tod der Verfasserin – die Fragen der Zuschreibung keiner end gültigen Klärung zugeführt werden.
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61 Ein Stundenbuch mit 99 Bildern von Étienne Colaud und seinem Atelier
Stundenbuch. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Paris. Lateinische Handschrift auf Pergament, Rubriken in Latein und Französisch in Rot, mit ei nem Kalender in Schwarz, Blau und Rot, in schwarzer Bastarda. Paris, um 1515–1520: Étienne Colaud und der „Hauptmaler der Statuten des Sankt Michaels-Ordens” 99 Bilder: 20 große Miniaturen über unterschiedlich langen Incipits, eine reiche Fol ge von 49 Kleinbildern mit Heiligen und Szenen aus der Heilsgeschichte, 6 große histo risierte Initialen sowie 24 Kalenderminiaturen, alle mit einfacher goldener Rahmung; der gesamte Text bis auf die letzte Seite mit vierseitiger Goldgrundbordüre und bunten Akanthusranken, Streublumen, Vögeln und Grotesken, gelegentlich auf Bodenstreifen; dreizeilige Initialen in Blau mit weißem Banderolendekor auf roten, innen goldenen Grün den, Pflanzen und Blumenmotive auf Dornblattrest umschließend, und in goldenen Fest ons auf blauem Grund mit weißem Liniendekor; ein- und zweizeilige Initialen in Pinselgold auf Rot oder Blau mit goldenem Liniendekor; Zeilenfüller in gleicher Art. Versalien gelb laviert. 148 Blatt Pergament, vorne und hinten je 2 fliegende Vorsätze aus altem Pergament. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die Kalenderlage 1 (6) sowie die Lagen 3(6), 4(8+1, das 9. Blatt hinzugefügt) und die Endlage 19(8-1, das letzte Blatt ohne Textverlust entfernt). Wieder ist auf eine Zäsur vor den Bußpsalmen verzichtet. Wenige horizontale Reklamanten. Rot regliert zu 24, im Kalender zweispaltig zu 17 Zeilen, moderne lückenhafte Bleistiftfoliie rung links oben. Komplett, vom Buchbinder nur im Kalender etwas getrimmt, nirgendwo sonst sind die Bor düren versehrt. Oktav (183 x 126 mm, Textspiegel 146 x 84 mm). Alter olivgrüner Samt auf glatten Rücken, eine vergoldete Schließe. Auf fol. 129v wird statt des im Suffragium angerufenen Kaisers Karl des Großen eine Frau im Gebet gezeigt, vielleicht handelt es sich hier um eine Charlotte oder die schwarz gekleidete Witwe eines verstorbenen Charles. Ganz und gar ungewöhnlich im Zuge dieser Personalisie rung sind die fünf Mariengebete, in denen die Beterin, anders gekleidet, noch einmal gezeigt wird (fol. 136). Keine weiteren Hinweise auf Auftraggeber und frühere Besitzer. Der Text fol. 1: Kalender in Latein, nicht jeder Tag besetzt, Heiligentage in Schwarz, Festtage in Blau und Rot, Goldene Zahl in Rot, Sonntagsbuchstabe A in Gold auf roten oder blau en Flächen, Sonntagsbuchstaben b-g in Schwarz, im Kalender Rigobertus (8.1.), Guil lermus (10.1.), Karl der Große (28.1.), Gertrudis (17.3.), Theobaldus (9.7.) und die Trans latio Benedicti (11.7.), Maurilionis (13.9.: Angers), Genovefa als Fest (26.11.).
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fol. 7: Perikopen: Johannes (fol. 7), Lukas (fol. 8), Matthäus (fol. 9), Markus (fol. 10), ge folgt vom Christ usgebet: O beatissime Domine ihesu Christe respicere digneris (fol. 10v). fol. 16v: Mariengebete, für einen Mann redigiert: Obsecro te (fol. 16v), O intemerata, für Maria und Johannes (18v), Stabat mater (fol. 20), Missus est Gabriel (fol. 21v) und weite re kurze Gebete: Ave regina celorum (fol. 25v), Gebet des hl. Augustinus: Deus propicius esto michi (fol. 26), O bone Ihesu (fol. 27v). fol. 30: Marienof fizium mit einer einleitenden Rubrik auf fol. 29 für den Gebrauch von Paris, mit eingeschalteten Horen von Heilig-Kreuz und Heilig-Geist: Matutin (fol. 30 mit drei vollen Nokturnen), Laudes (fol. 42v), Kreuz-Matutin (fol. 48v), Geist-Matutin (fol. 49v), Marien-Prim (fol. 50), Terz (fol. 54v), Sext (fol. 57v), Non (fol. 60v), Vesper (fol. 63v), Komplet (fol. 68), Heilig-Kreuz-Komplet (fol. 71), Heilig-Geist-Komplet (fol. 72). fol. 73: Horen der Empfängnis Mariä, Matutin (fol. 73), Komplet (fol. 77v). fol. 79v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 88v), darunter Gervasius und Prothasius, Di onysius, Eustachius, Eutropius, Karl der Große, Remigius, Eligius, Ägidius, Leobinus, Genovefa und weitere Pariser Heilige. ten of fi zi um, für den Gebrauch von Paris: Vesper (fol. 95), die weiteren Stun fol. 95: To den durch Rubriken markiert: Matutin (fol. 99), Laudes (fol. 112). fol. 119: Suffragien: Trinität (fol. 119), Gottvater (fol. 119v), Sohn (fol. 120), Heiliger Geist (fol. 120v), Antlitz Christi: Salve sancta facies (fol. 121), Michael (fol. 121v), Johannes der Täufer (fol. 122), Johannes der Evangelist (fol. 122v), Petrus und Paulus (fol. 123), Jakobus (fol. 123), Alle Apostel (fol. 123v), Stephanus (fol. 124), Laurentius (fol. 124v), Evangelisten (fol 124v), Christ ophorus (fol. 125), Sebast ian (fol. 125v), Claudius (fol. 126), Dion ysius (fol. 127), Martin (fol. 127v), Nikolaus (fol. 127v), Franziskus (fol. 128), Antonius Abbas (fol. 128v), Antonius von Padua (fol. 128v), Rochus (fol. 129), Karl der Große (fol. 129v), Anna (fol. 130), die zwei Schwestern Mariens (fol. 130), Magdalena (fol. 130v), Katharina (fol. 131), Margarete (fol. 131), Apollonia (fol. 131v), Barbara (fol. 132), Genovefa (fol. 133). fol. 133v: Lateinische Gebete: Sieben Verse des heiligen Gregor: Domine Ihesu Christi ad oro te in cruce pendentem (fol. 133v), fünf Mariengebete, die in der Rubrik Johannes dem Evangelist en zugeschrieben werden: Mediatrix omnium (fol. 135); Auxiliatrix omnium und Reparatrix debilium (fol. 135v); Illuminatrix peccatorum (fol. 136); Alleviatrix peccatorum (fol. 137). fol. 138: Iesus titulus triumphalis defende nos und weitere Christ usgebete; Sieben Verse des heiligen Bernhard von Clairvaux: Illumina oculos meos (fol. 141), und eine Folge weiterer kurzer Gebete für die Meßfeier. fol. 146v: XV Freuden Mariens: Doulce dame.
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Schrift und Schriftdekor Die Schrift gehört immer noch zur Familie der Bastarda, zeigt aber anders als die Bast arda in Nr. 61 eine Tendenz zur Fere-humanist ica. Die einfachen Initialen verraten hin gegen traditionellere Züge, sind sie doch sehr klar gezeichnet und stehen auf filigran de korierten Flächen. In den Suffragien sind diese Felder deutlich mit schwarzen Linien konturiert. Die schlanken Bordüren zu allen Textseiten verwenden durchweg Pinselgold für den Fond; zum Falz hin genügt eine einfache Goldleist e, die oben und unten von den dekorierten Randstreifen klar abgesetzt ist. Initialen zu den mit Kopfbildern bestückten Incipits stehen als blaue Akanthusbuch staben auf rotem Grund; ihr Binnenfeld wird mit Blüten und Früchten auf Pinselgold dekoriert. Dieselbe Art von Randschmuck aus Bordürenklammer mit buntem Akanthus und Blü ten sowie der Goldleist e zum Falz hin wird bei den Bildseiten beibehalten. Unabhängig von der Größe werden Miniaturen einheitlich gerahmt: Als untere Kante genügt eine schwarze und eine goldene Linie; die senkrechten und oberen Leist en werden als Kast en rahmen mit einer Kehle nach innen verstanden, die im Licht von links oben modelliert ist. Bildfolge Für den zweispaltig angelegten Kalender, in dem jedem Monat nur eine Seite gewidmet ist, sind jeweils zwei Kopfminiaturen vorgesehen, die vertikal getrennt in einem gemein samen goldenen Rahmen erscheinen. Im jeweils etwas breiteren linken Feld steht das Monatsbild mit ganzfigurigen Szenen, rechts das Tierkreiszeichen, wie gewohnt nicht im Himmel, sondern auf die Erde geholt und in einer Landschaft gezeigt. Landarbeit wird bevorzugt mit drei Männern geschildert, auf die der Maler verschiedene Tätigkei ten aufteilen kann: Zum Januar wärmt sich ein Herr am Feuer; der Wassermann ist ein nackter Knabe, der in einem Fluß steht und darein seinen Krug ausleert (fol. 1). Im Februar sitzt ein Paar zu Tisch in der Stube vor einem Kamin; zwei große Fische schwim men in einem Bach (fol. 1v). Im März arbeiten Landleute beim Beschneiden der Wein stöcke; der Widder, ohne Hörner, bewegt sich in der Landschaft auf die Männer links zu (fol. 2). Im April flechten zwei edle Damen Blumenkränze in einem Rosenhaag; ihnen präsentiert ein Edelmann eine Rose; beim Stier entsteht auch hier der Eindruck, er rea giere auf das Monatsbild (fol. 2v). Zum Mai wird der Ausritt eines edlen Paares gezeigt; die Zwillinge tauchen als nacktes Paar in Umarmung hinter einem Gebüsch auf; ohne viel Phantasie aufzuwenden, könnte man meinen, dieses so oft verwendete Motiv spiele hier auf die vornehmen Leute an, zumal das Buschwerk hinter beiden Szenen das glei che ist und die Köpfe übereinstimmen (fol. 3). Zur Heumahd im Juni zeigt sich ein Bau er mit Sense, ein zweiter mit Rechen, während sich ein dritter soeben mit einem Trunk erfrischt; der große Krebs in Flußbett läßt eher an eine Languste denken (fol. 3v). Bei der Kornmahd arbeiten der Schnitter mit der Sichel und zwei weitere im mannshohen Korn, wobei einer eine Garbe bindet und der dritte eine weitere Schneise ins Feld schlägt; rechts tänzelt ein Löwe in der Landschaft (fol. 4). Im August schwingen beim Korndre
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schen zwei Männer die Dreschflegel, der dritte siebt; die Jungfrau erscheint mit Märty rerpalme und Buch wie eine Heilige in der Landschaft (fol. 4v). Im September ist Zeit für die Weinkelter: Ein Mann bringt Reben in der Bütte, ein zweiter gießt in ein großes Faß den Saft, während der dritte im Bottich die Trauben stampft; die Waage wird von der Hand Gottes aus den Wolken gezeigt (fol. 5). Im Oktober wird die Aussaat für das nächste Jahr getätigt – nur von zwei Männern, deren einer sich gerade Saatgut in die Schürze lädt, während der andere säend durch die Furchen schreitet; der Skorpion, ein eigentümlich langschwänziges Getier richtet sich im rechten Bild zum Bauern hin auf (fol. 5v). Im November schlägt, während ein Hirte die Arme untergeschlagen hat, ein anderer Eicheln von den Bäumen, die von vielen grauen Schweinen verspeist werden; der Schütze wird als bogenspannender Kentaur gezeigt (fol. 6). Im letzten Monat des Jahres, im Dezember, schieben Gehilfe und Bäcker Brotlaibe in den Backofen; der Steinbock ist ein Ziegenbock mit Hörnern, der aus einem Ammonshorn herausschaut (fol. 6v). fol. 7: Die Perikopen eröffnen mit einer Kopfminiatur: Johannes auf Patmos. Der jugend liche Evangelist mit Tintenfaß und Feder sitzt links an Felsen unter Bäumen, blickt auf zum Himmel und sieht dort das mit der Sonne bekleidete Apokalyptische Weib auf der Mondsichel. Dieses Bildmotiv gehört wie die Verbannung des Johannes auf die Insel Pat mos zur Apokalypse; dieses Mißverständnis war man gewohnt, obwohl der Evangelist in das auf seinem Schoß aufgeschlagene Buch die berühmten Anfangsworte seines Evan geliums schreiben müßte. Die folgenden drei Perikopen erhalten sieben- bis achtzeilige Kleinbilder: Der grauhaa rige Lukas mit dem Stier (fol. 8) sitzt en-face, hat den Blick gesenkt; und es wirkt, als sei das ganze Bild, das in den unterst en Zeilen steht, auf eine in der Buchmalerei einzigar tige Weise von oben gesehen. Matthäus (fol. 9) sitzt an seinem Schreibpult und schaut auf sein Schriftband; so kann er eigentlich den Engel, der ihm ein offenes Buch präsen tiert, gar nicht recht sehen. Markus (fol. 10) hockt wie sein Löwe, der rechts im Bild er scheint, unter Baldachin und vor drehbarem Pult am Boden. Die anschließenden Gebete enthalten sechs große hist orisierte Initialen, elfzeilig die erste, zehnzeilig die fünf anderen: Zum Obsecro te die einzige Halbfigur in dieser Folge, die betende Maria (fol. 16v) mit einem Buch, eher Matrone als Annunziata, somit wohl aus dem Zusammenhang der Diptychen von Mutter und Sohn, wie sie Bourdichon und der Meister des Münchner Boccaccio in Tours entwickelt hatten, vor Purpur mit gol denen Flämmchen oder Tränen. Zum O intemerata Johannes und Maria mit dem Kind (fol. 18v). Zum Stabat mater folgt, dem Incipit widersprechend, aber in bester Traditi on, die Pietà (fol. 20) mit Maria, Johannes und Magdalena, die sitzend den toten Chris tus unter dem Kreuz beweinen. Zu Missus est die Verkündigung an Maria (fol. 21v) in Ganzfiguren, von der Komposition eng mit der großen Miniatur auf fol. 30 verwandt, aber nur mit dem Bett der Jungfrau und nicht auch noch dem runden Baldachin dort. Die Mondsichelmadonna (fol. 25v), also das Apokalyptische Weib auf der Mondsichel, zu Ave regina. Augustinus von Hippo (fol. 26) als Bischof mit Krümme und Buch vor dem gleichen Fond wie die Maria auf fol. 16v. Anders als dieses an Gott gerichtete und mit
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einem Bild seines fiktiven Autors bebilderte Gebet wird O bone ihesu mit einem neunz eiligen Kleinbild eröffnet, das den Adressaten zeigt: den Schmerzensmann vor den Pas sionswerkzeugen, auf seinem Sarkophag sitzend (fol. 27v). fol. 29v: Die Matutin des Marienof fiziums eröffnet mit einer Doppelseite: links die Er schaffung Evas (fol. 29v) über zwei Zeilen in Rubrikenrot mit einem Resümee der Schöp fungsgeschichte In principio und rechts, über den fünf Zeilen des Textanfangs, die Ver kündigung an Maria (fol. 30). Entsprechende Doppelseiten kennen wir aus Nr. 59; dort aber ist die Erschaff ung Evas der Johannes-Perikope gegenübergestellt; und angesichts des Textfragments, das hier beigefügt ist, dort aber fehlt, könnte man meinen, daß die dortige Analogie ursprünglicher ist als die Gegenüberstellung hier (in Nr. 59 bildeten Aust reibung aus dem Paradies und Verkündigung eine Doppelseite). Der Bezug ist eng, auch wenn hier nicht Jesus mit einem Engel, sondern Gottvater mit Kaiserkrone das Weib aus der Rippe des schlafenden Adam erschafft. Im Verkündigungsbild ist der En gel durch einen Bogen links hinten eingetreten, um ein wenig zurückgesetzt niederzu knien, während sich Maria von ihrem Betpult unter einem runden Baldachin vor ihrem grau bezogenen Bett zu ihm wendet. Der Blick in den Garten schafft dabei eine Verbin dung in typologischem Zusammenhang, der Maria als neue Eva versteht. Zur Laudes wird die Heimsuchung (fol. 42v) als Treffen Mariens mit ihrer Base Elisa beth in einer Landschaft gezeigt. Der Jungfrau ist Elisabeth, mit kostbarem Mantel und aufwendigem Kopfputz, aus ihrem Haus rechts oben eilig entgegengekommen, um ihre Hand zu ergreifen. Die Horen von Heilig Kreuz erhalten als traditionelles Erkennungsbild die Kreuzigung (fol. 48v). Riesenhaft richtet sich das Kruzifix vor einer Stadtsilhouette auf, die als ge rade Linie auffällig das Bild bestimmt; sie liegt auf Höhe von Christi Lendentuch und direkt über den Häuptern von Maria und Johannes in der ansonsten menschenleeren Landschaft. Das Pfingstbild (fol. 49v) zur Matutin des Heiligen Geist es konzentriert sich auf die Er scheinung der Taube unter einem Rundbogen, der zum Himmel blicken läßt. In einem Kreis, der sich zum Betrachter hin öffnet, haben die betenden Apost el Platz genommen, mit Maria links, der als einziger ein Baldachin als Würdezeichen zukommt, und Johan nes rechts. Petrus und ein zweiter greiser Apostel ihm gegenüber tragen ein auffälliges Zeichen auf der Stirn: weiß wie eine Feder der Taube. Zur Marien-Prim wird die Anbetung des Kindes gezeigt (fol. 50v). In dem bizarr stili sierten schadhaften Stall, dessen bildparallele Seitenwand ein großes Loch zeigt, hat die Jungfrau den nackten Knaben auf den Saum ihres blauen Mantels gebettet, während Ochs, Esel und ein besonders jung gegebener Joseph der Anbetung des Sohnes beiwoh nen. Joseph hält wohl eine weiße Kerze in der Hand, als Andeutung der Weihnacht. Die Hirtenverkündigung (fol. 54v) zur Terz zeigt drei Hirten, die, auf der Rast von der himmlischen Erscheinung überrascht, sich staunend in Anbetung begeben. Die kleinen
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Schafe tummeln sich ruhig auf der Wiese im Mittelgrund. Über ihnen erscheint ein in Gold gekleideter Engel, der das Gloria in excelsis anstimmt. Vor wenigen Balken eines Fachwerkbaus mit einem bizarren Rest von Putz, die auf an dere Weise als bei der Prim den Stall von Bethlehem meinen und den Blick zum Stern im Himmel erlauben, wird zur Sext die Anbetung der Könige (fol. 57v) gezeigt. Von links sind sie eingetreten, der Älteste reicht barhäuptig dem auf dem Schoß seiner Mut ter sitzenden Knaben einen goldenen Deckelkelch, während der bartlose jüngste mit dem mittleren spricht; beide halten entsprechendes für die Liturgie geeignetes Gerät, eine Monstranz und ein rundes Ziborium. Maria, ganz in Blau und hier mit verhülltem Haupt gegeben, thront unter einem roten Baldachin. Zur Non bei der Darbringung im Tempel (fol. 60v) steht der greise Simeon mit Mi tra links unter einem Baldachin am Altar, dessen Schmalseite die vorderste Bildebene bestimmt. Maria reicht, eher zum Betrachter als zum Priester gewendet, den nackten Knaben auf einem weißen Tuch, das ein aufälliges Rund bildet. Ihr folgt Joseph, nun greisenhaft mit weißem Haar, der die Kerze und das Körbchen mit Tauben trägt. Ein Akolyth in Albe steht an der hinteren Schmalseite des Altars und hält wie bei der Mes se ein aufgeschlagenes Buch. Die Flucht nach Ägypten (fol. 63v) zur Vesper zeigt ein ungewöhnliches ikonographisches Detail. Hier führt nicht Joseph den Esel, vielmehr hat Maria den Zügel in die Hand ge nommen und blickt sorgenvoll nach links zum Christuskind, das sie in ein goldenes Tuch gewickelt eng an die Brust gedrückt hat, während Joseph rechts bereits seinen Weg aus dem Bild fortsetzt. Den Abschluß des Marienofziums markiert die Marienkrönung (fol. 68) zur Komplet. Ein Kreis aus blauen Wolken reißt auf und läßt in die hellen Himmelssphären blicken, vor denen die blondgelockte Muttergottes kniet. Zwei kleine Engel in Diakonsgewän dern fliegen über ihr und bringen die Krone. Von seinem schwebenden goldenen Thron unter einem runden Baldachin segnet Christus. In sehr ungewöhnlicher Weise wird in diesem Stundenbuch auch jeweils die Komplet von Heilig Kreuz und Heilig Geist bebildert: Die Grablegung (fol. 71) kombiniert Vor stellungen von Felsengrab und Sarkophag vor den horizontal gereihten Türmen eines imaginären Jerusalem: Während Maria, Johannes und Maria Magdalena klagend hin ter dem Sarkophag stehen, betten zwei ältere Männer, Joseph von Arimathia und Niko demus, den Leichnam auf dem straf gespannten weißen Leichentuch in den Steinsarg. Für die Komplet von Heilig Geist hat sich der Maler für eine äußerst ungewöhnliche Ikonographie entschieden: Chrisi Erscheinung im Gemach seiner Mutter (fol. 72). Ma ria, die am Fußende ihres Bettes in einem Buch gelesen hatte, breitet erstaunt die Arme aus; denn durch einen hohen Bogen rechts ist der Auferstandene eingetreten; auch er hebt die Hände in ähnlicher Weise. Die Miniatur variiert einen Metallschnitt aus der bilderreichen Serie in KleinOktav, die Jean Pichores Werkstatt schuf und die erstma lig von Jean le Barbier 1509 gedruckt wurde (siehe Horae IX, Nr. 28, Abb. 34, S. 4036).
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Beispiele dafür sind auch in den anderen Künsten äußerst rar: Rogier van der Weyden hat mit dieser Szene das Dreiblatt des Berliner MirafloresAltars abgeschlossen, der dann von Juan de Flandes kopiert wurde, und Peter Hemmel von Andlau hat im Ulmer Chorfenster diese seltene Ikonographie aufgegrifen, die nicht biblisch begründet wird. fol. 73: Auch die Horen der Empfängnis Mariä, die sich anschließen, wohl weil sie noch zum Block der von Matutin bis Komplet reichenden Stundengebete gehören, werden zur ersten und letzten Stunde bebildert: Zur Matutin wird der Kuß an der Goldenen Pforte (fol. 73) gezeigt. Joachim beugt sich liebevoll zu seiner Frau Anna, die ihm durch das hier ganz mit Gold ausgemalte Tor aus der Stadt entgegenkommt, um sich ihr für den Kuß zu nähern, dem die Jungfrau Maria entspringen wird. Zur Komplet dieser Horen, die fast nie mehr als ein Eröfnungsbild erhalten, wird die Maria immaculata mit Bild formeln für die Beiworte ihrer Jungfräulichkeit gezeigt (fol. 77v). Wie zuweilen in ent sprechenden Miniaturen (so Nr. 64, fol. 23v) werden die lateinischen Beiworte nicht alle in die Spruchbänder eingeschrieben; selbst das Spruchband unter dem am Himmel er scheinenden Gottvater blieb leer. Die Vorlage für diese Miniatur bildet ein Metallschnitt für gedruckte Stundenbücher. Erstmals läßt sich die Verwendung der Maria immaculata mit Emblemen in der Metallschnittserie nachweisen, die zwischen 1497 und 1502 vom Meister der Apokalypsenrose (alias Meister der Très Petites Heures der Anne de Bre tagne) für Thielman Kerver geschafen wurde (siehe dazu Horae IX, Nr. 17, Abb. 17, S. 3978). Im Stundenbuch der Katharina von Aragon (Nr. 47) dient eine handgemalte Version als Erkennungsbild derselben Horen, nur eben zur Matutin gestellt. fol. 79: Zu den Bußpsalmen ist ein weißhaariger David in Buße gezeigt, der vor seinem Palast die Zeichen seiner Würde abgelegt hat und zu einem Engel betet, der ihm im Himmel die Wahl zwischen Pfeil und Flammenschwert gibt, analog zur in den Bildge genständen dann wiederum abweichenden Miniatur in Nr. 61. fol. 95: Die Miniatur zum Totenofzium zeigt Hiob auf dem Dung. Von links sind die Freunde zu dem Aussätzigen gekommen, der sich, nur mit einem Lendentuch beklei det, auf dem Dung vor den Mauern der Stadt niedergelassen hat und sich skeptisch zu den Freunden wendet. fol. 119: Die Sufragien eröfnen mit einer großen Miniatur, die alle drei Personen der Trinität in Gestalt Christi zeigt: Auf einem Regenbogen thronend präsentieren sie das aufgeschlagene Buch des Lebens vor einer strahlenden Mandorla, die hinter den aufge brochenen Wolkenkränzen zum Vorschein kommt. Zu den übrigen Sufragien erscheint dann eine Folge von sieben bis achtzeiligen Bil dern, die ganzfigurig beginnen, aber tendenziell oft zu Kniestücken werden: In ähnli chen Himmelsvisionen wie der Trinität sind zunächst die drei Personen des dreieinigen Gottes einzeln dargestellt: Gottvater, nun als Greis (fol. 119v), Chrisus als Weltenrichter (fol. 120), der Heilige Geis mit den Zügen Jesu, geflügelt (fol. 120v); dann folgt Veronika mit dem Schweißtuch (fol. 121).
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Die Heiligen beginnen mit Michael erschlägt den Drachen (fol. 121v); es folgen: Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 122), Johannes der Evangelis mit dem Giftbecher (fol. 122v), Petrus und Paulus und Jakobus als Pilger (fol. 123), Aposel, angeführt von Bartholomäus und Andreas, zwischen beiden Johannes (fol. 123v), Stephanus als Diakon mit einem Stein am blutenden Kopf (fol. 124), Laurentius mit dem Rost und Evangelisen, angeführt von Johannes mit dem Kelch (fol. 124v), Chrisophorus mit dem Chri stuskind (fol. 125), Sebasians Pfeilmarter (fol. 125v), Claudius als Bischof (fol. 126), Dionysius mit dem abgeschlagenen Haupt in den Händen (fol. 127), Martin im schwar zen Habit eines Benediktinerabts, wohl in Anspielung auf die Martinsabtei von Tours und Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich (fol. 127v), Stigmatisation des Franziskus (fol. 128), Antonius Abbas mit dem Schwein vor einem Flechtzaun und Antonius von Padua als jugendlicher Franziskaner (fol. 128v), Rochus mit Hund und Engel (fol. 129). Das Sufragium für Karl den Großen eröfnet auf ungewöhnliche Weise mit Chrisus, eine schwarz gewandete Beterin segnend (fol. 129v). In klarer Hierarchie mit einem Pa riser Schlußpunkt folgen dann: Anna lehrt Maria lesen und Maria Jacobe und Maria Salome betend als Halbfiguren (fol. 130), Maria Magdalena mit Salbtopf und Buch (fol. 130v), Katharina mit Radfragment und Schwert sowie Margarete, dem Drachen ent stiegen (fol. 131), Apollonia mit der Zange (fol. 131v), Barbara mit dem Turm (fol. 132), Genovefa mit dem Streit von Engel und Teufel um ihre Kerze (fol. 133). Das Gregorsgebet erhält eine geradezu einzigartig reiche Bebilderung, die mit einer gro ßen Miniatur der Gregorsmesse (fol. 133v) eröfnet, die den Papst mit zwei Akolythen nur vor einem Kruzifix über dem Altar betend zeigt und nicht vor dem Schmerzensmann mit Kelch und Hostie, der den Sinn der Vision verdeutlicht. Danach folgen sechszeilige Kleinbilder zu jedem der sieben Versanfänge, die das Geschehen der Passion bebildern: Essigschwamm, Kreuzesod und Grablegung (fol. 134), Chrisus im Limbus befreit Adam und Eva, Himmelfahrt Chrisi und Weltgericht (fol. 134v). Die Incipits der folgenden Gebete erhalten ebenfalls Kleinbilder von acht bis neun Zei len Höhe: Darbringung im Tempel zum Gebet Mediatrix omnium (fol. 135), Maria findet den 12jährigen Chrisus im Tempel zu Auxiliatrix omnium und Ecce homo zu Repa ratrix debilium (fol. 135v); Betende Stifterin unter dem Kreuz zuIlluminatrix peccatorum (fol. 136); Pietà mit Maria und Christus allein zu Alleviatrix peccatorum (fol. 137). Chrisus als Salvator mundi segnend zu Iesus titulus triumphalis defende nos (fol. 138) und zuletzt Bernhard von Clairvaux als Zisterzienserabt zu seinen Sieben Versen Illumina oculos meos (fol. 141) fol. 146v: Mariengebet: Doulce dame. Zum Stil Dieses Stundenbuch ist einheitlich ausgemalt, in einer Manier, die auf graphische Klar heit angelegt ist, Figur und Landschaftselemente ebenso wie Wolken als plastische Ein heiten begreift. Damit stehen die Miniaturen dem von Étienne Colaud 1513 signierten
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Stundenbuch in Privatbesitz nahe. Diese Einschätzung wird auch von den hier einge setzten Bildvorlagen bestätigt; so kann man die beiden unterschiedlich großen Bilder der Verkündigung in unserem Manuskript mit Colauds deutlich späterer Miniatur dessel ben Themas im Missale für François Ier de Dinteville (lat. 9446 der BnF, Cousseau 2016, Abb. 57) vergleichen: Dort findet man immer noch denselben Grundbestand, jedoch ergänzt durch zu Manierismen tendierende modische Züge in Gewandung und Farbe. Wenn man den – manches mal nicht nachvollziehbaren – Kriterien der Händeschei dung in Cousseaus unvollendet gebliebenem Buch über Colaud folgen wollte, so wäre in unseren Miniaturen die Machart des von ihr so genannten "Hauptmalers der Statuten des Sankt Michaels-Ordens" ("Exécutant principal des Statuts") wiederzuerkennen, die Colauds Faktur sehr nahe kommt, vgl. Cousseau 2016, Tafeln X, XI , XIV, XVI , XVII , Abb. 31 - 35, 65, 86 - 88, 92 - 105, wobei unserer Meinung nach hierin mindestens zwei, wohl aber drei verschiedene Hände am Werk sind. Unser Manuskript entspricht am be sten den Abb. 32, 35, 95, 98, 99 und Tafel XI . Mit 99 Bildern, darunter 20 großen und der erstaunlich dichten Folge von 49 Klein bildern, darunter einer einzigartigen Serie zu den Versen des heiligen Gregor sowie sechs großen hist orisierten Initialen, dazu einem besonders prachtvoll bebilderten Kalender erweist sich dieses komplett erhaltene Stundenbuch als ein eindrucksvol ler Schatz von Text und Bild, der mit der Bebilderung der jeweils letzten Stunde der Horen von Heilig Kreuz, Heilig Geist und Empf ängnis Mariä eine wohl einzigarti ge Besonderheit aufweist und durch zwei Bilder von Beterinnen eine Art von Per sonalisierung leist et, die mangels jeden Hinweises leider nicht zur Bestimmung des Auftrags führt. Literatur Das Manuskript ist bisher nicht publiziert.
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62 Das Stundenbuch des Pierre Palmier, Erzbischof von Vienne, illuminiert von Colaud und eventuell Martial Vaillant
Stundenbuch. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift auf Pergament, Rubriken in Rot, Kapitelüberschriften in Blau und Gold, mit einem Kalender in Braun, Feste in Gold, in brauner humanistischer Minuskel. Paris, nach 1527: der späte Étienne Colaud und eventuell Martial Vaillant 17 Miniaturen unterschiedlicher Größe: ein ganzseitiges Stifterbild in Renaissance-Ar chitekturrahmung, eine große Wappenmalerei mit den Arma Christi, 13 Miniaturen in Textspiegelbreite, acht bis 14 Zeilen hoch, zwei Bilder, die jeweils etwas mehr als die Hälf te des Textspiegels in Anspruch nehmen; alle bebilderten Seiten in um den Textspiegel gelegten Architekturen, zuweilen Spielereien mit Trompe l’œil für die Textanfänge; drei große dreizeilige weiße oder rosafarbene Initialen mit Banderolen auf Gold mit Blüten dekor. Durchgehend mit blauen Seitentiteln mittig über dem Textspiegel versehen; zweizeili ge Initialen zu den Psalmenanfängen, einzeilige zu den Psalmenversen sowie Paragraphenzei chen in Pinselgold auf Rot oder Blau mit goldenem Liniendekor, Zeilenfüller in gleicher Art; Versalien gelb laviert. 134 Blatt sehr feines Pergament, vorne und hinten 2 fliegende Vorsätze aus Papier, Marmor papier, dazu vorne ein festes Pergamentvorsatz unregliert. Gebunden in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die 1. Kalenderlage 1 (8-2+1, die ersten beiden Blätter ohne Textverlust entfernt, ein unregliertes Blatt mit einer Miniatur hinzugefügt) und 4 (8+1, das 9. Blatt hin zugefügt); moderne Bleistiftfoliierung rechts oben. Keine Reklamanten. Klein-Oktav (151 x 94 mm; Textspiegel 106 x 59 mm). Kaum sichtbar in Grau regliert zu 24, auf fol. 89-112v zu 23, auf fol. 113-134 zu 22 Zeilen, im Kalender zu 21 Zeilen. Roter Maroquinband des 17. Jahrhunderts auf fünf echte Bünde, mit einfacher goldener File tenrahmung auf den Deckeln, Marmorpapiervorsätzen, Goldschnitt. Komplett und ausgezeichnet erhalten. Pierre Palmier (gest. 1555), der in Neapel geborene, wohl in Lyon aufgewachsene Franzose, ab 1527 Erzbischof von Vienne, unter dessen Episkopat die dortige Kathedrale vollendet wur de, hat sich auf einer Miniatur, die diesem Stundenbuch vorangestellt wurde, in Anbetung des Gnadenstuhls mit seinem Wappen portraitieren lassen. Text fol. 2: Kalender in Latein, fortlaufend geschrieben, jeder Tag besetzt: Feste in Gold, Sonntagsbuchstaben A in Gold, Sonntagsbuchstaben b-g in Braun, Tageszählung in ara bischen Ziffern in Braun, römische Tageszählung in Blau. Rigoberti episcopi (8.1.), Gil berti confessoris (4.2.), Pauli episcopi Narbonis (22.3.), Ruperti episcopi (27.3.), Proch orii martiris (9.4.), Gervasii und Prothasii (19.6.), Clodoaldi confessoris (7.9.), Martin als Fest (11.11.), Edmundi regis et martyris (20.11.), Genovefe de mi arde (26.11.), Melerij episcopi (16.12.), Sabini episcopi et martyr (30.12.).
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fol. 10v: Perikopen: Johannes (fol. 10v), Lukas (fol. 11v), Matthäus (fol. 12v), Markus (fol. 13v); Johannesp assion: Egressus est (fol. 14v), nach Rubrik auf fol. 14. fizium für den Gebrauch von Rom, mit drei Psalmengruppen für die fol. 20: Marienof Wochentage zur Matutin: Matutin (fol. 20), Laudes (fol. 31), Prim (fol. 38v), Terz (fol. 41v), Sext (fol. 43), Non (fol. 45v), Vesper (fol. 49v), Komplet (fol. 54). fol. 58: Horen von Heilig Kreuz (fol. 58), Heilig Geist (fol. 61)und Empfängnis Mariä (fol. 63v). fol. 67v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 73v); darunter Gervasius und Prothasius, Diony sius und Genovefa sowie, neben Franziskus und Dominikus, auffällig die Franziskaner Bernhardin von Siena und Bonaventura. fol. 79: To ten of fi zi um, für den Gebrauch von Rom: Vesper (fol. 79), die weiteren Horen mit einer Rubrik bezeichnet: Matutin (fol. 83), Laudes (fol. 96). fol. 104v: Gebete zur Eucharistiefeier: In elevatione corporis domini (fol. 104v), in elevati one calicis (fol. 105), inter elevatione corporis xpi (fol. 105v), quando capitur pax (fol. 106), gefolgt von weiteren Gebeten vor, während und nach der Kommunion und dem Gebet des heiligen Gregor: Domine i(e)h(s)v Christe adoro te (fol. 109v), es folgen die Marien gebete redigiert für einen Mann: Stabat mater (fol. 110v), Obsecro te (fol. 112), O intemerata, an Maria und Johannes, (fol. 113v). fol. 115v: Suffragien: Trinität (fol. 115v), Vater (fol. 115v), Sohn (fol. 116), Hl. Geist (fol. 116v). Am Kirchenjahr orientierte Folge: Geburt Christi (fol. 116v), Beschneidung (fol. 117), Epi phanie (fol. 117v), Hl. Kreuz (fol. 118), Ostern (fol. 118v), in diebus rogationum, also für Montag bis Mittwoch der 5. Woche nach Ostern (fol. 119), Himmelfahrt (fol. 119), Pfingsten (fol. 119v), Fronleichnam (fol. 119v). An der Litanei orientierte Folge: Michael (fol. 120), alle Engel (fol. 120v), Johannes der Täufer und Petrus (fol. 121), Paulus (fol. 121v), Andreas und Johannes der Evangelist (fol. 122), Jakobus (fol. 122v), Thomas (fol. 123), Philipp und Bartholomäus (fol. 123v), Mat thäus und Simon und Juda (fol. 124), Matthias (fol. 124v), Markus (fol. 125), Lukas (fol. 125), alle Apostel (fol. 125v), Laurentius (fol. 126), Sebastian (fol. 126v), alle Märtyrer (fol. 127), Gregor und Hieronymus (fol. 127v), Augustinus (fol. 128), Ambrosius und Martin (fol. 128v), Nikolaus (fol. 129), Claudius (fol. 129v), Rochus (fol. 130), alle Bekenner (fol. 130v, Rubrik auf fol. 130), Maria Magdalena (fol. 130v), Katharina und Margarete (fol. 131), Barbara (fol. 131v), Apollonia (fol. 132), Genovefa (fol.132v), alle Jungfrauen (fol. 133), alle Heiligen (fol. 133v). fol. 134 Textende.
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Schrift und Schriftdekor In einer sehr edlen Antiqua ist dieses Manuskript geschrieben, wie sie für Stundenbü cher nur zögernd eingesetzt wurde, wie wir sie aber in unserem Stundenbuch Nr. 63 vom Meister des Gouf fi er-Psalters wiederfinden, wo außerdem die freihändige Vertei lung und wechselnde Größe der Miniaturen zu vergleichen wäre. Die Wahl der im italie- nischen Humanismus entwickelten Schrift bedingt zugleich, daß man sich vom Hor ror vacui des Spätmittelalters löst und Zeilen freiläßt, vor allem aber kurze Rubriken in sonst leere Zeilen so einträgt, daß die umgebende Leere zum Gestaltungsmerkmal wird. Das bedeutet freilich nicht, daß man im Textblock die Zeilenfüller aufgäbe. Zur fort schrittlichen Buchkultur gehören auch die Seitentitel, die man zwar für großformatige Texthandschriften kannte, in Gebetbüchern aber vermied. Die Zeit der Bordüren ist endgültig vorbei; ihre Funktion übernehmen die Architektu ren, die ausschließlich auf bebilderten Seiten als Rahmung eingesetzt sind. Sie sind nüch tern konzipiert, unbelebt, nur sparsam dekoriert, aber nicht nur mit Pinselgold, sondern bei Säulenschäften auch mit Buntfarben gestaltet. Die Bilder Dem Kalender vorangestellt ist, von wuchtigen Säulen gerahmt, eine ganzseitige Mini atur (fol. 1v), die Pierre Palmier betend zur Erscheinung des Gnadenstuhls im Himmel zeigt. Als Erzbischof im Chormantel hat er die Mitra auf den Prie-dieu gelegt, der das Wappen seines Hauses – drei goldene Palmwedel auf Blau – trägt. Vor dräuend dun kelblauem Fond öffnet sich ein Wolkenkranz; darin zeigt sich auf Pinselgoldgrund der greise Vater mit Taube und dem Kruzifix. Der traditionellen Konzeption der Miniatur entspricht, daß kein Blickkontakt zwischen Beter und Gottvater hergestellt wird. Nur die erste Perikope ist bebildert; dabei greifen Maler wie Schreiber auf ganz und gar ungewohnte Weise ein Restfeld am Ende des Kalenders auf: Neunzeilig angelegt ist dort die Kombination des niedrigen Bildfeldes mit zwei Zeilen davor gespannter Rubrik, wie sie sonst nie vom Kalender aus den Text vorbereitet: Der jugendliche Johannes auf Pat mos, freigelassen (fol. 10v), wendet sich erregt zu einer himmlischen Vision, von der die Miniatur nur die auf die Erde fallenden goldenen Strahlen zeigt. Begleitet wird er von seinem stolzen Adler, der ebenso groß wie der junge Evangelist im Bildfeld erscheint. Das Bildfeld selbst ist von schmalen Leisten umgeben, Text, Bild und Rubrik sind dann von einer kräftigeren Renaissance-Architektur eingefaßt. Die Johannespassion leitet ein ähnlich am Textende in neun Zeilen untergebrachtes Bild mit Rubrik ein: Christus auf dem Ölberg (fol. 14): Während der Gottessohn betend vor dem Kelch mit der Hostie gezeigt wird, schlafen rechts neben ihm die drei Lieblings jünger. Petrus trägt bereits sein Schwert, das hier als krummer Säbel dargestellt ist, in der Hand, mit dem er später dem Soldaten Malchus bei der Gefangennahme das Ohr abschlagen wird.
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Zum Marienof fizium wird die Matutin traditionell von der Verkündigung (fol. 20) ein geleitet. In einem mit bunten Steinspiegeln verzierten Renaissance-Interieur betet Ma ria unter einem Baldachin, dessen Tuch lebendig ausschwingt und in seinen Farben mit dem Engel korrespondiert; denn die Innenseite ist im selben Rot wie Gabriels Gewand und die Außenseite im selben hellen Grün wie die Engelsflügel gehalten. Schwungvoll ist der Erzengel von rechts in das Gemach getreten und beugt die Knie, während er mit weit erhobener Hand auf die Taube des Heiligen Geistes deutet, die in der Mitte über beiden schwebt. Er trägt hier eine Art Peplos, der als das klassische Gewand par excellence zur Ausstattung des Interieurs paßt. In einem nur neun Zeilen hohen Bildstreifen zu den Laudes wird die Heimsuchung (fol. 31) als dynamische Begegnung Elisabeths, die links aus ihrem Haus getreten ist, und der Jungfrau Maria gezeigt. Vom Hügel öffnet sich der Blick nach links hinten in ein tieflie gendes Gewässer mit einer Stadt auf dem jenseitigen Ufer, als sei Maria, die eigentlich über’s Gebirg zu Elisabeth ging, von dort gekommen. Die Jungfrau, ganz in Blau und noch in Bewegung begriffen, wendet sich mit erhobenen Händen Elizabeth zu, die als verheiratete Frau ihr Haar in einer aufwendigen Kopfbedeckung verhüllt hat. Auch die Greisin, in Rot und Gelb gekleidet, scheint mit einem so rasanten Schritt auf die künf tige Gottesmutter zuzukommen, daß die Bänder und Säume ihres Gewandes im Win de flattern. Die Anbetung des Kindes (fol. 38v) zur Prim, wiederum neunzeilig und nur zufällig im Textverlauf am Anfang der Seite, ist von der gleichen festlichen Würde wie der gesamte Marienzyklus: Vom Stall ist nur eine hölzerne Stütze vor ruinösem Putz zu sehen. Doch wie schon zur Verkündigung wird Maria durch einen prächtigen grünen, innen rot aus geschlagenen Baldachin, der wie von göttlichem Hauch bewegt ist, ausgezeichnet. Sie hat die Hände elegant vor der Brust verschränkt, wie sie den nackten Sohn kniend anbetet. Während Ochs und Esel das auf einer Strahlenaureole gebettete Kind beschnuppern, kommt Joseph, der hier ungewöhnlicherweise als junger Mann mit braunem Haar und Bart erscheint, mit einer Kerze hinzu. Der selten so jung gezeigte Ziehvater trägt eine Kerze, um auf die Weihnacht zu weisen, in der das Ereignis sich zuträgt. Zur Terz erscheint wie üblich die Hirtenverkündigung (fol. 41v). Ein junger musizieren der und ein alter Hirte mit weißem Bart haben sich links und rechts niedergekniet, der art die Mitte des Bildes einem großen weißen Hirtenhund und den weidenden Schafen überlassend. Andächtig blicken die Männer zum Himmel auf, wobei die himmlische Erscheinung im Bild wie schon zur Johannesperikope für den Betrachter nur durch die goldenen Strahlen, die in das obere Bildfeld fallen, angedeutet wird. Zur Sext ist das vorgesehene Bildfeld so niedrig, daß die Figuren in der Anbetung der Könige (fol. 43) nur kniend in der Miniatur Platz finden. Maria hat unter ihrem Balda chin mit dem nackten Knaben auf dem Schoß Platz genommen, und in einer Geste gro ßer Verehrung knien alle drei Könige in der gewohnten Altersfolge vom Greis bis zum bartlosen Jüngling bereits vor dem Knaben, um ihre Gaben zu präsentieren.
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Zur Non wird die Darbringung im Tempel (fol. 45v) gezeigt, hier in einer ungewöhnli chen Formation: Simeon, an dessen Mitra ein goldener Halbmond prangt, steht links neben einem runden Tisch, der eher an ein zeitgenössisches Möbelstück denn an einen Altartisch erinnert (vgl. auch unsere Nr. 55), wohl aber mit einem weißen Tuch verse hen ist, das mit griechischen Kreuzen bestickt ist. Der Greis hält den nackten Jesuskna ben, der zu seiner rechts knienden Mutter zurückdrängt. Joseph, auch hier noch in bes ten Jahren, kommt mit einer Kerze hinzu und läßt so keinen Zweifel daran, daß das an Mariä Lichtmeß erinnert und nicht etwa die Beschneidung Christi gemeint ist. Die Flucht nach Ägypten (fol. 49v) zur Vesper erhält am Beginn der Seite mit 14 Zeilen ein ungewohnt hohes Bildfeld; es gibt dem Maler erneut Gelegenheit, eine lichtdurchflu tete bewegte Landschaft zu zeigen. Entlang eines kleinen Bächleins führt der Ziehvater den Esel, der die kostbare Fracht trägt. Maria hat ihren in einen purpurroten Rock ge kleideten Sohn auf dem Schoß zu sich genommen und gibt ihm die Brust; die idyllische Szene ist in erster Linie Pastorale und nicht dramatische Flucht, auch wenn der Ziehva ter sorgenvoll blickt. Das höhere Bildformat gilt dann auch für die Komplet mit einer majestätischen Ma rienkrönung (fol. 54): Vor goldenem Grund auf einer Wolkenbank kniet die Muttergot tes vor dem thronenden Gottvater, der vor dem gleichen bewegten Baldachintuch wie bisher Maria, mit langem weißen Bart, Mitra und Sphaira ausgestattet, die Hand seg nend über ihrem Haupt erhebt. Begleitet wird sie von einem großen Engel, der die Laute schlägt; sein roter Peplos fällt so herab, daß darunter die jugendliche Brust des eigentlich geschlechtslosen Geflügelten zum Vorschein kommt. Für die Matutin von Heilig Kreuz hatte der Schreiber offenbar nur eine große Initiale vorgesehen, so daß für die Kreuzigung (fol. 58) nur etwas mehr als die Hälfte des Text feldes in acht Zeilen Höhe zur Verfügung steht. Auf den Anfangsbuchstaben D verzich tet der Maler, weil er dann doch eine bewegte Komposition entwickeln will: Mächtig ragt das Kreuz vor einer ins Zwielicht getauchten Stadtsilhouette auf – mit Gold über dem Horizont und dunklem Blau oben. Links stehen Maria, Johannes und eine weite re trauernde Frau, rechts hingegen der berittene Centurio, der mit seinen Soldaten uns den Rücken zuwendet. Zur Matutin des Heiligen Geistes hat der Schreiber wieder die volle Breite für eine frei lich nicht sehr hohe Miniatur freigelassen; doch nutzt der Maler das recht niedrige Bild feld für eine erstaunlich dynamische Komposition mit dem Pfingstwunder (fol. 61). Um Maria, die mit der Taube die Mittelachse des Bildes bestimmt, haben sich die Apostel versammelt und blicken mit teils erregter Gestik nach oben, wo vor dunklem Grund die Taube erscheint und goldene Strahlen aussendet. Auch für die Bußpsalmen war nur eine elfzeilige Initiale vorgesehen; das dafür nötige D ist einzeilig in die rechte obere Ecke des Bildfelds gestellt. Dargestellt ist Davids Buße (fol. 67v). Vor dem Tor einer Stadt oder seines Palastes kniet der weißhaarige König und hat
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die Zeichen seiner Würde vor sich niedergelegt. Im Himmel über ihm erscheint wieder der Engel mit Stab und Schwert, wie in unserer Stilgruppe gewohnt (vgl. Nrn. 60 und 61). Das Totenof fizium eröffnet nach der Rubik am Seitenende mit der Darstellung von Hiob auf dem Dung (fol. 79). Während der nur in ein Leinentuch gehüllte Greis den Blick nach links abwendet, reden die beiden reich gekleideten Freunde heftig auf ihn ein. Die Suffragien, textlich das Auffälligste in diesem Stundenbuch, sind nur mit einem einzigen Bild geschmückt; diesmal hat der Schreiber nicht an eine Bildinitiale gedacht, sondern neben dem sechszeiligen Raum auch Platz für einen einzeiligen Buchstaben freigelassen. Dort wird der Gnadenstuhl (fol. 115v) wiederholt, wie er auf dem einzigen textlosen Vollbild am Anfang des Buches gezeigt war. Die letzte Miniatur des Stundenbuchs folgt der abschließenden Fürbitte an alle Heiligen. In einer Wappenminiatur von 19 Zeilen Höhe, die sich dem Textende anschließt, werden die Arma Christi (fol. 134) auf einem blauen Schild und als Helmzier gefeiert, die aus Dornenkrone, Martersäule, Hahn und Geißelwerkzeugen bestehen und vor schwarzem Grund von vier prächtigen rot-goldenen Akanthusranken hinterfangen werden. Zum Stil Alle Miniaturen sind in einer fortgeschrittenen Phase seiner Tätigkeit im Stil des Pari ser Buchmalers Étienne Colaud ausgeführt worden; sie folgen seinem Vorrat an Moti ven und verraten das charakteristisch graphische Verständnis von Formen und das klare Kolorit, das den Maler kennzeichnet. Der Umstand, daß sich der Auftraggeber in sei ner Bischofswürde zeigt, legt die Entstehung nach 1527 fest, also den Jahren, nachdem Étienne Colaud den Auftrag für die Statutenbücher des Michaelsordens erhalten hatte. Zu überlegen wäre, ob nicht neben Colaud ein weiterer Künstler am Manuskript mitarbeitete, nämlich der bei Cousseau, S. 89f., mit dem Manuskript des Dauphin Francois, n. a. lat. 104, erwähnte und mit zwei Miniaturen in Farbe abgebildete Martial Vaillant, der ab 1523 aktiv war und dies bis in die späten 50er Jahre hinein blieb. Beide Miniaturen, vor allem die Pfingstdarstellung (Cousseau, fig. 3) sind, trotz der Größenunterschiede und leicht abweichender Gruppierung, von einer überraschenden Ähnlichkeit, die es erlaubt, diesen namentlich dokumentierten Maler in die Zuschreibung unter Vorbehalt miteinzubeziehen. Komplett und ausgezeichnet erhalten ist dieses edle Manuskript in Antiqua. Als ein Beispiel aus der späten Zeit des handgeschriebenen Stundenbuchs hält sich der Text im wesentlichen an den alten Brauch, weicht aber in den Suff ragien spektakulär ab; die Ausstattung mit Suff ragien zu Fest en des Kirchenjahrs mag mit dem Auftragge ber zu tun haben: Pierre Palmier, Erzbischof von Vienne von 1527–1555. Doch zu gleich erstaunt überhaupt, daß ein so hoher Prälat für sein persönliches Gebet solche Suff ragien anlegen ließ! Der Pariser Buchmaler Étienne Colaud hat den Auftrag geber eindrucksvoll dargestellt und den Band dann, eventuell unter der Mitarbeit
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von Martial Vaillant, üppiger ausgestattet, als es der Schreiber vorgesehen hatte. So bietet das Manuskript Miniaturen unterschiedlicher Größe: vor allem ein ganzsei tiges Stifterbild in Renaissance-Architekturrahmung und eine große Wappenmale rei, die den heute gewohnten Begriff der Arma Christ i für die Passionswerkzeuge in ungewohnter Weise wörtlich nimmt. Sollte unsere Vermutung hinsichtlich des bis lang fast unbekannten Martial Vaillant zutreffen, wäre damit ein organischer Zu sammenhang zwischen Étienne Colaud und dem Meister des Gouffier-Psalters ge schaffen. Literatur Das Manuskript ist unveröffentlicht.
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63 Das Stundenbuch des Pierre Duchesnay und seiner Frau Antoinette Cain: Ein unbekanntes Werk von dem Meister des Gouf fier-Psalters
STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Paris. Lateinische und französische Handschrift auf Pergament, in schwarzer humanistischer Schrift, mit roten Rubriken. Paris, ca. 1535–1545: Meister des Claude Goufer-Psalters (Charles Jourdain?) Vierzehn Bilder unterschiedlicher Größe in Ädikulen, die den ganzen Textspiegel mit der Miniatur einfassen und mit Köpfen sowie in neun Fällen mit einer großen CamaïeuFigur besetzt sind – auf diesen Seiten zweizeilige Initialen auf Pinselgold; dreizehn Bilder in voller Breite des Textspiegels, über 5 bis 15 Zeilen Text, ein achtzeiliges Bild als Hochrechteck im Textspiegel; keine Bordüren. Kleinere Initialen in Pinselgold auf Feldern im Wechsel von Rot, Blau, Rot und Grün mit goldener Verzierung: Psalmenanfänge zweizeilig, Psalmenverse, am Zeilenbeginn, einzeilig. Versalien gelb laviert. 138 Blatt Pergament, dazu ein Doppelblatt Pergament und ein Doppelblatt leeres Papier vorn, ein Binio Pergament hinten. Gebunden in 18 Lagen, vorwiegend zu acht Blatt ohne bewußte Zäsuren; davon abweichend nur die Eingangslage 1 (4), die um das erste Blatt ergänzte Lage 2 (8+1), die um das zweitletzte Blatt beraubte Lage 10 (8-1) sowie die im Textverlauf unregelmäßige Lage 15 (8). Keine Reklamanten. Zu 19 Zeilen in Text und Kalender, Reglierung nicht sichtbar. Duodez (138 x 90 mm; Textsiegel: 92 x 60 mm). Bis auf ein Blatt vollständig, sehr schön und breitrandig erhalten. In einem modernen Holzdeckel-Einband, bezogen mit gemustertem Samt des 19. Jahrhunderts. Goldschnitt. Mit Einträgen der Familie Duchesnay aus Compiègne, von der Heirat des Pierre Duchesnay und Antoinette Cain am 25. Februar 1642 bis 1701 auf den Blättern, die dem Buchblock vor- und nachgeschaltet sind. Zuletzt französischer Privatbesitz. Der Text fol. 1: Kalender, fortlaufend geschrieben, in lateinischer Sprache, nicht jeder Tag besetzt: Fese in Rot; einfache Heiligentage und Sonntagsbuchsaben b-g in Braun; Sonntagsbuchsaben A als goldene Initialen auf abwechselnd roten und blauen Feldern. Die Heiligenauswahl entspricht mit Genovefa (3.1.), Dionysius (9.10.) und Marcellus (3.11.) Pariser Brauch. fol. 12: Perikopen: Johannes als Suffragium (fol. 12), Lukas (fol. 13), Matthäus (fol. 14), Markus (fol. 15). fol. 15v: Johannes-Passion mit Schlußgebet Deus qui manus tuas. fol. 23: Gebet vor dem Marien-Ofzium: O(raci)o dicenda ante horas: Clementissime domine deus.
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fol. 23v: Marien-Of fizium für den Gebrauch von Paris, mit Textänderungen im Laufe des Kirchenjahrs für die Matutin, eingeschaltet die Horen von Heilig Kreuz und Heilig Geist: Matutin mit drei Nokturnen, also neun Psalmen und neun Lesungen (fol. 23v), Laudes (fol. 41v), Kreuz-Matutin (fol. 50), Geist-Matutin (fol. 51), Marien-Prim (fol. 52), Marien-Terz (fol. 57v), Marien-Sext (fol. 62), Marien-Non (fol. 66), Marien-Vesper (fol. 70), Marien-Komplet (Anfang fehlt vor fol. 76). fol. 80v: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 89); die bescheidene Heiligenauswahl mit Marcel lus und Genovefa weist auf Paris. fol. 93v: To ten of fi zi um: Vesper (fol. 93v), Matutin (fol. 96v), Laudes (fol. 115). fol. 123v: Suffragien: Trinität (fol. 123v), Gottvater (fol. 124), Jesus (fol. 124v), Heilig Geist (fol. 124v), Salve sancta facies (fol. 125), Michael (fol. 126), Johannes der Täufer (fol. 126v), Johannes der Evangelist (fol. 126v), Peter und Paul (fol. 127), Alle Apostel (fol. 127v), Stepha nus (fol. 127v), Lorenz (fol. 128), Sebast ian (fol. 128v), Alle Märtyrer (fol. 129), Nikolaus (fol. 129v), Claudius (fol. 129v), Antonius Abbas (fol. 130v), Dionysius (fol. 131), Marcel lus (fol. 131), Rochus (fol. 131v), Maria (fol. 132), Anna (fol. 132v), Maria Magdalena (fol. 133), Katharina (fol. 133v), Margareta (fol. 134), Barbara (fol. 134v), Apollonia (fol. 135). fol. 136: Gebete zur Messe und Gebete von Kirchenvätern: vor der Kommunion: Domine non sum dignus (fol. 136), nach der Kommunion: Vera perceptio corporis (fol. 136). fol. 136v: Sieben Verse des heiligen Gregor: O domine ih(es)u xp(ist)e adoro te in cruce pendentem. fol. 137v: Gebet des heiligen Augustinus: Deus propicius esto michi peccatori. fol. 138: Textende; fol. 138v ursprünglich leer. Schrift und Schriftdekor Das Buch vertritt, wie schon die vorherige Nr. 62, eine neue Zeit: Geschrieben in einer edlen humanistischen Antiqua, auf Blättern, die nicht mehr sichtbar regliert sind, bewegt sich das Layout zwischen dem alten Horror vacui und der Freiheit, Räume großzügig freizulassen. Bei diesem Eindruck spielt freilich eine Tatsache mit: Wenigstens stellen weise blieben die Rubriken leer, so in Partien des Marien-Of fiziums. Der Kalender mit seinen aus inhaltlichen Gründen zuweilen leeren Zeilen steht in einem gewissen Gegen satz zu den Psalmen, deren Verse jeweils am Zeilenbeginn einsetzen und bei der zierli chen Schriftgröße viele Zeilenfüller zur Folge haben. Die charakteristische Farbfolge der Buchstabenfelder, bei denen Rot abwechselnd mit Blau und Grün alterniert, sorgt auch bei den Zeilenfüllern durch das lebendige Grün für kräftige Farbakzente.
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Die Bildfolge fol. 12: Von den Perikopen erhalten nur die Texte aus dem Johannes-Evangelium Bild schmuck: Nur vier Zeilen hoch ist das Bildfeld für Johannes auf Patmos (fol. 12): In er regter Bewegung, eine Hand auf einem geöffneten Buch, die andere zum Himmel erho ben, kniet der jugendliche Evangelist in der Landschaft; auch der Adler wirkt bewegt, wie er so mit den Flügeln schlägt. In der Rahmenarchitektur mag eine antikische Herme mit einem gehörnten Wesen, das Libellenflügel hat, den Teufel oder einen Satyr meinen. Für das Gebet im Garten Gethsemane zur Johannes-Passion (fol. 15v) sind sieben Zeilen freigelassen: In der Bildmitte kniet Jesus, weit nach hinten gerückt, im Gebet zum En gel, der in einem roten Gewand vor goldenem Grund erscheint und ihm das Kreuz, nicht den Kelch bringt. Vorn liegen die Lieblingsjünger, Petrus und Johannes links, Jakobus rechts, in tiefem Schlaf. Ein antikisch gerüsteter Krieger steht in der Rahmenarchitektur. Im Marien-Of fizium sind unterschiedlich große Bildräume für den gewohnten Zyklus zu den einzelnen Marien-Stunden und die Matutin von Heilig Kreuz und Heilig Geist frei gelassen: Die Marienverkündigung zur Matutin (fol. 23v) spielt vor schwarzem Grund. Marias Baldachin geht vom linken Bildrand aus und überfängt ihr rot ausgeschlagenes Bett und ihr Betpult. Vom Buch, das dort aufgeschlagen ist, wendet sie sich mit erschro ckener Geste nach rechts zum Engel um, dessen entschieden gestreckter rechter Zeige finger vor der Lilienvase in der Mitte fast Marias abwehrende Hand berührt. Er trägt eine Art Peplos aus Purpur und Grau und dazu wunderbar bunte Flügel. Die Taube des Heiligen Geistes erscheint in einer goldenen Gloriole über dem Haupt der Jungfrau; ihre Heiligkeit wird nur durch einen zarten goldenen Schein ausgedrückt. Bei der Heimsuchung zu den Laudes (fol. 41v) kommt Maria mit einem gewissen Schwung von links; ihr ist Elisabeth entgegengeeilt, die noch gar keine Zeit hat, vor der Jungfrau in die Knie zu sinken, wo sie doch schon die Rechte ausgestreckt hat, um den gesegne ten Leib der Jungfrau zu fühlen. Ein Baum rechts grenzt die Hauptgruppe von einem jünglingshaften Engel ab, der in gleicher Größe wie die beiden Frauen auftritt, diesmal als Begleiter Elisabeths und nicht Marias. Ein zweiter Engel, allerdings im goldenen Ca maïeu des Rahmens, erscheint in diesem links. Die Horen eröffnen mit den vertrauten Bildthemen: Die Matutin von Heilig Kreuz ist mit der Kreuzigung (fol. 50) kenntlich gemacht: Im Breitformat wirkt Christus eigen tümlich klein und geradezu gedrückt; er wird wie in unserer vorigen Nummer nicht nur von Maria und Johannes, sondern auch von Magdalena beweint, die am Kreuzesstamm unten kniet und im Profil untröstlich zum toten Erlöser aufblickt. Nur Maria verkör pert hier Ruhe, wie sie geradezu distanziert dasteht und betet, während Johannes mit weitem Schritt herangeeilt zu sein scheint. Ein Schädel benennt die Stelle als Golgatha. Felsen türmen sich hinter der Muttergottes, Bäume stehen hinter dem Lieblingsjünger. In der Mitte hinter dem Kreuz tauchen Stadtmauern vor dem Blau der Ferne auf. Die nackte Männerfigur in der Rahmenarchitektur mit ihrer Blattranke über der Scham (die darunter trotzdem gut sichtbar gemacht wird) wird wohl – auch durch den Apfel in der
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Linken – Adam meinen und im Bezug zu Chrisus als dem zweiten Adam sehen. Die Horen von Heilig Geis werden durch das Pfingstwunder (fol. 51) ausgewiesen: Zwischen monumentalen Pfeilern verbreitet die Taube ihr goldenes Licht, das nach außen feurig rot wird. In kleinen Gesalten, die geschickt in zwei Raumtiefen verteilt sind, erscheinen die Aposel, vorn zwei, der linke von ihnen is Johannes, um die sitzende Maria kniend, die von ihrem Buch aufschaut und die Hände zum Gebet hebt. Petrus is noch am linken Rand zu erkennen; die anderen sehen in der Raumtiefe unter dem überwältigenden Lichtschein. Die Taube erscheint ein zweites Mal als Architekturzier im Rahmen. Zur Anbetung des Kindes zur Prim (fol. 52) sind bereits die Hirten geeilt. Maria sitzt in der Mitte des Bildes, neben ihr hat sich Joseph niedergelassen; er is ein Mann besen Alters, wie man ihn im 16. Jahrhundert häufiger dargesellt hat. Links knien zwei Hirten, ein dritter kommt von hinten. Schauplatz is eine öde Fläche voller Geröll, mit Gebäuden, deren Troslosigkeit wirkt, als seien hier Kriegszersörungen zu beklagen: Ehemals prächtige Architektur is nur noch Ruine, bizarr hebt sich Gebälk eines zersörten Daches gegen den Himmel ab. In dieser manierisischen Szenerie eilt hinten ein Mann durch ein Tor. Ochs und Esel halten sich im Freien auf, hinter Joseph und Maria. Von großem äshetischen Reiz is die Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 57v), deren Einschaltung sich über die Anwesenheit der Hirten schon zur Prim hinwegsetzt: Man blickt über die Hirten, die mit ihrem aufmerksam zum Himmel aufschauendem Hund eine Art Rahmen bilden, in die weite Landschaft, zur Schaf herde in der Tiefe und dann zu dem wilden Gewölk, über dem der Engel des Herrn in goldenem Schein schwebt. Eine am Rahmen befesigte Herme mit dem Hirtengott Pan, der aus einer Art Feldflasche trinkt, verbindet antike Tradition in humanisischem Sinn mit der weihnachtlichen Pastorale im Bild. Die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 62) spielt eher vor einem Stall als das Weihnachtsbild zur Prim. Links lehnt Joseph zwar an einer leuchtend hellen klassischen Architektur; dahinter aber seht der dunkle Stall mit dem Ochsen. Vorn sitzt Maria auf einer gemauerten Brücke. Vor ihr kniet der ältese König, während der mittlere mit der hier üblichen lebendigen Bewegung herankommt und der Mohrenkönig sill verweilt. Der jugendlich wirkende Joseph bringt die Kerze zu Lichtmeß, während Maria vor dem Altar bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 66) kniet. Mehrere Prieser scharen sich um das nackte Kind, das auf einem Tuch auf dem Altar sitzt. Die goldene Schale erklärt sich vielleicht aus einer Vermischung des eigentlich gemeinten Themas mit der Beschneidung; die würde auch das Treiben der Prieser besser erklären. In der Tür hinten seht eine hinreißende manierisische Männerfigur. Ein Standbild des gehörnten Moses mit den Gesetzesafeln im Rahmen zeigt, wie nah Götter wie Pan und Patriarchen wie Moses im Manierismus einander kamen. Von besonderer Dramatik is die Flucht nach Ägypten zur Vesper (fol. 70): Maria, die mit dem Kind auf dem Esel reitet, is ganz an den linken Bildrand versetzt; dort wendet sich der Jesusknabe zu drei Engelköpfchen, die in Wolken auftauchen, während der wie-
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der ganz jugendliche Joseph mit wehendem Mantel voraus schreitet. Ein bärtiger Mann in Rüstung erscheint in der Rahmung, vielleicht in Anspielung auf die Soldaten, die der Heiligen Familie folgen. Neben dem antiquarischen Sinn brachte die neue Zeit in alte Bildtraditionen auch das Interesse für den Körper; das macht aus Bathsebas Bad zu den Bußpsalmen eine bemer kenswerte Darstellung: Im Breitformat nimmt das Becken, in dem die nackte Bathseba steht, die linke Bildhälfte ein; von rechts naht, wieder mit dem charakteristischen Bewe gungs-Schwung, eine Dienerin in buntem Gewand, um der schönen Herrin rote Früch te anzubieten. Hinter ihr erhebt sich Davids Palast; und von einem Bogenfenster aus blickt der König auf die Frauen. Mit der weiblichen Scham spielt die Figur im Rahmen; sie trägt eine Art Peplos und rafft den Saum des Gewandes, wobei vielleicht bewußt un klar bleiben soll, ob sie mit nackten Brüsten dasteht. Hiob auf dem Dung eröffnet hier, wie zur gleichen Zeit sonst auch, das Toten-Of fizium (fol. 93v): Die Bewegung führt von links nach rechts. Der älteste der drei Freunde redet auf den Dulder ein, während Hiobs Frau mit großer Geste auf den muskulösen Greis weist, der auf dem Mist sitzt, merkwürdigerweise vor einem monumentalen Steinsockel, der zwei Säulen trägt. Den fast nackten Hiob persifliert in der Rahmung ein nackter Sa tyr mit einer langen Flöte (und, nebenbei, erigiertem Glied!). Zu den Suffragien wird nur die Trinität in einem Kleinbild dargestellt: Die Not Got tes – im Bildtitel des Spätmittelalters Pitié de notre Seigneur – verkörpert die Dreieinig keit (fol. 123v): Gottvater sitzt als Greis auf Wolken, mit der päpstlichen Tiara gekrönt, hält er den toten Sohn auf dem Schoß, während die Taube über Christi Haupt schwebt. Der Maler Die Malerei entstand bereits kurz vor der Mitte des 16. Jahrhunderts. In der Figuren bildung, der italienisch geprägten Gewandung und der heftigen Bewegung hat sich ein Manierismus durchgesetzt, wie er für die Zeit Heinrichs II . von Frankreich charakte ristisch ist. Den Maler findet man in zahlreichen bemerkenswerten Handschriften und Frühdrucken der Zeit um 1550 wieder: Er hat für das Stundenbuch des Claude Gouf fier unter anderem die Szene der Heimsuchung, M. 538 der New Yorker Pierpont Mor gan Library, gemalt (siehe den Ausst.-Kat. von Roger Wieck, Painted Prayers, New York 1997, Nr. 42). Dort sind in viel größerem Format die wesentlichen Charakteristika auch unserer Miniatur wieder zu erkennen: die Heftigkeit der Bewegung, die Buntheit, die steilen Proportionen der Figuren und die Liebe für das Profil. Der Auftraggeber Claude Gouf fi er gehörte zu den wichtigsten Persönlichkeiten an Heinrichs II . Hof: Er lei tete das Kabinett des Königs und war Grand Écuyer de France. Sein Schloß d’Oiron in Écouen richtete er neu ein; er baute die dortige Galerie, in offenbarem Wettstreit mit Fontainebleau, und sammelte Kunstwerke aller Art. Das Schloß in Écouen, heute das Musée national de la Renaissance, hat das Engagement des Grand Écuyer für die Kunst in einer großen Ausstellung 1994/95 gefeiert. Gouffiers bedeutendste Handschrift war das großformatige Stundenbuch, ehemals bei Firmin-Didot, dessen Blätter nicht nur in
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New York, sondern über die Welt verstreut zu finden sind (Ausst.-Kat. Livres d’heures royaux, Écouen 1993, Nr. 14). Hinzu gehört auch der – ganz von seiner Hand stammen de – Psalter des Claude Gouf fi er, Paris, Arsenal, Ms. 5095 (ebenda, Nr. 9 – nach ihm ist unser Künstler benannt). Sogar besonders soigniert ausgemalte gedruckte Stundenbü cher wie Vélins 1581 der Pariser Nationalbibliothek (ebenda, Nr. 25) und ein weiteres in unserem Besitz, reihen sich hier ein. Da auch das Stundenbuch von Gouffiers Ehe frau, Marie de Gaignon, zur selben Stiltendenz gehört (ebenda, Nr. 16), schließt sich der Kreis. Wie geschätzt unser Meister von den bedeutendsten Büchersammlern der Zeit war, ersieht man auch daraus, daß er zum berühmten (dritten) Stundenbuch des Anne de Montmorency, heute in Chantilly, nicht weniger als fünf Miniaturen beisteuerte (fol. 1v, 2, 13v, 52v und 58v, wobei letztere im Katalog L’art du manuscrit de la Renaissance en France, Chantilly 2001, auf S. 61 in Farbe abgebildet ist). Von unserem Meister stammt auch das Stundenbuch der Katharina von Medici, Königin von Frankreich, heute im Vatikan: Vat.lat.14936, siehe Morello, Die schönst en Stundenbücher der Bibliotheca Vatic ana, 1988, S. 96: Tafel xxiv, und Abb. 18, 45, 105, 120! Dazu das Manuskript aus der ehemaligen Sammlung Robert Hoe: datiert 1537 für Fr. du Guélin, Katalog Hoe III , 2468, und Katalog Grolier Club, Ill. Mss. 1892, Nr. 53: Abb. auf Tafel vor S. 27. Wir haben es also hier mit einem Illuminator hohen Rangs zu tun, der um 1535 bis 1550 für hohe und höchste Persönlichkeiten des Hofes wie den Écuyer de France Claude Gouf fier und dessen Gemahlin Marie de Gaignon Handschriften und Frühdrucke ausmalte. Er gehört zu den letzten großen Meistern der Buchmalerei überhaupt. Jede Spur eines solchen Künstlers ist kostbar; und so zeigt sich an unserem kleinen Stundenbuch ein As pekt dieser Kunst, den man angesichts der großformatigen Arbeiten vergißt: Der Meis ter des Claude Gouf fi er-Psalters, der vielleicht mit Charles Jourdain identifiziert werden darf, der für die Illumination von Gouffiers Stundenbuchdrucken 1558 bezahlt wurde (siehe Horae VIII , Nr. 141.4), hat also auch im normalen Stundenbuchformat elegante Handschriften ausgeführt, in denen sich nichts vom Zauber seiner Kunst verliert: Im Gegenteil scheint er gerade in der räumlichen Beschränkung zu besonderer Eleganz zu finden. Besonders bemerkenswert sind dabei die manieristischen Züge, die sich in den Rahmenarchitekturen mit ihren großen Hermen am besten ausdrücken. Hier lebt ein von der Antike insp irierter Sinn für das Nackte, das Faunische, der wenigstens punktu ell in bemerkenswerter Spannung zum religiösen Inhalt stehen kann. Ein nahezu vollständig erhaltenes Stundenbuch aus der letzten Blütezeit der Gat tung, das mit Schrift und Layout, mit den manierist ischen Rahmen und dem leben digen Kolorit, der heftigen Bewegtheit seiner Figuren und der Art, wie die herkömm lichen Bildthemen neu gestaltet sind, vorzüglich in die Zeit Heinrichs II . um die Mitte des 16. Jahrhunderts paßt. Es wurde von einem der herausragenden Buchma ler jener Zeit illuminiert. Dieser Künstler, dessen Hauptwerke für den Grand Écuy er de France Claude Gouf fi er entstanden sind, der aber auch vom Marschall Anne de Montmorency und sogar von Königin Katharina von Medici für ihre Stundenbücher herangezogen wurde, gehört zu den großen Meist ern der manierist ischen Malerei,
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die man in Frankreich um Fontainebleau gruppiert. Vielleicht haben wir es hier mit jenem Charles Jourdain zu tun, dessen Name im Umfeld des Claude Goufer fällt, weil er für die Illuminationen von dessen gedruckten Stundenbüchern namentlich bezahlt wurde und man nicht umhin kann, seine künstlerische Handschrift auch in diesem Kodex auszumachen. Literatur LM NF VI , Nr. 32.
Auss.-Kat. Livres d’heures royaux, Écouen 1993. Auss.-Kat. Les trésors du Grand Écuyer. Claude Gouffier, collecionneur et mécène de la Renaissance, Écouen 1994/95, insbes. S. 108-114.
64 Das erste Stundenbuch des Anne de Montmorency, Connétable de France unter François Ier, mit herrlichen Miniaturen von Noël Bellemare
STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift mit Kalender, Rubriken in Rot, Blau und Gold, geschrieben in schwar zer und dunkelbrauner Ferehumanisica, auf Pergament. Paris, um 153038: Von Noël Bellemare und dem Meiser des François de Rohan für Anne de Montmorency nach einer Vorlage von Étienne Colaud gesaltet 48 Bilder, davon neun ganzseitige Miniaturen in manierisischen Zierarchitekturen in Pinselgold, eine Wappenminiatur und ein späteres Frontispiz, sechs große Kopf bilder in Renaissance-Rahmen in Pinselgold und 31 Kleinbilder, dazu auf jeder Textseite vierseitige Bordüren, auf Pinselgold oder Farbe mit Akanthus, Blumen, Blattranken, Vögeln und Insekten – entweder in erfindungsreichen Kompartimenten französischer Tradition oder in der Art flämischer Streublumenbordüren oder italianisierend mit Kandelabern und Grotesken, darein verwoben gelegentlich Spruchbänder; in vom Schreiber leer gelassenen Resfeldern auf Verso-Seiten vor größeren Textanfängen blaue Kartuschen mit den Rubriken. 2- bis 4-zeilige Initialen in Blau oder Rot mit dichter Weißhöhung auf Pinselgold oder auf rotem Grund mit goldenem Binnenfeld bzw. in Gold auf blauem Grund mit weißem Liniendekor; 2- bis 4-zeiligen Initialen mit Streublumen, Früchten oder Insekten; einzeilige Initialen und Paragraphenzeichen in Pinselgold auf Rot oder Blau mit Linien dekor, Weiß auf Gold oder Gold auf Blau, Zeilenfüller in gleicher Art oder als Knotensöcke in Pinselgold; auf den ergänzten Blättern 1 bis 2zeilige Initialen in Blau auf Gold mit rotem Liniendekor. Versalien nicht farbig hervorgehoben. 133 Blatt Pergament, dazu hinten ein leeres Vorsatz aus Pergament sowie Marmorpapier als feses und fliegendes Vorsatz vorn und hinten. Gebunden vorwiegend in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die Kalenderlage mit dem frühesens 1538 hinzugefügten Wappenbild 1 (6+1), die zweite Lage des Marienoffiziums 6 (81+2) mit den zusätzlichen Miniaturen für die Matutin von HeiligKreuz und HeiligGeis, Lage 7 (8+2) mit zwei eingefügten Miniatu ren zur Eröffnung der Mariensunden und Lage 8 (8+1) mit einer weiteren eingefügten Mi niatur. Keine Reklamanten. Zu 22, im Kalender zu 33 Zeilen, rot regliert. Oktav (200 x 135 mm; Textspiegel 130 x 73 mm). Komplett, vielleicht bis auf ein Blatt vor der MarienKomplet, und glänzend schön erhalten. Gebunden in Haifischleder (Galuchat, 18./19. Jahrhundert?) auf sechs sichtbare Bünde; zwei moderne Silberschließen. Dieses is das erse bekannte Stundenbuch für Anne de Montmorency; sein zweites präsentie ren wir hier als Nr. 65: Auf fol. 7 seht sein Schild mit dem Schwert seines Amts als Konne tabel in einer ganzseitigen Miniatur: D’or à la croix de gueules cantonnée de seize alérions de sable ordonnés 2 et 2 (auf Gold ein rotes kantonniertes Kreuz mit 16 Vögeln in Schwarz – eigentlich Blau – angeordnet 2 und 2). Auf fol. 123/123v findet sich sein Monogramm AM in der Bordüre zu den Suffragien von Johannes dem Täufer und Johannes dem Evangelisen;
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damit wird sein Vorname als Abkürzung von Johannes (im Deutschen wäre es Hannes) und nicht in Analogie zu Maria als Beiname für Männer als Anna definiert. Anne de Montmorency (1493–1567) war wohl der wichtigste französische Staatsmann in der Regierungszeit von François Ier (1494–1547, am 25.1.1515 gekrönt). Als enger Vertrauter begleitete er den französischen König bei den militärischen Kampagnen in Italien und wurde mit ihm 1525 nach der Schlacht von Pavia gefangengenommen und kehrte mit ihm ein Jahr später nach dem Vertrag von Madrid zurück. 1538 wurde er zum Konnetabel von Frankreich ernannt, erhielt also das höchste militärische Amt im Königreich. Erst zu dem Zeitpunkt wird das Wappen gemalt worden sein; es versteht sich als Nachtrag zum Grundbestand des Buchs. Verheiratet war er mit Madeleine de Savoie (um 1510–1586). Für die französische Kultur der Renaissance wirkte er insbesondere durch die Errichtung des gut erhaltenen Schlosses von Écouen sowie des im 19. Jahrhundert überbauten Schlosses von Chantilly. Um 1930 war das Manuskript im Besitz des spanischen Adligen Don Diego de Funes: Jesus Domínguez Bordona, Manoscritos con pinturas II, Madrid 1933, Nr. 2139, Abb. 737; zu letzt in einer weiteren spanischen Privatsammlung. Der ursprüngliche Text fol. 1: Kalender in Latein, jeder Tag besetzt, Heiligentage in Schwarz, Festtage in Blau oder Rot, Goldene Zahl in Blau, Sonntagsbuchstaben b-g in Schwarz, Sonntagsbuch stabe A in Pinselgold auf roten oder blauen Flächen; die Heiligenauswahl mit Rigoberti (8.1.), Launomari (18.1.), Anselmi (18.3.), Wulfranni (20.3.), Gaucherii (9.4.), der Mut ter des hl. Augustinus Monica (4.5.), Gothard, Abt von Hildesheim (5.5.), Claudius als Festtag (6.6.), Leofredi (21.6.), Rochus als Festtag (16.8.), Clodoaldi (7.9.), Geraldus, Bi schof von Orléans (13.10.), Papst Melchiadis (10.12.) und Ursinus (30.12.) eher univer sal, der Festtag der heiligen Anna (26.7.) als ein möglicher Hinweis auf den Konnetabel Anne de Montmorency, der jedoch wohl eher eine Kurzform von Johannes als Namen trug, als hohes Fest in Blau hervorgehoben. fol. 7: Wappen und Vollbild auf Verso. fol. 8: Perikopen: Johannes (fol. 8), Lukas (fol. 8v), Matthäus (fol. 9v), Markus (fol. 10v). fol. 12: Passion Christi nach Johannes. fol. 18v: Mariengebete, für einen Mann redigiert: Obsecro te (fol. 18v), O intemerata (fol. 21), gefolgt von den Grüßen zu den fünf Marienfesten (salutations des cinq festes de la vierge): Ave cuius conceptio (fol. 23v) und dem Mariengebet Stabat mater dolorosa (fol. 24v) und einem zu Ehren der Jungfrau am Sonntag gebeteten Missus est gabriel angelus ad mariam (fol. 26v). fol. 31: Marienof fizium für den Gebrauch von Rom, auf einer blauen Tafel, fol. 30v, als solches angekündigt (s. vsvm romanvm), mit eingestellten Horen von Heilig Kreuz und Heilig Geist: Marien-Matutin (fol. 31), Laudes (fol. 38), Matutin von Heilig Kreuz (fol. 46),
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Matutin von Heilig Geist (fol. 48), Prim (fol. 50), Terz (fol. 55), Sext (fol. 60), Non (fol. 64), Vesper (fol. 68), Komplet, bildlos (fol. 74). fol. 78: Bußpsalmen (fol. 78) und Litanei (fol. 85), die Heiligenauswahl deutet auf Paris. fol. 91: To ten of fi zi um für den Gebrauch von Rom: Vesper (fol. 91), die beiden weiteren Stunden von einer Rubrik eingeleitet: Matutin (fol. 95v), Laudes (fol. 114v). fol. 120: Suffragien: Trinität (fol. 120), Gottvater (fol. 120v), Christus (fol. 121), Heiliger Geist (fol. 121v), Antlitz Christi (fol. 122), Michael und Johannes der Täufer (fol. 123), Jo hannes der Evangelist (fol. 123v), Petrus und Paulus (fol. 124), Jakobus (fol. 124v), Stepha nus (fol. 125), Laurentius und Sebastian (fol. 125v), Rochus (fol. 126v), Nikolaus (fol. 127), Christophorus (fol. 127v), Antonius (fol. 128v), Claudius (fol. 129), Fiacrius (fol. 129v), meh rere Märtyrer und Alle Heiligen (fol. 130), Anna (fol. 130v), Maria Magdalena (fol. 131), Katharina (fol. 131v), Barbara (fol. 132), Margareta (fol. 133). fol. 133v: leer. Die fünf Mariengebete zum Text: Auf fünf Recto-Seiten wurden, frühestens 1538, folgende Texte eingetragen: fol. 46: Ave sanctissima maria und Sub tuum presidium. fol. 48: Suffragium: Alma redemptoris mater. fol. 50: Inviolata, integra et casta est maria und Dulcis amica dei rosa. fol. 55: Suffragium: unter der Rubrik Salutacio angelica: Salve regina. fol. 60: Suffragium: In tempore paschali: Regina celi letare und Beata viscera marie. Schrift und Schriftdekor Geschrieben in einer eleganten Fere-humanistica, zu 22 Zeilen, so daß der Text recht dicht gefaßt ist, der Band aber nicht so schlank wie beispielsweise Nr. 59. Die Versalien, die schon fast wie Antiqua aussehen, sind unbehandelt. Blaue Rubriken verdrängen die hellroten weitgehend. Prachtvoll gestaltet sind die mit Binden versehenen blaugrundigen Tafeln auf Verso-Seiten, die in goldener Antiqua die anschließenden Incipits, z.B. ein zelne Marienstunden, ankündigen. Wie das gänzlich übereinstimmende Pinselgold be weist, wurden sie offenbar im gleichen Zuge ausgeführt wie die Initialen im Grundtext. Einzeilige Initialen sind in Pinselgold auf braunrote und blaue Flächen gesetzt; bei den Zeilenfüllern kommen Knotenstöcke hinzu, so daß z.B. beim Stabat mater (fol. 24v) oder in der Litanei das Gold der Knotenstöcke mit Rot und Blau in strikter Folge abwech selt. Die zweizeiligen Initialen zu Psalmenanfängen alternieren in Pinselgold auf blauen Flächen und als weiße Akanthuszweige auf roten Flächen mit goldenen Binnenfeldern. Buchstaben, die keine Binnenfelder umschließen, stehen ganz auf goldenen Flächen. Nur auf solchem goldenen Fond, bevorzugt in den Binnenfeldern der weißen Buchstaben, fin
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den sich Blütenzweige. Die vierzeiligen Initialen zu den wichtigsten Incipits verzichten auf die Möglichkeit, Goldbuchstaben auf Blau auszubilden. Von bezaubernder Vielfalt sind die Vollbordüren, die alle Textseiten umgeben: Auf Rec to und Verso wird zwar dieselbe Zeichnung eingesetzt; die unterschiedlichen Grundfar ben, Gold, Braunrot, Blau, aber auch Schwarz sorgen schon für eine erstaunliche Wir kung, die vom Detail bestätigt wird. Vögel, darunter schöne Pfauen, aber auch hybride Wesen, die bereits ganz dem Manierismus zugehören, besetzen diesen Randschmuck, der an wenigen Stellen auf den Text anspielt, am deutlichsten die Schädel im Totenof fizium. Das Buch sollte in einer ersten Planung offenbar zu den wichtigsten Texten ganzseitig gerahmte Bilder mit dem Incipit vor die Malfläche oder unter dem Kopfbild erhalten. Dann wären nur die Marien-Matutin, die Bußpsalmen und die Totenvesp er mit je einem Bild ausgestattet worden. Étienne Colaud dürfte für diese Phase verantwortlich gewesen sein, ist jedoch nicht dazu gekommen, die zugehörigen Bilder zu Ende zu bringen, da er während der Arbeit am Buch verdrängt wurde zugunsten eines sehr viel anspruchs volleren Programms, das den Bildbestand entschieden bereicherte: Vollbilder und klei ne Bilder waren bereits bei den Perikopen und den Mariengebeten im Anschluß an den bildlosen Kalender neben einem Kopfbild angelegt: Johannes wird durch ein Vollbild, die Johannesp assion und das Obsecro te durch Kopfbilder hervorgehoben; für die ande ren Texte aber genügen Kleinbilder. Entsprechend konzipiert ist am Ende des Bandes auch der Block mit den Suffragien. Im Verlauf des Marienof fiziums hat man zunächst die Laudes bildlos belassen wollen, dann aber die Miniatur in ein Restfeld gezwängt. Bei den Matutinen von Heilig Kreuz und Heilig Geist sowie der Marienprim war sicher an eingeschaltete Bilder gedacht; sonst setzten deren Incipits nicht so auffällig an den Seitenanfängen nach leeren Zeilen ein. Bei Non und Vesp er hat der Schreiber selbst dann Platz für Vollbilder auf Versoseiten von auf Recto endenden Texten freigelassen. Der konzeptionelle Wandel, für den dann auch zwei Künstler besonderen Ranges ge wonnen wurden, betraf also nicht ein schon fertiges Buch, das umgearbeitet worden wäre, sondern vollzog sich während der Arbeit. Nicht im Zuge dieser Umorientierung auf ein anspruchsvolles Programm sind hingegen die Texte und die Bordüren auf den Recto-Seiten der eingefügten Blätter mit Bildern auf Verso, fol. 7, 46, 48, 50, 55 und 60, zu verstehen: Die Schrift ist ähnlich, im Duktus aber paradoxer Weise ein wenig altertümlicher. Vom Grundbestand weichen die schwarzen Zierbuchstaben auf goldenem Grund und die Bordüren ab; sie sorgen für eine sehr viel fortschrittlichere Wirkung. Der Dekor geht von der erst im 16. Jahrhundert aufgekom menen Mode der Grottesken aus, die sich anders als mittelalterliche Grotesken aus den Grotten der Domus aurea Kaiser Neros in Rom herleitet. Damit wird der Kandelaber dekor, der vor allem der altrömischen Reliefkunst verpflichtet war, durch stärker filigra ne Schmuckformen abgelöst. Besonders deutlich wird dieser Umstand an Stellen, wo wie
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auf fol. 58v/59 eine Kandelaberbordüre aus dem Grundbestand neben einer derartigen Hinzufügung steht. Derselbe Gegensatz ergibt sich auch beim Übergang vom Kalen der zum Buchblock, wo der Dezember von einer blaugrundigen Kandelaberbordüre, das Wappen des Konnetabels aber von rosafarbenen Feldern umgeben ist mit einem dünnen Geflecht aus schwarzen Zierformen, die bereits auf das im späteren 16. Jahrhundert be liebte Beschlagwerk vorausweisen. Das Wappen gibt einen klaren Anhaltsp unkt: Über das Schwert des Konnetabels ver fügte Anne de Montmorency erst 1538. Damit wird auch deutlich: Die Rectos der ein geschalteten Blätter für Bilder erhielten Schrift und Randschmuck erst zu dieser Zeit in einer neuen Kampagne, die nichts mit dem gleitenden Übergang bei der immer reiche ren Gestaltung des Bandes zu tun hat. Die Bilder fol. I: Dem gesamten Manuskript ist ein Titelblatt aus der Zeit um 1600 vorangestellt. Auf leuchtend rotem Grund zeigt es eine eindrucksvolle goldene Kartusche in der Art von architektonischem Zierwerk. Gerahmt von zwei Engeln und verziert mit Rollwerk faßt es den in goldenen Lettern geschriebenen Titulus des Stundenbuchs ein, der auf ein blaues Oval geschrieben ist, das wie ein kostbarer Stein von dem manieristischen Roll werk eingefaßt wird. fol. 7: Wappen des Anne de Montmorency, von der Herzogskrone bekrönt und dem Col lier des Michaelsordens umgeben, mit dem Schwert des Konnetabels, ganzseitig, das Textfeld als roter Grund mit goldenen Flammen, gerahmt von einer Bordüre mit stilisier ten Blattranken und Kartuschen auf Rosa, wie sie für die später ergänzten Seiten cha rakteristisch sind. Im dritten Stundenbuch des Konnetabels von 1551 (Chantilly, Musée Condé, Ms. 1476, fol. 1v-2) steht das Wappen mit der Herzogskrone und der Ordens kette auf Verso neben dem Schwert, dessen Spitze dieses Mal nach oben ragt; jeweils vor Himmel mit Wolken (Brown 2013, Farbabb. Pl. 109). fol. 7v: Die Perikopen eröffnet eine ganzseitige Miniatur mit Johannes auf Patmos (fol. 7v). Der Evangelist sitzt an einen dürren Baum gelehnt vor einer Felsenhöhle, als habe der Maler als erster in unserem Katalogwerk Paris mon amour endlich einmal darüber nachgedacht, wo Johannes in seiner Verbannung möglicherweise gehaust hat. Er erhebt die Hände und schaut in den Himmel, wo über ihm die goldfarbene Erscheinung des Apokalyptischen Weibes auf der Mondsichel schwebt. Die übrigen drei Perikopen erhalten sieben- bis achtzeilige Kleinbilder, in denen sie als bewegliche Vollfiguren vor Renaissance-Architektur erscheinen; ihre Köpfe hat ebenfalls Noël Bellemare ausgemalt: Lukas (fol. 8v) mit dem Stier an einem drehbaren runden Schreibpult; Matthäus (fol. 9v) an einem entsprechenden eckigen Pult, sich wie über rascht zum Engel umdrehend; Markus (fol. 10v) als Greis, seine Schreibfeder prüfend, mit dem Löwen, der sich aufrichtet, und einem schönen Blick zwischen Säulen ins Freie.
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fol. 11v: Die Passion Chrisi nach Johannes eröfnet mit einer wuchtig mit vielen kleinen Putten gerahmten ganzseitigen Miniatur der Gefangennahme Chrisi: Unten links wird der Bach Kidron angedeutet. An dessen Ufer is Malchus mit einer Laterne hingesürzt; auf ihn läßt Petrus mit einem mächtigen Hieb sein Schwert niederfahren. Im wilden Gedränge aus Soldaten von links und der Frau, die mit einer Laterne Jesus ausleuchten will, rechts, sorgt das Gold-Camaïeu, in das Judas gekleidet is, dafür, daß zwischen glänzenden Rüsungen der Judaskuß das Zentrum dieser von Noël Bellemare selbs brillant gesalteten Miniatur bildet. Das Incipit des Mariengebets Obsecro te is um eine groteske Architektur gewunden, deren Kielbogen von zwei geflügelten Drachen gebildet wird. Darunter thront die Muttergottes (fol. 18v) umgeben von zwei großen musizierenden Engeln. Während sie ihrem Sohn die Brus reicht, kommen zwei kleinere Engel hinzu, um ihr die Krone der Himmelskönigin auf das Haupt zu setzen. Die folgenden Gebete eröfnen mit sieben- bis achtzeiligen Kleinbildern; die konzeptionell ganzfigurig gedachten Gesalten werden vom unteren Bildrand leicht abgeschnitten: Noch einmal thront Maria mit Kind zwischen zwei Engeln (fol. 21); sehr ungewöhnlich wirkt die Beschneidung der Gesalt bei einer Variante der Maria immaculata (fol. 23v) mit Bildmotiven der Beiwörter der Jungfrau, wie wir sie von einem Metallschnitt des Meisers der Apokalypsenrose für Thielmann Kerver 1497-1502 (Horae IX, Nr. 17, Abb. 17, S. 3978) und verwandten Werken bis hin zu Benings Schlußbild im Breviarium Grimani in Venedig kennen; hier passen nicht alle Symbole und auch keine Beischriften ins Bild. Wieder sind alle Gesalten von Noël Bellemare gemalt worden. Die ungemein sensible kleine Pietà (fol. 24v) sammt ganz von seiner Hand, ebenso die Verkündigung (fol. 26v) zum Gebet der Empfängnis. Das Marienofzium wird durch eine große blaue Kartusche mit goldenem Titel (fol. 30v) eingeleitet. Das Incipit der Matutin is vor die als Ganzbild konzipierte Verkündigung (fol. 31) gesellt. Die Jungfrau kniet unter einem Baldachin links an ihrem Betpult; von rechts is der Engel in das überbordend mit Renaissance-Dekor verzierte Zimmer getreten und ins Knie gesunken. Er weis auf die Taube des Heiligen Geises, die von der kleinen Halbfigur Gottvaters gesandt wurde, der durch ein rundbogiges Fenser in das prachtvolle Ambiente blickt. Noël Bellemare hat auch hier für die feine Durchbildung der Gliedmaßen und Gesichter gesorgt. Zum goldenen Dekor gehören Engel, die am Säulenschaft außen klettern und an die viel zahlreicheren im Stundenbuch für Langres (Nr. 56) denken lassen. Zu den Laudes mag zunächs kein Bild geplant gewesen sein; nach sieben Zeilen Textende nimmt die Heimsuchung (fol. 37v) 15 Zeilen ein und greift über den Textspiegel nach unten aus, in einer Architektur, die dann aber wieder Bild und Text umfaßt. In einer hell erleuchteten Landschaft trefen sich, äußers anmutig gekleidet, Maria von links und Elisabeth. Die Jungfrau nimmt die Hand ihrer Base, die mit einem weißen Tuch Hals und Kinn verbirgt.
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Wo zur Marien-Matutin der Text des Ofziums in einer schönen Tafel angekündigt wurde, fordert die blaue Kartusche auf fol. 44v memento morI; das bezieht sich weder auf den nachgetragenen Text auf dem Reco von fol. 45, noch auf die nun folgende Matutin des Heiligen Kreuzes. Die Kreuzigung (fol. 45v) is nach Johannes auf Patmos das zweite eingeschaltete Vollbild und zugleich das erse, auf dessen Reco zusätzliche Gebete geschrieben wurden: Vor einem in Gold, Violett und Blau leuchtenden Himmel erhebt sich eine Bergkette und die Silhouette einer Stadt. Nur Maria und Johannes sehen unter dem Kreuz. Die Miniatur wurde von Étienne Colaud hinzugefügt. Der Bildtitel aD vesPeras De CruCe verrät, daß man sich nicht mehr allzu gut mit Stundenbüchern auskannte, zumal im Hymnus auf der gegenüberliegenden Seite von der hora matutina die Rede is – und nicht einmal des Bildthema zur Vesper paßt; denn zu der Stunde wird Chrisus ja bereits vom Kreuz abgenommen. Auch das Pfingsbild zur Matutin von Heilig Geis (fol. 47v) erforderte ein eingeschaltetes Blatt; wieder sammt die Miniatur von Étienne Colaud; sie überzeugt mit ähnlich farbsarker Wirkung: Um die erhöht sitzende Maria haben sich die Aposel versammelt und beten zur in breitem Goldschein schwebenden Taube des Heiligen Geises, in einem Bild, das die Ausgießung des Heiligen Geises tatsächlich durch Flammen ausdrückt, die vor dem schwarzen Grund aufflackern. Zur Marien-Prim hat man begrifen, daß das blaue Feld auf fol. 48v die Mariensunde ankündigen muß, die jeweils folgt; von jetzt an sind auch die Sockel der Bilder vernünftig beschriftet, hier mit aD PrImam. Die Anbetung des Kindes (fol. 49v) hat Étienne Colaud gemalt. Vom schäbigen Stall von Bethlehem is nichts zu sehen: Während Maria unter einem Baldachin im Freien kniet und das nackte Kindlein anbetet, kommt Joseph vor einer Renaissance-Architektur mit einer Lampe, um die Heilige Nacht anzudeuten, in der das Geschehen eigentlich spielt. Der Sattel im Vordergrund greift ein Motiv auf, das man in Florenz seit Masaccio und Domenico Veneziano (Berlin, Gemäldegalerie) kennt; er weis zurück auf die beschwerliche Reise zur Volkszählung nach Bethlehem und voraus auf die Flucht nach Ägypten. Bei der Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 54v), zeigt Étienne Colaud drei Männer in prachtvoll bunter Kleidung, musizierend um ein Lagerfeuer sitzend, während die Schafe im Mittelgrund weiden. Ein Putto erscheint hier in den Wolken über ihnen und simmt das Gloria in excelsis an, mit dem er die Geburt des Herrn verkündet. Zur Sext hat Maria für die Anbetung der Könige (fol. 59v) im Zentrum der Miniatur Platz genommen, den nackten Sohn auf ihrem Schoß. Nicht wie sons üblich nacheinander, sondern von beiden Seiten kommen die Könige hinzu, um ihre Gaben zu präsentieren; nur der ältese hat seine Krone bereits abgelegt. Der jüngse rechts is tiefschwarz und trägt einen schwarzen Turban mit einem blauen Tuch und hellgrüne Pluderhosen. Das erse Vollbild des Marienofziums auf einem leer gebliebenen Verso im Textverlauf is die Darbringung im Tempel zur Non (fol. 63v); spätesens an dieser Stelle wußte der Schreiber etwas vom erweiterten Bildzyklus, von dem er bei Matutin und Laudes noch
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nichts ahnte. Am Altar, der nur ein wenig nach rechts gerückt und bildparallel gesellt is, nimmt Simeon den Chrisusknaben entgegen, während Joseph rechts seine Kopf bedeckung ehrfürchtig abgenommen hat. Von links tritt eine Frau hinzu; sie müßte eine Kerze tragen, Joseph das Taubenkörbchen; doch diese Tradition scheint hier vergessen. Ein Akolyth präsentiert dem Prieser wie bei der Messe ein geöfnetes Buch. Dessen Antlitz wurde ebenso wie die Köpfe der Frauen in der vom Meiser des François de Rohan vorbereiteten Miniatur von Noël Bellemare fertiggesellt. Die wild beweg te Flucht nach Ägypten zur Vesper (fol. 67v) erweis sich als ganz eigenhändiges Werk vom Meiser des François de Rohan, unverkennbar angesichts der ausdruckssarken Gesichter, scharfen Farbkontrase und leuchtenden Farben sowie der Landschaft. Nach links führt Joseph den Esel, an einer Palme vorbei, die an das Wunder der Dattelpalme erinnert, die sich in Martin Schongauers Kupfersich zu Maria und dem Kind beugt und in Dürers Marienleben wiederkehrt, ein Jahrhundert früher aber schon in unserem Limburg-Manuskript für Louis d’Orléans auftaucht (s. unseren Kat. 77 von 2016). Maria hat ihr Wickelkind zart im Arm. Über der Heiligen Familie türmen sich dunkle Wolken und Engelsköpfchen, die himmlisches Geleit bedeuten. Zur Komplet is keine Miniatur geschaltet. fol. 78: Der büßende David zu Beginn der Bußpsalmen is wie die Verkündigung zur Marien-Matutin als Kopf bild über vier Zeilen Incipit konzipiert, gehört somit zur ältesen Planungsphase der Handschrift. Sie zeigt den König in besem Alter, eindrucksvoll von Noël Bellemare entwickelt, im weiten Palasgarten kniend, lebhaft im Profil, umgeben von einer Architektur, die sicher von anderer Hand vorbereitet wurde, vielleicht eher von Étienne Colaud als dem Meiser des François de Rohan. Am Himmel zeigt sich winzig klein ein goldener Engel mit dem srafenden Schwert. Putten in Gold-Camaïeu vor blauem Grund spielen im Sockel der Rahmung; die links reißen einem Löwen das Maul auf, in Anspielung auf den berühmten Beweis von Davids Stärke. fol. 91: Auch zur Toten-Vesper seht das Bild über vier Zeilen Incipit. Szenen aus dem Gleichnis vom Gasmahl des Reichen und dem armen Lazarus (Lk. 26), wie auch dieser Katalog mit Bildern des Reichen in der Hölle zeigt (so Nrn. 54 und 59), waren im frühen 16. Jahrhundert beliebtes Thema für die Bebilderung des Totenofziums in Stundenbüchern. Dabei sanden mehrere Szenen zur Verfügung, von denen meis nur eine einzelne gewählt wurde, weil man wie in unserer Nr. 59 bei der Aussattung der Vesper mit zwei Miniaturen ungern auf eine Darsellung Hiobs verzichtete (siehe König 1978 sowie König und Bartz 1987). Das Bildfeld is in einen Innenraum mit Festafel und den Blick auf den Hof geteilt: Ein Diener weis den in Lumpen gekleideten armen Lazarus ab, während innen der Reiche (die gegenwärtige Literatur bevorzugt den lateinischen Begrif Dives, als sei es ein Name) an einer üppig gedeckten Tafel sitzt. Wieder hat Noël Bellemare die von anderer Hand, wohl Étienne Colaud, vorbereitete Miniatur in den Figuren vollendet.
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fol. 120: Die Sufragien eröfnet die thronende Trinität: Chrisus als Schmerzensmann sitzt zur Rechten des in päpslichem Ornat erscheinenden Vaters, zwischen ihren Häuptern breitet die Taube des Heiligen Geises ihre Flügel. Gemeinsam thronen sie auf einer Bank und präsentieren das Buch des Lebens, während sich hinter ihnen Engelscharen um einen Goldgrund reihen. Man wird ohne Zögern an die eigentümliche Erscheinung des Aufersandenen Chrisus im dritten Stundenbuch für Anne de Montmorency denken (Chantilly, Ms. 1476, fol. 3v: Brown 2013, Pl. 111): Zwölf Jahre liegen zwischen beiden Miniaturen; sie zeigen die Entwicklung ein und desselben Malers: Noël Bellemare. Danach folgen 24 Kleinbilder von sieben bis acht Zeilen Höhe zu den Sufragien, allesamt von Noël Bellemare gesaltet, ers im Laufe der Arbeit setzen sich Halbfiguren durch und der Anteil des genialeren Malers nimmt zu: Gottvater thronend (fol. 120v); das segnende Chrisuskind (fol. 121), nackt unter einem wild flatternden Umhang; die Taube des Heiligen Geises (fol. 121v); Veronika (fol. 122) präsentiert das recht kleine Schweißtuch; Michael im Kampf mit dem Drachen und Johannes der Täufer mit dem Lamm (fol. 123); Johannes der Evangelis mit dem Giftbecher (fol. 123v); Petrus und Paulus (fol. 124); Jakobus als Pilger (fol. 124v); Stephanus (fol. 125); Laurentius und Sebasians Pfeilmarter (fol. 125v); Rochus mit Engel und Hund (fol. 126v); Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich (fol. 127); Chrisophorus mit dem Chrisusknaben (fol. 127v); Antonius mit dem Schwein vor der Einsiedelei (fol. 128v); Claudius (fol. 129); Fiacrius (fol. 129v); männliche Märtyrer (fol. 130), der Text zu Allen Heiligen bildlos; Anna lehrt Maria lesen (fol. 130v); Maria Magdalena (fol. 131); Katharina mit Schwert und Rad (fol. 131v); Barbara mit dem Turm (fol. 132); Margarete seigt aus dem Drachen (fol. 133). Die drei Maler In den Beschreibungen kamen wir nicht umhin, schon von den drei Hauptvertretern der Pariser Buchmalerei im frühen 16. Jahrhundert, die dieses Buch gesaltet haben, zu sprechen: Ihre Abfolge verbindet sich mit der Umgesaltung des Buchs von einem recht sparsamen Programm hin zur gültigen Pracht. Gern wüßte man, an welchem Punkt das Manuskript in die Hände des Konnetabels gelangt is. Wir sind überzeugt, daß Anne de Montmorency dieses Stundenbuch nicht ers erhielt oder erwarb, als er 1538 zum Konnetabel ernannt wurde. Er wird schon vorher auf ein von Étienne Colaud begonnenes Buch zugegrifen haben, um dann den von ihm geschätzten Meiser des François de Rohan, dem er sein zweites Stundenbuch ganz anvertrauen sollte (unsere Nr. 65), gemeinsam mit dem genialen Noël Bellemare einzubeziehen. Einige Miniaturen sind von Étienne Colaud, andere vom Meiser des François de Rohan angelegt worden, deren jeweilige Eigenart am besen in der Geburt Chrisi und der Flucht nach Ägypten zu Tage tritt; eine Sonderrolle spielte Noël Bellemare, der sensibelse und eindrucksvollse Künsler seiner Zeit in Paris. Er hat nur wenige Miniaturen insgesamt konzipiert, wohl aber die meisen Figuren in den von anderen vorbereiteten Bildern bearbeitet und damit dieses Manuskript auf eine besondere Höhe gebracht. Schon der in
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Paris ofenbar fremde Meiser des François de Rohan gibt mit seinem Temperament dem Bildauf bau wie dem Kolorit ein ganz ersaunliches Gepräge; durch die Eingrife von Noël Bellemare aber wird daraus ein spannendes Spiel, das auf Überraschung setzt. Die Handschrift wurde zunächs schlichter konzipiert, dann aber in einem fließenden Übergang immer auf wendiger gesaltet. Nachdem Étienne Colaud den Auftrag in schlichterem Konzept übernommen hatte, kamen die beiden bedeutenderen Zeitgenossen hinzu – diesen Übergang wird man mit Anne de Montmorencys Zugrif auf das Buch verbinden dürfen. Die drei Maler blieben danach ofenbar während dieses ganzen Prozesses an der Ausmalung beteiligt. Ers 1538 is ein klarer Wechsel auszumachen; er besand nicht etwa darin, daß man für Vollbilder zusätzliche Blätter einschaltete, sondern nur in der Gesaltung der zunächs leer gebliebenen Reco-Seiten. Sie erfolgte, wie das Wappen auf dem Reco von fol. 7 beweis, als Anne de Montmorency das Schwert des Konnetabels erhielt. Da er 1538 ernannt wurde, wird man den Grundbesand des Buches mit all seinen ganzseitigen Miniaturen ein gutes Stück früher setzen und die Ergänzungen 1538 datieren. Noël Bellemare, den man früher als Meiser der Getty-Episeln kannte, is aus Antwerpen nach Paris gelangt, wo er zwischen 1515 und 1546 nicht nur als Buchmaler, sondern auch als Entwerfer von Glasfensern und als Tafelmaler nachweisbar is und vielleicht noch länger arbeitete. Von seiner Kuns und Erfindungsgabe zeugen Fenser in St. Germain l’Auxerrois und die eindrucksvolle Passionsafel in St. Gervais et Prothais. Einige der bedeutendsen Aufträge für Mitglieder des königlichen Hofs in den 1520er Jahren hat er ausgeführt; so illuminierte er für Franz I. 1529/30 einen Discours de Cicéron, übersetzt von Étienne Le Blanc (Paris, BnF, fr. 1738). Die elegant bewegten Figuren und die leuchtend helle Farbigkeit dieses Künslers bringen eine neue manierisische Qualität in die Pariser Buchmalerei. Der Meiser des François de Rohan, der mit kraftvollen Formen und Farben geradezu dramatische Energie zeigt, wird nach dem Porträt des François II de Rohan in der Fleur de vertu (Paris, BnF, Ms. fr. 1877, fol. 1, ca. 1530) genannt. Wegen seiner wilden Formund Farberfindungen hielt ihn Orth 1998 zunächs für einen Künsler aus dem deutschen oder schweizerischen Raum. Zwischen 1529 und 1549 hat er Manuskripte für Margarete von Navarra und Franz I. ausgemalt, so dessen Stundenbuch im New Yorker Metropolitan Museum (2011.353). Zur gleichen Zeit ließ Anne de Montmorency nach seiner Ernennung zum Konnetabel von Frankreich 1539 ein zweites Stundenbuch vollsändig vom Meiser des François de Rohan ausmalen. Da wir dieses Werk hier als Nr. 65 ausgiebig erörtern, sei auf den folgenden Katalogbeitrag verweisen. Bei dem dritten Maler handelt es sich um Étienne Colaud, der als Buchmaler und Buchhändler in den 1520er Jahren in Paris gearbeitet und auch eine Reihe gedruckter Stundenbücher illuminiert hat: Cousseau 2010 und 2016, vor allem aber auch unseren Katalog 75 Horae B. m. v. von 2003 bis 2015). Ihm wird der reiche Dekor verdankt, der von italienischen Grotesken über illusionisische Blumenbordüren in flämischer Manier
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bis hin zu Einbandstempelmotiven einen unerhörten Erfindungsreichtum für zeitgenös sische Dekorationsmotive offenbart, von ihm stammen die Nummern 60 bis 62 dieses Katalogs. Eindrucksvoll in großartiger Farbigkeit, überbordendem Dekor und packenden Bil dern ist dieses Stundenbuch schon auf den erst en Blick. Es gewinnt aber ungemein, wenn man den beteiligten Buchmalern Noël Bellemare, dem Meister des François de Rohan und Étienne Colaud auf die Spur kommt und schließlich wahrnimmt, wie in einem fließenden Übergang die Ausstattung ergänzt und der Anspruch erweitert wurde. In seiner Pracht steht dieses Stundenbuch für jene Buchkultur, die sich den in Frank reich verbreiteten reformatorischen Tendenzen entgegenstellt und die alte Spiritua lität aufrechterhalten will. Dazu paßt die am stärkst en überraschende Eigenart: Die ses Manuskript, das auch das Monogramm von Anne de Montmorency zeigt, hat der große Konnetabel des Königs Franz I. durch Wappen und Schwert seines Amts als sein eigen bezeichnet. Es stammt damit aus den höchst en Kreisen des Hofs. Eigentlich ist es ein Buch für Écouen, das Musée national de la Renaissance, das in einem Schloß des Konnetabels vor den Toren von Paris seinen Platz gefunden hat, oder für Chantilly, wo es in der unermeßlich schönen Bibliothek des Duc d’Aumale neben dem dritten Stundenbuch des Prinzen einen würdigen Platz hätte. Literatur Das Manuskript ist nicht publiziert. Zu Anne de Montmorency zuletzt – jeweils ohne Kenntnis unseres Manuskripts: Eli zabeth A. R. Brown, Madeleine de Savoie and the Chantilly Hours of Anne de Mont morency, in: Sandra Hindman und James H. Marrow (Hrsg.), Books of Hours Reconside red, London/Turnhout 2013, S. 431–468. Thierry Crépin-Leblond, Anne de Montmorency. 15 mars 1493–12 novembre 1567. Un homme de la Renaissance, Écouen 2014.
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65 Das zweite Stundenbuch des Anne de Montmorency, Konnetabel von Frankreich, ein Hauptwerk des Meisters des François de Rohan aus dem Jahr 1539 mit 35 Miniaturen in denkwürdig makelloser Erhaltung
Stundenbuch. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift auf Pergament, Rubriken in Rot und Blau, mit einem Kalender in Schwarz, geschrieben in schwarzer Antiqua. Paris, 1539 datiert: Meister des François de Rohan Insgesamt 35 Bilder: 14 ganzseitige Miniaturen auf Verso-Seiten in prachtvollen Renais sanceahmen mit Pinselgold und bunter Steinimitation, teilweise mit übermalten Wap pen, die Incipits auf den gegenüber liegenden Seiten mit dreizeiligen Initialen ohne Rand schmuck; 21 Kleinbilder, deren Textfelder umrahmt von Franziskanerkordeln; zwei- und dreizeilige Initialen in Blau und Rot umwickelt mit weißen Banderolen, auf goldenen Flä chen, die mit Akanthusranken, Blumen oder Blattwerk verziert sind; einzeilige Initialen und Paragraphenzeichen in Pinselgold auf Rot, Blau und Grün mit goldenem Dekor, Zeilen füller in gleicher Art oder als Knotenstock unterschiedlicher Farbe. 98 Blatt Pergament, vorne 6 und hinten 5 fliegende Vorsätze aus altem Pergament, auf dem 6. Vorsatz vorn und 1. hinten zwei leer gebliebene gemalte Kartuschen aus dem späten 16. oder frühen 17. Jahrhundert. Gebunden vorwiegend in Lagen zu acht Blatt, davon abweichend die Lagen 9 (8+1), 10 (6), 11 (2+6) und die Endlage 14 (4). Rot regliert zu 25 Zeilen für Text wie Kalender. Oktav in steilem Hochformat (230 x 136 mm, Textspiegel 161 x 74 mm). Roter Maroquinband des 18. Jahrhunderts auf glatten Rücken, dieser mit elaborierter Kom partimentvergoldung, Deckel in dreifacher Filetenrahmung, Steh- und Innenkantenvergoldung, sehr schöne bestirnte Brokatpapiervorsätze, Goldschnitt. Komplett und von völlig makelloser Erhaltung. Geschaffen für Anne de Montmorency, Konnetabel von Frankreich, dessen Wappen auf meh reren Bildseiten mit Gold überdeckt, aber unzweifelhaft im Gegenlicht lesbar, datiert 1539. Gestochenes Exlibris von Charles Jouas im Vorderdeckel mit der Devise Et Beauvilla in, toujours il vous aime (Zitat aus „Marion Delorme“ von Victor Hugo), d. i. Étienne Beauvillain, Banquier und Sammler des frühen 20. Jahrhunderts, dessen Sammlung in Privatver käufen in den 80er und 90er Jahren aufgelöst wurde. Dieses Manuskript war in der Auktion Ader Picard Tajan, 16.9.1988, Nr. 67bis: 1.850.000,- Francs plus Aufgeld, an Pierre Beres. Zuletzt europäische Privatsammlung. Text fol. 1: Kalender in lateinischer Sprache, fortlaufend geschrieben, nur wenige Tage be setzt: Heiligennamen in Schwarz, Festtage in Rot, Goldene Zahl in Rot, Sonntagsbuch stabe A in Pinselgold auf roten, blauen oder grünen Flächen, Sonntagsbuchstaben b-g in Schwarz; die Heiligenauswahl lokal unspezifisch, franziskanisch beeinflußt: Anna als Festtag (27.7.), Franziskus als Festtag (4.10.).
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fol. 10: Perikopen: Johannes (fol. 10), Lukas (fol. 10v), Matthäus (fol. 11v), Markus (fol. 12). fol. 13v: Johannespassion. fol. 19: Marienof fizium für den Gebrauch von Rom, mit eingestellten Horen von Hei lig Kreuz und Heilig Geist: Matutin (fol. 19), Laudes (fol. 28v), Kreuz-Matutin (fol. 35), Geist-Matutin (fol. 36), Marien-Prim (fol. 37), Terz (fol. 40v), Sext (fol. 44), Non (fol. 47v), Vesper (fol. 51), Komplet (fol. 56). fol. 64: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 69), darin Pariser Heilige wie Genovefa. fol. 74v: To ten of fi zi um, für den Gebrauch von Rom: Vesper (fol. 74v), die weiteren Stun den mit Rubrik hervorgehoben: Matutin (fol. 77v), Laudes (fol. 87v). fol. 93: Suffragien: Trinität (fol. 93), Michael (fol. 93), Johannes der Täufer (fol. 93v), Jo hannes der Evangelist (fol. 93v), Petrus und Paulus (fol. 94), Jakobus (fol. 94), Stephanus (fol. 94v), Laurentius (fol. 95), Sebast ian (fol. 95), Nikolaus (fol. 95v), Antonius (fol. 95v), Ro chus (fol. 96), Anna (fol. 96), Magdalena (fol. 96v), Katharina (fol. 96v), Margarete (fol. 97), Barbara (fol. 97v), Apollonia (fol. 98). Schrift und Schriftdekor 1539 entstanden zwei eng verwandte Stundenbücher, eines für Franz I. (heute im Metro politan Museum, New York), das andere für dessen Konnetabel Anne de Montmorency, das wir hier vorstellen, und zwar vermutlich in dieser Reihenfolge; denn unser Manu skript zieht Konsequenzen aus dem Buch, das für den König entstanden ist: Beide Stun denbücher sind in sehr ähnlicher Antiqua geschrieben, die sich in der Entstehungszeit bereits seit einer Weile für Gebetbücher durchgesetzt hatte, nachdem sie von Humanis ten eigentlich klassischen Texten vorbehalten war (s. Abbildungen in der Einleitung). Bemerkenswert fein sind die einzeiligen goldenen Initialen auf alternierend roten, blau en, wieder roten und grünen Flächen; dazu werden in bester Tradition, obwohl, wie de korative Leerzeilen beweisen, der Horror vacui nicht mehr in vollem Maße gilt, doch noch Zeilenfüller in denselben Farben sowie als Knotenstöcke, nicht nur in Gold-Ca maïeu, sondern in verschiedenen Farben ausgeführt. Größere Zierbuchstaben sind zum Teil mit vorzüglich erfaßten Blüten geschmückt, die, zwar stilisiert, aber doch erkenn bare Sorten darstellen. Ein entscheidender Schritt vollzieht sich zwischen dem Stundenbuch für Franz I. und unserem Manuskript: Während dort alle wichtigen Incipits mit Kopfbildern über vier Zeilen Text mit entsprechend großer Initiale versehen sind, wird in unserer Handschrift die wesentliche Bebilderung textlos, als gerahmtes Gemälde gestaltet. Im gleichen Zuge verzichtet man auf jede Bordüre. Die einfachen Textseiten hat man in diesen Jahren oh nehin kaum noch mit Rankenwerk geschmückt. Bei den Suffragien lebt der schon unter Anne de Bretagne beliebte Trend fort, eine Franziskanerkordel, mit Pinselgold gehöht, um den Textspiegel zu legen, in dem dann Kleinbilder erscheinen.
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Die für die Bilder errungene Freiheit vom Text hat Anne de Montmorency offenbar so beeindruckt, daß er zwölf Jahre später in seinem dritten Stundenbuch (Chantilly, Musée Condé, Ms. 1476, 1943: Meurgey 1930, Nr. 93, Taf. cxxvii b; Orth 2015, Nr. 91, mit Abb. 240-243 und Taf. 45) dasselbe Prinzip befolgen ließ. Noch entschiedener wird bei den großen Incipits der traditionelle Randschmuck über wunden: Bizarre Architekturen übernehmen die Rolle der Bordüren. Das geschieht in unserem zweiten Stundenbuch für Anne de Montmorency immerhin noch mit einer ge wissen Referenz zum Brauch; denn so wie der Text orientieren sich auch die reinen Bild seiten an der vom Goldenen Schnitt bestimmten Verschiebung der Ränder, die zum Falz hin sehr schmal und dann nach oben, außen und unten zunehmen. Für die Bildseiten folgt daraus die Ausstattung mit unterschiedlich dicken vertikalen Gliedern, die jedem französischen Renaissance-Rahmen bereits einen manieristischen Grundzug geben. Die Tatsache, daß unten die Randstreifen besonders hoch sind, lädt dazu ein, Sockel unter schiedlichster Art zu erfinden; nach oben aber kannte schon die seit vielen Generationen etablierte Tradition eine bemerkenswerte Freiheit, die hier noch mehr als für Franz I. ausgelebt wird. Erst im dritten Stundenbuch, 1551, sollten sich dann die Rahmen gänz lich von der Ästhetik der Buchseite lösen. Bildfolge Die Miniaturen variieren auf unterschiedliche Weise die entsprechenden Motive im Stundenbuch für Franz I. Das sehr viel großzügigere und für Miniaturen in französi schen Stundenbüchern ungewohnt steile Format lädt nun aber zu erstaunlichen Lösun gen für Landschaft und Interieur ein. Man hat sogar den Eindruck, daß der Maler in der Abfolge der Bilder zunehmend an Freiheit gegenüber den ikonographischen Konventio nen gewinnt und seine Kunst schon beim fünften ganzseitigen Bild, dem Pfingstwunder, zu ungeahnter Höhe steigert. Die Perikopen eröffnen mit einer ganzseitigen Miniatur: Johannes auf Patmos (fol. 9v) sitzt rechts, zum Text gewendet, mit seinem Buch an einem Baumstumpf vor derart dich tem Gebüsch, daß man den Ort trotz der Wasserfläche links im Mittelgrund, nicht als Insel identifizieren mag. Begleitet von seinem Adler mit dichtem Gefieder, das dem Vo gel Volumen gibt, wendet er sich erregt um und blickt zum Himmel, wo die Visionen vom Apokalyptischen Weib ihren Anfang nehmen. Anders als im ersten Stundenbuch für Anne de Montmorency (Nr. 64) schaut Johannes statt des Apokalyptischen Wei bes, also der Mutter mit dem Kind, die auf der Mondsichel steht und in die Sonne ge kleidet ist, die im Text Apc. 12,1-2 vorausgehende Verfolgung der Schwangeren durch das siebenköpfige Ungeheuer, das die vor ihm Fliehende verschlingen will. In prächtigen Farben und mit energischem Pinsel schildert der Maler die wilde Szene eindrucksvoll. Im Lorbeerkranz im Zentrum des unteren Rahmens wurde das Wappen von Anne de Montmorency mit Gold übermalt. Im Pfeiler der Rahmung links in goldenen Lettern eine Devise auf blauem Grund: devm time.
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Die drei folgenden Perikopen werden von sechszeiligen Kleinbildern eingeleitet und zei gen jeweils hinter Vorhängen, die sich für uns Betrachter öffnen, die einzelnen Evange listen mit ihren Attributswesen: Lukas am Schreibpult, begleitet vom geflügelten Stier (fol. 10v), Matthäus mit dem Engel, der ihm ein geöffnetes Buch präsentiert (fol. 11v), und mit weißem Bart den Evangelisten Markus in seiner Schreibstube, zu dessen Füßen sich der schwarze Löwe niedergelegt hat (fol. 12). Diese Bildseiten sind wie am Ende des Buches die Suffragien von einer Franziskanerkordel umgeben. fol. 13: Die Johannesp assion leitet wie in Anne de Montmorencys erstem Stundenbuch eine eindrucksvolle ganzseitige Darstellung der Gefangennahme Christi ein: Von rechts stürzt Judas auf den Gottessohn zu, um ihm den Kuß des Verrats zu geben. Während Noël Bellemare im ersten Stundenbuch, Nr. 64, bei dieser Szene mit antiken Rüstun gen prunkte, tritt beim Meister des François de Rohan derartiges Interesse hier zu rück; denn er gibt nur einem der Schergen ein Schild und dem greisen Bärtigen, der Christi Arm faßt, einen kaum als solchen zu erkennenden grünen Panzer über den Schultern; die anderen aber läßt unser Maler eher so aussehen, als seien sie die Anklä ger bei Pilatus. Noch stärker als in Nr. 64 hebt sich im Vordergrund die Nebenszene von Petrus und Malchus als eine eigene Bildeinheit ab: Petrus holt mit seinem krum men Säbel erst noch zum kräftigen Hieb aus, um dem vor ihm liegenden, etwas klein geratenen Malchus ein Ohr abzuschlagen. Dieser klammert sich an eine große Laterne, während er mit seinem Knotenstock das auf ihn niederschnellende Schwert abzuweh ren sucht. Die Matutin eröffnet mit der Verkündigung (fol. 18v) in einem prächtigen Schlafgemach: Von links ist der Engel hineingeschwebt, steht aufrecht und weist auf die Erscheinung Gottvaters in der Höhe, der die Taube zu Maria hinabsendet. Rechts kniet die Gottes mutter, ähnlich zu Gott und dem Engel umgewendet wie Johannes auf Patmos zur Vi sion. Prachtvolle Farbakkorde und flatternde Gewänder beleben die Szenerie, während sich die gesamte Dynamik des Malers in den wild bewegten Banderolen äußert, die mit ave und ecce den Dialog zwischen Maria und dem Engel wiedergeben. Vor dem Sockel der rahmenden Architektur wird aus einem grünen Knotenstock ein Medaillon gebildet; darin erscheint Moses als Halbfigur mit den Gesetzestafeln zwischen den Namensbe standteilen mo – yses. In der zentralen Kartusche des Pfeilers links außen steht in fei nem Pinselgold die Jahreszahl 1539. Zu den Laudes wird die Heimsuchung (fol. 28) vor einer wilden Felslandschaft gezeigt: In der prächtigen Loggia seines Hauses sitzt der greise Zacharias; Elisabeth ist Maria entgegengegangen und ergreift mit ihrer Rechten die rechte Hand der Jungfrau. Mit ih rem linken Zeigefinger weist sie auf deren Bauch; und Maria, die sich wie eine Venus im Kontrapost bewegt, erwidert mit verständiger Miene den Gruß. Die eingestellten Heilig-Kreuz-Horen erhalten wie üblich nur jeweils ein Auszeich nungsbild: Zur Matutin ist für die Kreuzigung (fol. 34v) das große Kreuz vor einem in Rot und Gelb schimmernden Himmel über luftig-leichter Landschaft aufgerichtet und nimmt die gesamte Höhe des Bildfeldes ein. Geschunden hängt Christus, das Gesicht
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ganz ins Profil zur Mutter gedreht, am Kreuzbalken. In mittelalterlicher Tradition, die auch beim Blick in die Höhe die Gestalten verkleinert, sind Maria und Johannes unter dem Kreuz entschieden größer als die eigentliche Hauptfigur: Dabei wirkt der jugend liche Jünger in seiner Trauer an der Schädelstätte durch die im Wind flatternden Haa re ganz besonders lebendig. Die Farben des Himmels, die Felsen und auch die Gestalt Christi verwundern in französischer Kunst; sie lassen ebenso wie die Fülle der Draperi en an Malerei des frühen 16. Jahrhunderts im süddeutschen Sprachraum denken, als sei diese Kunst nicht ohne jene umwälzende Bewegung zu verstehen, die sich beispielsweise in Albrecht Altdorfers um 1512 entstandene Kasseler Kreuzigung ausdrückt. Eine ge wisse Ruhe soll sich dann offenbar durch die Inschrift im Sockel des Bildes einstellen; dort heißt es: adoramus te christe. Zu den Heilig-Geist-Horen wird mit der Ausgießung des Heiligen Geistes (fol. 35v) eine unerhörte Steigerung erreicht, wie sie kaum in einem zweiten Stundenbuch zu finden ist: Vor schwarzbraunem Grund, auf dem die goldenen Flämmchen aufleuchten, erheben sich drei bunte Säulen, deren Schäfte in denselben Farben, Hellgrün und Rosa, gehal ten sind wie die Rahmung. In der Höhe werden ihre Kapitelle vom Licht um die Taube überspielt. Darunter thront zentral die Muttergottes, umgeben von den im Raum ver teilten Aposteln und vielen weiteren Menschen, die ihr Erstaunen durch besonders be wegte Gestik und Mimik ausdrücken. Das Farbverständnis des Malers führt auch in dieser Miniatur zu ungewöhnlich lebendiger Wirkung: Hellgrün, Gelb und Rosa rah men tiefes Blau und Rot und zeichnen eine ganz besonders schöne Silhouette vor dem dunklen Fond. Zur Prim der Marienstunden wird die Anbetung des Kindes (fol. 36v) gezeigt. Vor einem mächtigen Säulenstumpf, der das Bildfeld in zwei Hälften teilt, den Blick in die Land schaft links und das Schwarz hinter Ochs und Esel im Stall, hat Maria den nackten Kna ben auf einen Strohballen gelegt. Wie eine kritische Refl exion über ältere Darstellungen von Christi Geburt wirkt der Blick auf die Krippe, in der das Kind dem Evangelium zu folge liegen müßte. Sie ist rechts so hoch über den Köpfen der beiden Tiere angebracht, daß man dort den Gottessohn gar nicht anbeten könnte. In elegantem Schwung beugt sich Maria von rechts, der ungewöhnlich junge Ziehvater mit braunem Haar und Bart von links über das Kind. Ihre Haarfülle hat die Gottesmutter mit einem rosfarbenen Tuch gebändigt. Über dem Neugeborenen, auf Höhe des fehlenden Kapitells, schwe ben zwei geflügelte Putten, um das Gloria anzustimmen. Links öffnet sich der Blick hin zur roten Morgensonne; davor steht im Mittelgrund ein Hirte, der wie in den Berliner Weihnachtsbildern von Altdorfer zum Himmel schaut, aber noch keinen Engel erblickt, zumal die Putten vorn für ihn aus der Tiefe nicht zu sehen sind. Zur Terz ist die Verkündigung an die Hirten (fol. 40) dann Hauptthema: Drei wild be wegte Männer in Grau, Blau und Rot sind aufgeschreckt, der eine, mit seiner Sackpfei fe, wirft sich am Boden herum, ein zweiter scheint nach links Reißaus nehmen zu wol len, der dritte aber blickt, nur sein linkes Bein im Knie gebeugt, staunend zum Himmel. Der hat sich geöffnet, um einen von strahlendem Licht umgebenen Engel erscheinen zu
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lassen, der festlich das Gloria in excelsis anstimmt. Zwei bizarr dürre Bäume rahmen die Szene; in ihnen drückt sich einerseits künstlerische Beobachtungsgabe aus, jedoch nicht auf die Jahreszeit bezogen, sondern eher metaphorisch im Blick auf die Erneuerung der alten morschen Welt durch das Evangelium. In der bis zu einem imaginären Bethle hem im Mittelgrund hin wunderbar erleuchteten Landschaft zeigt sich wieder einmal der Farbsinn des Malers, der kräftiges Kolorit neben Pastelltöne setzt und dadurch au ßergewöhnlich frische und lebendige Wirkungen erzielt. Den Sockel der Architektur schmückte erneut das heute übermalte Wappen. Zur Sext, bei der Anbetung der Könige (fol. 43v), thront Maria, nun mit offenem Haar, links vor dem glatten roten Tuch ihres Baldachins und empfängt die Gaben der drei Kö nige. Emphatisch kniet der älteste von ihnen mit ausgebreiteten Armen, während der mittlere, wie ein zeitgenössischer Würdenträger mit schwarzem Hut, auf den eine viel zu schlanke Krone gesteckt ist, vor einem Pilaster in der Palastruine ruhig die Mitte ein nimmt. Von rechts stürmt der Jüngste, ein wahrhaft dunkelhäutiger Jüngling in golde nem Harnisch, herein. Die exotische Herkunft wird durch das Dromedar unterstrichen, das rechts hinten aus dem Gefolge der Könige hervorblickt. Am linken Pilaster der Rah mung das übermalte Wappen. Die Darbringung im Tempel (fol. 47) zur Non ist von großen Flächen bestimmt: Der bildparallele Altarkasten ist mit einem goldenen Relief geschmückt und mit dem ge wohnten weißen Tuch bedeckt; grün und rot ist der Baldachin, grau die glatten Wän de im Hintergrund, doch hellblau der Blick ins Freie links und eine zentrale Säule, vor der ein jugendlicher Akolyth mit einem geöffneten Buch hinten steht; rechts neben ihm verharrt eine Kerzenträgerin. Doch von besonderer Dynamik ist die Szene vorn: Den recht muskulösen Knaben hat Maria dem Priester Simeon überreicht, der den lebhaft zur Mutter zurückstrebenden dieses Mal vor dem Altar entgegennimmt. Joseph hat dort bereits die Täubchen abgesetzt, die nun – ein sehr seltenes Motiv in der Malerei, das man seit dem Netzer Altar aus dem 14. Jahrhundert am ehesten in Deutschland findet – frei über das weiße Tuch laufen. Den Sockel schmückt das übermalte Wappen in einem Lorbeerkranz. Die tiefe Landschaft bei der Flucht nach Ägypten (fol. 50v) zur Vesp er erlaubt, den Vor dergrund, wo der Ziehvater zügig den Esel mit der kostbaren Fracht an der Dattelpal me und am goldenen Idol vorbei nach links führt, auf besonders glückliche Weise mit dem Kornwunder zu verbinden. Im Mittelgrund bewegen sich die Soldaten des Herodes nach rechts, also in die entgegengesetzte Richtung. Sie befragen den Bauern, der gerade gesät hatte und durch ein Wunder sofort hoch gewachsene reife Ähren erhielt, nach der Heiligen Familie; er versichert ihnen, er habe sie zuletzt bei der Saat gesehen; deshalb brechen sie die Suche ab. Ikonographisch engstens verwandt ist die Szene im Stunden buch für Franz I.; umso eindrucksvoller ist zu beobachten, wie hier schon allein durch den Wegfall des Schriftfeldes eine geradezu berauschende Dynamik möglich wurde. Im Sockel des Rahmens erscheint erneut die Jahreszahl 1539 in einer Kartusche.
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Zur Komplet rahmen graue Wolken den Blick auf den besirnten gelben Grund mit der Marienkrönung (fol. 55v). Auch musizierende Engel bilden eine Art Rahmen um die Muttergottes links und den auf Wolken thronenden Gottvater rechts, über dessen kai serlicher Bügelkrone perspektivisch gesehen die Scheibe seines Nimbus schwebt. Maria is niedergekniet, um die Krone zu empfangen. Oben is vor die Krönungsszene an ei nem Band eine Kartusche mit den Worten laus deo gehängt, am unteren Rand findet sich erneut das übermalte Wappenfeld. Zu den Bußpsalmen hatte sich schon um 1500 Bathseba im Bade (fol. 63v) als belieb teses Thema durchgesetzt: Während König David auf einer Terrasse seines Palases links im Beisein eines Ratgebers einem knienden Boten, der in Weiß und Schwarz mit einem Dominikaner verwechselt werden könnte, die Botschaft überreicht, bietet unten eine Magd der nackten Bathseba eine Schale mit Früchten an. Von rechts kommt eine ältere Dienerin mit dem runden Spiegel, der gern auch Luxuria kennzeichnet. Nur der Brunnen, der sich als goldener Zierrat, von einem kleinen Löwen bekrönt, mit der Akt figur Bathsebas verbindet, is zu sehen, aber kein Becken. Dichtes Laub umgibt die Frau und verdeckt eigentlich den Blick von Davids Palas aus. Die sons dem Maler so wich tige Sicht in die Tiefe versellt ein runder Turm. Erneut, diesmal auf Rot, seht die Jah reszahl 1539 im Rahmen. Die letzte ganzseitige Miniatur im Stundenbuch eröfnet das Totenoffizium mit einer Darsellung von Hiob auf dem Dung (fol. 74). Den aufrecht sitzenden Dulder, der nur mit einem Lendentuch bekleidet is, besucht seine schöne junge Frau, gefolgt von zwei Freunden. Der Mishaufen vor einer niedrigen dunklen Mauer, die den Vordergrund rasch begrenzt, wird vom Maler nur sehr zurückhaltend geschildert. Künslerisch geht es um die noble Architekturkulisse mit Garten unter einem Bogen, von dem herab zwei entfernte Zuschauer nach unten sehen, und einem für Bilder Hiobs höchs ungewöhn lichen Blick in einen Palasraum rechts, so daß nur allzu deutlich wird, wie äshetische Intention und Nacherzählung von biblischen Geschichten in dieser Bildkultur auseinan der gehen; denn ehe Hiob der Aussatz befiel, is ja sein Haus und Vermögen zersört worden. Die religiöse Dimension soll dann aber doch eingefangen werden durch ein weit ausgreifendes Spruchband; darauf seht die Bitte aus Hiobs zweiter Antwort an Bildad: miseremini mei miseremini saltem vos amici mei (Erbarmt euch meiner, ihr mei ne Freunde: Hiob 19,21), der im Buch Hiob die berühmte Stelle folgt: Ich weiß, daß mein Erlöser lebt. In kirchlicher Tradition aber wurde das miseremini zur wichtigsen Bitte der Seelen im Fegefeuer. Die Sufragien eröfnen mit sechs bis siebenzeiligen Kleinbildern, die durchweg mit Vollfiguren besetzt sind. Der Text is so kompakt, daß auf die meisen Seiten zwei An rufungen und deshalb auch zwei Bilder passen; jede dieser Seiten wird mit einer recht eckig geführten und am unteren Rand geknoteten Franziskanerkordel gerahmt: Die Trinität erscheint als Gnadensuhl umgeben von Engeln im Himmel; Michael be siegt den Drachen (fol. 93), Johannes der Täufer mit dem Lamm und Johannes der Evangelis mit dem Giftbecher (fol. 93v), Petrus und Paulus in einer Landschaft und Jakobus
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der Ältere als Pilger mit einem Buch (fol. 94), die Steinigung des heiligen Stephanus (fol. 94v), Laurentius mit dem Ros und die Pfeilmarter Sebasians (fol. 95), Nikolaus mit den drei Jünglingen im Bottich und Antonius Abbas in einer Landschaft (fol. 95v), Rochus mit dem Engel und Anna lehrt Maria das Lesen (fol. 96), Magdalena mit dem Salbgefäß und Katharina in einer Landschaft (fol. 96v), Margarete entseigt dem Drachen (fol. 97), Barbara vor dem Turm, in dessen Torbogen ein Kelch mit einer Hosie seht (fol. 97v), Apollonia mit Zange und Zahn vor einem Ehrentuch (fol. 98). Zum Stil Gegen die silisische Vielfalt, mit der Anne de Montmorency aus seinem dritten Stun denbuch, das heute in Chantilly liegt, geradezu eine Bildergalerie der Zeit um 1550 machte (Orth schreibt die nur 14 Miniaturen einer Vielzahl von Malern zu: dem Meiser der Getty Episles, des GouffierPsalters, des GouffierStundenbuchs, dem FloraMeis ter, Jean Cousin und Niccolò dell’Abbate) zeichnet sich unser zweites Stundenbuch für denselben Auftraggeber durch das Vertrauen in einen einzigen Maler aus: Alle Mini aturen hat der Meiser des François de Rohan geschafen, der bereits Wesentliches für Annes erses Stundenbuch (unsere Nr. 64) getan hatte, dort aber noch in enger Zusam menarbeit mit Noël Bellemare, der nun nicht mehr zum Zuge kommt. Den Maler nennt man nach dem poetischen Bildnis dieses Prälaten, der als Erzbischof von Lyon und Primas von Frankreich den Fiore di Virtu, einen italienischen Moraltrak tat eines Bruders Tommaso aus dem frühen 14. Jahrhundert, übersetzt hatte. – An die ser Stelle kommen wir nicht umhin, darauf hinzuweisen, daß wir in unserem Katalog LXVII , Unterwegs zur Renaissance, 2011, als Nr. 8 die frühese bekannte Abschrift des italienischen Originals mit seinen faszinierenden Bildern aus ganz anderer Epoche (1340) vorsellen konnten. – Das französische Prachtexemplar des Fleur de Vertu aus dem Jahre 1530, fr. 1877 der BnF (Orth 2015, Nr. 59), hingegen zeigt den Übersetzer François II de Rohan in einem Garten, der am besen mit der Umgebung unserer Bathseba zu verglei chen is: Genau simmt die spezifische RenaissanceArchitektur überein; geradezu ein Markenzeichen is die Stilisierung des dichten Laubwerks sowie die auf wendige asym metrische Rahmung, die in unserem Stundenbuch überall die Bordüren ersetzt. Ganz glücklich kann man mit dem Fleur de Vertu als Ausgangspunkt für die Besimmung des Künslers nicht sein; denn im dortigen Bildbesand fehlt die Wildheit der Raumtiefe, die im zweiten Stundenbuch für Anne de Montmorency noch entschiedener als im sil gleichen Auftrag für Franz I. so fasziniert. Bei den Schilderungen im Moraltraktat von 1530 wirkt es, als habe sich der Maler an älteren Vorbildern orientiert und deren tep pichhafte Landschaften nur mit ein paar eindrucksvollen Felsen garniert. Zudem hat der Maler in den neun Jahren, die das namengebende Werk von unserem Stundenbuch trennen, ofenbar an Statur gewonnen: Das bezeugt ein Rückblick auf das hier vorgesellte erse Stundenbuch für Anne de Montmorency (Nr. 64); doch selbs in viel kürzerer Zeitdisanz tritt künslerische Dynamik zu Tage, wenn man die Bilder in unserer Handschrift mit denen des ebenfalls 1539 datierten Stundenbuchs vergleicht, in
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dem Franz I. zum normannischen Heiligen Markulf betet – ein rares Beispiel für die Le gende, dieser Heilige gebe seine eigene Heilkraft direkt nach der Krönung an den frisch Gekrönten weiter; weshalb sein Kult vor allem im Spätmittelalter zur Vorstellung vom „roi thaumaturge“ gehörte (Marc Bloch, Les rois thaumaturges, Paris und Straßburg 1924). Das Stundenbuch für Franz I., in dem Myra Orth das eigentliche Hauptwerk des Künst lers sah, hat sicher seinen königlichen Rang; doch umso mehr fällt die erstaunliche Stei gerung ins Gewicht, die unser Manuskript auszeichnet und die zugleich ein Licht auf das oft mißverstandene Verhältnis von Aufträgen unterschiedlich hoher Persönlichkei ten wirft. Es stimmt ja keineswegs, daß es die Könige waren, die jeweils die prächtigsten Werke bestellten. Im Rückblick auf das 15. Jahrhundert mag man nur an Karl VII . und seinen Finanzminister Étienne Chevalier denken oder auch an Ludwig XII ., der seine schönsten Bilderhandschriften nicht selbst bestellt, sondern von seinem Kanzler, dem Kardinal Georges d’Amboise geschenkt bekommen hat. So sieht es auch hier aus: Vielleicht hat Anne de Montmorency im Atelier des Künstlers das für den König bestimmte Buch noch in Arbeit gesehen und den Meister des François de Rohan dann zu einem weiteren Schritt ermuntert: In seinem Stundenbuch wollte der Konnetabel dann offenbar Vollbilder ohne Text haben; und so erhielt er Miniaturen von einer unvorstellbaren Wucht, die im Grundbestand den Bildern für den König durchaus entsprechen, aber, vom Textfeld auf der Seite befreit, noch sehr viel weiter gehen! Bei einem solch erstaunlichen Maler bedauert man umso mehr, daß man den Namen nicht kennt. Seine Aktivitäten waren ungemein breit gestreut: Neben seinen Buchma lereien stehen zahlreiche Entwürfe für den Buchdruck. Sie müßten dafür sorgen, daß einmal ermittelt werden kann, wie unser Maler hieß, der beispielsweise elf von dreizehn großen Holzschnitten für die 1541 bei Simon de Colines (für Angeliers frères) in Paris gedruckten Schrift des Jean Milles de Souvigny, De Praxis criminis persequendi, entwor fen hat. Ein anerkanntes Hauptwerk des Meisters des François de Rohan aus demselben Jahr 1539, in dem dieser Künstler ein von der Literatur bewundertes Stundenbuch für König Franz I. geschaffen hat. Zwar sind die Wappen mit Gold übermalt, aber frag los diejenigen des Konnetabels Anne de Montmorency, dessen erstes Stundenbuch wir hier als Nr. 64 vorstellen. In charakteristischer Weise versuchen Schreiber und Maler für den eigentlich sei nem König nachgeordneten Heerführer, den Auftrag für Franz I. noch zu übertref fen: Hier sind Bordüren ausgeschaltet und alle Hauptbilder textlos auf Verso ge stellt. Nicht mehr auf Trompe-l’œils angewiesen, verfügt der Maler nun über steile Räume zur einzigartigen Steigerung seiner Bildvorlagen. Das wird besonders deut lich bei Bildern wie der Flucht nach Ägypten, die derselben Bildvorlage wie im Pa rallelstück folgt, und noch entschiedener beim Pfingstbild, dessen Emphase einzig artig in der Buchmalerei dasteht!
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Zugleich gesellt sich durch den Meister des François de Rohan ein künstlerisches Idi om in die französische Hofkultur, das nicht nur aus dem Zusammenspiel von italie nischer Renaissance und niederländischem Manierismus erk lärt werden kann: Der erstaunliche Landschaftsmaler mit seinen wild bewegten Farbspielen und Draperi en sowie seinem Sinn für starke Emotion war zweifellos mit Malerei aus dem süd deutschen Sprachraum vertraut – dafür sprechen auch die einzigartigen Gebirgsdar stellungen in seinen Landschaften, die wir so nirgendwo anders in zeitgenössischer Buchmalerei finden. Literatur Das Manuskript ist der neuesten Literatur bekannt, nachdem es bei Ader Picard Tajan, Paris, 18. September 1988, lot 67bis: 1.85M Francs Zuschlag, beschrieben wurde; so figuriert es im ausgezeichneten, wie immer ärgerlicher Weise anonymen französischen Wikipedia-Artikel über den Meister des François de Rohan als eines seiner Hauptwer ke; dort wird auch kein Zweifel an der Bestimmung des Buchs für den Konnetabel Anne de Montmorency gelassen. Intensiv mit diesem Manuskript auseinandergesetzt hat sich Elizabeth A. R. Brown in ihrem Beitrag „Madeleine de Savoie and the Chantilly Hours of Anne de Mont morency“ in: Sandra Hindman und James H. Marrow (Hrsg.), Books of Hours Reconside red, London/Turnhout 2013, S. 431–468; sie bezeichnet den Band als „The 1539 Mont morency Hours” (S. 435-438) und bildet auf Fig. 3-5 Bathseba, eine Doppelseite aus dem Kalender und Johannes (diesen erneut in Farbe, Pl. 110) zutreffend als Werke des Meisters von François de Rohan ab, würdigt auch die hohe Qualität von Pergament und Schrift, um vom traditionellen Grundcharakter unseres Manuskripts aus den Haupt gegenstand ihrer Untersuchung, das Montmorency-Stundenbuch von 1551 in Chantilly besser zu verstehen, ohne jedoch auf den hier betonten Unterschied im Layout einzu gehen. In einem wichtigen Punkt können wir ihren Ausführungen nicht folgen: Brown meint, auf fol. 40 und 55v Wappen des Hauses Savoyen erkennen zu können, im ersten Fall un ter der Hirtenverkündigung als Allianzwappen mit Montmorency, im zweiten Fall un ter der Marienkrönung Savoyen allein. Der Gedanke ist verführerisch, weil die Wappen der Eheleute jeweils ein zentrales Kreuz, bei Montmorency in Rot, bei Savoyen in Silber haben; doch sind bei sehr starkem Gegenlicht die kleinen Adler, die alérions des Hauses Montmorency auf jeweils allen vier Vierteln der heute übermalten Wappen auch unter der Hirtenverkündigung und der Marienkrönung deutlich zu erkennen, vor allem aber allein das rote Kreuz von Montmorency! Von einem Allianzwappen, wie es beispielswei se Crépin-Leblond 2014, S. 39, aus den Fußbodenfliesen im Schloß von Écouen abbildet, kann deshalb nicht die Rede sein. Gegen die Einbeziehung von Madeleine de Savoyen in den Dekor unseres Stundenbuchs spricht auch die Gestaltung der Franziskaner-Kordeln um die Seiten mit Kleinbildern; dort fehlt der charakteristische 8-förmige Knoten der Savoyer (das beobachtet auch Brown auf S. 459 in Anm. 25). Daß Anna und Magdalena
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im Kalender in Rot ausgezeichnet sind (Brown, S. 435) würde auch in Stundenbüchern ohne jeden Bezug zu diesem Ehepaar nicht verwundern.
66 Ein Stundenbuch in Form der französischen Königslilie: Die Maquette für das Amienser Stundenbuch des französischen Königs Henri II – später im Besitz von Napoleon, Eugène de Beauharnais und des Viscount Combermere
STUNDENBUCH. Horae B. M. V. für den Gebrauch von Rom. Lateinische Handschrift auf Papier, in schwarzer Antiqua, mit Rubriken in roter Tinte oder in goldenen Kapitälchen. Paris, 1553: Jean Lemaire de Gien oder Charles Jourdain bzw. Geoffroy Ballin? Elf Miniaturen in den seitlichen Bögen der fleurs de lis. Alle Seiten mit goldener Leiste, die auf Doppelseiten die Form der fleurs de lis ausbildet; die durch die Lilienform entstehenden Restfelder zwischen den Textzeilen und dem Textspiegel vorwiegend blau- und rotgrundig, zuweilen auch mit Pinselgold gefüllt. Bedeutende Textanfänge ebenso wie die Psalmenanfänge mit zweizeiligen, Psalmenverse mit einzeiligen Zierbuchstaben in Gold auf abwechselnd roten und blauen Flächen, die genauso mit goldenem Filigran gemustert sind wie die Zeilenfüller sowie die Füllungen zur Lilienform hin. Versalien nicht farbig betont. 117 Blatt Papier; dazu ein zugehöriges Blatt als fliegendes Vorsatz vorn sowie je ein neueres Doppelblatt für die Doublüren. Die Lagenordnung ist nicht zu ermitteln, vermutlich wenigstens zum Teil in Lagen zu vier Blatt. Ohne Reklamanten. Zu 24, im Kalender in der Regel zu 19 Zeilen, braun regliert. Geschlossen in halber Lilienform, so daß die geöffneten Doppelseiten jeweils den Umriß einer ganzen fleur de lis ergeben (181 x 80 mm); der Textspiegel um etwa 3-4 mm schmaler, aber nicht ganz einheitlich bemessen; die leeren Ränder nehmen nach hinten etwas ab. Bis auf ein Blatt am Anfang des Kalenders vollständig. Vor allem zu Beginn und zum Ende hin im Falz leicht gebräunt, einige Blätter behutsam restauriert, stellenweise ergänzt und zum Falz hin stabilisiert. In einem stilgerecht erneuerten Einband des späten 18. oder frühen 19. Jahrhunderts: Maroquin citron mit goldgeprägten fleurs de lis im unendlichen Rapport (also semé), Doublüren in rotem Maroquin mit all-over-Goldprägung in Bogensatz mit Akanthus- und Blütendekor. Punzierter Goldschnitt. Provenienz: Vorsatz mit schwer lesbaren Besitzeinträgen, u.a. von 1630. Diese Eintragungen aber sind essentiell für die Provenienz seit 1800. Charles de Viel-Castel, Vater des Diplomaten, Schriftstellers und Kommandeurs der Ehrenlegion gleichen Namens (?), ist mit Signatur von 1808 vermerkt. Viel-Castel hat den Band offenbar zu jener Zeit Kaiser Napoleon oder seiner Frau Josephine geschenkt, da wir danach die Eintragung von Baron Combermere finden, er habe das Manuskript am 31. Juli 1815 in Malmaison, also der ehemaligen Residenz von Josephine, nun im Besitz von Eugène de Beauharnais, erhalten. Stapleton Cotton, Baron (später Viscount) Combermere war seit 1812 die rechte Hand Wellingtons und nach dessen Sieg bei Waterloo von 1815 auch dessen Nachfolger: Er traf am 15. Juli in Paris ein. Bis Ende 1816 war er sodann Oberkommandierender der englischen Streitkräfte in Frankreich (vgl. DNB XII, 1887, S. 351 ff., und The Complete Peerage III, 1913, S. 388 f.). Glücklicherweise sind wir über seinen Aufenthalt in La Malmaison gut unterrichtet: Wir lesen in Bd. 1 seiner Biographie, geschrieben von Lady Combermere, anhand seiner Briefe „Memoirs and Correspondence of Field-Marshal Viscount
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Combermere (…)“Bd. 1, 1866, S. 328-330: „We have been established at this delightful villa (= Malmaison) about ten days. Our host, Eugène Beauharnais is at Munich: (…) On Lord Combermere’s departure from Malmaison, Eugène presented him with an alabaster vase, which had been the gift of Pope Pius VII. to Josephine (…) Lord Combermere also asked for and obtained a posting-book, once used by Napoleon, as well as several works which had formed part of his library.“ Seit fast 200 Jahren war das Werk dann in angelsächsischem Privatbesitz. Der Text fol. 1: leer. fol. 1v: Übersicht zu den Osterdaten von 1553 bis 1564. fol. 2: Kalender in lateinischer Sprache, der Januar fehlt: jeder Tag besetzt, Feste in Rot, einfache Heiligentage und die Sonntagsbuchstaben bg in Schwarz, die Sonntagsbuch staben A als goldene Initialen abwechselnd auf Blau und Rot. Die Heiligenauswahl ist französisch, aber lokal wenig spezifisch; sogar die großen Heiligen der Hauptstadt fehlen. fol. 13: Perikopen: Johannes als Sufragium mit Antiphon und dem Schlußgebet Protector in te sperantium (fol. 13), Johannespassion (fol. 14v). fol. 24v: Marienoffizium für den Gebrauch von Rom: Matutin (fol. 24v mit Psalmen gruppen für die Wochentage), Laudes (fol. 33v), Prim (fol. 43v), Terz (fol. 47v), Sext (fol. 51), Non (fol. 54v), Vesper (fol. 57v), Komplet (fol. 63). fol. 67: Bußpsalmen, mit Litanei (fol. 76); die Heiligenauswahl mit Betonung von Paris (Dionysius, Genovefa). fol. 80: Totenoffizium für den Gebrauch von Rom. fol.102v: Suffragien: Trinität (fol. 102v), Gottvater (fol. 103), Christus (fol. 103v), Heiliger Geist (fol. 104), Antlitz Christi (fol. 104v), Michael (fol. 106), Schutzengel (fol. 106v), Heilig Kreuz (fol. 108). fol. 109: Gebete zur Kommunion: Omnipotens et misericors deus, ecce accedo ad sacramentum corporis et sanguinis unigeniti filii tui. fol. 112: Gebet des heiligen Augustinus, nach dem Erwachen an den Heiligen Geist zu richten: Christus, propitius esto mihi peccatori. fol. 113v: Gebet des heiligen Bernardin von Siena: O Bone Iesu, o dulcis Iesu. fol. 115: Sieben Verse des heiligen Bernhard: Illumina oculos meos. fol. 116: Textende; fol. 116v leer.
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Schrift und Schriftdekor Die Antiqua entstand im Zuge der humanistischen Buchkultur in Italien und orientierte sich an karolingischer Minuskel ebenso wie an antiker Epigraphik. In ihrem Ursprungs land blieb sie lange auf klassische Texte beschränkt, in Frankreich aber, wo sie seit dem frühen 16. Jahrhundert auch heimisch wurde, hat man sie, wie Myra Orth an verschie denen Stellen aufgezeigt hat, schnell auch für Gebetbücher eingesetzt. Mit der Antiqua verschwinden zahlreiche mittelalterliche Schreibgepflogenheiten; so gibt man die griechi schen Buchstaben xp in Christi Namen auf, schreibt Iesus statt ihesus, alles Eigenarten, die bei der Entstehung dieses Stundenbuchs schon geläufiger Brauch waren. Schon in den Nummern 61, 62, 63 und 65 dieses Katalogs trefen wir auf Beispiele ihrer Verwendung. Von der Schreiberkunst her könnte man auch bereits auf den mittelalterlichen Horror va cui verzichten, Titelzeilen mittig setzen und Zeilenfüller unterdrücken. Das aber würde dem eigentümlichen Konzept dieses Buches entgegenstehen: Hier geht es darum, durch möglichst geschlossenen Schriftspiegel, der überdies von einer goldenen Leiste umfaßt ist, die Grundform der französischen Königslilie zu umreißen und auf jeder geöfneten Doppelseite anschaulich werden zu lassen. Deshalb müssen alle Texte aneinander an schließen; selbst für die bedeutendsten Incipits wie die MarienMatutin werden höch stens einmal zwei Zeilen frei gelassen, um die Gesamtwirkung nicht zu beeinträchtigen. Deshalb versteht es sich von selbst, daß man mit einzelnen Seiten, die nur die halbe Kö nigslilie evozieren, nichts anfangen kann: fol. 1 und fol. 116v sind deshalb leer geblieben. Die Form des Buches sorgt im Kalender für extreme Abkürzungen; hier rechnet man of fenbar mit Lesern, denen die wesentlichen Angaben ohnehin vertraut sind und die des halb zum Beispiel „ioais an por“ am 6. Mai in Johannis ante portam latinam und „na. b. ma“ am 8. September in „nativitas beatae mariae“ auflösen können. Der Eigenart des Buches verdankt sich auch das sehr ungewöhnliche Aussehen der Litanei; denn man hat dort die sonst eisern beibehaltene Regel durchbrochen und die einzelnen Heiligen im Textverlauf und nicht jeweils neu am Zeilenbeginn genannt. Zur einheitlichen Wirkung trägt überdies bei, daß man den ganzen Apparat des Schrift dekors auf gleichartige Elemente beschränkt; damit überwindet man zugleich die mittel alterliche Tradition der Hierarchisierung des Textschmucks: Nur zwei Buchstabengrö ßen und, von wenigen Seiten abgesehen, nur zwei Farben für die Untergründe bleiben übrig: Rot und Blau; sie werden konsequent mit Gold verziert. Freilich sind an einigen Stellen die in Gold aufzutragenden Elemente, z.B. die Buchstaben auf Blau vergessen worden. Die stilistischen Eigenarten dieses Dekors gehen auf die Kompartimentbordü ren zurück, die man vor allem in Paris und Rouen bereits im späteren 15. Jahrhundert gepflegt hat. Ein besonderer Reiz, der bei flüchtiger Betrachtung übersehen werden kann, besteht da rin, daß Zeilenfüller teilweise für Rubriken genutzt wurden, die in kleinen goldenen Ka pitälchen geschrieben sind.
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Die Bildfolge Die Lilienform des Buches läßt nur in den seitlichen Rundungen Bilder zu; sie erhalten eine unregelmäßige Blasenform, die jedoch vom Maler geschickt für Landschaften und Interieurs genutzt wird. Fraglos ist die große Zeit der Buchmalerei zur Entstehungszeit des Bandes bereits vorbei; doch hat eine begabte Hand ihr Bestes versucht, die neuen Er rungenschaften der manieristisch geprägten Kunst der eigenen Epoche für die Aufgabe zu nutzen, die vor allem darin bestand, ein von der Form her außerordentliches Buch zu gestalten. fol. 14v: Die Kreuzigung Christi kann hier zur Johannespassion stehen, weil in diesem Buch auf die sonst mit diesem Thema eröfneten Horen des Heiligen Kreuzes verzich tet wurde. Das Bild gehört zu den besten Leistungen in diesem Manuskript: Das Kreuz Christi erhebt sich in einer saftig grünen Landschaft, die unter einem diesigen Himmel bis in blaue Fernen erschlossen wird. Nur Maria und Johannes umgeben den toten Er löser. Der Jünger erscheint in weißem Gewand, um das ein üppiger purpurner Mantel gebauscht ist. Marias Kleid scheint aus jenem dunkelroten Stof gefertigt, den man in früheren Kreuzigungsbildern nur selten findet. Mit ihrem blauen Mantel wird sie von einem schrofen Felsen hinterfangen, der ihrer Gestalt Kraft gibt und an jüngere Vor stellungen denken läßt, in denen die Stärke der Muttergottes in Begrifen wie dem spa nischen Maria Pilar gefaßt sind. Das Marienoffizium beweist, daß dem Manuskript recht alte Vorstellungen zugrundelie gen. Man kommt an keiner Stelle auf den Gedanken, von französischen Konventionen zur Bebilderung von Stundenbüchern abzuweichen; die späte Entstehungszeit drückt sich nur im Schnitt der Gewänder und den vielen Bäuschen in den Draperien aus. So erscheint der Erzengel Gabriel in der Marienverkündigung zur Matutin (fol. 24v) in einer Art Peplos, freilich mit weißem Hemd unter dem zweifach gegürteten Oberge wand. Er tritt im Profil von links zu Maria ein; prächtig hebt sich seine Gestalt vor dem schwarzen Grund ab. Maria sitzt hinter einem Betpult unter einem grünroten Balda chin und schaut mit zum Gebet gefügten Händen zum Engel und zur Taube auf, die in goldenen Strahlen aus der Höhe kommt. Der Horror vacui führt dazu, daß die Heimsuchung zur Laudes (fol. 33v) in einem et was kleineren Bildfeld unterkommen muß. Man wollte die Miniatur nicht alleinstellen; um aber mit dem Textbeginn nicht erst auf der nächsten Seite beginnen zu müssen, hat man eine Zeile oberhalb der Miniatur noch ganz für Schrift genutzt. In buckliger Wie senlandschaft reichen sich Maria und Elisabeth die Hände. Die Jungfrau ist von links gekommen; ihre ältere Base eilt ihr aus dem Torturm ihres stattlichen Hauses von rechts entgegen und neigt sich so, als sei sie im Begrif, in die Knie zu sinken. Zwischen beiden ragt in der Ferne eine schneebedeckte Bergspitze hervor. Maria trägt wieder Blau und Purpur, Elisabeth umgekehrt einen roten Mantel über Blau; doch ihr Rot ist frischer, karminfarben.
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Unter hellblauem Himmel spielt die Anbetung des Kindes zur Prim (fol. 43v), die den noch recht dunkel wirkt, weil der Stall mit seinen grauen Pfosten und dem entsprechen den Dach vor einer fast schwarzen Ruinenwand steht, in die rechts eine rundbogige Öf nung führt. Das Kind liegt in der Mitte, auf der Krippe, über der die Köpfe von Esel und Ochs erscheinen. Joseph steht links mit einer brennenden Kerze, durch die man die Nacht wie die Weihe des Ereignisses charakterisierte. Maria betet ihr Kind von rechts an. Der Ziehvater trägt über Ocker ein kräftiges Rot, die Jungfrau hingegen die bekann te Kombination aus Blau über Purpur. In einer lichten Landschaft, in deren Mitte sich die Schafe drängen, spielt die Hirtenverkündigung zur Terz (fol. 47v): Am vorderen Bildrand liegt ein junger Hirte; ihn weist ein Jüngling auf den Engel hin, der mit dem Schriftband des glorIa von rechts oben herab schwebt, während ein dritter Hirte rechts auf seinen Stab gestützt zuschaut. Farbstark und ganz auf der Höhe der Zeit ist die Anbetung der Könige zur Sext (fol. 51): Der Stall hat nun links eine Spur monumentaler RenaissanceArchitektur, ehe sich die Formen im Dunkel verlieren. Unter dem goldenen Stern, der von rechts oben Licht streut, haben die Weisen aus dem Morgenland haltgemacht. Vor der Muttergottes mit dem nackten Knaben und dem Ziehvater Joseph, der sich im Hintergrund hält, kniet der älteste König; er hat seinen Kronhut am Boden abgelegt und betet den Knaben an. Derweil reicht der noch gekrönte mittlere König sein Geschenk dem Joseph, während der junge Mohrenkönig, die Krone auf dem Haupt, von rechts herzutritt. Auch bei der Darbringung im Tempel zur Non (fol. 54v) herrscht die Renaissance: In monumentaler Tempelarchitektur spielt die Hauptszene mit Simeon, der das Kind von der knienden Muttergottes entgegennimmt, sowie Joseph, der die Kerze trägt, und einer jungen Frau, deren Taubenkörbchen verdeckt oder gar vergessen ist. Bei aller Beschrän kung hat der Buchmaler aber rechts noch Platz für eine Gruppe von Männern, die das Ereignis diskutieren. Die geschickte Inszenierung von hellem Himmel, lichtgrüner Landschaft und dunkel grauem Weg, auf dem der Esel nach links schreitet, macht die Flucht nach Ägypten zur Vesper (fol. 57) zu einem besonders typischen Bild: Der Esel, mit der Muttergottes im Damensitz, trottet gesenkten Kopfs nach links; Joseph führt ihn nicht, sondern schrei tet wie in manchen Bildern seit den Jahren um 1500 hinterher; er wirkt hier, derselben Zeittendenz folgend, auch nicht mehr so alt wie gewohnt (und eben noch bei den ande ren Szenen). Im Wolkenkranz scheint goldener Grund auf; das ist der Himmel, in dem die Marien krönung zur Komplet (fol. 63) vollzogen wird. Die Magd Gottes ist gerade aufgestiegen; noch ist sie nicht ganz im Bildfeld angekommen; betend blickt sie zum Betrachter, wäh rend Jesus links und Gottvater rechts die Krone halten, über der die Taube mit feurigen Strahlen schwebt. fol. 67: Davids Buße zu den Bußpsalmen war schon um 1500 gern durch andere Themen, beispielsweise durch Bathseba im Bade oder durch das Jüngste Gericht ersetzt worden.
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Wieder vergewissert man sich der Tradition, allerdings mit einer formal ziemlich fort schrittlichen Variante des Themas: Da kniet der alttestamentliche König vorn, recht ju gendlich und in einem wieder modisch gewordenen Profil. Er blickt auf zu einem Engel, der mit einem Stab in der Hand erscheint, um ihm Gottes Unmut mitzuteilen; frühere Generationen von Buchmalern zeigten an seiner Stelle lieber Gott selbst. Die Landschaft mit Wald links und einer Burg rechts wirkt luftig und frei. fol. 80: Hiob auf dem Dung hatte sich schon um 1500 als das wichtigste Bildthema zum Totenoffizium durchgesetzt. Hier sitzt er mit einer Ruine im Rücken. Von links sind zwei Freunde und die sehr junge Frau des Dulders hinzugetreten. Die lichtvolle Kulisse zeigt wieder, wie weit sich diese Buchmalerei von der Spätgotik entfernt hat. Die Lilienform Die Lilienform ist zweifellos eine eindeutige Reverenz an König und Königreich, doch sollte man nicht vergessen, daß man die französische Lilie zuweilen in einem sehr ernsten religiösen Zusammenhang gesehen hat. Seit Raoul de Presles Übersetzung der „Civitas Dei“ des Kirchenvaters Augustinus sieht man darin ein göttliches Zeichen, das in der Dreiheit von France moderne zum Symbol der Trinität wird. Diese Lesart erhält beson deres Gewicht durch die Tatsache, daß sich der Merowinger Chlodwig als erster Herr scher eines germanischen Volks nach dem Ritus der römischen und nicht dem der by zantinischen Kirche taufen ließ. Deren Trinitätslehre hat deshalb für das Spätmittelalter ihre eigentliche Stütze im französischen Königtum. Eine bezeichnende Legende erzählt, wie das Lilienbanner von Gott einem Engel anvertraut wurde, damit der es einem Ein siedler bringe, der es seinerseits an die heilige Clotilde weitergegeben hat, damit sie ih ren von Bischof Remigius frisch getauften Chlodwig damit ausstattete. Das ganze Ge schehen hat der Meister der Münchner Legenda aurea für die Übergabe des sogenannten BedfordStundenbuchs (London, British Museum, Add. MS 18850, fol. 288v) in einer ganzseitigen Miniatur gefaßt. Da nun Chlodwigs Taufe die Grundlage für die Krönung und Salbung der französischen Könige in Reims war, ergibt sich eine schlüssige Kette von Umständen, die der fleur de lis eine ungemein wichtige geistliche und weltliche Be deutung gaben. Ein Parallelstück: das Stundenbuch für Henri II von 1555 in Amiens Man kennt nur ein vergleichbares Manuskript: das Ms. Lescalopier 22 der Stadtbiblio thek in Amiens, auf das Henry Martin schon 1894 in einer kleinen Veröfentlichung hingewiesen hat und das seit 1923 zuweilen in Ausstellungen präsentiert wurde. 1555, also zwei Jahre später als in unserem Manuskript, beginnt dort die komputistische Ta fel; es ist nicht völlig klar, wann Wappen und Zeichen von Henri II dort eingemalt wor den sind; doch ist die Herkunft aus königlichem Besitz zumindest seit den Zeiten Lud wigs XIII . (16101643) gesichert. 1866 ist der Band in die Bibliothèque municipale von Amiens gelangt: Wappen von König Heinrich II . von Frankreich auf fol. 1v und Lud wig XIII . auf fol. 2 sind ergänzt durch die Initialen von Heinrich II . (H mit drei Crois
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sants), dazu das doppelte P der Diane de Poitiers, und von Ludwig XIII . (gekröntes L und doppeltes Lambda). Das Buch ist ein wenig später als unseres entstanden, denn die Osterdaten beginnen erst 1555. Das Stundenbuch in Amiens ist auf Pergament geschrieben, gleicht aber mit seiner An tiqua ebenso wie mit den ein- bis zweizeiligen Initialen in Gold auf blauen oder roten Feldern und entsprechenden Zeilenfüllern perfekt unserem Manuskript. Mit den 128 Blatt ist das Exemplar in Amiens etwas umfangreicher, geschrieben auf Pergament und fast exakt so groß: 182 x 80 mm. Gebunden ist es in 29 Lagen vorwiegend zu vier Blatt – davon abweichend 1 (2), 2 (8+1), 28 (8). 24zeilig sind die Textseiten angelegt, die Ka lenderseiten zu 19 Zeilen; schwarz ist die Tinte, rot die Rubriken und zwar in franzö sischer Sprache. Auch im Aufbau gleicht der Band in Amiens stark unserem Buch; auf fol. 3 setzt der Kalender ein, gefolgt von den beiden Johannes-Perikopen (die Passion beginnt auf fol. fizium (fol. 25v) führt zu den Bußpsalmen (fol. 74v) mit Litanei (fol. 16v). Das Marienof fizium (fol. 91). Daran schließen allerdings ab fol. 107 andere 84) und dann dem Totenof Gebete und Suffragien an; auffällig sind Texte zu Ehren des deutschen Kaisers Heinrich II . (fol. 110) und des heiligen französischen Königs Ludwig IX . (fol. 110v); dazu gibt es ein Genovefa-Suffragium (fol. 111) und am Ende ein Gebet für französische Könige bei der Heilung von Skrofulose (fol. 121v). Unterschiede im Bildprogramm unterstreichen, daß der Band in Amiens ein aufwendi gerer Auftrag war: Er zeigt im Kalender die Monatsbilder mit dem Tierkreiszeichen auf den Recto-Seiten (Festmahl, Ausschneiden von Büschen, Beschneiden der Weinstöcke, Mann mit kranzbindenden Frauen, Jagd, Schafschur, Heumahd, Kornmahd, Pflügen, Weinlese, Flachsbrechen, Schweineschlachten). Die Horen des Heiligen Kreuzes eröff nen auf fol. 16v mit der Gefangennahme Jesu; auf fol. 23v folgen die Passionswerkzeuge. Wie in unserem Manuskript enthält das Marienof fizium den gewohnten Zyklus. Bei der Marienverkündigung tritt jedoch Gabriel von rechts ein (fol. 25v); die Abstände zwischen den Stundenanfängen sind etwas weiter: Heimsuchung (fol. 41), Anbetung des Kindes (fol. 50), Hirtenverkündigung (fol. 53v), Anbetung der Könige (fol. 56v), Darbringung im Tempel (fol. 59v), Flucht nach Ägypten (fol. 62v), Marienkrönung (fol. 68v). Die Buß psalmen eröffnen auf fol. 74v mit David und Bathseba. Zu Hiob auf fol. 91 kommen nur die drei Freunde. Zum Maler Die Frage, ob man die beiden Handschriften ein und derselben Buchmalerwerkstatt zu schreiben kann, muß ebenso wie die Bezüge zu anderen Miniaturen auf – allerdings be denkenswerte – Hypothesen beschränkt bleiben. Doch so wie man in der Ausstellung Livres d’heures royaux in Écouen 1993 auf das Amienser Stück (Nr. 24) ein gedrucktes Stundenbuch von 1558 folgen ließ, das für Clau de Gouf fi er von einer markanten Malerpersönlichkeit ausgemalt worden ist, so verbin
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den auch wir unser Manuskript mit derselben Stilgruppe. Dabei darf man nicht verges sen, daß die Größenunterschiede und die völlig andere Art des Auftrags von vornherein ausschließen, in beiden Handschriften Miniaturen exakter Entsprechung zu finden. Die Verbindung scheint uns jedoch auszureichen für eine Einordnung in die Pariser Buchma lerei der Zeit um 1553/55, die nur noch von wenigen Persönlichkeiten vertreten wurde. Da die Namen der drei Buchmaler überliefert sind, die für Claude Gouf fi er (siehe hier Nr. 63!) in den 50er Jahren gearbeitet haben, wird man angesichts der Ähnlichkeiten in der Faktur davon sprechen dürfen, daß der – oder die – Maler eventuell jener Jean Le maire de Gien von 1555 oder aber doch Charles Jourdain bzw. Geoffroy Ballin sein dürf ten. Die Übereinstimmung mit Miniaturen in einem der gedruckten Stundenbücher zu Claude Gouffiers Hochzeit 1558 in unserem Besitz läßt eigentlich keinen Zweifel daran zu, daß wir es hier zumindest mit der nämlichen Werkstatt zu tun haben. Das Auftauchen dieses Codex ist eine Sensation. Es kann kein Zweifel daran beste hen, daß unsere Papierhandschrift nicht nur der eindeutig für Henri II gestalteten Amienser Handschrift um zwei Jahre vorausgeht, sondern daß sie als eine Art Ma quette für dieses auf das kostbarere Pergament geschriebene Manuskript gedacht war. Es handelt sich bei beiden Handschriften um Werke aus dem direkten Umfeld des Königs, der als Kunstfreund unter anderem dadurch hervortrat, daß er 1555 ein neues Corps de Logis im Louvre errichten und von Goujon mit den berühmten Ka ryatiden ausstatten ließ. Die unendlich wertvolle Handschrift war wohl bis 1815 im mer in adligem oder königlich-kaiserlichem Besitz. Am 31. Juli jenes Jahres wurde sie im Schloß von Malmaison, das für Napoleon und seine Gattin Josephine errich tet worden war, Baron Combermere, Wellingtons rechter Hand in Frankreich, von Eugène de Beauharnais samt weiteren Büchern aus Napoleons Besitz als Geschenk überreicht. Seither fast 200 Jahre in angelsächsischem Privatbesitz, muß das Auf tauchen dieses Werks hier als Trouvaille sondergleichen gefeiert werden: sowohl als Dokument geistvoller königlicher Bücherpflege des 16. Jahrhunderts, aber ebenso auch als einzigartige Reliquie der größten Buchbinderkunst Europas, der französi schen des 16. Jahrhunderts, wiedergeboren unter Napoleon I. Literatur LM NF IV, Nr. 33.
Ausschließlich zum Vergleichsstück in Amiens: Cat. de la bibl. de M. le Comte de l’Éscalopier, Paris 1866, Nr. 501. Cat. général, XIX , Paris 1893, S. 472, Nr. 22 (501). H. Michel, Un livre d’heures du XVIe siècle en forme de Fleur de Lys, in: La Curiosité universelle 1894, Nr. 381, S. 4 f. oder 3-5.
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Katalognummer 66
P. Neveux und E. Dacier, Les richesses des bibliothèques provinciales de France, Paris 1932, I, S. 36 und Taf. XI . J. Lestoquoy, Un manuscrit de la Bibl. mun. d’Amiens ayant appartenu à Henri II , in: Bull. de la Soc. Nat. des Antiqu. de France, 1962, S. 47-51. J. Desobry, Un livre d’heures de Henri II , roi de France, in: Bulletin trimestriel des Antiquaires de Picardie 61, 1985/1987, Nr. 604, S. 315-327. J. Vézin, Formes insolites, in: Mise en page et mise en texte du livre manuscrit, Paris 1990, S. 457 f. Ausstellungskataloge: Paris 1923: Le livre français des origines à la fin du Second Empire, Nr. 64. Paris 1937: Chefs-d’œuvre de l’art français, Nr. 784. Paris 1972: Le Livre, Nr. 225, S. 74. Amiens 1987: Les livres illustrés du Moyen Âge. Amiens 1993: Incunables et merveilles de la Bibliothèque d’Amiens du VII Ie siècle à nos jours. Écouen 1993: Livres d’heures royaux. La peinture des manuscrits à la cour de France au temps d’Henri II, Nr. 24, mit Abb. der Doppelseite der königlichen Wappen. Livres d’heures à l’usage d’Amiens et de plusieurs autres lieux, Ausst.-Kat. Amiens 1998/99, Nr. 21, S. 68-70, zwei nicht gezählte Farbabbildungen.
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Bibliographie für Paris mon Amour III-V Die wichtigsten Kataloge des Antiquariats Heribert Tenschert: Horae b. m. v.: Tenschert, Heribert und Ina Nettekoven (Hrsg.), Horae b.m.v. 158 Stundenbuchdrucke der Sammlung Bibermühle. 1490–1550, Bde. I–III , Bibermühle 2003. Tenschert, Heribert (Hrsg.), Horae b.m.v. 365 gedruckte Stundenbücher der Sammlung Bibermühle. 1487–1586, Bde. IV–VI ,Bibermühle 2014; Bde. VII–IX , Bibermühle 2015. Leuchtendes Mittelalter: König, Eberhard, mit Heribert Tenschert, 89 libri manu scripti 89 illuminati vom 10. bis zum 16. Jahrhundert (Leuchtendes Mittelalter I), Rotthalmünster 1989. Ders. und Heribert Tenschert, Sechzig illuminierte und illustrierte Manuskripte des Mittelalters und der Renaissance (Leuchtendes Mittelalter II ), Rotthalmünster 1990. Ders. und Heribert Tenschert, Das goldene Zeitalter der burgundischen Buchmalerei. 1430– 1560 (Leuchtendes Mittelalter III ), Rotthalmünster 1991. Ders., Große Buchmalerei zwischen Rouen und Paris: Der Froissart des Kardinals Georges d’Amboise aus der Sammlung des Fürsten Pückler-Muskau (Leuchtendes Mittelalter IV ), Rotthalmünster 1992. Ders., Psalter und Stundenbuch in Frankreich vom 13. bis zum 16. Jahrhundert (Leuchtendes Mittelalter V), Rotthalmünster 1993. Ders. und Heribert Tenschert 44 Manuskripte vom 14. bis zum 17. Jahrhundert aus Frankreich, Flandern, England, Spanien, den Niederlanden, Italien und Deutschland (Leuchtendes Mittelalter VI ), Rotthalmünster 1993/94. Neue Folge: König, Eberhard, mit Gabriele Bartz, Boccaccio und Petrarca in Paris (Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge I), Rotthalmünster und Bibermühle 1997. Ders. mit Gaudenz Freuler u.a., Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge II, Rotthalmünster und Bibermühle 1998. Ders. mit Beiträgen von Gabriele Bartz und Heribert Tenschert, Vom Heiligen Ludwig zum Sonnenkönig: 34 Werke der Französischen Buchmalerei aus Gotik, Renaissance und Barock (Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge III ), Rotthalmünster und Bibermühle 2000.
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Bibliographie
Ders. mit Heribert Tenschert und Ina Nettekoven, 32 illuminierte Manuskripte aus Frankreich vom 13. bis zum 15. Jahrhundert (Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge IV), Rotthalmünster und Bibermühle 2007. Ders. und Heribert Tenschert, 30 illuminierte Manuskripte des 15. und 16. Jahrhunderts aus Flandern und Holland (Leuchtendes Mittelalter. Neue Folge V), Rotthalmünster und Bibermühle 2008. Ders. und Heribert Tenschert, 35 Stundenbücher aus Paris und den französischen Regionen im 15. und 16. Jahrhundert (Leuchtendes Mittelalter, Neue Folge VI ), Bibermühle 2009. Ausstellungskataloge Baltimore 1988: Time Sanctified. The Book of Hours in Medieval Art and Life, von Roger S. Wieck, New York 1988. Berlin 1980: Das christliche Gebetbuch im Mittelalter. Andachts- und Stundenbücher in Handschrift und Frühdruck, von Gerard Achten, Berlin 1980; 2. Aufl. Berlin 1987. Cambridge 2016: Colour. The Art & Science of Illuminated Manuscripts, hrsg. von Stella Panayotova u.a., Cambridge (London) 2016. Chantilly 1991: La bibliothèque d’Anne de Montmorency, Musée Condé, Chantilly 1991. Chantilly 2001: L’art du Manuscrit de la Renaissance en France, Musée Condé, von Patricia Stirneman u.a., Chantilly 2001. Écouen 1993: Livres d’heures royaux. La peinture de manuscrits à la cour de France au temps de Henri II., von Thierry Crépin-Leblond und Myra Dickman Orth, Paris 1993. Köln 1987: Andachtsbücher des Mittelalters in Privatbesitz, von Joachim M. Plotzek, Köln 1987. Köln 1993: Vaticana. Liturgie und Andacht im Mittelalter, hrsg. von Joachim M. Plotzek, Köln 1993. Köln 2001: ars vivendi – ars moriendi, hrsg. von Joachim M. Plotzek und Ulrike Surmann, Köln, München 2001. London 2011: Royal Manuscripts. The Genius of Illumination, hrsg. von Scot McKendrick u.a., London 2011. Lyon 2015: Lyon Renaissance. Arts et Humanisme, hrsg. von Ludmila Virassamynaïken, Lyon, Paris 2015. New York 1982: The Last Flowering. French Painting in Manuscripts. 1420–1540, von John Plummer, mit Gregory Clark, New York 1982. New York 1998: Painted Prayers. The Book of Hours in Medieval and Renaissance Art, von Roger S. Wieck, New York 1998.
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Bibliographie
Paris 1993: Les manuscrits à peinture en France 1440–1520, von François Avril und Nicole Reynaud, Paris 1993. Paris 2011: Les Enluminures du Louvre. Moyen Age et Renaissance, hrsg. von François Avril, Nicole Reynaud und Dominique Cordellier, Paris 2011. Paris 2017: François Ier et l’Art des Pay-Bas, hrsg. von Cécile Scaillerez, Paris 2017. Tours 2012: Tours 1500. Capitale des Arts, hrsg. von Béatrice de Chancel-Bardelot u.a., Tours, Paris 2012. Aufsätze und Monographien Alexander, Jonathan J.G., Medieval Illuminators and Their Methods of Work, New Haven 1992. Avril, François, siehe Ausst.-Kat. Paris. Backhouse, Janet, Books of Hours, London 1985. Dies., Illustration from Books of Hours, London 2004. Büttner, Frank Olaf (Hrsg.), The Illuminated Psalter. Studies in the Content, Purpose and Placement of its Images, Turnhout 2004. Burin, Elizabeth, Manuscript Illumination in Lyons (1473–1530), Ars Nova IV, Turnhout 2001. Cousseau, Marie-Blanche, Étienne Colaud et l’enluminure parisienne sou le règne de François Ier, Rennes 2016. Decker-Hauff, Hansmartin u.a., Das Stundenbuch der Maria Stuart, Handschrift aus dem Besitz des herzoglichen Hauses Württemberg, Darmstadt u.a. 1988. Delaissé, Léon M.J. (hrsg. Von Sandra Hindman), The Importance of Books of Hours for the History of the Medieval Book, in: Gatherings in Honor of Dorothy Miner, hrsg. von Ursula McCracken u.a., Baltimore 1974, S. 203–225. Deldicque, Mathieu, L’enluminure à Paris à la fin du XVe siècle: Maître François, le Maître de Jacques de Besançon et Jacques de Besançon identifiés?, Revue de l’art 183, 2014, S. 9–18. Delisle, Léopold, Les heures du connétable Anne de Montmorency au Musée Condé, in: Annuaire-Bulletin de la société de l’histoire de France, 1900, S. 107–134. Ders., Les heures du connétable Anne de Montmorency au Musée Condé, in: Revue de l’art ancient et moderne 7, 1900, S. 321–334; 392–404. Derolez, Albert, Masters and Measures: A Codicological Approach to Books of Hours, in: Quaerendo 33, 1–2, 2003, S. 83–95.
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Bibliographie
Ders., Books for Women Made by Men, in: Florence Brazès-Moly und Francesca Marini, Medieval Charm. IIluminated Manuscripts for Royal, Aristocratic and Ecclesiastic Patronage, Florenz 2017, S. 64–83. Ders. und Gabriele Bartz, Die Illustration des Totenoffiziums in Stundenbüchern, in: Im Angesicht des Todes. Ein interdisziplinäres Kolloquium, (Pietas Liturgica 3–4), hrsg. von Hansjakob Becker u.a., St. Ottilien 1987, I, S. 487–528. Laborde, Léon de, La Renaissance des arts à la cour de France: études sur de seizième siècle, 2 Bde., Paris 1850. Legaré, Anne-Marie, und Betrand Schnerb (Hrsg.), Livres et lectures de femmes en Europe entre Moyen Âge et Renaissance, Turnhout 2007. Leproux, Guy-Michel, Un peintre anversois à Paris sous le règne de François Ier: Noël Bellemare, in: Cahiers de la Rotonde 20, 1998, S. 127–154. Ders., La peinture à Paris sous le règne de François Ier, Paris 2001. Leroquais, Abbé Victor, Les Livres d’heures manuscrits de la Bibliothèque nationale, 2 Bde., 1 Tafelband, Paris 1927; Supplément, Mâcon 1943. Ders., Les Bréviaires manuscrits des Bibliothèques publiques de France, 4 Bde., 1 Tafelband, Paris 1934. Ders., Les Psautiers manuscrits latins des Bibliothèques publiques de France, 2 Bde., 1 Tafelband, Mâcon 1940–41. Nettekoven, Ina, Der Meister der Apokalypsenrose der Sainte-Chapelle und die Pariser Buchkunst um 1500, Ars Nova VI, Turnhout 2004. Dies., J’aime tant fort une. Das Stundenbuch des Königs Charles VIII., München 2016. Orth, Myra Dickman, Geofroy Tory et l’enluminure: deux livres d’heures de la Collection Doheny, in: Revue de l’Art 50, 1981, S. 40–47. Dies., French Renaissance Manuscripts: The 1520s Hours Workshop and the Master of the Getty Epistles, in: Journal of the J. Paul Getty Museum 16, 1988, S. 33–60. Dies., Antwerp Mannerist Model Drawings in French Renaissance Books of Hours: A Case Study of the 1520s Hours Workshop, in: Journal of the Walters Art Gallery 47, 1989, S. 61–90. Dies., What Goes Around: Borders and Frames in French Manuscripts, in: Journal of the Walters Art Gallery 54, 1996, S. 189–201; 277–278. Dies., The Master of François II de Rohan: A Familiar French Renaissance Artist with a New Name, in: Illuminating the Book. Essays in Honour of Janet Backhouse, hrsg. von Michelle Brown und Scot McKendrick, London 1998, S. 69–91.
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Register Zum rascheren Auffinden von Autoren, Übersetzern und Bearbeitern (1); Buchmalern (2), Schreibern (3); Buchbindern (4); sowie Auftraggebern und Provenienzen (5). Die Nummern beziehen sich auf diejenigen des Katalogs. Da es sich bei den Handschriften durchgehend um Stundenbücher handelt, werden diese im Register nicht eigens aufgeführt. A Abbey, Major J. R. (5) 56 Angennes, Charles de (5) 55 Anne de Bretagne, Königin (5) 47? Anne de Montmorency (5) 64, 65 Aragon: siehe Katharina von Aragon B Ballin, Geoffroy (2) 66? Beauharnais, Eugène de (5) 66 Beauvillain, Etienne (5) 65 Beckford, William (5) 51 Belin, Théophile (5) 56 Bellemare, Noël (2) 64 Bidoire, Pierre (5) 55 Boucher, Michelle (5) 55 Brölemann, A. (5) 48, 59 Broussonet, Bibl. (5) 58 C Cailhava, Léon (5) 59 Cain, Antoinette (5) 63 Chaperon, Claude (5) 49 Charles X, König (5) 56? Coene, Jean (2) 52, 55, 56, 57 Coësmes, Marguerite (5) 55 Colaud, Etienne (2) 60, 61, 62, 64 Combermere, Viscount (5) 66
D Devauchelle, R. (4) 56 Diane de Poitiers (5) 66 Duchesnay, Pierre (5) 63 Duriez, L. M. J. (5) 59 F Fleury, Librairie (5) 53 Flühmann, Adrian (5) 56 Fontaine, A. (5) 59 Funes, Don Diego de (5) 64 G Giraud de Prangey-Escertaines, Mme de (5) 56 Gotha-Meister (2) 58 Grey, Thomas Philip Earl de (5) 51 Gruel, Léon (4) 56, 58 H Hauptmeister der Statuten des Michaelsordens (2) 61 Henri II , Roi de France (5) 66 Henri, duc de Chambord (5) 56? J Jourdain, Charles (2) 63, 66?
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Register
K Katharina von Aragon, Königin von England (5) 47 Koehler (4) 59 L La Vallière, duc de (5) 57? Lemaire de Gien, Jean (2) 66 Lignières, Antoine de (5) 57 Louis XII, König von Frankreich (5) 47? M Mallet, Mme Etienne (5) 59 Maria von England, Königin (5) 47? Martainville-Meister (2) 47, 48, 49, 50, 53 Meister der Marie Charlot, siehe Meister des E. Poncher Meister der Philippa von Geldern (2) 52, 59 Meister des Psalters von Claude Gouffier (2) 63 Meister des d’Urfé-Psalters (2) 60 Meister des Etienne Poncher (2) 52, 59 Meister des François II de Rohan (2) 64, 65 Meister des Gothaer Stundenbuchs, siehe Gotha-Meister Montmorency: siehe Anne de Montmorency
N Napoleon I, Empereur (5) 66 P Palmier, Pierre (5) 62 Paris, Comte de (5) 49 Pelée, Claude (5) 49 Pelée, Familie (5) 49 Pichore, Jean (2) 47, 51, 52, 53, 54 R Rahir, Edouard (5) 55 R. B. (5) 48 S Saint-Gelais, Octovien de (5) 51 Sicklès, Daniel (5) 58 Smith, William Henry (5) 54 T Trubert, Georges: Atelier (2) 48? V Vaillant, Martial (2) 62? Viel-Castel, Charles de (5) 66
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LXXXII H T