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Konversion in Hessen: Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen. Wichtige Fragestellungen und Themen in der Kommunalberatung Erfahrungsbericht der HA Hessen Agentur GmbH und HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH

Wiesbaden, Mai 2015 HA Report 892


Eine Veröffentlichung der HA Hessen Agentur GmbH Postfach 1811 D-65008 Wiesbaden Konradinerallee 9 D-65189 Wiesbaden Telefon 0611 / 9 50 17-80 E-Mail info@hessen-agentur.de Internet http://www.hessen-agentur.de Geschäftsführer: Folke Mühlhölzer (Vorsitzender), Dr. Rainer Waldschmidt Vorsitzender des Aufsichtsrats Vorsitzender des Aufsichtsrats: Tarek Al-Wazir, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung und der HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH Mainzer Str. 118 65189 Wiesbaden Telefon: +49 (0) 611 95017- 8353 E-Mail friedhelm.flug@ha-stadtentwicklung.de Internet http://www.ha-stadtentwicklung.de Geschäftsführer: Friedhelm Flug

Redaktionsschluss: April 2015 Titelfoto: HA Hessen Agentur GmbH

Ansprechpartner Konversion: Dipl.-Ing. Susanne Piesk, HA Hessen Agentur GmbH T: 0611 / 95 01 78 364 susanne.piesk@hessen-agentur.de Dipl.-Ing. Rainer Müller, HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH T: 069 / 95 11 87 18 812, rainer.mueller@ha-stadtentwicklung.de


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

Konversion in Hessen: Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen. Wichtige Fragestellungen und Themen in der Kommunalberatung Erfahrungsbericht der HA Hessen Agentur GmbH und HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH

Inhalt 1.

Welche Entwicklungs- bzw. Vermarktungsmodelle sind praktikabel?

1

2.

Möglichkeiten für Schutzschirmkommunen Konversionsflächen zu erwerben bzw. deren Entwicklung mitzugestalten

3

3.

Anwendung des sogenannten „Erstzugriffs“ im Vergleich mit anderen Optionen

11

4.

Anwendung des Instruments „Sanierungssatzung“ und Abschreibung gemäß Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Entwicklung von Wohnquartieren in Housing areas

12

5.

Bestandsschutz für Housing areas oder nicht?

17

6.

Housing areas: Zustand und Schadstoffbelastung, Normen und Standards

19

7.

Kommunale Satzungen: Soziale Bodenordnung

22

Anhang

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Im vorliegenden Erfahrungsbericht wird die Kommentierung durch die HA Hessen Agentur GmbH bzw. HA SEG in roter Schrift und grau hinterlegt dargestellt.


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

1.

Welche Entwicklungs- bzw. Vermarktungsmodelle sind praktikabel?

Die klassischen alternativen Varianten bei der Komplettübernahme und der anschließenden Entwicklung und Vermarktung einer Liegenschaft durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) sind: 

Eine Kommune oder eine mehrheitlich öffentliche Gesellschaft (> 50 Prozent) erwirbt die Liegenschaft komplett z. B. im Rahmen der sogenannten Erstzugriffsoption, richtet sie her und vermarktet sie. Bei diesem Modell ist auch ein Zusammenschluss aus (mehrheitlich öffentlichen) Wohnungsbaugesellschaften denkbar, der allein oder gemeinsam mit einer Kommune die Liegenschaft erwirbt. Herrichtung und Vermarktung übernehmen dann in der Regel im Wesentlichen die Wohnungsbaugesellschaften. Selbst bei dieser Variante wird von den Kommunen in zahlreichen Beispielen nach Bekanntgabe der Freigabe der Liegenschaften der Beschluss zur Einleitung von Vorbereitenden Untersuchungen gemäß § 141 bzw. 165 (4) Baugesetzbuch (BauGB) gefasst. Dadurch wird der Qualitätsstichtag zur Ermittlung des sogenannte entwicklungsunbeeinflussten Anfangswertes fixiert und die Kommune wahrt die Option der Anwendung des Besonderen Städtebaurechts (Entwicklungsmaßnahme / Sanierungsmaßnahme). (Siehe auch Punkt 2 und Punkt 6.)

Die Entwicklung und Vermarktung der Liegenschaften übernimmt der Bund bzw. die BImA selbst und die Kommune beschränkt sich auf die Ausübung der Planungshoheit und ggf. die Herstellung der öffentlichen Erschließung gemäß § 127 (2) sowie der Abwasserbeseitigungsanlagen gemäß § 127 (4) BauGB. Die Kommune schließt dazu in der Regel einen Städtebaulichen Vertrag mit der BImA.

Ein privater Investor übernimmt die Liegenschaft von der BImA direkt im Rahmen einer im Einvernehmen mit der Kommune durchgeführten Ausschreibung, schließt mit der Stadt einen Städtebaulichen Vertrag, übernimmt Herrichtung und Erschließung der später öffentlichen Flächen, entwickelt und vermarktet die Flächen und (neuen) Gebäude und errichtet ggf. Infrastruktureinrichtungen. (In manchen Fällen übernimmt die Kommune Schulgrundstücke etc., um dort selbst Infrastruktureinrichtungen zu schaffen.)

Bedingt durch die zusätzlichen benötigten Flächen zur Unterbringung von Flüchtlingen hat sich aktuell eine neue Ausgangssituation ergeben und weitere Optionen haben sich herauskristallisiert. Im Hinblick auf die extreme Flächennachfrage hat die Bundesanstalt ihr „Angebots-Portfolio“ offensiv erweitert und bietet nun grundsätzlich alle verfügbaren Immobilien an. Ausgenommen sind nur Liegenschaften, die ganz offensichtlich ungeeignet sind oder sich im Verkaufsprozess in der Schlussphase befinden. Es werden auch solche Liegenschaften angeboten, deren bisherige dienstliche Nutzung absehbar in Kürze endet, oder die in Teilen vermietet werden könnten. Gemäß Beschluss des Bundestages darf die BImA zum einen Unterkünfte mietfrei für die Unterbringung von Flüchtlingen den Kommunen zu Verfügung stellen. Korrespondierend hierzu wurde auch ein Verfahren für die Flüchtlingsunterbringung im Rahmen einer Veräußerung in Verbindung mit evtl. Verbilligungstatbeständen entwickelt. Aktuell werden hier unterschiedliche Modelle diskutiert.

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Entweder erwirbt auch hier die Kommune oder eine kommunal beherrschte Gesellschaft im Rahmen der Erstzugriffsoption oder ein privater Investor übernimmt nach einem Ausschreibungsverfahren der BImA die Liegenschaft komplett und schließt mit dem Land Hessen (zusätzliche Erstaufnahmeeinrichtungen) oder einem Landkreis bzw. einer kreisfreien Stadt (zugewiesene Flüchtlinge) einen Vertrag zur Unterbringung von Flüchtlingen über einen Zeitraum von beispielsweise 10 Jahren. Bei der Ermittlung des Kaufpreises wird ggf. eine Verbilligung auf Grund der Unterbringung von Flüchtlingen brücksichtigt. Im Vertrag wird in der Regel die Herrichtung ausgewählter Gebäude und der wesentlichen Infrastruktur zugesichert, im Gegenzug erhält der Investor eine garantierte Miete und ggf. noch Zuschüsse vom Land. Mit der Kommune schließt der Investor einen Städtebaulichen Vertrag, in dem die endgültige Herrichtung und Erschließung sowie Entwicklung und Vermarktung nach Ablauf der zehn Jahre vereinbart wird. Dieses Modell eignet sich insbesondere für Standorte, in denen das Interesse von Projektentwicklern an ehemals militärischen Arealen normalerweise eher gering ist. Der Vorteil für Kommunen: Die komplette Infrastruktur wird spätestens nach zehn Jahren hergerichtet, die sanierten und andere Gebäude werden dann dem allgemeinen Wohnungsmarkt zur Verfügung stehen. Der Vorteil für die BImA: Durch die Kombination der Vorhaben und Interessen kann die vollständige Vermarktung einer Liegenschaft gelingen, deren Veräußerung sich ohne eine solche Kombination vermutlich schwieriger gestalten würde. Der Vorteil für den potenziellen Käufer: Er kann mit gesicherten Mieteinnahmen für einige Jahre für einen Teil der hergerichteten Kaserne kalkulieren. So wird aktuell in Hanau die Unterbringung von Flüchtlingen über einen Zeitraum von 10 Jahren in der Sportsfield housing diskutiert. Die städtische Gesellschaft Bauprojekt Hanau würde die Liegenschaft erwerben und ausgewählte Gebäude einschließlich Infrastruktur herrichten. Pro Bewohner erhielte sie öffentliche Zuschüsse. Zu allen Varianten sind jeweils abweichende Untervarianten möglich, u.a. in Verbindung mit Genossenschaftsmodellen oder Erbpachtmodellen. Die Entscheidung, welches Modell angewendet werden soll, hängt immer von den Rahmenbedingungen in der Kommune und von der Marktsituation ab. Vor jedweder Entscheidung wird der Kommune grundsätzlich empfohlen, keine den Bodenwert beeinflussende Äußerungen zum künftigen Planungsrecht und zur Nachnutzung zu machen und den o.g. Einleitungsbeschluss zu fassen, um die Bodenwerte proaktiv „einzufrieren“. Es wird den betroffenen Kommunen auch empfohlen, frühzeitig Kontakt zu anderen Beispielkommunen sowie zu potenziellen Entwicklungspartnern, z. B. Wohnungsbaugesellschaften, aufzunehmen. Hilfreiches Instrument, um diese Entscheidung zu treffen, kann ferner eine erste überschlägige Wirtschaftlichkeitsberechnung (Kosten- und Finanzierungsübersicht) sein. (Siehe Literaturangabe im Anhang: Leitfaden zur Erstellung von Kosten- und Finanzierungsübersichten der HA Hessen Agentur GmbH). Darüber hinaus kann die vom Land Hessen finanzierte Konversionsberatung der HA Hessen Agentur GmbH zu Rate gezogen werden. Sie ist für von Konversion betroffene Kommunen kostenfrei. (www.hessen-agentur.de/konversion)

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2.

Anwendung des sogenannten „Erstzugriffs“ im Vergleich mit anderen Optionen

Grundlagen und Rahmenbedingungen des „Erstzugriffs“ Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat in seiner Sitzung am 21.03.2012 beschlossen, dass die BImA an Gebietskörperschaften sowie an privatrechtliche Gesellschaften / Unternehmen, Stiftungen oder Anstalten, an denen die Kommune/Gebietskörperschaft mehrheitlich beteiligt ist, die in deren Gebiet gelegenen entbehrlichen Grundstücke, die unmittelbar aus militärischer Vornutzung der Bundeswehr oder der Alliierten Streitkräfte stammen und zu militärischen Zwecken genutzt wurden (Konversionsgrundstücke), zum gutachterlich ermittelten Verkehrswert ohne Bieterverfahren veräußern kann. („Erstzugriffsoption“).1 Im Haushaltsgesetz 2015 wurde beschlossen, dass Liegenschaften der Bundeswehr, die vom Militär nicht mehr benötigt werden, verbilligt an Gebietskörperschaften im Rahmen des Erstzugriffs abgegeben werden können. „Einen wichtigen Beitrag für mehr Wohnbauland können nicht mehr benötigte Konversionsliegenschaften im öffentlichen Eigentum leisten. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben wird die Kommunen auch weiterhin dabei unterstützen. So wird mit Rücksicht auf die vielen am Gemeinwohl orientierten Vorhaben der Kommunen, wie der Schaffung bezahlbaren Wohnraums, eine verbilligte Abgabe von Grundstücken realisiert.“ Die Einzelheiten dazu wurden in einer Veräußerungsrichtlinie geregelt, der der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages im April 2015 zugestimmt hat. Demnach können bei Anwendung des Erstzugriffs in den Haushaltsjahren 2015 bis 2018 Nachlässe in einem Rahmen von insgesamt 100 Millionen Euro erfolgen. Dies gilt rückwirkend seit dem 1. Januar 2015. Erwerbsberechtigt sind wiederum Gebietskörperschaften, privatrechtliche Gesellschaften / Unternehmen, Stiftungen und Anstalten, an denen diese mehrheitlich beteiligt sind. Sie können Flächen zu Zwecken, die dem Gemeinwohl dienen, ohne Bieterverfahren unter dem Verkehrswert erwerben. Die Höhe des Kaufpreisabschlages beträgt maximal 250.000 Euro. Im Falle der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern kommt ein zusätzlicher Abschlag von maximal 100.000 Euro hinzu. Alle weiteren Hilfen für die Gemeinden bleiben unverändert bestehen.2

Housing areas Hanau und Darmstadt. Fotos: Stadt Hanau, Stadt Darmstadt

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Bundesministerium der Verteidigung / BImA: Merkblatt zur Konversion, Hilfestellungen, Förderungen und Verwertungsmodelle des Bundes, 19. Juni 2013. Bund ermöglicht Ländern und Kommunen verbilligten Erwerb von Liegenschaften, Pressemitteilung, Eckhardt Rehberg, Mitglied des Deutschen Bundestages, Mitglied des Haushaltsausschusses, Vorsitzender der Landesgruppe, Mecklenburg-Vorpommern, 23. April 2015. 3


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Beim Erstzugriff ist zu beachten, dass es sich nicht um ein Recht der Kommune handelt. Die BImA hat lediglich die Möglichkeit, diese Option zu gewähren. Die Erstzugriffsoption kann unabhängig von der Art der künftigen Nutzung gewährt werden. Der Erstzugriff bezieht sich grundsätzlich auf originär zu militärischen Zwecken genutzte Liegenschaften d.h. klassische ehemalige Militärflächen (Kasernen, Depots, Verwaltungs- und Infrastrukturgebäude etc.), wurde aber auch auf für militärische Wohnzwecke genutzte Wohnanlagen (z. B. Housing areas) außerhalb der eigentlichen Kasernenanlagen erweitert. Zudem sollen Äußerungen der BImA zufolge nun auch zivile Wohnungen des Bundes im Rahmen des Erstzugriffs abgegeben werden können.3,4 Der Kommune soll die Erstzugriffsoption nur zustehen, wenn sie verbindlich gegenüber der BImA erklärt, dass der Erwerb unmittelbar der Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe dient, zu der sie gesetzlich verpflichtet ist oder die sie auf Grundlage der jeweiligen Kommunalverfassung / Gemeindeordnung des Landes wahrnimmt („Zweckerklärung“). Diese Zweckerklärung kann die Kommune „gestalten“, da das Aufgabenspektrum einer Gemeinde, aufgrund der kommunalrechtlichen Allzuständigkeit im eigenen Wirkungskreis, als sehr breit gefächert anzusehen ist. Die BImA hat bekundet, hier einen sehr weiten Maßstab anzulegen. Seitens der BImA wird erwartet, dass die Kommune ihr grundsätzliches und begründetes Erwerbsinteresse innerhalb eines Zeitraums von in der Regel sechs Monaten gegenüber der BImA schriftlich erklärt, nachdem die Kommune von der BImA schriftlich über die anstehende Rückgabe unterrichtet, auf die Möglichkeit des Erstzugriffs hingewiesen und ihr die Besichtigung der Liegenschaft sowie Einsichtnahme der verfügbaren Pläne und Unterlagen angeboten wurde. Hinsichtlich der Fristen wird seitens der BImA Flexibilität bekundet. Häufig liegen belastbare Unterlagen auch noch nicht vor, die eine verlässliche Risikoabschätzung erlauben. Die BImA versteht diese Fristen als Regelfristen, die zur Verfahrensbeschleunigung dienen sollen und in Abhängigkeit von Größe und Komplexität der Konversionsmaßnahme auch verlängert werden können. Es handelt sich nicht um Ausschlussfristen.5 Die Option auf den Erstzugriff soll verfallen, wenn die Verkaufsverhandlungen nicht innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe des Wertermittlungsergebnisses zur notariellen Beurkundung eines (mindestens für die Kommune bindenden) Grundstückskaufvertrages geführt haben. Das gesamte Verfahren (ab Ausübung der Erstzugriffsoption durch die Kommune bis zur notariellen Beurkundung des Kaufvertrages) soll einen Zeitraum von regelmäßig zwei Jahren nicht überschreiten.

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Matthias Hiekel/dpa, in: ZEIT online, 27.11.2014.

Regionen-Dialog Bayern, Konversion im Spannungsfeld verantwortlicher Stadtentwicklung, 19. März 2015 in Bamberg, Vortrag und Präsentation Jörg Musial, Konversion in Deutschland – Wie haben sich die Rahmenbedingungen und wie die Prozesse verändert und weiter entwickelt? Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) Referat SW 23: Praxisratgeber Militärkonversion, 2013. 4


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Angesichts der Unterschiedlichkeiten von Größe und Komplexität der Liegenschaften wird empfohlen, zur Ausübung der Erstzugriffsoption im Wege einer kooperativen Vereinbarung zwischen BImA und der Kommune auch Aussagen zum zeitlichen Ablauf zu treffen.6 Wertermittlung Sobald die künftige, planungsrechtlich zulässige, zivile Nutzung hinreichend konkretisiert ist, nach Vorstellungen der BImA z. B. durch Vorlage eines Nachnutzungskonzeptes, aus dem sich alle wesentlichen und für die Wertermittlung erforderlichen Daten der geplanten zivilen Nutzung ergeben, veranlasst die BImA die Ermittlung des vollen Wertes im Sinne der Bundeshaushaltsordnung durch ein Wertgutachten eines unabhängigen Sachverständigen. Das ist in der Regel ein Sachverständiger der BImA oder ein von der BImA beauftragter Gutachter. Grundsätzlich sind hierbei die in der ImmoWertV vorgesehenen Wertermittlungsverfahren (Sach-, Vergleichs-, Ertragswertverfahren) anzuwenden. Eine Bestandsaufnahme der Liegenschaften einschließlich Bewertung sowie detaillierte Planunterlagen und Gutachten kann zu diesem Zeitpunkt von der BImA den Kommunen jedoch meist nicht zur Verfügung gestellt werden. Die Kommunen sind also häufig aufgefordert, ohne vertiefte Kenntnisse und Bewertungen über die Liegenschaften, z. B. über Zustand der Bausubstanz, Belastungen im Grundstück, Zustand der Erschließung, Ver- und Entsorgung einschließlich Leitungsverläufe, die künftige Nutzung zu skizzieren bzw. konzeptionell auszuarbeiten. Sind z. B. Gebäude für eine Wohnnutzung vorgesehen sind, ist der Ausschluss schadstoffhaltiger Materialien in den Gebäuden von zentraler Bedeutung, andernfalls muss ggf. sogar der Abriss vorgesehen werden. Beide Alternativen haben unterschiedlichen Einfluss auf ein realistisches Nachnutzungskonzept. Insofern ist vor der Wertermittlung von Seiten der Kommune auf eine umfassende Bestandsermittlung zu drängen, die die BImA, beauftragen sollte. Alternativ könnte der Besserungsschein (siehe Seite 10) nicht nur für Wert- sondern auch für Kostensteigerungen vereinbart werden. Jede Konversionsliegenschaft ist eine „black box“, trotz zahlreicher Bestandpläne. Auch bei der Beauftragung des Gutachters sollte die Kommune eine Mitsprache einfordern. In der Vergangenheit herrschten häufig unterschiedliche Auffassungen zwischen dem von der BImA beauftragten Gutachter und dem örtlichen Gutachterausschuss hinsichtlich der anzusetzenden Werte und der Abzugspositionen bzw. den dafür zu bestimmenden Einheitspreisen, z. B. für Bauleistungen. Das von der BImA propagierte deduktive Wertermittlungsverfahren, aber auch das vorgesehene Verfahren des Erstzugriffs, setzen wie dargestellt erste Planungsüberlegungen der Kommune voraus, die ggf. aber schon wertbildend sein können. Mit Vorlegen eines Nachnutzungskonzepts steigt auch unter Umständen schon der (Anfangs-) Wert der Liegenschaft. Die Auswirkungen beschrieb Daniela Wagner, Geschäftsführerin der Grünen-Fraktion im Kreistag Darmstadt, in der Presse aus der Perspektive der Kommune: „Mit jedem Zeitungsbericht über neue tolle Planungen schraubte die BImA als Inhaberin der Konversionsgrundstücke ihre Preisvorstellungen weiter in die Höhe.“7

6 7

Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Praxisratgeber Militärkonversion, Berlin 2013, S. 84f. www.gal-bamberg.de: GAL – Aktuelle Informationen: Konversion – ein heikles Geschäft, 17.07.2012. 5


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Auch in der Zweckerklärung kann eine zu konkrete Skizzierung des Zwecks preissteigernd wirken. Die Zweckerklärung sollte also keinesfalls einen Konkretisierungsgrad erreichen, der stark wertsteigernd wirkt und spätere Städtebauliche Verträge überflüssig machen könnte, soweit nicht bereits die Einleitung Vorbereitender Untersuchungen im Sinne der §§ 141 bzw. 165 Abs. 4 BauGB beschlossen oder diesbezüglich z. B. in der Konversionsvereinbarung Regelungen getroffen wurden. Es ist empfehlenswert, grundsätzlich vor jedweder Äußerung zur geplanten Nachnutzung der Konversionsliegenschaft auf kommunaler Seite den Einleitungsbeschluss für Vorbereitende Untersuchungen zu Sanierungs- bzw. Entwicklungsmaßnahmen nach § 141 bzw. 165 (4) BauGB zu fassen. Dann gilt spätestens der Tag der Veröffentlichung des Beschlusses als Qualitätsstichtag und die Bodenpreise werden als entwicklungsunbeeinflusster Anfangswert zu diesem Stichtag quasi eingefroren. Dieser Stichtag ist einer Ermittlung des Anfangswertes gemäß § 154 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 169 Abs. 1 Nr. 6 und 7 BauGB zugrunde zu legen. Der ermittelte Wert könnte auch als tatsächlicher Wert im Sinne der BHO angesehen werden, unabhängig davon, ob später tatsächlich eine Entwicklungsmaßnahme oder Sanierungsmaßnahme nach BauGB durchgeführt wird. Wurde kein derartiger Beschluss gefasst, erfolgt die Wertermittlung in der Regel im deduktiven Wertermittlungsverfahren in Anlehnung an das „GIF-Verfahren“8. In dem vorgesehenen Verfahren ist der volle Wert gemäß § 194 BauGB „stichtagsbezogen, aber dennoch zukunftsorientiert und wird maßgeblich durch die zukünftige Nutzung bestimmt.“9 Für die Bewertung ehemals militärisch genutzter Grundstücke, die städtebaulich entwickelt werden sollen, sind diese Standardverfahren aber häufig nicht unmittelbar anwendbar. Anders als bei „normalen“ Immobilien gibt es für den Handel mit militärischen Flächen keinen Markt, wie beispielsweise für Gewerbeflächen, landwirtschaftliche Flächen etc., und somit keine Vergleichspreise bzw. -daten. Daher ist eine Wertermittlung mit den o.g. drei klassischen Verfahren kaum möglich. Häufig müssen die Liegenschaften erst noch zu baureifem Land, also zu Bauerwartungs- oder Rohbauland entwickelt werden. Der Wert des Grundstücks wird ermittelt, indem die marktüblichen Kosten, z. B. für Erschließung, Altlasten- und Kampfmittelsanierung, Rückbau etc., unter Berücksichtigung der Chancen und Risiken (u. a. Berücksichtigung der Wartezeiten mittels Abzinsung) von dem wahrscheinlich für das vermarktbare baureife Land auf Basis von Vergleichspreisen zu erzielenden Kaufpreis abgezogen werden. Die Differenzierung aus potenziellem Ertrag und Kosten ist ggf. wie bei allen Wertermittlungsverfahren an die Bedingungen des Marktes anzupassen.10

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Siehe Ermittlung des Marktwerts (Verkehrswerts) von werdendem Bauland, Oktober 2008, gif Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V.) 9 Gabriele Bobka: Wertermittlung beim Verkauf ehemaliger Militärflächen, in: Der Immobilienbewerter, 4/12, S. 6ff. 10 Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Praxisratgeber Militärkonversion, Berlin 2013, S. 85f. 6


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Housing areas Büdingen und Butzbach. Fotos: HA Hessen Agentur GmbH

Abzugsfähige Kosten Im von Seiten der BImA vorgeschlagenen deduktiven Verfahren werden also auf der Grundlage des abgestimmten Nachnutzungskonzepts von dem voraussichtlichen Marktwert die gesamten Freilegungsund Erschließungskosten, Wertminderungen durch Wartezeiten etc. abgezogen. Der Differenzbetrag entspricht dann dem voraussichtlichen Bodenwert. Es soll also die Herangehensweise eines Investors simuliert werden. Unklar bleibt häufig, welche Positionen die abzugsfähigen Kosten im Einzelnen umfassen. Was genau sind „städtebauliche Folgekosten“? Gehören dazu auch der Neubau einer Kindertagesstätte samt Grundstück oder die Bodenpreisminderung aufgrund der Schaffung von bezahlbaren Wohnbauland bzw. Wohnraum? Schwierig ist ferner die Quantifizierung dieser Kosten. Welchen Wert haben Gemeinbedarfsflächen? Was kostet ein Quadratmeter Straße an diesem Standort? Hilfreich können hier kommunale Satzungen sein, die Werte für die Herstellung von Infrastruktur bzw. Einheitspreise vorgeben. Unabhängig von der Anwendung des Entwicklungs- und Sanierungsrechts steht den Kommunen das Satzungsrecht zur Verfügung, um z. B. künftige Mietobergrenzen zu beschließen (z. B. Sozialgerechte Bodennutzung – SoBoN). Die Kommune kann auch Erhaltungs- bzw. Milieuschutzsatzungen im Sinne des § 172 BauGB erlassen, um dadurch zu hohe Bodenwertansätze in der Wertermittlung zu vermeiden. Die Stadt München hat beispielsweise ihre zahlreichen Satzungen in den Verhandlungen mit der BImA zugrunde gelegt. (Siehe Kapitel „Verhältnis zu kommunalen Satzungen: Soziale Bodenordnung“). Nicht abschließend definiert ist auch, was „am Gemeinwohl orientierte Aufgaben der Kommune“ sind. Hier ergibt sich für die Kommunen ein Auslegungs- und damit Verhandlungsspielraum. Gehört dazu beispielsweise auch die Verlagerung von Gewerbebetrieben, um an deren Ursprungsstandort bezahlbaren Wohnraum zu schaffen? Der Aufgabenbereich einer Kommune umfasst sowohl Angelegenheiten des eigenen als auch des übertragenen Wirkungskreises. Auf der Grundlage der kommunalrechtlichen Allzuständigkeit im eigenen Wirkungskreis ist das Aufgabenspektrum einer Kommune sehr weit gefächert. Gemeindliche Aufgaben in diesem Sinne sind z. B. regelmäßig die Schaffung von Gemeinbedarfseinrichtungen und Einrichtungen der Daseinsvorsorge, Wohnungsfürsorge oder Maßnahmen zur strukturellen Entwicklung. Die konkrete Bewertung muss sich an den Gegebenheiten des Einzelfalles orientieren. 7


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Hilfreiches Instrument bei der Aufstellung und Quantifizierung von zu erwartenden Kosten ist eine erste überschlägige Wirtschaftlichkeitsberechnung (Kosten- und Finanzierungsübersicht). Grundsätzlich sollte bei den Kommunen die Auffassung herrschen, dass alle Positionen und Umstände, die im Rahmen eines Städtebaulichen Vertrags nach § 11 BauGB zulässiger Weise berücksichtigt werden können, auch im Rahmen des Erstzugriffs bei der Wertermittlung in Ansatz gebracht werden können. Korrespondierend können auch die Regelungen im Besonderen Städtebaurecht, z. B. §§ 147 und 148 BauGB als Vergleichsmaßstab gesehen werden, da diese Instrumentarien den Kommunen offen stehen.

Ausschnitt Excel-Sheet: Übersicht Inhalt Kosten- und Finanzierungsübersicht

Quelle: HA Hessen Agentur GmbH

Auch § 194 BauGB zur Verkehrswertermittlung gibt dazu Auskunft: "Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre." In der ImmoWertV heißt es dazu in § 4, Absatz 2 ausführend: „Der Zustand eines Grundstücks bestimmt sich nach der Gesamtheit der verkehrswertbeeinflussenden rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks (Grundstücksmerkmale). Zu den Grundstücksmerkmalen gehören insbesondere der Entwicklungszustand (§ 5), die Art und das Maß der baulichen oder sonstigen Nutzung (§ 6 Absatz 1), die wertbeeinflussenden Rechte und Belastungen 8


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(§ 6, Absatz 2); der abgabenrechtliche Zustand (§ 6 Absatz 3), die Lagemerkmale (§ 6 Absatz 4) und die weiteren Merkmale (§ 6 Absatz 5 u. 6).“ Häufig wird ein sogenannter „Mindestkaufpreis“ quasi im Sinne des tatsächlichen Wertes nach BHO von Seiten der BImA in die Diskussion gebracht. Im Rahmen des deduktiven Verfahrens wäre zu hinterfragen, ob dieser im Sinne des GIF-Verfahrens überhaupt oberhalb eines deduktiv ermittelten Wertes liegen könnte. Ein solcher Wert sollte in jedem Fall hinterfragt werden bezüglich seiner rechtlichen Grundlage und seines rechnerischen Zustandekommens.

Housing areas Butzbach und Gelnhausen. Fotos: HA Hessen Agentur GmbH

Für den Fall der geplanten Entwicklung von Wohnbauflächen auf Konversionsflächen bzw. der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum, u.a. zur Unterbringung von Flüchtlingen wurde, wie oben erwähnt, im April 2015 eine Veräußerungsrichtlinie beschlossen, die eine Veräußerung von Liegenschaften unter dem ermittelten Verkehrswert vorsieht. Die Verbilligung kann demnach maximal 250.000 Euro bzw. 350.000 Euro betragen. Es ist davon auszugehen, dass diese Verbilligung – nachdem die Ermittlung des Verkehrswerts nach dem oben beschriebenen Vorgehen erfolgt ist und dieser feststeht – „on top“ gewährt wird. Unklar bleibt jedoch, ob diese Verbilligung pro Kommune oder pro Liegenschaft gewährt wird. Weitergehende Verbilligungen z. B. im Sinne des Erwerbs zum entwicklungsunbeeinflussten Boden(Anfangs-Wert) lehnt die BImA lehnt jedoch in Kombination mit dem Erstzugriff ab. So kam die Stadt Bamberg zwar als erste Kommune in den Genuss der mit Beschluss des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages erweiterten Auslegung des BImA-Gesetzes. D.h. das Erstzugriffsrecht der Stadt Bamberg wurde bei der Konversion des US-Standorts auf sämtliche Liegenschaften erweitert, einschließlich der Wohngebäude und einschließlich etwaiger außerhalb der eigentlichen Kasernengelände gelegener Wohnimmobilien. Der Forderung nach einer weiteren Verbilligung im Sinne des Erwerbs zum entwicklungsunbeeinflussten Boden-(Anfangs-Wert) konnte der Haushaltsausschuss jedoch nicht folgen.

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Der Besserungsschein Zukünftig sollen Kommunen zur Beschleunigung von Verkaufsverfahren gegenüber der BImA auch das Instrument des Besserungsscheins verstärkt nutzen können.11 Der Besserungsschein wird von der BImA jedoch bisher nur in eine Richtung angewendet, und zwar bei der nachträglichen Wertsteigerung der veräußerten Liegenschaften. Klassisches Beispiel ist die nachträgliche Erhöhung der Ausnutzungsziffern im B-Plan und die damit verbundene Bodenwertsteigerung. In diesem Fall sind 50 Prozent des Planungsgewinns an die BImA abzuführen. Dies gilt innerhalb von 20 Jahren nach Erwerb. Unklar bleibt, ob der „Brutto-Planungsgewinn“ oder der um die ggf. ebenfalls erhöhten Infrastrukturund Folgekosten verminderte „Netto-Planungsgewinn“ gemeint ist. Bisher wird das Instrument des Besserungsscheins von der BImA nicht angewendet, wenn sich nachtägliche Kostensteigerungen bzw. Wertminderungen ergeben. Klassisches Beispiel ist die nachträgliche Ausweisung öffentlicher Grünflächen, z. B. eines Stadtparks, anstelle von Wohnbauland oder das nachträgliche Entdecken von Substanzmängeln. Fazit: Das Erstzugriffsrecht ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, hat jedoch für die Kommunen nicht die unterstützende Wirkung, die bei vorangegangenen Konversionswellen die sogenannten Verbilligungstatbestände beim Transfer militärischer Liegenschaften an die Standortkommunen hatten. Es ist u.U. für ein Kooperationsmodell (Kommune plus Partner aus der Wohnungswirtschaft) empfehlenswert. Auf jeden Fall sollte von Seiten der Kommune der o.g. Einleitungsbeschluss gefasst werden, der zunächst eine positive Wirkung auf die Preisverhandlungen hat, auch, wenn es nicht zur späteren Anwendung des Besonderen Städtebaurechts kommt. Unabhängig davon sollte die Kommune vor Ausübung des Erstzugriffs grundsätzlich prüfen, ob die komplette Anwendung des Besonderen Städtebaurechts nach BauGB eventuell dem Erstzugriff vorzuziehen ist. Schließlich kann der Erwerb einer Konversionsliegenschaft durch die Kommune auch im Hinblick auf die Durchführung einer Entwicklungs- oder Sanierungsmaßnahme erfolgen. Dann allerdings stellt der o.g. entwicklungsunbeeinflusste Wert (Anfangswert) die Verhandlungsgrundlage bzw. den Kaufpreis im Sinne des tatsächlichen Wertes dar. Von ihm werden allenfalls durch die Konversion bedingte Mehraufwendungen (z. B. Altlastenbeseitigung), nicht jedoch die gesamten Entwicklungskosten abgezogen. Ein umfassendes deduktives Verfahren wie beim Erstzugriff ist nicht möglich.

11 Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD: Deutschlands Zukunft gestalten, 18. Legislaturperiode sowie Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Baden-Württemberg 10


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3. Möglichkeiten für Schutzschirmkommunen Konversionsflächen zu erwerben bzw. deren Entwicklung mitzugestalten Vielfach streben von Konversion betroffene Kommunen an, die Entwicklung und Vermarktung der künftigen neuen Stadt- bzw. Wohnquartiere selbst zu gestalten und zu steuern: Sie möchten sich nicht nur auf die Ausübung ihrer Planungshoheit beschränken. Aus diesem Grund beabsichtigen sie selbst oder über mehrheitlich öffentliche Entwicklungsgesellschaften die Liegenschaften von der BImA zu erwerben. In Hessen stehen jedoch zahlreiche Kommunen unter dem finanziellen „Schutzschirm“ des Landes und sehen sich daher außer Stande, ein derartiges Vorhaben finanziell zu bewältigen. Auch in einer derart wirtschaftlich angespannten Lage steht ein Lösungsansatz zur Verfügung, der ganz wesentlich von einer Rechtsanwaltskanzlei in Hanau12 in Kooperation mit der HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH entwickelt wurde, und in der Stadt Heidelberg erstmals zur Anwendung kam. Das sogenannte „Heidelberger Modell“. Es basiert im Wesentlichen auf der Gründung einer GmbH & Co. KG, an der die Kommune mehrheitlich beteiligt ist. Die Konsortialpartner in der KG sind z. B. Wohnungsbaugesellschaften, die ggf. über ein Interessenbekundungsverfahren ausgewählt wurden. Diese GmbH & Co. KG erwirbt die Konversionsliegenschaft von der BImA. Bereits im Konsortialvertrag ist festgehalten, dass die Konsortialpartner den gesamten Kaufpreis aufbringen. Direkt nach dem Erwerb zieht sich die die Kommune komplett aus der GmbH zurück, die Konsortialpartner übernehmen die Anteile. In der KG behält die Kommune einen Minderheitsanteil von mehr als 5 bis 10 Prozent. Im Konsortialvertrag wird der Einfluss der Kommune (Mitspracherechte, Abstimmungsverhalten, inhaltliche Punkte etc.) unabhängig von den Beteiligungsverhältnissen gesichert und schriftlich festgehalten. Die so umgebaute GmbH & Co. KG ist nicht mehr verpflichtet, öffentlich auszuschreiben. Im genannten Beispiel können nun die Wohnungsbaugesellschaften Aufträge frei vergeben. Im „Heidelberger Modell“ wurden unterhalb der GmbH & Co. KG noch weitere Objektgesellschaften für verschiedene Standorte bzw. Projekte gegründet.

Housing areas Darmstadt und Gelnhausen. Fotos: HA Hessen Agentur GmbH

12 Siehe www.nickel.de 11


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

4. Anwendung des Instruments „Sanierungssatzung“ und Abschreibung gemäß Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Entwicklung von Wohnquartieren in Housing areas Konversionsflächen können – unabhängig davon, ob Fördermittel des Bundes und des Landes eingesetzt werden – grundsätzlich als Sanierungsgebiet, als Entwicklungsgebiet, als Stadtumbaugebiet oder als Erhaltungsgebiet ausgewiesen werden, wenn die Anwendungsvoraussetzungen nach BauGB gegeben sind. Mit diesen hoheitlichen Regelungen kann die Durchführung von Konversionsvorhaben leichter gesteuert und vor gegenläufigen Entwicklungen oder Aktivitäten von Eigentümern geschützt werden. Zusätzlich sind bei Bedarf die Instrumente des Allgemeinen Städtebaurechts (z. B. Bebauungspläne) zur Sicherung der Ziele und einer geordneten Entwicklung einzusetzen. Mit diesen alternativen Rechtsinstrumenten sind jeweils Chancen, aber auch Pflichten verbunden. Dabei sind die öffentlichen und privaten Belange bezogen auf die unterschiedlichen Eingriffserfordernisse abzuwägen. Konversionsareale können häufig als Sanierungsgebiet durch Satzung förmlich festgelegt werden. Sie weisen in der Regel gravierende städtebauliche Missstände auf, deren Sanierung notwendig ist und im öffentlichen Interesse liegt. Die Notwendigkeit wird dabei mit den Vorbereitenden Untersuchungen nachgewiesen. So hat z. B. die Stadt Gelnhausen im Einvernehmen mit einem Investor eine Sanierungssatzung für das Gebiet der ehemaligen Housing area erlassen, die es ermöglicht, steuerliche Anreize für die Sanierung und Renovierung der verbleibenden Zeilenbauten zu schaffen. Dieses Instrumentarium wird auch in Hanau bei der Entwicklung der New und der Old Argonner Kaserne sowie der Hutier Kaserne erfolgreich angewendet. Die förmliche Festlegung eröffnet die Möglichkeit, im Sanierungsgebiet die Vorschriften des Besonderen Städtebaurechts (§§ 136 bis 164b BauGB) anzuwenden. Gegenstand der Sanierungssatzung sind die Abgrenzung des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets als städtebauliche Gesamtmaßnahme, das gewählte Sanierungsverfahren (umfassend oder vereinfacht) sowie die Notwendigkeit und ggf. der Umfang der genehmigungspflichtigen Vorhaben und Rechtsvorgänge. Beim „vereinfachten“ Verfahren kommen allerdings die „besonderen sanierungsrechtlichen Vorschriften“ der §§ 152 bis 156a – dabei handelt es sich um die Erhebung von Ausgleichsbeiträgen – nicht zur Anwendung. Die Genehmigungspflicht nach § 144 BauGB bei Vorhaben und Rechtsvorgängen ersetzt bei Bedarf die plansichernden Instrumente nach § 14 BauGB wie Veränderungssperre, Zurückstellung von Baugesuchen, Untersagung von Bauvorhaben und der Beseitigung baulicher Anlagen. Auf der Grundlage einer städtebaulichen Planung kann dann die eigentliche Durchführung der Ordnungs- und Baumaßnahmen beginnen.

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Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

Quelle: HA Hessen Agentur GmbH, Newsletter Konversion Nr.2, 2009

Die Ausweisung von Konversionsflächen als Sanierungsgebiet kann bei bestimmten Rahmenbedingungen vorteilhaft sein. So kann für die Kommunen neben der Anreizfunktion die Anwendung des zuvor genannten Instruments der Genehmigungspflicht bei Vorhaben und Rechtsvorgängen interessant sein, wenn sie die Entwicklung von Konversions(teil)flächen durch Dritte begleiten lassen und steuern möchten. Dies könnte z. B. bei kleineren Konversionsflächen im Innenbereich, die nach § 34 zu bewerten sind, hilfreich sein. Die Erhebung von Ausgleichsbeiträgen („Besondere sanierungsrechtliche Vorschriften“ der §§ 152 bis 156a BauGB) kann bei zu erwartenden deutlichen Bodenwertsteigerungen z. B. in Südhessen die u.U. notwendige Herrichtung von öffentlichen Verkehrs-, Frei- und Grünflächen auf dem Konversionsareal erleichtern. Dagegen fallen im vereinfachten Verfahren Erschließungs- und Ausbaubeiträge nach § 127 Abs. 2 BauGB bzw. Ausgleichsleistungen im Rahmen einer Sanierungsumlegung an.

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Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

In Regionen, wo keine Bodenwertsteigerungen zu erwarten sind, kann das vereinfachte Verfahren ohne Erhebung von Ausgleichsbeiträgen die Durchführung der Konversion erleichtern, da potenzielle Bauherren bzw. Eigentümer im Sanierungsgebiet mit bestimmten Abgaben- und Auslagenbefreiungen sowie steuerlichen Erleichterungen (Absetzen von bestimmten Aufwendungen als Sonderausgaben) rechnen können, was den Erwerb von Grundstücken auf Konversionsflächen durchaus attraktiver machen kann. Vorgehensweise und Vorteile In einem ersten Schritt führt die Kommune auf der Grundlage eines Einleitungsbeschlusses nach § 141 (3) BauGB Vorbereitende Untersuchungen gemäß § 141 BauGB durch. Im Rahmen der Voruntersuchungen werden die Beurteilungsgrundlagen und Nutzungsperspektiven als Ziele der Sanierung der Liegenschaft im Rahmen von Entwicklungskonzepten erarbeitet. Eine weitere wichtige Voraussetzung für den Erlass einer Satzung ist die Trägerbeteiligung. Sie kann auch im Rahmen eines begleitenden Aufstellungsverfahrens für einen B-Plan erledigt werden. Auf Grundlage dieser Vorbereitenden Untersuchungen (VU) kann dann eine Sanierungssatzung nach § 142 BauGB per Satzungsbeschluss in Kraft gesetzt werden. In jedem Fall liegt mit den Ergebnissen der Vorbereitenden Untersuchungen eine valide Entscheidungsgrundlage vor, die seitens der Kommune sowohl bei Verhandlungen mit dem Eigentümer aber auch mit künftigen Investoren die notwendigen Informationen und Daten liefert. Liegen ohnehin alle hinreichenden Beurteilungsgrundlagen z. B. auf Grund anderer Planungen vor, kann im Sinne des § 41 (2) BauGB auf die Durchführung der VU verzichtet werden. Die Vorteile der Kommune bei Erlass einer Sanierungssatzung bestehen darin, dass sie einem potenziellen Investor als Sanierungsanreiz die Schaffung der steuerlich günstigen Abschreibungsmöglichkeiten in Aussicht stellen kann. Zusätzlich hat sie mit der notwendigen Modernisierungsvereinbarung eine weitere Möglichkeit, bei der Entwicklung und Gestaltung des Baubestands auf Konversionsflächen steuernd und beratend mitzuwirken. Die Vorteile bei Investitionen im Sanierungsgebiet bestehen in der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeit der Sanierungskosten. Maßgebend für die Abschreibung sind dabei die §§ 7h, 10e, 10f und 11a des Einkommensteuergesetzes (EStG). Diese Abschreibungsmöglichkeiten kommen entweder dem Projektentwickler oder Investor, der die Housing area erwirbt, selbst zugute, sofern er auch Bauherr der Sanierungsmaßnahmen ist. Sie können aber auch bei einem Weiterverkauf von noch unsanierten Gebäuden oder Wohnungen an Dritte – z. B. an ein Unternehmen, eine Bauherrengemeinschaft oder an Private – von diesen in Anspruch genommen werden. Der Käufer geht nach Erwerb des unsanierten Objekts eine Sanierungsverpflichtung gegenüber der Kommune ein und schließt vor Sanierungsbeginn mit dieser eine sogenannte Modernisierungsvereinbarung ab, in der die Ziele und die Art der Sanierung der Gebäude geregelt werden. Da in vielen Fällen die Erwerber die Sanierung nicht selbst durchführen wollen, zumal wenn es sich um Endkunden bzw.

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Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

Selbstnutzer handelt, wird die Sanierungsleistung bereits beim Erwerb des unsanierten Objekts in einem gesonderten Vertrag quasi mit veräußert bzw. gekauft und sollte erst nach Abschluss der Modernisierungsvereinbarung über einen Bauträger geleistet werden.

Konversionsareale als Sanierungsgebiet – Beispiele

Quelle: HA Hessen Agentur GmbH, Newsletter Konversion Nr.2, 2009

Abschreibung gemäß Einkommensteuergesetz (EStG) Den Finanzbehörden dient die abgeschlossene Modernisierungsvereinbarung auf der Grundlage der bestehenden Sanierungssatzung zusammen mit einer Bescheinigung der Gemeinde gemäß Bescheinigungsrichtlinie als Grundlage für die Bewilligung der steuerlichen Vorteile. In Hessen ist dies im Erlass des Hessischen Ministeriums der Finanzen vom 03.07.1998 - S 2198a A 5 - II B 12, der nach wie vor gültig ist, geregelt. Dem Erlass beigefügt ist das Formular (Bescheinigung) „Überwachungsbogen für erhöhte Absetzungen" (Lager-Nr. 345h), das zur Inanspruchnahme der Steuervergünstigung vom Bauherren auszufüllen ist. Von besonderer Bedeutung ist grundsätzlich die Tatsache, dass es sich um Maßnahmen an Gebäuden handelt, die wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen oder städtebaulichen Bedeutung erhalten bleiben sollen (§ 7 h Abs. 1 Satz 2 EStG). Abgeschrieben werden können die Herstellungskosten bei der Sanierung und Instandsetzung eines vermieteten Gebäudes nach § 7h EStG, bei Baudenkmalen regelt dies § 7i EStG (siehe Seite 16.) Bei Selbstnutzern erfolgt die Abschreibung von Herstellungs- und anteiligen Anschaffungskosten (ohne Erwerbskosten) nach § 10e bzw. f des EStG (Steuerbegünstigung für zu eigenen Wohnzwecken 15


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

genutzte Baudenkmale und Gebäude in Sanierungsgebieten und städtebaulichen Entwicklungsbereichen). Der abschreibungsfähige Sanierungskostenanteil kann dabei durchaus zwischen 30 % und 70 % des Anschaffungspreises betragen. Die Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen sollen Missstände oder Mängel beseitigen, die dazu geführt haben, dass das Gebäude aufgrund von Abnutzung, Alterung, Witterungseinflüssen etc. nicht mehr den Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht. Maßstab für die Beurteilung der Sanierungsvorhaben sind wiederum die Ziele und Zwecke der Sanierung, wie sie in der Sanierungssatzung durch die Stadt festgelegt wurden. Neubauten oder erhebliche bauliche Änderungen eines Gebäudes wie dessen Anbau, Umbau oder Erweiterung bzw. „Luxussanierung“ werden allerdings nicht begünstigt.

EStG § 7h: Bei einem im Inland belegenen Gebäude in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder städtebaulichen Entwicklungsbereich kann der Steuerpflichtige abweichend von § 7 Absatz 4 und 5 im Jahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9 Prozent und in den folgenden vier Jahren jeweils bis zu 7 Prozent der Herstellungskosten für Modernisierungsund Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 des Baugesetzbuchs absetzen. EStG § 7i: Bei einem im Inland belegenen Gebäude, das nach den jeweiligen landesrechtlichen Vorschriften ein Baudenkmal ist, kann der Steuerpflichtige abweichend von § 7 Absatz 4 und 5 im Jahr der Herstellung und in den folgenden sieben Jahren jeweils bis zu 9 Prozent und in den folgenden vier Jahren jeweils bis zu 7 Prozent der Herstellungskosten für Baumaßnahmen, die nach Art und Umfang zur Erhaltung des Gebäudes als Baudenkmal oder zu seiner sinnvollen Nutzung erforderlich sind, absetzen.

Beispiele für Sanierungssatzungen auf Konversionsflächen:  Mendig: Konversion Flugplatz Mendig (Rheinland-Pfalz)  Rendsburg: Eider-Kaserne und die Feldwebel-SchmidKaserne (Schleswig-Holstein)  Gelnhausen: Housing Area / Coleman-Park (2011)  Hanau: New Argonner Kaserne / New Argonner Park  Hanau: Hutier-Kaserne Die Sanierungsberatung in Hanau wird von der HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH durchgeführt. Über die Entwicklung des Sanierungsgebiets New Argonner Kaserne und die gesetzlichen Steuervergünstigungen bei Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen informiert ein Flyer, der auf der Homepage der Stadt Hanau als Download steht: www.hanau.de - Leben in Hanau - Konversion - Bürgerinformation Sanierungsgebiet New Argonner (Argonner Park). Weitere Informationen (als pdf) auf der Internetseite der HA Hessen Agentur GmbH:  Arbeitshilfe des Bundes für Städtebauliche Sanierungsmaßnahmen (BauGB)  Erlass des Hessischen Ministeriums der Finanzen vom 03.07.1998  Formular „Überwachungsbogen für erhöhte Absetzungen" (Bescheinigung) www.hessen-agentur.de/konversion

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Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

5. Bestandsschutz für Housing areas oder nicht? Eine zivile Anschlussnutzung von Konversionsflächen durch Dritte (auch Bund/BImA) hat nach den Maßgaben der kommunalen Planungshoheit zu erfolgen. Eine Entwicklung der Konversionsflächen kann nur im gesamtstädtischen Kontext als Beitrag zur nachhaltigen Stadtentwicklung realisiert werden (sozial, ökologisch, ökonomisch, stadträumlich). Grundsätzlich ist daher meist eine Über- bzw. Neuplanung im Rahmen von Maßnahmen des Allgemeinen und/oder Besonderen Städtebaurechts notwendig. Die Aufstellung von Bebauungsplänen sollte erst dann erfolgen, wenn die zukünftige Nutzung hinreichend konkretisiert und die Umsetzung der kommunalen Ziele hinreichend gesichert ist. Bei der Schaffung eines zivilen Wohngebiets auf dem Gelände einer Housing area ist z. B. zu beachten, welche Umgebungsnutzungen vorhanden sind. Die Sportsfield Housing area in Hanau grenzt beispielsweise direkt an eine stark befahrene Bahnlinie, hinter der sich das Firmengelände von Dunlop befindet. Aufgrund der Emissionen wäre hier die Ausweisung eines Wohngebiets nicht denkbar. Sportsfield Housing Hanau. Direkt angrenzend eine Bahnlinie und ein Gewerbegebiet.

Foto: Stadt Hanau

Häufig wird jedoch auf Seiten des Bundes davon ausgegangen, dass die Housing areas „Bestandsschutz“ genießen und bei ihrer Umnutzung von militärischem Wohnen in ziviles Wohnen keine Nutzungsänderung vorliege. Ein Flächennutzungsplan, der das Gebiet als Wohngebiet darstellt, wird hierbei häufig als ausreichende Grundlage angesehen, um für die künftige Nutzung der Wohnungen in Housing areas im bisherigen Zustand Bestandsschutz anzunehmen. Diese Auffassung ist umstritten.13 Zunächst stellt sich die Frage, ob für das Gebäude überhaupt eine entsprechende Baugenehmigung nach Landesbauordnung vorliegt. Wurden die für Wohnen genutzten Gebäude, weil sie eben keinen zivilen Zwecken dienten, nach § 37 BauGB errichtet, existiert kein Bestandsschutz und für einen Bauantrag gilt der heute zugrunde zu legende übliche Standard, z. B. für den Brandschutz, den Schallschutz, den Energieverbrauch, die Schadstoffbelastung, die Raumluftqualität oder die Barrierefreiheit.

13 Siehe Lutz Eiding, Harald Nickel: Die planungsrechtliche Situation von Konversionsflächen – Bestandsschutz ja oder nein? in: NVwZ 2011, 336-340. 17


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

Unter Bestandsschutz versteht man das von der Rechtsprechung geschützte Vertrauen des Eigentümers auf die Legalität der in Ausübung von Eigentumsrechten geschaffenen (militärischen) Wohnungen und deren Verwendbarkeit auch im Falle ziviler Nachnutzungen. Genießt eine bauliche Anlage Bestandsschutz, so bleibt insbesondere deren bisherige Nutzung zulässig, selbst wenn das einschlägige Recht sich ändern sollte, ohne dass etwa die Schaffung von gemeindlichem Planungsrecht oder anderweitig Genehmigungen erforderlich werden. Setzte man den juristischen Bestandsschutz einer Housing area voraus, so kann die gemeindliche Planungshoheit ausgehebelt werden. Infolgedessen können notwendige Refinanzierungsmöglichkeiten der Kommunen ausfallen, die sich z. B. durch Städtebauliche Verträge mit Investoren im Rahmen der Aufstellung Vorhabenbezogener Bebauungspläne ergeben könnten. Trotzdem hat die Kommune bei der zivilen Nachnutzung ehemals militärisch genutzter Wohnungen, z. B. der Gaststreitkräfte, häufig die notwendigen Infrastruktur- und Folgeeinrichtungen zu schaffen und deren Kosten zu tragen, ohne dass dann Verbesserungen auf der kommunalen Einnahmeseite eintreten würden. Die Annahme von Bestandsschutz für militärische Wohnungen führt automatisch auch zu einem höheren Verkehrswert und damit zu einem höheren Mindest-Verkaufspreis der BImA (gemäß Haushaltsrecht des Bundes). Dies wiederum hält die Kommune davon ab bzw. schränkt sie ein, (im Zusammenwirken mit privaten Investoren) in geeigneten Städtebau zu investieren. Für eine städtebaulich, sozial und wirtschaftlich adäquate Konversion militärischer Wohnungsanlagen ist die Frage des Bestandsschutzes enorm wichtig und sie sollte ggf. unter Hinzuziehung von juristischem Sachverstand zwischen Kommune und BImA diskutiert werden.

Housing area Hanau. Foto: HA Stadtentwicklungsgesellschaft mbH

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Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

6. Housing areas: Zustand und Schadstoffbelastung, Normen und Standards Die Konversion von ehemaligen Militärliegenschaften, insbesondere die Umnutzung von leer stehenden Housing areas, aber auch die Aktivierung von weiteren Flächen in Bundes- oder Bahnbesitz, ist für den Wohnungsbau allgemein und für die kurzfristige Bereitstellung von Wohnraum für Studierende in den Ballungsgebieten von großer Bedeutung, zumal viele dieser Liegenschaften bereits gut an städtische Infrastruktur angebunden sind. Allerdings stellen sich an jedem Standort immer wieder neu die gleichen Fragen: Ist ein Umbau und eine Ertüchtigung des Bestands langfristig teurer als Abriss und Neubau? Kann man den Bestand kurzfristig und nur zur Überbrückung einer Wohnungsknappheit nutzen, z. B. zur Unterbringung von Studenten? Und in welchem Umfang muss in diesem Fall saniert werden? An zahlreichen Beispielen lässt sich jedoch mittlerweile belegen, dass Housing areas keinesfalls – wie behauptet – eins zu eins weiter genutzt werden können. Eine sogenannte „Pinselsanierung“, also Verschönerungsarbeiten oder geringe Instandsetzungs- und Modernisierungsarbeiten, reichen allein nicht aus. Großzügige US-Grundrisse müssten bei der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum teuer umgestaltet werden, eine amerikanische Schule ist nicht mit einer deutschen Schule gleich zu setzen u.v.m. In Hessen machen die Beispiele aus Bad Nauheim,14 Friedberg15 und Darmstadt16 deutlich, mit welchen Problemen und Belastungen in der Bausubstanz zu rechnen ist. Wie sich in Bad Nauheim im Rahmen von statischen Berechnungen und Untersuchungen herausgestellt hat, war die Tragfähigkeit der Decken in den Mehrfamilienhäusern unzureichend. Statt der mindestens notwendigen 150 kg/qm wiesen die Gebäude nur 98 kg/qm auf, was schließlich den Ausschlag dafür gab, nicht nur wie geplant 12, sondern alle 17 Gebäude abzureißen. Typisches Gebäude einer Housing area in Butzbach. Roman Way Village.

Foto: HA Hessen Agentur GmbH

Vor dem Abriss wurden schadstoffhaltige Materialen aus den Gebäuden entfernt und gesondert entsorgt. Dabei handelte es sich um Parkettböden, die mit PAK-haltigem Kleber verklebt waren, um asbesthaltige Fensterbänke und um Dämmmaterialien aus Mineralwolle. Der vorgefundene schwarze

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Bad Nauheimer Wohnungsbaugesellschaft mbH gemeinsam mit Nassauische Heimstätte und Gemeinnützige Wohnbau Hessen, Frau Schirrmacher, T. 06032 / 9170- 0, info@bnwobau.de Friedberger Wohnungsbaugesellschaft mbH, Tel: 06031 / 7372 16 bauverein AG, Darmstadt, Tel: 061 51 28 15-0 , info@bauvereinag.de 19


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

Parkettkleber ist stark teerhaltig und damit mit sogenannten PAK-Stoffen durchsetzt. Sollen Gebäude erhalten werden, ist häufig ein vollständiges Entfernen des Parketts einschließlich Kleber und unterlagernder Fasermatten zwingend erforderlich. Insbesondere müssen auch alle Kleberanhaftungen vom Estrich entfernt werden. Eine weitergehende Untersuchung auf Asbestfasern wird grundsätzlich empfohlen. Ein überraschend hoher Sanierungsaufwand wurde auch bei gut erhaltenen mehrgeschossigen Wohngebäuden in der Lincoln-Siedlung in Darmstadt festgestellt. Bekannt war zunächst die Schadstoffbelastung, die vom verwendeten Parkettkleber ausgeht, nicht bekannt war jedoch der sehr schlechte Zustand der Wasserleitungen. Ursache dafür war u.a. der Umstand, dass bereits vor Jahren das Rohrleitungssystem entleert worden war, um Frostschäden zu vermeiden. Leere Leitungssysteme korrodieren jedoch schneller. Druckprüfungen haben schließlich ergeben, dass infolgedessen sämtliche Leitungen und Armaturen sowie zahlreiche Heizkörper ausgetauscht werden müssen. Lincoln-Siedlung Darmstadt.

Foto: Nicolaus Heiss

Unter anderem wegen einer desolate Haustechnik und einer hohen Schadstoffbelastung mit Asbest und polychlorierten Biphenylen (PCBs) hielt die Friedberger Wohnungsbaugesellschaft mbH die Instandsetzung von Gebäuden der Housing area in Friedberg für wirtschaftlich nicht mehr vertretbar und entschloss sich zum Komplettabriss. Auch der an sich schadstofffrei vermutete Bauschutt in Bad Nauheim konnte entgegen der ursprünglichen Planungen nicht wieder an anderer Stelle eingebaut werden. Dies war nicht möglich, da im Putz Salze (Sulfate) enthalten waren, die auch nach dem Schreddern im Material verbleiben. Laut Trinkwasserverordnung dürfen Salze nicht in hoher Konzentration in Untergründe eindringen, da sie das Trinkwasser belasten könnten. In Bamberg wurde festgestellt, dass vor allem der überwiegend nicht renovierte Bereich im Dachgeschoss sowie im Keller hohe DDT- bzw. Schwermetall-Gehalte im Wandputz aufweist. Dichlordiphenyltrichlorethan, abgekürzt DDT, ist ein Insektizid, das von Anfang der 1940er Jahre bis Mitte der 1960er Jahre als Kontaktgift und zur Schädlingsvermeidung in Wohnräumen eingesetzt wurde. DDT geriet unter Verdacht, beim Menschen Krebs auslösen zu können. Deshalb 20


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

wurde die Verwendung von DDT von den meisten westlichen Industrieländern in den 1970er-Jahren verboten.17 Gutachter empfehlen daher die Entfernung von Parkett und Kleber, aller Wandputze und Farben, der Profilhölzer in Aufenthaltsräumen, der Asbestzementplatten in den Küchen sowie den Austausch der Asbestzementlüftungsrohre im Spitzboden, der Rohr- und Behälterisolierungen sowie der losen Mineralwolle in den Decken. Beabsichtigt eine Kommune, Wohnungsbaugesellschaft etc. eine Housing area mit Bestandsgebäuden zu erwerben, welche sie weiter für Wohnzwecke nutzen möchte, unabhängig davon, ob dauerhaft oder nur vorübergehend, zeigen die zuvor beschriebenen Beispiele, wie wichtig die bereits angesprochene umfassende Bestandaufnahme durch qualifizierte Gutachter im Vorfeld von Wertermittlungen und Erwerb von Liegenschaften ist, insbesondere weil bisher keine Nachbesserungsklausel für erhöhte Kosten seitens der BImA akzeptiert wird. Fachleute neigen sogar zu der Ansicht, dass „die Kosten für die Ertüchtigung dieser Gebäude weit über den Neubaukosten eines vergleichbaren Wohngebäudes liegen. Sie stellt meist die teuerste aller denkbaren Lösungen dar. Vom Gebäude bleibt meist nur der Rohbau und der ist angesichts neuer statischer und energierelevanter Rechenwerte meist nicht ausreichend.“18 Ungelöste Fragestellungen betreffen darüber hinaus den Schall- und Brandschutz sowie die Barrierefreiheit. Generell sollten deutsche Normen, die für den Wohnungsbau gelten, erfüllt sein. Hinzu kommt, dass Gebäude, Siedlungen und Stadtquartiere nachhaltig für Jahrzehnte geplant werden, weshalb sie insbesondere wegen der Folgekosten nach den aktuellen Standards und Techniken realisiert werden sollten. Wichtige Stichpunkte sind dabei u.a. Baustoffe, Ausnutzung von Flächen, Energieeffizienz, (Elektro)Mobilität, Parkraumbewirtschaftung, Verwendung ökologischer Baustoffe, umweltgerechte Verund Entsorgung, naturnahe Grün-/Freiraumgestaltung und flächensparendes Bauen.

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www.stadt.bamberg.de, Umfassende Sanierung ist erforderlich, BImA legt erstmals Ergebnisse der Schadstofferkundung für Pines Housing Area vor, 7.2.2015. Peter Jorzick, Gesellschafter des Hamburger Wohnungsentwicklers Hamburg Team: Hopp oder Top im Bestand?, in: Informationen zur Konversion Bamberg, Ausgabe 03, 21.3.2015, S. 11. 21


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

7. Kommunale Satzungen: Soziale Bodenordnung Soziale Bodenordnung Zu teurer Ankauf, Weiterverkauf und Spekulation mit Konversionsflächen lassen die Grundstückskosten noch vor dem Baubeginn steigen und treiben so direkt die späteren Mietpreise in die Höhe. In diesem Zusammenhang wird in einigen Kommunen die Neuauflage einer sozialen Bodenordnung diskutiert, d.h. die Abschöpfung von Planungs- bzw. Spekulationsgewinnen, wobei häufig auf das Beispiel München verwiesen wird. Dort muss ein Investor gemäß der städtischen Satzung Sozialgerechte Bodenordnung (SoBoN) bis zu zwei Drittel der Bodenwertsteigerung an die Stadt abführen – etwa wenn eine Fläche durch Schaffung oder Änderung von Planungsrecht mittels Bebauungsplänen im Wert steigt. Diese Mittel werden für öffentliche Zwecke, wie Soziale Infrastruktur und Verkehrsinfrastruktur, verwendet. Knapp 500 Mio. Euro wurden so zwischen 1994 und 2012 investiert. Zudem sollen 30 % der entstehenden Wohnungen als öffentlich geförderte Wohnungen entstehen. Mindestens ein Drittel der durch die Überplanung realisierten Bodenwertsteigerung soll den Planungsbegünstigten zustehen.19 Kritiker argumentieren, dass die SoBoN das Bauen in den Stadtgrenzen vergleichsweise unattraktiv und teuer macht. Auch die Auflage klassische kommunale Aufgaben zu übernehmen – wie etwa die Finanzierung der sozialen Infrastruktur – verteuere die Preise und Mieten des frei finanzierten Wohnungsbaus. Auch im Zusammenhang mit der Entwicklung von Konversionsflächen bzw. Housing areas stellt sich die Frage nach Anwendbarkeit einer Satzung zur sozialen Bodenordnung. Diese Satzungen können ähnlich wie der Bebauungsplan als wertbestimmende Faktoren Auswirkungen auf den zu veranschlagenden Bodenwert im Konversionsareal haben und bedeuten potenzielle Ertragsminderungen für Projektentwickler und Weiterverkäufer. Dieser Umstand sollte daher bei der Wertermittlung, u.a. im Rahmen des Erstzugriffs, berücksichtigt werden, zumal in § 194 BauGB (Verkehrswertermittlung) explizit auf die rechtlichen Gegebenheiten in einer Kommune eingegangen wird.20 (Siehe auch Punkt 2 „Anwendung des sogenannten Erstzugriffs“)

19 Landeshauptstadt München, Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Kommunalreferat, Die Sozialgerechte Bodennutzung, Der Münchner Weg. 15 Jahre SoBoN. 1994 bis 2009. 20 „Der Verkehrswert (Marktwert) wird durch den Preis bestimmt, der zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Ermittlung bezieht, im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den rechtlichen Gegebenheiten und tatsächlichen Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und der Lage des Grundstücks oder des sonstigen Gegenstands der Wertermittlung ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre." 22


Schaffung von Wohnraum auf Konversionsflächen

Anhang

Aktuelle Arbeitshilfen zur Konversion Bund: Praxisratgeber Militärkonversion, Herausgeber: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) Referat SW 23, 2013. Ausführungsrichtlinie für die verbilligte Abgabe von ehemaligen Militärliegenschaften (Konversionsgrundstücke), Bundestag, 22.April 2015. Länder: Arbeitshilfe zu den rechtlichen, planerischen und finanziellen Aspekten der Konversion militärischer Liegenschaften, Herausgeber: Fachkommission Städtebau der Bauministerkonferenz, beschlossen am 19./20.03.2014. Städtebauförderung in Bayern: Militärkonversion, Themenheft 21, Herausgeber: Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr. Oberste Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr, 2014. HA Hessen Agentur GmbH: Erstellung von Kosten- und Finanzierungsübersichten im Rahmen von Konversionsprojekten – Arbeitshilfe, Auftraggeber: Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Landesentwicklung, 2013. Arbeitshilfe Nachhaltiges Konversionsflächenmanagement – entwickelt am Beispiel der Militärflächenkonversion in Schleswig-Holstein, Herausgeber: Jacoby, Christian, Prof. Dr.-Ing., Institut für Verkehrswesen und Raumplanung (IVR), Universität der Bundeswehr München, 2011. Forschungs- und Informations-Gesellschaft für Fach- und Rechtsfragen der Raum- und Umweltplanung mbH (FIRU): Analyse und Konzept zum Umgang mit schwer marktgängigen Konversionsliegenschaften auf Landesebene, Studie als Baustein des Forschungsprojekts „Konversionsflächenmanagement zur nachhaltigen Wiedernutzung freigegebener militärischer Liegenschaften (REFINA-KoM) – Durchführungsphase mit Modellprojekten“ im Rahmen des Forschungsbereichs des Bundesministeriums für Bildung und Forschung „Forschung für die Reduzierung der Flächeninanspruchnahme und ein nachhaltiges Flächenmanagement“ (REFINA), Auftraggeber: Ministerium für Wissenschaft, Wirtschaft und Verkehr des Landes Schleswig-Holstein (MWV), 2010. BImA: Merkblatt zur Konversion – Hilfestellungen, Förderungen und Verwertungsmodelle des Bundes, Bundesministerium der Verteidigung / Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, 19.11.2014.

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